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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 2 KO 903/05
Rechtsgebiete: ThürKWG, ThürMeldeG


Vorschriften:

ThürKWG § 1 Abs. 1 Nr. 3
ThürKWG § 24 Abs. 2
ThürKWG § 31 Abs. 1
ThürKWG § 31 Abs. 2
ThürKWG § 32
ThürMeldeG § 15 Abs. 2
1. Die Rücknahme einer Wahlanfechtungserklärung im Berufungsverfahren lässt nicht die Wirksamkeit eines Bescheides, mit dem eine Bürgermeisterwahl gemäß § 31 Abs. 2 ThürKWG für ungültig erklärt wird, entfallen.

2. Eine in mehreren Gemeinden gemeldete Person ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG dort wahlberechtigt, wo sie ihre Hauptwohnung im Sinne des Melderechts hat. Für diese Fallgruppe ordnet das Gesetz an, dass der Aufenthalt einer Person mit Wohnungen in mehreren Gemeinden dort widerlegbar vermutet wird, wo diese mit Hauptwohnsitz gemeldet ist.

3. Die Wahlbehörde ist nicht verpflichtet, für jeden einzelnen Einwohner mit mehreren Wohnungen zu ermitteln, ob die als Hauptwohnsitz gemeldete Wohnung die wahlrechtliche Hauptwohnung ist. Der melderechtlichen Erklärung und der daraus folgenden melderechtlichen Erfassung kommt eine erhebliche Indizwirkung zu.

4. Die Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse findet ihre Grenze in den Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung und auf Schutz von Ehe und Familie. Nur die offenkundigen und gerichtsbekannten Tatsachen sind Ausgangspunkt der Prüfung. Weitergehende Aufklärungsmaßnahmen sind auf die Verwertung eigener Angaben des Betroffenen, die insoweit nur auf Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit überprüft werden können, beschränkt.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Im Namen des Volkes Urteil

2 KO 903/05 In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kommunalwahlrecht, hier: Berufung

hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bathe und die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungsgericht von Saldern aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2008 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 24. Juni 2005 - Az. 6 K 6189/04 We - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2 sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu 1 vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl in der Gemeinde G - der Beigeladenen zu 1 - im Jahre 2004.

Der Kläger ist seit 1994 in dritter Amtszeit ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde G . Er unterhält dort ein Wildgatter, ist Jagdpächter und seit 1991 Inhaber eines Steinbruchunternehmens. Darüber hinaus betreibt der Kläger ein Kieswerk sowie ein Recyclingunternehmen in E___ und ist Geschäftsführer von drei Kieswerken im Raum E .

Er ist Eigentümer von 10 Hektar Wiesen und des Anwesens K in G , von wo aus der Kläger seine Unternehmen leitet.

Am 21. Dezember 1998 meldete der Kläger sich unter der Adresse K in G mit Hauptwohnsitz an. Gleichzeitig war er mit Nebenwohnsitz in S , F , gemeldet. Der Kläger und seine Ehefrau sind Eigentümer dieses Grundstücks, das mit einem Doppelhaus bebaut ist. Die Ehefrau war seinerzeit mit Hauptwohnsitz dort gemeldet; sie arbeitet in seinem Unternehmen.

Zum 16. April 2002 meldete sich auch die volljährige Tochter des Klägers mit Hauptwohnsitz unter der Adresse K in G an. Sie bewohnte dort zwei Zimmer. Küche und Dusche teilte sie sich mit ihrem Vater, dem Kläger, der dort drei Durchgangszimmer mit einer Größe von etwa 70 m² bewohnte.

Im Jahre 2003 erwarb der Kläger das Objekt K , welches er in der Folge zu Wohnzwecken umbaute.

Am 27. Juni 2004 wurde der Kläger mit 92,9 % erneut zum Bürgermeister von G gewählt. Das Wahlergebnis wurde am 30. Juni 2004 öffentlich bekannt gegeben. Mit Schreiben vom 6. Juli 2004 erklärte der Beigeladene zu 2 die Anfechtung der Wahl des Klägers und zweifelte dessen Wählbarkeit an.

Im August 2004 bezog der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau das Gebäude K , die sich ebenfalls mit Hauptwohnsitz in G anmeldete. Die Tochter bezog das elterliche Haus in S und meldete sich um.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2004 erklärte der Beklagte die Wahl des Klägers zum Bürgermeister von G für ungültig. Der Kläger sei nicht wählbar. Die Vermutung, dass der Kläger seinen Aufenthalt an seinem melderechtlichen Hauptwohnsitz habe, sei widerlegt, weil der Wohnsitz der Familie in S sei.

Die Wohnung in G sei für eine dreiköpfige Familie nicht geeignet. Der Beklagte stellte diesen Bescheid den übrigen Beteiligten zu und veranlasste die öffentliche Bekanntmachung im C Anzeiger (Amtsblatt auch für G ) vom 14. Januar 2005.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 3. November 2004 Klage beim Verwaltungsgericht Weimar erhoben. Durch Urteil vom 8. Juni 2005 - 6 K 6189/04 We - hat das Verwaltungsgericht Weimar den Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2004 aufgehoben. Diese Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger zum Bürgermeister wählbar gewesen sei. § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG sei verfassungskonform dahin gehend auszulegen, dass sich die Wahlberechtigung auch bei einem verheirateten Einwohner, der nicht dauernd getrennt lebt, danach bestimme, wo dieser selbst seine vorwiegend benutzte Wohnung habe und nicht danach, wo sich die vorwiegend von der Familie benutzte Wohnung befinde. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 12. Juni 1997 - 13/95 -.

