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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 26.03.2007
Aktenzeichen: 9 Verg 2/07
Rechtsgebiete: VOL/A


Vorschriften:

VOL/A § 9a
1. Hat der Antragsteller durch eine verfahrenskonforme Rüge i.S.d. § 107 Abs. 3 GWB ein Nachprüfungsverfahren in Gang gebracht, darf er sein anfängliches Rügevorbringen durch eine - ihrerseits den Anforderungen des § 107 Abs. 3 GWB unterliegende - Rüge eines erst im Laufe des Nachprüfungsverfahrens zutage getretenen anderen Vergaberechtsverstoßes ersetzen.

2. Die Gewichtung der für die Zuschlagserteilung maßgebenden Kriterien und Unterkriterien, einschließlich der Ausgestaltung der Wertungsmatrix, ist zwingend vor Ablauf der Angebotsabgabefrist bekannt zu geben, sofern ihre Kenntnis die Angebotsgestaltung der Bieter beeinflussen kann.

3. Der Auftraggeber darf die Wertungsmatrix nicht erst nach Submission festlegen, wenn - wie in aller Regel - die abstrakte Gefahr nicht aussgeschlossen werden kann, das er sie in Kenntnis der Angebotsinhalte zum Vorteil oder Nachteil eines einzelnen Bieters ausgestaltet.

4. Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob der Auftraggeber den Zeitpunkt der Bestimmung der Wertungsmatrix aus dringenden Gründen des Einzelfalls über die Öffnung der Angebote hinaus verschieben darf. Ein solches Vorgehen bedürfte jedenfalls, um jeglicher Wettbewerbsverzerrung vorzubeugen, schon vorab einer besonders sorgfältigen Prüfung und Darlegung der Gründe, die in der Vergabeakte entsprechend zu dokumentieren wären.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT

Beschluss

9 Verg 2/07

(360-4003.20-062/06-EF-S)

Verkündet am: 26.03.2007

In dem Vergabeprüfungsverfahren

betreffend die Ausschreibung "Kommunikationskonzept für die Stadtverwaltung ..., Migration der Kommunikationslösung zu einem neuen VoIP-System, ÖAL 304/06-17",

hat der Vergabesenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richter am Oberlandesgericht Timmer und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 06.02.2007

auf die mündliche Verhandlung vom 19.03.2007

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss der Vergabekammer des Freistaats Thüringen vom 22.01.2007 wird dahin abgeändert, dass die Vergabestelle verpflichtet wird, den genauen Wertungsmodus des in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Fragebogens (Ordner 2 der Vergabeakte Bl. 17 bis 194) allen Bietern bekannt zu geben, auf dieser Grundlage allen Bietern die Abgabe eines neuen Angebots zu ermöglichen und sodann das Vergabeverfahren mit einer erneuten Submission fortzusetzen.

2. Die Vergabestelle und die Beigeladene tragen je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie des Beschwerdeverfahrens, auch soweit sie im Rahmen einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin entstanden sind. Die im Verfahren nach § 118 GWB entstandenen Kosten - einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin - fallen allein der Vergabestelle zur Last.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 44.403,50 € festgesetzt.

Gründe:

A)

Das europaweit ausgeschriebene VOL/A-Verfahren hat die Einführung eines IT-Kommunikationssystems in der Stadt ... zum Gegenstand. Beabsichtigt ist die Implementierung eines sog. VoIP-Systems (Voice over IP), das die Telefonie über Internet erlaubt. Der Auftrag umfasst Hardware- und Softwarekomponenten sowie Dienstleistung (einschließlich Schulung, Service usw.).

In der Vergabebekanntmachung waren als Zuschlagskriterien die Punkte "Innovation und Leistungsfähigkeit 16 %", "Systembewertung 16 %", "Servicekonzept 18 %" und "Gesamtpreis 50 %" benannt. Die an die Bieter versandten Verdingungsunterlagen enthielten u.a. einen umfangreichen Fragekatalog, worin insbesondere nach zahlreichen Einzelfunktionalitäten des vom Bieter angebotenen Systems gefragt war. Insoweit waren drei Antwortfelder "Ja", "Opt." und "Nein" vorgegeben, wozu es in der Leistungsbeschreibung hieß: "Zur Bewertung des angebotenen Voice Servers sollen die nachstehend aufgeführten Fragen dienen. Bitte kreuzen Sie die für das von Ihnen angebotene System zutreffenden Antworten mit (X) an... . Da die Auswertung per EDV erfolgt, werden Informationen in anderen Bereichen nicht berücksichtigt. Sollten die Leistungen zwar möglich sein, aber Mehrkosten verursachen, so ist optional (Opt.) anzukreuzen und die Mehrkosten (Miete/Kauf/Wartung/Montage) sind in einem separaten Angebot zu nennen." Unstreitig ist, dass die Antwort "Ja" jeweils mit einem Punkt, die Antwort "Opt." mit 0,5 Punkten und die Antwort "Nein" mit null Punkten bewertet und für jeden Bieter alle in den einzelnen Fragen erzielten Punkte zu einer Gesamtzahl addiert wurden, die in das o.g. Zuschlagskriterium "Systembewertung 16 %" einfloss.

