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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.01.2004
Aktenzeichen: 6 SA 54/03
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 65 a Abs. 1
FGG § 46 Abs. 2 S. 1
BGB § 1897 Abs. 6 S.
1. Zur Abgabe an ein anderes Vormundschaftsgericht sind nur abgabereife Betreuungsverfahren geeignet. Deswegen hat das abgebende Gericht grundsätzlich vor Abgabe des Betreuungsverfahrens alle Verfügungen zu treffen, die im Zeitpunkt der Abgabe von Amts wegen oder auf Antrag ergehen müssen (vgl. BayObLG FamRZ 1994,1189 mit Nachw.). Dazu gehört auch die Entscheidung über eine Aufgabenerweiterung, wenn der Umfang und die Ausgestaltung der Betreuung vorgreifliche Bedeutung für die Bewertung hat, welches Gericht nach den Umständen des Einzelfalls zur Führung der Betreuung am geeignetsten erscheint (vgl. OLG Celle OLGR 2003,349).

2. Als ein wichtiger Grund ist es gem. § 65 a Abs. 1 S. 2 FGG anzusehen, wenn sich der gewöhnliche Aufenthaltsort des Betroffenen geändert hat und die Aufgaben des Betreuers im wesentlichen am neuen Aufenthaltsort zu erfüllen sind. Beide Voraussetzungen müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes kumulativ vorliegen, d.h. der Wechsel des Aufenthaltsortes des Betreuten reicht für sich genommen nicht aus.

3. sind auch die berechtigten Interessen des Betreuers zu beachten, soweit Belange des Betroffenen nicht entgegenstehen.

4. Im Rahmen des § 65 a Abs. 1 S. 2 FGG erlangt der in 1897 Abs. 6 S. 1 BGB verankerte Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung dergestalt Bedeutung, dass das die Betreuung anordnende Gericht die Bereitschaft eines Angehörigen, das Ehrenamt wahrzunehmen, honoriert und, soweit möglich, seinen zumutbaren Wünschen im Rahmen der örtlichen und zeitlichen Organisation der Betreuung Rechnung trägt.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 SA 54/03

In dem Betreuungsverfahren

betreffend die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts,

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Werner und den Richter am Amtsgericht als weiteren aufsichtsführenden Richter Giebel am 05.01.2004 auf die Vorlage des Amtsgerichts Weißenfels

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Weißenfels bleibt für die Führung des Betreuungsverfahrens zuständig.

Gründe:

Das bislang für das vorliegende Betreuungsverfahren zuständige Amtsgericht Weißenfels hat die Akte dem Senat zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob eine Abgabe an das Amtsgericht Jena erfolgen kann. Im Ergebnis ist die Frage zu verneinen.

1. Das Amtsgericht Weißenfels hat am 17.01.2003 die Beteiligte zu Nr. 1 - die Tochter der Betroffenen - zunächst vorläufig und mit Beschluss vom 30.07.2003 endgültig zur Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis umfasst die Vermögenssorge einschließlich der Entscheidung über die Wohnungsauflösung, die Regelung von Wohnungsangelegenheiten sowie die Vertretung gegenüber Behörden und Versicherungen. Am 14.10.2003 hat die Betreuerin beantragt, ihr zusätzlich das Aufgabenfeld der Gesundheitssorge zu übertragen. Das Amtsgericht hat eine Entscheidung mit der Begründung zurückgestellt, dass ohnehin bis 31.12.2003 über die Frage der Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung und damit auch über ihren Umfang neu zu entscheiden sei.

Nachdem die Betreute seit Oktober 2003 in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens in Jena lebt, hat das Amtsgericht Weißenfels eine Abgabe des Betreuungsverfahrens an das Amtsgericht Jena angeregt. Das Amtsgericht Jena hat sich mit einer Übernahme grundsätzlich einverstanden erklärt, doch hat die Betreuerin einer Abgabe widersprochen. Sie hat darauf verwiesen, dass es aufgrund ihres Wohnsitzes und beruflicher Bindungen in Weißenfels für sie mit erhöhtem Aufwand verbunden sei, etwaige Termine beim Amtsgericht Jena wahrzunehmen. Die Betroffene hat von der ihr eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