Gegen dieses am 27. Juni 2005 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26. Juli 2005 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt, die er wie folgt begründet: Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd von seiner Familie getrennt lebe, sei die vorwiegend genutzte Wohnung der Familie. Die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs sei zum Wohnsitzbegriff des Thüringer Landeswahlgesetzes ergangen und könne nicht ohne weiteres auf das Kommunalwahlgesetz übertragen werden. Es handele sich insoweit um eine Einzelfallentscheidung im Lichte der Art. 46 und Art. 17 ThürVerf. Der Gesetzgeber dürfe sich bei der Bestimmung des wahlrechtlichen Wohnsitzbegriffs am Melderecht orientieren. Die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG sei nicht auslegungsfähig, weil Wortlaut und Sinn eindeutig definiert seien. Der Begriff der "Hauptwohnung" im Sinne des § 15 ThürMeldeG sei legaldefiniert. Die Familienwohnung sei diejenige, die von den Ehepartnern gemeinsam genutzt werde. Nur in Ausnahmefällen komme die Zweifelsregel des § 15 Abs. 2 Satz 2 ThürMeldeG zum Tragen. Der vom Thüringer Verfassungsgerichtshof entschiedene Fall sei mit der Situation des Klägers nicht vergleichbar. Der Kläger sei an der Ausübung seines aktiven und passiven Wahlrechts in Thüringen nicht gehindert. Beide Wohnungen befänden sich in räumlicher Nähe zueinander. Es verstoße nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, die Wählbarkeit an den Familienwohnsitz zu knüpfen. Es sei ein sachgemäßes Kriterium zur Bestimmung des "Aufenthalts". Dieser lasse sich im Wege einer typisierenden Betrachtungsweise anhand objektiver Kriterien ermitteln. Da die Feststellung der Wahlberechtigung ein Massengeschäft sei, sei diese Vorgehensweise im Interesse der Rechtssicherheit geboten. § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG betone die herausgehobene Stellung der Familienwohnung. Unter dem Begriff des Aufenthalts sei der "Daseinsmittelpunkt" und "Schwerpunkt" der Lebensbeziehungen zu verstehen. Eine dementsprechende Unterkunft müsse es ermöglichen, von dort aus die Angelegenheiten des täglichen Lebens zu verrichten. Die Vermutung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 ThürKWG gelte bezogen auf den Kläger nicht, da die melderechtliche Erfassung unrichtig gewesen sei. Die Ehefrau des Klägers sei nur in S gemeldet gewesen. Der Kläger trage die Beweislast dafür, dass die Wohnung in G die Familienwohnung gewesen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 24. Juni 2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, als Bürgermeister für G im Jahre 2004 wählbar gewesen zu sein. Er sei dort seit 1998 richtigerweise mit Hauptwohnung gemeldet. Die Vermutung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 2. Halbsatz ThürKWG sei nicht widerlegt. In G habe sich auch 2004 die überwiegend von ihm benutzte Wohnung befunden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Tochter mit Hauptwohnsitz in G gemeldet gewesen sei.

Die Beigeladene zu 1 beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie teilt die Auffassung des Klägers. Auf die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie komme es nicht an. Ansonsten wäre ein verheirateter Einwohner gegenüber einem unverheirateten Einwohner unangemessen benachteiligt. Die melderechtliche Erfassung des Klägers sei richtig.

Der Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag und trägt zur Sache auch nicht vor.

Er hat mitgeteilt, mit dem Verfahren nichts mehr zu tun haben zu wollen und den Wunsch geäußert, dass dieses beendet werden solle. Seinen Wohnsitz in G gebe er auf.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens (zwei Bände) und den von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang (eine Heftung). Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten im Ergebnis zu Recht aufgehoben.

1. Die Klage ist zulässig. Für das Klagebegehren ist anders als in dem Fall einer Klage gegen die Ablehnung einer Wahlanfechtung nicht eine Gestaltungsklage eigener Art (vgl. Beschluss des Senats vom 20. Juni 1996 - 2 KO 229/96 - und Urteil vom 13. November 2001 - 2 KO 495/03 -), sondern die Anfechtungsklage statthaft (vgl. Urteil des Senats vom 14. Oktober 2003 - 2 KO 495/03 -). Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 33 Abs. 1 Thüringer Kommunalwahlgesetz - ThürKWG -).

