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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.09.2004
Aktenzeichen: 4 W 449/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO §§ 402 ff
ZPO § 406 Abs. 2
1. Ist der Ablehnungsgrund zum Zeitpunkt der Ernennung des Gutachters noch nicht bekannt, kann eine Partei den Sachverständigen auch noch später ablehnen. Die Ablehnung muss dann jedoch unverzüglich nach Kenntnis des Ablehznungsgrundes, spätestens nach Ablauf einer angemessenen Überlegungsfrist erfolgen. Erfolgt sie auch dann nicht, ist die Ablehnung wegen Verfristung unzulässig (§ 406 Abs. 2 ZPO).

2. Die Ablehnung von Gutachterausschüssen - hier der Steuerberaterkammer - ist grundsätzlich unzulässig, weil auf die Ablehnung einer Personenmehrheit (von Sachverständigen) die Vorschriften der §§ 402 ff, die auf die Einzelperson eines Sachverständigen zugeschnitten sind, nicht anwendbar sind.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 449/04

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Billig und Richter am Landgericht Schur

am 28.09.2004

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 02.08.2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 14.07.2004 - Az.: 10 O 1082/93 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 33.194,62 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beklagte wendet sich mit ihrem Ablehnungsgesuch vom 08.10.2003 gegen ein von dem Landgericht eingeholtes Gutachten der Steuerberaterkammer Thüringen, welches die Prüfung der Ordnungsgemäßheit von Gebührenabrechnungen der Beklagten zum Gegenstand hat.

Das Sachverständigengutachten wurde der Bevollmächtigten der Beklagten am 24.04.2003 zugestellt. Mit Schriftsatz vom gleichen Tage hat die Beklagtenvertreterin Schriftsatzverlängerung und Akteneinsicht beantragt. Mit Verfügung des Landgerichts vom 02.05.2003 wurde der Beklagtenvertreterin Akteneinsicht und Fristverlängerung bis zum 13.06.2003 gewährt. Nach eigenem Bekunden sind die Akten in der Kanzlei der Beklagtenvertreterin am 06.05.2003 eingegangen. Am 04.07.2003 hat die Beklagtenvertreterin die Akten zurückgesandt und weitere Fristverlängerung bis zum 25.08.2003 beantragt. Mit Schriftsatz vom 25.08.2003 wurde nochmals um Fristverlängerung nachgesucht, die letztmalig bis zum 09.09.2003 gewährt wurde. Weitere Fristverlängerungsanträge der Beklagtenvertreterin wurden unter dem 08.09.2003 und 17.09.2003 gestellt, weil ein Besprechungstermin mit der Beklagten aus krankheitsbedingten Gründen bislang nicht habe stattfinden können.

Mit Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 23.09.2003 wurde das erneute Fristverlängerungsgesuch der Beklagten vom 17.09.2003 zurückgewiesen. Dennoch beantragte die Beklagtenvertreterin mit Schriftsatz vom 06.10., 07.10. und 08.10.2003 "letztmalig" Fristverlängerung um jeweils einen Tag bis einschließlich 09.10.2003. Am 14.10.2003 ging dann schließlich der Schriftsatz der Beklagtenvertreterin vom 08.10.2003 ein, mit der sie ausführlich zum Gutachten der Steuerberaterkammer Thüringen vom 04.03.2003 Stellung nahm und beantragte, das Gutachten "sowohl aus Gründen der Besorgnis der Befangenheit, als auch aus Gründen der Mangelhaftigkeit" zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 14.07.2004 hat das Landgericht das Ablehnungsgesuch als verspätet zurückgewiesen. Gegen den am 19.07.2004 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 02.08.2004 Beschwerde eingelegt und mit Schriftsatz vom 30.08.2004 begründet. Das Landgericht hat der (sofortigen) Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 02.08.2004 ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 567 Abs. 1, 569 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Über die Beschwerde war durch den Senat zu entscheiden, weil die angefochtene Entscheidung von der Kammer des Landgerichts und nicht von einem Einzelrichter erlassen worden ist (§ 568 Abs. 1 ZPO).

