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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 08.12.2008
Aktenzeichen: 9 U 431/08
Rechtsgebiete: VgV


Vorschriften:

VgV § 2
1. Unterhalb der Schwellenwerte des § 2 VgV ist für den Primärrechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen öffentlicher Auftraggeber der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig; Bieter können die Unterlassung der beabsichtigten Auftragserteilung an einen Konkurrenten im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 ff. ZPO geltend machen.

2. Ein entsprechender Verfügungsanspruch kann sich aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 3 GG ergeben. Daneben kommen Unterlassungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes nach den §§ 311 Abs. 2, 241, 280 BGB in Betracht, solange die Verletzungshandlung oder der pflichtwidrig geschaffene Zustand noch andauert.

3. Unterhalb der Schwellenwerte genießt der Bieter Vertrauensschutz auf ein vergaberechtskonformes Verfahren unter Beachtung der einschlägigen Verdingungsordnung nur, wenn sich der Auftraggeber der jeweiligen Verdingungsordnung ausdrücklich unterworfen und ihr damit Außenwirkung verliehen hat. Der Bieter muss bereits im Rahmen des Verfügungsanspruchs glaubhaft machen - nicht beweisen - dass im bei vergaberechtskonformem Verhalten des Auftraggebers der Zuschlag gebührt hätte.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 431/08

Verkündet am: 08.12.2008

(nur i.V.m. Berichtigungsbeschluss vom 17.12.2008)

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Bötzl und Richter am Oberlandesgericht Timmer

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Verfügungskläger wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 23.04.2008 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

2. Die Verfügungskläger haben die Gerichtskosten erster Instanz zur Hälfte und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten erster Instanz zu 37 % zu tragen. Im Übrigen hat die Verfügungsbeklagte die Kosten beider Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Kläger begehrten Primärrechtschutz gegen eine Vergabeentscheidung nach einem Architektenwettbewerb.

Die Antragsgegnerin zu 1) und die Verfügungsbeklagte schrieben im März 2006 einen Realisierungswettbewerb mit integriertem städtebaulichen Ideenanteil "Wohnen am Schloss" in M. öffentlich aus. Die Verfügungsbeklagte ist Eigentümerin und Auftraggeberin des im Realisierungsteil zu beplanenden Gebäudekomplexes. Die Verfügungskläger beteiligten sich an diesem Wettbewerb mit einer gemeinsamen Arbeit. Der für die Anwendung der VOF erforderliche Auftragswert nach § 2 Abs. 2 VOF ist nicht erreicht.

Nach den Allgemeinen Wettbewerbsbedingungen der Wettbewerbsauslobung sollten die GRW 1995 (Grundsätze und Richtlinien für Wettbewerbe auf den Gebieten der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens) für alle Beteiligten verbindlich sein. Für Preise und Ankäufe stellten die Auslober einen Gesamtbetrag von 24.000 € zuzügl. MWSt zur Verfügung. Nach A. 14. der Wettbewerbsauslosung sollte "der Auslober" unter Würdigung der Empfehlungen des Preisgerichts einem oder mehreren Preisträgern unter den in GRW 7.1. genannten Voraussetzungen die weitere Bearbeitung für den Realisierungsteil übertragen und zwar mindestens die Leistungen 2 bis 5 des § 15 HOAI.

Nach dem Preisgerichtsprotokoll vom 17.07.2006 wurden 23 Wettbewerbsarbeiten eingereicht. 3 Arbeiten (Tarnzahlen 0010, 0014, 0023) sahen eine Überbauung der Baugrenzen des Realisierungsteils vor und wurden deswegen nicht bewertet. Für weitere 9 Entwürfe (Tarnzahlen 0002, 0007, 0008, 0009, 0016, 0019, 0020, 0024, 0025) fand sich im 1. wertenden Rundgang kein Fürsprecher. Sie waren damit ausgeschieden. Im 2. Rundgang wurden weitere 8 Arbeiten (Tarnzahlen 0001, 0003, 0004, 0011, 0012, 0015, 0017, 0021) durch Stimmenmehrheit ausgeschieden, darunter die Arbeit der Kläger mit der Tarnzahl 0021. Nach einer erneuten Überprüfung wurden die Arbeiten 0004 und 0021 in die Bewertung zurückgeholt. Durch Abstimmung kam die Arbeit 0004 in die engere Wahl, während die Arbeit der Verfügungskläger 0021 ausschied. Schließlich wurden die Preise wie folgt vergeben:

