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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 30.08.2007
Aktenzeichen: 1 KO 330/06
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 3
BauNVO § 4 Abs. 3
1. Die durch die Unterschrift auf den Bauvorlagen erklärte Zustimmung des Nachbarn zu einem Bauvorhaben ist hinfällig, wenn das Vorhaben nachträglich in einer Weise abgeändert wird, die sich nachteilig auf die Belange des Nachbarn auswirkt.

2. Das die Zulässigkeit von Anlagen im allgemeinen Wohngebiet einschränkende Kriterium der "Gebietsverträglichkeit" bezieht sich nicht nur auf die Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 3 BauNVO, sondern gilt auch für die nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 regelhaft zulässigen Anlagen und Nutzungen.

3. Maßgebend für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit ist, ob das Vorhaben - bezogen auf den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets - störend wirkt. Nicht entscheidend für das Vorliegen einer in diesem Sinne gebietsunüblichen Störung ist, ob die jeweils geltenden immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden (wie BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 C 1.02 -, BVerwGE 116, 155).

4. Ein Dialysezentrum stellt keine in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässige Anlage für gesundheitliche Zwecke dar, wenn es aufgrund seiner Größe und Betriebsweise mit einem An- und Abfahrtsverkehr verbunden ist, durch den eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineingetragen wird (hier: Zentrum mit 33 Behandlungsplätzen und Zwei-Schicht-Betrieb von 6.00 bis 18.00 Uhr an sechs Tagen in der Woche).


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 1. Senat - Im Namen des Volkes Urteil

1 KO 330/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (hier: Berufung)

hat der 1. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Schwan, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hüsch und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Preetz im schriftlichen Verfahren am 30. August 2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 19. Januar 2006 - 4 K 779/04 Ge - werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und der Beigeladene haben die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte zu tragen; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte und der Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte und der Beigeladene wenden sich mit der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gera, durch das einer Nachbarklage der Kläger stattgegeben und die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Dialysezentrums aufgehoben worden ist.

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Zur L (Flurstück a der Flur 2 der Gemarkung Drackendorf). Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks Zur L (Flurstück b der Flur 2 der Gemarkung Drackendorf), das sich auf der gegenüber liegenden Straßenseite befindet. Für das Gebiet existiert ein Bebauungsplan Nr. B-Dd 07 Wohngebiet "Am Drackendorf-Center", welcher für das Grundstück des Beigeladenen und der Kläger ein allgemeines Wohngebiet ausweist.

Der Beigeladene beantragte am 15.08.2000 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Dialysezentrums auf seinem Grundstück. Ausweislich der jeweils vom Kläger zu 2) unterschriebenen Bauvorlagen sollte das Dialysezentrum über 24 Behandlungsplätze verfügen. Vorgesehen waren insgesamt 14 Stellplätze, davon 6 im unteren - westlichen - Eingangsbereich Richtung des Einkaufszentrums "Drackendorf-Center" und 8 östlich des geplanten Gebäudes. In den Bauvorlagen ist gestrichelt eine so genannte Erweiterungsmöglichkeit eingezeichnet. Am 26.01.2001 erteilte die Beklagte die begehrte Baugenehmigung, die den Klägern nicht zugestellt wurde. Im Sommer 2001 begannen die Bauarbeiten für das Vorhaben.

Am 24.08.2001 reichte der Beigeladene eine "Tektur zum Baugesuch" ein. Vorgesehen war nunmehr die Errichtung eines Dialysezentrums mit 33 Behandlungsplätzen und 17 Stellplätzen, davon 10 im östlichen Grundstücksteil. Die Beklagte genehmigte das geänderte Vorhaben durch einen sog. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 05.11.2001. Weder die geänderten Bauvorlagen noch die Nachtragsgenehmigung wurden den Klägern bekannt gegeben. Der Beigeladene zeigte am 29.11.2001 die bevorstehende Fertigstellung des Rohbaus an; am 13.12.2001 erfolgte die Rohbauabnahme.

Nachdem das Dialysezentrum im Oktober 2002 in Betrieb gegangen war, kam es zu Nachbarschaftsbeschwerden. Die Kläger nahmen am 15.11.2002 beim Bauordnungsamt Einsicht in die Baugenehmigungsunterlagen und wiesen gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 18.11.2002 und vom 11.12.2002 darauf hin, dass die im Gebiet herrschende Wohnruhe in unzumutbarer Weise gestört werde. Störend sei insbesondere der mit dem Betrieb des Dialysezentrums verbundene Kraftfahrzeugverkehr.

Mit Schreiben vom 21.04.2003, das bei der Beklagten am 22.04.2003 einging, erhoben die Kläger Widerspruch gegen die Baugenehmigung, den das Thüringer Landesverwaltungsamt durch Widerspruchsbescheid vom 10.05.2004 zurückwies.

Am 10.06.2004 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Gera Klage erhoben und beantragt,

die Baugenehmigung der Beklagten vom 26.01.2001 in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 05.11.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 aufzuheben;

hilfsweise, die Nachtragsbaugenehmigung vom 05.11.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 aufzuheben.

Die Beklagte und der Beigeladene sind der Klage entgegengetreten.

Das Verwaltungsgericht hat dem Klagebegehren durch Urteil vom 19.01.2006 entsprochen und die angefochtene Baugenehmigung aufgehoben. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt:

Der Zulässigkeit der Klage stehe nicht entgegen, dass der Kläger zu 2) am 07.08.2000 auf diversen Bauvorlagen unterschrieben habe. Die in einer Nachbarunterschrift liegende Zustimmung zu einem Bauvorhaben werde gegenstandslos, wenn der Bauherr sein Vorhaben in einer Weise ändere, die sich nicht ausschließlich zugunsten des Nachbarn auswirke. Dies sei hier der Fall. Mit der Aufstockung der Kapazität von 24 auf 33 Behandlungsplätze habe sich die Frage der Gebietsverträglichkeit des Vorhabens neu gestellt. Der Kläger zu 2) habe den Umfang der geplanten Erweiterung auch nicht schon anhand der ursprünglichen Bauvorlagen erkennen können, denn sie werde dort lediglich in Form einer gestrichelten Linie dargestellt.

Der Widerspruch der Kläger sei nicht verfristet. Sie hätten ihr Widerspruchsrecht und damit im Ergebnis ihr Klagerecht auch nicht verwirkt. Sie hätten ihren Erkundungspflichten genügt, als sie nach Inbetriebnahme des Dialysezentrums Anfang November 2002 aus ihrer Sicht erhebliche Beeinträchtigungen festgestellt und Akteneinsicht genommen hätten. Da ihnen aber auch nach der Einsichtnahme im Bauordnungsamt die Baugenehmigung nicht förmlich bekannt gegeben worden sei, habe allenfalls die Jahresfrist nach den §§ 70, 58 VwGO zu laufen begonnen; diese sei ersichtlich eingehalten worden. Aus dem Beginn der Bauarbeiten hätten die Kläger nicht zuverlässig den Schluss ziehen können, dass es hier eine vom ursprünglichen Bauantrag abweichende Baugenehmigung gebe. Der Kläger zu 2) sei nicht in der Lage gewesen, durch Einsichtnahme in die Bauvorlagen zu überprüfen, ob Änderungen an dem Vorhaben vorgenommen worden seien, denn die Bauvorlagen seien nach Unterschriftsleistung seinerzeit von einem Beauftragten des Beigeladenen wieder mitgenommen worden.

Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die zu einer Verwirkung des Widerspruchsrechts der Kläger vor Ablauf der Jahresfrist hätten führen können. Die Kläger hätten sich nach Inbetriebnahme des Dialysezentrums umgehend an die Beklagte gewandt und Beschwerden vorgebracht. Die Beklagte und der Beigeladene hätten nicht darauf vertrauen können, dass die Kläger sich mit der erteilten Baugenehmigung in Gestalt der Tekturgenehmigung endgültig abgefunden hätten.