Die Beteiligten streiten über die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Vergabestelle die mit den Antworten im o.g. Fragenkatalog erzielbaren Punktwerte abschließend festgelegt hat. Den Vergabeakten ist keinerlei Hinweis hierzu zu entnehmen.

Während die Antragstellerin unter Hinweis auf die vorgenannte Formulierung in der Leistungsbeschreibung behauptet, die Wertungsmatrix müsse zwingend schon im Zeitpunkt der Erstellung der Verdingungsunterlagen erfolgt sein, hat die Vergabestelle ihre internen Abwägungs- und Entscheidungsprozesse anders dargestellt. Danach sei es so gewesen, dass im Zeitpunkt der Erstellung der Verdingungsunterlagen noch keinerlei Entscheidung darüber gefallen sei, wie die drei Antwortvarianten bepunktet werden sollten. Aus Sicht der Vergabestelle sei beispielsweise vorstellbar gewesen, die Antworten "Nein/Optional" überhaupt nicht und ausschließlich die "Ja"-Antworten zu zählen und positiv zugunsten des jeweiligen Bieters anzurechnen. Es sei noch nicht einmal klar gewesen, ob einzelne vom Bieter verneinte Funktionalitäten im Sinne eines K.O.-Kriteriums ausgestaltet werden und den Ausschluss des Angebots zur Folge haben sollten. Die endgültige Festlegung der Wertung des Fragebogens - als Bestandteil des Zuschlagskriteriums "Systembewertung" - sei erst im Anschluss an die Submission vom 09.08.2006, nämlich am 14.08.2006 nach Öffnung der Angebote erfolgt. Dabei sei zwischen einem Mitarbeiter der Vergabestelle und dem Vertreter eines für die Vergabestelle fachbegleitend tätigen externen Unternehmens abgesprochen worden, dass eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Themenbereiche nicht vorgenommen werden sollte, sondern alle Antworten gleichmäßig nach dem Schema "Ja: 1 Punkt", "Nein: 0 Punkte" und "Optional: 0,5 Punkte" gewertet werden sollten. Zugleich habe man festgelegt, dass es sich nicht um K.O.-Kriterien handeln solle.

Das Angebot der Antragstellerin enthält in der Position 22 ("Wandhalterung") im Feld "Typ" keine Angaben, in der Position 31 ("USB Headset für das angebotene Softphone") ist im Feld "Typ" lediglich "USB Headset" eingetragen.

Die Vergabestelle hat das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen, weil die angebotene Lösung nicht die technischen Anforderungen eines "reinen VoIP-Systems" erfülle und auf einer "anderen technologischen Basis (proprietäre Hardware) basiere".

Auf das entsprechende Mitteilungsschreiben vom 26.10.2006 hin hat die Antragstellerin gegenüber der Vergabestelle den Ausschluss ihres Angebots gerügt und geltend gemacht, ihr Angebot sei in technischer Hinsicht ausschreibungskonform.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Ihr Angebot sei u.a. wegen unvollständiger Typangaben nicht wertungstauglich. Anhaltspunkte für eine Verletzung des Transparenzgebots seitens der Vergabestelle hat die Vergabekammer verneint. Insoweit fehle es an einem hinreichend substantiierten Rügevortrag. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Mit der sofortigen Beschwerde hält die Antragstellerin an ihrer auch vor der Vergabekammer vorgebrachten Rüge fest, wonach die Vergabestelle zum Zeitpunkt der Erstellung der Verdingungsunterlagen bereits die Wertungsmatrix des Fragebogens intern festgelegt und - unzulässigerweise - nicht gegenüber den Bietern offen gelegt habe. Insoweit beruft sie sich auf Beweiserleichterungen, da ein gegenteiliger Vergabevermerk nicht existiere.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und die Vergabestelle zu verpflichten, die der Auswertung der Angebote zugrunde gelegten Bewertungsschemata sowie Unterkriterien allen Bewerbern bekannt zu machen,

alle Bewerber einschließlich der Antragstellerin erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und die eingegangenen Angebote nach Maßgabe der bekannt gemachten Bewertungsschemata sowie Unterkriterien zu bewerten.

Die Vergabestelle beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen aus den darin aufgeführten Gründen.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig, weil die Rügeobliegenheiten des § 107 Abs. 3 GWB nicht erfüllt seien. Die Antragstellerin habe versäumt, den von ihr geltend gemachten Vergaberechtsverstoß vorab gegenüber der Vergabestelle zu rügen.

Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unbegründet, weil das Angebot der Antragstellerin nicht ausschreibungskonform sei. Etwaige Fehler der Vergabestelle im Zusammenhang mit der Wertung des in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Fragebogens beträfen allenfalls den Wertungsprozess. Eine Korrektur habe somit das Vergabeverfahren nicht in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, weshalb die Antragstellerin in jedem Falle von der weiteren Teilnahme ausgeschlossen sei.

Hinsichtlich der Begründungen im Einzelnen nimmt der Senat auf die zwischen den Verfahrensbeteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug.

B)

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Vergabekammer hat zu Unrecht den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Antragstellerin schadet nicht, dass ihr derzeitiges Angebot nicht ausschreibungskonform ist und dem Ausschluss aus dem Wettbewerb unterliegt. Denn die Vergabestelle hat vor Submission gegen vergaberechtliche Grundsätze verstoßen, nach denen sie den genauen Wertungsmodus von Kriterien und Unterkriterien intern spätestens vor Öffnung der Angebote festzulegen hat und überdies den Bietern vor Ablauf der Angebotsabgabefrist alle den Wertungsprozess bestimmenden Faktoren, soweit sie zur Vorbereitung der Angebote kalkulationserheblich sind, bekannt zu geben hat. Zudem hat die Vergabestelle ihre Dokumentationsobliegenheiten (§ 30 Abs. 1 VOL/A) verletzt. Diese Mängel nötigen zur Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsöffnung.

I. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Unzutreffend ist der seitens der Vergabestelle und der Beigeladenen erhobene Einwand, wonach die Antragstellerin versäumt habe, einen bereits im Vergabeverfahren erkannten (§ 107 Abs. 3 S. 1 GWB) oder aus der Bekanntmachung erkennbaren (§ 107 Abs. 3 S. 2 GWB) Vergaberechtsverstoß unverzüglich gegenüber der Vergabestelle zu rügen.

a) Um den Zugang zum Nachprüfungsverfahren zu eröffnen, bedarf es der Darlegung zumindest einer konkreten - nicht völlig vage und pauschal behaupteten - Vergaberechtsverletzung (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. vom 19.7.2006 - Az. VII-Verg 27/06, juris). Ist diese Hürde überwunden, ist der Antragsteller nicht gehindert, andere Vergaberechtsverletzungen zum Gegenstand desselben Vergabeprüfungsverfahrens zu machen, mögen diese auch bis dahin nur andeutungsweise oder gar nicht im Streit gewesen und erst im Verlaufe des Nachprüfungsverfahrens zu Tage getreten sein (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Der Antragsteller ist auch nicht gehalten, seine dem Nachprüfungsantrag ursprünglich zugrunde gelegten Rügen bis zum Verfahrensende weiterzuverfolgen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.), sondern darf sein Rügevorbringen nachträglich durch ein anderes ersetzen.

Nach § 107 Abs. 3 S. 1, S. 2 GWB sind ferner Nachprüfungsanträge dann unzulässig, wenn sie sich auf Verstöße beziehen, die bereits im Vergabeverfahren erkannt bzw. aus der Bekanntmachung erkennbar waren und nicht unverzüglich gerügt wurden. Diese Tatbestandsmerkmale sind für jede innerhalb eines Nachprüfungsverfahrens geltend gemachten Vergaberechtsverletzung gesondert zu prüfen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

b) Angewendet auf den Streitfall ist ein Rügeversäumnis nicht ersichtlich.

Die Antragstellerin hat ihre zunächst an die Vergabestelle gerichtete Rüge im Schreiben vom 03.11.2006 und ebenso den Nachprüfungsantrag vom 07.11.2006 u.a. darauf gestützt, dass sie zu Unrecht wegen Nichteinhaltung technischer Vorgaben vom Wettbewerb ausgeschlossen worden sei. Entgegen dem Vorwurf der Vergabestelle entspreche das von ihr angebotene System in jeder Hinsicht den technologischen Anforderungen. Mit diesem hinreichend substantiierten Vorbringen hat sich die Antragstellerin Zugang zum Nachprüfungsverfahren verschafft. Ob das von ihr vorgesehene Konzept in technischer Hinsicht tatsächlich ausschreibungskonform ist und der darauf gestützte Ausschluss mithin zu Unrecht erfolgte, ist eine Frage der Begründetheit, der hier nicht weiter nachzugehen ist, weil die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag mittlerweile - zulässigerweise - vorrangig auf andere Vergaberechtsverletzungen stützt.