1. Preis: Tarnzahl 0005, Architektur S. & W. und Landschaftsarchitektur p. Landschaftsarchitekten,

1. Preis: Tarnzahl 0006, Architektur S. D., Architektin und Landschaftsarchitektur b.a.l.i. - Büro für Architektur und Landschaft International,

3. Preis: Tarnzahl 0013, Architektur P. K. Architekten und r + b landschaftsarchitektur,

Ankauf: Tarnzahl 0004, Architektur- und Ingenieurbüro G. + S. und Landschaftsarchitektur R. S.

Mit Schreiben vom 25. und 29. 07.2006 haben die Verfügungskläger die Verletzung von Vergaberechtsgrundsätzen - erfolglos - gerügt.

Am 16.11.2006 beantragten sie beim Verwaltungsgericht Meiningen, den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, einem der 3 Preisträger den Auftrag zur weiteren Bearbeitung für den Realisierungsteil zu erteilen. Sie haben mehrere Vergaberechtsverstöße behauptet.

Entgegen Nr. 5.1.2. Abs. 2 Nr. 10 GRW 1995 habe neben Frau R. auch Herr K. als Sachverständiger ohne Stimmrecht an der Sitzung des Preisgerichts teilgenommen, obwohl er in der Wettbewerbsauslobung nicht benannt sei. Entgegen Nr. 5.6.4. Abs. 1 und 5.6.5. Abs. 2 GRW 1995 seien die Arbeiten 0005 und 0006 prämiert worden, obwohl sie den geforderten Nachweis der Nutzbarkeit der Wohnungen für altersgerechtes Wohnen gemäß der einschlägigen DIN und dem Förderprogramm ISSP nicht erbracht hätten bzw. der Nachweis nur aufgrund einer Verletzung nachbarrechtlicher Schutzvorschriften gelingen könnte. Die Arbeit 005 sehe eine Grenzbebauung vor, die die übliche Bebauungstiefe deutlich überschreite. Damit hätten die Antragsgegner die bekannt gemachten Beurteilungskriterien nicht beachtet. Andererseits seien 3 Arbeiten gerade wegen Überbauung der Baugrenzen ausgeschlossen worden. Bereits in dem Vorprüfungsbericht sei darauf hingewiesen, dass die Arbeit 0006 in den Ideenteil weiterbaue.

Die Arbeiten 0006, 0007, 0012, 0013, 0019 hätten ausgeschlossen werden müssen, weil eine Realisierung der Planung ohne Einbindung des Ideenteils nicht möglich, die Planungen also nicht genehmigungsfähig seien, weil eine Nachbarzustimmung vorliegen müsse. Wenn die Antragsgegner im Nachhinein die städtebaulichen Ziele über die planungsrechtlichen Probleme gestellt habe, weil sie sich in der Lage sehen, ein Einvernehmen mit den Nachbarn herzustellen, so hätte dies allen Wettbewerbsteilnehmern mitgeteilt werden müssen, damit auch sie dies in ihre Arbeiten einbeziehen können.

