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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.05.2005
Aktenzeichen: 4 U 641/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 241
BGB § 280
BGB § 311
1. wenn bei einer zeitlichen Latenz von 24 Stunden zwischen Gefäßpathologie und Mobilisationsbehandlung andere Ursachen für die Vertebraldissektion (als Ursache des Hirnstamminfarkts) nicht ausgeschlossen werden können, scheidet für den Patienten eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis aus, weil es in diesem Fall keinen typischen Lebenssachverhalt gibt.

2. Grundsätzlich schuldet (nur) der - behandelnde - Arzt die Aufklärung einer (risikobehafteten) Heilbehandlung. Bei horizontaler Arbeitsteilung - hier durch Hinzuziehung von Physiotherapeuten - müssen letztere daher auch grundsätzlich keine eigene Anamnese durchführen und keine eigenen Befunde erheben, die über den konkreten Überweisdungsauftrag (die Verordnung) hinausgehen. Vielmehr können sie sich darauf verlassen, dass dies bereits in ausreichender Weise durch den verordnenden Facharzt geschehen ist.

3. Eine - einfache - Behandlung (hier Mobilisation einer HWS durch "weiche" Techniken) ist dann nicht zu dokumentieren, wenn der Behandlungsverlauf selbst weder für die Diagnose noch die Therapie eine wesentliche Rolle spielt. Beweiserleichterungen kommen dann für den Patienten nicht in Betracht, wenn eine Dokumentation des Behandlungsverlaufs weder notwendig, noch üblich ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 641/04

Verkündet am: 18.05.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller und die Richter am Oberlandesgericht Billig und Jahn aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Landgerichts Gera vom 30.06.2004 - Az.: 2 O 1620/99 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf insgesamt 25.137,89 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt - wie in erster Instanz - Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz wegen eines 24 Stunden nach einer physiotherapeutischen Behandlung durch die Beklagte zu 1) erlittenen Hirnstamminfarktes.

Der Kläger war (nach eigenen Angaben) ein bis Ende 1996 praktizierender Kampfsportler (Judo und Kung Fu). Auf Grund nicht abklingender Kopfschmerzen in Folge einer schnellen Kopfdrehbewegung suchte er am 08.04.1997 die Praxis der weiteren Beklagten (1. Instanz) Frau Dr. Gudrun Richter - Brehme - einer Fachärztin für Orthopädie - auf, die ihm nach Diagnose einer Halswirbelblockade und oberem Cervikalsyndrom eine 6 malige physiotherapeutische Manualtherapie bei den Berufungsbeklagten (Beklagte zu 1) und 2) verordnete. Die Behandlung in der Praxis der Beklagten zu 1) und 2) begann am 09.04.1997. Nach einer Röntgenaufnahme, die der Beklagten zu 3) am 10.04.1997 vorlag, empfahl diese die Fortsetzung der Manualtherapie. Nach deren Fortsetzung am 11.04.1997 (3. Behandlungstag) - der Behandlungsverlauf war zwischen den Parteien erstinstanzlich streitig - stellten sich bei dem Kläger am 12.04.1997 gegen 14:30 Uhr plötzlich eine schwere Fallneigung links, extreme Gangunsicherheiten, starke Kopfschmerzen und weitere Beschwerden ein. In der FSU in Jena wurde ein Hirnstamminfarkt links diagnostiziert. Der Infarkt beruhte - das ist unstreitig - auf einer Dissektion (=Gefäßeinriss/Spaltung) der linksseitigen arteria vertrebralis, die durch den 6. bis 1. Halswirbel bis in die Schädelhöhle verläuft; die Dissektion der Arterie führte bei dem Kläger zu einem Verschluss in dem (genannten) vertebrobasilären Stromgebiet mit der Folge der Infarzierung seines Stammhirns. Der Kläger befand sich zunächst bis zum 30.04. und nochmals am 12. und 13.06.1997 in stationärer Behandlung; zwischendurch unterzog er sich einer Reha- Maßnahme.

