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Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 3 EO 663/06
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, GG, BVerfGG, StGB, GewO, LotterieStV, ThürAGLottStV, ThürOBG, Zuständigkeits-und-Ermächtigungs-VO, VwGO, GKG


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 43
EG-Vertrag Art. 46
EG-Vertrag Art. 48
EG-Vertrag Art. 49
EG-Vertrag Art. 55
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 11
BVerfGG § 31
StGB § 281
GewO § 35 Abs. 1
GewO § 35 Abs. 9
LotterieStV § 1
LotterieStV § 5
LotterieStV § 6 Abs. 1
LotterieStV § 12 Abs. 1
LotterieStV §§ 14 ff.
ThürAGLottStV § 6 Abs. 1
ThürOBG § 5 Abs. 1
Zuständigkeits-und-Ermächtigungs-VO § 1
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
GKG § 52 Abs. 2
1. Die Beachtung des Thüringer Staatsmonopols für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten kann in der Übergangsphase - wie sie das BVerfG mit Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1045/01 - (NJW 2006, 1261 = GewArch 2006, 199) zum bayerischen Landesrecht vorgegeben hat - nach den in Thüringen eingeleiteten Beschränkungen, die der Bekämpfung der Wettsucht und problematischem Spielverhalten dienen, weiter durchgesetzt werden.

2. Angesichts der unmittelbaren Geltung der Grundfreiheiten nach Art. 43, 49 EG bei gleichzeitig fehlendem europäischem Sekundärrecht für den Markt für Spiele und Wetten hängt die Rechtfertigung des Eingriffs in den freien Dienstleistungsverkehr u. a. davon ab, ob ein berechtigtes Interesse aus Gründen des Grundrechtsschutzes und der Beachtung der Menschenwürde und damit wegen überragender Gemeinwohlziele anerkannt werden kann.

3. Ob gemeinschaftsrechtlich der Eingriff mit einem Staatsmonopol aufrechterhalten werden kann, ist mit Blick auf derzeit beim EuGH anhängige Richtervorlagen weiter offen.

4. Nach der derzeitigen Rechtslage darf die Vermittlung von Sportwetten, die nicht vom Freistaat veranstaltet werden, grundsätzlich ordnungsrechtlich unterbunden werden.

5. Zur Interessenabwägung im Eilverfahren.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 3. Senat - Beschluss

3 EO 663/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Lotterie- und Wettrechts,

hier: Beschwerde nach § 123 VwGO

hat der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schwachheim und den Richter am Oberverwaltungsgericht Best am 12. Dezember 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 29. Juni 2006 wird abgeändert.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beteiligten im erstinstanzlichen Verfahren, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf je 7.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerden richten sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2006 hinsichtlich des Gebots wiederhergestellt worden ist, die Vermittlung von Sportwetten in der Betriebsstätte S - ____ in E einzustellen, und zugleich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet worden ist, soweit die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld zur Durchsetzung des Gebots in Höhe von 5.000,- € angedroht hat.

Die Beschwerden sind zulässig. Die vorgelegten Begründungen genügen dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Der Vertreter des öffentlichen Interesses und ihm folgend die Antragsgegnerin führen an, dass gegen die illegale Tätigkeit des Antragstellers auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur unerlaubten Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten eingeschritten werden könne. Das Vorgehen sei wegen der Vielzahl illegaler privater Wettvermittler und des unkontrollierten Glücksspiels dringend geboten. Der sofortige Vollzug sei unumgänglich, damit sich die prekäre Gefährdungslage nicht weiter verfestige und dem Eindruck entgegengewirkt werde, private Wettbüros seien legal oder zumindest geduldet. Die Verletzung des in Thüringen bestehenden Staatsmonopols begründe die Gefährdung. Dem vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit geforderten Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und des Staatsmonopols andererseits werde in Thüringen genügt. Die Thüringer Lotterieaufsicht habe schon im April 2006 konkrete Maßnahmen durch die Einschränkung des Angebots bei ODDSET-Wetten angemahnt; der Betreiber habe eine Vielzahl von Maßnahmen bereits ergriffen, die im Einzelnen in der Beschwerdebegründung angeführt sind. Die Durchsetzung der der Bekämpfung von Suchtgefahren dienenden Maßnahmen werde durch die Fortsetzung der Wettvermittlung vereitelt.