Die Arbeit 0011 hätte zwingend ausgeschlossen werden müssen, weil schon nach dem Vorprüfungsbericht die Aufgabenstellung nicht erfüllt sei. Anstelle der Erhaltung eines denkmalgeschützten Hauses sei der Abriss und Wiederaufbau geplant worden. Entgegen Nr. 5.6.11. GRW 1995 sei das Protokoll der Preisrichtersitzung nicht von allen Preisrichtern unterschrieben; eine Ermächtigung des Vorsitzenden liege nicht vor. Schließlich sei die Preisträgerin S. D. nach Nr. 3.2.3. GRW 1995 ausgeschlossen. Sie sei wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. B.-M., die wiederum in Büropartnerschaft mit Prof. S., dem Vorsitzenden des Preisgerichts arbeite.

Die Antragsgegner haben den Tatsachenvortrag nicht bestritten, sahen aber keinen Vergaberechtsverstoß.

Das Verwaltungsgericht Meiningen hat den Antrag am 16.01.2007 abgelehnt. Zwar sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, die Antragsgegnerin zu 1) sei jedoch nicht passivlegitimiert, weil sie nicht Auftraggeberin sein soll, der Antrag gegen die Antragsgegnerin zu 2) und jetzige Verfügungsbeklagte sei unbegründet, weil die Verfügungskläger nicht glaubhaft gemacht hätten, dass ihnen ein Nachteil droht, d.h. sie als Auftragnehmer in Betracht kämen.

Gegen diese Entscheidung haben die Verfügungskläger Beschwerde eingelegt, ihren Antrag aber allein auf die Antragsgegnerin zu 2) beschränkt. Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 27.07.2007 erklärten die Verfügungskläger die Hauptsache für erledigt, weil die Verfügungsbeklagte den Auftrag inzwischen vergeben hatte. Die Verfügungsbeklagte widersetzte sich der Erledigterklärung. Sie hat weiterhin die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, weil der Antrag unzulässig und auch unbegründet gewesen sei.

Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 24.09.2007 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und die Sache an das zuständige Landgericht Meiningen verwiesen.

Das Landgericht Meiningen hat am 23.04.2008 nach mündlicher Verhandlung den Verfügungsantrag abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Erledigung sei nicht eingetreten, weil der Verfügungsantrag unzulässig und auch unbegründet gewesen sei. Im Übrigen wird auf die Gründe des Urteils vom 23.04.2008 verwiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Verfügungskläger. Sie wiederholen im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Verfügungskläger beantragen,

unter Abänderung des am 23.04.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Meiningen festzustellen, dass sich das einstweilige Verfügungsverfahren in der Hauptsache erledigt hat und der Verfügungsbeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und dessen Begründung.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat sich das einstweilige Verfügungsverfahren mit Auftragsvergabe in der Hauptsache erledigt. Der Verfügungsantrag war zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses weder unzulässig noch unbegründet.

Zwar haben die Verfügungskläger zunächst einen unzulässigen Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten beschritten. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Thüringer Oberverwaltungsgerichts, wonach für Streitigkeiten in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Klage deswegen aber zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht unzulässig. Anders als bei Anrufung des örtlich oder sachlich unzuständigen Gerichts kommt eine Klageabweisung als unzulässig mangels zulässigen Rechtswegs nicht in Betracht (z.B. Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 17 Rn 35; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 17 a Rn 7). Nach § 17 a Abs. 2 GVG ist das Verfahren vielmehr von Amts wegen und nicht nur auf Antrag an das zuständige Gericht zu verweisen. Erledigt sich der Rechtsstreit in der Hauptsache vor Klärung der Rechtswegfrage und widerspricht der Beklagte der Erledigung, ist die Sache anders als bei Anrufung des örtlich oder sachlich unzuständigen Gerichts zur Entscheidung über die Erledigung an das zuständige Gericht zu verweisen (vgl. Zöller/Gummer, 26. Aufl., § 17 a GVG Rn 19), wie dies das Thüringer Oberverwaltungsgericht auch getan hat.

Der Eilantrag war zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses auch begründet. Die Verfügungskläger hatten sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.