Die Klage habe auch in der Sache Erfolg. Das genehmigte Dialysezentrum sei in dem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet unzulässig, so dass die Baugenehmigung in Gestalt der Nachtragsgenehmigung zugleich gegen den Anspruch der Kläger auf Bewahrung der Gebietsart verstoße.

Bedenken gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplanes "Am Drackendorf-Center" bestünden nicht deshalb, weil dieser bezüglich der Anzahl der Vollgeschosse die Festsetzung II + I D bzw. I + I D treffe. Zwar sei die Verwendung des Planzeichens D im Zusammenhang mit der Festsetzung der zulässigen Geschosszahl mangels Ermächtigungsgrundlage ungültig. Sie sei hier ausweislich des Plans jedoch lediglich in dem Sinne zu verstehen, dass das zweite bzw. dritte zulässige Vollgeschoss ein Dachgeschoss sein solle. Der Plangeber habe gerade nicht die Festsetzung der Geschosszahl in der Weise I + D getroffen, sondern die Festsetzung I + I D gewählt. Der Verwendung des Planzeichens D komme kein eigenständiger Regelungsgehalt zu. Bereits aus den anderen Festsetzungen im Bebauungsplan über das Maß der baulichen Nutzung ergebe sich hinreichend deutlich, dass das zweite bzw. dritte zulässige Vollgeschoss nur als Dachgeschoss errichtet werden könne. So betrage nach der textlichen Festsetzung Ziffer 3.2.2 die zulässige Traufhöhe bei drei zulässigen Vollgeschossen 7,5 m über Oberkante Erschließungsstraße und bei zwei zulässigen Vollgeschossen talseitig 5,6 m ab der natürlichen Geländeoberkante; die Höhe des Kniestocks dürfe nach der textlichen Festsetzung Ziff. 3.1.4 bei drei zulässigen Vollgeschossen 0,6 m und bei zwei zulässigen Vollgeschossen 0,5 m betragen. Aus diesen textlichen Festsetzungen ergebe sich angesichts einer zugleich unter Ziffer 3.1.1 vorgeschriebenen Dachneigung von 35 bis 45 Grad, dass das letzte Vollgeschoss nur als Dachgeschoss habe errichtet werden können. Insoweit habe der Plangeber gerade von der Möglichkeit gemäß § 16 Abs. 3 BauNVO Gebrauch gemacht und die Höhe baulicher Anlagen zwingend als Höchstgrenze definiert. Der Sache nach habe er die Zahl der Vollgeschosse auf II bzw. III festgesetzt.

In dem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet sei das dem Beigeladenen genehmigte Dialysezentrum aufgrund mangelnder Gebietsverträglichkeit nicht als Anlage für gesundheitliche Zwecke nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Der Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets werde entscheidend dadurch geprägt, dass es nach Möglichkeit ein ungestörtes Wohnen gewährleisten solle. Die mit dem Betrieb des Dialysezentrums in der hier genehmigten Größe typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung führten dazu, dass der Betrieb mit dem Charakter eines Wohngebietes nicht verträglich sei. Bei einem Zweischichtbetrieb sei von etwa 66 behandelten Patienten pro Tag auszugehen, die das Dialysezentrum alle mit dem Pkw bzw. Krankenwagen aufzusuchen hätten. Dieser Ziel- und Quellverkehr verteile sich nicht gleichmäßig auf den Tag; aufgrund des Schichtbetriebes sei vielmehr von Stoßzeiten auszugehen. Selbst wenn man insoweit zu Gunsten des Beigeladenen unterstelle, dass man sich im Rahmen des so genannten Fahrtkostenmanagements bemühe, die Taxianreisen zu koordinieren, verbleibe doch ein nicht unerheblicher Zu- und Abgangsverkehr. Zu berücksichtigen seien außerdem die im Untergeschoss des Gebäudes nach den genehmigten Bauantragsunterlagen betriebenen zwei Arztpraxen, die ersichtlich nicht nur der Betreuung der im Dialysezentrum behandelten Patienten dienten, sondern einen weit größeren Personenkreis ansprächen. Hinzu kämen Warenanlieferungen, die regelmäßig erforderlich werdenden Entsorgungen durch Müllfahrzeuge und die An- und Abfahrt der Mitarbeiter des Zentrums. In seiner Gesamtheit bringe dieser Ziel- und Quellverkehr eine erhebliche Unruhe in das Gebiet und habe negative Auswirkungen auf die im allgemeinen Wohngebiet erstrebte gebietsbezogene Wohnruhe. Die Zweckbestimmung des Gebiets werde dadurch in Frage gestellt, zumal es sich um ein Wohngebiet handele, in dem es dem Plangeber in besonderem Maße darum gegangen sei, den Ruhebedürfnissen der Wohnbevölkerung entgegen zu kommen.

Das Urteil, in dem das Verwaltungsgericht die Berufung zugelassen hat, ist der Beklagten und dem Beigeladenen jeweils am 14.03.2006 zugestellt worden. Die Beklagte hat gegen das Urteil am 05.04.2006 Berufung eingelegt, der Beigeladene am 11.04.2006.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor:

Die Klage sei bereits unzulässig, da die Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auf Rechtsbehelfe gegen die Baugenehmigung verzichtet hätten.

Für die Kläger sei bereits zum Zeitpunkt der Unterschrift des Klägers zu 2) anhand der Pläne erkennbar gewesen, dass die Behandlungskapazität vergrößert werden solle. Zudem gehe es ihnen nur um die angeblich durch die Erweiterung hervorgerufene Erhöhung des Quell- und Zielverkehrs, die aber relativ geringfügig ausfalle. Nach dem ursprünglichen Bauantrag sei bei funktionsgerechter Nutzung des Dialysezentrums von einer wöchentlichen Belegung eines Patientenbettes mit bis zu fünf Patienten auszugehen, die jeweils dreimal pro Woche behandelt würden. Dies ergebe bei 24 Behandlungsplätzen einen von den Klägern genehmigten durchschnittlichen täglichen Ziel- und Quellverkehr von 60 Patienten; rechne man den Ziel- und Quellverkehr des Personals und den Liefer- und Entsorgungsverkehr hinzu, hätten die Kläger durch die Unterschrift einem täglichen Ziel- und Quellverkehr von je 77 An- und Abfahrten zugestimmt. Demgegenüber sei bei dem jetzigen Zweischichtbetrieb des Dialysezentrums mit seinen 33 Betten und täglich zwei betreuten Patienten pro Bett ein täglicher Ziel- und Quellverkehr von 83 Fahrzeugen zu verzeichnen. Es widerspreche Treu und Glauben, wenn sich die Kläger bei einer gerade 7%igen Erhöhung des Verkehrs nunmehr gegen die Erweiterung des Vorhabens wendeten, nur weil sie sich das Ausmaß der Belastung seinerzeit nicht bewusst gemacht hätten.