Dieser Anfechtungsklage fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Der angefochtene Bescheid hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beigeladene zu 2, der die Wahl nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 ThürKWG angefochten hatte, im Berufungsverfahren erklärt hat, das Verfahren solle beendet werden, und er habe am Ausgang des Verfahrens kein Interesse mehr. Es spricht zwar viel dafür, diese Äußerungen des Beigeladenen zu 2 im Berufungsverfahren als Rücknahme der mit Schreiben vom 6. Juli 2004 erklärten Wahlanfechtung auszulegen. Er bringt unmissverständlich seinen Wunsch zum Ausdruck, dass er persönlich keine Sachentscheidung mehr wünscht und dass das Verfahren ohne eine solche beendet werden soll. Das Berufungsverfahren selbst kann der Beigeladene zu 2 nicht durch Prozesserklärung beenden; er ist weder Kläger noch Rechtsmittelführer und kann damit nicht über den Streitgegenstand verfügen. Ebenso wenig kann er durch die Rücknahme seiner Wahlanfechtungserklärung dem angefochtenen Bescheid seine Grundlage entziehen und die Erledigung desselben erreichen. Ob der Beigeladene zu 2 als derjenige, der die Wahl seinerzeit nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 ThürKWG angefochten hat, eine Fortführung dieses Verfahrens wünscht oder von der Wahlanfechtung Abstand nimmt, ist für die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides und damit auch für die Zulässigkeit der Berufung des Beklagten ohne Belang. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürKWG kann jeder Wahlberechtigte die Feststellung des Wahlergebnisses binnen zwei Wochen nach dessen Bekanntmachung anfechten. Demgegenüber kann die Rechtsaufsichtsbehörde auch nach Ablauf dieser Anfechtungsfrist von Amts wegen prüfen, ob die Wahlvorschriften bei Vorbereitung und Durchführung der Wahl eingehalten sind (§ 31 Abs. 2 Satz 1 und 3 ThürKWG). Sie darf die Feststellung des Wahlergebnisses binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses berichtigen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 ThürKWG). Diese Ausschlussfrist gilt nur dann nicht, wenn eine Person gewählt wurde, die nicht wählbar war.

Inhaltlich haben jedoch sowohl die Wahlanfechtung nach § 31 Abs. 1 ThürKWG als auch das Wahlprüfungsverfahren die Prüfung zum Gegenstand, ob die Wahlvorschriften eingehalten sind (vgl. dazu auch LT-Drs. 1/2150, S. 27, wo dies bei der Begründung zu § 32 ThürKWG zum Ausdruck kommt). Bei der Wahlanfechtung besteht nur hinsichtlich des Prüfungsumfanges die Besonderheit, dass dieser auf die innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist substantiiert geltend gemachten Wahlrechtsverstöße beschränkt ist (st. Rspr. des Senats, vgl. Urteil vom 27. März 2007 - 2 KO 28/07 - und vom 20. Juni 1996 - 2 KO 229/96 - ThürVBl. 1997, 110). Demgegenüber kann die Rechtsaufsichtsbehörde - innerhalb der Dreimonatsfrist des § 32 Abs. 2 Satz 2 ThürKWG - eine umfassende Prüfung vornehmen. Ungeachtet dieses unterschiedlichen Prüfungsrahmens hat jedoch sowohl beim Wahlanfechtungs- als auch beim Wahlprüfungsverfahren die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde im Tenor die inhaltlich gleiche Frage zu beantworten, ob das Wahlergebnis zu berichtigen oder die Wahl für ungültig zu erklären ist. Hält die Rechtsaufsichtsbehörde - so wie in diesem Fall - eine Wahl wegen eines innerhalb der Anfechtungsfrist des § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürKWG geltend gemachten Verstoßes gegen Wahlvorschriften für ungültig und erlässt einen entsprechenden Bescheid, so besteht für eine weitere Ungültigerklärung der Wahl nach Maßgabe des § 32 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG keine Notwendigkeit mehr.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es sich bei dem Wahlanfechtungs- und dem Wahlprüfungsverfahren nicht um zwei selbständig nebeneinander stehende Verfahren handelt, sondern dass diese inhaltlich miteinander verknüpft sind. Dies verdeutlicht auch die Bezugnahme in § 32 Abs. 2 Satz 1 ThürKWG auf die (zweiwöchige) Anfechtungsfrist des § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürKWG, wonach klargestellt wird, dass die Rechtsaufsichtsbehörde gerade nicht an diese zweiwöchige Anfechtungsfrist gebunden ist. Der Hinweis darauf, dass die Rechtsaufsichtsbehörde eine Wahlprüfung auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist durchführen darf, wäre entbehrlich, wenn zwischen dem Wahlanfechtungs- und dem Wahlprüfungsverfahren kein rechtlicher Zusammenhang bestünde. Dieser rechtliche Zusammenhang besteht im Wesentlichen darin, dass das Wahlanfechtungsverfahren in dem Umfang, in dem Wahlrechtsverstöße substantiiert und fristgerecht geltend gemacht werden, ein weiteres daneben stehendes Wahlprüfungsverfahren entbehrlich macht. Insoweit dient das Wahlanfechtungsverfahren nicht nur der Verwirklichung subjektiver wahlrechtsbezogener Rechte der nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 Satz 1 ThürKWG anfechtungsberechtigten Wahlberechtigten und der zur Wahl zugelassenen Bewerber. Vielmehr ersetzt das Wahlanfechtungsverfahren bezogen auf die fristgerecht und substantiiert geltend gemachten Wahlrechtsverstöße das von Amts wegen durchzuführende Wahlprüfungsverfahren. Diese Doppelrechtsnatur des Wahlprüfungsverfahrens hat zur Folge, dass es bezogen auf seinen beschränkten Prüfungsumfang eine objektive Rechtmäßigkeitsprüfung zum Gegenstand hat.

