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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.03.2003
Aktenzeichen: 1 KO 853/01
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4a
BauNVO § 7
BauNVO § 10 Abs. 2 S. 1
BauNVO § 11 Abs. 2 S. 1
BauNVO § 11 Abs. 2 S. 2
BauNVO § 11 Abs. 3
1. Die in § 34 Abs. 2 BauGB enthaltene Verweisung auf die in der BauNVO bezeichneten Baugebiete erstreckt sich auch auf die in § 11 Abs. 2 Satz 2 aufgeführten sonstigen Sondergebiete.

2. Bei einem Multiplex-Kino mit 8 Kinosälen und 2.150 Plätzen handelt es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, die in einem (faktischen) Sondergebiet "Einkaufszentrum" nach der Art der Nutzung nicht zulässig ist.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT -1. Senat- Im Namen des Volkes Urteil

1 KO 853/01

Verkündet am 19.03.2003

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

(hier: Berufung)

hat der 1. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Husch als Vorsitzenden, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Preetz und den an das Oberverwaltungsgericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Alexander aufgrund der mündlichen Verhandlung vom

19. März 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 8.Oktober 1998 - 4 K 212/98 GE - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für ein sog. Multiplex-Kino.

Die Klägerin beantragte am 18.7.1996 bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Kinokomplexes in der Schillerpassage in Jena, die von der Beklagten am 20.10.1994 als Geschäftszentrum (SB-Warenhaus) mit Parkhaus genehmigt worden war. Die neben der Schillerpassage befindliche Tankstelle soll dabei überbaut und mit der Passage verbunden werden. Das geplante Multiplex-Kino in den Obergeschossen soll über 2.150 Plätze (verteilt auf 8 Kinosäle) und eine Cafeteria verfügen. Die neu entstehende gewerbliche Nutzfläche beträgt ca. 5.252 m2.

Mit Bescheid vom 28.4.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das Thüringer Landesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 16.4.1998 zurück. Zur Begründung heißt es, der beantragte Kinokomplex füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die für diese Beurteilung maßgebliche nähere Umgebung beschränke sich hier auf die Schillerpassage, die Tankstelle und das Autohaus. Die Saale und der Bahndamm entfalteten eine trennende Wirkung. Die Schillerpassage sei als Einkaufszentrum bzw. großflächiger Einzelhandel einzustufen; sie sei das dominante Bauwerk, der die Tankstelle faktisch zugeordnet sei. Das Autohaus profitiere von der Kombination, ohne den prägenden Charakter des Einkaufszentrums zu relativieren. Die Umgebung lasse sich somit ohne weiteres als Sondergebiet mit der Sonderfunktion Einkaufszentrum bzw. großflächiger Einzelhandel im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO einordnen. Das Vorhaben der Klägerin entspreche den Nutzungsarten dieses Gebiets nicht.

Bereits zuvor - am 18.2.1998 - hatte die Klägerin Untätigkeitsklage eingereicht. Zur Begründung ihrer nach Erlass des Widerspruchsbescheides fortgeführten Klage hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. Zur näheren Umgebung seien nicht nur das Gebäude der Schillerpassage einschließlich Tankstelle und Autohaus zu rechnen; vielmehr müsse auch die Bebauung jenseits des Bahndammes mit in die Betrachtung einbezogen werden. Hierbei handele es sich um einen uneinheitlich strukturierten Bereich, der aus planungsrechtlicher Sicht als "Gemengelage" zu werten sei. Das geplante Multiplex-Kino sei nicht als Vergnügungsstätte, sondern als kulturelle Einrichtung im Sinne des Bauplanungsrechts einzuordnen. Das Vorhaben füge sich in den Rahmen der vorhandenen Bebauung ein, ohne städtebauliche Spannungen zu verursachen oder zu verstärken. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass als Folgewirkung des Bauvorhabens die vorhandene städtebauliche Situation "zum Umkippen" gebracht werde.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28.4.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 16.04.1998 zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Verfahren eine Aufstellung der in der Schillerpassage vorhandenen Nutzungen zur Akte gereicht.

Das Verwaltungsgericht Gera hat die Klage nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an Ort und Stelle durch Urteil vom 8.10.1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Das Vorhaben stehe nicht im Einklang mit den Vorschriften der §§ 34 Abs. 2 BauGB, 11 Abs. 3 BauNVO, da es in einem Sondergebiet für Einkaufszentren verwirklicht werden solle, in dem ein Multiplex-Kino der beantragten Größenordnung als kerngebietstypische Vergnügungsstätte nicht zulässig sei.