Die Verfügungskläger begehrten Primärrechtschutz in einem Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich. Für diese Verfahren gilt weder unmittelbar noch analog der Rechtschutz nach dem GWB (BVerfG, Beschluss v. 13.06.2006, Az.: 1 BvR 1160/03). Vielmehr kann die begehrte Unterlassung der Auftragsvergabe an die Preisträger nach den allgemeinen Bestimmungen im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff ZPO geltend gemacht werden. Ein solcher vorbeugender Unterlassungsanspruch kann sich aus §§ 1004, 823 BGB ergeben, wenn ein absolutes Recht oder ein Schutzgesetz verletzt wird. Neben dem vom Landgericht genannten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als absolutes Recht kommen als Schutzgesetze jedenfalls § 1 UWG und Art. 3 GG in Betracht. Deren Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht erfüllt. § 1 UWG scheidet vorliegend aus, weil die Verfügungsbeklagte keine Wettbewerberin der Verfügungskläger ist. Auf Art. 3 GG können sich die Verfügungskläger ebenfalls nicht berufen. Eine Verletzung des Art. 3 GG käme z.B. in Betracht, wenn die Verfügungsbeklagte die Verfügungskläger wegen eines bestimmten Mangels der Arbeit aus der Bewertung ausgeschlossen hätte, andere Bewerber aber, deren Arbeiten an demselben Mangel leiden, bewertet hätte. Vorliegend blieb die Arbeit der Verfügungskläger in der Wertung, hat jedoch keine ausreichenden Fürsprecher gefunden. Diese Preisrichterentscheidung ist grundsätzlich unanfechtbar. Wenn die Verfügungsbeklagte - wie von den Verfügungsklägern dargelegt - Art. 3 GG verletzt hat, indem sie einige Bewerber wegen der Planung einer Grenzbebauung oder eines Überbaus ausgeschlossen hat, andere, die ebenso geplant haben, aber prämierte, so verletzte sie damit jedenfalls nicht die Rechte der Verfügungskläger.

Soweit in der Rechtsprechung eine Verletzung von Art. 3 GG bejaht wurde, handelte es sich um offensichtlich unbrauchbare Leistungsbeschreibungen (LG Frankfurt/Oder, IBR 2008, 38; LG Cottbus, IBR 2007, 695). In allen Entscheidungen wurde jedoch ein Verfügungsanspruch unterhalb der Schwellenwerte nur für die Fälle bejaht, in denen die Vergabestelle vorsätzlich das Recht bricht oder sonst in unredlicher Absicht oder willkürlich vorzugehen droht (OLG Stuttgart, Urteil vom 11.04.2002, Az.: 2 U 240/01; LG Frankfurt a.a.O.) bzw. das Vergabeverfahren unter einem offensichtlichen Verstoß gegen das Transparenzgebot und die Chancengleichheit stattfindet und die Vergabeentscheidung als in groben Maße rechtswidrig erscheint (LG Cottbus, a.a.O.).

Eine solche Absicht oder Willkür ist hier nicht ersichtlich. Der Verfügungsbeklagten werden einfache und durchaus übliche Verfahrensfehler vorgeworfen.

Weder die haushaltsrechtlichen Vorschriften noch die Vergabeordnungen - und damit auch die hier anwendbaren GRW 1995 - stellen im Unterschwellenbereich nach einhelliger Meinung Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB dar, sondern verwaltungsinterne Regeln. Soweit die GRW 1995 hier ausdrücklich als verbindlich erklärt wurde, führt das nicht dazu, dass sie als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen wäre.

Der Verfügungsanspruch ergibt sich vorliegend aber aus §§ 311 Abs. 2, 241, 280 BGB. Diese Bestimmungen begründen nicht nur - im Sekundärrechtsschutz - Schadensersatzansprüche, sondern auch Unterlassungsansprüche, soweit die Verletzungshandlung oder der pflichtwidrig geschaffene Zustand noch andauert (z.B. BGH NJW 1995, 1284; OLG Hamburg NJW 2005, 3003; Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 29.05.2008, Az.: 12 U 235/07; Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 280 Rn 63; Palandt/Heinrichs, 67. Aufl., § 280 Rn 33; MünchKommBGB/Emmerich, 4. Aufl., vor § 275 Rn 276). So lag es hier bis zur Auftragserteilung.

