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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 4 U 595/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 129
Ein Anfechtungsrecht nach § 129 InsO erfordert immer eine objektive Benachteiligung der Insolvenzgläubiger. Hieran fehlt es, wenn die Insolvenzmasse durch die anfechtbare Handlung nicht verkürzt worden ist; aus Rechtsgründen tritt dann eine Gläubigerbenachteiligung nicht ein.

Das ist dann der Fall, wenn ein Insolvenzgläubiger unmittelbar nur durch einen anderen, nicht besser gesicherten gleichartigen Gläubiger ersetzt wird.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 595/06

Verkündet am: 30.04.2008 In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Landgericht Höfs aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.04.2008

für Recht erkannt: Tenor: Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 08.06.2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat der Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.667,29 EUR festgesetzt. Gründe: I. Der Kläger nimmt in seiner Funktion als Insolvenzverwalter des Vermögens der Insolvenzschuldnerin H. G. den Beklagten im Wege der Anfechtung auf Rückzahlung eines Betrages von 9.667,29 EUR zur Insolvenzmasse in Anspruch. In Erfüllung eines mit der Insolvenzschuldnerin geschlossenen Darlehensvertrages hatten deren Schwester und Schwager - die Zeugen Sch. - in vorgenannter Gesamthöhe Zahlungen an den Beklagten geleistet und damit Abgabenrückstände der Insolvenzschuldnerin getilgt. Das Landgericht Erfurt hat mit Urteil vom 08.06.2006 den Beklagten - abgesehen von einem Teil der Zinsforderung - antragsgemäß verurteilt. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der in der ersten Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen ( § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ). Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter. Zu Unrecht habe das Erstgericht eine Gläubigerbenachteiligung angenommen. Die Insolvenzschuldnerin habe die Abgabenforderung nicht aus ihrem eigenen haftenden Vermögen erfüllt. Die Befriedigung des Beklagten habe der Gläubigergemeinschaft kein haftendes Kapital entzogen. Gegen eine Masseverkürzung und eine Gläubigerbenachteiligung spreche, dass lediglich ein Gläubiger durch einen anderen ersetzt worden sei und der unmittelbar an die Beklagte geflossene Betrag nicht zur freien Verfügbarkeit der Insolvenzschuldnerin gestanden habe. Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 08.06.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Erfurt ( Az.: 10 O 1247/05 ) die Klage abzuweisen. Der Kläger verteidigt unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvortrages das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. II. Die gemäß § 517 ZPO fristgerecht erhobene und - in verlängerter Frist - gemäß § 520 ZPO ordnungsgemäß begründete Berufung ist zulässig. Auch in der Sache hat die Berufung des Beklagten Erfolg. Unter Abänderung des angefochtenen Urteils ist die unbegründete Klage abzuweisen. Der Kläger hat keinen insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch gegen den Beklagten. Die allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen des § 129 InsO liegen nicht vor.

Im Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat sich zwar im Sinne des - mit der Berufung nicht mehr angegriffenen - Klägervortrages bestätigt, dass der Insolvenzschuldnerin von ihrer Schwester und ihrem Schwager - dem Zeugen Sch. - ein Darlehen gewährt wurde. Weiter steht fest, dass die Zeugen Sch. die Darlehensvaluta in Absprache mit der Insolvenzschuldnerin aus Zeitgründen unmittelbar an das Finanzamt A. und damit den Beklagten ausgekehrt haben. Entgegen der Auffassung des Klägers und des Erstgerichts ist die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger durch den vorstehenden Sachverhalt aber nicht benachteiligt worden. Eine objektive Benachteiligung der Insolvenzgläubiger im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO als Voraussetzung eines jeden anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs liegt vor, wenn die Insolvenzmasse durch die anfechtbare Handlung verkürzt worden ist, sich also die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätte ( BGHZ 105, 168; 124, 76; 155, 75 sowie zuletzt BGH, Urteil vom 12.07.2007, Az.: IX ZR 235/03, zitiert nach juris ).

