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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.09.2004
Aktenzeichen: 4 U 793/04
Rechtsgebiete: ThürStrG


Vorschriften:

ThürStrG § 49
1. Innerhalb einer geschlossenen Ortschaft sind regelmäßig nur die belebten und verkehrswichtigen Gehwege zum Schutz des Fußgängerverkehrs zu räumen und zu streuen.

2. Diese Räum- und Streupflicht besteht aber nicht uneingeschränkt für Straßen, die von Fußgängern (auch) als Gehweg benutzt werden. Hier hängt die - gegenüber Fußgängern bestehende - Streupflicht davon ab, ob es sich um - für den Fußgängerverkehr - unentbehrliche Fußgängerüberwege handelt.

3. Im übrigen besteht in zeitlicher Hinsicht eine Räum- und Streupflicht in der Regel nur für die Zeit des Hauptberufsverkehrs und - an Feiertagen - für die Dauer des normalen Tagesverkehrs.

4. Bei extremen Witterungsbedingungen besteht eine Streupflicht erst ab dem Zeitpunkt, wo Streumaßnahmen überhaupt sinnvoll sind, also in der Regel erst, wenn sich das Wetter wieder beruhigt hat.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 U 793/04

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richter am Landgericht Schur und Richter am Amtsgericht Lübbers

am 22.09.2004

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, ihm für die zweite Instanz Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihm Rechtsanwalt Morasch beizuordnen, wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

Die vom Kläger beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 21.07.2004 - Az.:6 O 1062/03 - hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Urteil des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Schadensersatzklage des Klägers abgewiesen.

Es bestand schon zum Unfallzeitpunkt und an der konkreten Unfallstelle keine Streupflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger als Fußgänger.

Die sich aus der öffentlichrechtlichen Reinigungspflicht aus § 49 ThürStrG ableitende gemeindliche Räum- und Streupflicht auf öffentlichen Wegen und Straßen besteht nicht uneingeschränkt für alle öffentlichen Verkehrswege und Straßen; ihr Inhalt und Umfang richtet sich vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung nach den Umständen des Einzelfalles. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht steht zudem unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (vgl. grunds. schon BGH NVwZ 1991, 1212 - 1214). Grundsätzlich muss sich der Fußgängerverkehr wie der Straßenverkehr den winterlichen Straßen- und Wegeverhältnissen anpassen. Zwar sind besonders an die Streupflicht zum Schutz des Fußgängerverkehrs strenge Anforderungen zu stellen. Insoweit gilt der Grundsatz, dass innerhalb der geschlossenen Ortschaft die belebten und verkehrswichtigen Gehwege zu betreuen sind: Das gilt aber nicht uneingeschränkt für Straßen, die (auch) als Gehweg benutzt werden. Hier hängt die - gegenüber Fußgängern bestehende - Räum- und Streupflicht davon ab, ob es sich um - für den Fußgängerverkehr - unentbehrliche Fußgängerüberwege handelt (vgl. BGH VersR 1993, 1106 - 1108; BGH VersR 1995, 721, 722; ebenso BGH NVwZ-RR 1998, 334 - 336; auch OLG Hamm, Urt. v. 30.09.2003 - 9 U 86/03; ständige Rechtsprechung des 3. Zivilsenats des Thür. OLG, fortgesetzt durch die Rechtsprechung des 4. Zivilsenats - zuletzt Beschl. v. 22.102003 - 4 U 658/03). Hinzukommt, dass die Räum- und Streupflichten in der Regel zur Gewährleistung eines sicheren Hauptberufsverkehrs und an Feiertagen nur für die Zeit des normalen Tagesverkehrs bestehen. Bei extremen Witterungsverhältnissen - etwa bei starkem Schneefall, Eisregen oder ständig überfrierender Nässe besteht eine Streupflicht erst ab dem Zeitpunkt, ab dem sich das Wetter wieder so beruhigt hat, dass Streumaßnahmen überhaupt sinnvoll sind (vgl. OLG Hamm OLGR 1995, 223; OLG Karlsruhe OLGR 1998, 430, 431; ebenso Wussow/Treitz, Unfallhaftpflichtrecht, 14. Aufl. Rdnr. 720).

Unter Beachtung dieser Grundsätze scheidet im vorliegenden Fall eine Haftung der Gemeinde für den streitgegenständlichen Unfall des Klägers aus.