Das Bundesverfassungsgericht stütze in seinem Beschluss vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 - diese Auffassung. In der Übergangszeit dürfe trotz der festgestellten Unvereinbarkeit des staatlichen Sportwettenmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG das unerlaubte Vermitteln gewerblich veranstalteter Sportwetten ordnungsrechtlich als verboten angesehen werden, so dass sich aus diesem Verbot unabhängig von seiner Strafbarkeit zugleich ein besonderes Interesse am sofortigen Vollzug ergebe. Das Bundesverfassungsgericht wolle die geltende Rechtslage aufrechterhalten und ordnungsrechtlich eine effektive Gefahrenabwehr ermöglichen. Ein etwa gemeinschaftsrechtlich gestütztes Interesse an der Fortsetzung der Tätigkeit überwiege nicht allein deshalb, weil eine Erlaubnismöglichkeit noch nicht vorgesehen sei und der Unwertgehalt privat angebotener Sportwetten den der staatlichen Sportwette nicht übersteige. Die Art der Wetten differiere erheblich. Das Verwaltungsgericht übersehe auch, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Erlaubnis zur Herstellung verfassungsmäßiger Zustände, sondern auch den Fortbestand des Sportwettenmonopols mit sichergestellter Bekämpfung der Spielsucht für möglich halte. Für den letzteren Weg werde sich der Thüringer Landesgesetzgeber entscheiden.

Diese eingehende Begründung fasst die wesentlichen Grundlagen, die für das Vorgehen der Behörde streiten, zusammen; sie tritt zugleich den Rechtmäßigkeitsüberlegungen im angefochtenen Beschluss in den tragenden Gründen entgegen. Soweit der Antragsteller rügt, der Vortrag lasse eine Auseinandersetzung mit dem Beschluss zur Vereinbarkeit des staatlichen Sportwettenmonopols mit Art. 43 und 49 EG außer Acht, wird übersehen, dass das Verwaltungsgericht seine Ausführungen insoweit selbst nur in einen Zusammenhang mit einer Reihe anderer Rechtmäßigkeitsüberlegungen gestellt hat, ohne sich im Ergebnis zur Rechtmäßigkeit des Verbots festzulegen. Die Beschwerdeführer ihrerseits haben ein möglicherweise grundrechtlich und gemeinschaftsrechtlich geschütztes Interesse an der Fortsetzung der Tätigkeit eingeräumt, aber aus der Sicht des nationalen Rechtszustands die ergangene Vollzugsanordnung der Behörde gerechtfertigt.

Die Beschwerden sind begründet. In der Sache kann nach Maßgabe der geltend gemachten Gründe im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO die Entscheidung der Vorinstanz keinen Bestand haben. Ernstlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit ist die ergangene Verfügung - derzeit - nicht ausgesetzt.

Das Verwaltungsgericht hebt zu Recht darauf ab, dass die Gewerbebehörden gegen nicht erlaubtes Glücksspiel ordnungsrechtlich vorgehen können. Ob dafür das strafrechtliche Verbot des § 284 StGB in Anspruch genommen werden kann, mag im Ergebnis dahinstehen. Sportwetten gehören zu den Glücksspielen i. S. d. V. (vgl. nur Senatsurteil vom 20. Mai 2005 - 3 KO 705/03 - ThürVBl. 2006, 201 = DÖV 2006, 837 L). Die Geltung und Durchsetzbarkeit dieses strafrechtlichen Verbots wird in der strafgerichtlichen Rechtsprechung in jüngerer Zeit im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 43 und 49 EG zunehmend in Zweifel gezogen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Juni 2006 - 1 Ss 296/05 - NJW 2006, 2422 und OLG München, Urteil vom 26. September 2006 - 5 StR 115/05 - Juris). Das Bundesverfassungsgericht hat eine solche Gewissheit hinsichtlich der Strafbarkeit des Vermittelns von Wetten ohne behördliche Erlaubnis nach § 284 StGB, die zugleich das besondere öffentliche Interesse an der Durchsetzung des Verbots rechtfertigen könne, bereits im Beschluss vom 27. April 2005 - 1 BvR 223/05 - (NVwZ 2005, 1303 = GewArch 2005, 246) verneint.