Darüber hinaus verstoße der Bau auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts. Das Dialysezentrum sei im allgemeinen Wohngebiet als Anlage für gesundheitliche Zwecke im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Bei einer Anlage nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zusätzlich das Merkmal der besonderen Gebietsverträglichkeit heranzuziehen; dieses Erfordernis beziehe sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur auf die Ausnahmetatbestände des § 4 BauNVO. Die in § 4 Abs. 2 BauNVO genannten Vorhaben könnten allenfalls ausnahmsweise nach § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig sein, dessen Voraussetzungen hier aber nicht vorlägen. Die Baugenehmigung schreibe zum Schutz der Nachbarn die Einhaltung der nach der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete geltenden Lärm-Immissionsrichtwerte vor; ausweislich des vorliegenden Lärmgutachtens werde diese Auflage auch erfüllt. Außerdem widerspreche das Dialysezentrum weder nach Lage noch nach Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des allgemeinen Wohngebiets. Das Gebiet sei bereits stark durch das angrenzende Einkaufszentrum Drackendorf-Center vorbelastet, so dass an die Gebietsverträglichkeit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften. Zu nennen sei etwa der Aldi-Markt, dessen Anlieferzone besonders nahe am Wohngebiet liege; hier befänden sich auch Stellplätze. Im Vergleich dazu stelle das Dialysezentrum mit 33 Betten eine geringe Belästigung der Nachbarschaft dar. Die ihm zurechenbaren Störungen der Wohnruhe beschränkten sich im Wesentlichen auf bestimmte Stoßzeiten.

Im Übrigen könne allenfalls der über die Zahl von 24 Behandlungsplätzen hinausgehende Teil der Baugenehmigung rechtswidrig sein, so dass auch nur eine teilweise Aufhebung der Baugenehmigung in Betracht komme. Der Erweiterungsbau könne beseitigt werden, ohne dass sich die Grundabmessungen der Ausgangsplanung oder das Dach veränderten.

Der Beigeladene ist ebenfalls der Auffassung, dass die Nachbarklage bereits unzulässig sei. Den Klägern fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da sie mit der Unterzeichnung der Planunterlagen dem Vorhaben zugestimmt und damit auf die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Abwehrrechte verzichtet hätten. Die Zustimmung der Kläger sei durch die Genehmigung der beantragten Tektur nicht gegenstandslos geworden. Die Kläger hätten einer Planung zugestimmt, die bereits die zukünftige Erweiterung konkret beschrieben und damit eine mögliche Änderung der Baugenehmigung vorweg genommen habe. Die von vornherein geplante Erweiterung sei entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts nicht lediglich in Form einer gestrichelten Linie dargestellt worden. Vielmehr seien in den Bauvorlagen die konkreten Maße des Baukörpers einschließlich der Maße für die geplante Erweiterung eingezeichnet gewesen. Somit sei das Ausmaß einer möglichen Erweiterung wie auch die damit verbundene Benutzung der Wohngebietsstraße für den Andienungsverkehr erkennbar gewesen. Die Kläger hätten auch davon ausgehen müssen, dass die geplante Erweiterung eine Erhöhung der Bettenzahl nach sich ziehen werde. Unerheblich sei, dass die hinzukommende Bettenkapazität sich aus den vorhandenen Planunterlagen nicht exakt habe ermitteln lassen. Aufgrund des mit der Zustimmung gesetzten Vertrauenstatbestandes sei es Sache des Nachbarn, sich bei unklaren Angaben in den Planunterlagen nach der geplanten Erweiterung näher zu erkundigen. Die Kläger hätten dies offenbar deshalb nicht getan, weil sie den Kapazitäten des geplanten Dialysezentrums keine Bedeutung beigemessen hätten. Deshalb könne nicht angenommen werden, dass sich ihre Zustimmung lediglich auf die eingezeichneten 24 Dialyseplätze beschränkt habe. Angesichts dessen sei es treuwidrig, nunmehr auf die Überschreitung der genehmigten Kapazität von 24 Betten abzustellen. Die gegenwärtige Situation sei wegen der Reduzierung der Zahl der täglich behandelten Patienten pro Dialyseplatz von 3 auf 2 und des von ihm - dem Beigeladenen - eingeführten Fahrtenmanagements für die Kläger mit geringeren Belästigungen durch Ziel- und Quellverkehr verbunden als von ihnen durch die Unterschrift auf den Bauvorlagen genehmigt.

Außerdem hätten die Kläger den Widerspruch nicht innerhalb der Jahresfrist der §§ 70, 58 VwGO erhoben und deshalb ihre Abwehrrechte verwirkt. Die Kläger hätten spätestens seit der Fertigstellung des Rohbaus im November 2001 davon ausgehen müssen, dass nachträglich ein Erweiterungsvorhaben genehmigt worden sei. Während den ursprünglichen Bauvorlagen eine symmetrische Anordnung des Dachfirstes zugrunde gelegen habe, sei bei dem im November 2001 fertig gestellten Gebäude ein wesentlicher Gebäudeteil an der nördlichen Seite hinzugekommen.

Die Klage sei außerdem unbegründet, denn das Vorhaben verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Das Dialysezentrum zur Behandlung an 33 Dialyseplätzen sei als Anlage für gesundheitliche Zwecke im Allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Von ihm gingen im allgemeinen Wohngebiet, das nur "vorwiegend" dem Wohnen diene, keine Störungen aus, die zu einer Gebietsunverträglichkeit führten. Darüber hinaus sei das allgemeine Wohngebiet hier als Pufferzone zwischen der angrenzenden störenden gewerblichen Nutzung des Einkaufszentrums und dem reinen Wohngebiet bezeichnet worden. Die Wohnnutzungen im allgemeinen Wohngebiet hätten daher von vornherein ein erhöhtes Maß an Lärm und somit an "Wohnunruhe" hinzunehmen. Das Schutzniveau des allgemeinen Wohngebiets sei hier auch nicht durch eine planerische Streichung der ansonsten nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässigen Nutzungen angehoben worden. Auch sei bereits im Bebauungsplan für das Baufeld des Dialysezentrums ein größeres Maß an baulicher Nutzung als auf den benachbarten Grundstücken angelegt gewesen. Die Grundstücke der Nachbarn seien daher planerisch vorbelastet gewesen.

Der Betrieb des Dialysezentrums verursache hier keine gebietsunüblichen Störungen. Die notwendigen An- und Abfahrten konzentrierten sich auf Stoßzeiten und fänden im Wesentlichen in der Zeit von 6.30 bis 7.00 Uhr, 11.30 bis 13.30 Uhr und 16.30 bis 18.30 Uhr statt; in der übrigen Zeit herrsche im Wohngebiet Ruhe. Seit der Nutzung des zentrumsnahen Dialysezentrums im Januar 2006 sei die Nachtschicht im streitgegenständlichen Dialysezentrum eingestellt worden; damit seien die Fahrzeugbewegungen deutlich zurückgegangen. Der Parkplatz auf der Ostseite sei zu Zeiten des Schichtwechsels nicht überfüllt.

Die Fahrbewegungen hätten zudem seit dem erstinstanzlichen Urteil abgenommen, weil er - der Beigeladene - mit den Krankenkassen ein Fahrtkostenmanagement eingeführt habe und im Regelfall mindestens zwei Patienten gemeinsam ein Taxi nutzten. Von den derzeit 85 Patienten nähmen 57 am Fahrtkostenmanagement teil. Insgesamt gebe es an der Ostseite montags, mittwochs und freitags jeweils 48 Zu- und Abfahrten und dienstags, donnerstags und samstags jeweils 23 Zu- und Abfahrten. Der gesamte Kleinlieferverkehr werde über die Westseite abgewickelt. Außerdem werde eine der beiden im verwaltungsgerichtlichen Urteil erwähnten Arztpraxen nicht mehr betrieben. Bei der vorhandenen Praxis handele es sich um eine ambulante nephrologische Sprechstunde, die nur von gehfähigen Patienten aufgesucht werde. Alle gehfähigen Patienten würden an der Westseite an- und abgefahren.

