Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 22.10.1996
Aktenzeichen: 8 U 474/96
Rechtsgebiete: VOB A, BGB


Vorschriften:

VOB A § 12 Nr. 1 Satz 1
BGB § 242
Der öffentliche Auftraggeber ist beim VOB-Bauvertrag nach Treu und Glauben gehindert, eine Vertragsstrafe geltend zu machen, wenn er nicht die in § 12 Nr. 1 VOB A genannten erheblichen Nachteile darlegt und beweist. Dies gilt auch dann, wenn der öffentliche Auftraggeber privat-rechtlich organisiert ist.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 474/96

verkündet am: 22.10.1996

In dem Rechtsstreit

wegen Vergütung für Bauleistungen

hat der 8. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Richter . . . Richter . . . Richterin . . .

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.09.1996

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 19.03.1996 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, 256.178,36 DM nebst 13 % Zinsen seit dem 01.09.1994 an die Klägerin zu bezahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 350.000,- DM abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Beschwer des Beklagten übersteigt den Betrag von 60.000,- DM.

Tatbestand:

Die Parteien schlossen nach entsprechendem Angebot der Klägerin auf ein von einem Planungsbüro erstelltes Leistungsverzeichnis am 27.07.1993 einen formularmäßig vorbereiteten Einheitspreisbauvertrag über tief-, straßen- und landschaftsbauliche Leistungen am Los 1 des Schmutzwassersammlers A2 zwischen D-Stadt und X-Dorf. Die Gesamtvergütung wurde mit 2.561.783,62 DM zuzüglich Mehrwertsteuer vorgesehen. Es handelte sich um eine Baumaßnahme über ca. 3.650 m Länge.

Unter Nr. 5. des Vertrages heißt es wie folgt:

"5.1 Gemäß Ziffer 4. des Angebotsschreibens werden folgende Fristen als Vertragsfristen gemäß § 5 VOB/B vereinbart:

- Ausführungsfrist für alle im Angebot enthaltenen Leistungen ...

Werktage/Wochen;

- Schmutzwassertransportsammler X-Dorf D-Stadt (Los 1-A2)

Baubeginn 02.08.1993 Fertigstellung 31.12.1993

Unter 5.2 heißt es:

"Am 02.08.1993 ist spätestens mit der Ausführung der Arbeiten zu beginnen."

Nr. 6. des Vertrages lautet wie folgt:

"Vertragsstrafe

Bei Überschreitung einer gem. Ziff. 5. vereinbarten Frist gilt die zu Ziff. 4.2 des Angebots vereinbarte Vertragsstrafe."

Nr. 1. des Vertrages lautet u. a. wie folgt:

"1. Bestandteil dieses Auftrages sind:

1.1 die zu Ziff. 1.1 bis 1.5 des Angebots ausgeführten Unterlagen ...

1.5 Besondere Vertragsbedingungen (rechtsverbindliche Unterschrift) am 13.07.1993 ATV, der VOB"

Nr. 2 des Angebots der Klägerin vom 13.07.1993 lautet u. a. wie folgt:

"2. Meinem/Unserem Angebot liegen folgende Bedingungen zugrunde:

2.1 die Besonderen Vertragsbedingungen - EVM (B) BVB -,

2.2 die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen - EVM (B) ZVB/E -,

2.3 die in der Leistungsbeschreibung angegebenen zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen,

2.4 die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B), Ausgabe Juli 1990,

2.5 die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Ausgabe 1988 mit Ergänzungsband 1990 I."

Die besonderen Vertragsbedingungen (EVM (B) BVB) lauten u. a. wie folgt:

"3. Ausführungsfristen (§ 5)

3.1 Mit der Ausführung ist zu beginnen unverzüglich nach Erteilung des Auftrages ab 02.08.1993.

3.2 Die Leistung ist fertigzustellen innerhalb von 127 Werktagen nach dem vereinbarten Beginn der Ausführung (incl. Samstag) bis 31.12.1993

4. Vertragsstrafen (§ 11)

Der Auftragnehmer hat als Vertragsstrafe für jeden Werktag der Verspätung zu zahlen:

4.1 bei Überschreitung der Fertigstellungsfrist Null-Komma-Drei vom Hundert des Endbetrages der Abrechnungssumme ...

4.2 bei Überschreitung von Einzelfristen ...

4.3 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 10,0 v. H. der Abrechnungssumme begrenzt."

Bereits am 09.08.1993 vereinbarten die Parteien durch ihre Geschäftsführer einen Baufristenplan. Dieser sieht den Baubeginn durch Baustelleneinrichtung für den Beginn der 33. Kalenderwoche, den "Spatenstich" am 19.08.1993 und den Beginn des Kanalbaus in der Mitte der 34. Kalenderwoche vor. Während dieser bis Ende 1993 beendet werden sollte, ist die Ausführung von vertragsgegenständlichen Straßenbauarbeiten für die Monate März und April und die von Pflanzarbeit im Landschaftsbau für die Zeit bis Ende April vorgesehen. Es kam zu Nachtragsaufträgen vom 29.09./ 21.11.1993 sowie 08.07./28.06.1994 betreffend Kabelverlegung, Landschaftsbau und Restarbeiten von einigem Umfang.