Der für die Einordnung gemäß § 34 BauGB maßgebende Bereich werde im Westen durch die zweispurige Bahnlinie bzw. den Bahndamm begrenzt, in den übrigen Bereichen durch die Löbstedter Straße bzw. die teilweise dahinter fließende Saale. In dem so umrissenen Bereich befänden sich die Schillerpassage, die Tankstelle und das Autohaus. Eine Einbeziehung der hinter der Bahnlinie liegenden Gebäude komme nicht in Betracht. Der Bahnlinie bzw. dem Bahndamm komme aufgrund der tatsächlichen Ausgestaltung trennende Wirkung zu. Ihr Vorhandensein führe dazu, dass das Gelände der Schillerpassage von den hinter der Bahnlinie liegenden Gebäuden deutlich abgegrenzt sei. Genauso wie bei der Abgrenzung von Innen- und Außenbereich natürliche Geländehindernisse, wie z. B. Verkehrswege, Gewässer sowie Bodenerhebungen, eine natürliche Grenze bilden könnten, könnten derartige topographische Besonderheiten Auswirkungen darauf haben, wie weit der prägende Bereich zu ziehen sei. Vorliegend stelle die Bahnlinie eine derartige natürliche Grenze dar, welche geeignet sei, den prägenden Bereich einzugrenzen. Für eine Zäsurwirkung der Bahnlinie spreche entscheidend die Höhe des Bahndammes. Im Bereich der Unterführung (also dort, wo die Löbstedter Straße den Bahndamm kreuze) betrage die Höhe des Bahndammes mindestens 6,0 m. Zwar nehme die Höhe des Bahndammes auf dem Weg von der Schillerpassage bis zum Autohaus ab und erreiche im Bereich des Autohauses eine Höhe von ca. 2,50 m. Es sei aber zu beachten, dass im Bereich der Schillerpassage aufgrund der Höhe des Bahndammes die Gebäude jenseits von ihm nicht sichtbar seien, der Bereich der Schillerpassage durch den Bahndamm also vollständig abgeschirmt werde. Dasselbe gelte im Bereich der Tankstelle bzw. des Autohauses. Dort sei der Bahndamm zwar nicht mehr so hoch wie im Bereich der Schillerpassage, ihm komme jedoch nach wie vor trennende Wirkung zu.

Der somit maßgebende Bereich sei als Sondergebiet Einkaufszentrum im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO einzuordnen; diese Bestimmung werde von der in § 34 Abs. 2 BauGB enthaltenen Verweisung auf die Baugebiete der Baunutzungsverordnung umfasst. Aufgrund der Vielzahl von vorhandenen Einzelhandelsgeschäften liege ein Einkaufszentrum i. S. d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO vor, das durch eine räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe, möglicherweise in Kombination mit unterschiedlichen Dienstleistungsbetrieben, gekennzeichnet sei, die entweder einheitlich geplant sei oder sich als gewachsene Struktur darstelle. Angesichts der von der Beklagten zur Akte gereichten Aufstellung sei davon auszugehen, dass die Schillerpassage diese Merkmale erfülle. Die Tankstelle und das Autohaus seien ebenfalls in einem derartigen Sondergebiet zulässig.

Ein Multiplex-Kino mit 8 Kinosälen und 2.150 Sitzplätzen sei als kerngebietstypische Vergnügungsstätte i. S. d. § 7 BauNVO anzusehen und auch nicht ausnahmsweise in einem Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO zulässig. Bei dem Begriff der Vergnügungsstätte handele es sich um einen Sammelbegriff für spezielle Gewerbebetriebe, bei welchen in unterschiedlicher Ausprägung die kommerzielle Unterhaltung der Besucher im Vordergrund stehe. Dass das von der Klägerin geplante Multiplex-Kino in erster Linie der kommerziellen Freizeitgestaltung diene, ergebe sich auch aus den vorgesehenen Nebenanlagen zum Kino, wie z. B. der Cafeteria. Ein Multiplex-Kino dieser Größenordnung könne nicht mehr als Anlage für kulturelle Zwecke eingeordnet werden. Entscheidend dagegen spreche, dass die Klägerin mit ihrem Vorhaben einen derart großen Einzugsbereich anspreche, wie er gerade für eine Vergnügungsstätte im Kerngebiet typisch sei. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin mit dem Multiplex-Kino nicht nur Besucher aus der näheren Umgebung, sondern aus der ganzen Stadt Jena und den umliegenden Gemeinden anlocken wolle. Es liege auf der Hand, dass bei einer Einwohnerzahl von ca. 99.000 Einwohnern in Jena ein Multiplex-Kino dieser Größenordnung gar nicht rentabel betrieben werden könne, wenn nicht aus den umliegenden Gemeinden potentielle Kinobesucher angezogen würden. Des Weiteren sei zu beachten, dass bei einem Multiplex-Kino insbesondere in den Abendstunden mit einem größeren Zu- und Abfahrtsverkehr zu rechnen sei, wenn die Belästigung durch den normalen Straßenverkehr bereits zurückgehe. Eine Einordnung als Anlage für kulturelle Zwecke komme demgegenüber nicht in Betracht, da es ansonsten in einem allgemeinen Wohngebiet und selbst im reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig wäre. Ein derartiges Ergebnis sei bei einem Multiplex-Kino dieser Größenordnung schlechthin nicht zu vertreten.

