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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.03.2005
Aktenzeichen: 4 U 94/04
Rechtsgebiete: StHG


Vorschriften:

StHG § 1
Vorgerichtlich - in einem Widerspruchsverfahren - entstandene Anwaltskosten sind dann nicht nach Staatshaftungsgrundsätzen erstattungsfähig, wenn bei Erlass eines - später zurückgenommenen - Beitragsbescheides dem handelnden Mitarbeiter (des die Beiträge erhebenden Zweckverbandes) keine Pflichtwidrigkeit angelastet werden kann.

Das scheidet dann aus, wenn der handelnde Mitarbeiter wegen seiner Pflicht zur Befolgung öffentlichrechtlicher Vorschriften satzungsgemäß Beiträge erhebt, also eine Satzung anwendet, deren Nichtigkeit sich erst später herausstellt. Eine Verwerfungskompetenz steht dem einzelnen Mitarbeiter in Bezug auf die - nichtige - Satzung nicht zu.

In einem solchen Fall haftet der Zweckverband, der die nichtige Satzung erlassen hat, nicht aus § 1 StHG für die dem durch einen (rechtswidrigen) Beitragsbescheid in Anspruch Genommenen entstandenen Kosten, die diesem durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts in einem (vorgerichtlichen) Widerspruchsverfahren entstanden sind, weil das Handeln des Mitarbeiters zum Zeitpunkt der Beitragserhebung nicht pflichtwidrig war.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 94/04

Verkündet am: 23.03.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Amtsgericht Lübbers

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12.12.2003 - Az: 2 O 2130/03 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf eine Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Erstattung von Anwaltskosten (€ 60,75), die dem Kläger im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gegen einen Beitragsbescheid des Beklagten entstanden sind.

Mit Bescheid vom 17.09.1999 (Anl. K 1) forderte der Beklagte den Kläger zur Zahlung eines Erschließungskostenbeitrages in Höhe von DM 1.298,94 für die Herstellung der öffentlichen Wasserversorgung auf.

Hiergegen legte der Kläger zunächst ohne anwaltliche Hilfe Widerspruch ein (Anl. K 2) und beauftragte nach Nichtabhilfe durch den Beklagten (Anl. K 3) seine jetzige Prozessbevollmächtigte mit der weiteren Wahrnehmung seiner Interessen.

Mit Anwaltschreiben vom 13.11.2000 (Anl. K 4) trug diese gegenüber der Beklagten vor, der Beitragsbescheid sei wegen formeller Fehler bei der Gründung des Beklagten und wegen materiell-rechtlicher Mängel der Satzung des Beklagten rechtswidrig.

Für dieses Schreiben bezahlte der Kläger € 60,75.

Mit Bescheid vom 18.11.2002 (Anl. K 6) hob der Beklagte die gegenüber dem Kläger ergangenen Beitragsbescheide auf, nachdem das Oberverwaltungsgericht Weimar sämtliche Verbandssatzungen, die sich der Beklagte in der Vergangenheit gegeben hatte, mit Urteil vom 01.10.2002 (Az: 4 N 213/02; Anl. K 7) sowie - in einem Verfahren mit einem anderen Zweckverband am 18.12.2000 (Az: 4 N 472/00) - eine auch von dem Beklagten in seiner Beitragssatzung verwendete Tiefenbegrenzungsregelung für nichtig erklärt hatte.

Die Nichtigkeit der Verbandssatzungen beruhte nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 01.10.2002 auf einem Veröffentlichungsmangel (im Impressum des Amtsblattes war eine Bezugsmöglichkeit der Satzungen nicht angegeben). Die auch von dem Beklagten angewendete Tiefenbegrenzungsregelung erklärte das Oberverwaltungsgericht wegen Verstoßes gegen das Vorteilsprinzip des § 7 ThürKAG für nichtig.

Für die Zukunft hat der Beklagte neue Beitragsbescheide mit einer anderen Tiefenbegrenzung angekündigt (Anl. K 6).

Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 1 StHG.

Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 17.09.1999 sei wegen fehlender rechtlicher Existenz des Beklagten und der Anwendung einer unzulässigen Tiefenbegrenzungsregelung rechtswidrig gewesen, was der Beklagte durch die Rücknahme des Bescheides eingeräumt habe.

Die Bekanntmachungsfehler seien für den Beklagten erkennbar gewesen. Der den Bescheid erstellende Mitarbeiter hätte ebenfalls die Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides erkennen müssen.

§ 1 StHG fände auf Kollektiventscheidungen kommunaler Zweckverbände Anwendung.

