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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: 2 KO 899/03
Rechtsgebiete: Richtlinie-2004/83/EG-(QRL), GG, AuslG, AufenthG, AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 4 Abs 4
Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 8 Abs 1
Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 8 Abs 2
Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 8 Abs 3
Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 9 Abs 1 Buchst a
Richtlinie-2004/83/EG-(QRL) Art 15
GG Art 16a
AuslG § 51 Abs 1
AuslG § 53
AufenthG § 59 Abs 3
AufenthG § 60 Abs 1
AsylVfG § 3 Abs 1
AsylVfG § 31 Abs 3
AsylVfG § 34 Abs 1
AsylVfG § 77 Abs 1
VwGO § 194 Abs 1
1. Armenische Volkszugehörige und Personen, die wegen ihrer Abstammung der Volksgruppe zugerechnet werden, unterlagen in Aserbaidschan bis 2000 einer mittelbaren Gruppenverfolgung (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Urteil des Senats vom 26. August 2003 - 2 KO 156/03 - juris).

2. Gewichtige Tatsachen streiten dafür, dass die mittelbare Gruppenverfolgung für armenische Volkszugehörige aus sog. Mischehen in Aserbaidschan andauert (offen gelassen).

3. Zu den Anforderungen an die inländische Fluchtalternative im Lichte der Qualifikationsrichtlinie und zu deren Fehlen im Einzelfall wegen fehlender wirtschaftlicher Existenzmöglichkeit in der Region Berg-Karabach (alleinstehende Frau mit Tochter).

4. Zur Praxis der Streichung aus den Melderegistern und zum Verlust der Staatsangehörigkeit.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Im Namen des Volkes Urteil

2 KO 899/03 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts, hier: Berufung

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel und den an das Gericht abgeordneten Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Packroff aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Bundesbeauftragten gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 17. Oktober 2001 - 2 K 20293/01.Me - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte nunmehr verpflichtet ist, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in der Person der Klägerinnen festzustellen.

Der Bundesbeauftragte hat die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der außergerichtlichen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Bundesbeauftragte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1959 geborene Klägerin zu 1 und die Klägerin zu 2 (deren 1990 geborene Tochter) reisten nach ihren Angaben Anfang Januar 2000 aus Aserbaidschan aus und sind am 11. Januar 2000 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Am 18. Januar 2000 beantragte die Klägerin zu 1 für sich und ihre Tochter Asyl. In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Außenstelle Mühlhausen, am 25. Januar 2000 trug die Klägerin zu 1 im Wesentlichen vor: Sie habe auf Grund der armenischen Abstammung ihrer Mutter in Aserbaidschan Schwierigkeiten gehabt. Nachdem die Mutter des von ihr 1997 geschiedenen Ehemannes (aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit) von der armenischen Abstammung erfahren habe, habe diese sie beschimpft und sie sei - auch von ihrem Mann - geschlagen worden. 1992 sei sie aus der Ehewohnung weggeschickt worden. Sie habe dann bei ihrem Bruder und dessen Familie Unterkunft gefunden. Da ihre Schwiegermutter überall verbreitet hätte, dass sie armenischer Abstammung sei, habe sie 1995 ihren Beruf und ihre Arbeitsstätte als Geologin verloren. Anschließend habe sie bis zur Ausreise als Sekretärin bei einer Großhandelsfirma gearbeitet. Ihr Bruder und seine Frau hätten ebenfalls wegen ihrer armenischen Abstammung Probleme gehabt.

Mit Bescheid vom 19. März 2001 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ab und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Klägerinnen wurden aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde den Klägerinnen die Abschiebung nach Aserbaidschan angedroht. Aus dem Vorbringen der Klägerinnen ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung. Auch seien sie als armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan keinen asylrechtlich relevanten staatlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt.

Gegen diesen am 23. März 2001 zugestellten Bescheid haben die Klägerinnen am 2. April 2001 Klage beim Verwaltungsgericht Meiningen erhoben.

Sie haben beantragt,

den Bescheid der Beklagten aufzuheben und sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen,

hilfsweise,

dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beteiligte (Bundesbeauftragte) hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2001 hat das Verwaltungsgericht Meiningen den Bescheid der Beklagten teilweise aufgehoben und sie verpflichtet festzustellen, dass hinsichtlich der Klägerinnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Klägerinnen seien vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist. Auf Grund des vorliegenden Erkenntnismaterials gebe es ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass armenische Volkszugehörige und deren Angehörige in Aserbaidschan einer mittelbaren Gruppenverfolgung unterliegen. Diese Gefahr bestände auch weiterhin im Falle der Rückkehr der Klägerinnen. Eine inländische Fluchtalternative habe gefehlt und bestehe weiterhin nicht.

Gegen diesen ihm am 19. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Bundesbeauftragte (Berufungskläger) am 29. Oktober 2001 bei dem Verwaltungsgericht beantragt, die Berufung zuzulassen. Diesem Antrag hat der Senat durch Beschluss vom 17. September 2003 - 2 ZKO 774/01 -, dem Berufungskläger am 1. Oktober 2003 zugestellt, entsprochen.

In seiner am 10. Oktober 2003 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Berufungsbegründung trägt der Berufungskläger im Wesentlichen vor, die Frage, ob aserbaidschanische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit in Aserbaidschan einer mittelbaren Gruppenverfolgung unterliegen, sei durch die Urteile des Senats vom 22. Juli 2003 (2 KO 155/03 u. a.) geklärt. Von dieser Rechtsprechung weiche die erstinstanzliche Entscheidung ab.

Sein Vorbringen hat der Berufungskläger später dahin ergänzt: Bereits bei den Vorfluchtereignissen hätten die Klägerinnen keine über den familiären Bereich hinausgehenden Eingriffe geltend gemacht. Auch gegenwärtig fehle eine Verfolgungssituation für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan, ferner gebe es keine Gefahrenlage für einen aserbaidschanischen Staatsangehörigen nichtarmenischer Volkszugehörigkeit mit einem armenischen Eltern- bzw. Großelternteil. Diese Gruppe sei vielmehr seit 2000 vor einer Gruppenverfolgung sicher gewesen. Insoweit nimmt er Bezug auf die Rechtsprechung des Senats sowie anderer Oberverwaltungsgerichte. Die Frage einer inländischen Fluchtalternative in Berg-Karabach sei zu bejahen, dies entspreche zahlreichen obergerichtlichen Urteilen. Ein wirtschaftliches Überleben sei den Klägerinnen dort möglich, Rückkehrer würden nicht als mittellos gelten. Berg-Karabach verfüge auch über ein öffentliches Gesundheitssystem.

Ansprüche nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beständen nicht.

Der Berufungskläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 17. Oktober 2001 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2005 eine posttraumatische Belastungsstörung geltend gemacht und diese später durch ein psychiatrisches Fachgutachten der Fachärztin für Psychiatrie/Psychologie Z , H , vom 19. Februar 2008 untermauert.

Hierzu tragen die Klägerinnen vor, die posttraumatische Belastungsstörung führe zu einem Abschiebungshindernis, zumal bei einer Rückführung mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustands zu rechnen sei. Die posttraumatische Belastungsstörung, die sich auch auf die Klägerin zu 2 auswirke, könne in Aserbaidschan nicht mit Erfolg behandelt werden; dazu fehlten ihnen auch die notwendigen finanziellen Mittel. Der Berufskläger hält eine Behandlung im Heimatland dagegen für möglich.

Im Übrigen machen die Klägerinnen geltend, in Berg-Karabach bestehe keine inländische Fluchtalternative und nehmen hierzu auf verschiedene Auskünfte Bezug. In Berg-Karabach lebten nur die Aserbaidschaner, die dort schon immer gelebt hätten. Ihnen sei es auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, sich in Berg-Karabach anzusiedeln. Sie hätten von den Leistungen nach dem AsylbLG auch keine Geldbeträge ansparen können. Bezüglich der schlechten wirtschaftlichen Lage in Berg-Karabach sei insbesondere auf den Bericht der OSCE-Fact-Finding-Mission vom Februar 2005 zu verweisen. Letztlich habe sich die militärische Situation zugespitzt; der Präsident Aserbaidschans habe eine militärische Rückeroberung angekündigt.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 17. Oktober 2001 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerinnen seien unverfolgt ausgereist. Bei einer Rückkehr seien die Klägerinnen jedenfalls hinreichend sicher vor einer (mittelbaren) Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zur armenischen Ethnie. Die im letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes erwähnten Benachteiligungen erreichten keine asylrechtlich relevante Eingriffsintensität. Jedenfalls stehe ihnen mit Berg-Karabach eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Das Gebiet von Berg-Karabach sei für die Klägerinnen auch auf zumutbare Weise zu erreichen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gerichtsakte 2 KO 13/08 (Bd. II) und die beigezogenen Behördenakten sowie die den Beteiligten zugesandte Erkenntnisquellenliste Aserbaidschan, Stand Februar 2008 (einschließlich der Ergänzung in der mündlichen Verhandlung), Bezug genommen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der ordnungsgemäß geladene Berufungskläger in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Beteiligten ist zulässig.

Das Rechtsmittel ist insbesondere (noch) ausreichend begründet. Nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO, der auch in Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 C 6/98 - Juris, Rdnr. 10 f.), in der hier anzuwendenden bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (vgl. § 194 Abs. 1 VwGO n. F.), muss die Begründung der Berufung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Die Berufungsgründe müssen substantiiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen ausführen, weshalb das angefochtene Urteil nach der Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. September 1999 - 9 B 372/99, 9 PKH 102/99 - Juris, Rdnr. 4). Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, d. h. ob noch eine weiter gehende Begründung notwendig ist, hängt im Wesentlichen von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Lässt das Oberverwaltungsgericht eine Berufung - wie hier - wegen nachträglicher Divergenz zu, ist der Berufungsführer in aller Regel davon entbunden, in der Berufungsbegründungsschrift über eine Bezugnahme auf den Zulassungsbeschluss hinaus weitere inhaltliche Ausführungen zur Begründung seiner Berufung zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2001 - 1 C 33/00 - Juris, Rdnr. 11).

Die Berufung ist aber unbegründet. Die Klage der Klägerinnen ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) verpflichtet (1.) und auch rechtmäßig die Nrn. 2 bis 4 des Bescheides vom 19. März 2001 aufgehoben (2.).

1. In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) können sich die Klägerinnen mit Erfolg auf ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Bezug auf die Republik Aserbaidschan berufen.

Nach den hier anzuwendenden asylrechtlichen Grundsätzen (1.1) sind die Klägerinnen nicht auf Grund individueller Verfolgung - so genannte subjektive Vorfluchtgründe - ausgereist (1.2). Sie unterlagen, von ihrer Umgebung als Armenierinnen eingeordnet, zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Aserbaidschan im Januar 2000 zwar keiner unmittelbaren, aber einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung (1.3), ohne die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative (1.4).

Im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan können sie sich zwar nicht auf subjektive Nachfluchtgründe berufen (1.5). Auch für eine politische Verfolgung durch Entziehung der Staatsangehörigkeit bzw. Verweigerung der Wiedereinreise ergeben sich zumindest für die Klägerinnen keine durchgreifenden Tatsachen (1.6). Die mittelbare Gruppenverfolgung von armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan dürfte immer noch andauern. Jedenfalls sind die Klägerinnen wegen ihrer teilweisen armenischen Abstammung dort aber immer noch nicht hinreichend sicher (1.7). In dem Gebiet von Berg-Karabach besteht für sie keine inländische Fluchtalternative. Dort droht ihnen wohl keine politische Verfolgung (1.8), auch ist Berg-Karabach erreichbar (1.9). Aufgrund der dortigen Lebensbedingungen kann den Klägerinnen aber ein Aufenthalt in diesem Landesteil vernünftigerweise nicht angesonnen werden (1.10).

1.1 Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der an die Stelle des früheren § 51 Abs. 1 AuslG getreten ist, darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Erfordernisse des Abschiebungshindernisses sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter deckungsgleich, soweit es um die Verfolgungshandlung, die geschützten Rechtsgüter und den politischen Charakter der Verfolgung geht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50/92 - Juris, Rdnr. 13 [zu § 51 Abs. 1 AuslG]). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG setzt daher - ebenso wie das Asylrecht - begründete Furcht vor Verfolgung voraus. Diese Verfolgung muss dem Betroffenen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an sonstige, für ihn unverzichtbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielte Rechtsverletzungen zufügen und ihn damit ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 - Juris, Rdnr. 42). Dem Begriff der politischen Verfolgung wohnt insofern ein finales Moment inne, das nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Menschen oder Gruppen zielenden Zugriff asylbegründende Wirkung zukommt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist erforderlich, dass die asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Berührten gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen sollen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, ob der Asylsuchende mithin wegen eines solchen Merkmals verfolgt wird, ist hiernach anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a. a. O., Rdnr. 79).

Die Beantwortung der Frage, welche Wahrscheinlichkeit die in § 60 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefahr aufweisen muss, hängt davon ab, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. War er noch keiner asylrechtlich beachtlichen Bedrohung ausgesetzt, kommt es bei der anzustellenden Prognose darauf an, ob ihm bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles bei einer Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Wurde der Ausländer demgegenüber bereits im Herkunftsland politisch verfolgt, so greift zu seinen Gunsten ein herabgestufter Prognosemaßstab ein. Er muss vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 237/80 - Juris, Rdnr. 13).

Der Senat geht davon aus, dass an diesen Grundsätzen auch angesichts der nunmehr in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG enthaltenen Verweisung auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304, S. 12 - nachfolgend QLR) grundsätzlich festzuhalten ist (so auch: Bayerischer VGH, Urteil vom 31. August 2007 - 11 B 02.31724 - Juris, Rdnr. 28 f.; Urteil vom 24. Oktober 2007 - 11 B 03.30710 - Juris, Rdnr. 19 sowie - für den allgemeinen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2007 - 10 C 24/07 - Juris, Rdnr. 25). Denn auch nach Art. 4 Abs. 4 QLR stellt der Umstand, dass der Schutz suchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder er einen sonstigen ernsthaften Schaden (vgl. Art. 15 QLR) erlitten hat bzw. er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis auf die Begründetheit seines Schutzgesuchs dar, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die in Deutschland richterrechtlich entwickelten Grundsätze über den anzuwendenden Prognosemaßstab entsprechen grundsätzlich dem sich aus Art. 4 Abs. 4 QLR ergebenden Prognoseansatz (vgl. Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Stand: Juni 2006, § 26, Rdnr. 35). Insbesondere ist auch nach deutschem Recht der Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit bereits dann anzuwenden, wenn ein Ausländer zwar noch keine Verfolgung erlitten, er vor der Ausreise jedoch einer unmittelbar drohenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a. a. O., Rdnr. 70), wie das Art. 4 Abs. 4 QLR genügen lässt (vgl. Marx, a. a. O., Rdnr. 39).

1.2 Die Klägerinnen haben nicht auf Grund eines individuellen Verfolgungsschicksals ihre Heimat verlassen müssen.

Das von ihnen geschilderte persönliche Verfolgungsschicksal ist nicht geeignet, eine staatlich motivierte Verfolgung zu stützen.

Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin zu 1 ausgeführt, sie sei von ihrer Schwiegermutter und auch von ihrem Mann geschlagen worden. Die Schwiegermutter habe auch dafür gesorgt, dass sie 1995 ihre Arbeitsstelle als Geophysikerin an einem wissenschaftlichen Institut verloren habe. Die "Bitte um Kündigung" durch den Arbeitgeber der Klägerin zu 1 scheidet sowohl vom Eingriffsgrad her als auch angesichts der Zeitdauer bis zur Ausreise (fünf Jahre) als Vorverfolgung aus. Die übrigen in der Anhörung erwähnten Probleme betreffen ausschließlich den (Stief-) Bruder der Klägerin zu 1.

In dem kurz vor der zweiten mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 25. Februar 2008 vorgelegten Gutachten der Fachärztin Z vom 19. Februar 2008 berichtet die Klägerin zu 1 über zwei Vergewaltigungen im Sommer 1992, in einem Park durch zwei Freunde des Ehemannes und dann eine Woche später in der Ehewohnung durch zwei Nachbarn und den Ehemann selbst. Das soll unmittelbarer Anlass für die faktische Beendigung der (rechtlich erst 1997 geschiedenen) Ehe gewesen sein. Die sexuellen Gewaltakte, deren Opfer die Klägerin zu 1 nach ihren jetzigen Erklärungen geworden ist, liegen fast acht Jahre vor der später erfolgten Ausreise, sodass der zeitliche Zusammenhang mit dem Verlassen des Heimatlandes fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1992 - 9 C 52/91 - Juris, Rdnr. 13 m. w. N.).