Eine ausnahmsweise Zulassung des Vorhabens der Klägerin komme nicht in Betracht. Der Zulassung eines Multiplex-Kinos dieser Größenordnung in einem Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO stehe entgegen, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO Einkaufszentren außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig seien. Wenn man ein Multiplex-Kino dieser Größenordnung auch in einem Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO zuließe, würde die Differenzierung zwischen Kerngebiet und festgesetztem Sondergebiet verwischt. Insofern könne auch nicht argumentiert werden, dass sich, wie von der Klägerin vorgesehen, das Einkaufszentrum und das Multiplex-Kino ergänzen sollten. Zwar möge es sein, dass in einem Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO auch dem Zweck des Einkaufszentrums nicht widersprechende Vergnügungsstätten zulässig seien. Vorliegend könne dies schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil davon auszugehen sei, dass das Multiplex-Kino aufgrund seiner Größe zumindest gleichwertig neben das Einkaufszentrum trete. Es verhalte sich gerade so, dass Teile des Einkaufszentrums für die Nutzung als Multiplex-Kino umgewandelt werden sollten. Insofern sei davon auszugehen, dass das geplante Multiplex-Kino dem Einkaufszentrum an Bedeutung gleichkomme; wenn nicht sogar zu befürchten sei, dass letzteres in Zukunft von der Bedeutung her hinter dem Multiplex-Kino zurücktreten werde. Im Übrigen würde die Eigenart des festgestellten Baugebietes nicht gewahrt. Mit der Errichtung des Multiplex-Kinos als kerngebietstypische Vergnügungsstätte wäre vielmehr ein Umschlagen des Gebietscharakters in Richtung auf ein Kerngebiet gemäß § 7 BauNVO zu befürchten. Hinzu komme die Vorbildwirkung für weitere Vergnügungsstätten. Diesbezüglich wäre es ein Leichtes, an Stelle vorhandener Einzelhandelsbetriebe Vergnügungsstätten zu platzieren, welche als Ergänzung zum Multiplex-Kino dienten und daher auch wirtschaftlich attraktiv sein könnten. Dies lasse ebenfalls ernsthaft eine schleichende Veränderung des festgestellten Gebietscharakters befürchten.

Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 21.12.1999 die Berufung zugelassen. Im Hinblick auf zwischen den Beteiligten geführte Vergleichsverhandlungen hat der Berichterstatter auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss vom 25.5.2000 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Nach dem Scheitern der Einigungsbemühungen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 12.12.2001 um Fortsetzung des Verfahrens gebeten.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin im Wesentlichen aus:

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Eingrenzung und Einordnung des maßgeblichen Bereichs als "Sondergebiet Einkaufszentrum" treffe nicht zu. Sie widerspreche der von der Stadtverwaltung Jena im Entwurf eines Flächennutzungsplans selbst vorgenommenen Einstufung des Gebiets als Mischgebiet. Das im Entwurf dargestellte Mischgebiet habe sich nicht auf das Gebiet zwischen Straße und Bahnlinie beschränkt, sondern über die Bahnlinie hinweg die dortigen großflächigen Verwaltungs-, Geschäfts- und Wohngebäude in die Beurteilung einbezogen. Die Einstufung als Mischgebiet entspreche auch dem tatsächlich vorhandenen Zustand, denn das Gebiet werde überwiegend durch gewerblich genutzte Gebäude wie die Tankstelle, das Einkaufszentrum, das Parkhaus und das Autohaus geprägt. Wohngebäude seien auf den betroffenen Grundstücken und in der Umgebung nicht vorhanden. Greife man über die Bahnlinie hinweg, fänden sich auch dort ausschließlich Gebäude, die nach der Art der Nutzung in ein Mischgebiet gehörten. Anzutreffen seien einige Wohnhäuser; weite Bereiche würden aber durch die Anlagen und den Schlachthof sowie eine Vielzahl von Verwaltungsgebäuden und eine Schule geprägt, so dass auch eine Prüfung des weiteren Umfeldes nur die Einordnung als Mischgebiet zulasse.

Bei einer Einordnung der Umgebung als Mischgebiet sei das Multiplex-Kino als Anlage für kulturelle Zwecke oder bei einer Einordnung als Vergnügungsstätte nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO zulässig, da das Gebiet in erster Linie durch gewerbliche Nutzung geprägt sei. Sofern man von einem Kerngebiet ausgehe, ergebe sich die Zulässigkeit aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO. Lediglich bei einer Einordnung als Gewerbegebiet sei das Kino nur ausnahmsweise als Anlage für kulturelle Zwecke oder als Vergnügungsstätte zulässig. In diesem Falle sei bei richtiger Ermessensausübung die ausnahmsweise Zulassung auszusprechen, denn im Hinblick auf die zurzeit durch das Einkaufszentrum nicht ausgelasteten Parkplätze stelle das Kino eine sinnvolle Ergänzung der Nutzung dieses Gebiets dar.

Hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Einordnung des Multiplex-Kinos sei darauf hinzuweisen, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einstufung als "Vergnügungsstätte" durchaus umstritten sei. Ein derartiges Kino unterscheide sich lediglich durch die Vielzahl der Vorführungen und Kinosäle von einem normalen Lichtspieltheater und sei als ein Kulturträger hinsichtlich des Kulturgutes "Film" anzusehen. Ein Kino könne nicht als "Vergnügungsstätte" auf eine Stufe mit einer Diskothek oder einer Tanzhalle gestellt werden. Ein Unternehmen mit kulturellem Anspruch könne entgegen der offenbar von der Beklagten vertretenen Auffassung durchaus auch kommerziell erfolgreich sein und verliere seine kulturelle Ausrichtung auch nicht dadurch, dass es Unterhaltungswert habe.

Bei der von der Beklagten vorgenommenen Beurteilung des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB füge sich das Vorhaben in die nähere Umgebung ein. Es würde eine optische Baulücke schließen und damit das Gesamtbild der Umgebung vereinheitlichen und harmonisieren. Die bereits vorhandene Tankstelle werde lediglich mit dem Kinokomplex überbaut; eine Aufstockung des Autohauses bis zur Höhe der Schillerpassage wäre bereits aufgrund bestehender Baugenehmigungen möglich. Der vorgesehene Baukomplex führe insgesamt zu einer erheblichen Verbesserung des optischen Eindrucks der vorhandenen Bebauung und erhöhe die Attraktivität des Gesamtgebietes. Wenn das Kino nicht errichtet werde, stehe der Betreiber des Großmarktes vor der Entscheidung, den dortigen - von der Verkehrsplanung der Beklagten vernachlässigten - Standort aufzugeben; das könne aus städteplanerischer Sicht nicht im Interesse der Beklagten sein.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 8.10.1998 - 4 K 212/98 GE - abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28.04.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 16.04.1998 zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Kinokomplexes in der Schillerpassage in Jena zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die vorgelegten Behördenvorgänge und führt ergänzend im Wesentlichen aus:

Die Klägerin könne aus der Einstufung des Bereichs der Schillerpassage als "Mischgebiet" im Entwurf des Flächennutzungsplans nichts für sich herleiten, da der Flächennutzungsplan kein Baurecht verschaffe. Im Zuge der Überarbeitung des Entwurfs des Flächennutzungsplans werde die "Schillerpassage" - ebenso wie andere vergleichbare Verkaufseinrichtungen im Stadtgebiet- als "Sonderbaufläche Einzelhandel" ausgewiesen. Bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der Klägerin sei von den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort auszugehen gewesen. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen näheren Umgebung und der vorhandenen Nutzungen sei von einem "Sondergebiet Einkaufszentrum/großflächiger Einzelhandel" im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO auszugehen.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19.3.2003 sowie auf die darin aufgeführten Unterlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

I.

Die vom Senat zugelassene Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage der Klägerin zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung zur Errichtung eines Kinokomplexes in der Schillerpassage in Jena, denn ihrem nach § 62 Abs. 1 ThürBO genehmigungspflichtigen Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 ThürBO entgegen.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin beurteilt sich nach § 34 BauGB. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach den dort genannten Kriterien in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Sofern die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht, beurteilt sich die Zulassung eines Vorhabens nach seiner Art gemäß § 34 Abs. 2 BauGB allein danach, ob es nach der BauNVO in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre bzw. im Wege der Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden könnte.

Die für die Beurteilung nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB maßgebliche nähere Umgebung des Baugrundstücks (bzw. der Baugrundstücke) umfasst hier lediglich die sog. Schillerpassage selbst sowie die Tankstelle und das Autohaus (dazu näher unter 1.). Sie entspricht einem Sondergebiet für ein Einkaufszentrum bzw. einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb; eine Einordnung als faktisches Kerngebiet scheidet aus (2.). Bei dem geplanten Multiplex-Kino handelt es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, die in dem faktischen Sondergebiet nicht zulässig ist (3.). Schließlich wäre das Vorhaben der Klägerin auch dann bauplanungsrechtlich unzulässig, wenn man die nähere Umgebung als Gemengelage einordnen oder die in § 34 Abs. 2 BauGB enthaltene Verweisung auf die Baugebietsvorschriften der BauNVO nicht auf die Regelungen über (sonstige) Sondergebiete nach § 11 BauNVO beziehen und die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt nach § 34 Abs. 1 BauGB beurteilen wollte (4.).