Aufgrund des neuen Sachvorbringens der Vergabestelle im Schriftsatz vom 09.03.2007 ist im Laufe des Beschwerdeverfahrens - erstmals - zu Tage getreten, dass sie die Wertungsmatrix bezüglich des Fragebogens erst nach Öffnung der Angebote und in Kenntnis deren Inhalte bestimmt haben will. Die Antragstellerin ist mithin nicht gehindert, den daraus resultierenden (im Folgenden darzustellenden) Verstoß gegen Transparenz und Gleichbehandlung zu rügen. § 107 Abs. 3 GWB ist insoweit nicht berührt, weil weder die Antragstellerin noch die Vergabeprüfungsinstanzen - mangels Dokumentation in den Vergabeakten oder sonstigen Hinweisen der Vergabestelle - wussten oder erkennen konnten, wann im Geschäftsbereich der Vergabestelle die interne Festlegung der Matrix erfolgte, insbesondere ob dieser Vorgang vor oder nach Submission stattfand. Hinsichtlich dieser Frage ist die Antragstellerin mithin unter keinem Gesichtspunkt nach § 107 Abs. 3 GWB präkludiert.

II. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

1. Der Begründetheit des Nachprüfungsantrags steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin (derzeit) nicht mit einem ausschreibungskonformen Angebot am Wettbewerb teilnimmt.

a) Zwar ist das Angebot der Antragstellerin, wie die Vergabekammer zutreffend erkannt hat, nicht wertungsfähig. Denn ihm fehlen jedenfalls die in den Positionen 22 und 31 des Leistungsverzeichnisses geforderten Typangaben, was auch in der Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen wird.

b) Gleichwohl steht der Antragstellerin in der gegebenen Konstellation ein subjektiver Anspruch im Sinne der §§ 114 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 7 GWB zu, wonach die Vergabeprüfungsinstanzen in das Ausschreibungsverfahren einzugreifen und es in das Stadium vor Angebotsöffnung zurückzuversetzen haben.

aa) Der Senat geht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Nachprüfungsantrag nicht schon insoweit unzulässig ist, als das eigene Angebot des Antragstellers nicht wertungstauglich ist (eingehend hierzu Senat VergabeR 2005, 492, 494). Der Weg zu den Vergabeprüfungsinstanzen ist vielmehr eröffnet, wenn der Bieter schlüssig behauptet, im Ausschreibungsverfahren in seinen Rechten verletzt worden zu sein und dass er ohne die Rechtsverletzung eine Zuschlagschance gehabt hätte. Die Wertungsfähigkeit des Angebots ist in diesem Kontext ohne Belang (vgl. Senat a.a.O.; BGH VergabeR 2004, 473, 476; ZfBR 2007, 86, 87). Zwar lässt dies nicht das Erfordernis entfallen, im Rahmen der Begründetheit zu prüfen, ob das Rechtsschutzbegehren in materiellrechtlicher Hinsicht darauf abzielt, eigene vermögensrechtliche Interessen wahrzunehmen oder ausschließlich der Begünstigung eines Dritten bzw. immateriellen Interessen dient, indem etwa nur die Zuschlagserteilung an einen bestimmten (beigeladenen) Bieter verhindert werden soll. Die Geltendmachung einer Vergaberechtsverletzung, deren Korrektur lediglich die Rechtsposition eines Dritten verbessert und dem Antragsteller allenfalls die immaterielle Befriedigung verschafft, dass auch der von der Vergabestelle vorgesehene Zuschlagsaspirant nicht zum Zuge kommt, stellt eine Form unzulässiger Rechtsausübung - auf der Ebene des materiellen Vergaberechts - dar, die einem Bieter nach dem die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Wertungsgedanken des § 242 BGB versagt ist. Ein unter Missachtung dieses Grundsatzes eingelegter Nachprüfungsantrag wäre daher als unbegründet zurückzuweisen (näher Senat VergabeR 2007, 207, 211).

bb) Vorliegend verfolgt die Antragstellerin jedoch eigene vermögenswerte Ansprüche im vorgenannten Sinne. Hat nämlich ihre Rüge Erfolg, wonach die Vergabestelle gegen das Transparenzgebot verstoßen und Kriterien der Angebotswertung gegenüber den Bietern nicht offengelegt bzw. entsprechende interne Entscheidungsprozesse nicht hinreichend dokumentiert hat, so kann sie Primärrechtsschutz mit dem Ziel einer Korrektur dieser Vergaberechtsverletzung in Anspruch nehmen, ohne dass es auf die Wertungsfähigkeit ihres (derzeitigen) Angebots ankommt (so auch im Ergebnis OLG Düsseldorf VergabeR 2005, 364, 366 im Kontext der Antragsbefugnis). Denn die Korrektur besteht gerade in einer Weisung an die Vergabestelle, den Bietern alle für den Wertungsprozess maßgebenden Faktoren ordnungsgemäß bekannt zu geben und ihnen auf dieser Grundlage die Einreichung eines neuen Angebots zu ermöglichen. Dadurch wird es auch der Antragstellerin möglich, sich mit einem fehlerbereinigten Angebot erneut am Wettbewerb zu beteiligen und um den Zuschlag zu konkurrieren.