Soweit infolge eines Wahlanfechtungsverfahrens nach § 31 ThürKWG eine Wahl durch Bescheid für ungültig erklärt wird und deshalb ein selbständiges Wahlprüfungsverfahren nach § 32 ThürKWG entbehrlich ist, verselbständigt sich der Bescheid und dessen Gültigkeit wird der Disposionsbefugnis des Anfechtenden entzogen. Dies verdeutlicht auch die Bestimmung des § 31 Abs. 2 Satz 5 i. V. m. § 9 Abs. 6 ThürKWG, wonach ein infolge einer Wahlanfechtung erlassener Bescheid, der eine Wahl für ungültig erklärt, in ortsüblicher Weise öffentlich bekannt zu machen ist. Dieser Bescheid wirkt demzufolge nicht nur zwischen der erlassenden Behörde, dem Anfechtenden und den von der Ungültigkeitserklärung betroffenen Bewerbern.

Vielmehr wird die Ungültigkeit der Wahl objektiv für unwirksam erklärt, und die Rechtsaufsichtsbehörde ist verpflichtet, ein Nachwahlverfahren nach Maßgabe des § 33 ThürKWG anzuordnen. Insofern besteht kein Unterschied zu einer Ungültigerklärung infolge einer Wahlprüfung nach § 32 ThürKWG. Eine solche objektiv wirksame, für jedermann geltende Ungültigerklärung in einem Wahlanfechtungsbescheid kann deshalb auch nicht durch Rücknahme einer Wahlanfechtungserklärung rückgängig gemacht, sondern nur im Rahmen der eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten beseitigt werden.

Insoweit ist die Rechtsposition eines Wahlanfechtenden nicht mit der eines Antragstellers in einem Verwaltungsverfahren nach §§ 9 ff. ThürVwVfG vergleichbar, der durch Rücknahme seines Antrages die Erledigung eines auf seine Initiative hin erlassenen Bescheides herbeiführen kann (so auch Sächsisches OVG, Urteil vom 13. Februar 2007 - 4 B 46/06 - SächsVBl. 2007, 134-137 zu den insoweit vergleichbaren sächsischen Bestimmungen).

2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2004, mit dem die Wahl des Klägers zum Bürgermeister der Beigeladenen zu 1 vom 27. Juni 2004 für ungültig erklärt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Beigeladene zu 2 innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntmachung der Feststellung des Wahlergebnisses die Bürgermeisterwahl vom 27. Juni 2004 durch schriftliche Erklärung angefochten (§ 31 Abs. 1 Satz 1 ThürKWG). Der Bescheid vom 11. Oktober 2004 ist auch wirksam; er wurde gemäß § 31 Abs. 2 Satz 5 ThürKWG öffentlich bekannt gemacht.

Jedoch ist der angefochtene Bescheid materiell rechtwidrig. Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Bescheides ist § 31 Abs. 2 Satz 3 ThürKWG. Danach hat die Rechtsaufsichtsbehörde eine Wahl für ungültig zu erklären, wenn erhebliche Verstöße gegen Wahlvorschriften vorgekommen sind, die geeignet sind, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Ein Wahlrechtsverstoß ist bei der Wahl des Klägers zum ehrenamtlichen Bürgermeister der Gemeinde G nicht feststellbar. Es liegt kein Verstoß gegen die hier - allein in Betracht kommende Bestimmung - des § 24 Abs. 2 Satz 1 ThürKWG vor. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 ThürKWG ist zum Bürgermeister jeder Wahlberechtigte wählbar, der am Wahltag seit mindestens sechs Monaten seinen Aufenthalt in der Gemeinde hat. Entgegen der Auffassung des Beklagten war der Kläger im Zeitpunkt der Wahl am 27. Juni 2004 nach Maßgabe des § 24 Abs. 2 ThürKWG wählbar. Er war seinerzeit wahlberechtigt und wählbar, da er seit mehr als sechs Monaten in der Gemeinde seinen Aufenthalt hatte. Das ergibt sich aus Folgendem:

Das passive Wahlrecht ist an das aktive Wahlrecht i. S. d. § 1 ThürKWG gebunden. Die Wahlberechtigung bei Kommunalwahlen in Thüringen ist für deutsche Einwohner in § 1 Abs. 1 ThürKWG geregelt. Neben anderen hier nicht im Streit stehenden Voraussetzungen ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 1. Halbsatz ThürKWG bei Gemeindewahlen nur wahlberechtigt, wer seit mindestens drei Monaten seinen Aufenthalt in der betreffenden Gemeinde hat. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 2. Halbsatz ThürKWG wird der Aufenthalt in der Gemeinde vermutet, wenn die Person seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde gemeldet ist. Dies beinhaltet eine Verknüpfung des kommunalwahlrechtlichen Aufenthaltsbegriffs mit der melderechtlichen Erfassung, die auch sachdienlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 1986 - 7 B 140.86 - n. v. im Anschluss an OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Juli 1986 - 15 A 1274/85 - DVBl. 1987, S. 144/146 zu dem vergleichbaren § 7 KWahlG NW ).