1. Die "nähere Umgebung" im Sinne des § 34 BauGB reicht so weit, wie sich die Ausführung des jeweiligen Vorhabens auf sie auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.5.1978 -4 C 9.77-, BVerwGE 55, 369, 380 = BRS 33 Nr. 36). Das Verwaltungsgericht hat als "nähere Umgebung" in diesem Sinne nur den durch die Löbstedter Straße und den Bahndamm eingegrenzten Bereich angesehen, in dem sich neben der Schillerpassage lediglich noch die Tankstelle und das Autohaus befinden. Diese Auffassung hat das Gericht unter Hinweis auf die durchgeführte Ortsbesichtigung plausibel und nachvollziehbar begründet; insbesondere hat es zu Recht darauf verwiesen, dass hinsichtlich der Berücksichtigung von Geländehindernissen (hier des Bahndamms) die gleichen Grundsätze gelten wie bei der Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 20.8.1998 - 4 B 79.98 -, BRS 60 Nr. 176 = NVwZ-RR 1999, 105, 106) und dass die Bahnlinie hier eine natürliche Grenze darstellt, die geeignet ist, den prägenden Bereich einzugrenzen.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gebietsabgrenzung kann entgegen der von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung vertretenen Auffassung nicht unter Hinweis darauf in Frage gestellt werden, dass die Gebiete diesseits und jenseits des Bahndamms im Entwurf eines Flächennutzungsplans der Beklagten einheitlich als gemischte Bauflächen bzw. Mischgebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) dargestellt werden. Darstellungen in Flächennutzungsplänen sind für die Frage der Abgrenzung und Einordnung unbeplanter Flächen im Innenbereich unerheblich; insbesondere muss die für die Zuordnung zur näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB erforderliche wechselseitige Prägung von Grundstücken keineswegs alle Grundstücke erfassen, die derselben Baugebietskategorie angehören (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20.8.1998, a. a. O.).

Im vorliegenden Fall wird durch den (nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zwischen 2,5 und 6 m hohen) Bahndamm eine wechselseitige Prägung der Bebauung diesseits und jenseits des Bahndamms im fraglichen Bereich gerade ausgeschlossen. Dass dem Bahndamm eine trennende Wirkung beizumessen ist, verdeutlicht auch das von der Beklagten eingereichte Luftbild, auf dem der Bahndamm als Zäsur deutlich zu erkennen ist. Dieser Auffassung haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Übrigen nunmehr auch die Vertreter der Klägerin angeschlossen und erklärt, dass es einer erneuten Ortsbesichtigung nicht bedürfe.

2. Die so eingegrenzte nähere Umgebung ist als faktisches Sondergebiet im Sinne des § 11 Abs. 2, 3 BauNVO mit der Zweckbestimmung "Einkaufszentrum" bzw. "großflächiger Einzelhandelsbetrieb" einzuordnen.

Zunächst findet die Bestimmung des § 11 Abs. 2, 3 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB Anwendung. § 34 Abs. 2 BauGB verweist grundsätzlich auf alle Baugebiete im Sinne der §§ 2 bis 11 BauNVO. Lediglich die Bestimmung des § 4a BauNVO (besondere Wohngebiete) hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB für unanwendbar gehalten, da die Besonderheit eines Gebiets im Sinne von § 4a BauNVO gerade in der diesem Gebiet von der Gemeinde zugewiesenen künftigen Entwicklung bestehe und diese planerische Absichten einer Wahrnehmung nicht zugänglich seien (BVerwG, Beschluss vom 11.12.1992 - 4 B 209.92 -, NVwZ 1993, 1100 f. = DÖV 1993, 621, 622). Diese Überlegungen rechtfertigen eine Unanwendbarkeit der Bestimmungen der BauNVO über Sondergebiete (§§ 10, 11 BauNVO) im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB nicht. Zwar unterscheiden sich die Sondergebiete von den übrigen Baugebieten dadurch, dass ihre Zweckbestimmung und die Art der Nutzung im jeweiligen Bauleitplan darzustellen bzw. festzusetzen sind, es insoweit also einer planerischen Entscheidung der Gemeinde bedarf (vgl. §§ 10 Abs. 2 Satz 1, 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass bei ohne planerische Grundlage entstandenen Gebieten eine Zuordnung zu einem der Sondergebiete der §§ 10, 11 BauNVO nicht möglich sei. Die bei der Planung von Sondergebieten erforderliche Festsetzung ihrer Zweckbestimmung und der Art der Nutzung ist nicht gleichzusetzen mit den einer Wahrnehmung regelmäßig nicht zugänglichen Absichten der Gemeinde über die zukünftige Entwicklung des jeweiligen Gebiets, die für das besondere Wohngebiet nach § 4a BauNVO kennzeichnend sind. So kommt es etwa für die Zuordnung eines Gebiets zu einem der in § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO beispielhaft aufgeführten Typen von (sonstigen) Sondergebieten lediglich darauf an, ob es nach seiner in den planerischen Festsetzungen zum Ausdruck kommenden Zweckbestimmung einem der genannten Sondergebiete entspricht; etwaige Vorstellungen der Gemeinde über die künftige Entwicklung sind hierfür ohne Belang. Dass die Sondergebiete "an sich" nur aufgrund einer entsprechenden planerischen Entscheidung der Gemeinde entstehen sollen (und dieser hier ein größerer Gestaltungsspielraum eingeräumt wird als bei der Festsetzung der in den §§ 2 bis 4 und 5 bis 9 BauNVO aufgeführten Baugebiete), steht einer Anwendbarkeit insb. des § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB jedenfalls dann nicht entgegen, wenn sich im Einzelfall ungeplant ein Gebiet entwickelt hat, das sich eindeutig einem der beispielhaft aufgeführten Sondergebiete zuordnen lässt. Dementsprechend beurteilt sich die Zulässigkeit von Vorhaben ihrer Art nach in diesen Fällen nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO (für eine Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB neben der Vorinstanz ausdrücklich Schmaltz in Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 6. Aufl. 1998, § 34 Rdn. 56; davon ausgehend auch Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 9. Aufl. 1998, §11 Rdn. 30.5; vgl. ferner Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Kommentar, 8. Aufl. 2002, § 34 Rdn. 47, der generell auf die §§ 2 - 11 BauNVO verweist).