2. Der Senat ist gem. § 65 a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 46 Abs. 2 S. 1 FGG zur Entscheidung zuständig, da ungeachtet der grundsätzlichen Übernahmebereitschaft des Amtsgerichts Jena die Betreuerin einer Abgabe widersprochen hat. In der Sache liegen die Voraussetzungen einer Abgabe nicht vor.

a) Zunächst hat der Senat schon Bedenken insoweit, als das abgebende Gericht im Regelfall vor Abgabe des Betreuungsverfahrens alle Verfügungen zu treffen hat, die im Zeitpunkt der Abgabe von Amts wegen oder auf Antrag ergehen müssen (vgl. BayObLG FamRZ 1994,1189 mit Nachw.). Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht Weißenfels trotz des bevorstehenden Ablaufs der Frist, innerhalb derer über die Aufhebung bzw. Verlängerung der Betreuung zu entscheiden war, die Akte zur Prüfung einer Abgabe vorgelegt. Auch hat es die Entscheidung über den Antrag einer Aufgabenerweiterung zurückgestellt, obwohl gerade dem Umfang und der Ausgestaltung der Betreuung vorgreifliche Bedeutung für die Bewertung beizumessen ist, welches Gericht nach den Umständen des Einzelfalls zur Führung der Betreuung am geeignetsten erscheint (vgl. OLG Celle OLGR 2003,349). Insoweit bestehen schon in formaler Hinsicht Zweifel an der Abgabereife des Betreuungsverfahrens.

b) Doch kann das letztlich offen bleiben, denn zumindest fehlt es derzeit an einem wichtigen Grund, der eine Abgabe der Betreuung rechtfertigen könnte. Als ein wichtiger Grund ist es gem. § 65 a Abs. 1 S. 2 FGG anzusehen, wenn sich der gewöhnliche Aufenthaltsort des Betroffenen geändert hat und die Aufgaben des Betreuers im wesentlichen am neuen Aufenthaltsort zu erfüllen sind. Beide Voraussetzungen müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes kumulativ vorliegen, d.h. der Wechsel des Aufenthaltsortes des Betreuten reicht für sich genommen nicht aus (vgl. OLG Celle a.a.O.). Danach ist § 65 a Abs. 1 S. 2 FGG vorliegend nicht anwendbar. Das von der Betreuerin derzeit abgedeckte Tätigkeitsspektrum erfordert nicht zwingend die Nähe zur Betroffenen. Da sich die Betreuung auf Belange der Vermögenssorge, Wohnungsauflösung und Regelung des Behördenverkehrs beschränkt, bedarf die Betroffene nicht in erhöhtem Maße der persönlichen Betreuung im Sinne einer Personensorge, die eine ständige oder häufige Anwesenheit der Betreuerin am neuen Aufenthaltsort der Betroffenen verlangt. Der räumliche Schwerpunkt ihrer Tätigkeit hat sich durch den Wohnsitzwechsel der Betroffenen nicht wesentlich verlagert, sodass das gesetzliche Regelbeispiel nicht zum Tragen kommt.

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 65 a Abs. 1 S. 2 FGG ergibt sich auch nicht aus den sonstigen Umständen. Vielmehr würde eine Abgabe den berechtigten Interessen der Betreuerin zuwiderlaufen. Auch deren Interessen sind, jedenfalls soweit Belange der Betroffenen - wie hier - nicht entgegenstehen, zu berücksichtigen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 65 a Rn. 3). Das ergibt sich bereits vor dem Hintergrund des § 1897 Abs. 6 S. 1 BGB, wonach ein Berufsbetreuer nur bestellt werden soll, wenn keine andere zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung bereite und geeignete Person zur Verfügung steht. Diesen im Gesetz ausdrücklich verankerten Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung vermag das die Betreuung anordnende Gericht u.a. dadurch zu befördern, indem es die Bereitschaft eines Angehörigen, das Ehrenamt wahrzunehmen, honoriert und, soweit möglich, seinen zumutbaren Wünschen im Rahmen der örtlichen und zeitlichen Organisation der Betreuung Rechnung trägt. Das gebietet es im vorliegenden Fall, Rücksicht auf die persönlichen und beruflichen Bindungen der Betreuerin zu nehmen und ihr den Verkehr mit dem zuständigen Amtsgericht nicht durch einen erhöhten Zeit- und Wegeaufwand unnötig zu erschweren. Danach besteht nach Ansicht des Senats derzeit für eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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