Jedenfalls verfügt der Antragsteller nicht über eine behördliche Erlaubnis; sie kann auch nicht erlangt werden, denn § 1 des Thüringer Staatslotterie- und Sportwettengesetzes vom 3. Februar 2000 (GVBl. S. 15) behält die Veranstaltung solcher Sportwetten ausschließlich dem Lande vor. Das Thüringer Gesetz zum Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 8. März 2004 (LottStV - GVBl. S. 333) ändert daran nichts. § 5 Abs. 1 des Staatsvertrags weist zwar den Ländern die ordnungsrechtliche Aufgabe zu, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen, das sie auf gesetzlicher Grundlage selbst durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch private Gesellschaften erfüllen können; für Thüringen ist dies bereits bezüglich der Sportwetten durch das zitierte Gesetz vom 3. Februar 2000 geschehen. Ein Erlaubnisverfahren sieht § 6 Abs. 1 LottStV aber nur für Lotterien und andere Veranstaltungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 Abs. 2 LottStV vor; diese Vorschrift ihrerseits ermöglicht den Ländern, auf gesetzlicher Grundlage die Sicherstellung eines ausreichendes Glücksspielangebotes selbst, durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, zu erfüllen. § 5 Abs. 4 LottStV stellt klar, dass anderen als den in § 5 Abs. 2 LottStV Genannten nur die Veranstaltung von Lotterien und Ausspielungen nach den Vorschriften des Dritten Abschnitts des Staatsvertrags erlaubt werden darf. Auch das inzwischen ergangene Thüringer Ausführungsgesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland [ThürLottStVAG] vom 3. Februar 2006 (GVBl. S. 33) eröffnet keinen Rahmen für Erlaubnisse zur gewerblichen Spielvermittlung - außerhalb des durch §§ 14 ff. LottStV vorgegebenen Rahmens -, sondern die Ausspielung von Sportwetten bleibt generell der vom Finanzministerium beauftragten Lotterie- und Treuhandgesellschaft mbH, Suhl, vorbehalten. Damit verstößt die Vermittlung von Sportwetten gegen geltendes Landesrecht.

Ob § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LottStV, der die zuständige Behörde berechtigt, die Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels zu untersagen, maßgebende Ermächtigungsgrundlage zum Einschreiten bildet oder ob die Behörde sich auf die ordnungsrechtliche Generalklausel nach § 5 ThürOBG stützen muss, mag im Ergebnis dahinstehen. Nach seinem Anwendungsbereich will der Staatsvertrag die Veranstaltung, die Durchführung und die gewerbliche Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen erfassen und davon in § 1 nur Spielbanken ausnehmen. Zuständige Behörde, die die Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LottStV untersagen kann, wäre gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1b ThürLottStVAG die Antragsgegnerin als kreisfreie Stadt, sofern sich die Veranstaltung nicht über das Gebiet der kreisfreien Stadt hinaus erstreckt und der Gesamtpreis der bei der Veranstaltung zu verkaufenden Lose den Betrag von 30.000,- € nicht übersteigt, im Übrigen wäre das Landesverwaltungsamt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2b ThürLottStVAG dazu berufen, dem zugleich die Aufgaben nach § 12 LottStV im Übrigen übertragen sind. Wenn und soweit diese spezielle Eingriffsbefugnis gemäß § 12 LottStV sich nicht zugleich auf die Veranstaltung bzw. die Vermittlung von Sportwetten beziehen sollte, ergibt sich das Recht zum Einschreiten der unteren Gewerbebehörde der Antragsgegnerin aber aus § 5 ThürOBG (vgl. § 1 der Zuständigkeits- und Ermächtigungsverordnung vom 9. Januar 1992 - GVBl. S. 45 und Senatsurteil vom 20. Mai 2005 - 3 KO 705/03 - a. a. O.). Diese allgemeine ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnis nach Landesrecht bejaht die einhellige Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - NJW 2006, 1261 = EuGRZ 2006, 189 = GewArch 2006, 199 und Beschlüsse vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 - und vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 2023/06 - jeweils Juris sowie BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 - NVwZ 2006, 1175 = GewArch 2006, 412).

Die Antragsgegnerin hat in der angefochtenen Verfügung beide Rechtsgrundlagen für sich in Anspruch genommen, so dass im Hinblick auf einen etwaigen Ermessensausfall nichts zu erinnern ist. Ein Rückgriff auf allgemeine gewerberechtliche Eingriffsbefugnisse nach der Gewerbeordnung dürfte ihr indessen verwehrt sein, soweit nicht ausnahmsweise zugleich eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden im Sinne des § 35 GewO anzunehmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 - a. a. O. Rn. 41). Dafür gibt es im Fall des Antragstellers keine Anhaltspunkte.