Sein Vorhaben verstoße auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Rücksichtnahmegebot. Die von der Nutzung des Dialysezentrums ausgehenden und damit verbundenen Lärmimmissionen seien den Klägern zumutbar. Nach dem Schallschutzgutachten vom 1.7.2003 stehe fest, dass die Lärmrichtwerte der TA Lärm eingehalten würden. Wenn man sein Vorhaben dennoch unter Hinweis auf den damit verbundenen Lärm als gebietsunverträglich ansehe, stelle dies eine Verkürzung seines Rechtsschutzes dar. Er - der Beigeladene - sei darüber hinaus bemüht, die Lärmsituation für die Anlieger durch organisatorische Maßnahmen (wie z. B. die Errichtung einer Schrankenanlage) weiter zu verbessern.

Schließlich zeige ein Vergleich mit anderen von der Rechtsprechung im allgemeinen Wohngebiet als zulässig angesehenen Vorhaben (z. B. Kindergarten, Pflegeheim für geistig Behinderte, Rettungswache), dass die Kläger überhöhte Anforderungen an die Wohnruhe in einem derartigen Gebiet stellten.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 19.01.2006 - 4 K 779/04 Ge - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus:

Ihre Klage sei zulässig, insbesondere seien sie nicht deshalb an der Einlegung von Rechtsmitteln gehindert, weil der Kläger zu 2) diverse Bauvorlagen unterzeichnet habe. Die ursprünglich geleistete Unterschrift sei dadurch gegenstandslos geworden, dass ihm die Tekturpläne nicht erneut zur Unterschrift vorgelegt worden seien. Die erhebliche Aufstockung der Kapazität von 24 auf 33 Dialysebehandlungsplätze sei nachbarschutzrechtlich grundsätzlich beachtlich; damit stelle sich auch die Frage der Gebietsverträglichkeit des Vorhabens neu. Die Tekturplanung sei auch nicht etwa deshalb irrelevant, weil die späteren Veränderungen in den ursprünglichen Bauvorlagen bereits eingezeichnet gewesen seien. Die geplante Erweiterung werde hier lediglich in Form einer gestrichelten Linie dargestellt, so dass Art und Umfang der Erweiterung nicht erkennbar gewesen seien. Er - der Kläger zu 2) - sei nicht verpflichtet gewesen, sich insoweit näher zu erkundigen. Abgesehen davon binde seine etwaige Zustimmung ohnehin nicht die Klägerin zu 1).

Der Beigeladene könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Dialyse zurzeit lediglich in zwei Schichten betrieben werde. Zum einen sei bereits die Durchführung dieser zwei Schichten mit dem dazu gehörenden Ziel- und Quellverkehr absolut gebietsunverträglich; zum anderen sei denkbar, dass der Beigeladene nach wie vor beabsichtige, bei entsprechender Nachfrage wieder im Drei-Schichten-Rhythmus zu arbeiten. Das vom Beigeladenen angesprochene Fahrtenmanagement führe zu keinerlei Rechtssicherheit dahingehend, dass die Beeinträchtigungen auf Dauer erheblich geringer seien als derzeit.

Sie - die Kläger - hätten ihr Widerspruchsrecht und damit ihr Klagerecht auch nicht verwirkt, da die Jahresfrist zur Zeit der Einlegung des Widerspruchs noch nicht abgelaufen gewesen sei. Aus dem Beginn und Fortschreiten der Bauarbeiten hätten sie nicht zuverlässig den Schluss ziehen können, dass eine vom ursprünglichen Bauantrag abweichende Baugenehmigung vorhanden sei. Auch aus der Größe des Objekts oder der nach Angaben des Beigeladenen ursprünglich symmetrischen Anordnung des Dachfirstes hätten sich ihm - dem Kläger zu 2 - keine Änderungen oder das Vorliegen einer Tekturgenehmigung aufdrängen müssen. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass ein Nachbar sich die symmetrische Anordnung eines Dachfirstes als markantes Merkmal in den Planunterlagen merke.

Ferner lägen keine besonderen Umstände vor, die zu einer Verwirkung ihres Widerspruchs vor Ablauf der Jahresfrist hätten führen können. Sie - die Kläger - hätten sich nach der Inbetriebnahme des Dialysezentrums umgehend an die Beklagte gewandt und Beschwerden vorgebracht und dabei auch grundsätzlich die Einordnung des Dialysezentrums in ein Wohngebiet in Frage gestellt.

Die Baugenehmigung der Beklagten in Gestalt der Nachtragsgenehmigung verletze sie in ihren Nachbarrechten, da das genehmigte Dialysezentrum in einem allgemeinen Wohngebiet aufgrund seiner Gebietsunverträglichkeit nicht zulässig sei. Der derzeitige Betrieb mit eventueller Minderauslastung und Transportoptimierung beseitige die bestehenden Probleme nicht. Die Baugenehmigung lasse einen uneingeschränkten Betrieb zwischen 6.00 und 18.00 Uhr zu. Selbst wenn man von einem Zweischichtbetrieb und 66 behandelten Patienten pro Tag ausgehe, sei ein erheblicher An- und Abfahrtsverkehr insbesondere in Stoßzeiten zu erwarten, der für sich gesehen zur Gebietsunverträglichkeit führe. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Verkehr im Wesentlichen über eine Wohngebietsstraße abgewickelt werde. Der Parkplatz auf der Ostseite sei zu Zeiten des Schichtwechsels überfüllt. Die Zahl der Fahrbewegungen sei weitaus höher als vom Beigeladenen angegeben. Die Zweckbestimmung des förmlich festgesetzten allgemeinen Wohngebiets, bei dem es sich in Teilbereichen sogar um ein reines Wohngebiet handele, werde durch das Dialysezentrum und dessen Betrieb in Frage gestellt. Demgegenüber habe das nahe gelegene Drackendorf-Center entgegen der Darstellung der Beklagten keinerlei negativen Einfluss auf das allgemeine oder reine Wohngebiet.

Bei der Frage, ob eine gebietsunübliche Störung vorliege, komme es nicht auf die Einhaltung der Vorgaben der TA Lärm an, da sonst die einzelfallbezogene Korrekturmöglichkeit des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bereits bei der allgemein zu klärenden Frage der Zweckbestimmung herangezogen würde.

Die Beteiligten haben sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.05.2007 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 16.05.2007 aufgeführten Unterlagen verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat ist zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren befugt, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (vgl. §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen haben in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Nachbarklage der Kläger zu Recht stattgegeben, denn sie ist zulässig (I.) und begründet (II.).

I.

Die Klage ist nicht deshalb unzulässig, weil der Kläger zu 2) dem ursprünglichen Vorhaben durch seine Unterschrift auf verschiedenen Bauvorlagen zugestimmt und dadurch möglicherweise auf Rechtsmittel gegen die Baugenehmigung in der ursprünglichen Fassung vom 26.01.2001 verzichtet hat.

Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin zu 1) sich die Unterschrift ihres Ehegatten - des Klägers zu 2) - überhaupt zurechnen lassen müsste (vgl. dazu verneinend schon den Senatsbeschluss vom 27.06.1994 - 1 EO 133/93 -, ThürVBl. 1995, 64). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Unterschrift des Klägers zu 2) durch die nachträgliche Änderung des am 26.01.2001 genehmigten Vorhabens gegenstandslos geworden ist. Die als "Nachtrag zur Baugenehmigung" bezeichnete Genehmigung vom 05.11.2001 ist nicht zur ursprünglichen Baugenehmigung als weitere selbständige Genehmigung hinzugetreten, sondern hat diese abgeändert. Das ursprünglich geplante Vorhaben ist - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - so nie realisiert worden; vielmehr ist statt des zunächst genehmigten Dialysezentrums mit 24 Behandlungsplätzen nunmehr ein solches mit 33 Behandlungsplätzen genehmigt und errichtet worden.

