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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2002
Aktenzeichen: 6 W 248/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91a
ZPO § 775
ZPO § 890
1.

Der noch nicht unanfechtbarer Vollstreckungstitel wird mit Rückwirkung auf seinen Entstehungszeitpunkt wirkungslos, wenn die Parteien im Erkenntnisverfahren übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben.

2.

Aus §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO folgt, dass jede Zwangsvollstreckung den Bestand eines Titels erfordert, der zum Zeitpunkt der jeweiligen Zwangsvollstreckung noch vollstreckbar ist. Es genügt nicht, dass ein Titel früher einmal vorlag. Insoweit tritt der Senat der sog. zivilprozessuale Auffassung bei, wonach der Wegfall des Titels infolge übereinstimmend und vorbehaltlos erklärter Hauptsachenerledigung der Verhängung von Ordnungsmitteln schlechthin entgegensteht. Die sog. strafrechtliche Auffassung, die von der repressiven Natur der Vollstreckung nach § 890 ZPO ausgeht und deshalb die Verhängung von Ordnungsmitteln auch nach Erledigung des Titels für zulässig hält überzeugt nicht.

3.

Es kann dahinstehen, ob der Vollstreckungsgläubiger sich ein solches Bedürfnis dadurch erhalten kann, dass er im Erkenntnisverfahren seine Erledigterklärung auf die Zeit nach Eintritt der Hauptsachenerledigung begrenzt und dass der dortige Antragsgegner ihm darin folgt. ein derartiger Vorbehalt muss jedenfalls ausdrücklich erklärt sein.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 248/02

In dem Verfahren

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Prof. Werner sowie den Richter am Amtsgericht Hollandt auf die sofortige Beschwerde vom 20.03./21.03.2002 gegen den Beschluss des Landgerichts - 1. Kammer für Handelssachen - Erfurt vom 22.02./11.03.2002 ohne mündliche Verhandlung

am 16.06.2002

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde hat die Beschwerdeführerin zu tragen.

3. Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen Beschwerde wird auf 100.000,- € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien sind im Raum Erfurt Wettbewerber im Einzelhandel mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen. Im Zusammenhang mit der Einführung einer sog. "H.-Kunden-Karte" kündigte die Beschwerdegegnerin "im Einführungsmonat vom 01. - 30. September 2001 garantiert 10 % Treue-Rabatt" an und gewährte diesen.

In dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren wurde der Beschwerdegegnerin deshalb durch Beschluss vom 04.09.2001 aufgegeben, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken eine Verkaufsveranstaltung im Einzelhandel mit der Einführung der o.g. Kundenkarte anzukündigen und durchzuführen, namentlich, den angekündigten Rabatt zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin gab am 04.10.2001 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, woraufhin die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 17.10.2001 die Erledigung der Hauptsache erklärte. Dieser Erklärung schloss sich die Beschwerdegegnerin am 01.11.2001 an. Mit Schriftsatz vom 13.11.2001 teilte die Beschwerdeführerin allerdings mit, dass die Erledigungserklärung nur als Erledigung ab Annahme der Unterlassungserklärung gesehen werden könne.

Die Beschwerdeführerin behauptet, die Beschwerdegegnerin habe durch verschiedene Handlungen im Zeitraum vom 06.09.2001 bis 13.09.2001 gegen die einstweilige Verfügung verstoßen und beantragt deshalb die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen diese.

Mit Beschluss vom 22.02.2002 hat das Landgericht Erfurt den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes als unzulässig zurückgewiesen. Nach Wegfall des Vollstreckungstitels infolge der übereinstimmenden Erledigterklärung des Rechtsstreits sei die Festsetzung eines Ordnungsmittels nicht mehr zulässig. Um dieses für sie unbefriedigende Ergebnis zu vermeiden, hätte die Beschwerdeführerin die Erledigung auf den Zeitraum nach Abgabe der Unterlassungserklärung beschränken müssen.

Gegen den am 11.03.2002 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 20.03.2002, beim Landgericht Erfurt am 21.03.2002 eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, ein Ordnungsgeld gegen die Beschwerdegegnerin festzusetzen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte vertritt sie die Ansicht, dass die übereinstimmende Erledigterklärung die Ahndung des Verletzers nicht hindere.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 793 ZPO statthaft und auch sonst nach §§ 567 ff. ZPO zulässig; insbesondere ist das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt. Die sofortige Beschwerde bleibt in der Sache aus den grundsätzlich zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts ohne Erfolg. Das Vorbringen der sofortigen Beschwerde rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Das Landgericht hat den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes zutreffend deswegen zurückgewiesen, weil für den Zeitpunkt der begehrten Anordnung ein Vollstreckungstitel nicht mehr vorgelegen hat. Mangels dieser zentralen Vollstreckungsvoraussetzung konnten gegen die Verfügungsbeklagte Vollstreckungsmaßnahmen nicht erfolgen. Der Vollstreckungstitel, die einstweilige Verfügung vom 4. 9. 2001, ist dadurch in Wegfall geraten, dass Verfügungsklägerin und -beklagte übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben. Damit ist der Vollstreckungstitel als Grundlage des vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahrens entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO mit Rückwirkung auf seinen Entstehungszeitpunkt wirkungslos geworden (vgl. Zöller/Vollkommer; ZPO, 23. Aufl., § 91 a Rn. 12 mwN; Musielak/Wolst, ZPO, 2. Aufl., § 91 a Rn. 18).