Den in der Untersagung liegenden Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG hat der Antragsteller hinzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in den Gründen seines Urteils vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -(a. a. O.) zum Bayerischen Staatslotteriegesetz vom 29. April 1999 (GVBl. 1999, 226) festgestellt, dass dieses Gesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, soweit nach dem Gesetz solche Wetten nur vom Freistaat Bayern veranstaltet und nur derartige Wetten gewerblich vermittelt werden dürfen, ohne das Monopol konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren auszurichten. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter Beachtung der sich aus den Gründen des Urteils ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben bis zum 31. Dezember 2007 neu zu regeln; darüber hinaus hat es entschieden, dass das Staatslotteriegesetz nach Maßgabe der Gründe bis zu dieser Neuregelung weiter angewandt werden dürfe.

In Thüringen liegt insoweit für Sportwetten eine vergleichbare Rechtslage vor; ebenso wie Art. 2 des Bayerischen Staatslotteriegesetzes behält das Lotterie- und Sportwettengesetz in § 1 solche Glücksspiele dem Freistaat vor. Ein solches Wettmonopol dürfte von Verfassungs wegen jedenfalls für die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Übergangszeit so lange nicht in Frage gestellt sein, wie sich staatliches Handeln mit einem Mindestmaß an Konsistenz an der Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten ausrichtet (vgl. insoweit auch zur Rechtslage in Baden-Württemberg, BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 - a. a. O. und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2006 - 6 S 1987/05 - GewArch 2006, 418 = VBlBW 2006, 424). Auch wenn für Thüringen eine verfassungsrechtliche Bindung gemäß § 31 BVerfGG nicht besteht, können verfassungsrechtliche Bedenken nur dann zurückzustellen sein, wenn Vorkehrungen getroffen werden, die der beauftragten Gesellschaft Beschränkungen auferlegen, um den bereits genannten schutzwürdigen öffentlichen Interessen zum Durchbruch zu verhelfen.

Solche Anstrengungen sind in mehrfacher Hinsicht dokumentiert und in der Begründung der Beschwerde im Einzelnen angeführt. Die Thüringer Lotterieaufsicht hat bereits unter dem 10. April 2006 den Veranstalter aufgefordert, geeignete Maßnahmen in den Bereichen Angebotseinschränkung für ODDSET-Wetten, hinsichtlich der Werbebeschränkung auf sachliche Informationen, Jugendschutz und Suchtprävention vorzunehmen. Dem ist die Lotterie-Treuhandgesellschaft Thüringen nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen nachgekommen.

Ausweislich des vorliegenden Schreibens der Gesellschaft vom 23. Juni 2006, dessen wesentlichen Inhalt die Beschwerdebegründung des Vertreters des öffentlichen Interesses referiert, werden Live-Wetten im ODDSET-System danach nicht mehr angeboten. Der Annahmeschluss soll auf spätestens 5 Minuten vor Beginn des jeweiligen Sportereignisses zurück verlegt worden sein. Halbzeitwetten bzw. Wetten auf Teilabschnitte sollten ab Juli 2006 eingestellt werden. Der Vertriebsweg per SMS soll bereits ab April/Mai 2006 aufgegeben worden sein. Auch Wettmöglichkeiten vor Ort anlässlich von Sportveranstaltungen würden ausgeschlossen. Im Vertriebsweg Internet finde ab Juli 2006 ein Adress- und Altersverifikationsverfahren statt, so dass kein Jugendlicher unter 18 Jahren mehr am Spiel teilnehmen könne. Die TV-Werbung habe man unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben. Bandenwerbung sei noch im April 2006 entfernt worden. ODDSET-Gewinnspiele im Zusammenhang mit der FIFA WM 2006 seien nicht mehr zu Ende geführt worden. Hinsichtlich der Werbung in den Annahmestellen finde eine Überprüfung statt. Zum Kauf anreizende Werbung werde entfernt und durch geeignete Werbemittel ersetzt. Darüber hinaus würden durch die Gesellschaft Maßnahmen zur Suchtprävention ergriffen. Dies geschehe durch Aufdrucke auf den Spielscheinen, entsprechende Flyer in den Annahmestellen und dadurch, dass der Verkauf von Glücksspielen an Jugendliche unter 18 Jahren unterbunden werde. Die Thüringer Lottozeitschrift werde im Layout auf verantwortungsvolles Spielen, den Jugendschutz und die Suchtprävention aufmerksam machen. Man wolle zugleich den Internetauftritt in dieser Richtung überarbeiten. Darüber hinaus sei eine besondere Schulung zu den genannten Schwerpunkten für die Annahmestellen vorgesehen; langfristig werde ein Sozialkonzept für Suchtgefährdete entwickelt. Zudem würden Möglichkeiten geprüft, Spieler-Selbstsperren (Wett-Limits und für Vielfachspiele) einzuführen.