Der Kläger hat erstinstanzlich zunächst behauptet, die Beklagte zu 1) habe bei der Behandlung am 11.04.1997 seinen Kopf "überstreckt", wodurch er heftige Schmerzen verspürt und dies auch der Beklagten zu 1) mitgeteilt habe. Auch auf dem anschließenden Weg nach Hause habe er - plötzlich - einen stechenden Kopfschmez hinter dem linken Ohr bis in die Nackenmuskulatur und in den Kopfbereich hinein verspürt. Vorschäden, die eine arterielle Dissektion begünstigt hätten, seien bei ihm nicht vorhanden gewesen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten und meint dies noch, mit der Dissektion habe sich ein typisches Risiko der - medizinisch nicht indizierten - Manualtherapie verwirklicht.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben demgegenüber vorgetragen, die - von der Beklagten zu 3) verordnete - Manualtherapie sei sach- und fachgerecht durchgeführt worden. Zu keinem Zeitpunkt - auch nicht bei der Behandlung am 11.04. - sei eine Überdehnung oder Überstreckung des Kopfes des Klägers erfolgt. Bei der Manualtherapie nach Schildt-Rudloff würden nur "weiche" Techniken zur Mobilisation angewandt (gezielte Atem-Blick-Techniken und ggf. Traktionen [Längszüge an der Wirbelsäule]), bei denen keine ruckartigen Bewegungen eingesetzt würden und keine Beugung des Kopfes erfolge. Die Lockerung der Wirbelsäule erfolge vielmehr durch Augenbewegungen und Atemübungen des Patienten; der Kopf des Patienten werde von der behandelnden Physiotherapeutin lediglich unterstützt (gestützt). Die Beklagte zu 1) verfüge zudem über eine 8-jährige Berufserfahrung. Im übrigen haben die Beklagten den vom Kläger geschilderten Behandlungsverlauf bestritten.

Sie haben sich weiter darauf berufen, dass als Ursache der Vertebraldissektion eher eine Vielzahl anderer Ursachen in Betracht kämen; z.B. Bluthochdruck, Hirnhautentzündung, des Klägers langjährige Kampfsportausübung sowie eine möglicherweise traumatisierende Bewegung nach Verlassen ihrer Praxis.

Das Landgericht hat u.a. zu dem Behandlungsverlauf vom 11.04.97 Beweis erhoben durch persönliche Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) im Termin v. 23.08.2000 (vgl. hierzu die Sitzungsniederschrift Bl. 162 ff/Bd. I d.A.). Der Kläger hat hierbei im wesentlichen die Behandlung, wie von der Beklagten zu 1) geschildert, bestätigt und unstreitig gestellt, dass eine Überstreckung seines Kopfes nach hinten nicht stattgefunden habe, ferner, dass die Kopfschmerzen am 3. Behandlungstag (11.04.) nicht mehr so schlimm wie am ersten gewesen seien (vgl. Bl. 163/I). Im übrigen blieb er aber bei seiner Behauptung, sein Kopf sei durch die Beklagte zu 1) auf die linke Schulter in Richtung seiner Wirbelsäule gedrückt worden.

Das Landgericht hat - wegen dieses verbliebenen Widerspruchs - ein fachorthopädisches Gutachten des Chefarztes der Rehabilitationsklinik, Kurparkklinik in Bad Liebenstein, Dr. Nitz eingeholt, der einen Behandlungsfehler verneint hat.

Das Landgericht hat - nach weiterer Beweiserhebung zur medizinischen Indikation der verordneten Manualtherapie und zum kausalen Zusammenhang zwischen Dissektion und durchgeführter Behandlung - mit dem Teilurteil vom 30.06.2004 die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) - wegen Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Beklagten zu 3) am 30.03.2004 war das Verfahren gegen letztere bereits gesetzlich unterbrochen (vgl. § 240 ZPO) - abgewiesen. Es hat einen Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) ebenso verneint wie einen den Beklagten zu 1) und 2) anzulastenden Aufklärungsmangel.

Seine Überzeugung - Verneinung eines Behandlungsfehlers - hat es auf die gutachtlichen Äußerung des Sachverständigen Dr. Nitz gestützt und dies ausführlich begründet. Dabei hat das Landgericht Beweiserleichterungen, auch einen Anscheinsbeweis trotz der zeitlichen Koinzidenz (nach 24 Stunden) verneint. Es bestehe trotz des 24 stündigen zeitlichen Abstands zwischen Behandlung und erlittenem Infarkt kein (typischer) Lebenssachverhalt, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache des Hirnstamminfarkts hindeute.