Durch die Nachtragsgenehmigung ist das Vorhaben auch in einer Weise abgeändert worden, die sich nachteilig auf die Belange der Kläger als Nachbarn auswirkt, denn die Kapazität ist um mehr als ein Drittel und damit wesentlich erhöht worden. Unerheblich ist, dass die bauliche Erweiterung an der vom Grundstück der Kläger abgewandten Seite des Gebäudes vorgenommen werden sollte. Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft gehen hier nicht vom Baukörper selbst oder dessen Nutzung aus, sondern ergeben sich aus der damit einhergehenden Verkehrsbelastung.

Demgegenüber können die Beklagte und der Beigeladene auch nicht darauf verweisen, dass die Kapazitätserweiterung für die Kläger (bzw. hier den Kläger zu 2) bereits anhand der ursprünglichen Pläne hinreichend erkennbar gewesen sei. In den ursprünglichen Plänen war jeweils eine "Erweiterungsmöglichkeit" in Form einer gestrichelten Linie eingetragen worden. Zwar ist dem Beigeladenen einzuräumen, dass die Ausmaße einer möglichen Erweiterung anhand der zeichnerischen Darstellungen bereits recht deutlich erkennbar waren. Nicht erkennbar war für die Nachbarn aber, ob und wann sie mit der lediglich als "geplant" oder auch nur "möglich" bezeichneten Erweiterung des Dialysezentrums zu rechnen hatten und dass diese zu einer Erhöhung der Zahl der Dialyseplätze auf 33 führen würde. Da die geplante Erweiterung noch nicht Gegenstand des Genehmigungsantrags war, bestand für die Nachbarn auch kein Anlass, sich bei der Beklagten oder dem Beigeladenen um ergänzende Informationen zu bemühen. Es wäre vielmehr umgekehrt Sache des Beigeladenen als Bauherrn gewesen, die Kläger näher über die mögliche Erweiterung zu informieren und bereits vorab um Zustimmung zu einer späteren Kapazitätsausweitung zu bitten.

Die Berufung der Kläger auf die mit der Tekturgenehmigung einhergehende Kapazitätserhöhung von 24 auf 33 Betten ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen nicht deshalb treuwidrig, weil die Erweiterung nur mit einer relativ geringfügigen Zunahme des Verkehrs verbunden wäre. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Beklagten errechnete Zunahme des Verkehrs um "nur" 7 % noch als unerheblich angesehen werden könnte. Die Beklagte gelangt zu ihrer Annahme, dass der Verkehr infolge der Kapazitätserhöhung nur um 7 % zunehme, durch einen Vergleich zwischen den Angaben in der dem ursprünglichen Bauantrag beigefügten Baubeschreibung und dem jetzt tatsächlich praktizierten Zwei-Schicht-Betrieb. Dieser hat eine geringere "Belegungsdichte" der einzelnen Behandlungsplätze zur Folge, so dass sich trotz Erhöhung der Kapazität um 37,5 % nur eine relativ geringfügige Zunahme der Verkehrsbelastung errechnet. Die Beklagte übersieht hierbei, dass Gegenstand der Vergleichsbetrachtung nicht das ursprünglich genehmigte Vorhaben einerseits und die heute tatsächlich ausgeübte Nutzung andererseits sind. Zu vergleichen sind vielmehr die mit einer (vollen) Ausnutzung der ursprünglich genehmigten Kapazität und die mit einer entsprechenden Ausnutzung der nachträglich genehmigten höheren Kapazität einhergehenden Verkehrsbelastungen. Die Nachtragsgenehmigung hat lediglich die Errichtung eines Dialysezentrums mit einer größeren Zahl von Behandlungsplätzen erlaubt, ohne die ursprüngliche Baugenehmigung in anderer Weise zu ändern. Insbesondere hat sie weder bestimmt, dass nunmehr nur noch zwei Patienten pro Tag und Behandlungsplatz betreut werden dürfen, noch hat sie die ursprünglich genehmigte Betriebszeit eingeschränkt. Geht man daher für die Berechnung der mit der ursprünglichen Genehmigung verbundenen Belastungen von den Angaben in der Betriebs- und Funktionsbeschreibung des Beigeladenen aus, müssen diese auch der Berechnung der mit der höheren Kapazität einhergehenden Verkehrsbelastung zugrunde gelegt werden. Ausgehend davon errechnet sich bei maximal 5 behandelten Patienten pro Dialyseplatz und drei Behandlungen pro Patient in der Woche bei 24 Behandlungsplätzen ein täglicher Ziel- und Quellverkehr von 60 Patienten, bei 33 Behandlungsplätzen aber ein täglicher Ziel- und Quellverkehr von durchschnittlich 82,5 Patienten. Auch wenn man davon ausgeht, dass der sonstige Ziel- und Quellverkehr gleich bleibt, kann diese mit der Nachtragsgenehmigung einhergehende Verkehrszunahme nicht als unwesentlich angesehen werden. Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn man sowohl für das Dialysezentrum im ursprünglich genehmigten als auch im nachträglich genehmigten Umfang entsprechend dem jetzt praktizierten Zwei-Schicht-Betrieb von nur zwei behandelten Patienten pro Tag und Behandlungsplatz ausgeht. Dann errechnet sich durch die Kapazitätssteigerung ebenfalls eine ins Gewicht fallende Zunahme der Verkehrsbelastung. Unerheblich ist, ob die Zunahme deshalb tatsächlich geringer ausfällt, weil die Genehmigung nicht (mehr) vollen Umfangs ausgenutzt wird.

Entgegen der Auffassung des Beigeladenen kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass das Dialysezentrum ursprünglich im Drei-Schicht-Betrieb arbeitete, inzwischen aber auf einen Zwei-Schicht-Betrieb umgestellt hat. Der Drei-Schicht-Betrieb war, sofern darunter auch ein Betrieb zur Nachtzeit zu verstehen ist, zu keiner Zeit genehmigt worden und damit auch nicht Gegenstand der ursprünglichen Nachbarunterschrift. Entscheidend ist, dass die Erhöhung der Bettenzahl innerhalb der genehmigten Betriebszeiten - wie dargelegt - eine entsprechende Erhöhung der Zahl der behandelten Patienten und damit auch der An- und Abfahrten mit sich bringen kann.

Die Klage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Widerspruch der Kläger gegen die Baugenehmigung verfristet gewesen wäre oder diese ihr Widerspruchsrecht verwirkt hätten.

Die dem Beigeladenen am 05.11.2001 erteilte Nachtragsgenehmigung ist den Klägern nicht in der vorgesehenen Form bekannt gegeben worden, so dass zunächst weder die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO noch die Jahresfrist nach § 70 Abs. 2 i. V. m. § 58 Abs. 2 VwGO zu laufen begonnen hat. Die fehlende ordnungsgemäße Bekanntgabe einer Baugenehmigung hat allerdings nach gefestigter Rechtsprechung für den unmittelbaren Grundstücksnachbarn nicht zur Folge, dass er grundsätzlich zeitlich unbefristet gegen die Baugenehmigung vorgehen kann. Denn das Rechtsverhältnis zwischen unmittelbar benachbarten Grundstückseigentümern ist durch ein besonderes nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben besondere Rücksicht der Nachbarn aufeinander fordert. Der Nachbar des Bauherrn ist danach verpflichtet, durch zumutbares aktives Verhalten mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten. Hat er von der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung, obwohl sie ihm nicht bekannt gegeben geworden ist, auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, muss er sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekannt gegeben worden. Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs richtet sich daher für ihn vom Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung regelmäßig nach den Fristvorschriften des § 70 Abs. 1 und § 58 Abs. 2 VwGO, d. h. er muss seinen Widerspruch - da ihm keine amtliche Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sein wird - regelmäßig innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen. Gleiches gilt regelmäßig für den Fall, dass der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Genehmigung aufdrängen musste und weil es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde - Gewissheit zu verschaffen.