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG ist eine in mehreren Gemeinden gemeldete Person - wie hier der Kläger - in jener Gemeinde wahlberechtigt, in der sie ihre Hauptwohnung im Sinne des Melderechts hat. Auch für diese Fallgruppe ordnet das Gesetz an, dass der Aufenthalt einer Person mit Wohnungen in mehreren Gemeinden in der Gemeinde vermutet wird, in der diese mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. Dem steht nicht entgegen, dass von einer Vermutung des Aufenthalts nur in § 1 Abs. 1 Nr. 3 2. Halbsatz ThürKWG die Rede ist. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Systematik des § 1 Abs. 1 Nr. 3 ThürKWG. Die drei Halbsätze sind inhaltlich untrennbar miteinander verknüpft. Während der 1. Halbsatz eine der Wählbarkeitsvoraussetzungen - den Aufenthalt von drei Monaten - benennt, wird in den beiden nachfolgenden Halbsätzen festgelegt, nach welchen Kriterien der Aufenthalt eines Bürgers im Sinne des 1. Halbsatzes zu bestimmen ist. Im 2. Halbsatz wird die gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass der Aufenthalt dort ist, wo eine Person gemeldet ist. Damit steht fest, dass allgemein für die Prüfung dieser Wählbarkeitsvoraussetzung an die melderechtliche Erfassung anzuknüpfen ist. An der Vermutung zum Aufenthalt nimmt § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG teil. Diese melderechtliche Bestimmung steht nicht losgelöst neben dem 2. Halbsatz. Auch der 3. Halbsatz knüpft an die melderechtliche Erfassung an, und zwar für den Sonderfall, dass jemand für mehrere Wohnungen gemeldet ist. Diese Vermutung selbst stellt diese Ergänzung nicht in Frage, sondern verhält sich nur dazu: Hat eine Person nicht nur eine, sondern mehrere Wohnungen, reicht die bloße melderechtliche Erfassung zur Bestimmung des Aufenthalts nicht aus. Vielmehr ist in den Fällen, in denen jemand für mehrere Wohnungen gemeldet ist, zu bestimmen, für welche dieser Wohnungen die Vermutung des Aufenthalts gelten soll. Diese Konkretisierung des 2. Halbsatzes nimmt deshalb § 1 Abs. 1 Nr. 3 3. Halbsatz ThürKWG vor.

Bezogen auf den Kläger ist in Anwendung des § 1 Nr. 3 2. und 3. Halbsatz ThürKWG zu vermuten, dass dieser in den drei Monaten vor der Bürgermeisterwahl am 27. Juni 2004 seinen Aufenthalt in G hatte, weil er dort seit 1998 mit Hauptwohnsitz gemeldet ist und zugleich das Erfordernis des Aufenthalts von sechs Monaten i. S. d. § 24 Abs. 2 ThürKWG erfüllt hat.

Als gesetzliche Vermutung ist § 1 Abs. 1 Nr. 3 2. und 3. Halbsatz ThürKWG nach Maßgabe des § 173 VwGO i. V. m. § 292 Zivilprozessordnung - ZPO - widerlegbar, da der Beweis des Gegenteils nicht gesetzlich ausgeschlossen wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1994 - 8 C 4/93 - NVwZ 1996, S. 178 zur Anwendbarkeit des § 292 ZPO im Verwaltungsprozess und auch Bayerischer VGH, Urteil vom 13. Juni 1979 - Nr. 4 B - 660/79 - DVBl. 1980, S. 62 zu der mit § 1 Abs. 1 Nr. 3 ThürKWG vergleichbaren bayerischen Regelung). Eine gesetzliche Vermutung lässt sich nicht durch bloßes Erschüttern entkräften; vielmehr muss der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1994 - 8 C 4/93 - NVwZ 1996, S. 178 und Urteil vom 24. August 1990 - 8 C 65.89 - BVerwGE 85, 314-320).