Die Beklagten zu 1) und 2) hätten schließlich auch keine Aufklärungspflichten verletzt. Es sei bereits zweifelhaft, ob hier - bei dieser Mobilisationstechnik - überhaupt eine Risikoaufklärung geschuldet sei. Wegen der hier spannungsfreien Mobilisation des Klägers im Rahmen normaler Bewegungsradien sei dies schon im Ansatz fraglich, könne aber dahingestellt bleiben. Die arbeitsteilig hinzugezogenen Therapeutinnen hätten die verordnete Maßnahme nicht überprüfen und den Patienten auch nicht aufklären müssen.

Wegen der weiteren Begründung im einzelnen wird auf das angefochtene Urteil vom 30.06.2004 ergänzend Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 06.07.2004 zugestellte (Teil)Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 15.07.2004 eingelegten Berufung, die er - nach eingeräumter Verlängerungsfrist bis 06.10.2004 - mit bei Gericht am 06.10.2004 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Der Kläger rügt im wesentlichen folgendes:

1. das LG habe die Tatsachen unvollständig festgestellt. Das Gericht habe rechtsfehlerhaft den Antrag des Klägers vom 25.03.03 auf Ladung und Erläuterung durch die (für die Kausalitätsprüfung hinzu gezogenen) Gutachter Dr. R. von Kummer und A. Müller übergangen. Diese Sachverständigen hätten in ihrem schriftlichen GA v. 25.11.2002 klargestellt, dass der zeitliche Zusammenhang der Gefäßpathologie mit der Behandlung der B 1) dafür spreche, dass diese die Ursache der Dissektion gewesen sei.

2. das LG habe die Gutachten Dr. Nitz und Sliwka fehlerhaft gewürdigt.

3. das LG habe zu Unrecht die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht angewendet. Nach dem GA Dr. Kummer/Müller liege gerade ein solcher Anschein vor.

4. der Kläger hätte - wie vor einer chiropraktischen Behandlung - über das Risiko vaskulärer Komplikationen (Wallenberg-Syndrom) aufgeklärt werden müssen.

5. es fehle schließlich an einer Dokumentation, die hier nicht entbehrlich sei, weil grundsätzlich wegen der Manipulation bereits ein Dissektionsrisiko bestehe. Deshalb kämen für den Kläger Beweiserleichterungen in Betracht.

Erstmals trägt der Kläger in zweiter Instanz noch vor, bei entsprechender Risikoaufklärung (der Manualtherapie) hätte er der physiotherapeutischen Behandlung nicht zugestimmt.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig; in der Sache bleibt ihr jedoch - auch nach zweitinstanzlich nachgeholter Anhörung der Gutachter Prof. Dr. von Kummer und Dr. Müller - der Erfolg versagt.

Dem bereits erstinstanzlich vom Kläger gestellten Antrag auf Anhörung der vom Gutachter Dr. Manitz hinzugezogenen Neuroradiologen musste allerdings nach Auffassung des Senats stattgegeben werden. Dem Grundsatz umfassenden rechtlichen Gehörs in Arzthaftungssachen entspricht es, (auch nur) denkbaren Widersprüchen von Sachverständigenäußerungen - hier zur Kausalität der Behandlung am 11.04.1997 zu dem am 12.04.1997 erlittenen Infarkt - nachzugehen. Im übrigen sind die weiteren Berufungsangriffe aber unbegründet. Weder ist den Beklagten zu 1) und 2) ein Behandlungsfehler bei der von ihnen entsprechend der Verordnung der Beklagten zu 3) durchgeführten physiotherapeutischen Behandlung des Klägers, noch ein im Zusammenhang damit stehender Aufklärungsmangel anzulasten. Auch schuldeten die Beklagten zu 1) und 2) keine Dokumentation der von ihnen an den verschiedenen Behandlungstagen immer gleich durchgeführten Therapiemaßnahme. Beweiserleichterungen für den Kläger schieden damit aus.

Eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Erstgerichts in Bezug auf die Verneinung eines Behandlungsfehlers der in den Praxisräumen der Beklagten zu 1) und 2) durchgeführten physiotherapeutischen Behandlung liegt nicht vor. Das Landgericht hat hierzu zutreffend auf die in allen Punkten widerspruchsfreien und gründlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. Nitz abgestellt, nachdem es zunächst zum Behandlungsverlauf am 11.04.1997 den Kläger und die Beklagte zu 1) im Termin vom 23.08.2000 (vgl. Bl. 162 ff/Bd. I) persönlich angehört hatte. Der Kläger hat hierbei im wesentlichen die Behandlung vom 11.04.1997, wie von der Beklagten zu 1) geschildert, bestätigt (s.o.) und auch unstreitig gestellt, dass eine "Überstreckung" seines Kopfes nach hinten nicht erfolgt sei. Berichtigt hat er auch seinen Vortrag hinsichtlich durch die Behandlung am 11.04.1997 erlittenen Kopfschmerzen. Solche seien vielmehr am dritten Behandlungstag - dem 11.04. - nicht mehr so schlimm gewesen wie am ersten. Angesichts dessen (des Klägers) - im Termin vom 23.08.2000 - berichtigter Äußerungen ist davon auszugehen, dass die Beklagten die verordnete Behandlung nach Schildt-Rudloff an allen Behandlungstagen entsprechend "weich" und orientiert an den Bewegungsmöglichkeiten des Patienten angewendet haben. Hierfür spricht nicht zuletzt schon die langjährige Berufserfahrung der Beklagten zu 1).

Der Sachverständige Dr. Nitz hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 22.01.2002 zur Behandlung am 11.04.1997 ausgeführt, dass eine "Überstreckung" nicht stattgefunden habe, der Kläger die Kombinationsbewegungen, mit denen er segmental eingestellt worden sei, lediglich als Überstreckung empfunden habe. Dieser habe aber - bei seiner Untersuchung durch Dr. Nitz am 03.01.2001 - explizit verneint, dass damals irgendeine schnellkräftige Impulsmanipulation an ihm durchgeführt worden sei. Es seien lediglich Mobilisationstechniken mit Hilfe von PIR und zusätzlicher Faszilitation über Atmung und Augenbewegungen realisiert worden.

In seiner Zusammenfassung hat der Sachverständige ausgeführt, es stehe außer Zweifel, dass bei Herrn G. keine Manipulation erfolgt sei. Es habe sich nicht der geringste Hinweis auf eine Impulsbehandlung gefunden. Die rein mobilisierende Behandlung auch der Kopfgelenksregion sei nicht auslösend für eine Dissektion, nicht einmal im Sinne einer Bagatelltraumatisierung. ... Unter Berücksichtigung aller Fakten habe hier eine spontane Dissekation vorgelegen, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt habe. Die Behandlung (am 11.04.97) entfalle als Ursache dieser Dissekation. Die Behandlungen am 08.,10. und 11.04.97 seien entsprechend der physiotherapeutischen Kunst erfolgt. Ein Behandlungsfehler lasse sich nicht feststellen.

Bei diesen Feststellungen ist der Sachverständige auch bei seiner mündlichen Anhörung im Termin v. 11.07.2002 geblieben. Die ordnungsgemäß ausgeführte physiotherapeutische Behandlung provoziere keine vom Leben abweichende Bewegung, sondern orientiere sich an den Bewegungsmöglichkeiten des Patienten. Im Ergebnis schloss der Sachverständige daher definitiv die Erkrankung des Klägers als Folge der in der Praxis der Beklagten zu 1) und 2) durchgeführten Mobilisation aus.

Das Landgericht hat ferner in diesem Termin den (den Kläger in der FSU erstbehandelnden Arzt) Dr. Sliwka angehört. Dieser blieb bei seiner Auffassung, dass eine Manipulation an der HWS potentiell risikobehaftet sei, auch mit der Folge eines Schlaganfalls. Auf die Therapieart komme es nicht an, es genüge eine vom normalen Leben abweichende Bewegung. Auch eine Mobilisation sei eine Manipulation. Der (Privat)Gutachter hat hinzugefügt, seine Stellungnahme auf den Angaben des Klägers aufgebaut zu haben; diese hätten bei ihm den Eindruck erweckt, dass das, was mit ihm gemacht worden sei, über den normalen Bewegungsablauf einer HWS hinausgegangen sei. Allerdings könne er zu "diesen Mobilisationstechniken" nichts sagen; sie seien ihm unbekannt.