2. Die Vergabestelle hat gegen Vergaberechtsbestimmungen verstoßen, mit der Folge, dass das Ausschreibungsverfahren in das Stadium vor Angebotsöffnung zurückzuversetzen ist.

In tatsächlicher Hinsicht ist zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig, ob die Vergabestelle bereits im Zeitpunkt der Erstellung der Verdingungsunterlagen - wie die Antragstellerin behauptet - intern die Gewichtung der im Fragebogen vorgesehenen Antwortmöglichkeiten festgelegt hatte oder ob dies - wie nach eigener Darstellung der Vergabestelle - erst später, nämlich nach Submission geschah. Einer näheren Aufklärung des Sachverhalts bedurfte es insoweit nicht, weil in beiden Fällen bieterschützende Bestimmungen verletzt sind.

a) Trifft die eigene Darstellung der Vergabestelle zu, hat sie einerseits versäumt, den Wertungsmodus des Fragebogens rechtzeitig vor Angebotsöffnung (in Unkenntnis der Angebotsinhalte) zu erstellen und andererseits den Bietern Gelegenheit einzuräumen, die Angebotskalkulation darauf auszurichten.

Nach § 9a VOL/A geben die Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, "möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung". Aus dieser Formulierung wird allgemein entnommen, dass die Vergabestelle die Festlegung des Gewichts der von ihr publik gemachten Kriterien sich für einen Zeitpunkt nach Versendung der Verdingungsunterlagen vorbehalten darf (vgl. OLG Celle OLGR 2005, 78, 80 mit weit. Nachw.). Diese Regel besagt aber noch nichts zur Frage, wann die Gewichtung spätestens zu erfolgen hat, insbesondere ob der genaue Modus der Angebotswertung zwingend vor Angebotsöffnung -in Unkenntnis der Angebotsinhalte - festgelegt werden muss oder ob hierzu auch noch nachträglich Gelegenheit besteht.

aa) Während das OLG Bremen für die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 16 Abs. 3 VOF ausdrücklich entschieden hat, dass es fehlerhaft sei, die Matrix erst nach Kenntnis der Bewerbungen zu erstellen, weil dann nicht auszuschließen sei, dass die Matrix zugunsten oder zulasten einzelner Bewerber gestaltet werde (OLG Bremen Beschl. vom 14.04.2005 - Az. Verg 1/2005 = VergabeR 2005, 537, 542 mit zust. Anm. Willenbruch; ebenso VK Lüneburg Beschl. vom 02.07.2004, Az. 203-VgK-21/2004 Rn. 71), wollen andere - ohne nähere Begründung - die Vergabestelle von einer solchen Obliegenheit freistellen (vgl. OLG Dresden Beschl. vom 06.04.2004 - Az. Wverg 01/04 = VergabeR 2004, 609, 613; ebenso Lück/Bergmann VergabeR 2004, 615, 618). So hat das OLG Dresden - in einem obiter dictum - erklärt, dass es der Auftraggeber in der Hand habe, ein "sachgerechtes und plausibles Wertungssystem erst im Verlauf des Wertungsprozesses, d.h. auch in Ansehung der ihm vorliegenden Angebote zu entwickeln". Der Kontrolle im Nachprüfungsverfahren unterliege lediglich die Frage, ob dieses System sachgerecht und plausibel sei.

bb) Mit dem Problemkontext war auch der EuGH in einer Entscheidung vom 24.11.2005 (Rechtssache C-331/04) befasst. Gegenstand der Vorlage war u.a. die Frage, wie die - auch in § 9a VOL/A transformierten - Regelungen in Art. 36 der Richtlinie 92/50 und Art. 34 der Richtlinie 93/38 aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht auszulegen seien, wonach die Zuschlagskriterien "möglichst in absteigender Reihenfolge der ihnen zugemessenen Bedeutung" anzugeben sind.

Der Generalanwalt war in seinen Schlussanträgen als "selbstverständlich" (vgl. Schlussantrag Ziff. 3) davon ausgegangen, dass eine Gewichtung der Zuschlagskriterien und deren Unterkriterien zwingend vor Öffnung der Angebote erfolgen müsse. Bedenklich sei jedoch darüber hinaus schon, wenn der Auftraggeber zwar noch vor Submission, aber doch schon in Kenntnis des Kreises der an der Ausschreibung teilnehmenden Unternehmen die Wertungsmatrix festlege, weil dann nicht mehr auszuschließen sei, dass die Gewichtung zugunsten bekannter Stärken eines einzelnen Bieters verschoben werden könnte. Auch wenn eine so strenge Sichtweise wenig plausibel erscheint, weil sie den Entscheidungs- und Handlungsspielraum des Auftraggebers zu sehr einengen und kaum praxisgerecht sein dürfte, so wird doch nicht zu bestreiten sein, dass der Frage der Wahl und inhaltlichen Ausgestaltung der für den Wertungsprozess maßgebenden Faktoren jedenfalls besondere Bedeutung im Hinblick auf Chancengleichheit der Bieter und Transparenz des Verfahrens zukommt.