Danach sind eingeleitete Beschränkungen, die der Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten dienen, unverkennbar. Ob damit den in § 1 LottStV genannten gemeinwohlorientierten Zielen hinreichend Rechnung getragen wird, kann im Rahmen des Eilverfahrens nicht vertieft werden. Ob in anderen Bundesländern ausreichende Vorkehrungen getroffen worden sind, was von den Beschwerdeführern in mehreren Verfahren in Frage gestellt wird, bedarf keiner näheren Erörterung. Jedenfalls wird deutlich, dass die in Thüringen ergriffenen Maßnahmen den Zielen, die Wettleidenschaft zu begrenzen und die Wettsucht zu bekämpfen, verpflichtet sind. Anhaltspunkte dafür, dass es an der entsprechenden Umsetzung fehlen könnte, hat der Senat nicht. Unter diesen Umständen wird der Ausschluss privater Wettanbieter durch das in Thüringen geltende Sportwettenrecht mit einem bestehenden staatlichen Wettmonopol noch gedeckt. Die Maßstäbe der Verfassungsrechtsprechung sind beachtet. Es fehlt deshalb an Anzeichen dafür, dass entgegen der vom Bundesverfassungsgericht für Bayern angeordneten Fortgeltung des Landesrechts in der Übergangsphase bis zu einer Neuregelung durch den Landesgesetzgeber für Thüringen etwa schon eine derzeit von Rechts wegen zu beachtende Unvereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG festgestellt werden müsste.

Auf diesen durch das Landesrecht derzeit noch vorgegebenen Rechtszustand, nachdem es verboten ist, Sportwetten gewerblich durch private Anbieter vertreiben zu dürfen, hat der Senat für die Rechtmäßigkeitsbeurteilung in erster Linie abzustellen. So hat jüngst auch das Bundesverwaltungsgericht zur Rechtslage in Bayern entschieden, dass die Vermittlung von Sportwetten, die nicht vom Freistaat veranstaltet werden, derzeit ordnungsrechtlich unterbunden werden darf (vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 - a. a. O.).

Allerdings hat der Antragsteller in seiner Gewerbeanmeldung vom 16. November 2005 seine Tätigkeit als "Vermittlung von Sportwetten an einen staatlich konzessionierten Veranstalter" im Nebenerwerb in einer unselbständigen Zweigstelle bezeichnet. Aus der Behördenakte ergibt sich dazu weiter, dass das Wettbüro mit der Bezeichnung "A Sportwetten" geführt wird und unter diesem Logo die T GmbH Wien wohl Franchise-Partner des Antragstellers ist, die mit den Produkten Betman (Wetteinsatz mit Tastatur), Bet-O-Mat (Wett-Terminal im Internet) und MINImat (Wetteinsatz mit Thekengerät) arbeitet.

Der Senat hat deshalb erwogen, ob mit dem Unterlassungsgebot gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG verstoßen wird. Wenn das österreichische Unternehmen, das nach Art. 48 EG natürlichen Personen gleichgestellt ist, bereits eine wirtschaftliche Tätigkeit in einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit ausübt, wäre die Niederlassungsfreiheit betroffen (vgl. näher Lenz-Borchert, EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 4. Auflage 2006, Art. 43 RN 2); jedenfalls wäre ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit zu besorgen. Art. 49 EG schützt unter anderem auch gewerbliche Tätigkeiten, die ohne dauerhafte Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat ausgeübt werden. Deshalb sind auch Dauerschuldverhältnisse wie Versicherungs-, Miet- oder Lizenzverträge davon umfasst (vgl. nur Frenz, Handbuch Europarecht, 2004, Band 1, Kapitel 9, § 2 Rn 2447 m. w. N.). Beeinträchtigungen dieser Rechte können zum einen aus den geschriebenen Rechtfertigungsgründen (vgl. Art. 55, 46 EG) - darunter aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - geboten, aber auch aus ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen, darunter auch anerkannten Allgemeininteressen abzuleiten sein, die ihrerseits weiteren Rechtfertigungsschranken unterliegen (Gemeinschaftsgrundrechte, sekundäres Gemeinschaftsrecht) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen müssen.