Das Landgericht hat nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme in Übereinstimmung mit dem Vortrag des Klägers zum Unfallhergang, der Unfallörtlichkeit und Unfallzeit festgestellt, dass der Kläger am 24.10.2002 gegen 23.00 Uhr auf der Fahrbahn der Straße "Eselsmarkt" am äußersten Rand der Fahrstraße gegenüber dem angrenzenden Fußweg an der durch Pfeile gekennzeichneten Stelle (vgl. insbesondere die Farblichtbilder Anlage 5, Bl. 38 d. A.) zu Fall gekommen war. An dieser Stelle wie überhaupt in dem gesamten Gemeindegebiet herrschte schon tagsüber Regen, der ständig überfror. Nach den Angaben des Zeugen Stephan, dem Schwager des Klägers wäre es niemandem gelungen, zur Unfallzeit auf dem Gehweg und der Straße Eselsmarkt die sich auf Grund des Regens gebildete Eisschicht wegzubekommen. Nach den Angaben der Ehefrau des Klägers sei selbst das von den Anliegern auf dem Fußweg gestreute Sägemehl wieder nass geworden und ebenfalls überfroren, ein Grund für den Kläger und seine Ehefrau, auf dem Rückweg von dem Besuch beim Schwager nicht den Fußweg, sondern die angrenzende Fahrstraße zu benutzen. Unabhängig davon, dass angesichts der Schilderung der genannten Zeugen eine Streupflicht unmittelbar vor der Unfallzeit wenig sinnvoll und schon gar nicht Erfolg versprechend war, hätte auch eine zur Tageszeit vorgenommene Streuung den Unfall nicht verhindert. Der Hinweis des Klägers, dass nach der Aussage des Zeugen Stephan die lediglich 20 bis 30 m entfernte Hauptstraße frei war, ändert hieran nichts. Es ist allgemein bekannt, dass durch den ständigen Fahrverkehr mit Fahrzeugen eine vielbefahrene, nasse Straße weniger schnell überfrieren kann, als ein lediglich durch Fußgänger bei gleichen Witterungsbedingungen genutzter Fußweg oder eine - mehr zu Parkzwecken - gering frequentierte Straße. Das hängt damit zusammen, dass durch die ständige Reibung abrollender Reifen der stark genutzte Fahrbahnbelag naturgemäß stärker aufgeheizt wird als ein nur mäßig genutzter und wesentlich geringerer Reibung unterworfener Gehwegbelag, so dass eine direkte Vergleichbarkeit ausscheidet. Die Aussage des Zeugen Stephan zum Zustand der Hauptstraße hat daher auf die Entscheidung im vorliegenden Fall keinen Einfluss.

Im übrigen bestand keine Räum- und Streupflicht der Gemeinde gegenüber dem Kläger als Fußgänger an der konkreten Unfallstelle. Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass der Eselsmarkt am 24.10.2002 auch auf dem Fahrweg von Fußgängern benutzt wurde, vor allem wegen seiner direkten Anbindung an die Kirche. Daraus rechtfertigt sich aber noch nicht die Annahme einer sich hieraus ergebenden Streupflicht der Gemeinde auch gegenüber diesen Fußgängern. Selbst wenn der angrenzende Fahrstraßenbereich als An- und Abweg von den Kirchenbesuchern genutzt wurde, bestand doch die Möglichkeit des Zugangs über den angrenzenden Fußweg. Besteht aber ein solcher Fußweg, so war allenfalls dieser zum Schutz des Fußgängerverkehrs zu bestreuen; der Fahrstraßenbereich war für den Fußgängerverkehr nicht unentbehrlich. Hinsichtlich des gesamten Fußgängerwegs war aber die gemeindliche Streupflicht auf die Anlieger übertragen, so dass Schutzmaßnahmen der Gemeinde an dieser Stelle gegenüber dem Fußgängerverkehr gerade nicht bestanden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach dem Vortrag des Klägers, bestätigt durch die Aussage seiner Ehefrau, der Gehweg teilweise durch parkende Fahrzeuge "zugeparkt" war. Der Kläger hat im Termin am 09.01.2004 vor dem Landgericht ausgesagt, der Fußweg werde von den Fußgängern im Ort (nur) selten benutzt. Weil dieser sich ein wenig zur Straßenseite hin neige, hielt er es für besser, auf der ebenen Straße zu laufen, als auf dem abschüssigen Gehweg. Das teilweise Zuparken war also nicht der Grund für die Nutzung der (angrenzenden) Fahrstraße. Aus den Lichtbildern folgt im übrigen, dass an der Unfallstelle selbst weder die Fahrstraße noch der angrenzende Gehweg ein besonders starkes Gefälle aufweist. Die auf dem Lichtbild Nr. 7 Blatt 78 d. A. angegebene 10 % Neigung besteht nur in Höhe des Eckgrundstücks, also nicht in der Nähe der Unfallstelle. Unbeschadet der voranstehend geschilderten Besonderheiten der Örtlichkeit ergab sich hieraus für die Gemeinde keine Streupflicht zum Schutz des Fußgängerverkehrs auf der gesamten Breite der Fahrstraße Eselsmarkt und mithin nicht an der Unfallstelle, unmittelbar am Rand der Fahrstraße auf der dem (angrenzenden) Fußweg gegenüberliegenden Straßenseite. Soweit überhaupt danach allenfalls für einen Teil der an den Fußweg angrenzenden Straße ein Verkehrsbedürfnis (für Fußgänger) wegen des im Bereich des Eckgrundstücks bestehenden 10 %igen Gefälles oder des teilweise Zuparkens des Gehwegs bejaht werden könnte, könnte allenfalls an eine Streupflicht für einen an den Fußweg angrenzenden Bereich auf einer Breite von bis zu 1,50 m gedacht werden (vgl. hierzu für den Fall eines baulich von der Fahrbahn seitlich nicht abgegrenzten separaten Gehwegs OLG Dresden, OLG-NL 2003, 99, 100).

Fehlt es mithin an einer für den Bereich der Unfallstelle räumlich, im übrigen auch für die betreffende Unfallzeit an einer zeitlich in Betracht zu ziehenden Streupflicht der Gemeinde, scheidet eine Haftung der Beklagten für das streitgegenständliche Unfallereignis aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Amtspflicht aus.

Gerichtskosten fallen für das Bewilligungsverfahren nicht an. Außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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