Aus Rechtsgründen tritt eine Gläubigerbenachteiligung aber dann nicht ein, wenn der Gläubiger einer Insolvenzforderung unmittelbar nur durch einen anderen, nicht besser gesicherten gleichartigen Gläubiger ersetzt wird ( BGH NJW 2002, 1574; OLG Hamm ZIP 1988, 588; OLG Dresden ZinsO 1999, 239; Kirchhof in Münchener Kommentar zur InsO, § 129, Rdnr. 108; Kuhn / Uhlenbruck, KO, § 29, Rdnr. 33a; Jaeger / Henckel, KO, § 29, Rdnr. 61 und § 30, Rdnr. 164 ). Die in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig vertretene Auffassung, wonach für die Insolvenzmasse im vorstehenden Sinne wirtschaftlich neutrale Vorgänge nicht anfechtbar sind, fußt grundlegend auf dem Urteil des Reichsgerichts vom 30.04.1901 ( RGZ 48, 148 ). Mit seiner bis heute allenthalben zitierten Entscheidung hatte das Reichsgericht über die Rechtsfrage zu befinden, inwiefern im Konkurs eine Zahlung anfechtbar ist, die der Gläubiger unmittelbar von einem Dritten im Auftrag des Gemeinschuldners erhalten hat. Genau diese Frage stellt sich wegen der von den Zeugen Schmidt im Auftrag der Insolvenzschuldnerin unmittelbar an den Beklagten geleisteten Zahlungen auch vorliegend.

Übertragen auf den Entscheidungsfall ergibt sich aus den vom Reichsgericht entwickelten und ob ihrer dogmatischen Überzeugungskraft bis heute fortgeltenden Rechtsgrundsätzen Folgendes: Die Aktivmasse der Insolvenzschuldnerin hat durch die auf Anweisung der Insolvenzschuldnerin unmittelbar an den Beklagten bewirkten Zahlungen nicht die geringste Änderung erlitten. Zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger stand hiernach nicht ein Cent weniger zur Verfügung als vorher. Wegen des Umstandes, dass die Zeugen Sch. der Insolvenzschuldnerin nichts schuldig waren, ihr aber dennoch den streitbefangenen Betrag als Darlehen bewilligt haben, besteht die in dem Vermögensstand der Insolvenzschuldnerin eingetretene Änderung darin, dass eine Forderung der Zeugen Sch. gegen die Insolvenzschuldnerin entstanden ist, die vorher nicht bestand. Nur in diesem Sinne einer um den streitbefangenen Betrag von 9.667,29 EUR erhöhten Passivmasse sind die an den Beklagten bewirkten Zahlungen aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin entnommen. Hieraus folgt, dass der Beklagte nicht auf Zahlung an die Insolvenzmasse, aus der er nichts erhalten hat, sondern allenfalls auf Befreiung der Masse von der Forderung der Zeugen Sch. belangt werden könnte. Da die Insolvenzschuldnerin das Geld nicht an sich selbst hat überweisen lassen, sondern die Zeugen Schmidt aus Gründen der Beschleunigung angewiesen hat, direkt an den Beklagten zu zahlen, liegt mit dieser Anweisung an die Zeugen, für Rechnung der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten zu zahlen, eine einzige unteilbare Rechtshandlung vor. Allenfalls auf die Beseitigung der durch diese Handlung herbeigeführten Vermögensänderung kann der Beklagte in Anspruch genommen werden. Kann für den Kläger mithin allenfalls das Recht bestehen, die durch die angefochtene Handlung herbeigeführte Änderung in der Passivmasse beseitigt zu verlangen, ist dieses Recht ohne Wert für die Masse und kann daher nicht ausgeübt werden. Durch die in der Anweisung an die Zeugen Sch. zur Direktzahlung an den Beklagten liegende unteilbare Rechtshandlung ist eine den Insolvenzgläubigern nachteilige Änderung überhaupt nicht eingetreten. Hand in Hand mit der Entstehung der Forderung der Zeugen Sch. geht nämlich die Tilgung der gleichgroßen Forderung des Beklagten. Ein denkbares Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger daran, dass die Forderung in Höhe von 9.667,29 EUR nicht von den Zeugen Sch., sondern von dem Beklagten zur Masse geltend gemacht wird, ist nicht erkennbar. Wie die Aktiv-, ist auch die Passivmasse im ganzen nach wie vor die gleiche geblieben. Diese wirtschaftliche Neutralität ist entscheidend und lässt für die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung keinen Raum. Auf die nach alledem nicht nur zulässige, sondern auch begründete Berufung ist das angefochtene Urteil abzuändern und die unbegründete Klage abzuweisen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Für eine Revisionszulassung besteht unabhängig davon, dass keine Partei einen entsprechenden Antrag gestellt hat, keine Veranlassung. Revisionszulassungsgründe im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG.

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