Ob und in welchem Umfang nationale Beschränkungen zur Veranstaltung von Wetten gegen EG-Recht verstoßen, ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG in einer Parallele zu den vom EuGH formulierten Vorgaben (vgl. Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - a. a. O. Rn 134 ff., 144). Das Gericht bezieht sich dafür ausdrücklich auf das Urteil des EuGH vom 6. November 2003 - C - 243/01 - Gambelli u. a. (Slg. 2003, I, 13076, Rn 62). In dieser Entscheidung hat der EuGH zwar ausgesprochen, dass Beschränkungen für das Sammeln von Wetten durch Vermittlung einer Organisation von Agenturen mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit darstellen; im Anschluss an das Urteil Zenatti (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 - C - 67/98 -) hat das Gericht darauf abgehoben, dass Beschränkungen wirklich dem Ziel dienen müssen, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern; die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen darf nur eine nützliche Nebenfolge, nicht der eigentliche Grund einer betriebenen restriktiven Politik sein. Beschränkungen müssten deshalb aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, sie dürfen nicht über das hinausgehen was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist und dürfen nicht in diskriminierender Weise angewandt werden (Rn 65). Ob das in Italien bestehende strafrechtliche Verbot den Zielen, die es rechtfertigen könnten, genüge, ist der Prüfung des vorlegenden Gerichtes überlassen worden.

In weiteren derzeit noch anhängigen Vorabentscheidungsverfahren zum italienischen Recht vertritt der Generalanwalt in seinen Anträgen die Auffassung, dass Art. 43 und 49 EG nationalen Regelungen entgegenstehen, die das Sammeln, die Annahme, die Registrierung und die Übermittlung von Wetten ohne die hierfür erforderliche Konzession oder Genehmigung des jeweiligen Mitgliedstaates für Rechnung eines Unternehmens verbieten, das über eine solche Konzession oder Genehmigung für die Erbringung derartiger Dienstleistungen im Mitgliedstaat seiner Niederlassung verfügt (Rs C - 338/04, C - 359/04 und C - 360/01 -; Schlussanträge vom 16. Mai 2006). Ob der EuGH sich dieser Auffassung anschließt, ist noch offen. Sie würde bei einer insoweit fehlenden Harmonisierung des Wettrechts darauf hinauslaufen, dass die Tätigkeit eines Wettunternehmens in einem anderen Mitgliedsstaat ohne Rücksicht auf etwaige schützwürdige Gemeinwohlbelange allein wegen der vorhandenen Konzession, Erlaubnis oder in anderer Weise zugelassenen Tätigkeit nicht mehr in anderen Mitgliedstaaten eingeschränkt werden darf, sofern das betreffende Unternehmen jedenfalls in einem Mitgliedsstaat erlaubt die Dienstleistung erbringt. Auf diesen Mangel an Harmonisierung weist der Generalanwalt des Gerichtshofs selbst hin, indem er eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Grundfreiheiten des EG-Vertrags im Glücksspielsektor anregt.

Das landesrechtliche Staatsmonopol in Thüringen kann in der Übergangsphase - wie sie das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat und wie es seitdem praktiziert wird - indessen einer an den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben orientierten kohärenten und systematischen Einschränkung der Wetttätigkeit schon deshalb nicht genügen, weil ein normativer Rahmen fehlt, der die Ausübung der gewerblichen Tätigkeit an die Wahrung der beschriebenen überragenden Allgemeininteressen bindet. Mit Blick auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts müssten danach die Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet bleiben, wenn feststeht, dass deren Vollzug dem Gemeinschaftsrecht zuwider läuft. Eine solche Folgerung ist aus mehreren Gründen nicht gerechtfertigt:

Wenn den Mitgliedsstaaten grundsätzlich auch das Recht eingeräumt ist, durch Schaffung eines staatlichen Monopols eine private wirtschaftliche Betätigung in diesem Bereich vollständig zu unterbinden, schließt das nach einer Auffassung auch die Befugnis ein, während der Übergangsphase bis zu einem diesen Erfordernissen entsprechenden rechtlichen und tatsächlichen Zustand unter vorübergehender Anwendung des geltenden Rechts keine private Betätigung bei der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten zuzulassen (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 11 TG 1465/06 - juris). Nach einer anderen Auffassung soll wegen der inakzeptablen Gesetzeslücke bei gleichzeitiger Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen zunächst der nationale Gesetzgeber hinreichend Gelegenheit haben, den fraglichen Lebensbereich gemeinschaftsrechtskonform zu regeln. Während der Übergangsphase ist dann sicherzustellen, dass den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts so weit wie möglich unter Anerkennung der gegebenen Gefahrenlage Rechnung getragen wird und nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts die nationalen Rechtsvorschriften weiter in Kraft bleiben (vgl. dazu OVG NordrheinWestfalen, Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 - NVwZ 2006, 1078 = EuZW 2006, 603 = DVBl. 2006, 1462).