Dann beginnt für ihn die Frist der §§ 70 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Widerspruchs von dem Zeitpunkt ab zu laufen, in dem er zuverlässige Kenntnis von der Genehmigung hätte erlangen müssen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 25.1.1974 - IV C 2.72 - BVerwGE 44, 299 = NJW 1974, 1260 = BRS 28 Nr. 133; dem folgend Senatsurteil vom 26.2.2002 - 1 KO 305/99 -, BRS 65 Nr. 130 = ThürVBl. 2002, 256 = LKV 2003, 35).

Die mithin hier maßgebliche Jahresfrist war zur Zeit der Einlegung des Widerspruchs der Kläger am 22.04.2003 noch nicht abgelaufen, da die Kläger erst im November 2002 anlässlich der Einsichtnahme in die Bauunterlagen zuverlässig Kenntnis von der Existenz der Nachtragsgenehmigung hatten oder hätten haben müssen. Entgegen der Auffassung des Beigeladenen mussten sie nicht schon seit der Fertigstellung des Rohbaus im November 2001 davon ausgehen, dass nachträglich eine Erweiterung des ursprünglichen Vorhabens genehmigt worden war. Die Kläger hatten zu dieser Zeit keine Möglichkeit, die Übereinstimmung des realisierten Vorhabens mit der ursprünglichen Genehmigung und den ihr zugrunde liegenden Bauvorlagen zu überprüfen, denn ihnen standen entsprechende Unterlagen nicht zur Verfügung. Die vom Kläger zu 2) im August 2000 unterschriebenen Bauvorlagen waren nicht (auch nicht in Kopie) bei ihm verblieben; die Baugenehmigung vom 26.01.2001 wurde den Klägern nicht zur Kenntnis gegeben. Der Beigeladene kann in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass der ursprüngliche Dachfirst symmetrisch angeordnet gewesen sei, während bei dem im November 2001 fertig gestellten Gebäude ein wesentlicher Gebäudeteil an der nördlichen Seite hinzugekommen sei. Die Abweichung von den ursprünglich genehmigten Bauvorlagen war hier nicht so erheblich, dass sie den Nachbarn, denen die Bauvorlagen einige Zeit vorher zur Unterschrift vorgelegt worden waren, ohne weiteres hätten auffallen müssen. Insbesondere kann von einem Nachbarn nicht erwartet werden, dass er sich Details wie die ursprünglich symmetrische Anordnung des Dachfirsts einprägt und eine geänderte Bauausführung zum Anlass nimmt, sich nach einer möglichen Nachtragsgenehmigung zu erkundigen. Es wäre umgekehrt Sache des Beigeladenen als Bauherrn gewesen, die betroffenen Nachbarn über die Änderungen ihres Vorhabens in Kenntnis zu setzen.

Die Kläger haben ihr Widerspruchsrecht auch nicht verwirkt. Die Verwirkung des Widerspruchsrechts des Nachbarn setzt grundsätzlich voraus, dass der Bauherr aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Nachbarn darauf vertrauen durfte, dieser werde das Widerspruchsrecht nach so langer Zeit nicht mehr ausüben (vgl. schon Senatsbeschluss vom 28.07.1993 - 1 EO 1/93 -, LKV 1994, 110 sowie zuletzt Senatsbeschluss vom 20.12.2004 - 1 EO 1077/04 - juris; zur Verwirkung des materiellen nachbarlichen Abwehrrechts vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16.05.1991 - 4 C 4.89 -, BRS 52 Nr. 218 = NVwZ 1991, 1182 = UPR 1991, 345). Eine Verwirkung des verfahrensrechtlichen Widerspruchsrechts innerhalb eines kürzeren Zeitraums als der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO kommt nur in Betracht, wenn sich aus besonderen Umständen nach Treu und Glauben eine Pflicht des Nachbarn erkennen lässt, innerhalb eines kürzeren Zeitraums abschließend zu prüfen, ob er sich gegen die Baugenehmigung wenden will (vgl. Senatsbeschluss vom 28.07.1993, a. a. O.). Derartige Umstände liegen hier nicht vor. Die Kläger haben im Gegenteil bereits seit November 2002 deutlich gemacht, dass sie sich mit dem Betrieb des Dialysezentrums in der derzeitigen Form nicht abfinden wollen und sich die Möglichkeit eines Widerspruchs vorbehalten.

II.

Die Klage ist auch begründet. Die Baugenehmigung vom 26.01.2001 in Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 05.11.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2004 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des genehmigten Vorhabens beurteilt sich nach § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO, denn das Baugrundstück liegt innerhalb des Geltungsbereichs des qualifizierten Bebauungsplans "Am Drackendorf-Center", der hier ein allgemeines Wohngebiet ausweist. Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit dieses Plans bestehen nicht. Insbesondere kann mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen werden, dass die problematische Vollgeschossregelung nicht die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge hat, weil dem verwendeten unzulässigen Planzeichen "D" kein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt. Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (UA S. 14 - 17) an und sieht gemäß § 130b Satz 2 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

In dem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet ist das dem Beigeladenen genehmigte Dialysezentrum seiner Art nach unzulässig. Allerdings kann es sich bei einem Dialysezentrum als Gemeinbedarfsanlage grundsätzlich um eine Anlage für gesundheitliche Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO handeln, die im allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig ist. Das genehmigte Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen fällt aber nicht darunter, da es nicht gebietsverträglich ist.

Das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit ergibt sich aus der spezifischen Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets, an der das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu messen ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 C 1.02 -, BVerwGE 116, 155 = NVwZ 2002, 1118 = BRS 65 Nr. 63 m. w. N.). Das allgemeine Wohngebiet dient gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO "vorwiegend dem Wohnen". Sein Gebietscharakter wird dadurch geprägt, dass es nach Möglichkeit ein ungestörtes Wohnen gewährleisten soll. Diese allgemeine Zweckbestimmung des Wohngebiets darf durch ein Vorhaben nicht beeinträchtigt werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten bezieht sich das die Zulässigkeit von Anlagen im allgemeinen Wohngebiet einschränkende Kriterium der "Gebietsverträglichkeit" nicht nur auf die Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 3 BauNVO, sondern gilt auch für die nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO regelhaft zulässigen Anlagen und Nutzungen. Auch diese "an sich" im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Anlagen müssen nach Art und Umfang gebietstypisch sein und dürfen die allgemeine Zweckbestimmung des Gebiets, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht gefährden. Dies gilt etwa für die in § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO aufgeführten Sportanlagen (so ausdrücklich BVerwG, Beschluss vom 02.07.1991 - 4 B 1.91 -, NVwZ 1991, 982 = UPR 1991, 389 = BRS 52 Nr. 64). Für die sonstigen dort genannten Anlagen kann nichts anderes gelten. Dies entspricht auch dem erkennbaren Willen des Verordnungsgebers, wie er anlässlich der Einbeziehung der Anlagen für sportliche Zwecke in diese Bestimmung durch die 4. Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 23.01.1990 (BGBl I S. 127) zum Ausdruck gekommen ist. So heißt es in der Begründung des zugrundeliegenden Entwurfs (Bundesrats-Drucksache, 354/89, S. 45):

"Die Einbeziehung der Anlagen für sportliche Zwecke in die allgemeine Zulässigkeit nach Absatz 2 Nr. 3 soll diese Anlagen den dort bezeichneten Infrastruktureinrichtungen (Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke) gleichstellen. (...) Wie bei diesen Infrastruktureinrichtungen müssen auch die Anlagen für sportliche Zwecke nach Art und Umfang gebietstypisch sein"

Die Beklagte beruft sich im Übrigen für ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf das bereits erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2002 - 4 C 1.02 - (a. a. O.), das sich mit der Zulässigkeit von nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise im allgemeinen Wohngebiet zulässigen Anlagen befasst.