Die eigentliche "Schillerpassage" stellt ein Einkaufszentrum im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO dar; insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Die neben der "Schillerpassage" befindliche Tankstelle steht einer Einordnung der näheren Umgebung als "Sondergebiet Einkaufszentrum" schon deshalb nicht entgegen, weil sie entgegen der Auffassung der Klägerin in einem derartigen Gebiet ohne weiteres zulässig ist. Ein Einkaufszentrum dient nicht nur der Unterbringung von Einzelhandelsbetrieben; neben dieser Hauptnutzungsart sind vielmehr auch andere Nutzungsarten zulässig, die in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Einkaufszentrum stehen, weil sie das geschäftliche Angebot des Zentrums abrunden. Hierzu zählen neben sonstigen Dienstleistungsbetrieben auch Tankstellen (vgl. nur Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, Kommentar, § 11 Rdn. 50). Das Autohaus ist entweder aufgrund der räumlichen Nähe als Teil des Einkaufszentrums anzusehen oder stellt einen (eigenständig zu betrachtenden) großflächigen Einzelhandelsbetrieb dar, der der näheren Umgebung zusammen mit dem Einkaufszentrum das Gepräge eines Sondergebiets für ein Einkaufszentrum und einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb gibt.

Eine Einordnung der näheren Umgebung als faktisches Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO, wie sie die Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung befürwortet haben, scheidet demgegenüber aus. Kerngebiete dienen gem. § 7 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Ihnen kommen innerhalb des städtischen Ordnungsgefüges zentrale Funktionen mit vielfältigen Nutzungen und einem - urbanen - Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs zu (vgl. König/Roeser/Stock, BauNVO, § 7 Rdn. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 -4 C 64/79-, BVerwGE 68, 207, 211 = NJW 1984, 1572, 1573 = BRS 40 Nr. 45). Diese Funktionen erfüllt die hier maßgebliche nähere Umgebung nicht. Sie weist das beschränkte Nutzungsspektrum eines Sondergebiets nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BauNVO auf; die das Kerngebiet kennzeichnenden zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur fehlen völlig. Dass die vorhandenen Einzelhandelsbetriebe bzw. das Einkaufszentrum auch in einem Kerngebiet zulässig wären (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO), genügt für die Einordnung des fraglichen Bereichs als faktisches Kerngebiet nicht.

3. Das geplante Multiplex-Kino stellt eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte dar, die in dem durch das Einkaufszentrum geprägten faktischen Sondergebiet nicht zulässig ist; entgegen der Auffassung der Klägerin scheidet eine Einordnung als Anlage für kulturelle Zwecke aus.