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist jedoch unbegründet. Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 08.10.2003 war unzulässig.

Das Ablehnungsgesuch vom 08.10.2003 ist vom Landgericht zu Recht als verspätet angesehen worden. Gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht, von der Sachverständige ernannt worden ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Da die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch auf das schriftliche Gutachten der Steuerberaterkammer vom 04.03.2003 stützt und ihr die Ablehnungsgründe mithin zum Zeitpunkt der Ernennung des Gutachters noch nicht bekannt waren, kommt vorliegend § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist das Ablehnungsgesuch jedoch unverzüglich (§ 121 BGB entsprechend) nach dem Zeitpunkt zu stellen, in dem die Versäumung der Zweiwochenfrist nicht mehr unverschuldet war.

Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 08.10.2003 ist bereits außerhalb der von dem Landgericht gesetzten Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO gestellt worden. Mit Beschluss des Landgerichts vom 23.09.2003 ist das wiederholte Fristverlängerungsgesuch der Beklagten vom 17.09.2003 zurückgewiesen worden, so dass eine stillschweigende Fristverlängerung nach Ablauf der Frist am 18.09.2003 nicht mehr wirksam gewährt werden konnte. Abgesehen davon, wäre eine erneute Fristverlängerung gemäß § 225 Abs. 2 ZPO ohnehin nur nach Anhörung des Gegners zulässig gewesen. Darüber hinaus kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Senats für die Frage, ob das Ablehnungsgesuch "unverzüglich" i.S.v. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO gestellt worden ist, nicht darauf an, ob das Ablehnungsgesuch innerhalb einer gewährten Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO eingegangen ist (vgl. z. B. Senatsbeschluss vom 01.03.2004, Az.: 4 W 25/04; OLG Köln, OLGR 2001, 261; OLG Zweibrücken, OLGR 1998, 471). Weder der Gesetzeswortlaut noch der Gesetzeszusammenhang stellen nämlich auf eine richterliche Fristsetzung als Beurteilungskriterium für die Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsgesuchs ab. Dem Ablehnenden ist zwar grundsätzlich eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, wobei der Senat dazu neigt, grundsätzlich die Zweiwochenfrist des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO als Kriterium für die Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsgesuchs heranzuziehen. Dies lässt allerdings die Möglichkeit offen, dass z. B. bei komplizierten und umfangreichen Gutachten dem Ablehnenden auch eine längere Überlegungsfrist zugebilligt werden kann (OLG Frankfurt, OLGR 1998, 181).

Ein solcher Fall liegt hier angesichts des umfangreichen Aktenmaterials, des komplexen Sachverhalts und der schwierigen Rechtsmaterie sicherlich vor. Zudem ist zu berücksichtigen, dass vorliegend die Überlegungsfrist erst ab vollständiger Akteneinsicht der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 06.05.2003 begann, da eine qualifizierte Stellungnahme zu dem Gutachten ohne Akteneinsicht nicht möglich war. Wie lange die der Beklagten nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO einzuräumende Überlegungsfrist im vorliegenden Fall zu bemessen ist, kann jedoch dahingestellt bleiben, da jedenfalls das erst am 14.10.2003 - mithin 5 Monate nach Akteneinsicht und Kenntnis des Gutachtens - eingegangene Ablehnungsgesuch nicht mehr als "unverzüglich" i.S.v. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO angesehen werden kann. Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, eine frühere Besprechung mit ihrer Prozessbevoll-mächtigten sei krankheitsbedingt nicht möglich gewesen, vermag dem der Senat nicht zu folgen. In der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 03.09.2003 wird der Beklagten eine Gastroenteritis bescheinigt. Inwieweit aufgrund dieser Erkrankung noch nicht mal ein Informationsgespräch mit ihrer Prozessbevollmächtigten möglich gewesen sein soll, erschließt sich dem Senat jedoch nicht. Im übrigen datiert das Attest vom 03.09.2003, dass für den davor liegenden Zeitraum vom 06.05.2003 bis zum 02.09.2003 bereits eine krankheitsbedingte Verhinderung bestand, ist nicht glaubhaft gemacht. Der erst am 14.10.2003 eingegangene Ablehnungsantrag ist daher verspätet.