1.3 Die Klägerinnen sind wegen ihrer Abstammung der Gruppe der in Aserbaidschan lebenden ethnischen Armenier zuzurechnen (1.3.1); diese Gruppe unterlag im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen im Januar 2000 zwar keiner unmittelbaren (1.3.2), aber einer mittelbaren staatlichen Verfolgung (1.3.3), die objektiv an deren Volkszugehörigkeit anknüpfte.

1.3.1 Die Klägerin zu 1 entstammt einer Ehe zwischen einer armenischen Mutter und einem aserischen Vater (im Folgenden sog. Mischehe).

Die armenische Volkszugehörigkeit der Mutter steht zur Überzeugung des Senats fest. Ihr Familienname "A " enthält die für armenische Namen typische Endung "-jan" (oder "-ian"; siehe das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 6. Oktober 2005 an das VG Ansbach, S. 1). In der vorliegenden Geburtsurkunde der Klägerin zu 1 vom 27. Juni 1959 (Bl. 28 f. Verwaltungsakte) ist die Mutter auch als Armenierin bezeichnet. Die Echtheit dieser Urkunde erscheint nicht zweifelhaft. Die Urkunde stimmt bezüglich der Namen und der Eintragung der Volkszugehörigkeit der Mutter mit den Geburtsurkunden der älteren Schwester der Klägerin zu 1 A (Az. des Bundesamtes: 2 534 668; deren Klage ist derzeit unter dem Az. 2 KO 13/08 im Senat anhängig) und ihres jüngeren Stiefbruders A überein (Az. des Bundesamtes: 2 534 682; dessen Klage wird unter dem Az. 2 KO 891/07 geführt).

Zwischen der amtlichen Volkszugehörigkeit der Klägerinnen (1.3.1.1) und der Einordnung der Volkszugehörigkeit im gesellschaftlichen Umfeld in Aserbaidschan (1.3.1.2) ist zu differenzieren.

1.3.1.1 Die amtliche Volkszugehörigkeit leitet sich in Aserbaidschan bei Kindern aus amtlich registrierten Ehen vom Vater ab (Auskunft des Transkaukasus-Instituts vom 18. Oktober 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern; nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 1997 an das VG München ergibt sich die Volkszugehörigkeit aus einer Vereinbarung der Eltern, zumeist jedoch der Volkszugehörigkeit des Vaters). Dementsprechend hat sich die Klägerin zu 1 in ihrer Anhörung auch konsequent selbst als Aserbaidschanerin bezeichnet (Anhörungsprotokoll vom 25. Januar 2000, S. 2). Dies gilt übrigens genauso für ihre Geschwister, die sich in ihren Anhörungen vom gleichen Tag ebenfalls als aserbaidschanische Volkszugehörige eingestuft haben (jeweils Protokoll S. 2). In der Geburtsurkunde der Klägerin zu 2 (Bl. 25 Verwaltungsakte), die in der mündlichen Verhandlung vom anwesenden Dolmetscher partiell übersetzt wurde, ist damit übereinstimmend als Volkszugehörigkeit beider Elternteile, also auch der Klägerin zu 1, aserbaidschanisch angegeben. Dem entsprechend sind die Geschwister der Klägerin zu 1 in den Geburtsurkunden der Kinder der Geschwister auch als aserbaidschanische Volkszugehörige eingetragen (vgl. für A Bl. 25 der dortigen Verwaltungsakte; für A Bl. 41 und 43 der dortigen Verwaltungsakte). Es spricht damit alles dafür, dass die Klägerin zu 1 (wie auch ihre Geschwister) amtlich aserbaidschanische Volkszugehörige sind. Dies gilt erst recht für die Klägerin zu 2, die amtlich aus einer rein aserbaidschanischen Ehe stammt.

Diese amtlich aserbaidschanische Volkszugehörigkeit schließt die Zuschreibung des Betreffenden als "Armenier" in der aserbaidschanischen Lebenswirklichkeit nicht aus. Dafür streiten sowohl die eigenen Angaben der Familienmitglieder in ihren Asylverfahren zur Diskriminierung als "Armenier" als auch die Erkenntnisse zum Konflikt zwischen den Volksgruppen der Aseris und der Armenier.

1.3.1.2 Die Klägerin zu 1 und auch ihre Geschwister haben in ihren Anhörungen jeweils als Ausreisegrund geltend gemacht, sie seien von ihrer Umgebung aufgrund der Abstammung von einer armenischen Mutter als Armenier(innen) eingeordnet worden.

Bei der Klägerin zu 1 war diese armenische Abstammung wohl der letzte Anlass für das (zunächst faktische) Ende ihrer Ehe 1992 und auch für den Verlust ihres Arbeitsplatzes an einem staatlichen wissenschaftlichen Institut als Geophysikerin im Jahre 1995. Auslöser soll in beiden Fällen die die armenische Abstammung verbreitende Schwiegermutter gewesen sein.

Ihre ältere Schwester A berichtete in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt von ihrer eigenen Kündigung ihres Arbeitsplatzes als Lehrerin. Im August 1998 habe der Direktor eine Geburtsurkunde verlangt wegen der aufgetauchten Behauptung, ihre Mutter sei Armenierin. Deswegen sei ihr in einer staatlichen Druckerei arbeitender Ehemann degradiert worden (vom Direktor zum Mechaniker).

Auch die Töchter der Schwester habe man bedroht. Ein Nachbar, namens A , verbreite die armenische Herkunft der Schwester der Klägerin zu 1; dieser stamme auch aus dem Geburtsort G der Geschwister (auch K oder Q ; Q - einer Region, die zu den armenisch besetzten Gebieten gehört, aber nicht zu Berg-Karabach [siehe nur die Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 24. Oktober 1997 an das VG Bremen, S. 7 f.]). Dieser Nachbar sei 1994 zunächst mit insgesamt 1.000 US-$ ruhig gestellt worden und habe 1998 zeitweilig durch einen Wohnungswechsel "abgehängt" werden können. Diese Schilderungen mit den Darlegungen im eigenanamnestischen Teil der fachärztlichen Stellungnahme der Fachärztin F vom 7. September 2007 zu einer posttraumatischen Belastungsstörung der Schwester, die im Verfahren der Schwester (2 KO 13/08) vorgelegt worden ist, überein. Dort werden die Entführung und Vergewaltigung der Schwester der Klägerin zu 1 im November 1999 durch eben diesen A und einen Freund desselben angeführt sowie Drohungen, die Tochter der Schwester zu vergewaltigen, mitgeteilt.

Der jüngere Stiefbruder der Klägerin zu 1, A , berichtet: Man habe ihn 1993 wegen seiner Mutter Verräter genannt, außerdem sei er in diesem Jahr zwangsweise zum Wehrdienst rekrutiert worden, habe aber desertieren können. 1995 sei er auf einer Polizeistation zusammengeschlagen worden, um ihn zum Verlassen Aserbaidschans zu bewegen, mit dem Ziel an die (gute) Wohnung (Reihenhaus) der Familie zu gelangen. Das sei letztlich auch gelungen, der Bruder sei mit seiner Familie und den Klägerinnen zu den Schwiegereltern gezogen; die Wohnung werde von aserbaidschanischen Flüchtlingen aus Armenien "besetzt". 1998 will er von mehreren Polizisten, die ihn wiedererkannt hätten, zusammengeschlagen worden sein. Die Ehefrau des Bruders A habe man zur Scheidung und zur Kündigung ihrer Tätigkeit als Lehrerin gedrängt. Auch gegenüber der Tochter sei - wohl von Flüchtlingen aus Armenien - auf deren armenische Großmutter hingewiesen worden.

Die Schilderungen der Klägerin zu 1 zu den Drangsalien im Heimatland sind für den Senat - vor dem Hintergrund der Angaben der Geschwister in deren Verfahren - glaubhaft und überzeugend. Die Angaben sind insbesondere frei von (nennenswerten) Widersprüchen und Übertreibungen bzw. Steigerungen. Die Darlegungen sind realistisch und "passen" in die dem Senat vorliegenden Schilderungen über die Situation der Armenier in Aserbaidschan seit dem beginnenden Zerfall der UdSSR Ende der achtziger Jahre.

Dass die Klägerin zu 1 die armenische Sprache nicht beherrscht, erscheint insoweit nicht ungewöhnlich. Nach der Auskunftslage haben sich die in Aserbaidschan lebenden Armenier während der Sowjetzeit sprachlich assimiliert und sind überwiegend nicht in der Lage, armenisch zu sprechen. Umgekehrt gibt es auch keine Hinweise, dass die aserbaidschanische Seite die Nichtbeherrschung der armenischen Sprache zum Anlass nähme, denjenigen nicht als Armenier anzusehen. Auch die Angabe "ohne Bekenntnis" bei der Asylantragstellung der Klägerin zu 1 erscheint nicht ungewöhnlich, sondern als eine Folge des langjährigen Lebens in der (früheren) UdSSR und der damaligen Säkularisierungspolitik (vgl. auch zur Sprache: die Auskunft der Freien Universität Berlin [Dr. Tessa H] vom 12. Juli 1999 an das VG Berlin).

Die Verstoßung der Ehefrau armenischer Abstammung durch den aserischen Ehemann als Folge des 1988 begonnenen armenisch-aserischen Konfliktes gehört zu den Formen der Auseinandersetzung (vgl. etwa die Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker [Dr. Tessa H] vom 21. Januar 1997 an das VG Ansbach); hier fügt sich ein, dass die Klägerin zu 1 ihr Kind, die Klägerin zu 2, womöglich nur wegen des weiblichen Geschlechts behalten durfte. Denn in dieser Auskunft ist davon die Rede, dass insbesondere gemeinsame Söhne vom aserbaidschanischen Familienteil "einbehalten" wurden (vgl. allgemein zur Wegnahme von Kindern von Armenierinnen durch den aserischen Ehemann bzw. dessen Familie: Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker [Dr. Tessa H] vom 12. Mai 1999 an das VG Hamburg).

Das gewaltsame Verdrängen von Familien mit armenischem Hintergrund aus ihren Wohnungen durch aserische Flüchtlinge, sei es aus Armenien oder aus den armenisch besetzten Gebieten Berg-Karabachs (und der mitbesetzten Umgebung), wird in mehreren Auskünften geschildert (siehe etwa das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 2; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Juli 1997, S. 4; European Union - The Council, Bericht vom 11. November 1997, S. 17).

Die Einordnung der Klägerinnen als armenisch durch die soziale Umgebung in Aserbaidschan wird von dem gesellschaftlichen Hintergrund getragen, der das Verhältnis der beiden Volksgruppen prägt.

Während die Volksgruppen der Aseri und der Armenier, insbesondere in der Zeit der Existenz der UdSSR, nebeneinander koexistierten und es auch zu zahlreichen familiären Verbindungen ("Mischehen") und Durchmischungen der beiden Ethnien sowohl in den Gebieten Armeniens als auch Aserbaidschans kam, endete diese Periode mit dem Zerfall der UdSSR und der Entstehung der eigenständigen Staaten Armenien und Aserbaidschan. Verstärkt durch den militärischen Konflikt um Berg-Karabach kam es bereits Anfang der neunziger Jahre zu einer weitgehenden gegenseitigen "ethnischen Säuberung" der beiden Länder mit der Konsequenz einer Massenausreise (oder auch -flucht) von Aserbaidschanern aus Armenien und der Region Berg-Karabach (einschließlich der umgebenden besetzten Gebiete) und von Armeniern aus Aserbaidschan. Ausreiseziel war dabei nicht nur das jeweilige "Heimatland", gerade Personen in Mischehen (insbesondere wenn der Mann Armenier war) reisten auch vielfach ins (ethnisch quasi neutrale) Russland aus (siehe zum Vorstehenden: Gutachten der Gesellschaft für bedrohte Völker [Dr. Tessa H] vom 21. Januar 1997; Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte vom 6. Mai 1994 an das VG Regensburg [Anlage Internationale Gesellschaft für Menschenrechte - Sachverständigengutachten vom 29. März 1994]; European Union - The Council, Bericht vom 11. November 1997, S. 17). Die gegenseitigen Fluchtbewegungen betrafen jeweils Hunderttausende. Die Zahlenangaben dazu schwanken: In dem Bericht von Dr. Tessa H in Pogrom (Heft Mai/Juni 1990) ist von 250.000 geflohenen Armeniern und 200.000 geflohenen Aserbaidschanern die Rede, im oben erwähnten Sachverständigengutachten der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte vom 29. März 1994 wird von 300.000 vertriebenen Armeniern und 600.000 vertriebenen Aserbaidschanern gesprochen. In der Aserbaidschan-Information des Bundesamtes vom Juli 2005 heißt es: 778.000 registrierte Flüchtlinge hielten sich in Aserbaidschan im Dezember 1993 auf (einschließlich der aus Berg-Karabach und aus den mitbesetzten, umgebenden Verwaltungsbezirken geflohenen Aserbaidschaner).

In der Konsequenz dieser gegenseitigen Fluchtbewegungen lebten in Aserbaidschan (ausgenommen die Region Berg-Karabach) schon Mitte der neunziger Jahre kaum noch Armenier (so bereits die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. November 1993 an das VG Schleswig). In der Folge gab es spätestens dann praktisch nur zwei Gruppen von "Armeniern" in Aserbaidschan: einmal die mit einem Aseri verheirateten Personen, meist ältere, weibliche Armenierinnen und andererseits die Abkömmlinge aus aserisch-armenischen Mischehen (so schon der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Oktober 1994, S. 4 f.; ebenso die späteren Lageberichte sowie etwa die Deutsch-Armenische Gesellschaft in ihrer Auskunft vom 7. Februar 1997 an das VG Ansbach und European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) - Report on Azerbaijan - vom 15. April 2003; Anhang zur Stellungnahme von Dr. S vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern). Die Personen in Mischehen, in denen der männliche Partner armenisch ist, sind ebenfalls nahezu vollständig bereits zu Beginn der neunziger Jahre ausgereist (s. o. sowie nochmals European Union - The Council, Bericht vom 11. November 1997, S. 17 f.). Auch die Zahlenangaben zu den "verbliebenen" Armeniern schwanken; im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. März 2000 wird die Zahl mit 10.000 bis 30.000 angegeben, im Lagebericht vom 11. Juni 2004 (S. 11) ist von 10.000 bis 20.000 Personen armenischer Abstammung die Rede. Letztere Zahl stimmt überein mit den Schätzungen des US Department of State, das in seinen Country-Reports zu Aserbaidschan (zuletzt vom 6. März 2007) von 20.000 Armeniern spricht. Diese Schätzung dürfte die Personen einschließen, die sich offiziell als Armenier bezeichnen. Die vom Auswärtigen Amt im letzten Lagebericht vom 7. Mai 2007 (S. 11) genannte Zahl von nur noch 1.000 Armeniern, die aus einer offiziellen aserbaidschanischen Quelle stammt, entspricht (aufgerundet) in etwa dem Ergebnis der Volkszählung von 1999. In dieser Volkszählung haben sich nach den Ausführungen in dem Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 18. Oktober 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern (dort S. 2) damals etwas über 650 Personen selbst als Armenier eingeordnet. In die größeren Zahlenangaben sind hingegen offenbar all die Menschen einbezogen worden, die einen armenischen Hintergrund haben, also auch die Abkömmlinge aus sog. Mischehen. Dies zeigt sich an der Information im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. März 2000, in dem es heißt (a. a. O.):

"Die Zahl der Personen mit armenischer Abstammung wird auf 10.000 -30.000 geschätzt. Es handelt sich überwiegend um mit Aserbaidschanern verheiratete, meist ältere, Armenierinnen und deren Abkömmlinge."

Darunter fallen mithin all die Personen, die - wie oben (1.3.1.1) dargelegt - "offiziell" (amtlich) und auch nach eigener Einschätzung oft Aseri sind, mithin Personen, wie die Klägerin zu 1 und ihre Tochter (Klägerin zu 2) als Abkömmling der nächsten Generation, indessen nicht der aserischen Volksgruppe zugerechnet werden.

Solche Personen, auch mit nur einem armenischen Elternteil, werden in der aserbaidschanischen Gesellschaft, wird die Herkunft er- bzw. bekannt, als "Arm enier" von ihrer Umwelt aufgefasst.