Der EuGH hat den spätesten Zeitpunkt, wann der komplette Wertungsmodus abschließend festgelegt werden muss, nicht explizit bestimmt. Er hat aber in diesem Zusammenhang drei Regeln aufgestellt, die bei der Auslegung der diesbezüglichen nationalen Rechtsnorm aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zwingend zu beachten seien (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 25ff.).

Zunächst hat er betont, dass die Vergabestelle im Rahmen einer Entscheidung, welcher Wertungsmodus für die bekannt gegebenen Zuschlagskriterien oder deren Unterkriterien maßgebend sein soll, nicht die Zuschlagskriterien selbst abändern dürfe (Regel 1). Zum zweiten unterliege es der Kontrolle durch die Vergabeprüfungsinstanzen, ob die nachträglich zum Wertungsmodus getroffene Entscheidung der Vergabestelle Gesichtspunkte enthalte, die, wenn sie zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wären, diese Vorbereitung hätten beeinflussen können (Regel 2). Sei das der Fall, widerspreche die Entscheidung des Auftraggebers dem Gemeinschaftsrecht. Schließlich sei zu prüfen, ob der Auftraggeber die Festlegung der Wertungsmatrix unter Berücksichtigung von Umständen erlassen habe, die einen der Bieter diskriminieren könnten (Regel 3). Sei dies der Fall, widerspreche auch eine solche Entscheidung des Auftraggebers dem Gemeinschaftsrecht.

cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die nach eigenen Angaben der Vergabestelle erst nachträglich am 14.08.2006 - nach Öffnung der Angebote am 09.08.2006 - erfolgte Festlegung der Wertungsmatrix in doppelter Hinsicht als vergaberechtswidrig.

aaa) Zum einen hat die Vergabestelle die vom EuGH aufgestellte Regel 2 verletzt, indem sie erst nach Ablauf der Angebotsfrist neue, die Angebotsgestaltung mitbestimmende Faktoren - nämlich die Gewichtung der Antworten im Fragebogen - festgelegt und zur Grundlage ihrer Zuschlagsentscheidung gemacht hat. Den Bietern war damit die Möglichkeit genommen, ihre Angebotskalkulation darauf auszurichten.

Wie der Senat bereits im Beschluss vom 20.02.2007 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 118 GWB näher ausgeführt hat, kam dem exakten Gewicht der im Fragebogen einzutragenden Antworten "Ja", "Nein" oder "Opt". kalkulationserhebliche Relevanz zu. So hätte es einen Unterschied gemacht, wenn eine (mit Mehrkosten verbundene) optionale Realisierung der jeweiligen abgefragten Funktionalitäten statt des von der Vergabestelle gewählten mathematischen Mittelwertes von 0,5 zum Beispiel nur mit 0,1 bzw. 0,2 Punkten (und damit nur unwesentlich besser als die Antwort "Nein") bewertet worden wäre. Ein Bieter, der diese Gewichtung kannte, konnte zur Förderung seiner Zuschlagschancen gezielter kalkulieren, indem er anhand des maximal erzielbaren Punktwerts abschätzte, ob es wirtschaftlich sinnvoll sei, mit "Ja" zu antworten - d.h. zuzusagen, dass die betreffende Funktionalität kostenlos im Angebot mit enthalten sei - oder aber aufgrund des gegenüber den anderen Antwortmöglichkeiten vergleichsweise unerheblichen "Mehrwerts" es seine Chancen nicht wesentlich schmälerte, die jeweilige Funktionalität entweder nur optional oder gar nicht anzubieten, dafür aber einen niedrigeren Endpreis zu kalkulieren.

Mithin lassen sich aus der Ausgestaltung der Wertungsmatrix Gesichtspunkte ableiten, die - im Sinne der o.g. Rechtsprechung des EuGH - im Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote diese Vorbereitung seitens der Bieter hätten beeinflussen können. Schon aus diesem Grund durfte die Vergabestelle nicht erst nachträglich nach Ablauf der Angebotsabgabefrist den Wertungsmodus in der von ihr gewählten Art bestimmen. Auch das OLG Düsseldorf hat auf dem Boden der EuGH-Rechtsprechung entschieden, dass die Gewichtung einzelner Zuschlagskriterien und ihrer Unterkriterien, die Einfluss auf die Angebotsgestaltung haben könnten, zwingend vor Ablauf der Angebotsabgabefrist bekannt zu geben seien (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. vom 19.7.2006 - Az. VII-Verg 27/06, juris - Umdruck S. 18, 21; aM wohl OLG Naumburg VergabeR 2004, 80, 84).