Vergnügungsstätten stellen nach einer gängigen (allerdings nicht unumstrittenen) Definition eine besondere Art von Gewerbebetrieben dar, bei denen die kommerzielle Unterhaltung der Besucher im Vordergrund steht (vgl. etwa Dolde/Schlarmann, BauR 1984, 121, 122; ebenso SächsOVG, Beschluss vom 5.9.1995 -1 S 186/95-, SächsVBl. 1995, 286; ablehnend Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl. 1998, §4a Rdn. 22.51). Anlagen für kulturelle Zwecke dienen demgegenüber dem weiten Bereich von Bildung und Wissenschaft sowie Kunst und Kultur (vgl. etwa Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, § 4a Rdn. 49). Welchen dieser beiden Nutzungsarten Kinos zuzuordnen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während das Bundesverwaltungsgericht Kinos unabhängig von Größe und Programmgestaltung den Vergnügungsstätten zuordnet, ohne dies allerdings näher zu begründen (vgl. etwa Urteil vom 15.1.1982 - 4 C 58.79 -, BRS 39 Nr. 67 = NVwZ 1982, 312; zustimmend etwa Roeser in König/Roeser/Stock, § 7 Rdn. 16 m. w. N.), halten andere eine Einstufung der üblichen Kinos ("Lichtspieltheater") als Anlagen für kulturelle Zwecke für möglich (so insb. etwa Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Rdn. 22.5; dem tendenziell folgend SächsOVG, Beschluss vom 5.9.1995 - 1 S 186/95 -, SächsVBl. 1995,286, sowie Stock in König/Roeser/Stock, § 4 Rdn. 49 m. w. N.). Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass die kommerzielle Unterhaltung des Kunden jedenfalls nicht das einzige und für sich allein ausreichende Kriterium für die Einordnung einer Anlage als "Vergnügungsstätte" sein kann (so zutreffend Schmitz, LKV 1997, 345, 347) bzw. dass - wie die Klägerin vorträgt - "Kunst und Kommerz" sich nicht von vornherein ausschließen. Für die städtebauliche Einordnung einer Anlage als Vergnügungsstätte oder als Anlage für kulturelle Zwecke kommt es weniger auf die kommerzielle Ausrichtung des jeweiligen Betriebs an, sondern vor allem auf die damit verbundenen Auswirkungen auf besonders schutzwürdige Nutzungsarten (vgl. dazu nur Roeser in König/Roeser/Stock, § 7 Rdn. 16). Zum städtebaulichen Erscheinungsbild von Vergnügungsstätten gehört, dass die jeweiligen Veranstaltungen regelmäßig mit Lärmbelästigungen in der näheren Umgebung verbunden sind, und zwar durch die Veranstaltung selbst und/oder durch den damit verbundenen Zu- und Abgangsverkehr (so SächsOVG, a. a. O., ebenso Schmitz, a. a. O.). Im Hinblick darauf sind Vergnügungsstätten wie etwa Diskotheken oder Spiel- und Automatenhallen nach der BauNVO nur in Kerngebieten allgemein zulässig (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) ausnahmsweise können sie in Gewerbegebieten (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO) sowie - beschränkt auf nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten - auch in besonderen Wohngebieten sowie in Dorf- und Mischgebieten zugelassen werden (vgl. §§ 4a Abs. 3 Nr. 2, 5 Abs. 3 und 6 Abs. 3 BauNVO. Anlagen für kulturelle Zwecke sind demgegenüber in allgemeinen Wohngebieten allgemein zulässig (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) und können selbst in reinen Wohngebieten ausnahmsweise zugelassen werden (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Nach der den genannten Regelungen der BauNVO zugrundeliegenden Wertung des Verordnungsgebers sind Anlagen für kulturelle Zwecke - anders als Vergnügungsstätten - durchaus als wohngebietsverträglich anzusehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1.6.1999 - 8 A 10447/99 -, BRS 62 Nr. 72).

Stellt man bei typisierender Betrachtung auf die möglichen Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft und damit auf die "Wohngebietsverträglichkeit" ab, dann sind Multiplex-Kinos der vorliegenden Größenordnung im Hinblick auf den mit ihnen gerade in den Abend- und Nachtstunden (bis ca. 1.00 Uhr) verbundenen erheblichen Zu- und Abgangsverkehr zweifelsfrei den Vergnügungsstätten und nicht den Anlagen für kulturelle Zwecke zuzuordnen (so die bisher wohl einhellige Rechtsprechung: SächsOVG, a.a.O.; OVG Berlin, Beschluss vom 17.3.1999 -2 S 6.98-, BRS 62 Nr. 182 = LKV 1999, 367, 368; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1.6.1999 - 8 A 10447/99 -, BRS 62 Nr. 72; VG Karlsruhe, Urteil vom 9.7.1999 - 2 K 874/97 -, VBIBW 2000, 233, 234 [vgl. dazu auch Kirchberg, VBIBW 2000, 209, 210]; vgl. a. BayVGH, Beschluss vom 21.12.2001 - 15 ZS 01.2570 -, BayVBl. 2003, 48, 49; zu den auftretenden Lärmbelästigungen mit Blick auf das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot vgl. auch OVG NW, Beschluss vom 28.8.1999 - 10 B 1353/98 -, BauR 1999, 1012, 1014); die Einordnung eines Kinos dieser Größenordnung als sonstiger Gewerbebetrieb scheidet gleichfalls aus. Das von der Klägerin geplante Multiplex-Kino, das offensichtlich als "Publikumsmagnet" die gesunkene Attraktivität des Einkaufszentrums "Schillerpassage" erhöhen soll, ist aufgrund seiner Dimensionierung (8 Säle mit insgesamt 2.150 Plätzen) auch erkennbar von einem großen Einzugsgebiet abhängig und deshalb als kerngebietstypische Vergnügungsstätte anzusehen (vgl. dazu allg. etwa Roeser, a.a.O., § 7 Rdn. 17 m. w. N.; zur Einordnung eines Multiplex-Kinos als kerngebietstypische Vergnügungsstätte vgl. etwa OVG Berlin, a. a. O.).