So heißt es etwa in der Stellungnahme der Deutsch-Armenischen Gesellschaft vom 19. Februar 1999 (an das VG Stuttgart): Entscheidend für die Gefährdung der betreffenden Person sei im Allgemeinen nicht eine "rein armenische" Abstammung, sondern die Tatsache, dass die Umgebung der betreffenden Person von deren, unter Umständen auch nur entfernter, Abstammung von Armeniern Kenntnis hat; für eine feindselige Einstellung genügten selbst Gerüchte. Eine Analyse des Grades des "Armeniertums" finde hierbei nicht statt. Dazu passt die Erklärung (im Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 6. Oktober 2005 an das VG Ansbach, S. 8), dass in Aserbaidschan bezüglich der Zuordnung zu einer Volkszugehörigkeit wohl weitgehend eine "entweder-oder" Mentalität herrsche, die Annahme einer geteilten Volkszugehörigkeit oder mehrerer Volkszugehörigkeiten sei der aserbaidschanischen Bevölkerungsmehrheit eher fremd. Auch die zum Gutachten von Dr. Tessa S vom 15. Juli 2003 (an das VG Ansbach; dort S. 5) befragten Personen, die früher in Aserbaidschan lebten, gehen (zumindest nach der nahezu vollständigen Vertreibung der "Voll"-Armenier) inzwischen bei Diskriminierungen von einer "Gleichbehandlung" von Armeniern und Abkömmlingen aus aserisch-armenischen Mischehen aus. In dem Gutachten des Transkaukasus-Instituts (vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, dort. S. 11) wird für männliche Wehrpflichtige mitgeteilt, dass beim Ableisten des Wehrdienstes das Bekanntwerden einer armenischen Mutter oder auch nur Großmutter ausreiche, um den Betreffenden zum Opfer schwerster Körperverletzungen, auch mit Todesfolge, werden zu lassen. Auch das Auswärtige Amt hat noch in seinem Lagebericht vom 13. April 1999 (S. 4) Kinder aus Mischehen ebenfalls als weitgehend recht- und schutzlos bezeichnet.

Diese Erstreckung der Ausgrenzung auch auf Abkömmlinge aus Mischehen dürfte im Kern im verbreiteten und staatlich geförderten Bewusstsein (etwa durch Reden offizieller Stellen oder im Schulunterricht) der Bevölkerung der Feindschaft gegenüber allem Armenischen in Aserbaidschan seine Grundlage haben (siehe ausführlich unten 1.7.2), während die Ausgrenzung selbst ihren besonderen Ausdruck in der Vertreibung nahezu aller "Voll"-Armenier bereits Anfang der neunziger Jahre gefunden hat.

Der familiäre armenische Hintergrund birgt selbst in der Haupt- und Millionenstadt Baku ein erhebliches Risikopotential für die davon Betroffenen. Zwar bietet ein nichtarmenischer Name einen gewissen Schutz. Letztlich wird auch in Baku eine armenische Mutter vor Nachbarn oder dem Arbeitgeber nach Ansicht des Transkaukasus-Instituts (vgl. das Gutachten vom 6. Oktober 2005 an das VG Ansbach, dort S. 14) kaum zu verbergen sein, da sich etwa Nachbarn und auch Arbeitgeber eingehend zu erkundigen pflegen. Auch der Schutz persönlicher Daten soll bei den Behörden des Landes nicht verbürgt sein. Letztere geben vielmehr persönliche Daten ohne Einschränkungen auch Privaten bekannt. Die gezielte Information über die armenische Volkszugehörigkeit durch Verwaltungsmitarbeiter erscheint nach Angaben des Transkaukasus-Institutes belegt (Gutachten vom 6. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 9); sie könne aber durch "Beschwichtigungszahlungen" ggfs. abgewendet werden. In dieses Bild fügen sich die Schilderungen der Klägerin zu 1 und ihrer Geschwister über ihr Leben in Baku in den neunziger Jahren ein. Auch dort wird die armenische Herkunft bekannt; den unmittelbaren Folgen konnte dann teilweise durch einen Ortswechsel (Wohnungstausch bei der älteren Schwester, Wegzug zu den Schwiegereltern beim Bruder) vorübergehend entgangen werden.

1.3.2 Die Klägerinnen unterlagen als Angehörige der den armenischen Volkszugehörigen zugerechneten Personen zum Zeitpunkt ihrer Ausreise keiner unmittelbaren Gruppenverfolgung.

Eine staatliche (unmittelbare) Gruppenverfolgung wäre zunächst anzunehmen, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichten, ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen Extremsituationen bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Vernichtungs- oder Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen darzutun (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - Juris, Rdnr. 20; Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - Juris, Rdnr. 20 m. w. N.).

Sind Gruppenmitglieder von Verfolgungshandlungen betroffen, die als Einzelgeschehnisse einzuordnen sind, setzt eine gruppengerichtete Verfolgung eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - a. a. O.).

Insoweit gibt es keine hinreichend belegten Tatsachen für eine unmittelbare Gruppenverfolgung, wenn auch gewisse Tendenzen dafür streiten. Dies gilt etwa für den Vertreibungsdruck, der durch den Staat nicht unterbunden wird, und vor allem die verweigerte Wiederaufnahme erkannter armenischer Volkszugehöriger im Falle der Rückkehr nach früherer Ausreise (siehe dazu unten 1.6).

1.3.3 Jedenfalls waren die Klägerinnen vor der Ausreise Anfang 2000 einer mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt (so zugleich für Abkömmlinge einer sog. Mischehe: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. September 2001 - 6 A 11840/00 - Juris, Rdnr. 22 f., der Senat in seinem - insoweit rechtskräftigen - Urteil bezüglich des Bruders der Klägerin zu 1 vom 19. Mai 2005 - 2 KO 156/03 - [UA S. 9 ff.]; ebenso - allgemein für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan - das grundlegende Urteil des Senats vom 26. August 2003 - 2 KO 155/03 - Juris, Rdnr. 51 ff. sowie OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Dezember 2002 - 1 L 239/01 - Juris, Rdnr. 20; vgl. auch: Hessischer VGH, Beschluss vom 30. Mai 2003 - 3 UE 858/02.A - Juris, Rdnr. 24 und Beschluss vom 15. September 2005 - 3 UE 2381/04.A - Juris, Rdnr. 26, n. rkr.).

Eine mittelbare Gruppenverfolgung von Dritten, die von privater Seite ausgeht, dem Staat jedoch zurechenbar ist (vgl. den Katalog der Akteure in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstaben a bis c AufenthG und die Aufzählung in Art. 6 Buchstaben a bis c QLR) liegt typischerweise vor bei Massenausschreitungen (Pogromen), die das ganze Land oder große Teile erfassen und auch dann, wenn unbedeutende oder kleine Minderheiten mit solcher Härte, Ausdauer und Unnachsichtigkeit verfolgt werden, dass jeder Angehörige dieser Minderheit sich ständig der Gefährdung an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit ausgesetzt sieht. Soweit nicht Pogrome oder diesen vergleichbare Massenausschreitungen in Frage stehen, erfordert auch die für eine mittelbare Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte, dass die Verfolgungsschläge so dicht und eng gestreut fallen, dass für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet ist, in eigener Person Opfer der Übergriffe zu werden. Die Verfolgungshandlungen müssen danach im Verfolgungszeitraum und im Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Im Einzelfall kann bei besonders kleinen Gruppen in wertender Betrachtung eine weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge bei gleichzeitiger Beachtung des abstrakten Maßstabs der Verfolgungsdichte verzichtbar sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - a. a. O. und Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 B 59/06 - Juris, Rdnr. 7). In die Betrachtung hat etwa einzugehen, ob sich in der Vergangenheit vergleichbares Verfolgungsgeschehen schon häufiger ereignet hat und ob die Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, das Verfolgungshandlungen, wenn nicht gar in den Augen der Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt. Andererseits ist von Bedeutung, ob sie ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt sind, auch wenn diese als solche noch nicht von einer Schwere sind, die die Annahme politischer Verfolgung begründen.

Diese gewichtigen Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung sind in die Gesamtbeurteilung der Frage einzubeziehen, ob die Verfolgungsfurcht eines Asylbewerbers bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles bei objektiver Beurteilung begründet und deshalb asylrechtlich beachtlich ist, weil es ihm unter diesen Umständen nicht zumutbar ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (vgl. insgesamt zum Vorstehenden: BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - Juris, Rdnr. 40 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154/90 - Juris, Rdnr. 25 ff.).

Danach ist festzustellen, die Verfolgung der armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan im letzten Jahrzehnt dauerte noch im Jahr 2000 an; mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte den Klägerinnen deshalb mittelbare Gruppenverfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit noch vor der Ausreise im Januar 2000.

Zu den maßgebenden Geschehnissen ist bekannt:

Bereits während des Bestehens der Sowjetunion gab es gewalttätige Ausschreitungen aserbaidschanischer Bevölkerungsteile gegen die armenische Minderheit in Aserbaidschan. So fanden im Februar 1988 in Sumgait und Baku blutige Menschenjagden auf Armenier statt, bei denen mindestens 32 Armenier ermordet wurden. In seiner Auskunft vom 29. August 1994 (an das VG Regensburg) führt das Auswärtige Amt aus, Anfang Januar 1990 haben sich die gewalttätigen Ausschreitungen in pogromartigen blutigen Übergriffen entladen, bei denen eine offiziell nie bekannt gegebene Zahl armenischer Volkszugehöriger z. T. auf bestialische Weise umgebracht worden ist. Die aserbaidschanischen Sicherheitskräfte hätten dem Treiben der aufgehetzten Menschen tatenlos zugesehen oder sich gar in einzelnen bekannt gewordenen Fällen an den Ausschreitungen und Morden beteiligt (siehe etwa auch die Reportage über den "Blutigen Sonntag Aserbaidschans" in dem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte vom 6. Mai 1994, [Anlage zur Auskunft der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte an das VG Regensburg gleichen Datums]).

Zwar sind nach den vorliegenden Erkenntnissen in dem Zeitraum nach den gewalttätigen Ausschreitungen zu Beginn des Jahres 1990 keine konkreten Fälle von Übergriffen gegen Angehörige der armenischen Volksgruppe mehr berichtet worden. Eine Wiederholung der gewalttätigen Ausschreitungen gegen die wenigen Zurückgebliebenen, bei denen es sich meistens um Partner aus gemischten Ehen oder Kinder aus solchen Verbindungen gehandelt hat, hat es seitdem nicht gegeben. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. August 1993 (an das VG Ansbach) haben die Auseinandersetzungen aber zu offen gezeigter Feindseligkeit gegenüber der armenischen Minderheit geführt. Es bestand daher die Gefahr, dass sie sich jederzeit in weiteren blutigen Gewaltaktionen entladen konnten. Die Gesamtsituation der Armenier war geprägt von Hass und vielfältiger Benachteiligung. Angehörige der armenischen Volksgruppe lebten nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes in einem Klima der Furcht und des Schreckens und sahen sich zahlreichen Demütigungen und Schikanen ausgesetzt. In seiner bereits zitierten Auskunft vom 29. August 1994 führt das Auswärtige Amt weiter aus, ein armenischer Volkszugehöriger bekomme nirgends einen Arbeitsplatz, finde keinen Arzt, der ihn behandele, und keinen Lehrer, der seine Kinder unterrichte. Es gebe kaum einen Händler, der ihm die Lebensmittel zum Überleben verkaufe. Gerichte würden sie aus ihren Wohnungen verweisen und die Objekte aserischen Volkszugehörigen zuerkennen. Zwar würden Ausschreitungen und Diskriminierungen offiziell nicht gutgeheißen, der Staat unternehme jedoch nichts, um gegen die Diskriminierungen einzuschreiten, oder den Volkszorn zu besänftigen. Auf Grund dieser Umstände wurde es auch in der Folgezeit für wenig wahrscheinlich gehalten, dass im Falle des Ausbruchs erneuter Gewaltakte ein wirksames Einschreiten der aserischen Sicherheitsbehörden zum Schutz der armenischen Minderheit erfolgen werde (vgl. nochmals die Auskunft des Auswärtiges Amtes vom 27. August 1993 an das VG Ansbach). Diese Einschätzung wurde auch von amnesty international geteilt. Nach der Auskunft vom 23. September 1993 (an das VG Ansbach) sind der Menschenrechtsorganisation eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen gegen Armenier bekannt geworden, die oft mit Billigung oder gar Mithilfe der aserbaidschanischen Behörden stattgefunden hätten. Für zurückkehrende armenische Volkszugehörige sei daher in Aserbaidschan von einer extremen Gefährdung auszugehen.

In der Folge der Pogrome Anfang der 90er Jahre sind nahezu alle Armenier aus Baku (der Hauptstadt Aserbaidschans) und dem restlichen Aserbaidschan geflohen bzw. vertrieben worden. Es leben deshalb kaum noch Armenier in den rein aserbaidschanischen Siedlungsgebieten. Über die umfassende Diskriminierung der armenischen Minderheit in allen Bereichen berichtete das Auswärtige Amt (an das VG Schleswig) am 18. November 1993 und am 15. Februar 1994. Diese Minderheit sehe sich täglichen Anfeindungen der Nachbarn und der Mehrheit der einheimischen (aserischen) Bevölkerung ausgesetzt. Armenier gebe es nur noch in Berg-Karabach, alle übrigen Gebiete Aserbaidschans seien von dieser Minderheit "gesäubert", teilt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte in ihrer bereits zitierten Stellungnahme vom 6. Mai 1994 mit. Das Land sei im Kriegszustand, heißt es dort weiter, Aserbaidschaner gegen Armenier und umgekehrt. Ob und in welchem Umfang Pogrome der aserbaidschanischen Nationalisten und Soldaten an Armeniern stattfänden, hänge von der Frontlinie und ihrer Verschiebung ab, d. h., ob eine von Armeniern bewohnte Ortschaft erobert werde. Die abschließende Beurteilung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte: Armenier nach Aserbaidschan auszuweisen, wo sie vor ihrer Flucht lebten, hieße, sie in den "sicheren Tod" zu schicken, verdeutlicht deren Situation in dem hier maßgeblichen Zeitraum.

Vor diesen in weiten Teilen der Bevölkerung befürworteten antiarmenischen Diskriminierungen hat der aserbaidschanische Staat den davon Betroffenen keinen wirksamen Schutz geboten, geschweige denn einen solchen garantiert. Selbst wenn er hierzu den Willen gehabt hätte, wäre ein solcher Schutz unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen (so das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 26. Juli 1995 an das VG Wiesbaden). Hass und Verachtung gegenüber armenischen Volkszugehörigen, die von der Mehrheit der Aserbaidschaner ausgingen, hatten zu ihrer völligen Isolation und zu ihrer Ächtung in fast allen Bereichen geführt. In seinem Gutachten vom 27. Juli 1995 (für das VG Frankfurt/Oder) führte Prof. Dr. Theodor Sch(von der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder) aus, der Nationalitätenhass, der insbesondere durch den mit großer Brutalität ausgetragenen Berg-Karabach-Konflikt entstanden sei, habe dazu geführt, dass sich fast kein Armenier mehr in Aserbaidschan aufhalte. Da auch nach dem Waffenstillstand vom Mai 1994 keine dauerhafte Lösung für das Berg-Karabach-Problem in Sicht sei, könne man nicht davon ausgehen, dass heute - d. h. 1995 - keinerlei Gefahren für die armenischen Volkszugehörigen mehr bestünden.

An der dargestellten Gefahrenlage für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan änderte sich auch in der Folgezeit bis zur Ausreise der Klägerinnen Anfang Januar 2000 nichts (vgl. hierzu: Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 10. April 1996 [S. 3] und 16. Januar 1997 [S. 4]; Auskünfte vom 3. Juni 1996 und 27. Oktober 1997 an das VG Ansbach; UNITED NATIONS HIGH COMMISSIONER FOR REFUGEES - UNHCR -, Hinweis vom 21. Mai 1996 an Rechtsanwalt Stehn, Hamburg; amnesty international, Auskunft vom 14. Oktober 1996 an das VG Düsseldorf; Deutsch-Armenische Gesellschaft, Stellungnahme vom 7. Februar 1997 an das VG Ansbach; amnesty international, Berichte zur Menschrechtslage in Aserbaidschan vom 8. November 1997 und von Juni 1998; European Union - The Council, Bericht vom 11. November 1997, [S. 16 ff.]).