Der Schutz eines Abgabenschuldners vor unbefugter Beitragserhebung sei ebenso wie die Tiefenbegrenzungsregelung drittgerichtet.

Der Kläger sei berechtigt gewesen, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Anwaltskosten seien dem Kläger als kausaler Schaden des rechtswidrigen Beitragsbescheides entstanden und fielen als Vermögensschaden unter den Anwendungsbereich des § 1 StHG.

Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit im Sinne von § 3 Abs. 3 StHG bestünde nicht, da das Thüringer Kommunalabgabengesetz (§ 15 ThürKAG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG) für den Ersatz außergerichtlicher Kosten keine Anspruchsgrundlage biete, ihn andererseits aber auch nicht ausschließe. Der Beklagte hält den geltend gemachten Anspruch für unbegründet.

Sein Handeln sei für die Entstehung der Anwaltskosten nicht kausal gewesen. Wegen des Verzichts des Staathaftungsgesetzes auf subjektive Anforderungen sei eine restriktive Anwendung geboten. Deshalb könnten nur solche Schäden dem Verantwortungsbereich des handelnden Hoheitsträgers zugerechnet werden, die im Sinne des Tatbestandsmerkmales "zufügen" des § 1 StHG unmittelbar auf die "Eigenart der hoheitlichen Maßnahme" zurückzuführen sind, was bei bloßen Nebenwirkungen wie Anwaltskosten nicht der Fall sei. Diese stellten auch keine adäquat-kausale Folge rechtswidrigen staatlichen Handelns dar, da der Kläger anwaltlicher Hilfe im Widerspruchsverfahren nicht bedurft hätte. Im Übrigen habe der Kläger mit der Beauftragung eines Rechtsanwaltes gegen die ihm aus § 2 StHG obliegende Schadensabwendungspflicht verstoßen.

Der Beitragsbescheid sei nicht rechtswidrig, da zum damaligen Zeitpunkt die Nichtigkeit der Satzung noch nicht festgestellt war. Bis zur Feststellung der Nichtigkeit seien die Satzungen des Beklagten anzuwenden gewesen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides hätten Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Verbandssatzung sowie der Tiefenbegrenzungsregelung beim Beklagten nicht vorgelegen.

Ferner unterfalle der Schaden des Klägers nicht dem - wiederum restriktiv zu beurteilenden - Schutzzweck der vermeintlich verletzten Amtspflicht. Insbesondere den Publikationsvorschriften komme keine drittschützende Wirkung zu, weil es zur Verletzung der Rechte eines Betroffenen erst eines nach außen gerichteten Hoheitsaktes bedürfe. Auch die Tiefenbegrenzungsregelung habe nicht den Zweck, den Kläger vor Rechtsanwaltskosten zu schützen. Die Tiefenbegrenzungsregelung sei auch nicht in einem gegen den Beklagten gerichteten Verfahren für nichtig erklärt worden.

Kollektiventscheidungen würden von § 1 StHG nicht erfasst.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Staatshaftungsgesetz sei anwendbar, seine Anwendung sei durch § 15 ThürKAG nicht ausgeschlossen.

Der Erlass des Beitragsbescheides sei als hoheitliche Maßnahme rechtswidrig gewesen, da der Beklagte zu dieser Zeit nicht wirksam gegründet gewesen sei.

Der Beitragsbescheid habe weiter bei dem Kläger kausal einen dem rechtswidrigen Handeln des Beklagten zuzurechnenden Vermögensschaden in Höhe der Anwaltskosten verursacht; der Kläger sei zur Heranziehung eines Anwalts berechtigt gewesen.

Dieser Schaden unterfalle auch dem Schutzbereich der von dem Beklagten verletzten Pflicht, keine rechtswidrigen Verwaltungsakte zu erlassen.

Das Landgericht - Einzelrichter - hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Berufung zugelassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung rügt der Beklagte eine fehlerhafte Anwendung des Staatshaftungsgesetzes durch das Landgericht.

Das Landgericht habe verkannt, dass der Beklagte im maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides an die seinerzeit bestehenden Satzungen gebunden war. Die erst später (2000 und 2002) erfolgte Feststellung der Nichtigkeit der Tiefenbegrenzungsregelung sowie der Verbands-satzungen mache den Beitragsbescheid vom 17.09.1999 nicht rechtswidrig. Eine Verwerfungskompetenz habe dem den Beitragsbescheid ausstellenden Mitarbeiter der Beklagten nicht zugestanden; diese läge ausschließlich beim Oberverwaltungsgericht. Außerdem sei der Beklagte in der Zeit vor einer wirksamen Satzungsgebung kein rechtliches Nullum gewesen, sondern habe nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts in anderer Sache entsprechend der Grundsätze für die Abwicklung fehlerhafter Gesellschaften als teilrechtsfähige öffentlich-rechtliche Körperschaft Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für die Wasserver- und -entsorgung geltend machen können.