Dem steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der von der Verfügungsklägerin behaupteten Zuwiderhandlungen gegen die einstweilige Verfügung vom 4. 9. 2001 diese als Vollstreckungstitel noch bestanden hat. Aus §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO folgt, dass jede Zwangsvollstreckung den Bestand eines Titels erfordert, der zum Zeitpunkt der jeweiligen Zwangsvollstreckung noch vollstreckbar ist. Es genügt nicht, dass ein Titel früher einmal vorlag. Insoweit tritt der Senat der sog. zivilprozessuale Auffassung bei, wonach der Wegfall des Titels infolge übereinstimmend und vorbehaltlos erklärter Hauptsachenerledigung der Verhängung von Ordnungsmitteln schlechthin entgegensteht (vgl. von Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 20. Aufl., § 890 Rn. 27 ff.; Baumbach u.a./Hartmann, ZPO, 50. Aufl., § 890 Rn. 27; Baumbach/Hafermehl, UWG, Einl. Rn. 587; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, Rn. 955 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, Kap. 57 Rn. 38; Zöller/Stöber a.a.O., § 890 Rn. 9a; OLG Schleswig JurBüro 1988, 671; OLG Köln GRUR 1986, 335 f.; OLG Nürnberg WRP 1996, 145; OLG Hamm GRUR 1985, 82; KG WRP 1980, 696 f.; OLG Düsseldorf GRUR 1987, 575 f.). Die sog. strafrechtliche Auffassung, die von der repressiven Natur der Vollstreckung nach § 890 ZPO ausgeht und deshalb die Verhängung von Ordnungsmitteln auch nach Erledigung des Titels für zulässig hält (vertreten u.a. von Großkomm/Jestaedt, vor § 13 E Rn. 46; Thomas/Putzo, ZPO § 890 Rn. 10, 22, 35; Pastor, Der Wettbewerbsprozess, Kap. 63 Rn. 16; OLG Frankfurt WRP 1992, 717 und WRP 1993, 62; OLG Stuttgart NJW-RR 1986, 1255 f und WRP 1995, 890; OLG Karlsruhe WRP 1992, 405; OLG Hamburg NJW-RR 1987, 1024) überzeugt nicht. Sie trägt nicht ausreichend dem Umstand Rechnung, dass es sich ungeachtet des Strafcharakters der in § 890 ZPO vorgesehenen Sanktion bei dieser um ein Mittel des Individualrechtsschutzes handelt, welchen die staatlichen Vollstreckungsorgane nur solange unterstützen können, als dafür ein die generell zulässigen Zwangsmaßnahmen legitimierender staatlicher Handlungsbefehl in Gestalt des Vollstreckungstitels vorliegt. Im übrigen bringen in den Fällen der übereinstimmend vor Eintritt der formellen Unanfechtbarkeit des Vollstreckungstitels erklärten Hauptsachenerledigung die am Erkenntnisverfahren Beteiligten mit der Erledigterklärung auch den Wegfall ihres Interesses an einer Zwangsverwirklichung des zunächst umstrittenen Anspruchs zum Ausdruck. Hierzu setzt derjenige, der aus dem wirkungslos gewordenen Titel berechtigt war, sich in Widerspruch, wenn er weiterhin ein Vollstreckungsbedürfnis behauptet.

Es kann dahinstehen, ob der Vollstreckungsgläubiger sich ein solches Bedürfnis dadurch erhalten kann, dass er im Erkenntnisverfahren seine Erledigterklärung auf die Zeit nach Eintritt der Hauptsachenerledigung begrenzt und dass der dortige Antragsgegner ihm darin folgt (vgl. KG, GRUR 1999, 191 f.; OLG Hamm, GRUR 1990, 306f; Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O. § 890 Rn. 27 ff; Hees, GRUR 1999, 128 ff.; Ulrich, WRP 1992, 147 ff.; Musielak/Lackmann ZPO § 890 Rn. 16). Unter einen derartigen Vorbehalt sind die hier fraglichen Erledigterklärungen jedenfalls nicht gestellt. Von einem derartigen - übereinstimmenden - Willen kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden (vgl. Melullis, Handbuch des Wettbewerbsrechts, a.a.O.). Mit einer uneingeschränkten Erledigungserklärung bringt der Gläubiger unmissverständlich zum Ausdruck, dass er keine Sachentscheidung mehr wünscht, sondern ausschließlich eine Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO begehrt.

Im Ergebnis kann die sofortige Beschwerde keinen Erfolg haben und ist als unbegründet zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Beschwerdewert hat der Senat nach § 3 ZPO in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts festgesetzt.

Gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative ZPO ist die Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die in der Rechtsprechung kontrovers beantwortete Frage der Zulässigkeit von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen trotz im Erkenntnisverfahren übereinstimmend für erledigt erklärter Hauptsache zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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