Diese Äußerungen sind nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Nitz in Zweifel zu ziehen. Eine "Manipulation" (im engeren Sinne) der HWS des Klägers ist nämlich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszuschließen, so dass es dahingestellt bleiben kann, ob andere "härtere" Manualtherapien risikobehaftet sind. Wenn sich die Anwendung "weicher" Mobilisationstechniken im Rahmen der Bewegungsmöglichkeiten des Patienten hält und die Beklagte zu 1) sich hieran orientiert hat, wovon auszugehen ist (s.o.), sind die insoweit abweichenden Äußerungen des Dr. Sliwka für die Entscheidung in vorliegender Sache ohne Relevanz.

Dieses Beweisergebnis wird auch durch das Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme bestätigt. Der Privatdozent Dr. Manitz hat ausgeführt, dass - wenn auch nur nach der Aktenlage - eine Mobilisationsbehandlung und keine Manipulation erfolgt sei. Physiotherapeuten dürften grundsätzlich nur Mobilisationsbehandlungen ausführen und seien auch nur insoweit ausgebildet. Die von der Beklagten zu 3) verordnete Mobilisierung sei medizinisch indiziert gewesen; eine einfachere Wärmebehandlung hätte die Gelenkblockierung beim Kläger nicht gelöst. Auch dieser Sachverständige hat weiter bekundet, die Mobilisationsgriffe an den Kopfgelenken und der Halswirbelsäule würden nach der Berliner Schule Sachse/Schildt-Rudloff im physiologischen Bewegungsausmaß der Wirbelgelenke unter Nutzung der eigenen Muskelaktivität ausgeführt. Dabei werde jede Schmerzentstehung während der Mobilisation vermieden. Es werde nur in schmerzfreier Richtung in der postisometrischen Relaxationstechnik ohne passive Kräfte durch den Behandelnden mobilisiert. Da im Übrigen keine neurologischen Ausfallerscheinungen und keine Hinweise auf eine internistische Krankheit vorgelegen hätten, wären weitere internistische oder radiologische Untersuchungen auch nicht erforderlich gewesen. Dies näher zu würdigen, sieht sich der Senat aber nicht veranlasst, weil das Verfahren gegen die Beklagte zu 3) unterbrochen und diese auch nicht Partei des Berufungsverfahrens ist.

Es ist nicht einmal der Nachweis gelungen, dass die am 11.04.1997 durchgeführte Behandlung durch die Beklagte zu 1) die Ursache für den am 12.04. 1997 erlittenen Infarkt war. Dies haben definitiv bzw. als wenig wahrscheinlich die orthopädischen Gutachter Dr. Nitz und Dr. Manitz ausgeschlossen. Letzterer hat eher die vom Kläger selbst geschilderte Drehbewegung, die das physiologische Maß überschritten haben müsse und die Ursache für die HWS- Blockade des Klägers war, als Ursache der Dissektion angesehen. So könne im Zeitfenster von 8 - 10 Tagen eine Thrombenbildung beim Kläger stattgefunden haben und die Lösung der Thromben einen Tag später nach der Behandlung bei den Beklagten zu 1) und 2) durch eine Alltagsbewegung des Kopfes erfolgt sein.

Dieser (letzten) Äußerung haben allerdings die von Dr. Manitz hinzugezogenen Gutachter Prof. Dr. von Kummer und Dr. A. Müller widersprochen. Prof. Dr. von Kummer hat ausgeführt, dass in 3/4 aller (Infarkt)Fälle Patienten innerhalb eines Zeitfensters von 24 Stunden nach einer Dissektion auch einen Hirnstamminfarkt erlitten. Lediglich die verbleibenden Fälle (25 %) wiesen eine längere Latenz als 24 Stunden zwischen Dissektion und Infarkt auf.