Mit der Teilnahme der Verfügungskläger am Wettbewerb entstand zwischen den Parteien ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis mit Sorgfalts- und Schutzpflichten zwischen Bieter und Vergabestelle. Der Bieter ist in der Regel in seinem Vertrauen auf ein vergaberechtskonformes Verfahren geschützt. Dazu gehört im Geltungsbereich des GWB die Einhaltung der Regeln der einschlägigen Verdingungsordnung. Außerhalb der Geltung des GWB genießen Regeln der einschlägigen Verdingungsordnung - und damit auch der hier anwendbaren GRW 1995 - nicht ohne Weiteres Vertrauensschutz, denn sie beinhalten lediglich in allgemeine Form gefasste innerdienstliche Anweisungen für öffentliche Auftraggeber, sind als solche keine Rechtsnormen und begründen keine unmittelbare Rechtswirkung im Außenverhältnis (z.B. BVerfG , VergabeR 2006, 871; BGH BauR 1992, 221; BGH BauR 2006, 1128; OLG Stuttgart, NZBau 2002, 395). Ein Vertrauensschutz besteht aber dann, wenn der Auftraggeber der jeweiligen Verdingungsordnung Außenwirkung verliehen hat, indem er sich ihr ausdrücklich unterworfen hat (BGH BauR 1998, 1232; OLG Düsseldorf BauR 1993, 597). Vorliegend hat die Verfügungsbeklagte der Wettbewerbsauslobung ausdrücklich die GRW 1995 zugrunde gelegt und sie für alle Beteiligten für verbindlich erklärt. Alle Bieter durften daher darauf vertrauen, dass die Verfügungsbeklagte diese Regeln, denen sie sich selbst unterworfen hat, auch einhält.

Die Verfügungskläger hatten vor Auftragsvergabe hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte jedenfalls Nr. 5.6.4. Abs. 1 und Nr. 5.6.5. Abs. 2 Satz 3 und 4 GRW 1995 verletzt hat, indem sie Arbeiten prämierte, die nicht ohne Nachverhandlung genehmigungsfähig waren und die sie zwingend ausschließen hätte müssen.

Nach Nr. 5.6.4. Abs. 1 GRW 1995 hat das Preisgericht alle Wettbewerbsarbeiten zur Beurteilung zuzulassen, die den formalen Bedingungen der Auslobung entsprechen, die bindenden Vorgaben der Auslobung erfüllen, in wesentlichen Teilen dem geforderten Leistungsumfang entsprechen, termingemäß eingegangen sind und keinen absichtlichen Verstoß gegen die Grundsätze der Anonymität erkennen lassen.

Nach Nr. 5.6.5. Abs. 2 Satz 3 GRW 1995 kommt eine Arbeit für eine Preisverleihung oder einen Ankauf nicht in Betracht, wenn sie gegen eine bindende Vorgabe des Auslobers verstößt.

Die mit dem 1. Preis prämierten Arbeiten mit den Tarnzahlen 0005 und 0006 haben unstreitig den geforderten Nachweis der Nutzbarkeit der Wohnungen für altersgerechtes Wohnen gemäß der einschlägigen DIN und dem Förderprogramm ISSP nicht erbracht bzw. der Nachweis war nur aufgrund einer Verletzung nachbarrechtlicher Schutzvorschriften möglich. Da die Arbeit mit der Tarnzahl 0005 eine Grenzbebauung vorsieht und die Arbeit mit der Tarnzahl 0006 in den Ideenteil weiterbaut, haben beide Arbeiten gegen bindende Vorgaben der Auslobung verstoßen.