Der VGH Baden-Württemberg vertritt demgegenüber die Auffassung, dass zwingende Gründe des Allgemeinwohls den Eingriff in die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen; dieser sei im Hinblick auf die Änderung der Praxis im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 hinzunehmen, die den Anforderungen des EuGH im Urteil vom 6. November 2003 "Gambelli" Rechnung trage. Die derzeitige (Übergangs-) Rechtslage verstoße deshalb nicht gegen Gemeinschaftsrecht (vgl. Beschluss vom 28. Juli 2006 - 6 S 1987/05 - a. a. O.). Das OVG Bremen sieht ebenso im formulierten Übergangsregime des Bundesverfassungsgerichts keine unzulässige vorübergehende Suspendierung der Dienstleistungsfreiheit privater Anbieter, sondern deren zulässige Beschränkung anhand der Kriterien, die der EuGH formuliert habe (Beschluss vom 7. September 2006 - 1 B 273/06 - NordÖR 2006, 398).

Dem grundsätzlichen Vorrang, dass bei einem festgestellten Verstoß gegen das Primärrecht gemeinschaftsrechtlich ausschließlich die Gemeinschaftsorgane die Voraussetzungen und Dauer einer europarechtlichen Übergangsregelung selbst festzulegen haben, wird damit in diesem Ausnahmefall die eigene Rechtsordnung entgegengesetzt. Dafür streiten gewichtige Gründe. Durch europäisches Sekundärrecht wurde der Markt für Spiele und Wetten bisher nicht geregelt. Der unmittelbaren Geltung der Grundfreiheiten nach Art. 43, 49 EG auf diesen Teilmärkten widerstreitet eine nationalen Rechtstradition, die kompetenzrechtlich das Wett- und Lotterierecht herkömmlich auch dem Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Bundesländer zugeordnet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2001 - 6 C 2.01 - BVerwGE 114, 92, 98). Der Bund hat von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 (Recht der Wirtschaft), abgesehen vom Bereich der Wetten auf Pferdesportereignisse, noch keinen Gebrauch gemacht, ist aber ohne Rücksicht auf den ordnungsrechtlichen Aspekt der Regelungsmaterie nicht gehindert, weitergehend gesetzgeberisch tätig zu werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - a. a. O., Rn. 96, 155).

Das Staatsmonopol wirkt derzeit wie ein nationales Verbot einer gewerblichen Betätigung, das ordnungsrechtlich durchgesetzt wird. Als Maßnahme, die den freien Dienstleistungsverkehr ungerechtfertigt beeinträchtigt, wäre sie nur anzusehen, wenn sie nicht durch ein berechtigtes Interesse aus Gründen des Grundrechtsschutzes und der Achtung der Menschenwürde gerechtfertigt werden kann und im Fall der Anerkennung des Gemeinwohlbelangs über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - C - 36/02 - Slg 2004 I 09609 "Laserdom" auf Vorlagebeschluss des BVerwG vom 24. Oktober 2001 - 6 C 3.01 - BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598 = GewArch 2002, 154). Ein solches überragend wichtiges Gemeinwohlziel erkennt das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung selbst an, ohne sich allerdings darauf festzulegen, ob daraus eine Pflicht des Staates zum Schutz der Gesundheit der Bürger aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folge (Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - a. a. O., Rn. 99). Ob gemeinschaftsrechtlich der Eingriff in den Dienstleistungsverkehr durch die Aufrechterhaltung des Staatsmonopols tragfähig gerechtfertigt sein kann, ist weiter offen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (S. 9 ff.) Bezug genommen. Die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit einschlägiger Bestimmungen der nationalen Rechtsordnung sind nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat (vgl. ebenso EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - C - 36/02 - a. a. O., L 1). In die Befugnis des EuGH, selbst Übergangsregelungen in einem Vertragsverletzungs- oder Vorabentscheidungsverfahren zu treffen, wird nicht eingegriffen, wenn der nationale Rechtszustand in der Bundesrepublik Deutschland zum bayerischen Staatslotteriegesetz (für Sportwetten) im Hinblick auf den Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG einstweilen bis zu einer Neuregelung (31. Dezember 2007) festgeschrieben worden ist. Ein eigenes Vorlageverfahren an den EuGH hat im Rahmen des Eilrechtsschutzes zu unterbleiben (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 2023/06 - a. a. O., m. w. N.).