Die letztgenannten Gutachter haben aber auch ihre Äußerung in ihrem neuroradiologischen Gutachten vom 25.11.2002 (vgl. Bl. 480 ff, Bd. III d. A.) im Termin vom 27.04.2005 deutlich relativiert, indem sie erklärten, dass der - hier 24- stündige - zeitliche Zusammenhang zwischen der eingetretenen Gefäßpathologie und der Mobilisationsbehandlung (bei den Beklagten) lediglich in die Überlegungen bei der Frage der Kausalität einzubeziehen wäre und auch eine Mobilisierung, wie sie tatsächlich stattgefunden habe, als Ursache grundsätzlich mit in Betracht gezogen werden müsse. Hierfür reiche bereits eine normale Alltagsbewegung aus.

Dies steht dann aber nicht in unlösbarem Widerspruch zu den Äußerungen der orthopädischen Gutachter, die einen Ursachenzusammenhang des Infarkts mit der Behandlung des Klägers am 11.04.1997 ausgeschlossen hatten. Schon Dr. von Kummer hatte in seinem Brief an das Landgericht Gera vom 12.01.2004 (Bl. 580, Bd. III) erwähnt, dass ihm und Frau Dr. Müller keine Informationen über die Behandlung des Klägers in der Zeit vom 11. - 14.04.97 vorlagen, sie diese Behandlung auch nicht zu beurteilen hatten. Ihre allgemeine Feststellung, dass es zu einem Einriss an der Wirbelsäulenarterie kommen könne, wenn am Hals chiropraktisch manipuliert werde, sei nicht gleichzusetzen mit der Feststellung der bei Herrn Gebhardt durchgeführten Behandlung.

Festzuhalten bleibt danach: Die Behandlung vom 11.04.1997 - wie auch der Tage zuvor - kann als (theoretische) Mitursache der Dissektion in Betracht gezogen werden, falls sie auf die maßgebliche Arterie eingewirkt hatte. Festzustellen ist dies aber nicht mehr, weil auch schon eine normale Alltagsbewegung mit ähnlicher Auswirkung auf diese Arterie deren Einriss verursacht haben könnte. Nach den insoweit übereinstimmenden Äußerungen aller Gutachter ist die konkrete Ursache der Vertebraldissektion des Klägers nicht (mehr) feststellbar; ein Zusammenhang mit der Behandlung des Klägers am 11.04.1997 aber eher unwahrscheinlich. Denn auslösendes Ereignis konnte - nach den Äußerungen aller Sachverständigen - auch irgendeine Alltagsbewegung sein, die auf die Arterie eingewirkt hat. Mithin ist nicht bewiesen, dass hier die Behandlung vom 11.04.97 oder schon früher den Gefäßeinriss an der arteria vertebralis (des Klägers) verursacht und zum Verschluss in dem vertebrobasilären Strombereich mit der Folge der Infarzierung des Stammhirns (des Klägers) am 12.04.1997 geführt hat.

Danach scheidet auch, wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, ein Anscheinsbeweis zu Gunsten des Klägers aus. Einen typischen Lebenssachverhalt gibt es vorliegend nicht. Der Zeitfaktor von 24 Stunden mag zwar für eine (überwiegende) Vielzahl von Fällen (einer Dissektion) ein wichtiges Indiz sein; so auch hier. Angesichts dessen, dass aber für eine Vertebraldissektion auch schon kleinste (normale) Alltagsbewegungen ursächlich werden können, ohne dass dies der Patient bemerkt und ohne dass sie durch besondere Anlagen wie z. B. Gewebeschwäche oder (arterieller) Bluthochdruck in ihrer schädlichen Wirkung verstärkt werden müssten, scheidet eine beweiserleichternde Indizwirkung des Zeitfaktors hier aus.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben keine Aufklärungspflicht verletzt. Hier erfolgte nach dem (schriftsätzlichen) Vortrag der Beklagten zu 3) eine solche, allerdings ohne Hinweis auf die (potentielle Gefahr eines) Schlaganfalls. Es kann, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine solche Aufklärung geschuldet wird. Der Gutachter Dr. Manitz hat hierzu in seinem schriftlichen Gutachten vom 19.12.2002 (vgl. Bl. 495, Bd. III d. A.) ausgeführt, weltweit werde vor einer Mobilisationsbehandlung der HWS nach Sachse/Schildt-Rudloff überhaupt keine Aufklärung durchgeführt. Jedenfalls schuldeten die arbeitsteilig hinzugezogenen Physiotherapeutinnen (die Beklagten zu 1) und 2)) keine solche Aufklärung.