Noch in seinen Lageberichten vom 22. Oktober 1998 (S. 3) und 13. April 1999 (S. 3) stellte das Auswärtige Amt fest, die Armenier seien die einzige ethnische Gruppe in Aserbaidschan, die staatlichem Druck ausgesetzt sei. Während der Großteil der Armenier das Land nach Ausbruch der Feindseligkeiten um Berg-Karabach verlassen habe, lebe noch eine Vielzahl mit Aserbaidschanern verheirateter Armenierinnen im Land. Sie seien jedoch ohne Hoffnung auf Anstellung und lebten unter erschwerten Bedingungen. Wann immer die betroffenen Personen armenischer Herkunft ihren Personalausweis, aus dem die ethnische Zugehörigkeit hervorgehe, vorlegen müssten, bestehe die Gefahr rassischer Diskriminierung bis hin zu völliger Dienstleistungsverweigerung seitens der Behörden. Ähnliches gelte für die aus aserbaidschanisch-armenischen Ehen hervorgegangenen Abkömmlinge. Mit den Worten "einer mittelbaren staatlichen Verfolgung unterliegen in der Aserbaidschanischen Republik aber derzeit in hohem Maße Angehörige der armenischen Minderheit" bestätigte das Auswärtige Amt 1999 erneut seine frühere Einschätzung der Lage. Der Staat unterlasse es, diese Ethnie vor Diskriminierung und Schikanen durch die wegen der Berg-Karabach-Ereignisse aufgebrachten Aserbaidschaner wirksam zu schützen. Armenische Volkszugehörige, selbst wenn sie einer gemischt nationalen Beziehung entsprängen und die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besäßen, lebten heute in Aserbaidschan weitgehend recht- und schutzlos.

Legt man die vorstehenden Auskünfte zu Grunde, so ist festzustellen, dass die gegen die armenischen Volkszugehörigen gerichteten Maßnahmen nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgingen, was die Bewohner Aserbaidschans aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hatten (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1987 - 9 C 321/85 - Juris, Rdnr. 7). Das von staatlichen Stellen geduldete Verhalten der aserbaidschanischen Bevölkerung gegenüber der armenischen Minderheit stellte eine Verfolgung dar. Die mehrheitliche Verweigerung von Wohnraum oder dessen "Wegnahme", der weitere Umstand, dass armenischen Volkszugehörigen in erheblichem Umfang, wenn nicht sogar gänzlich, eine ärztliche Versorgung verweigert wurde, sowie die Tatsache, dass sich weite Bevölkerungsteile schlicht weigerten, Armeniern Lebensmittel zu verkaufen, stellten Maßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben dieser Bevölkerungsgruppe dar. Dies galt auch für die Weigerung, ihnen Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen. Auch wenn letzteres Verhalten nicht durchgängig zu beobachten war, so stellt es dennoch eine asylrechtlich relevante Verfolgung dar. Es führte in der praktizierten und vom Staat geduldeten Form weitgehend zu einer Vernichtung der Existenzgrundlagen der armenischen Volkszugehörigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1987, a. a. O.). Da diese Maßnahmen erkennbar an die Zugehörigkeit zur armenischen Minderheit anknüpften, stellten sie Verfolgungsmaßnahmen im Sinne einer politischen Verfolgung wegen der Nationalität dar.

Für dieses allgemeine Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmilieu und Übergriffsgeschehen in der Folge der pogromartigen Ausschreitungen und der massiven Abwanderung, dem die noch im Land verbliebene kleine Restgruppe von Armeniern und Personen mit armenischer Herkunft durch die Mehrheitsbevölkerung der Aserbeidschaner ganz allgemein ausgesetzt war, lassen sich angesichts der Größenverhältnisse quantifizierbar keine gesicherten Relationen mehr herstellen. Die Verfolgungsmaßnahmen Dritter haben keine Öffentlichkeit mehr erreicht, sodass nach Anzahl und Intensität eine Relation zwischen Restgruppe und der Bevölkerungsmehrheit gebildet werden könnte. Die erreichbaren und dargestellten Erkenntnisse vermitteln indessen in wertender Gesamtbetrachtung ein eindeutiges Bild: Angehörige der Restgruppe konnten ganz allgemein und jederzeit ohne Unterschied Opfer von Verfolgungsschlägen werden, sodass die Regelvermutung eigener Betroffenheit gerechtfertigt ist. Diese Verfolgung war dem Staat auch zurechenbar. Denn grundsätzlich obliegt es jedem Staat, allen seinen Staatsangehörigen ohne Ansehen der Person Schutz zu bieten, um eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Der aserbaidschanische Staat war, wie sich aus den oben dargestellten Auskünften ergibt, ersichtlich "schutzunwillig".

1.4 Die Klägerinnen verfügten zum Zeitpunkt ihrer Ausreise auch über keine inländische Fluchtalternative im Gebiet von Berg-Karabach.

Wer nicht von landesweiter, sondern von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, kann die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur dann für sich beanspruchen, wenn er landesweit in eine ausweglose Lage gerät. Das setzt voraus, dass er in anderen Teilen seines Heimatstaates eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann. Dem in seinem Heimatstaat Verfolgten ist es grundsätzlich zuzumuten, in faktisch verfolgungsfreie Gebiete seines Heimatstaates auszuweichen (inländische Fluchtalternative), bevor er um Schutz im Ausland nachsucht (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a. a. O., Rdnr. 65).

Die Frage, ob der aserbaidschanische Staat über das unter armenischer Militärhoheit stehende Gebiet von Berg-Karabach Hoheitsgewalt ausüben konnte und ob eine solche inländische Ausweich- bzw. Zufluchtsmöglichkeit überhaupt in Betracht kam, kann der Senat an dieser Stelle offen lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes setzt das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative voraus, dass die betreffende Region für den Zuflucht Suchenden auch tatsächlich erreichbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1993 - 9 C 59/92 - Juris, Rdnr. 12). Ist der Ort der inländischen Fluchtalternative für den Verfolgten nicht erreichbar, besteht die Möglichkeit, durch ein Ausweichen in verfolgungsfreie Zonen der Verfolgung zu entgehen, nicht. Der Bedrohte ist in einem solchen Fall - trotz des nur regionalen Charakters der Verfolgung - auf ausländischen Schutz angewiesen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2001 - 9 C 16/00 - Juris, Rdnr. 10).

Daran hat sich durch Art. 8 Abs. 3 QRL (i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) nichts geändert. Danach schließen praktische Hindernisse eine Anwendung der Regelungen über den internen Schutz (Art. 8 Abs. 1 QRL) nicht aus. Die Gesetzesmaterialien sprechen diesbezüglich etwa von fehlenden Verkehrsverbindungen (vgl. die BR-Drs. 224/07 S. 327; ebenso die Hinweise des Bundesministeriums des Innern zur Anwendung der QRL vom 13. Oktober 2006). Dabei muss es sich um ausräumbare (vgl. Lehmann, NVwZ 2007, 508, 512) bzw. vorübergehende Hindernisse handeln (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Mai 2007 - 3 L 54/03 - Juris, UA S. 24; Marx, a. a. O., § 14 Rdnr. 15). Diesbezüglich erscheint insbesondere der Hinweis von Marx (a. a. O.) auf den in der englischen Version des Art. 8 Abs. 3 QRL verwendeten Begriff der "technical obstacles" überzeugend.

Das ist hier nicht der Fall.

Im Zeitpunkt der Ausreise der Klägerinnen konnte man von Aserbaidschan aus in die Region von Berg-Karabach nur durch die streng bewachten feindlichen Linien der an der Auseinandersetzung beteiligten Militärs gelangen; damit war eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben verbunden. Dementsprechend ging auch das Auswärtige Amt noch in seinem Lagebericht vom 13. April 1999 (S. 6) davon aus, dass dem betroffenen Personenkreis eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung stehe (so auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 17. Februar 1998, S. 5).

Dass die Einreise in das Gebiet von Berg-Karabach etwa gefahrlos über Armenien oder gegebenenfalls andere angrenzende Staaten möglich war, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Denn diese Möglichkeit eröffnete für die Klägerinnen keine Fluchtalternative ohne ausländischen Schutz. Die notwendige Inanspruchnahme der Hilfe eines fremden Staats, um hinreichende Verfolgungssicherheit zu erlangen, lässt das Asyl- bzw. Abschiebungsschutzrecht nicht wegen seiner Subsidiarität entfallen. Dies gilt erst recht für die ethnischen Armenier unter bestimmten Voraussetzungen offen stehende Alternative, in die Republik Armenien überzusiedeln. Damit hätten die Klägerinnen in einem anderen Staat als ihrem Heimatstaat Zuflucht gesucht (vgl. hierzu auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. September 2001, a. a. O., Rdnr. 29).

Die Klägerinnen sind deshalb verfolgungsbedingt wegen mittelbarer Gruppenverfolgung ausgereist.

1.5 Auf subjektive Nachfluchtgründe können sie sich nicht berufen.

Asylerhebliche Aktivitäten im Ausland nach ihrer Flucht aus Aserbaidschan haben die Klägerinnen nicht dargetan. Auch die Stellung eines Asylantrages löst keine Maßnahmen aserbaidschanischer staatlicher Stellen aus. Es gibt keine Erkenntnisse dazu, dass bereits die Beantragung von Asyl im Ausland zu Problemen bei der Rückkehr nach Aserbaidschan führt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 7. Mai 2007, S. 18).

Eine etwaige illegale Ausreise der Klägerinnen aus Aserbaidschan führt ebenfalls nicht zu einer Gefährdung. Nach dem am 1. September 2000 in Kraft getretenen neuen Strafgesetz ist die Flucht eines aserbaidschanischen Staatsangehörigen aus seinem Heimatland oder ein Auslandsaufenthalt nicht mehr unter Strafe gestellt (vgl. die Stellungnahme von amnesty international vom 29. April 2002 an das VG Berlin, S. 5). Der in dieser Stellungnahme angeführte Art. 57 des aserbaidschanischen Strafgesetzes in der Tatbestandsvariante der Weigerung, aus dem Ausland zurückzukehren, wurde bereits Mitte der neunziger Jahre schon längere Zeit nicht mehr angewandt (siehe das Gutachten von Prof. Dr. Fricke von der Universität Passau an das VG Stuttgart vom 12. September 1994).

1.6 Eine politische Verfolgung durch Entziehung der Staatsangehörigkeit bzw. die staatlich verweigerte Wiedereinreise (als objektive Nachfluchtgründe) erscheinen - auf den Einzelfall der Klägerinnen bezogen - nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit selbst würdigt der Senat nach den Gesamtumständen im Herkunftsland ebenso wie die neuere Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu Aserbaidschan als Akt politischer Verfolgung (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 25. Januar 2007 - 9 B 05.30531 - Juris, Rdnr. 26 und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O.). Entsprechende Feststellungen lassen sich für die Klägerinnen indessen nicht treffen.

Die Klägerinnen, die bei In-Kraft-Treten des neuen aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 1998 in Aserbaidschan lebten, dürften wohl noch aserbaidschanische Staatsangehörige sein.

Es ist zwar weitgehende Praxis in Aserbaidschan, Personen, die am Stichtag 1. Oktober 1998 im Ausland lebten, aus den Melderegistern zu streichen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2007, S. 19). Außerdem sollen Personen, die sich langfristig im Ausland aufhalten, aus den Melderegistern gelöscht werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. April 2007 an das VG Münster). Diese Streichung führt aber nach der aserbaidschanischen Praxis nicht zwingend zum Verlust der Staatsangehörigkeit; so werden die etwa zwei Millionen in Russland lebenden Aseris weiterhin als Staatsangehörige angesehen und erhalten von Konsulaten in Russland auch aserbaidschanische Pässe. Bezüglich amtlich armenischer Volkszugehöriger wird die Streichung im Melderegister, insbesondere nach der Stichtagsregelung, andererseits als Verlusttatbestand für die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit gehandhabt (siehe nochmals den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2007, a. a. O.). Daneben gab es wohl - unabhängig vom dem Stichtag - willkürliche und unsystematische "Säuberungswellen" in den Melderegistern, auch schon vor 1998 zu (amtlich) armenischen Volkszugehörigen bzw. zu Personen mit armenisch klingenden Namen (vgl. die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 12. Dezember 2005 an das VG Schleswig und vom 25. November 2005 an das VG Osnabrück). Dementsprechend konnten nach der erwähnten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. April 2007 armenische Volkszugehörige in der Vergangenheit oft (noch zu > 50 %) im Geburtsregister aufgefunden werden, nicht jedoch im Personenregister. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass es Intention des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1998 war, nicht mehr in Aserbaidschan lebende armenische Volkszugehörige aus der Staatsangehörigkeit zu "entlassen" (so die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. August 2005 an das OVG Hamburg). Auch das Transkaukasus-Institut geht in seinem Gutachten vom 28. März 2007 (an das VG Braunschweig, S. 5) davon aus, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz 1998 de jure zwar nicht zu einem Verlust der Staatsangehörigkeit bei einer Ausreise geführt hat, sich bezüglich (amtlich) armenischer Volkszugehöriger eine gegenteilige Praxis aber ausnahmslos durchgesetzt hat. Auch Dr. S (Gutachten vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 6) nimmt an, das Staatsbürgerschaftsgesetz 1998 sei so formuliert, dass vor allem die armenischen Volkszugehörigen, die in der Hauptfluchtwelle 1988 bis 1994 Aserbaidschan verlassen hatten, keine Chance haben, die Staatsangehörigkeit zu erwerben; es handele sich de facto um eine Ausbürgerung auf kaltem Wege. Eine Rücknahme dieser dadurch staatenlosen armenischen Volkszugehörigen aus Aserbaidschan lehne der Staat Aserbaidschan ab; er verweigere (amtlich) armenischen Volkszugehörigen ausnahmslos die Wiedereinreise (siehe das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 16. April 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 3). Das Transkaukasus-Institut berichtet in dem zitierten Gutachten von dem Fall einer armenischen Volkszugehörigen aus Aserbaidschan, die nach längerem Bemühen aus dem Ausland heraus zwar (ausnahmsweise) die Bestätigung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit erhalten habe, der aber eine Einreise oder ein Reisepass gleichwohl verweigert wurden.

Über armenische Volkszugehörige, die (wie die Klägerinnen) erst nach 1998 ausgereist sind, liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor (vgl. Dr. S, a. a. O., S. 3). Bei deren Abwehr durch den aserbaidschanischen Staat - mit unterschiedlichen Argumentationen insbesondere zur Konsequenz der Stichtagsregelung - wird nach den Erfahrungen des Transkaukasus-Instituts immer an die amtliche Volkszugehörigkeit angeknüpft, allenfalls aserische Volkszugehörige im Familienverbund mit einem armenischen Volkszugehörigen würden mit "abgeblockt" (siehe das Gutachten vom 17. Juli 2006 an das VG Ansbach, S. 25). Dementsprechend sei eine Abmeldung eines (amtlichen) Aserbaidschaners bzw. die Nichtanerkennung seiner aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit allein wegen einer armenischen Mutter (dem entspricht die Situation der Klägerin zu 1) dem Transkaukasus-Institut nicht bekannt (siehe das Gutachten vom 6. Oktober 2005 an das VG Ansbach, S. 9).

Da die Klägerinnen amtlich aserische Volkszugehörige sind und auch keinen armenischen Namen tragen, kann eine gesicherte Prognose, dass sie nach aserbaidschanischer Praxis nicht mehr aserbaidschanische Staatsangehörige sind und nicht wieder einreisen dürften, nicht erfolgen. Anhaltspunkte für ein wahrscheinliches Vorgehen in dieser Weise durch den aserbaidschanischen Staat in ihrem Fall vermochten die Klägerinnen nicht darzutun. Die Angaben in der mündlichen Verhandlung haben dazu nichts beigetragen. Die Ausführungen im nachgelassenen Schriftsatz der Klägerinnen vom 5. März 2008 (GA Bl. 397 ff.) ermöglichen ebenso keine eindeutigen Schlüsse. Die Tatsache, dass die Schwester der Klägerin zu 1 und ihre Tochter A in deren Verfahren vor dem Senat (2 KO 13/08 [2 KO 906/03]) mit Schriftsatz vom 6. September 2005 Kopien und Übersetzungen von Bescheinigungen des aserbaidschanischen Innenministeriums über ihre "Entlassung" aus der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit vorgelegt haben, wäre dann ein Indiz für eine andere Beurteilung der Staatsangehörigkeitsfrage, wenn die Klägerin zu 1 sich zu ihrem eigenen Unterlassen oder einem etwaigen Bemühen, eine solche Bestätigung zu erwirken, in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinreichend erklärt hätte. Dies ist nicht geschehen.