Nach alledem ist im Rahmen des Eilverfahrens darauf abzustellen, dass das geltende Landesrecht das Anbieten und Vermitteln von Sportwetten durch private Vermittler noch zu Recht verbietet, soweit Veranstalter nicht der Freistaat selbst oder ein vom ihm beauftragtes Unternehmen ist. Ein zwingender Grund, aus Gründen der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, dieses Recht unangewendet zu lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 1978 - Rs 106/77 - NJW 1978, 1741), liegt nicht vor. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn gemeinschaftsrechtlich von einer Beeinträchtigung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ohne Rechtfertigungsgründe auszugehen wäre; daran fehlt es, wenn gerade Art und Reichweite der Allgemeininteressen i. S. d. öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nach Art. 55 EG i. V. m. Art. 46 EG in Frage stehen. Die zuständigen Behörden sind deshalb regelmäßig befugt, gegen den unerlaubten Wettbetrieb nach § 5 ThürOBG einzuschreiten und entsprechende Unterlassungsgebote vorläufig durchzusetzen.

In die Interessenabwägung war somit einzustellen, dass - jedenfalls derzeit - die Vermittlung von Sportwetten für die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung untersagt werden darf. Die Ausnutzung des Suspensiveffekts des § 80 Abs. 1 VwGO würde im Ergebnis die völlige vorläufige Freigabe des bisher unter staatlicher Verantwortung und Steuerung stehenden Wettbetriebs bedeuten, ohne dass regelnde Instrumentarien der Wirtschaftsaufsicht (Zuverlässigkeitsprüfung, ein Konzessions- oder Erlaubnisverfahren, Prüf- und Rechenschaftspflichten etc.) zur Verfügung stehen. Dem Antragsteller wird demgegenüber zugemutet, vorläufig die Vermittlung solcher Sportwetten einzustellen. Ihm musste bei der Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit bewusst sein, dass er gegen geltendes Recht verstößt. Schutzwürdige Interessen, einstweilen weiter in dieser Weise als Gewerbetreibender am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können, sind deshalb nicht erkennbar. Der Senat hat insoweit auch geprüft, ob wegen der gewerblichen Tätigkeit der S ____ GmbH aufgrund einer bereits vor der Bildung des Landes Thüringen durch die Stadt Gera erteilten Gewerbegenehmigung die öffentlichen Interessen, die für den vorläufigen Vollzug streiten, weniger gewichtig sein könnten. Daraus ergeben sich aber keine Gründe, das Vollzugsinteresse etwa zurückstehen zu lassen. Aus der Hinnahme einer bestandskräftigen Genehmigung lässt sich nicht folgern, dass das bisher anerkannte öffentliche Interesse, den Wettbetrieb staatlicher Verantwortung im Hinblick auf gewichtige Gemeinwohlbelange (Bekämpfung der Wettsucht und Begrenzung der Wettleidenschaft) vorzubehalten, zurückstehen müsste. Der damit gerechtfertigten sofortigen Vollziehung der Untersagung der Wettvermittlung stehen auch Gründe des effektiven Rechtsschutzes nicht entgegen, wie das Bundesverfassungsgericht in hier einschlägigen Verfahren mehrfach entschieden hat (vgl. Beschlüsse vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 - WM 2006, 1644 und vom 19. Oktober 2006 - 2 BvR 2023/06 - Juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; danach hat der unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen. In die Kostenlast waren die außergerichtlichen Kosten des Vertreters des öffentlichen Interesses im Beschwerdeverfahren einzubeziehen, weil die Voraussetzungen des § 162 Abs. 3 VwGO erfüllt sind.

Dieser Beteiligte ist einer der Rechtsmittelführer und hat sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG. Der Senat bewertet das Interesse, nicht einem Verbot ausgesetzt zu sein, gewerblich Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen abschließen oder vermitteln zu können, nach Maßgabe von Ziff. 54.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für Hauptsacheverfahren in Anlehnung an eine Gewerbeuntersagung für ein bereits ausgeübtes Gewerbe nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwartenden Gewinns, jedoch mindestens 15.000,- € (vgl. Senatsbeschluss vom 17. September 2004 - 3 VO 83/01 - m. w. N.). Auf die Anfrage des Senats hat der Antragsteller sich dahin eingelassen, er halte im Eilverfahren einen Streitwert von 7.500,- € für angemessen. Anhaltspunkte für eine anderweitige Gewinnerwartung sind damit nicht dargetan und sonst auch nicht ersichtlich. Der anzunehmende Ausgangsbetrag von 15.000,- € war wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren auf die Hälfte, mithin 7.500,- €, zu reduzieren.

Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Festsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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