Als kerngebietstypische Vergnügungsstätte wäre das geplante Multiplex-Kino bei einer Beurteilung nach § 34 Abs. 2 BauGB (i. V. m. § 11 Abs. 2, 3 BauNVO) seiner Art nach nur zulässig, wenn man annehmen wollte, dass das vorhandene Einkaufszentrum seiner Zweckbestimmung nach auch der Unterbringung einer derartigen Vergnügungsstätte dienen soll. Dies lässt sich jedoch nicht feststellen. Zwar mögen Gegenstand eines Einkaufszentrums neben den üblichen Einzelhandelseinrichtungen auch dem Zweck des Einkaufszentrums nicht widersprechende Vergnügungsstätten sein können (so Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Baugesetzbuch, Kommentar [Loseblatt, Stand: 1.1.2003], § 11 BauNVO Rdn. 49; dem folgend Schmitz, a. a. O., S. 348). Die Zulassung eines als kerngebietstypische Vergnügungsstätte einzustufenden Multiplex-Kinos dieser Größenordnung in einem faktischen Sondergebiet "Einkaufszentrum" bringt aber die Gefahr eines "Umschlagens" des Gebietscharakters in Richtung eines Kerngebiets (bzw. eines Sondergebiets "Vergnügungsstätten" oder einer durch kerngebietstypische Vergnügungsstätten mitgeprägten Gemengelage) mit sich und hätte in jedem Falle zur Folge, dass das Entstehen weiterer kerngebietstypischer Vergnügungsstätten (etwa durch Umnutzung nicht mehr rentabler Verkaufsflächen in größere Spielhallen) kaum noch wirksam verhindert werden könnte. Dies steht einer Einordnung jedenfalls einer Vergnügungsstätte dieser Größenordnung als eine dem Zweck des Einkaufszentrums nicht widersprechende Anlage entgegen.

Für Erteilung einer Ausnahme ist im Hinblick auf das Fehlen einer die ausnahmsweise Zulassung bestimmter Vorhaben in diesem Sondergebiet regelnden Vorschrift von vornherein kein Raum. Auch die Erteilung einer Befreiung nach § 34 Abs. 2, 2. HS i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB scheidet im Hinblick auf die Gefahr einer (weiteren) Fehlentwicklung des ungeplant entstandenen Sondergebiets aus.

4. Schließlich wäre das Vorhaben der Klägerin auch dann bauplanungsrechtlich unzulässig, wenn man die nähere Umgebung nicht als faktisches Sondergebiet einordnen wollte.

Lässt sich die nähere Umgebung des Vorhabens keiner der Baugebietsarten der BauNVO zuordnen (bzw. hält man § 11 Abs. 2,3 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 für nicht anwendbar), würde sich das Kino bei der dann vorzunehmenden Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB nur dann in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, wenn bereits kerngebietstypische Vergnügungsstätten vorhanden wären (zum Abstellen auf typisierte Nutzungsarten in diesem Zusammenhang vgl. nur BVerwG, Urteil vom 3.4.1987 - 4 C 41.87 -, BRS 47 Nr. 63 = NVwZ 1987,884,885) oder die Verwirklichung des Vorhabens trotz Überschreitung des "Rahmens" der Umgebungsbebauung in der näheren Umgebung keine zusätzlichen bodenrechtlichen Spannungen auslösen würde (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26.5.1978 - 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369, 386 f. = BRS 33 Nr. 36). Beides ist zu verneinen. Im Bereich der Schillerpassage sind keine kerngebietstypischen Vergnügungsstätten anzutreffen. Die erstmalige Zulassung einer solchen Anlage würde schon im Hinblick auf die mit ihr verbundene und oben beschriebene "Vorbildwirkung" die städtebauliche Situation negativ "in Bewegung bringen" und deshalb im Verhältnis zu ihrer Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen auslösen (vgl. zur negativen Vorbildwirkung in diesem Zusammenhang nur Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rdn. 18 m. w. N.).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (vgl. § 132 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. den §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der bis zum 31.12.2001 geltenden und hier gem. § 73 Abs. 1 GKG noch anwendbaren Fassung auf 1.050.400,00 DM (umgerechnet 537.060,99 Euro) festgesetzt.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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