Dafür, dass eine unwiderlegbare Vermutung geregelt werden sollte, die ausschließlich an die melderechtliche Erfassung anknüpft, findet sich im Gesetz keine Stütze und auch kein Anhaltspunkt in den Gesetzesmaterialien. Für die Widerlegbarkeit der Vermutung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 2 und 3. Halbsatz ThürKWG spricht auch, dass im 3. Halbsatz von der "Hauptwohnung im Sinne des Melderechts" die Rede ist. Diese Formulierung verdeutlicht, dass es nicht zwingend auf die melderechtliche Eintragung als Hauptwohnung ankommen soll (so z. B. die ausdrückliche Regelung für Schleswig-Holstein in § 3 Abs. 2 KomWG, vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Dezember 2007 - 2 LB 39/07 - juris -). Maßgebend sollen vielmehr letztendlich die tatsächlichen Verhältnisse sein (vgl. auch ThürVerfGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - 13/95 - ThürVBl. 1997, 204-209 zur insoweit ähnlichen Formulierung in § 13 Satz 2 Thüringer Landeswahlgesetz - ThürLWG). Für diese Auslegung spricht auch, dass die melderechtliche Eintragung nach § 9 MRRG und § 10 Abs. 1 ThürMeldeG von Amts wegen zu ändern ist, wenn sie unrichtig ist.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Wahlbehörde für jeden einzelnen Einwohner mit mehreren gemeldeten Wohnungen ermitteln muss, ob die als Hauptwohnsitz gemeldete Wohnung auch tatsächlich die Hauptwohnung im Sinne des Melderechts und damit auch die wahlrechtliche Hauptwohnung ist. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass sowohl der Erklärung des Klägers, in G einen Hauptwohnsitz und damit seinen Lebensmittelpunkt zu haben, als auch der daraus folgenden melderechtlichen Erfassung wegen des eigenen Bestimmungsrechts (vgl. § 15 Abs. 4 ThürMeldeG) eine erhebliche Indizwirkung zukommt. Die melderechtlichen Eintragung hat bei der Vorbereitung der Kommunalwahlen ein maßgebliches Gewicht. So entspricht es einem praktischen Bedürfnis, dass eine Gemeinde, der keine anderen Erkenntnisse zur Verfügung stehen, bei der Vorbereitung der Wahl das Melderegister zugrunde legt. Dem steht nicht entgegen, dass in § 6 ThürKWG i. V. m. § 7 Thüringer Kommunalwahlordnung - ThürKWO -eine ausdrückliche Vorgabe, bei der Erstellung des Wählerverzeichnisses auf das Melderegister zurückzugreifen, nicht enthalten ist (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Mai 2006 - 1 S 78/06 - juris - zu der insoweit vergleichbaren Rechtslage in Baden-Württemberg; zur ausdrücklichen Regelung vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Juli 1986 - 15 A 1274/85 - DVBl. 1987, 144 zu der damaligen Fassung des § 11 Abs. 1 KWahlO NW). Ungeachtet dessen, dass der melderechtliche Wohnsitz aus den vorgenannten Gründen im Ansatz unabhängig von der Eintragung im Melderegister zu bestimmen ist, bleibt eine abweichende Beurteilung die Ausnahme. Das Melderegister beruht in aller Regel allein auf den Angaben des Meldepflichtigen. Die Behörde hat keinen Einblick in dessen nähere Lebensumstände und kann sich angesichts der Möglichkeiten einer Massenverwaltung auf eine bloße Plausibilitätskontrolle beschränken. Nur dann, wenn es Hinweise darauf gibt, dass die Angaben nicht zutreffen, bedarf es weiterer Ermittlungen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Mai 2006 - 1 S 78/06 -juris - m. w. N).

Unter Anwendung dieses Maßstabes ist die zu Gunsten des Klägers streitende Vermutung, dass er in den sechs Monaten vor der Bürgermeisterwahl am 27. Juli 2004 seinen Aufenthalt in G hatte, nicht widerlegt. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist davon auszugehen, dass der Kläger seinen melderechtlichen Hauptwohnsitz tatsächlich in G und nicht in S hatte. Es bestand zwar Veranlassung, die Eintragung des Klägers im Melderegister mit Hauptwohnsitz in G nicht unbesehen der Beurteilung der wahlrechtlichen Frage zugrunde zu legen und eigenständige Ermittlungen zum tatsächlichen melderechtlichen Hauptwohnsitz anzustellen. Diese Zweifel an der Richtigkeit der melderechtlichen Eintragung sind darin begründet, dass der Kläger seinerzeit neben dem Hauptwohnsitz in G zusammen mit seiner Ehefrau noch ein Doppelhaus bewohnte, wo er nur mit Nebenwohnsitz, sie aber mit Hauptwohnsitz gemeldet war. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ThürMeldeG ist der Hauptwohnsitz eines verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Einwohners die vorwiegend genutzte Wohnung der Familie. Dies spricht dafür, dass Ehepartner grundsätzlich einen gemeinsamen Hauptwohnsitz haben. Da die Ehepartner hier ihren jeweiligen Hauptwohnsitz an unterschiedlichen Orten hatten, war in dessen zu prüfen, ob die melderechtliche Erfassung der Eheleute in der Zeit bis zur Wahl den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach.

Ausgangspunkt für eine derartige Prüfung sind die offenkundigen und ggfs. gerichtsbekannten Tatsachen. Weitergehende Aufklärungsmaßnahmen sind auf die Verwertung eigener Angaben des Klägers, die insoweit nur auf Schlüssigkeit und Glaubhaftigkeit überprüft werden können, beschränkt. Die Ausforschung der persönlichen Lebensverhältnisse des Klägers findet ihre Grenze in den Grundrechten des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung und auf Schutz von Ehe und Familie (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - VerfGH 5/96 - LVerfGE 5, 189/212 und StGH Bremen, Entscheidung vom 28. Februar 1994 - St 2/93 -DÖV 1994, S. 517).

Auf der Grundlage des sich aus den Akten ergebenden offenkundigen Tatsachen und den Angaben der Klägers in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die melderechtliche Erfassung des Klägers für den maßgebenden Zeitraum von sechs Monaten vor der Bürgermeisterwahl richtig war, weil dieser tatsächlich seinen melderechtlichen Hauptwohnsitz in G hatte.