Grundsätzlich schuldet die Aufklärung einer (risikobehafteten) Heilbehandlung der verordnende Arzt, hier die Beklagte zu 3) als Facharzt für Orthopädie. Die Aufklärungspflicht ist primär Aufgabe des behandelnden Arztes. Nur er hat genügend Kenntnisse und Informationen, um den Patienten in für ihn geeigneter Weise aufzuklären (Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rz 746). Grundsätzlich darf eine Aufklärung daher auch nicht auf Hilfspersonal delegiert werden (aaO Rz 747). Das wäre nur dann der Fall, wenn dieses über entsprechendes Fachwissen verfügt. Auf Grund der wesentlich geringeren Ausbildungstiefe von Physiotherapeuten kann man bereits aus diesem Grund eine Aufklärungsverlagerung auf dieses "Hilfspersonal" bei der hier verordneten Maßnahme ausschließen. Bei horizontaler Arbeitsteilung - wie hier zwischen Orthopädin und Physiotherapeuten - müssen die für die Behandlung hinzugezogenen Therapeuten grundsätzlich keine eigene Anamnese durchführen und auch keine eigenen Befunde erheben, die über den konkreten Überweisungsauftrag - hier die Verordnung - hinausgehen. Vielmehr können sie sich darauf verlassen, dass dies bereits in der gebotenen Form durch den erstbehandelnden Arzt geschehen ist. (st. Rspr. des BGH; vgl. z.B. BGH NJW 1994, 797 ff; st. Rspr. des 4. ZS, vgl. zuletzt Beschl v. 15.01.2004 - 4 U 836/03; so auch OLG Oldenburg VersR 1999, 452, 453; OLG Celle VersR 1990, 1012; OLG Düsseldorf VersR 1984, 643).

Die gegenteilige Ansicht des Klägers unter Hinweis auf OLG Oldenburg VersR 1999, 1422 überzeugt nicht. In dieser Entscheidung hatte das OLG Oldenburg einen hinzugezogenen Arzt (auch) nur deswegen auch für aufklärungspflichtig über Eingriffsrisiken angesehen, weil dieser (hinzugezogene Arzt) die (hier gefährliche) Therapieentscheidung mitgetragen, sich also zu eigen gemacht habe. Im Leitsatz dieser Entscheidung heißt es demzufolge: Aufklärungspflichtig ist auch der Arzt, der durch eine Therapieempfehlung einen Teil der Behandlung mitübernimmt. Der Fall ist mit dem vorliegenden aber nicht vergleichbar. Es ging hier nicht um eine - von den Physiotherapeutinnen - mitzutragende Behandlung, die risikobehaftet war. Für die hier verordnete Mobilisierung bestand kein über Alltagsrisiken hinausgehendes Risiko (s.o.); jedenfalls nicht bei lege artis durchgeführter "weicher" Mobilisierung der HWS. Von einer solchen ist aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszugehen (s.o.).

Die vorliegende Behandlung war auch nicht zu dokumentieren. Zu dokumentieren ist bei dieser (nicht besonders risikobehafteten) Behandlung nichts. Grundsätzlich ist (nur) eine komplexe ambulante Behandlung oder eine Operation zu dokumentieren, um den Behandlungsverlauf für Diagnose und Therapie anhand wesentlicher medizinischer Daten und Fakten sicherzustellen (vgl. BGH NJW 19781681). Das ist bei einer 6-maligen, in allen Fällen gleichgelagerten - einfachen - Behandlungsmaßnahme aber nicht erforderlich, geschweige denn üblich. Auf die vom Kläger angesprochenen Beweiserleichterungen - wegen unterbliebener Dokumentation der Behandlung sei seine Version von der Behandlung am 11.04. bewiesen - braucht daher nicht eingegangen zu werden. Beweiserleichterungen wegen fehlender Dokumentation kommen nach dem Voranstehenden daher im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Wertfestsetzung entspricht der erster Instanz und orientiert sich an den zweitinstanzlich unverändert aufrecht erhaltenen Anträgen des Klägers.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Entscheidung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zu. Auch erfordert weder die Fortbildung des Rechts noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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