bbb) Die Vergabestelle hat zudem - nach dem von ihr dargelegten Sachverhalt - gegen die dritte vom EuGH entwickelte Regel verstoßen, indem sie in Kenntnis der Angebotsinhalte den Punktwert der Antworten aus dem Fragebogen festgelegt hat. Insoweit bestand nämlich zumindest abstrakt die Gefahr, dass sie den Wert einer positiven, negativen oder optionalen Antwort zugunsten oder zulasten der hierzu abgegebenen Erklärungen eines einzelnen Bieters gestalten konnte. Der Feststellung konkreter Anhaltspunkte für wettbewerbsverzerrende Erwägungen bedarf es dabei nicht. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ausschlaggebend, dass die Vergabestelle jedenfalls in Kenntnis von Umständen ihre Entscheidung zum Wertungsmodus getroffen hat, die einen der Bieter diskriminieren konnten (so auch OLG Bremen VergabeR 2005, 537, 542).

b) Auf Basis des Sachvorbringens der Antragstellerin hat die Vergabestelle ebenfalls gegen das Transparenzgebot verstoßen.

War es nämlich so, wie die Antragstellerin behauptet, dass die Vergabestelle intern bereits zum Zeitpunkt der Erstellung der Verdingungsunterlagen die Gewichtung der drei Antwortmöglichkeiten des Fragebogens festgelegt hatte, dann fällt ihr auch insoweit zur Last, dies den Bietern verschwiegen zu haben (vgl. zu dieser Konstellation EuGH VergabeR 2003, 141, 152, 153; OLG Düsseldorf VergabeR 2005, 364, 370f.). Mithin sind bieterschützende Vorschriften in jedem Fall verletzt, unabhängig davon, ob die Vergabestelle vor oder nach Submission die Gewichtung der möglichen Antwortvarianten "Ja", "Nein" und "Opt." abschließend bestimmt hat.

c) Die festgestellten Vergaberechtsverletzungen können nur in der Weise korrigiert werden (§ 114 Abs. 1 GWB), dass das Vergabeverfahren in das Stadium vor Festlegung der Wertungsmatrix zurückversetzt wird. Es handelt sich entgegen der in der Beschwerdeerwiderung der Beigeladenen vertretenen Auffassung nicht um einen bloßen Wertungsfehler, der mit einer Wiederholung der Angebotswertung zu beseitigen wäre. Unzutreffend ist insbesondere die Erwägung, der Vergabestelle stehe es beispielsweise frei, sich einer Zuweisung bestimmter Punktwerte bezüglich der Antwortvarianten "Ja", "Nein" und "Opt." generell zu enthalten und stattdessen die Wertung des Fragebogens einem externen Sachverständigen zu übertragen. Ein solcher Ansatz kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Vergabestelle bereits in den Verdingungsunterlagen - mit bindender Wirkung - allen Bietern mitgeteilt hat, dass die Auswertung des Fragebogens "per EDV" erfolgen werde. Das impliziert die Festlegung einer mit den Mitteln elektronischer Datenverarbeitung erfassbaren - wie auch immer gearteten - Gewichtung der einzelnen Antwortvarianten. Dieser Entscheidungsakt und seine Bekanntgabe an die Bieter kann aus den genannten Gründen nicht im Stadium der Angebotswertung nachgeholt werden. Den Bietern ist vielmehr Gelegenheit zu geben, ihre Angebote unter Berücksichtigung einer von der Vergabestelle - ggf. neu zu bestimmenden - Wertungsmatrix neu zu kalkulieren. Erst hernach darf die Vergabestelle in die Phase der Angebotswertung eintreten.

Hieraus folgt zugleich, dass sich der Antragstellerin erneut die Chance eröffnet, mit einem veränderten, ausschreibungskonformen Angebot an der Ausschreibung teilzunehmen.

3. Schließlich fällt der Vergabestelle eine weitere Vergaberechtsverletzung zur Last, die ebenfalls für sich genommen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Submission führt.

Selbst wenn man einmal offen lassen wollte, ob die vorgenannten Grundsätze, wonach der Auftraggeber die Festlegung der Wertungsmatrix in Unkenntnis der Angebotsinhalte vor Submission vorzunehmen und - soweit sie kalkulationsbedingte Aspekte umfassen - den Bietern vor Ablauf der Angebotsabgabefrist bekannt zu geben hat, uneingeschränkt gelten oder aber im Einzelfall Ausnahmen zulassen, würde sich am vorliegenden Ergebnis nichts ändern.