Die Arbeit mit der Tarnzahl 0006 und die mit dem 3. Preis prämierte Arbeit mit der Tarnzahl 0013 waren nur mit Einbindung des Ideenteils realisierbar. Sie waren bei Einreichen nicht genehmigungsfähig, weil eine Nachbarzustimmung erforderlich war. Auch sie haben damit gegen bindende Vorgaben der Auslobung verstoßen.

Ob die Verfügungsbeklagte im Nachhinein das Einvernehmen der Nachbarn erreichen konnte, ist demgegenüber unbeachtlich, weil es allein auf den Zeitpunkt der Einreichung der Arbeiten ankommt. Nachverhandlungen oder nachträgliche Änderungen der Vorgaben verletzen das Gleichbehandlungsgebot. Sie sind nur bei einer - hier nicht einschlägigen - notwendigen Überarbeitung nach Nr. 5.6.10 GRW 1995 zulässig.

Umstände, die darauf schließen ließen, dass die Verfügungsbeklagten nicht wenigstens fahrlässig handelte, sind nicht ersichtlich.

Die Verfügungskläger haben auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie bei Einhaltung der GRW 1995 eine echte Chance auf Erhalt des Auftrags gehabt hätten. Obgleich es bei Preisrichterentscheidungen, die auf ihre sachliche Richtigkeit nicht überprüfbar sind (§ 661 Abs. 2 BGB; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.03.2004; Az.: VII-Verg 4/04), in aller Regel nicht möglich sein wird, nachzuweisen, dass eine Arbeit zwingend zu prämieren gewesen wäre, ist vorliegend davon auszugehen, dass die Arbeit der Verfügungskläger bei Einhaltung der GRW mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit prämiert worden wäre. Denn nach dem zweiten Rundgang verblieben von den 25 eingereichten Arbeiten nur die Arbeiten mit den Tarnzahlen 0004, 0005, 0006, 0013 und 0021 in der Wertung. Es sollten 3 Preise vergeben werden, eine Arbeit sollte angekauft werden. Wenn von diesen 5 Arbeiten 3 ausgeschlossen sind, ist es kaum vorstellbar, dass die Arbeit der Verfügungskläger mit der Tarnzahl 0021 nicht prämiert worden wäre.

Der Verfügungsgrund ergibt sich schon daraus, dass nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Wettbewerbs jederzeit mit der Auftragsvergabe zu rechnen war und der Primärrechtsschutz damit vereitelt würde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Den Verfügungsklägern waren die Kosten nur in dem Umfang aufzuerlegen, in dem sie durch den Antrag auch gegen die ehemalige Antragsgegnerin zu 1) entstanden sind. Zwar sind dem Kläger nach § 17 b Abs. 2 Satz 2 GVG nach Verweisung die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt. Solche Mehrkosten sind vorliegend aber nicht entstanden. Denn zum Einen sind die bei dem Verwaltungsgericht Meiningen entstandenen Gerichtskosten nach § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG auf die beim Landgericht Meiningen entstandenen Gerichtskosten anzurechnen, zum Anderen wären, hätten die Verfügungskläger sofort das zuständige Landgericht Meiningen angerufen, dort die Gebühren aus dem vollen Wert der Hauptsache angefallen. Es wären damit Gerichtskosten in einer Größenordnung entstanden, die der Höhe der nun angefallenen Gesamtgerichtskosten in etwa entspricht. Die beim Thüringer Oberverwaltungsgericht angefallenen Kosten bleiben außer Betracht, weil hierüber dieses Gericht bereits abschließend entschieden hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging nach § 708 Nr. 10 ZPO. Schuldnerschutzanordnungen nach § 711 ZPO waren nicht anzuordnen, weil gegen das Urteil unzweifelhaft kein Rechtsmittel gegeben ist (§ 713 ZPO).

Ende der Entscheidung

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