Wenn es dort heißt, das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit bestimme nicht nur die regelhafte Zulässigkeit, sondern "erst recht" den vom Verordnungsgeber vorgesehenen Ausnahmebereich, besagt dies gerade, dass das Erfordernis nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch für die regelhaft zulässigen Anlagen gilt.

Maßgebend für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit ist, ob das Vorhaben - bezogen auf den dargelegten Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets - aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt (vgl. Senatsurteil vom 20.11.2002 - 1 KO 817/01 -, UPR 2003, 451 = ThürVBl. 2003, 277 = BRS 65 Nr. 86; zu diesem Kriterium der "gebietsunüblichen Störung" vgl. auch schon BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 C 1.02 -, a. a. O.). Dabei sind alle mit der Zulassung des Vorhabens typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung zu berücksichtigen; zu diesen für die Gebietsverträglichkeit wesentlichen Merkmalen kann auch der mit der jeweiligen Nutzung regelmäßig verbundene Zu- und Abfahrtsverkehr gehören (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.10.1990 - 4 B 121/90 - NVwZ 1991, 267 = BRS 50 Nr. 58; Senatsurteil vom 20.11.2002 - 1 KO 817/01 -, a. a. O.). Nicht entscheidend für das Vorliegen einer "gebietsunüblichen Störung" ist, ob die für die jeweilige Nutzung geltenden immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. Das dem Wohngebiet immanente "Ruhebedürfnis" ist nicht gleichbedeutend mit einer immissionsschutzrechtlich relevanten Lärmsituation (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.2002 - 4 C 1.02 -, a. a. O.). Deshalb kann ein Vorhaben auch dann wegen des mit ihm verbundenen An- und Abfahrtverkehrs als gebietsunverträglich anzusehen sein, wenn die nach der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete vorgesehenen Lärmrichtwerte nicht überschritten werden. Dies stellt entgegen der Auffassung des Beigeladenen keine "Verkürzung" seines Rechtsschutzes dar, sondern ergibt sich aus der unterschiedlichen Funktion des Kriteriums der Gebietsverträglichkeit einerseits und der einzelfallbezogenen Korrekturmöglichkeit durch § 15 Abs. 1 BauNVO andererseits.

Nach diesen Maßstäben stört das Dialysezentrum des Beigeladenen den Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebiets. Zwar beeinträchtigt der eigentliche Dialysebetrieb die Wohnruhe in der näheren Umgebung nicht. Der Betrieb des Dialysezentrums in der genehmigten Größe ist aber mit einem An- und Abfahrtsverkehr verbunden, der eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineinträgt und mit dem Charakter des festgesetzten allgemeinen Wohngebiets nicht verträglich ist. Auszugehen ist dabei von der Verkehrsbelastung, die sich bei voller Ausnutzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung ergibt. Soweit sich die Verkehrsbelastung in der Zwischenzeit dadurch reduziert haben sollte, dass die Baugenehmigung nicht mehr in vollem Umfang ausgenutzt wird, hat dies im vorliegenden Verfahren außer Betracht zu bleiben.

Geht man von den Angaben des Beigeladenen in der Betriebs- und Funktionsbeschreibung aus, errechnet sich bei 33 genehmigten Behandlungsplätzen - wie bereits dargelegt - ein täglicher Ziel- und Quellverkehr von 82,5 Patienten. Die in der Betriebs- und Funktionsbeschreibung genannten Zahlen (fünf Patienten pro Dialyseplatz, drei wöchentliche Behandlungen pro Patient) werden sich allerdings innerhalb der genehmigten Betriebszeiten von 6.00 bis 18.00 Uhr kaum erreichen lassen. Bei einer durchschnittlichen Dauer jeder Dialyse von ca. 4 - 5 Stunden können (unter Berücksichtigung der Vor- und Nachbereitungszeit) an jedem Dialyseplatz innerhalb der genehmigten Betriebszeiten täglich nur zwei Patienten behandelt werden. Eine intensivere Nutzung der einzelnen Dialyseplätze, die bei Überschreitung der genehmigten Betriebszeiten möglich wäre, hat aber ebenso außer Betracht zu bleiben wie der bereits erwähnte Verzicht auf eine volle Ausnutzung der Baugenehmigung. Auszugehen ist daher von einem täglichen Ziel- und Quellverkehr von höchstens 66 Patienten. Die Dialysepatienten werden mit Kraftfahrzeugen (in der Regel Taxis, zum Teil auch Krankenwagen) zur Dialysebehandlung gebracht und nach Ende der Behandlung wieder abgeholt. Würde jeder Patient einzeln angefahren und wieder abgeholt, wäre bei voller Belegung des Dialysezentrums mit täglich 132 An- und Abfahrten zu rechnen. Auch wenn man zugunsten des Beigeladenen davon ausgeht, dass zwei der Betten nur für Infektionsfälle vorgehalten werden und wegen des zwischenzeitlich eingeführten sog. Fahrtkostenmanagements nicht jeder Patient einzeln angefahren wird, verbleibt noch ein erheblicher täglicher An- und Abfahrtsverkehr. Dieser Verkehr konzentriert sich nach den insoweit übereinstimmenden Angaben des Beigeladenen und der Kläger auf die Zeiten von 6.30 bis 7.00 Uhr, 11.30 bis 13.30 Uhr und 16.30 bis 18.30 Uhr. In den übrigen Zeiten findet kein nennenswerter An- und Abfahrtsverkehr statt, wie sich auch bei der am 16.05.2007 ab 15.00 Uhr an Ort und Stelle durchgeführten mündlichen Verhandlung des Senats gezeigt hat. Hinzu kommt der durch Ver- und Entsorgungsfahrzeuge verursachte Verkehr, der nach der Genehmigung über die Ostseite des Grundstücks abgewickelt werden darf bzw. soll; so befindet sich etwa der Müllentsorgungsplatz, dessen Verlegung der Beigeladene angeboten hat, nach den genehmigten Bauvorlagen ebenfalls auf der Ostseite des Grundstücks.

Vor allem während der genannten Stoßzeiten wird durch den mit dem Betrieb des Dialysezentrums verbundenen Ziel- und Quellverkehr eine erhebliche Unruhe in das Wohngebiet hineingetragen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Verkehr in den Morgenstunden schon vor 7.00 Uhr stattfindet und dass das Dialysezentrum an sechs Tagen in der Woche - auch an Feiertagen - betrieben wird. Zwar liegt das Dialysezentrum am westlichen Rand des allgemeinen Wohngebiets und in unmittelbarer Nähe eines Einkaufszentrums; der Haupteingang für die Patienten befindet sich aber an der Ostseite des Gebäudes. Dies hat zur Folge, dass neben dem Ver- und Entsorgungsverkehr auch der von den Patienten herrührende Ziel- und Quellverkehr bestimmungsgemäß im Wesentlichen über die Wohngebietsstraße abgewickelt wird. Die Patienten werden mit Taxis oder Krankenwagen über die an der Wohngebietsstraße gelegene Einfahrt bis zum Haupteingang des Gebäudes gefahren; die Taxis oder Krankenwagen können auf der davor befindlichen Freifläche rangieren und wenden. Sollen Patienten abgeholt werden, können die Fahrzeuge die hier vorhandenen Stellplätze nutzen, um auf die Patienten zu warten. Soweit der Beigeladene demgegenüber darauf hinweist, dass gehfähige Patienten inzwischen nur noch an die Westseite des Gebäudes gebracht würden, hat dies außer Betracht zu bleiben. Die streitgegenständliche Genehmigung enthält keine entsprechende Einschränkung; ob diese überhaupt praktikabel und kontrollierbar wäre, mag dahinstehen.