Fehlerhaft beurteilt habe das Landgericht ferner den Schutzzweck der vermeintlich verletzten Amtspflicht. Die zu beachtenden Amtspflichten bei der Satzungsgebung seien wegen des hinzutretenden Erfordernisses eines nach außen gerichteten Vollzugsaktes nicht drittschützend.

Die Kausalität zwischen der vermeintlichen Rechtsverletzung und dem Schaden des Klägers sei entgegen der Auffassung des Landgerichts zu verneinen. Da es sich bei den Anwaltskosten des Klägers lediglich um eine schädigende Nebenfolge handeln könne, fehle es an einem adäquat-kausalen Zurechnungszusammenhang. Eine Notwendigkeit der Heranziehung eines Anwalts, die regelmäßig Voraussetzung einer Kostenerstattung sei (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), habe nicht bestanden, zumal die Aufhebung des Beitragsbescheides nicht auf den ergänzenden Einwänden der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers beruht habe. Schließlich sei der Kläger aus der Schadensminderungspflicht des § 2 StHG verpflichtet gewesen, auf anwaltliche Hilfe zu verzichten, da diese nicht erforderlich gewesen und nach Thüringer Verwaltungsrecht nicht erstattungsfähig sei.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Der Beitragsbescheid des Beklagten sei auch ohne Feststellung der Nichtigkeit der Satzungen durch das Oberverwaltungsgericht rechtswidrig gewesen, da in einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides inzident die Nichtigkeit der Rechtsgrundlagen festgestellt und der Beitragsbescheid für rechtwidrig erklärt worden wäre.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zur Berechtigung eines Zweckverbandes mit nichtiger Satzung, Gebühren für erbrachte Versorgungsleistungen behalten zu dürfen, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da es hier nicht um die Bezahlung in Anspruch genommener Versorgungsleistungen, sondern um die Erhebung von Investitionsbeiträgen gehe.

Da Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Erhebung von Kommunalabgaben die wirksame Gründung des Zweckverbandes und die Wirksamkeit der verwendeten Beitragssatzung sei, komme sowohl der Verbandssatzung wie der Beitragssatzung drittschützende Wirkung gegenüber den Beitragsschuldnern im Zweckverbandsgebiet zu.

II.

Auf die - zulässige - Berufung des Beklagten war das angegriffene Urteil des Landgerichts Gera abzuändern und die Klage abzuweisen.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch weder aus § 1 StHG noch aus einem anderen Rechtsgrund zu.

Auf die vom Landgericht Gera zugelassene Berufung war in der Sache zu entscheiden.

Das Landgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen, jedoch entgegen § 348 Abs. 3 Nr. 2 ZPO durch den Einzelrichter entschieden. Eine Entscheidung des Einzelrichters in Rechtssachen von grundlegender Bedeutung stellt grundsätzlich einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters dar (BGH, Az: IX ZB 134/02, Urteil v. 13.03.2003; Az: XII ZB 188/02, Urteil v. 11.09.2003; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Auflage, § 529 RN 13).

Dies führt indes nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils.

Anders als in den vorbezeichneten Rechtsbeschwerdesachen des Bundesgerichtshofes bietet dieser Verfahrensmangel keinen Zurückverweisungsgrund nach § 538 ZPO, wenn die Sache - wie hier - entscheidungsreif ist (vgl. Zöller, a.a.O., § 538 RN 8; BGH, Az: VI ZR 300/89, Urteil v. 04.12.1990). Zu Unrecht hat das Landgericht Gera einen Staatshaftungsanspruch des Klägers aus § 1 StHG bejaht. Dabei ist nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zunächst von einer Anwendbarkeit des Staatshaftungsgesetzes auszugehen. Die Berufung greift dies auch nicht an.

Dem Kläger ist ferner durch staatliches Handeln ein Schaden entstanden.

Das Staatshaftungsgesetz sieht in § 1 Abs. 1 StHG eine verschuldensunabhängige Ersatzpflicht für alle Schäden - einschließlich Vermögensschäden - vor, die einem Dritten in Ausübung staatlicher Tätigkeit, auch schlicht hoheitlicher Verwaltungstätigkeit von Kommunen und Gemeindeverbänden, rechtswidrig zugefügt werden.