Darüber hinaus war das Ablehnungsgesuch auch aus einem anderen Grunde unzulässig, worauf schon das Landgericht hingewiesen hatte. Mit Beweisbeschluss vom 26.09.2000 hat die Kammer die Steuerberaterkammer Thüringen zum Sachverständigen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 7 StBerG bestellt. Nach h. M. ist jedoch die Ablehnung von Gutachterausschüssen wegen Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich unzulässig (OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1471; OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 190-191; OLG Oldenburg, FamRZ 1992, 451-452; BFH, DStRE 1997, 223 - 224; BGHZ 62, 93; Stein-Jonas-Leipold, Rn. 3 zu § 406 ZPO). Das von der Steuerberaterkammer Thüringen erstattete Gutachten ist zwar seiner Natur nach ein Sachverständigengutachten, auf das jedoch die Vorschriften der §§ 402 ff. ZPO nur angepasst angewandt werden können (BGH, a.a.O.). Die Steuerberaterkammer Thüringen ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, zu deren Aufgaben es u. a. gehört, nach § 76 Abs. 1 Nr. 7 StBerG Gutachten auf Antrag eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde unparteiisch und ohne Bindungen an irgendwelche Weisungen zu erstatten. Daraus folgt aber, dass insbesondere solche Vorschriften der §§ 402 ff. ZPO unanwendbar sind, die auf die Einzelperson eines Sachverständigen zugeschnitten sind. Hierzu gehört auch das Ablehnungsrecht nach § 406 ZPO.

Dabei kann vorliegend die - strittige - Frage dahingestellt bleiben, ob der h. M. auch insoweit zu folgen ist, als diese (wohl) auch die Ablehnung einzelner Mitglieder des Gutachterausschusses für unstatthaft hält (vgl. BGHZ 62, 93; OLG Oldenburg, FamRZ 1992, 451; OLG Hamm, NJW-RR 1990, 1471; a.A.: Stein-Jonas-Leipold, Rn. 3 zu § 406 ZPO). Denn die Beklagte hat (auch in der Beschwerdebegründung) eine einzelne Person des Gutachterausschusses, gegen die sich das Ablehnungsgesuch richten soll, nicht bezeichnet, obwohl bereits in dem angefochtenen Beschluss des Landgerichts darauf hingewiesen wurde, dass eine Ablehnung des Gutachterausschusses nach h.M. nicht zulässig ist. Auch inhaltlich richten sich Angriffe der Beklagten in ihrem Gesuch vom 08.10.2003 gegen das Gutachten als solches, indem im Wesentlichen Qualitätsmängel und einseitige Informationsbeschaffung gerügt werden. Hingegen trägt sie keine Ablehnungsgründe vor, die sich konkret gegen ein einzelnes Mitglied des Gutachterausschusses beziehen. Mithin kann das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 08.10.2003 schon aus diesem Grunde keinen Erfolg haben.

Vorsorglich weist der Senat jedoch darauf hin, dass es der Beklagten trotz der eingeschränkten Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 402 ff. ZPO die Rüge unbenommen bleibt, der Gutachterausschuss habe die Buchhaltungsunterlagen der Beklagten bei der Erstattung des Gutachtens nicht oder nicht im ausreichenden Maße berücksichtigt. Sollte dieser Vorwurf zutreffend sein, wäre nur von einer eingeschränkten Verwertbarkeit des Gutachtens der Steuerberaterkammer auszugehen (vgl.: OLG Oldenburg, a.a.O.), so dass der Beklagten aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Ablehnung des Gutachterausschusses keine Rechtsnachteile entstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG n. F. auf 1/5 des Hauptsachestreitwertes festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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