Die Klägerin zeigte der Beklagten mit Schreiben vom 26.11.1993, 07.12.1993 und 29.12.1993 jeweils "Schlechtwetter" an und wiederholte dies mit Schreiben vom 22.03.1994. Gegenüber dem Arbeitsamt Nordhausen zeigte sie für den Zeitraum vom 15.11.1993 bis 26.03.1994 62 Tage witterungsbedingten Arbeitsausfall an. In der Folge stritten die Parteien über die Auswirkung der Verzögerungen auf Baufristen und Vertragsstrafenvereinbarung. Die Beklagte kündigte an, die Vertragsstrafe mit 256.178,36 DM gegen noch offenstehende Abschlagszahlungen aufzurechnen. Die Klägerin mahnte diesen an einer Rechnung vom 08.08.1994 einbehaltenen Betrag mit Fristsetzung bis 30.08.1994 zur Zahlung an. Die Abnahme der Baumaßnahme erfolgte am 31.08.1994 unter Vorbehalt seiner Rechte wegen der vereinbarten Vertragsstrafe durch den Geschäftsführer des Beklagten. Die Schlußrechnung wurde am 05.12.1994 bis auf die Vertragsstrafenforderung im Wesentlichen nach Prüfung freigegeben.

Mit dem am 21.12.1994 zugestellten Mahnbescheid hat die Klägerin den in Höhe der Vertragsstrafe einbehaltenen Werklohn nachgefordert. Sie ist zunächst der Ansicht, die Vertragsstrafenvereinbarung sei wegen fehlerhafter Verweisung im Bauvertrag und dem gleich darauf abweichenden Baufristenplan nicht wirksam vereinbart. Im übrigen wäre sie nicht verwirkt, da sie wegen Arbeitsausfalls durch außergewöhnliche Witterungsbedingungen 62 und durch vom Baugrundgutachten abweichende ungünstige Bodenbeschaffenheit weitere 24 Arbeitstage behindert gewesen sei, ohne das vertreten zu müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 256.178,36 DM nebst 13 % Zinsen seit dem 01.09.1994 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, die vereinbarte Fertigstellungsfrist sei für die eigentlichen Kanalbauarbeiten bestehen geblieben und nicht eingehalten worden, obwohl im Baugebiet während der Monate November/Dezember 1993 keine außergewöhnliche Schlechtwetterlage gewesen sei. Ferner hätte die Klägerin solchenfalls andere der vereinbarten Leistungen ausführen können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Beklagte habe wirksam mit seinem Vertragsstrafenanspruch aufgerechnet. Die Fehlverweisung sei unschädlich, da die Verständlichkeit im Zusammenhang gewahrt bleibe. Ob die Fertigstellungsfrist auf den 30.04.1994 verschoben sei, könne offenbleiben. Denn auch von diesem Datum aus bliebe bei einer Fertigstellung am 13.06.1994 eine Verzögerung von 40 Arbeitstagen. Die Klägerin habe nicht substantiiert darlegen können, daß sie diese nicht zu vertreten habe. Sie habe weder dargelegt, inwiefern außergewöhnliche Wetterlagen bestanden, mit denen sie nicht rechnen mußte, noch wo genau der vorgefundene Boden der Vertragsgrundlage nicht entsprach.

Gegen dieses ihr am 25.03. zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.04. Berufung eingelegt und das Rechtsmittel in verlängerter Frist am 06.06.1996 begründet.

Sie meint, die Vertragsstrafenvereinbarung sei unwirksam wegen unklarer Verweisung, Hinfälligwerden durch den Baufristenplan vom 09.08.1993, Dissens der Parteien, Unmöglichkeit der Fristwahrung durch technische Erfordernisse (Anschluß der Gemeinde X-Dorf), Nachtrags- und Nebenaufträge sowie die Witterungs- und Bodenverhältnisse. Im Übrigen könne sich der Beklagte auf die Vertragsstrafenvereinbarung nach Treu und Glauben nicht berufen, da er trotz Anforderung jede Darlegung unterlasse, inwieweit die Überschreitung von Vertragsfristen erhebliche Nachteile für den Auftraggeber besorgen lasse. Für den Fall einer wirksamen Vereinbarung fehle es an der Inverzugsetzung der Klägerin, weil diese nicht mehr an den vertraglichen Fertigstellungstermin gebunden gewesen sei. Hilfsweise habe sie Verzögerungen in Höhe von 27 Schlechtwettertagen für 1993, 25 Schlechtwettertagen für 1994, 24 Mehrarbeitstagen durch schlechten Baugrund und 14 Arbeitstagen wegen verspäteter Vorlage einer Genehmigung des Umweltamtes nicht zu vertreten. Deshalb hätte ein neuer Fertigstellungstermin berechnet und sie nach Ablauf durch Mahnung in Verzug gesetzt werden müssen.