Die mit dem über die Wohngebietsstraße abgewickelten Zu- und Abfahrtsverkehr auch in den frühen Morgenstunden und an Feiertagen verbundenen Störungen der Wohnruhe gehen über das hinaus, was in einem allgemeinen Wohngebiet noch hingenommen werden muss. Dies gilt auch dann, wenn man zugunsten des Beigeladenen unterstellt, dass der durch das Personal verursachte Verkehr über die Westseite des Grundstücks abgewickelt wird und eine der in der erstinstanzlichen Entscheidung genannten beiden Arztpraxen inzwischen an einen Standort außerhalb des Wohngebiets verlegt worden ist. Der Betrieb des Dialysezentrums in der genehmigten Größe ist wegen des damit zwangläufig verbundenen An- und Abfahrtsverkehrs mit der auch im allgemeinen Wohngebiet angestrebten Wohnruhe nicht mehr verträglich.

Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung des Beigeladenen auch nicht deshalb angebracht, weil Nutzungen, die mit vergleichbaren Beeinträchtigungen der Wohnruhe verbunden sein können, in allgemeinen Wohngebieten als zulässig angesehen würden. Die vom Beigeladenen in diesem Zusammenhang beispielhaft genannten Kindergärten, Kindertagesstätten oder auch Pflegeheime für geistig Behinderte lassen sich mit dem streitgegenständlichen Dialysezentrum schon deshalb nicht vergleichen, weil von Menschen (etwa spielende Kinder) ausgehende Lärmbeeinträchtigungen nach anderen Maßstäben zu beurteilen sind als Beeinträchtigungen durch Zu- und Abgangsverkehr. Soweit insbesondere der Betrieb von Kindergärten und Kindertagesstätten mit einem Zu- und Abgangsverkehr verbunden ist, findet dieser in der Regel nicht in Zeiten besonderer Ruhebedürftigkeit und insbesondere auch nicht an Feiertagen statt. Bei der vom Beigeladenen weiter angeführten "Rotkreuzhaus mit Rettungswache", das der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 20.03.1996 - 2 CS 96.1175 - (BRS 58 Nr. 60) als im allgemeinen Wohngebiet zulässige Anlage für soziale und gesundheitliche Zwecke angesehen hatte, handelte es sich um eine vergleichsweise kleine Einrichtung. Von den 1000 Einsätzen dieser Einrichtung im Jahr entfielen mehr als die Hälfte auf Krankentransporte, die überwiegend nicht von der Rettungswache ihren Ausgang nahmen; lediglich ein Drittel der Einsätze - also weniger als ein Einsatz pro Tag - wurde im Notfallbereich gefahren. Die mit dem Betrieb dieser relativ kleinen Anlage für soziale und gesundheitliche Zwecke verbundenen Beeinträchtigungen der Wohnnutzung blieben somit weit hinter den im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Beeinträchtigungen zurück.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen müssen die Wohnnutzungen hier nicht deshalb ein erhöhtes Maß an Lärm und damit an "Wohnunruhe" hinnehmen, weil das allgemeine Wohngebiet durch das angrenzende Einkaufszentrum "Drackendorf-Center" vorbelastet wäre und als "Puffer" zwischen diesem und dem angrenzenden reinen Wohngebiet vorgesehen worden ist. Es ist bereits nicht erkennbar, dass durch das "Drackendorf-Center" eine vergleichbare Unruhe in das angrenzende Wohngebiet gebracht würde wie durch das Dialysezentrum des Beigeladenen. Während mögliche Lärmbeeinträchtigungen durch Anlieferungen oder Kundenverkehr des Einkaufszentrums sich auf den Randbereich des Wohngebiets beschränken, wird durch das Dialysezentrum die mit dem An- und Abfahrtsverkehr verbundene Unruhe - wie dargelegt - in das Wohngebiet hineingetragen. Soweit der näheren Umgebung des Dialysezentrums die Funktion eines "Puffers" zwischen dem Einkaufszentrum und dem reinen Wohngebiet zukommt, hat der Plangeber dem bereits durch die Ausweisung als allgemeines Wohngebiet Rechnung getragen. Nach den Vorstellungen des Plangebers, auf die bei einem förmlich festgesetzten Gebiet maßgeblich abzustellen ist, soll sich auch das allgemeine Wohngebiet ungeachtet der Nähe zum Einkaufszentrum ebenso wie das angrenzende reine Wohngebiet gerade durch eine besondere Wohnruhe auszeichnen. Dies verdeutlicht die Begründung zum Bebauungsplan (in der Fassung der 1. Änderung vom 29.08.1997), in der es unter Ziff. 6.1 heißt:

"Der Ausschluss von Anlagen nach § 3 Abs. 3 BauNVO im Reinen Wohngebiet dient der Schaffung eines Wohnstandortes, der sich durch besondere Wohnruhe auszeichnet. In analoger Weise werden im Allgemeinen Wohngebiet Läden und Anlagen nach § 4 Abs. 2 Pkt. 2 BauNVO und Anlagen nach § 4 Abs. 3 BauNVO ausgeschlossen. Funktionelle Nachteile für das Plangebiet oder umliegende Gebiete sind daraus nicht zu befürchten, da das angrenzende Einkaufszentrum und der Ortskern von Drackendorf ausreichend Möglichkeiten zur Unterbringung der genannten Anlagen bieten."

Die Formulierung "in analoger Weise" zeigt, dass es dem Plangeber bei dem Ausschluss der genannten Anlagen und Nutzungen darum ging, ein allgemeines Wohngebiet mit einem im Vergleich zu anderen allgemeinen Wohngebieten sogar erhöhten Schutzniveau auszuweisen.

Eine planerische "Vorbelastung" der Nachbargrundstücke kann entgegen der Auffassung des Beigeladenen insoweit auch nicht darin gesehen werden, dass für das Baufeld des Dialysezentrums ein größeres Maß an baulicher Nutzung als auf den benachbarten Grundstücken angelegt ist. Daraus lässt sich nichts dafür herleiten, dass die Nachbarn mit einer weitergehenden Beeinträchtigung der Wohnruhe zu rechnen hätten.

Erweist sich das streitgegenständliche Dialysezentrum somit als nicht gebietsverträglich, so verstößt die Baugenehmigung der Beklagten vom 26.01.2001 in Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 05.11.2001 zugleich gegen den Anspruch der Kläger auf Bewahrung der Gebietsart im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet. Die Kläger können daher die Aufhebung der Baugenehmigung beanspruchen, ohne dass es auf den Nachweis einer konkreten und spürbaren Beeinträchtigung ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546 = BRS 55 Nr. 110).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine nur teilweise Aufhebung der Baugenehmigung nicht in Betracht. Durch die Nachtragsgenehmigung vom 05.11.2001 ist - wie dargelegt - nicht die Erweiterung eines bereits genehmigten und ins Werk gesetzten Vorhabens, sondern ein neueres - größeres - Vorhaben genehmigt worden. Das Vorhaben ist insbesondere nicht in der Weise teilbar, dass (bei unterstellter Zulässigkeit eines Dialysezentrums mit nur 24 Behandlungsplätzen) nur der über das ursprünglich genehmigte Vorhaben hinausgehende Teil der Genehmigung aufgehoben werden kann. Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst festzustellen, mit welcher Zahl von Behandlungsplätzen ein Dialysezentrum auf dem streitgegenständlichen Grundstück zulässig wäre.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 154 Abs. 3, 159 S. 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Beklagten nach § 162 Abs. 3 VwGO einen Teil der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, denn dieser ist mit seiner Berufung ebenso unterlegen wie die Beklagte.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (vgl. § 132 VwGO).

Beschluss Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren gemäß § 63 Abs. 2 i. V. m. den §§ 47 und 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 20.000,- Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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