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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2007
Aktenzeichen: 2 SO 412/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 22 Nr. 3
VwGO § 24
Die Ernennung zum Beamten bei den Europäischen Gemeinschaften ist kein Grund für eine Entbindung eines ehrenamtlichen Richters
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 2. Senat - Beschluss

2 SO 412/07 hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Schwan, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hinkel und den an das Gericht abgeordneten Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Packroff am 27. Juni 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Entbindung des Herrn M vom Amt eines ehrenamtlichen Richters beim Verwaltungsgericht Gera wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Herr M wurde in das Amt eines ehrenamtlichen Richters beim Verwaltungsgericht Gera berufen. Am 1. Juli 2007 tritt er das Amt eines Beamten auf Probe ("fonctionnaire stagiaire") bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft an. Mit Schreiben vom 29. Mai 2007 beantragte der Präsident des Verwaltungsgerichts Gera im Hinblick darauf die Entbindung des Herrn M vom Amt des ehrenamtlichen Richters. Er verwies zugleich darauf, dass Herr M seinen Wohnsitz in B beibehalte.

II.

Der Antrag, für den der angerufene Senat zur Entscheidung berufen ist (§ 24 Abs. 3 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet.

Ein ehrenamtlicher Richter ist von seinem Amt zu entbinden, wenn er nicht mehr nach den §§ 20 bis 22 VwGO in dieses Amt berufen werden kann (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Antragsberechtigt ist in diesem Fall nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 VwGO der Präsident des Verwaltungsgerichtes, der auch den vorliegenden Antrag gestellt hat. Nach § 22 Nr. 3 VwGO können nun aber nur Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, soweit sie nicht ehrenamtlich tätig sind, nicht zu ehrenamtlichen Richtern berufen werden.

Zwar liegt letztgenannte Alternative (ehrenamtliche Tätigkeit) nicht vor, eine Anstellung bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Beamter (vgl. näher zu den Grundlagen des Europäischen Beamtenrechts: Oppermann, Europarecht, 3. Auflage, S. 243 ff.) ist aber kein öffentlicher Dienst i. S. des § 22 Nr. 3 VwGO.

Unter den Begriff des öffentlichen Dienstes wird etwa nach der gesetzlicher Definition in § 53 Abs. 8 Satz 2 Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG - nicht nur die Tätigkeit im Dienste des Bundes, eines Landes oder einer Gemeinde, sondern auch von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie deren Verbänden (mit Ausnahme der Religionsgesellschaften) verstanden. Diese an die Rechtsform des Arbeitgebers als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts anknüpfende Begriffsbestimmung entspricht dem allgemeinen Rechtsbegriff des öffentlichen Dienstes, der in solchen Gesetzen vorausgesetzt wird, in denen eine besondere Begriffsbestimmung fehlt (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 3. November 1997 - 1 Y 3779/97 -, Juris, Rdnr. 1; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 28. Februar 1996 - Verw 2/96 -, Juris, Rdnr. 2; beide - zu § 22 Nr. 3 VwGO -unter Verweis auf das Urteil des BVerwG vom 27. Juni 1968 - VIII C 10.67 -, Juris, Rdnr. 17). Unter diese Aufzählung (die auch in der Kommentarliteratur zugrunde gelegt wird: Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage, § 22 Rdnr. 11; Stelkens in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: April 2006, § 22 Rdnr. 3; siehe auch die detaillierte Aufzählung bei Stadler in Fürst, Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, Stand: Mai 2007, O § 53 [BeamtVG] Rdnr. 15 ff.) ersichtlich nur deutscher juristischer Personen des öffentlichen Rechts fällt die Europäische Gemeinschaft mit ihrer eigenständigen Rechtspersönlichkeit (Art. 281 EGV) als "internationale juristische Person" (Oppermann a. a. O. S. 56) ersichtlich nicht. Dementsprechend wird speziell für das Beamtenversorgungsrecht (Stadler a. a. O. Rdnr. 21) eine Tätigkeit z.B. bei den Europäischen Gemeinschaften durch § 53 Abs. 8 Satz 3 BeamtVG dem öffentlichen Dienst gleichgestellt. Auch in § 22 Nr. 1 VwGO, der Mitglieder legislativer Organe des Bundes und der Länder von der Berufung zum ehrenamtlichen Richter ausschließt, ist zusätzlich das Europäische Parlament ausdrücklich erwähnt.

Auch wenn man aber den Ansatz zugrundelegt (so: OVG Berlin, Beschluss vom 08.07.1999 - 4 E 10.99 -, Juris, Rdnr. 4), dass der Begriff des öffentlichen Dienstes weder allgemeingültig existent noch in der VwGO bestimmt ist und somit primär vom Zweck des § 22 Nr. 3 VwGO auszugehen ist, der darin besteht, Interessen- und Pflichtenkollisionen zu vermeiden und die richterliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, ergibt sich nichts anderes. Beides ist prinzipiell nur dann betroffen, wenn das Handeln derjenigen Institution, die den ehrenamtlichen Richter beschäftigt, überhaupt durch Verwaltungsgerichte kontrollierbar ist. Denn nur dann ist ein das Vertrauen des Bürgers in die Neutralität der Verwaltungsgerichtsbarkeit schmälernder Kontrollkonflikt möglich (vgl. OVG Berlin a. a. O.). Ein solcher Interessenkonflikt eines ehrenamtlichen Richters in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist bei einer Beschäftigung unmittelbar bei einer Institution der Europäischen Gemeinschaften (hier: Kommission) kaum denkbar. Die unmittelbaren Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften unterliegen nur der Rechtskontrolle der Europäischen Gerichte, also der des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Gerichtes erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG). Nur diese Gerichte sind ausschließlich berufen, über die Rechtmäßigkeit (Gültigkeit) von normativen Akten und auch Einzelentscheidungen etwa der Kommission zu befinden (vgl. Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 Rdnr. 129). Insoweit sind die innerstaatlichen Gerichte und damit auch die deutschen Verwaltungsgerichte von einer Rechtsprechungstätigkeit ausgeschlossen (vgl. Oppermann a. a. O. S. 222; Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage, § 40 Rdnr. 37; Sodan a. a. O.). Zwar obliegt auch den deutschen Verwaltungsgerichten die Auslegung normativer Akte der Europäischen Gemeinschaften (Richtlinien, Verordnungen). Hier besteht aber - abgesehen von offensichtlich klaren Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts - eine weitgehende Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH.

Ein Wechsel des Wohnsitzes des ehrenamtlichen Richters nach einem Wohnort außerhalb des Gerichtssprengels des VG Gera (Entbindungsgrund nach § 24 Abs. 1 Nr. 5 VwGO) ist mit der Ernennung des Herrn M___ zum Beamten der Europäischen Gemeinschaften nicht verbunden. Ein Antrag auf Entbindung wegen eines besonderen Härtefalles (§ 24 Abs. 2 VwGO), auf die er im gerichtlichen Schreiben vom 6. Juni 2007 hingewiesen wurde, hat der insoweit allein antragsberechtigte ehrenamtliche Richter (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 VwGO) ausdrücklich nicht gestellt.

Ende der Entscheidung

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