1.7 Im Falle der Rückkehr nach Aserbaidschan sind die Klägerinnen derzeit und für die überschaubare Zukunft jedenfalls nicht hinreichend sicher vor einer mittelbaren (nichtstaatlichen) Verfolgung, weil sie in Aserbaidschan der Ethnie der Armenier zugerechnet werden.

Hat ein Ausländer seine Heimat wegen erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen, wird ihm der Schutz des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bereits dann zuteil, wenn an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in den Heimatstaat ernst zu nehmende Zweifel bestehen. In einem solchen Fall genügt es, wenn Tatsachen vorliegen, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen lassen, er also vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher ist. Sein Asylbegehren darf nur abgewiesen werden, wenn das geltend gemachte Vorbringen entkräftet werden kann oder sich eine Wiederholungsverfolgung ohne ernsthafte Zweifel an der Sicherheit des Asylbewerbers im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat ausschließen lässt (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 25. September 1984 - 9 C 17.84 - Juris, Rdnr. 9 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung sind wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen. Es muss mehr als nur überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Asylsuchende im Heimatstaat vor Verfolgungsmaßnahmen sicher ist. Andererseits braucht die Gefahr des Eintritts politischer Verfolgungsmaßnahmen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu werden, sodass jeder auch nur geringe Zweifel an der Sicherheit vor politischer Verfolgung dem Begehren zum Erfolg verhelfen müsste. Lassen sich ernsthafte Bedenken nicht ausräumen, so wirken sie sich nach diesen Maßstäben zugunsten des Asylbewerbers aus und führen zu der begehrten Feststellung. Dieser (herabgestufte) Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist auch im Falle eines Schutzsuchenden anzuwenden, der selbst weder individuelle Verfolgung erlitten hat noch in eigener Person davon unmittelbar bedroht war, dessen bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen aber als eher zufällig anzusehen ist, weil er von einer Gruppenverfolgung betroffen war (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991, a. a. O., Rdnr. 47 f.).

Für eine einsetzende Verfolgung der Klägerinnen im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan dürfte zwar keine unmittelbare Gruppenverfolgung streiten (1.7.1); weiterhin sprechen aber gewichtige Tatsachen dafür, dass die mittelbare Gruppenverfolgung (1.7.2) auch für Armenier aus Mischehen in Aserbaidschan anhält. Jedenfalls sind die Klägerinnen wegen ihrer teilweisen armenischen Abstammung dort aber immer noch nicht hinreichend sicher (1.7.3).

1.7.1 Eine unmittelbare Gruppenverfolgung scheidet aus. Allein die Duldung von Übergriffen der Bevölkerung oder von Schikanen (etc.) durch untere, lokale Behörden reicht dafür nicht aus (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 7. Mai 2004 - 9 B 01.31154 - Juris, Rdnr. 28). Es kann zwar nicht verkannt werden, dass angesichts des Entzugs der Staatsangehörigkeit und der Verweigerung der Wiedereinreise bei (erkannter) armenischer Volkszugehörigkeit (s. o. 1.6) die staatlichen Aktivitäten zur Ausgrenzung über eine bloße Duldung hinausgehen und damit möglicherweise eine gezielte staatliche Vertreibung aller armenischen Volkszugehörigen beabsichtigt ist. Konkrete Hinweise auf eine allgemeine staatliche Vertreibungspolitik, die jeden armenischen Volkszugehörigen und alle Personen armenischer Herkunft treffen und sich nicht nur gegen die bereits im Verlauf und in der Folge der militärischen Auseinandersetzungen um die Region Berg-Karabach ins Ausland geflohenen Armenier (durch Aberkennung der Staatsangehörigkeit und verweigerte Wiedereinreise) richten soll, hat der Senat nicht.

1.7.2 Der Senat geht angesichts der ihm inzwischen vorliegenden weiteren Erkenntnisse über Aserbaidschan in Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung nun davon aus, dass eine Reihe von Tatsachen für ein sich fortsetzendes, diskriminierendes Handeln von wesentlichen Teilen der Bevölkerungsmehrheit sprechen, die sich gegen die wenigen noch im Land verbliebenen Personen mit armenischem Hintergrund richten. Folglich wird auch ein definierter Endzeitpunkt Ende 1999 bzw. Anfang 2000 nicht mehr aufrechterhalten werden können, von dem an eine mittelbare Gruppenverfolgung aserbaidschanischer Staatsangehöriger mit armenischer Volkszugehörigkeit auszuschließen ist (vgl. Urteile vom 26. August 2003 - 2 KO 155/03 -, a. a. O., Rdnr. 77 ff. und vom 18. Mai 2005 - 2 KO 1076/03 - Juris). Inzwischen hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung ebenso weiter entwickelt. So nimmt etwa das OVG Schleswig-Holstein an, in Aserbaidschan verbliebene armenische Volkszugehörige müssten immer noch zahlreiche Nachteile erleiden, sodass Rückkehrer nicht hinreichend sicher wären, falls ihnen überhaupt die Rückkehr gelingen sollte (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2007 - 1 LB 8/07 - Juris). Das OVG Mecklenburg-Vorpommern hingegen lässt zwar nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse offen, ob für Personen mit armenischer Abstammung im Hinblick auf Eingriffsintensität, dem Bezug zur Ethnie und nicht zuletzt wegen der notwendigen Verfolgungsdichte die Voraussetzungen für eine mittelbare Gruppenverfolgung vorliegen, greift aber ebenso die inzwischen eingetretene Entwicklung auf (Urteil vom 16. Mai 2007 - 3 L 54/03 -).

Für den hier zu entscheidenden Fall bedarf es einer abschließenden Festlegung nicht; jedenfalls reichen die Erkenntnisse zum Gruppenverfolgungsgeschehen aus, um die Annahme fehlender Verfolgungssicherheit für die Klägerinnen zu rechtfertigen, die die Entscheidung trägt (vgl. unten 1.7.3).

Dazu im Einzelnen:

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Aserbaidschan vom 16. März 2000 (S. 6) wird ausgeführt, Personen armenischer Abstammung würden de facto noch vielfach schlechter behandelt als andere Personengruppen. Staatliche Stellen griffen auch, von Ausnahmen abgesehen, nicht gegen solche Übergriffe ein. Die Praxis der Diskriminierung bestehe jedoch nicht durchgängig. Ein Großteil der bezüglich armenischer Volkszugehöriger berichteten Problemfälle (z. B. Nichtauszahlung von Pensionen, Nichtrückgabe der mit Flüchtlingen belegten Wohnungen an die Berechtigten, Nichtausstellung von Urkunden oder Pässen, Nichtanstellung im öffentlichen Dienst, Schwierigkeiten bei der Anmeldung der Kinder zum Schulbesuch) gehe zudem auf die allgemeine Bestechlichkeit zurück, von der die aserbaidschanische Bevölkerung in nahezu gleicher Weise betroffen sei. Die geschilderten Probleme würden für armenische Volkszugehörige nur dann nicht auftreten, wenn sie entweder über eine hohe soziale Stellung oder über Geld oder gute Beziehungen verfügten.

Letzterer Gesichtspunkt wird unterstützt durch den vom Rat der Europäischen Union herausgegebenen Bericht der dänischen Delegation vom 1. September 2000 (COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION - Az.: 11068/00 -). Dort wird unter Bezugnahme auf Erkenntnisse der Internationalen Organisation für Wanderung (IOM) dargestellt, dass Angehörigen der armenischen Volksgruppe die Unterstützung der Behörden nicht verweigert werde. Der Leiter von IOM hält es auch für wahrscheinlich, dass in den Fällen, in denen Armenier Schwierigkeiten mit dem System hätten, dies eher auf ihre niedrige gesellschaftliche Stellung als auf ihre ursprüngliche Volkszugehörigkeit zurückzuführen sei (a. a. O., S. 12). Ferner wird die Einschätzung der dänischen Delegation mitgeteilt, dass Armenier und Aseris im Ausland wie Brüder seien, nur im eigenen Land käme es zu Reibereien (a. a. O., S. 13).

Diese globale Beurteilung zur vereinzelten Diskriminierung im Alltag, die für sich genommen eine entsprechende Häufung und die Asylerheblichkeit der noch auftretenden Übergriffe nicht nahelegen würde, hat das Auswärtige Amt noch im vorletzten Lagebericht vom 23. März 2006 (dort S. 13 f.) wiedergegeben. Im neuesten Lagebericht vom 7. Mai 2007 (dort S. 11) heißt es allerdings: Das Committee for the Elimination of Racial Discrimination habe seine Sorge über die Lage der armenischen Minderheit in einem Bericht vom Januar 2005 geäußert.

Armenien werde ferner wegen der andauernden Besetzung von Berg-Karabach als Feind betrachtet, dies sei die offizielle Sichtweise etwa im Schulunterricht, aber auch bei Ansprachen des Staatspräsidenten und sonstiger hochrangiger Persönlichkeiten. Armenische Volkszugehörige würden vielfach schlechter behandelt, sie seien stärker der Behördenwillkür ausgesetzt, Nachteile im täglichen Leben seien nicht auszuschließen. Damit nähert sich das Amt der Einschätzung an, die in den zahlreichen sonstigen Auskünften über das armenisch-aserische Verhältnis in Aserbaidschan dokumentiert sind. Es bestätigt sich, dass das Übergriffgeschehen weiterhin von einer tiefen Feindschaft geprägt ist.

Die Bezeichnung als "Armenier" gilt in Aserbaidschan als Beleidigung (siehe die Zusammenstellungen von accord vom 9. Februar 2006 und vom 11. August 2006). Auch bei Angriffen auf Personen des öffentlichen Lebens in den Massenmedien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) wird nach dem Bericht des US Department of State (Azerbaijan Country Reports on Human Rights Practises - 2004 vom 28. Februar 2005) durchaus auf ihren armenischen Hintergrund hingewiesen (ebenso das Transkaukasus-Institut in seinem Gutachten vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 3). In diesem Gutachten (a. a. O.) wird erwähnt, dass gerade weite Teile der Sicherheitskräfte offen und "von Herzen" - vielfach aufgrund von Erfahrungen im Berg-Karabach-Krieg - antiarmenisch seien. Die Darstellung von Armenien als Feind in der Öffentlichkeit mit öffentlichen Hassreden ("hate-speech") wird ebenso in anderen Quellen angesprochen (siehe nochmals die Zusammenstellungen von accord vom 9. Februar 2006 und vom 11. August 2006).

Der Konflikt ist immer noch ungelöst. Aserbaidschan hat die aus den besetzten Gebieten geflohenen Aserbaidschaner - im Gegensatz zu den aus Armenien geflohenen Aseris - nicht integriert. Diese Vertriebenen (rund 580.000 bis 600.000 Personen - bei einer Gesamteinwohnerzahl Aserbaidschans von 8,2 Millionen) müssen immer noch in Flüchtlingslagern ausharren (vgl. zur Situation der aserischen Binnenflüchtlinge in Aserbaidschan nur die Aserbaidschan-Information des Bundesamtes vom Juli 2005, S. 19 f. sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. März 2006, S. 23); sie sind neben den Veteranen des Berg-Karabach-Krieges diejenigen, bei denen die Abneigung gegen alles Armenische besonders ausgeprägt ist.

Auch die oben wiedergegebene Einschätzung im Bericht der dänischen Delegation vom 1. September 2000 (COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION - Az. 11068/00 -), Armenier und Aseris seien im Ausland "wie Brüder", wird widerlegt. Dr. S berichtet in ihrem Gutachten vom 14. Dezember 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 5) etwa von einem Zwischenfall bei den 4. Welt-Jugendspielen in der Sportart Karate in Limassol (Zypern), bei dem ein armenischer von einem aserbaidschanischen Teilnehmer krankenhausreif geschlagen wurde, und zum Anderen von der Ermordung eines armenischen Militärs durch einen aserbaidschanischen Offizier bei einem Englisch-Kurs im Rahmen eines NATO-Programms im Januar 2004 in Budapest. Zu diesem Mord habe sich der Vorsitzende der Organisation zur Befreiung von Karabach, einer ultra-nationalistischen Organisation in Aserbaidschan, dahin erklärt: "Die Ermordung des armenischen Militärangehörigen durch unseren Offizier ... zeigt, wie unmöglich das Leben der Armenier bzw. mit armenisch gemischten Blut in Baku ist" (Dr. S a. a. O.).

Die offizielle Anwesenheit von Armeniern in Aserbaidschan, speziell in Baku, führt zu heftigen Reaktionen, so dass teilweise schon von einer "Armenophobie" in Aserbaidschan gesprochen wird (vgl. nochmals die Zusammenstellung von accord vom 11. August 2006). So kam es aus Anlass der Anwesenheit armenischer Teilnehmer bei einer NATO-Tagung in Baku zu einer gewaltsamen Demonstration am 22. Juni 2004. Die Eindringlinge in das Tagungsgebäude wurden zunächst (relativ hart) bestraft, was wiederum vom Präsidenten Aserbaidschans kritisiert wurde. Das Strafurteil wurde dann in der zweiten Instanz aufgehoben (siehe die Berichte darüber in accord vom 11. August 2006 und im Country Report des US Department of State vom 28. Februar 2005). Das Auswärtige Amt berichtet in einer Auskunft vom 8. Dezember 2005 (an das VG Schleswig) von einer Demonstration (mit Zusammenstößen mit der Polizei) in Baku am 21. Juni 2003 (richtig wohl 2004; diese Jahreszahl ist in der gerichtlichen Anfrage vom 27. Oktober 2005 angegeben) wegen der Teilnahme eines armenischen Offiziers an einem NATO-Manöver. Auch sonst müssen - passend zur Armenophobie - Armenier als Ursache ("Sündenböcke") für viele negative Sachverhalte herhalten bzw. wird ihnen eine Schädigungsabsicht unterstellt. Hierzu sei auf die im Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 16. April 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 10 f.) angeführten Beispiele verwiesen. So gehe das aserbaidschanische Gefahrenabwehrministerium gegen alle Firmen vor, bei denen der Verdacht einer armenischen Beziehung (etwa bei ihren ausländischen Handelspartnern) bestehe. Im Einzelfall sollen öffentlichkeitswirksam Leuchtmittel getestet worden sein, weil die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung von Aserbaidschanern durch Armenier mit den in den Leuchten enthaltenen Gasen verbunden wurde. Auch ein mit der Nationalmannschaft Bulgariens einreisender Fußballfan armenischer Abkunft sei umgehend abgeschoben worden, da bei Armeniern die Gefahr von Sabotageakten bestehe. Ferner wird auch bei tatsächlichen oder angeblichen Grenzdelikten oft ein Bezug zu Armenien oder Armeniern hergestellt.

Das US Department of State berichtet in seinem letzten Menschenrechts-Länderreport (Country Reports on Human Rights Practises - 2006 vom 6. März 2007) über Diskriminierungen armenischer Volkszugehöriger in Aserbaidschan in zahlreichen Lebensbereichen ("Some of the approximately 20,000 citiziens ... have complained of discrimination ...") wie Beschäftigung, Schule, Unterkunft. Er schließt an die ausführlichere Darstellung des US Department of State im bereits erwähnten vorletzten Bericht vom 28. Februar 2005 an. Dort wird von Angaben armenischer Volkszugehöriger bzw. Abkömmlingen aus Mischehen über die Verweigerung von Beschäftigung, medizinischer Hilfe und Ausbildung berichtet, außerdem von der Unmöglichkeit, die Wohnung zu registrieren und der Weigerung lokaler Stellen, die Rente/Pension auszuzahlen. Bezüglich der Pass-Ausstellung wird in diesem Menschenrechts-Länderreport für 43 Abkömmlinge aus Misch-Ehen mitgeteilt, sie hätten (nicht näher erläuterte) Probleme bei der Pass- bzw. Personalausweisausstellung gehabt; diese Probleme hätten allerdings nicht bei aserbaidschanischen Namen bestanden; wo das Schmiergeld gereicht habe. Auch kann die Ausstellung eines Personalausweises an einen armenischen Volkszugehörigen - auf den eigentlich ein gesetzlicher Anspruch besteht - in der aserbaidschanischen Presse skandalisiert werden (siehe das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 16. April 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 11). Die Europäische Kommission (EUROPEAN COMMISSION - EURASIL COUNTRY FILES 2004 AZERBAIJAN vom November 2004) berichtet im Übrigen gleichlautend von einer Diskriminierung von armenischen Volkszugehörigen in vielen Bereichen des Lebens (Arbeitsplatz, Schule, Gesundheitswesen, Renten/Pensionen und Wohnungen). Im Gutachten des Transkaukasus-Instituts (vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, dort S. 2) wird vom auch 2003 noch vorkommenden Entzug des Wohnraums von armenischen Volkszugehörigen mit Gewalt berichtet; eine staatliche Hilfe zu dessen Wiederbeschaffung sei danach ausgeschlossen.

