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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 9 W 692/05
Rechtsgebiete: VV RVG, ZPO


Vorschriften:

VV RVG Nr. 3105 S. 2 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 331 Abs. 3
Eine 0,5-Terminsgebühr gem. Nr. 3105 S. 2 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG fällt auch dann an, wenn ein Versäumnisurteil - in verfahrenswidriger Weise - nach § 331 Abs. 3 ZPO gegen den Beklagten ergeht, ohne dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 692/05 In dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel

auf die sofortige Beschwerde vom 21.09.2005 ohne mündliche Verhandlung am 25.01.2006

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gera vom 14.10.2005 (Az. 3 HKO 191/05) abgeändert:

Die vom Beklagten auf Grund des Urteils des Landgerichts Gera vom 03.08.2005 an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden - über die vom Landgericht festgesetzten Kosten hinaus - auf weitere 328,28 € (in Worten: Dreihundertachtundzwanzig 28/100 €) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.08.2005 festgesetzt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 328,28 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, und auch sonst zulässig, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Die Rechtspflegerin hat zu Unrecht die von der Klägerin mit ihrem Kostenerstattungsantrag angemeldete 0,5-Terminsgebühr in Höhe von 328,28 € brutto abgesetzt.

1. Die Kammer des Landgerichts hat gegen den Beklagten, der auf die Zustellung der Klage nicht reagiert hatte, ohne entsprechenden Antrag der Klägerin - entgegen der Bestimmung des § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO - Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen. Die Rechtspflegerin hat unter Hinweis auf die Kommentierung bei Gerold/Schmidt (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., Nr. 3105 VV, Rn. 19) die Festsetzung einer halben Terminsgebühr im Sinne der Nr. 3105 S. 2 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG abgelehnt, da es an der hierzu erforderlichen Antragstellung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin fehle.

2. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist begründet.

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin steht gem. Nr. 3105 S. 2 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG eine halbe Terminsgebühr zu, die vom Beklagten nach § 91 S. 1 ZPO zu erstatten ist.

a) In der Rechtsprechung ist streitig, ob eine fiktive Terminsgebühr (früher: Verhandlungsgebühr gem. § 35 BRAGO) in einer Konstellation der vorliegenden Art entsteht, wenn das Gericht Versäumnisurteil erlässt, ohne dass der Rechtsanwalt der erstattungsberechtigten Partei hieran durch eine Antragstellung mitwirkt. Das OLG Düsseldorf hat die Auffassung vertreten, dass schon nach dem Gesetzeswortlaut der Gebührenanfall von einem entsprechenden Antrag des Anwalts abhänge und als Ausgleich für seine mit erhöhter Verantwortung verbundene schriftsätzliche Vorarbeit gedacht sei (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1984, 950; so auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, Nr. 3105 VV, Rn. 19).

Dem gegenüber wollen das OLG Koblenz (vgl. WM 1997, 1566, 1567) und das LG Köln (vgl. MDR 2001, 1018) für den Fall der Säumnis des Beklagten in der Stellung des Sachantrags zugleich einen konkludenten Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils sehen, da davon auszugehen sei, dass der Kläger den Erfolg des Sachantrags auf jedem verfahrensrechtlich zulässigen Weg erstrebe. Mithin seien die formellen Voraussetzungen einer fiktiven Termins- bzw. Verhandlungsgebühr erfüllt.

b) Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung im Ergebnis, wenn er sich auch der dortigen Begründung nicht anzuschließen vermag. Die Konstruktion eines stillschweigenden Antrags auf Erlass eines Versäumnisurteils überzeugt nicht. Träfe dieser Ansatz zu, ginge die Bestimmung des § 331 Abs. 3 ZPO insofern ins Leere, als sie dem Wortlaut nach einen darauf gerichteten "Antrag" des Klägers verlangt. Dieses Erfordernis wäre überflüssig, wenn ein solches Begehren ohne weiteres schon dem in der Klageschrift enthaltenen Sachantrag zu entnehmen wäre.

Gleichwohl ist die in Nr. 3105 S. 2 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG geregelte Terminsgebühr angefallen. Denn sie setzt dem Wortlaut nach gerade keine Antragstellung des Anwalts voraus, sondern stellt allein darauf ab, dass "eine Entscheidung gemäß § 311 Abs. 3 ZPO ergeht". Um eine solche Entscheidung handelte es sich hier, wie das Rubrum des Versäumnisurteils des Landgerichts Gera vom 03.08.2005 ausdrücklich ausweist. Zwar mag der gesetzlichen Gebührenregelung die Vorstellung zugrunde liegen, dass bei Erlass des Versäumnisurteils im Regelfall die hierzu vorgeschriebenen Formalien, wie die einer entsprechenden Antragstellung, eingehalten sind. Gleichwohl gilt hier, wie auch sonst in kostenrechtlichen Tatbeständen, dass der Gebührenanfall als solcher allein an ein formales Prozessmerkmal - den Erlass der Entscheidung - anknüpft, ohne dass die dafür maßgebenden Voraussetzungen gesondert zu hinterfragen wären. In strukturell vergleichbarer Weise lösen beispielsweise die im Kostenverzeichnis des GKG kasuistisch aufgeführten Gerichtsentscheidungen gerichtliche Gebühren selbst dann aus, wenn sie in prozesswidriger Weise ergangen sind. In systematischer Hinsicht rechtfertigt sich dieser Ansatz schon dadurch, dass es nicht Aufgabe der Kostenfestsetzungsinstanzen sein kann, Entscheidungen des Prozessgerichts auf ihre Verfahrenskonformität hin zu überprüfen.

c) Im Übrigen entspricht dieses Ergebnis nicht nur dem Gesetzeswortlaut, sondern auch der sachlich gebotenen Interessenwertung. Da in der Klageschrift ein Säumnisantrag nicht gestellt war, hätte die Kammer nach § 139 ZPO die Klägerin auf die Möglichkeit eines solchen hinweisen müssen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 331, Rn. 16 mit Nachw.), um so auf den vorgeschriebenen Verfahrensablauf einer Antragstellung durch deren Prozessbevollmächtigten hinzuwirken. Dagegen brauchten diese mit einem vorzeitigen Erlass eines Versäumnisurteils nicht zu rechnen, weshalb sie durch diese überraschende Entwicklung gebührenrechtlich nicht schlechter gestellt werden dürfen. Umgekehrt gab es aus Sicht des Beklagten keine Möglichkeit, auf verfahrenskonformen Wege den Anfall einer 0,5-Terminsgebühr im Sinne der Nr. 3105 VV RVG gänzlich zu vermeiden. Er ist durch die Festsetzung dieser Gebühr somit im Ergebnis nicht benachteiligt.

Auf die sofortige Beschwerde war der angefochtene Beschluss abzuändern.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Den Wert des Beschwerdeverfahrens hat der Senat nach dem mit dem Rechtsmittel verfolgten Kosteninteresse bemessen.

4. Aufgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, die schon aufgrund der Divergenz der vorliegenden Entscheidung gegenüber der vom OLG Düsseldorf vertretenen Auffassung berührt ist, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 574 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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