Die Tätigkeit des Beklagten ist ohne weiteres hierunter zu fassen, da er in Ausübung öffentlicher Aufgaben Beiträge nach dem Thüringer Kommunalabgabengesetz erhebt (vgl. OLG Jena, Az: 3 U 1336/01, Urteil vom 21.05.2002; Herbst/Lühmann, Kommentar zu den Staatshaftungsgesetzen der neuen Länder, § 1 StHG Anm. 12 ff).

In Höhe der aufzuwendenden Anwaltskosten ist dem Kläger auch ein Vermögensschaden entstanden. Er war insbesondere zur Beiziehung eines Rechtsanwaltes berechtigt, nachdem der Beklagte erklärt hatte, dem zunächst ohne Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe eingelegten Widerspruch nicht abzuhelfen.

Diesen Schaden hat der Beklagte dem Kläger jedoch nicht zu ersetzen.

Die Ersatzpflicht des Beklagten scheitert an einer fehlenden Rechtswidrigkeit des Erlasses des Beitragsbescheides im Sinne von § 1 StHG sowie an einer fehlenden Drittbezogenheit der Satzungen des Beklagten.

Der Erlass des - zurückgenommenen - Beitragsbescheides vom 17.09.1999 führt nicht zu einer Haftung des Beklagten für die dem Kläger entstandenen Anwaltskosten.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es hierfür an einer tatbestandsmäßigen Rechtswidrigkeit im Sinne von § 1 StHG.

Die Rechtswidrigkeit im Sinne des § 1 StHG orientiert sich an der ausgeübten staatlichen Handlung, nicht am eingetretenen Erfolg; sie setzt eine objektiv vorwerfbare Pflichtverletzung der öffentlichen Gewalt voraus (Herbst/ Lühmann, a.a.O., Anm. 46 ff; Bergmann/Schumacher RN 1589; a.A. Ossenbühl S. 478). Sie liegt vor, wenn das für den Betroffenen nachteilige Verwaltungshandeln dem zum Zeitpunkt der ausgeübten staatlichen Tätigkeit geltenden Rechtslage widerspricht (Herbst/Lühmann, a.a.O., Anm. 51; Bergmann/Schumacher RN 1589, 1560).

Die Staatshaftung des § 1 Abs. 1 StHG knüpft somit an die Pflichtwidrigkeit des Handelns des Mitarbeiters einer Behörde oder Körperschaft zum Zeitpunkt der Amtshandlung an. Auf diesen Zeitpunkt bezogen war die Erstellung des Beitragsbescheides vom 17.09.1999 nicht pflichtwidrig.

Der betreffende Mitarbeiter des Beklagten war aus seiner Pflicht zur Befolgung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, zu denen auch die Satzungen des Beklagten gehörten, solange an die ihm vorliegende Rechtslage gebunden, wie die Nichtigkeit der Satzungen von den dafür zuständigen Gerichten (OVG) nicht festgestellt war; eine Verwerfungskompetenz kam ihm nicht zu (vgl. Herbst/Lühmann, a.a.O., Anm. 122). Dies gilt auch und gerade für die Anwendung von Satzungen, die sich erst später als nichtig herausstellen (ebenda).

Die Anwendung der zum Zeitpunkt des Erlasses vorliegenden Satzungen des Beklagten war damit nicht pflichtwidrig. Zu diesem Zeitpunkt - dem 17.09.1999 - waren die Nichtigkeit der Verbandssatzung des Beklagten sowie die Nichtigkeit der (auch) in seiner Beitragssatzung geregelten Tiefenbegrenzung noch nicht festgestellt. Die dahingehenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Weimar ergingen erst im Jahr 2002, bzw. im Jahr 2000. Da es bei der Beurteilung des vorliegenden Staatshaftungsanspruches nicht auf den Erfolgsunwert, sondern auf den Handlungsunwert ankommt, führt die erst später erkannte Nichtigkeit der Satzungen des Beklagten zwar zu einer - in einer Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides festzustellenden - Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides, nicht aber - rückwirkend - zu einer schadensersatzbegründenden Pflichtwidrigkeit seines Erlasses.

Ob der Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt bereits die später festgestellte Nichtigkeit der Satzungen erkannt hatte oder hätte erkennen können, kann dahinstehen, da dies die subjektive Vorwerfbarkeit seines Handelns betrifft, die für eine Haftung nach § 1 StHG ohne Bedeutung ist. Hierzu sind im übrigen auch keine Anhaltspunkte dargelegt oder ersichtlich.

Auch die vom Oberverwaltungsgericht Weimar festgestellten Mängel der Verbands- und Beitragssatzungen des Beklagten begründen keinen Staatshaftungsanspruch des Klägers aus § 1 StHG. Weder den Satzungen noch den bei ihrer Erstellung verletzten Vorschriften kommt eine drittschützende Außenwirkung zu.