Die Registrierung bzw. Übertragung von Grund- bzw. Wohnungseigentum ist für (erkannte) armenische Volkszugehörige wohl praktisch unmöglich. Ihnen ist es verwehrt, ihrem (legalen) Erbrecht Geltung zu verschaffen und etwa Immobilien auf sich umregistrieren zu lassen (so das Transkaukasus-Institut in seinem Gutachten vom 20. März 2007 an das VG Schleswig, S. 9); die Bediensteten der staatlichen Notariate sollen sich dabei regelmäßig gesetzeswidrig verhalten und allenfalls auf die Verschaffung eigener Vorteile bedacht sein. Beispielhaft wird in dem oben erwähnten Gutachten des Transkaukasus-Instituts (vom 2. Juni 2003) erwähnt, dass der frühere Bürgermeister von Baku (bis Oktober 2000, verheiratet mit einer Armenierin) vergeblich versucht habe, ruhende armenische Immobilienrechte zu schützen.

Auch das Auswärtige Amt hält es für möglich, dass jemand aufgrund seiner armenischen Volkszugehörigkeit (kurzfristig) inhaftiert, "enteignet" (in Form der Verweigerung der Umschreibung des geerbten Hauses) und zur Ausreise aufgefordert wird (Auskunft vom 17. Juli 2003 an das VG Ansbach unter Nr. 1 f + g). Dies wird ebenso im Gutachten von Dr. S (vom 15. Juli 2003 an das VG Ansbach, S. 1 bis 8) angenommen; dort wird ein solches Vorgehen gegen einen Abkömmling aus einer Mischehe als wahrscheinlich und als einer von zahlreichen Fällen beurteilt. Bei einer Rückkehr der betreffenden Person nach Aserbaidschan gehen die von Dr. S (a. a. O.) befragten Personen (frühere Bewohner von Aserbaidschan) von einer hohen Wahrscheinlichkeit von Übergriffen eher seitens der Bevölkerung, aber unter Duldung staatlicher Stellen, aus.

Die illegale Einreise zweier armenischer Volkszugehöriger nach Aserbaidschan mit dem Ziel der Asylanerkennung durch den UNHCR und der anschließenden Weiterreise in ein Drittland sollen nach dem bereits mehrfach erwähnten Gutachten von Dr. S vom 14. Dezember 2005 die einzigen bekannten Fälle sein. Die Entscheidung des UNHCR zur Nichtanerkennung, die den Verbleib in Baku zur Folge hatte, soll nicht nur Anlass der oben bereits wiedergegebenen Äußerung des Vorsitzenden der Organisation zur Befreiung von Karabach gewesen sein, sondern auch für die Sicht der Vorsitzenden des Helsinki-Komitees, dass die Anwesenheit der beiden Armenier in Baku äußerst riskant sei und der UNHCR die Pflicht habe, sie in ein drittes Land zu schicken (Dr. S a. a. O., S. 5).

Das Transkaukasus-Institut (Gutachten vom 18. Oktober 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 2) differenziert: Die armenische Volkszugehörigkeit dürfe nur gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen in Aserbaidschan nicht bekannt (gegeben) werden, nämlich Flüchtlingen, Veteranen des Berg-Karabach-Krieges und Nationalisten. Soweit es Übergriffe der Bevölkerung damit allgemein ausschließt (in seinem Gutachten vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 10), folgt daraus nichts Grundsätzliches; vielmehr wird damit lediglich der Kreis der möglichen Verfolger eingeengt. Nach den Zahlenangaben im Menschenrechts-Länderreport des US Department of State vom 28. Februar 2005 (vgl. die anderweitigen Schätzungen oben S. 35) gehören zur Gesamtgruppe etwa 800.000 Flüchtlinge, davon ca. 200.000 "refugees" [Flüchtlinge aus Armenien] und 572.000 "IDPs" [Internally Displaced Persons, d. h. hier Binnenvertriebene aus Berg-Karabach und den besetzten Gebieten]). Gehören damit fast 10 % der Bevölkerung zum Kreis der möglichen Verfolger, fehlt jedenfalls ein Anknüpfungspunkt, dass angesichts einer etwa nur zahlenmäßig geringen Bedeutung daraus ein hinreichender Schutz für armenische Volkszugehörige und für Personen mit armenischem Hintergrund gefolgert werden könnte. Das Transkaukasus-Institut hat in einem anderen Gutachten etwa ausgeführt, dass gerade die Mitarbeiter der Sicherheitskräfte scheinbar zu weiten Teilen aus den beiden anderen "kritischen" Bevölkerungsgruppen bestehen. Das vom Transkaukasus-Institut (in seinem Gutachten vom 16. April 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 11) geschilderte Einzelbeispiel gibt insoweit Auskunft über die mangelnde Berechenbarkeit staatlichen Vorgehens. So soll im April 2002 eine junge Frau, die sich für die oppositionelle Partei ADP durch Tragen eines Schildes mit der Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten eingesetzt hatte, verhaftet und zunächst zu 10 Tagen, später zu drei Jahren [!] Haft verurteilt und später im Mai 2004 begnadigt worden sein. Der Leiter der örtlichen Polizei soll im Fernsehen erklärt haben, Frau K. sei Armenierin und es sei unwürdig, eine Person zu schützen, "deren Herkunft einen Bezug zur Feindesnation hat." Nach der ergänzenden Information des Transkaukasus-Instituts (a. a. O.) war nur die Stiefmutter der Frau Armenierin; anderen Partei-Aktivisten war nach dieser Quelle nichts geschehen.

Die Diskriminierung im Alltag beschreibt ferner das Transkaukasus-Institut im genannten Gutachten, dort S. 11 f. Eine legale Beschäftigung von armenischen Volkszugehörigen nach 1994 in einem Unternehmen soll eine absolute - dem Transkaukasus-Institut nicht bekannte - Ausnahme darstellen. Auch Kleinstunternehmer würden es nicht riskieren, einen Armenier zu beschäftigen, aus Angst vor Sanktionen insbesondere von Flüchtlingen, die etwa - ungestraft - das Geschäft verwüsten würden. Eine selbstständige Tätigkeit hält das TranskaukasusInstitut (a. a. O., S. 12) ebenfalls für ausgeschlossen, die dafür notwendigen besonders hohen "Schutz-" und "Genehmigungskosten" wären nicht aufzubringen. Eine "Schwarzarbeit" sei zwar möglich, würde aber für einen armenischen Volkszugehörigen bei Entdeckung mehrjährige Haft mit menschenunwürdiger Behandlung in der Haft bedeuten (vgl. das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 2. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 12).

In diesem Gutachten vom 2. Juni 2003 (S. 11 ff.) geht das Transkaukasus-Institut auf den Fall einer Frau mit aserischem Vater und armenischer Mutter, aber amtlich armenischer Volkszugehörigkeit (aufgrund der frühen Scheidung der Eltern) ein. Das Institut folgerte daraus die Unmöglichkeit der Anmietung einer Wohnung (es sei denn zu "westeuropäischen" Preisen und zusätzlich einem "Armenierzuschlag") und der (legalen) Arbeitsaufnahme (ebenso allgemein im Gutachten vom 6. Juni 2003 an das VG Ansbach, dort S. 7 f.). Dies resultiere weniger aus einer Abneigung der Bevölkerung an sich gegen Armenier, denn in dem Bestreben, Ärger mit Flüchtlingen und Veteranen zu vermeiden, der etwa durch eine Vermietung an einen armenischen Volkszugehörigen entstünde.

Ergänzend ist auf den in allen Auskunftsquellen vermeldeten Zwang zur Assimilation, zum Verstecken und zur Anpassung auch des Namens von armenischen Volkszugehörigen hinzuweisen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (vom 22. August 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern unter Nr. 1) halten armenische Volkszugehörige - auch aus Mischehen - ihre Volkszugehörigkeit vor der Außenwelt geheim (ebenso auch das Gutachten der Heinrich Böll Stiftung vom 15. Juli 2005 an den Hessischen VGH). Es wird hier von einem Zwang zur Selbstverleugnung gesprochen (Gutachten von Dr. S vom 15. Juli 2003 an das VG Ansbach unter Nr. 1 [Äußerung von Herrn Balayan]). In einer älteren Auskunft (der Gesellschaft für bedrohte Völker [Dr. Hofmann] vom 12. Mai 1999 an das VG Hamburg, S. 7) wird erwähnt, dass der Betroffene (auch hier wird meist von armenischen Volkszugehörigen weiblichen Geschlechts ausgegangen) aus dem öffentlichen Leben verschwinden und im Hausstand des aserischen Partners untertauchen muss. Ein wichtiger Faktor sei dabei der bestehende Zwang zur Abänderung des armenisch (klingenden) Namens, teilweise auch des (christlichen) Vornamens, was Voraussetzung für ein "Abtauchen" sei. Diese Änderung soll legal durchaus möglich sein; armenische Volkszugehörige hätten umfangreich davon Gebrauch gemacht (Auskunft der Freien Universität Berlin [Dr. Hofmann] vom 12. Juli 1999 an das VG Berlin, S. 3; Auskunft der Heinrich Böll Stiftung vom 15. Juli 2005; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Juni 2005 an den Hessischen VGH unter Nr. 8; Bericht des US Department of State vom 6. März 2006). Ein derartiges Ablegen des armenischen Namens soll zumindest den - normalen - Umgang mit Behörden erleichtern. Ein Leben mit einem armenischen Namen wird selbst für Baku in der genannten Auskunft der Heinrich Böll Stiftung praktisch ausgeschlossen.

Soweit vereinzelt davon die Rede ist, dass es wohl weiter auch Abkömmlinge aus Mischehen gebe, die in Regierungskreisen arbeiten (siehe den Bericht des US Department of State vom 28. Februar 2005), und Armenier (als solche) in Fernsehsendungen in Interviews aufträten, soll es sich um eine Art "VorzeigeArmenier" des Regimes handeln (siehe auch hierzu das Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 18. Oktober 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 2 sowie den Bericht im Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 16. April 2005 an das gleiche Gericht, S. 10 [z. B. über die Sendung in Azad TV am 23. Juli 2005]). Das Bild einer vielfältig diskriminierten Minderheit kann dadurch nicht entscheidend in Frage gestellt werden.

Bei einer Gesamtschau spricht mehr dafür, dass hinsichtlich der Verfolgung von armenischen Volkszugehörigen und von Personen mit armenischem Hintergrund auch in der Zeit nach der Jahrtausendwende, mithin nach der Ausreise der Klägerinnen, kein grundsätzlicher Wandel festzustellen ist. Die massive Abwanderung und Flucht während und nach dem Ende der kriegerischen Konflikte um die Region Berg-Karabach hat sich weiter fortgesetzt. Daraus ergeben sich zugleich Folgerungen für die notwendige Relationsbetrachtung zur Häufung der Verfolgungshandlungen, wenn schon für das Jahr 2000 die noch verbliebene Restbevölkerung mit armenischer Abstammung nur noch 10.000 bis 30.000 Personen in Aserbaidschan betragen haben soll.

Gewichtige Tatsachen, die für eine Reduzierung der Gefährdung von armenischen Volkszugehörigen ab dem Jahr 2000 in Aserbaidschan angeführt werden können, werden nicht erkennbar. Das Auswärtige Amt äußert sich zwar zum Gefährdungsgrad eher zurückhaltend (vgl. etwa Frage Nr. 3 in dem Schreiben des VG Ansbach vom 12. Mai 2003 und die Antwort des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 17. Juli 2003). Der Rückgang von Beschwerden armenischer Volkszugehöriger werde von Menschenrechtsorganisationen in Aserbaidschan so beschrieben: bis 2000 noch 20 bis 30 pro Jahr; 2001 nur noch 5 bis 16, zumal nur in Alltagsproblemen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Juni 2002 an das VG Wiesbaden). Stellte man auf diesen Rückgang ab, der auch nur ein Jahr betrifft, wären Übergriffe nur noch ein Randproblem. Die demografische Entwicklung, die Zusammensetzung der Restgruppe der armenischen Volkszugehörigen und die zugemutete Existenz quasi unter Verleugnung der Abstammung erklären indessen das zurückgehende öffentliche Erscheinungsbild. Weiterhin wandern Personen mit armenischem Hintergrund (d. h. insbesondere von Abkömmlingen aus Mischehen) aus. Das US Department of State (Azerbaijan Country Reports on Human Rights Practises - 2004 vom 28. Februar 2005) berichtet von 200 bis 250 Auswanderungen im Jahr. Es kommt die im bereits zitierten Gutachten von Dr. S (vom 14. Dezember 2005) wiedergegebene Überzeugung beider Volksgruppen (Aseris wie Armenier) hinzu, dass letztere keine Zukunft in Aserbaidschan habe. Die den Hauptteil der armenischen Volkszugehörigen ausmachende Gruppe der verheirateten älteren Frauen (s. o. unter 1.3.1.2) verringert sich aufgrund der Mortalität zudem ebenfalls immer weiter. Auf die fortdauernde Reduzierung des armenischen Bevölkerungsanteils durch einerseits Auswanderung und andererseits Versterben macht auch das Transkaukasus-Institut in seinem Gutachten vom 18. Oktober 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 2) aufmerksam. Diese Entwicklung liegt im Interesse des Staates Aserbaidschan, dem ersichtlich an einer Reduzierung des armenischen Bevölkerungsanteils auf "Null" gelegen ist. Dies zeigt sich nicht nur in der Duldung von Übergriffen auf armenische Volkszugehörige, sondern gerade in der verweigerten Wiedereinreise von amtlich erkannten Armeniern sowie der Praxis, Personen in den Melderegistern zu streichen und armenischen Volkszugehörigen die Staatsangehörigkeit abzuerkennen (vgl. oben 1.6).

Im Ergebnis streitet für den Rückgang der Diskriminierungen im Alltag mithin, dass immer weniger armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan leben und dass es sich nun nahezu ausschließlich um versteckt lebende Ehefrauen bzw. Abkömmlinge aus Mischehen handelt, die im normalen Leben oft - auch gerade gegenüber den vom Transkaukasus-Institut in den Vordergrund gestellten "gefährlichen" Bevölkerungsgruppen - als Aseri "durchgehen". Speziell die vom Auswärtigen Amt als Hauptgruppe der im Lande verbliebenen armenischen Volkszugehörigen angenommenen älteren Ehefrauen wird nach außen kaum in Erscheinung treten und mag ggf. durch das sie umgebende aserische Beziehungsgeflecht ("Netzwerk") geschützt sein.

Kommt es entscheidend auf dieses Abdrängen aus dem gesellschaftlichen Leben in eine verdeckte Existenz an und kann die Gruppe der Personen mit - noch - armenischer Herkunft nicht mehr als ca. 20 000 Bewohner betreffen, hat darauf die wertende Betrachtung der Verfolgungsdichte unter Wahrung des abstrakten Maßstabs Rücksicht zu nehmen.

Die wenigen Menschen mit armenischem Hintergrund, die noch in Aserbaidschan verblieben sind, werden in der Öffentlichkeit praktisch nicht mehr wirksam. Mit Aserbaidschanern verheiratete Armenierinnen suchen Schutz im Familienverband. Personen, die aus sog. Mischehen zwischen Aserbaidschanern und Armeniern stammen, sind nach dem eingeführten Erkenntnismaterial ebenso darauf angewiesen, ihre Herkunft möglichst zu verdecken. Mithin hängt die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit von Verfolgungsmaßnahmen von dem eher zufälligen Umstand ab, dass die Herkunft für Dritte offenbar wird. Nimmt man hinzu, dass für die ausgrenzende Verfolgung zugleich die Maßnahmen mit einbezogen werden müssen, die unmittelbar vom Staat ausgehen (die verweigerte Wiedereinreise armenischer Volkszugehöriger, die Streichung aus den Meldelisten, die Aberkennung der Staatsangehörigkeit), drängt eine wertende Betrachtung i. S. einer Gewichtung und Ausprägung dieser Geschehnisse und ihrer Bedeutung dazu, dass jederzeit für die potentiell Betroffenen sich die Gefahr eigener Verfolgung verwirklichen kann und sie Opfer von Verfolgungsmaßnahmen werden können, so denn der armenische Hintergrund "entdeckt" wird.

Die diskriminierenden Akte gegenüber armenischen Volkszugehörigen sind auch als politische Verfolgung einzustufen. Dies gilt ohne weiteres für die genannten staatlichen Maßnahmen. Nicht anders ist dies für direkte psychische oder physische Angriffe (Nötigungen oder Körperverletzungen und mehr) zu beurteilen, insbesondere durch Vertriebene oder Veteranen, die die armenische Volkszugehörigkeit erkennen (Transkaukasus-Institut vom 6. Juni 2003 an das VG Ansbach, S. 8; Dr. S im Gutachten vom 15. Juli 2003 zu Drangsalien bei den befragten Personen). Die Eingriffe sind primär wohl eher wirtschaftlicher Natur, können sich aber etwa bei dem Zugang zu medizinischen Leistungen nur gegen erhöhtes Entgelt oder auch dem verweigerten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 8. Juni 2006 unter Nr. 6) ebenfalls auf das Leben oder die Gesundheit auswirken. Entscheidend ist, dass die Diskriminierungen die Schwelle einer bloßen Beeinträchtigung überschreiten, weil sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und damit über das hinausgehen, was die Menschen in Aserbaidschan aufgrund des dortigen Systems allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80, 1 BvR 181/80, 1 BvR 182/80 - Juris, Rdnr. 46). Beides ist bei einer realistischen Gefahr, keine Wohnung und allenfalls nur eine "illegale" Arbeit (s. o.) zu finden, zu bejahen. Beeinträchtigungen der beruflichen Betätigung wirken dann Schutz begründend, wenn die wirtschaftliche Existenz bedroht und damit jenes Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist, was ein menschenwürdiges Dasein erst ausmacht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 - 9 C 42/87 - Juris, Rdnr. 12).

Selbst von einer Vielzahl diskriminierender Nadelstiche, die die asylrechtliche Relevanz nicht erreiche (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. April 1995 - 9 B 758/94 - Juris, Rdnr. 3) ließe sich nicht mehr sprechen. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchstabe b QRL (i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) liegt eine Verfolgung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie bei einer "klassischen" Verfolgungshandlung (definiert in Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a QRL). Bestimmte Maßnahmen, die für sich genommen nicht als asylerheblich erscheinen (wie sie etwa für die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung behördlicher Anliegen in Aserbaidschan dokumentiert sind), dürfen nicht vorschnell ausgeklammert werden (Marx, a. a. O., Rdnr. 7; ähnlich aber auch schon BVerfG, [Kammer-] Beschluss vom 28. Januar 1993 - 2 BvR 1803/92 - Juris, Rdnr. 26).

Jedenfalls dürfte bei einer Rückkehr die Situation der Klägerinnen derjenigen entsprechen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Januar 1991 (a. a. O., Rdnr. 41) wie folgt beschrieben hat:

"Hier wie da ist es von Belang, ob vergleichbares Verfolgungsgeschehen sich in der Vergangenheit schon häufiger ereignet hat, ob die Gruppenangehörigen als Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben müssen, das Verfolgungshandlungen wenn nicht gar in den Augen der Verfolger rechtfertigt, so doch tatsächlich begünstigt, und ob sie ganz allgemein Unterdrückungen und Nachstellungen ausgesetzt sind, mögen diese als solche auch noch nicht von einer Schwere sein, die die Annahme politischer Verfolgung begründet. Bezogen auf die fachgerichtlich entwickelten Unterscheidungen liegt es nahe, den vom Bundesverwaltungsgericht in Abgrenzung zur Gruppenverfolgung geprägten Begriff der Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit (...) in diesem Sinne zu verstehen und ihn damit in einer Weise heuristisch zu verwenden, die der vielgestaltigen Realität politischer Verfolgung Rechnung trägt."

Es dürfte deshalb den Klägerinnen nicht zumutbar sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991, a. a. O., Rdnr. 28), nach Aserbaidschan zurückzukehren. Abschließend muss der Senat darüber nicht befinden.

1.7.3 Die Klägerinnen wären bei dem hier anzuwendenden herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab jedenfalls - unabhängig vom Fortbestehen einer (mittelbaren) Gruppenverfolgung - nicht hinreichend sicher: Sie müssten - zumal bei einer Herkunft aus einem armenisch besetzten Bezirk (Klägerin zu 1) - immer mit einer nicht unrealistischen Gefahr der Aufdeckung ihrer teilarmenischen Abstammung etwa durch Flüchtlinge rechnen und wären dann entsprechenden Reaktionen der Bevölkerung (Wohnungs-, Arbeitsplatzverlust etc.) ausgesetzt, sofern ihnen noch die Rückkehr in das Heimatland staatlicherseits ermöglicht würde. Dies ist im Einzelnen oben zu 1.7.2 dargelegt worden. Die dazu vorliegenden Erkenntnisse rechtfertigen die Prognose mangelnder Verfolgungssicherheit.

1.8 Eine inländische Fluchtalternative in der Region von Berg-Karabach besteht für die Klägerinnen im Falle ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan im Ergebnis nicht.

1.8.1 Eine Fluchtalternative kann in einem solchen Gebiet des Herkunftslandes bestehen, in dem (erneute) politische Verfolgung durch denselben Verfolger regelmäßig nicht stattfindet. Der Betroffene muss auf absehbare Zeit verfolgungsfrei dort leben können (vgl. hierzu schon die Ausführungen oben zu 1.4). Dies gilt nicht nur innerhalb eines Staates, sondern auch für solche Regionen des Staatsgebietes, in denen er seine wirksame Gebietshoheit und Verfolgungsmacht, sei es infolge eines Bürgerkrieges oder sei es wegen des Eingreifens fremder Mächte, vorübergehend eingebüßt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 17/98 - Juris, Rdnr. 14). Die für eine so genannte inländische Fluchtalternative aufgestellten Grundsätze gelten allerdings dann nicht mehr, wenn der (Verfolgungs-) Staat in der als Alternative in Betracht gezogenen Region auf Dauer die Gebietsherrschaft verloren hat; dann wird dieses Gebiet asylrechtlich zum Ausland (vgl. zu der insoweit ähnlich gelagerten Problematik im Nordirak: BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998, a. a. O.).

Gemessen daran gehört das Gebiet von Berg-Karabach völkerrechtlich zum Territorium der Republik Aserbaidschan. Es handelt sich um eine Region, die zwar von der dort lebenden armenischen Bevölkerungsmehrheit im Dezember 1991 für unabhängig erklärt wurde. Dieser Schritt wurde jedoch weder von der Aserbaidschanischen Republik noch von anderen Staaten, selbst von Armenien, zu irgendeinem Zeitpunkt anerkannt. Es handelt sich bei Berg-Karabach mithin nicht um einen eigenen Staat (so auch die übereinstimmende Rechtsprechung: vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28. August 2006 - 6 A 10813/06 - Juris, Rdnr. 4; Bayerischer VGH, Urteil vom 25. Januar 2007, a. a. O., Rdnr. 22; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O.).

1.8.2 Der Senat kann offen lassen, ob die bisherige Annahme (vgl. nochmals das grundlegende Urteil vom 26. August 2003, a. a. O., Rdnr. 97 ff.), es gebe nach der Auskunftslage keine Anhaltspunkte dafür, dass sich armenische Volkszugehörige oder deren Abkömmlinge auch aus sog. Mischehen künftig nicht in der Region von Berg-Karabach aufhalten könnten und dort auf Dauer nicht sicher wären, weiter gerechtfertigt ist. Wegen der instabilen politischen Situation hat der UNHCR die Annahme einer inländischen Fluchtalternative für Berg-Karabach noch 2002 abgelehnt (vgl. die Anlage zum Gutachten von Dr. S vom 15. Juli 2003).

1.9 Die Frage, ob Berg-Karabach für Asylbewerber in Deutschland auf zumutbare Art und Weise tatsächlich erreichbar ist, ist nach Auffassung des Senats dagegen grundsätzlich (weiterhin) zu bejahen.

Die Einreisemöglichkeit nach Berg-Karabach wird allerdings vom Bayerischen VGH (Urteil vom 4. August 2006, a. a. O.; Urteil vom 25. Januar 2007, a. a. O., Rdnr. 31 ff.; Beschluss vom 21. Juli 2007 - 9 B 05.30123 - Juris) und vom OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 9. März 2006, a. a. O., Rdnr. 63; Urteil vom 16. Mai 2007, a. a. O.) letztlich verneint, während der Hessische VGH sie noch im Urteil vom 15. September 2005 - 3 UE 2381/04.A - Juris, Rdnr. 27 f. [n. rkr.], bejaht hat.

Die Annahme, der "Staat" Berg-Karabach sei an einer Einreise der betreffenden Asylbewerber nicht interessiert (sondern nur an Investoren und sog. Wehrbauern), erscheint dem Senat angesichts der Auskunftslage nicht hinreichend untermauert. Denn der "Minister für soziale Wohlfahrt" des "Staates" Berg-Karabach hat in einem Gespräch mit Dr. K (siehe dessen Auskunft vom 3. Mai 2002 an Rechtsanwalt P, Hamburg) erklärt, jeder erhalte ein Visum zur Einreise nach Berg-Karabach (wenn dies auch für aserbaidschanische Staatsangehörige durch den zweiten von Dr. K Interviewten - den Leiter des Presseklubs in der "Hauptstadt" von Berg-Karabach, Stepanakert - eingeschränkt wurde). Wie der "Minister" haben sich auch die von Dr. S (wiedergegeben im Gutachten vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 10) befragten Personen, der Vorsitzende des Rechtsausschusses des "Parlaments" von Berg-Karabach und der Chefredakteur einer Zeitschrift, geäußert. Der Schwerpunkt der Frage, an welchen Einwanderern der "Staat" Berg-Karabach interessiert ist, führt auf die Frage, ob für die Klägerinnen in Berg-Karabach eine realistische Chance besteht, dort existieren zu können (dazu unten 1.10).

Die weitere Annahme, dass Berg-Karabach nur über eine Asylantragstellung in Armenien erreichbar sei, berücksichtigt nicht ausreichend die Auskunftslage, wie sie das Auswärtige Amt für Einreisepapiere durch den "Staat" Berg-Karabach über die armenische Botschaft in Berlin vermittelt. Im Einzelnen: Die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. November 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort unter Nr. 8), auf die sich das OVG Mecklenburg-Vorpommern hauptsächlich stützt, betrifft die Einreise einer Person, die ohne Papiere an der Grenze von Armenien "steht". Dann bedarf es nach dieser Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Weiterreise nach Berg-Karabach der Erlangung des armenischen Flüchtlingsstatus oder der armenischen Staatsangehörigkeit. Dies hat der Bayerische VGH als unzumutbar angesehen, diesbezüglich ist die Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 22. März 2007 - 1 B 97/06 - Juris, Rdnr. 13) bestätigt worden. Dieser armenische Flüchtlingsstatus kann wohl nur in Armenien erworben werden (siehe nochmals die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. November 2005 unter Nr. 8). Daneben gibt es aber die offiziell nicht existierende Möglichkeit, über die armenische Botschaft in Berlin direkt Einreisepapiere (einschließlich eines ggfs. notwendigen Passersatzes) des "Staates" Berg-Karabach zu erhalten (siehe die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 2. Dezember 2005 an das VG Schleswig und ausführlich vom 26. Oktober 2007 an das VG Stade), allerdings eingeschränkt für armenische Volkszugehörige. Auf die Einreisemöglichkeit über die armenische Botschaft in Berlin wird auch von den von Dr. S interviewten Gesprächspartnern aus Berg-Karabach hingewiesen (Gutachten vom 14. Dezember 2005, S. 10 f. und Gutachten vom 11. November 2004 an den Hessischen VGH, S. 2 f.). Wie der "Staat" Berg-Karabach die Klägerinnen (eine alleinstehende Frau mit aserischem Namen und erwachsener Tochter) aber einordnen würde, ist allerdings offen. Im Gutachten von Dr. S vom 11. November 2004 wird von den Interviewten die grundsätzliche Offenheit von Berg-Karabach betont sowie die Tatsache, dass dort auch Abkömmlinge aus binationalen Ehen lebten; letzteres beziehe sich allerdings nur auf bereits vor dem Konflikt in Berg-Karabach lebende Personen. Eine Zuwanderung von Personen aus einer binationalen Ehe wird dort übrigens verneint.

1.10 Auch bei einer erreichbaren Rückkehr nach Berg-Karabach drohen den Klägerinnen dort Gefahren bzw. Nachteile, die zum Ausschluss dieses Gebietes als inländische Fluchtalternative führen.

In einem verfolgungsfreien Gebiet darf der Zufluchtsuchende nicht durch andere Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, in eine für ihn ausweglose Lage geraten, soweit diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort nicht ebenfalls besteht (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a. a. O., Rdnr. 66). Diese Einschränkung kann aber angesichts der nunmehrigen Regelung durch Art. 8 Abs. 2 QRL (i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) nicht mehr aufrechterhalten werden. Nach dieser Vorschrift sind bei der Prüfung des internen Schutzes in einem Teil des Herkunftslandes (das entspricht der in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur der inländischen Fluchtalternative) nach Art. 8 Abs. 1 QRL die dortigen allgemeinen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Damit scheidet eine alternative Betrachtung der Situation im Rest des Heimatlandes aus (ebenso: Bayerischer VGH, Urteil vom 31. August 2007, a. a. O., Rdnr. 130 unter Hinweis auf Lehmann, NVwZ 2007, 508, 514 f.; anders: Hessischer VGH, Urteil vom 15. September 2005, a. a. O.); davon gehen auch die Gesetzgebungsmaterialien zur Einbeziehung des Art. 8 QRL durch § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG aus (siehe BR-Drs. 224/07, S. 327).

Nach Art. 8 Abs. 1 QRL kommt ein interner Schutz in Betracht, wenn in diesem Teil des Herkunftslandes weder eine begründete Furcht vor politischer Verfolgung (1.10.1) noch die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und deshalb von dem Betreffenden vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält (1.10.2).

1.10.1 Ob den Klägerinnen davon ausgehend in der Region von Berg-Karabach bereits politische Verfolgungsmaßnahmen durch die dortigen berg-karabachischen "staatsähnlichen Selbstverwaltungsorgane" und/oder der ansässigen Bevölkerung drohen, kann gleichfalls offen gelassen werden.

Hierzu hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 23. Mai 2002 (an das VG Schleswig-Holstein) mitgeteilt, es lägen weder Erkenntnisse darüber vor, dass Personen nicht-karabachischer Herkunft durch die Bevölkerung oder die Verwaltungsbehörden Berg-Karabachs benachteiligt bzw. verfolgt würden. Auch gebe es keine Hinweise dafür, dass Personen aus armenisch-aserbaidschanischen Mischehen oder deren Abkömmlinge (halbaserbaidschanischer Herkunft) dort nicht ungestört leben könnten. Es gebe ebenso wenig Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer nach Berg-Karabach bei ihrer Eingliederung mit Schwierigkeiten seitens der Behörden oder Dritter rechnen müssten. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts leben mehr als 50 Familien in armenisch-aserbaidschanischer Mischehe in Berg-Karabach. Es sei deshalb nicht erkennbar, dass in armenischaserbaidschanischen Mischehen lebende Familien nicht nach Berg-Karabach zurückkehren könnten, auch in dem Fall, wenn eine aserbaidschanische Abstammung eines Ehepartners bekannt werden sollte.

Andere Informationen zeichnen demgegenüber ein abweichendes Bild. Die Äußerungen der Interviewten im Gutachten von Dr. S vom 11. November 2004 (an den Hessischen VGH) berichten von Diskriminierungen, Nachstellungen und Konkurrenz sogar gegenüber Ansiedlern aus Armenien in Berg-Karabach. Als problematisch wird dort auch die Nicht-Beherrschung der Landessprache Armenisch angesehen. Dies wird auch im Gutachten von Dr. S vom 7. Mai 2002 (an den Bayerischen VGH) von den dort Befragten so gesehen; ebenso wird auf Probleme von Abkömmlingen aus gemischten Ehen im Alltagsleben mit der Bevölkerung ("Denn die Menschen hier haben den Krieg, die Vertreibungen und ihre Toten noch nicht vergessen") - nicht mit den "Behörden" von Berg-Karabach - hingewiesen. Die Deutsch-Armenische Gesellschaft äußert in ihrem Gutachten vom 3. August 2002 (an den Bayerischen VGH) Zweifel an einer Akzeptanz von Abkömmlingen aus Mischehen in Berg-Karabach.