§ 15 Abs. 2 und 3 ThürMeldeG (vgl. auch § 12 Abs. 2, 3 MRRG) legen unabhängig vom Willen des Inhabers mehrerer Wohnungen dessen Hauptwohnung fest (vgl. Medert/Süßmuth/Dette-Koch, Melderecht des Bundes und der Länder, Teil I, Stand Juni 2007, Rn. 1 und 2 zu § 12 MRRG). Maßgebend ist der objektivierte Hauptwohnungsbegriff.

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 ThürMeldeG ist die vorwiegend benutzte Wohnung die Hauptwohnung eines (ledigen) Einwohners. Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebt, ist die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie (Satz 2). Diese melderechtliche Regelung für verheiratete Familienangehörige ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil bei Verheirateten, die mit ihrer Familie zusammen leben, die Anknüpfung an den Hauptwohnsitz der Familie ein sachgerechtes Kriterium zur Bestimmung ihres eigenen Hauptwohnsitzes darstellt und nur in seltenen Ausnahmefällen mit der Lebenswirklichkeit nicht übereinstimmt. Derartige Ausnahmefälle darf der Gesetzgeber jedoch aus Gründen der Praktikabilität vernachlässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 1986 - 7 B 140.86 - n. v., mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 1986 - 15 A 1274/85 - a. a. O. zurückgewiesen wurde). Lässt sich eine überwiegend benutzte Wohnung der Familie nach § 15 Abs. 2 Satz 2 ThürMeldeG nicht feststellen, befindet sich diese dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der Familie liegt (Satz 5). Kann der Wohnungsstatus eines verheirateten Einwohners nach Satz 2 und 5 nicht zweifelsfrei bestimmt werden, ist Hauptwohnung die Wohnung nach Satz 1, also die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners.

Eine Bestimmung des Hauptwohnsitzes nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 Satz 1 ThürMeldeG scheidet aus. Der Kläger lebte seinen Angaben zufolge nicht von seiner Frau getrennt und war deshalb auch nicht wie eine unverheiratete Person zu behandeln (vgl. dazu Medert/Süßmuth/Dette-Koch, Melderecht des Bundes und der Länder, Teil I, Stand Juni 2007, Rn. 30 zu § 12 MRRG). Es lässt sich jedoch ebenso wenig im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 ThürMeldeG eindeutig feststellen, wo in den sechs Monaten vor der Wahl am 27. Juni 2004 die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie war (a). Jedoch ist davon auszugehen, dass sich im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 5 ThürMeldeG der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der Eheleute in G befand (b).

a) Eine von der Familie des Klägers vorwiegend benutzte Wohnung lässt sich für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht bestimmen. Die vorwiegende Benutzung richtet sich nicht nach dem Aufenthalt in der Wohnung selbst, sondern nach dem Aufenthalt an dem Ort, wo sich die Wohnung befindet. Zur Ermittlung der vorwiegenden Nutzung einer von mehreren Wohnungen ist eine quantitative Gegenüberstellung der - gemeinsamen - Nutzungszeiten geboten (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1991 - 1 C 24/90 - BVerwGE 89, 110/117 und Urteil vom 20. März 2002 - 6 C 12/01 -NJW 2002, 2579-2580 und Urteil vom 4. Mai 1999 - 1 C 25/98 - juris). Es kommt also nur darauf an, ob es eine Wohnung gibt, die von beiden Personen häufiger gemeinsam genutzt wurde als die andere. Unerheblich ist, wenn ein Ehepartner sich allein häufiger in einer anderen Wohnung aufhält, die der andere Ehepartner gar nicht oder nur selten aufsucht.

Aus den Angaben des Klägers ergibt sich, dass die Familie im hier maßgeblichen Zeitraum in einer Umbruchphase war. Es lässt sich weder für G noch für S eindeutig feststellen, dass sich an einem der beiden Orte die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie befand. Es besteht die Möglichkeit, dass die Hauptwohnung der Familie weiterhin in S war und der Kläger nur täglich nach G pendelte. Dafür spricht insbesondere, dass die ganze Familie jedenfalls ursprünglich dort gewohnt hat und auch mit Hauptwohnsitz gemeldet war.

Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Doppelhaushälfte in S jedenfalls der Größe nach geeignet war, die Familie aufzunehmen.

Es gibt jedoch auch gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie sich bereits nach G verlagert hatte, obwohl die Ehefrau des Klägers sich nicht dorthin umgemeldet und den Hauptwohnsitz in S behalten hatte. Der Kläger hatte sein berufliches und sein soziales Umfeld bereits seit längerem nach G verlegt. So führte er seit Anfang der neunziger Jahre seine eigenen und die vom ihm geleiteten Unternehmen von der K aus, betrieb in der Gemeinde eine Jagdpacht und war seit 1994 Bürgermeister von G . Auch die Ehefrau des Klägers arbeitete in seinem Unternehmen und organisierte seinen Angaben zufolge das familiäre Leben von dort aus. Des Weiteren war die volljährige Tochter in das Gebäude K in G verzogen und hatte sich auch dorthin mit Hauptwohnsitz umgemeldet; die Tochter hatte dort im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ThürMeldeG jedenfalls ihre tatsächliche Hauptwohnung. Zwar ist deren Hauptwohnung nicht maßgebend für die Bestimmung der Hauptwohnung des Klägers und seiner Frau; sie kann aber bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse des Klägers nicht völlig außer acht bleiben, weil sie den Angaben des Klägers zufolge, weiterhin einen intensiven Kontakt zu ihren Eltern pflegte. Dies dokumentiert sich z. B. darin, dass beide Küche und Dusche nutzten; auch nach dem Umzug nach G betrieb die Tochter zusammen mit ihrer Mutter in S Sport.