Einmal unterstellt, besondere Umstände würden es einem Auftraggeber erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen, ein plausibles und differenziertes Wertungssystem in Unkenntnis der Angebote zu entwickeln und mitzuteilen, etwa weil - wie in sog. Ausschreibungen mit Leistungsprogramm (vgl. § 9 Nr. 10, Nr. 11 VOB/A) - der Leistungsinhalt zunächst vergleichsweise unbestimmt bzw. erst der näheren Konkretisierung seitens der Bieter bedarf, so wäre eine solche Ausnahme jedenfalls nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Zum einen wären in objektiver Hinsicht dringende - von den Vergabeprüfungsinstanzen zu überprüfende - Gründe erforderlich, die eine nachträgliche Festlegung der Gewichtung der Wertungsfaktoren gebieten. Zum anderen müsste der Auftraggeber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sein Vorgehen überhaupt Gegenstand einer Nachprüfung sein kann. Will er erst nach Ablauf der Angebotsabgabefrist bzw. sogar in Kenntnis der Angebote einzelne den Wertungsprozess bestimmende Festlegungen inhaltlicher - nicht nur prozeduraler - Art treffen, bedarf es daher ganz besonderer Sorgfalt sowohl hinsichtlich der Abwägung dieser Frage als auch der Dokumentation in der Vergabeakte (ähnlich OLG Brandenburg VergabeR 2005, 660, 665). Dabei kommt dem Nachweis, dass derartige Überlegungen und Entscheidungen rechtzeitig - vor Submission - stattgefunden haben, entscheidende Bedeutung zu. Denn nur dann kann, bezogen auf den Zeitraum der jeweiligen Verfahrensstufe i.S.d. § 30 Nr. 1 VOL/A als gesichert gelten, dass die maßgebenden Feststellungen und Entscheidungen unbeeinflusst von nachträglichen Erkenntnissen und dem Handeln einzelner Bieter erfolgt sind. Ohne die Annahme derartiger Obliegenheiten im Innenbereich wären Manipulationsgefahren zwangsläufig nicht zu vermeiden.

Danach kann das Vergabeverfahren in seiner konkreten Gestalt auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Bestand haben. Abgesehen davon, dass schon in objektiver Hinsicht keinerlei Gründe für eine nachträgliche Festlegung der Wertungsmatrix ersichtlich sind, fehlt es an jeglicher Aktendokumentation. Die Vergabestelle hat erst im Laufe des Vergabeprüfungsverfahrens, und auch hier erst auf Nachfrage des Senats, die internen Abwägungs- und Entscheidungsprozesse dargelegt. Es liegt auf der Hand, dass den strengen Anforderungen an Transparenz und Gleichbehandlung auf diese Weise nicht entsprochen ist.

4. Eine Divergenz i.S.d. § 124 Abs. 2 GWB gegenüber Entscheidungen anderer Vergabesenate ist nicht ersichtlich.

Die o.g. abweichende Rechtsauffassung des OLG Dresden zur Frage einer Erstellung der Wertungsmatrix nach Angebotsöffnung war nach dessen ausdrücklicher Feststellung in den Entscheidungsgründen nicht entscheidungserheblich (vgl. OLG Dresden a.a.O. S. 613).

Soweit das OLG Naumburg (vgl. Beschl. vom 09.09.2003 - Az. 1 Verg 5/03 = VergabeR 2004, 80, 84) entschieden hat, dass ein Auftraggeber im Rahmen der Angebotswertung einem einzelnen Zuschlagskriterium geringeres Gewicht zumessen dürfe, als den Bietern zuvor mitgeteilt, so mag daraus möglicherweise eine Abweichung zu der hier vertretenen Auffassung hinsichtlich der vom EuGH entwickelten Regel 2 resultieren. Doch ist der Entscheidung des OLG Naumburg andererseits nicht zu entnehmen, dass eine solche nachträgliche Wertungsentscheidung auch noch nach Öffnung der Angebote zulässig sein soll, so dass jedenfalls insoweit eine Divergenz nicht ersichtlich ist. Im Übrigen hat der Nachprüfungsantrag vorliegend auch deshalb - und schon für sich genommen - Erfolg, weil die Vergabestelle ihre Dokumentationspflichten verletzt hat. Auch insoweit liegt keine Abweichung zu Entscheidungen anderer Vergabesenate vor.

C)

Die Kostenfolge ergibt sich für beide Rechtszüge aus der entsprechenden Anwendung des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Beigeladene trägt anteilig die Kosten, weil sie eigene Sachanträge gestellt hat. Ausgenommen hiervon sind die Kosten des Verfahrens nach § 118 GWB, an dem sie sich nicht aktiv beteiligt hat. Dessen Kosten fallen somit allein der Vergabestelle zur Last. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Bruttoauftragssumme im Sinne dieser Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats der Bruttopreis desjenigen Angebots, mit dem der Antragsteller am Ausschreibungsverfahren teilnimmt. Der von der Antragstellerin angebotene Bruttogesamtpreis beträgt 888.069,95 € (1.216.534,18 € abzüglich eines unbedingten Preisnachlasses von 27 %). Hiervon 5 % ergibt den festgesetzten Gegenstandswert.



Ende der Entscheidung

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