1.10.2 In der Region von Berg-Karabach droht den Klägerinnen aber jedenfalls die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Der Senat ist überzeugt davon, dass sie dort wirtschaftlich nicht existieren können. Wie sich aus Art. 8 Abs. 2 QRL (i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) ergibt, sind zusätzlich die persönlichen Umstände der Klägerinnen zu berücksichtigen. Die für die inländische Fluchtalternative auf eine eher generelle Betrachtung abstellende bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (etwa im Urteil vom 15. Juli 1997 - 9 C 2/97 - Juris, Rdnr. 11) kann deshalb für die Prüfung des internen Schutzes nach Art. 8 Abs. 1 QRL nicht mehr allein maßgebend sein (vgl. Marx, a. a. O., § 14 Rdnr. 57 f.). Zu diesen individuellen Umständen der Klägerin zu 1 gehören ihre persönliche Biografie und das bisherige Lebensumfeld nahezu ausschließlich in der Landeshauptstadt Baku, einer Millionenstadt. Die Klägerin zu 1 hat eine akademische Ausbildung als Geophysikerin und war - bis zu der von der Schwiegermutter erreichten Kündigung - an einem wissenschaftlichen Institut tätig; danach hatte sie bis zur Ausreise eine Bürotätigkeit. Sie hat zugleich eine akademisch geprägte Familiengeschichte. Sowohl die Mutter als auch der Stiefvater (ihren biologischen Vater hat die Klägerin zu 1 nicht bewusst erlebt) sind beide Ärzte, auch ihr Großvater war bereits - wie die Schwester der Klägerin zu 1 in ihrer Anhörung berichtet hat - Arzt (ein nach deren Angaben berühmter Traumatologe). Ihre Schwester war in Aserbaidschan als Lehrerin tätig, ihr Bruder als Designer. Die Klägerin zu 2 hat als Kind in Aserbaidschan nur in Baku gelebt und dann nahezu die Hälfte ihres Lebens in Deutschland.

Diese Lebensweise, das akademisch geprägte familiäre Umfeld und auch die bisherige berufliche Tätigkeit in Aserbaidschan (der Klägerin zu 1) verweisen nicht auf Fähigkeiten, die für ein wirtschaftliches Überleben in Berg-Karabach unverzichtbar notwendig sind, weil eine Existenz allenfalls in der Landwirtschaft erreichbar erscheint.

Zwar zeichnet das Auswärtige Amt ein recht positives Bild der wirtschaftlichen Lage in Berg-Karabach. Nach dessen Erkenntnissen (etwa in der Auskunft vom 6. April 2005 an den Hessischen VGH, dort Nr. 5) wird versucht, mit staatlichen Unterstützungen bei der Zuweisung von Wohnraum, Grundstücken, Steuerbefreiungen etc. und humanitären Hilfsgütern, Personen in Berg-Karabach anzusiedeln. Für diesen Personenkreis würden auch einmalige finanzielle Mittel für Familien zur Verfügung gestellt, deren Höhe hänge von der Personenzahl ab. Auch Auslagen für die Transportmittel von der Republik Armenien bis zum zukünftigen Wohnort in Berg-Karabach würden erstattet. Es sollen sich inzwischen Einzelpersonen und Familien, nicht nur armenischer Volkszugehörigkeit, aus den verschiedensten GUS-Staaten in Berg-Karabach ansiedeln. Verlangt werde lediglich das Bekenntnis zu einem unabhängigen Berg-Karabach.

Die Verwertbarkeit dieser Auskünfte des Auswärtigen Amtes wird aber eingeschränkt durch dessen fehlende Möglichkeit der Recherche vor Ort. Weder Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Baku/Aserbaidschan noch Mitarbeiter der Botschaft in Armenien in Eriwan können/dürfen Berg-Karabach bereisen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 18. November 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort unter Nr. 14). Die dem Gericht aus den sonstigen Auskunftsquellen zur Verfügung stehenden Informationen bestätigen zwar in Teilen die Feststellungen des Auswärtigen Amtes, zeichnen aber eine andere Lage zu einer erreichbaren wirtschaftlichen Existenz.

Nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. S (Stellungnahme vom 14. Dezember 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern) leben 50 % der Bevölkerung in Berg-Karabach in "sehr schwierigen sozialen Verhältnissen" (Zitat des "Sozialministers" von Berg-Karabach). Die "Regierung" von Berg-Karabach versucht, die Bevölkerungsstruktur durch die Förderung kinderreicher Familien zu verbessern. So sollen danach Familien mit vier Kindern kostenlos Strom erhalten, eine sechsköpfige Familie ein Haus, eine zehnköpfige Familie ein Auto.

Im Gutachten des Transkaukasus-Instituts vom 18. Oktober 2005 (an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, dort S. 16 ff.) heißt es: Zwar fördere Berg-Karabach die Zuwanderung. Die Nachfrage übersteige die Möglichkeiten von Berg-Karabach aber bei weitem; gefördert würden deshalb nur kinderreiche Familien mit mindestens fünf Kindern. Eine Zuwanderung in die sowieso nur rudimentären Sozialsysteme sei nicht möglich, dazu sei Berg-Karabach weder willens noch in der Lage. Nach einem weiteren Gutachten des Transkaukasus-Instituts (vom 16. April 2005 ebenfalls an das OVG Mecklenburg-Vorpommern, S. 14 ff.) wird bei einer Zuwanderung jenseits der "Hauptstadt" Stepanakert landwirtschaftliche Erfahrung erwartet, auch eine Wehrbauern-Mentalität. Arbeitsplätze für Außenstehende stehen in der Landwirtschaft nicht zur Verfügung.

Selbst dann, wenn man den Kauf einer das Überleben sichernden kleinen Landwirtschaft mit vier Milchkühen erwägen wollte, schätzt das TranskaukasusInstitut (im zuletzt genannten Gutachten) eine Summe von 6.000 € als notwendig ein. Den gleichen Betrag nimmt das Transkaukasus-Institut als die für den Aufbau eines kleinen handwerklichen Betriebes notwendige Summe an. Es gebe zwar solche Förderungen durch Armenier aus den USA (etc.), diese erreichten aber nur Eingesessene (so das Transkaukasus-Institut in seinem Gutachten vom 30. Oktober 2004, S. 7). Auch eine Arbeit mit einer das Überleben sichernden Entlohnung in den wenigen gewerblichen Betrieben sei für einen Außenstehenden ohne enge Beziehungen nicht erhältlich, so das Transkaukasus-Institut im zuvor zitierten Gutachten vom 16. April 2005.

Ganz deutlich heißt es im Gutachten von Dr. S (vom 11. November 2004 an den Hessischen VGH) von dem dort Interviewten stellvertretenden Leiter der "Botschaft" von Berg-Karabach in Eriwan:

"Allerdings verstehen wir nicht, wieso Personen, die niemals in Karabach gelebt haben ..., hierher kommen und leben sollen oder wollen. Hier besteht fortgesetzt die Gefahr des Krieges. Die Wirtschaft ist zerstört und liegt danieder, es läuft gar nichts. Die Leute, die man zu uns schicken beabsichtigt, haben früher in Städten gelebt. Nun schicken wir sie in noch nicht wieder hergestellte ländliche Gebiete ohne staatliche Unterstützung. Man fragt sich: Wie sollen sie dort existieren? - Die Republik Berg-Karabach besitzt die Pflicht, in erster Linie die eigenen, von hier stammenden Flüchtlinge zurück nach Hause zu holen und zu reintegrieren."

Weiter heißt es dort, die Repatriierungsverwaltung sei ausschließlich für Flüchtlinge aus Berg-Karabach zuständig.

Ganz ähnlich äußern sich die von Dr. S in einer weiteren Stellungnahme Befragten (vom 15. Juli 2003 an das VG Ansbach, S. 9). Die Sozialpolitik Berg-Karabachs - Vergabe von Ackerland, Wohnraum und geringfügige Finanzhilfen - ziele in erster Linie auf aus Berg-Karabach stammende Flüchtlinge und Familien von Kriegsgefallenen ("Märtyrern") ab. Dort (genauer in einer Anlage, nämlich einer Auskunft von Dr. K vom 5. Juli 2002) heißt es auch, Anbauflächen würden nur an Personen verteilt, die von der Landwirtschaft Ahnung haben. Die Zuteilungsfläche betrage pro Person 0,6 ha. In dieser Auskunft wird auch ausgeführt, dass Arbeitslose ein Jahr eine Unterstützung von (umgerechnet) etwa 6 US-$/Monat erhalten. Nach einer Mitteilung des Transkaukasus-Instituts (wiedergegeben in: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein vom 16. Juli 2007 an das VG Schleswig) würden etwa in Armenien die per se als "reich" geltenden Rückkehrer aus Deutschland sicherlich keinerlei Unterstützung erfahren.

In dem von den Klägerinnen im Gerichtsverfahren vorgelegten OSCE-Bericht vom Februar 2005 werden für die besetzten Gebiete um Kern-Berg-Karabach die weitgehend sehr ärmlichen Lebensbedingungen der Siedler, die vor allem von der Landwirtschaft leben, bestätigt. Allerdings soll es nahezu in jedem Dorf eine Schule geben, die Finanzierung der Lehrer stamme teilweise von den "Behörden" Berg-Karabachs, aber sehr oft auch aus Spenden reicher Auslands-Armenier. Diese Spenden seien meist auch die (einzige) Quelle für Infrastrukturmaßnahmen. Neusiedler in diesen Bezirken, teilweise aus Armenien, teilweise aus Aserbaidschan (allerdings handelt es sich [OSCE-Report Nr. V 3 und 9] meist um zunächst nach Armenien geflohene Aserbaidschaner, die dort einige Jahre gelebt haben) erhielten Hilfen für den Wiederauf- oder Neubau der Wohnhäuser selten, wenn ja, dann eher Auslandsspenden. Einen gewissen Wohlstand und nichtlandwirtschaftliche Arbeit gebe es in Lachin (oder Laçin). Aber auch dort werde von den Einwohnern der Aufbau eines normalen Lebens als schwer eingeschätzt, die Unterstützung als dürftig. Die wirtschaftliche Situation in den Rand-Gebieten Berg-Karabachs wird im OSCE-Bericht ebenso wenig positiv beurteilt, die Bevölkerung lebe ebenfalls weitestgehend von der Landwirtschaft.

Aus Auskünften aus dem Jahr 2002, die sich speziell mit einer Einreise einer (alleinstehenden) Mutter mit Kind, mithin der Situation der Klägerinnen beschäftigen, wird ein noch dramatischerer Eindruck von den denkbaren Existenzbedingungen vermittelt. Die Deutsch-Armenische Gesellschaft (in ihrem Gutachten vom 3. August 2002 an den Bayerischen VGH, S. 5) führt dazu aus, einer solchen Person würde es als Außenstehender schwer fallen, in der patriarchalisch orientierten Gesellschaft Berg-Karabachs Fuß zu fassen. Ein Überleben wäre nur durch landwirtschaftliche Betätigung, die mit Landwirtschaft in den Industrienationen nicht vergleichbar wäre, möglich, dies dürfte damit nicht vertrauten Menschen aber äußerst schwerfallen. Hierzu kann wiederum auf die Befragung von Dr. K in seinem bereits oben zitierten Gutachten vom 5. Juli 2002 (Anlage zum Gutachten von Dr. S vom 15. Juli 2003 an das VG Ansbach) verwiesen werden. Danach sind landwirtschaftliche Motorgeräte oder auch nur Benzin oder Diesel für Bauern unerschwinglich. Auch nach Dr. S (im Gutachten vom 7. Mai 2002 an den Bayerischen VGH) dürfte eine alleinstehende Mutter ohne Freundes- und Verwandtenkreis in Berg-Karabach, ohne armenische Sprachkenntnisse, nicht in der Lage sein, in Berg-Karabach eine Existenz aufzubauen. Hierzu passen Hinweise von Dr. K (im Gutachten vom 3. Mai 2002 an Rechtsanwalt P) u. a. aufgrund eines Gesprächs mit dem "Sozialminister" von Berg-Karabach. Danach sei es unmöglich, sich in Berg-Karabach eine Existenzgrundlage ohne Unterstützung durch Verwandte und Bekannte zu schaffen. Die Behörden seien nicht an einer Ansiedlung hilfebedürftiger Personen interessiert, Arbeitsplätze gebe es sehr selten, es sei zudem unmöglich, eine solche Beschäftigung zu erhalten.

Angesichts dieses Gesamtbildes hätte wohl nur eine wohlhabende Person oder ein zusammen mit seiner Großfamilie sich in Berg-Karabach ansiedelnder Rückkehrer mit landwirtschaftlicher Erfahrung realistische Chancen, in Berg-Karabach eine das Existenzminimum sichernde Lebensgrundlage aufzubauen. Für akademisch geprägte "Großstadtmenschen" fehlt jede Anschlussmöglichkeit. Aufgrund der skizzierten Lebensbedingungen in Berg-Karabach erscheint es nicht "vernünftig" i. S. des Art. 8 Abs. 2 QRL, von einer alleinstehenden weiblichen Person mit einem Kind und ohne jegliche landwirtschaftliche Erfahrung eine Existenzgründung in Berg-Karabach zu versuchen. Denn einer alleinstehenden Mutter - wie hier - mit nahezu erwachsener Tochter ist es in Berg-Karabach - ohne enges verwandtschaftliches Netz - weder möglich, eine das Überleben sichernde Arbeit zu finden noch sich - auch angesichts fehlender Sprachkenntnisse - in die Gesellschaft zu integrieren. Insbesondere die Klägerin zu 2 würde dort zudem wohl als Aserbaidschanerin angesehen und von der Bevölkerung (nicht unbedingt von offizieller Seite) abgelehnt.

Unterstützung erhalten in Berg-Karabach nur Einheimische oder Rückkehrer, aber kaum Zuwanderer.

2. Liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezüglich der Klägerinnen vor, hat das Verwaltungsgericht zu Recht von den Feststellungen nach § 53 AuslG, nunmehr nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, abgesehen (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Es hat auch rechtmäßig die gegenteiligen Feststellungen des Bundesamtes unter Nr. 2 und 3 des Bescheides und auch die Abschiebungsandrohung aufgehoben. Letzteres ergibt sich im Umkehrschluss aus § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970). Eine teilweise Aufrechterhaltung der Abschiebungsandrohung in Anwendung des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG scheidet bei der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG aus (so schon vor der Rechtsänderung in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10. Januar 2007 - 2 L 318/05 - Juris, Rdnr. 28).

Da die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 AuslG nicht mehr dem heute geltenden Recht entspricht, war der Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Rahmen der Berufungszurückweisung an das geltende Recht anzupassen. Die Einfügung von § 60 Abs. 1 Satz 6 AufenthG durch Gesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), wonach den Klägerinnen zusätzlich parallel die Flüchtlingseigenschaft i. S. d. ebenso eingefügten § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen ist, gibt keinen Anlass zu einer weitergehenden Korrektur des erstinstanzlichen Urteilstenors. Die dementsprechende Verpflichtung der Beklagten folgt unmittelbar aus der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, die die Beklagte von Amts wegen auszusprechen hat. Einer weitergehenden Anpassung des erstinstanzlichen Urteilstenors bedarf es nicht. Eine Erweiterung des Streitgegenstandes wegen der Rechtsänderung im Gesetz vom 19. August 2007 hat nicht stattgefunden. Das Gesetz stellt klar, dass die Betroffenen damit die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention erwerben; § 3 Abs. 1 AsylVfG enthält nur eine Rechtsfolgenanordnung (vgl. näher Marx: AsylVfG, 6. Aufl., § 3, Rdnr. 4 und zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstandes in anhängigen Verfahren anlässlich der Einfügung des § 51 AuslG durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 [BGBl. I S. 1354] am 1. Januar 1991 das grundlegende Urteil des BVerwG vom 18. Februar 1992 - 9 C 59/91 - Juris, Rdnr. 8 ff.).

3. Die Kostenentscheidung des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten fallen nicht an (§ 83b AsylVfG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der außergerichtlichen Kosten folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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