Gegen eine Verlagerung des Wohnsitzes der Familie nach G spricht jedoch, dass dort nur drei Durchgangszimmer mit einer Gesamtgröße von etwa 70 m² vorhanden waren. Es mag zwar möglich gewesen sein, dort zu zweit zu leben; dies erscheint jedoch im Hinblick darauf, dass in S eine Doppelhaushälfte vorhanden war, eher zweifelhaft. Ergänzend kommt hinzu, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung angab, seinerzeit familiäre Probleme mit seiner Frau gehabt zu haben. Dies lässt es auch als denkbar erscheinen, dass es in dieser Zeit gar keine gemeinsame überwiegend genutzte Wohnung gab. Letztendlich ist es nach Auffassung des Senats nicht möglich, aufgrund der offenkundigen Tatsachen und der Angaben des Klägers eindeutig festzustellen, wo sich die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie befand.

b) Es lässt sich aber nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 Satz 5 ThürMeldeG bestimmen, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der Eheleute war. Hierfür kommen als Beurteilungskriterien u. a. in Betracht: Art der Wohnung, Art und Häufigkeit des Aufenthalts, Erreichbarkeit der anderen Wohnung, gesellschaftliches und kommunalpolitisches Engagement, familiäre oder persönliche Bindungen, Mitgliedschaft in Vereinen, ständige Mitarbeit im Familienbetrieb (vgl. Medert/Süßmuth/Dette-Koch, Melderecht des Bundes und der Länder, Teil I, Stand Juni 2007, Rn. 19 zu § 12 MRRG). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Senat der Überzeugung, dass der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen beider Eheleute in G lag. Entscheidend ist, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung mitteilte, dass sich dort das familiäre Leben abgespielt habe. Es besteht kein Anlass, an dieser plausiblen Angabe zu zweifeln. Derartige Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass es seinerzeit familiäre Probleme gab. Da die Ehefrau des Klägers weiterhin in seinen Unternehmen arbeitete und auch das familiäre Leben organisierte, geht der Senat davon aus, dass die familiäre Gemeinschaft zum damaligen Zeitpunkt noch bestand und nur offen war, ob dies auch zukünftig der Fall sein werde. Denkbar ist, dass die Ehefrau des Klägers sich aufgrund der ungewissen familiären Situation eine Rückkehrmöglichkeit nach S vorsorglich offen gehalten hat.

Ausgeschlossen erscheint es jedenfalls, dass der Kläger wieder nach S zurückgekehrt wäre. Da er 2003 das Anwesen K erworben und mit dem Umbau begonnen hatte, stand schon damals fest, dass er in G bleiben würde. Es war nur unsicher, ob dies auch zukünftig für die Ehefrau gelten würde, die aber ungeachtet der seinerzeit ungewissen familiären Perspektive in dem hier maßgeblichen Zeitraum vor der Wahl am 27. Juni 2004 ihren familiären und beruflichen Schwerpunkt in G hatte.

Ergänzend ist zu bemerken, dass sogar dann, wenn der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen der Eheleute nach Maßgabe des § 15 Abs. 2 Satz 5 ThürMeldeG nicht bestimmbar wäre, der melderechtliche Hauptwohnsitz des Klägers in G wäre. Dann käme nämlich die Zweifelsregel des § 15 Abs. 2 Satz 6 i. V. m. Satz 1 ThürMeldeG zum Tragen, wonach es auf die überwiegend genutzte Wohnung des Einwohners ankommt. Angesichts des beruflichen und kommunalpolitischen Engagements des Klägers in G steht nicht in Frage, dass sich die überwiegend benutzte Wohnung des Klägers in G befand.

Da der Kläger seinen Hauptwohnsitz schon unter Anwendung der melderechtlichen Bestimmungen in G hatte, kann dahinstehen, ob Art. 17 ThürVerf eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 ThürKWG gebietet (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 12. Juni 1997 - 13/95 - LVerfGE 387-419).

War daher der Kläger anlässlich der Bürgermeisterwahl aktiv und passiv wahlberechtigt, durfte die Wahl nicht für ungültig erklärt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach hat der Beklagte als unterlegener Berufungskläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen. Es entspricht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 für erstattungsfähig zu erklären, da diese einen Antrag gestellt und sich einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Demgegenüber sind die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2 nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er keinen Antrag gestellt und sich auch ansonsten nicht durch Sachvortrag am Verfahren beteiligt hat (§§ 162 Abs. 2, 154 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das zweitinstanzliche Verfahren auf 15.000,00 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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