Die Staatshaftung des § 1 StHG setzt neben einer Rechtswidrigkeit - die in diesem Fall zu bejahen ist - voraus, dass bei der Amtstätigkeit Pflichten verletzt werden, die auch den Schutz des Geschädigten zum Zweck haben (BGH NJW 2000, S. 427; BGHZ 127, S. 57, 73; BGH NJW 1994, S. 1647, 1649; Herbst/Lühmann, a.a.O., Anm. 77 f; Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 3. Auflage, RN 1589 f; a.A. u.a. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Auflage, S. 478). Nach der (Zivil-)Rechtsprechung ergibt sich die Drittgerichtetheit einer Pflichtverletzung bereits ohne weiteres aus einer Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO (BGH NJW 1994, S. 1647, 1649; Ossenbühl, S. 59). Rechtssetzenden Handlungen einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft kommt indes regelmäßig kein Drittschutz zu, da hierbei nicht Aufgaben gegenüber bestimmten Personen, sondern gegenüber der Allgemeinheit wahrgenommen werden (RGRK-Kreft, BGB, 12. Auflage, § 839 RN 220).

Weder die Satzungen des Beklagten noch die bei der Erstellung verletzten Normen (Publikationsvorschriften des § 19 ThürKGG i.V.m.d. ThürBekVO sowie das Vorteilsprinzip des § 7 ThürKAG) sind drittgerichtet. Sie enthalten lediglich allgemeine Maßgaben, die als Grundlage der Tätigkeit sowie der Beitragserhebung des Beklagten dienen. Hiermit entfalten sie keinen Schutz zugunsten Dritter, die (noch) nicht in einer individualisierbaren Sonderverbindung zu dem Beklagten stehen. Durch die fehlerhaften Satzungen ist nicht in den Rechtskreis des Klägers eingegriffen worden (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 62. Auflage, § 839 RN 50). Diese Sonderverbindung entstand erst mit der Inanspruchnahme (Belastung) des Klägers durch den Beitragsbescheid vom 17.09.1999. Der Kläger wäre auch nicht im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung gegen die fehlerhaften Satzungen des Beklagten klagebefugt gewesen.

Zudem erfasst der Schutzzweck der verletzten Pflicht auch nicht den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Ersatz seiner im Widerspruchsverfahren entstandenen Anwaltskosten.

Der Schutzzweck begrenzt die Staatshaftung nicht nur in personeller, sondern auch in sachlicher Hinsicht. Nur solche Schäden bekommt ein Betroffener erstattet, deren Abwendung die verletzte Pflicht (mit) bezweckte (Münchner Kommentar-Papier, BGB, 4. Auflage, § 839 RN 235; Soergel-Vinke, BGB, 12. Auflage, § 839 RN 153).

Die Pflicht des Beklagten, einen fehlerfreien Beitragsbescheid zu erlassen, dient dem Schutz des Klägers vor Vermögensschäden aufgrund einer ungerechtfertigten Belastung mit Investitionsbeiträgen. Dagegen zielt diese Pflicht nicht auf den Schutz vor Anwaltskosten aus einem vorgerichtlichen Widerspruchsverfahren. Denn der Schutzzweck ist nicht darauf gerichtet, dem Betroffenen Rechtspositionen zu verschaffen, die ihm bei regelgerechtem Verwaltungshandeln nicht zugestanden hätten. Dies wäre aber der Fall, wenn über den Schutzbereich einer Pflichtverletzung eine Kostenerstattung verlangt werden könnte, auf die nach den verwaltungsrechtlichen Bestimmungen (derzeit noch) kein Anspruch besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Der vorliegenden Entscheidung kommt für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung zu.

Zu der hier vertretenen Auffassung, dass die Rechtswidrigkeit im Sinne des § 1 StHG (auch) unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtwidrigkeit zum Zeitpunkt der schadensauslösenden Amtshandlung zu beurteilen ist, liegt - anders als zur Einbeziehung von Schutzzweckerwägungen in die tatbestandliche Prüfung des § 1 StHG - keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor.

Dass das Staatshaftungsgesetz nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages als Landesrecht im Beitrittsgebiet fortgilt, steht einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht entgegen, da es sich über den Bezirk des Thüringer Oberlandesgerichts hinaus erstreckt, § 545 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wird gemäß §§ 14 Abs. 1, 25 Abs. 2 GKG a.F. für die Berufung festgesetzt auf € 60,75.

Ende der Entscheidung

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