Die Klägerin beantragt:

Unter Aufhebung des am 19.03.1996 verkündeten (und am 23.03.1996 zugestellten) Urteils des Landgerichts Mühlhausen - Az.: 4 O 126/95 - ist der Klage stattzugeben, d. h. der Beklagte zu verurteilen, an sie 256.170,36 DM nebst 13 % Zinsen seit dem 01.09.1994 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil zur wirksamen Vereinbarung der Vertragsstrafe, die individuell vereinbart worden sei und nicht durch den Baufristenplan aufgehoben. Dieser verändere nicht den Fertigstellungstermin 31.12.1993 als verbindliche Vertragsfrist, sondern regele Einzelfristen, was der Beklagte mit seiner Unterschrift bestätigt habe. Nur die Festlegung der Vertragsfrist 31.12.1993 sei wirklich wichtig und entspreche § 11 Abs. 2 Ziff. 2 VOB/A. Selbst wenn der Baufristenplan aber eine Vertragsfrist abgeändert hätte, wäre das Vertragsstrafenversprechen bestehen geblieben. Ein offener Einigungsmangel insoweit wird in Abrede gestellt. Soweit die Klägerin meine, die Verzögerungen nicht vertreten zu müssen, fehle weiterhin substantiierter Vortrag. Deshalb erübrige sich auch eine Neuberechnung des Feststellungstermins.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die Werklohnforderung der Klägerin ist durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit 256.178,36 DM Vertragsstrafe nicht gemäß §§ 387, 389 BGB erloschen. Der Beklagten steht kein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe zu, wenngleich die Geltendmachung wirksam vorbehalten ist: § 11 Nr. 4 VOB/B.

1.Da die Parteien im Bauvertrag nur eine Fertigstellungsfrist zum 31.12.1993 vereinbart haben, bezog sich diese auf die Erstellung sämtlicher Gewerke. Angesichts der Gesamtumstände durfte die Klägerin jedoch davon ausgehen, daß der vereinbarte Fertigstellungstermin einvernehmlich aufgehoben worden ist.

Dies folgt zunächst aus dem von den beiderseitigen Geschäftsführern am 09.08.1993 vereinbarten Baufristenplan, durch den ein beträchtlicher Teil der geschuldeten Leistungen der Klägerin in das Frühjahr 1994 verlegt wurden. Indem der Beklagte außerdem im Herbst 1993 Nachtragsaufträge von einigem Umfang erteilte, ohne jeweils darauf hinzuweisen, daß der Fertigstellungstermin zumindest für die anderen Gewerke einzubehalten sei, durfte die Klägerin auch aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers davon ausgehen, daß der Beklagte nicht mehr auf Einhaltung des Fertigstellungstermins am 31.12.1993 bestand, dieser vielmehr einvernehmlich aufgehoben war und nicht mehr Grundlage einer Vertragsstrafe sein sollte.

2.Der Beklagte ist zudem nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die Vertragsstrafenvereinbarung zu berufen. Denn er hat nicht dargelegt, daß die Überschreitung der ausbedungenen Vertragsfrist erhebliche Nachteile verursachen konnte (§ 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A). Die VOB/A sieht eine Vertragsstrafenvereinbarung nur für solche Ausnahmefälle vor. Der Vertragspartner eines öffentlichen Auftraggebers kann davon ausgehen, daß dieser seine innerdienstliche Anweisung befolgen will und das Bauvergabeverfahren nach den Regeln des Teils A der VOB durchführt, auch wenn die Ausschreibung das nicht ausdrücklich zum Ausdruck bringt (BGHZ 60, 225 Nr. 4). Der Beklagte als aus Gebietskörperschaften oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts bestehender öffentlich-rechtlicher Verband ist dem öffentlichen Auftragswesen zuzuordnen. Nicht anders läge es, wenn er privatrechtlich organisiert sein sollte (vgl. Ingenstau/Korbion, 12. Aufl. 1993, Rnr. 100-103 Einl.).

Die nach der VOB/A verfahrenden öffentlichen Auftraggeber erklären ihren Vertragspartnern, daß sie Vertragsstrafen nur ausbedingen, wenn die besonderen Gründe nach § 12 Nr. 1 Satz 1 VOB/A das rechtfertigen. Das bedeutet, daß sie solche Gründe substantiiert vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen haben, wollen sie sich nicht treuwidrig widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen (BGH BauR 1992, 221/223). Daran fehlt es.

3.Danach kommt es auf die Ausführungen zur Substantiierung des Klagevor-bringens im angefochtenen Urteil, welche allerdings auf eine Übersteigerung der Anforderungen hindeuten, nicht mehr an.

4.Der Zinsanspruch der Klägerin ist gerechtfertigt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges; die Zinshöhe ist unbestritten geblieben (§ 286 Abs. 1 BGB).

5.Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, §§ 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück