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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: 3 KO 1003/04
Rechtsgebiete: GG, AsylVfG, AuslG, VwGO


Vorschriften:

GG Art 16a
AsylVfG § 6 i.d.F v. 31.07.1993
AuslG § 51
AuslG § 53
VwGO § 124
VwGO § 124a
VwGO § 127
Für die Annahme einer Gruppenverfolgung von tschetschenischen Volkszugehörigen aus der Herkunftsregion fehlt es an der erforderlichen Dichte der Verfolgungshandlungen im Anschluss an den Einmarsch russischen Militärs im September 1999. Auch gegenwärtig lässt sich trotz feststellbarer Übergriffe auf die Zivilbevölkkerung nicht die erforderlich Häufung von Ereignissen in Tschetschenien feststellen, die für den Asylsuchenden ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit von politischer Verfolgung vermittelt.

Tschetschenischen Volkszugehörigen steht eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung; die Beschränkungen in einzelnen Gebieten der Russischen Föderation wegen der unterschiedlichen Registrierungspraxis der Behörden schließen die mögliche Ansiedlung nicht aus. Asylsuchende können für die gesicherte Existenz auf eine ausreichend große tschetschenische Diaspora im russischen Staatsgebiet zurückgreifen.

Eine Anschlussberufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist unzulässig, wenn er zuvor mit einem eigenen Zulassungsantrag im Verfahren nach § 78 AsylVfG gescheitert ist.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

- 3. Senat -

3 KO 1003/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts, hier: Berufung

hat der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Lindner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schwachheim und die an das Gericht abgeordnete Richterin am Verwaltungs- gericht Feilhauer-Hasse auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das auf die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts Weimar vom 23. Mai 2003 ergangene Urteil - 7 K 20769/01.W e - abgeändert. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als die Kläger Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beantragt haben.

Die Anschlussberufung des Bundesbeauftragten wird verworfen.

Die Kläger haben die Kosten des - gerichtskostenfreien - erstinstanzlichen Verfahrens jeweils zu einem Drittel zu tragen.

Die Kosten des - gerichtskostenfreien - zweitinstanzlichen Verfahrens haben - soweit darüber nicht bereits im Zulassungsverfahren entschieden worden ist - die Kläger hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten jeweils zu einem Drittel und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des beteiligten Bundesbeauftragten jeweils zu einem Sechstel zu tragen; der beteiligte Bundesbeauftragte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zur Hälfte zu tragen; im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am _____ 1953 in Begovat, Kirgisien, geborene Kläger zu 1., die am __________ 1955 in Stannica Iskander, Kasachstan, geborene Klägerin zu 2. und die am _______ 1990 in Grosny geborene Klägerin zu 3. sind nach eigenen Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten im Januar 2001 auf dem Landweg aus einem Flüchtlingslager in Inguschetien in das Bundesgebiet ein.

Am 7. Februar 2001 beantragten sie beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Anlässlich der Anhörung beim Bundesamt am 8. Februar 2001 gab der Kläger zu 1. an, er habe mit seiner Familie bis zum Kriegsausbruch im September 1999 in Grosny, danach in einem Flüchtlingslager in Slepzovsk in Inguschetien gelebt. In Grosny sei er bis zum ersten Tschetschenien-Krieg Leiter der technischen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt und für alle technischen Geräte verantwortlich gewesen. Über das Internet habe er nun erfahren, dass die russischen Behörden Filtrationslager einrichten, alle männlichen Personen eintreiben und dort vernichten würden. Im ersten Krieg habe ihn der tschetschenische Innenminister Marachuk gezwungen, seine beruflichen Kenntnisse für die tschetschenische Armee einzusetzen. Nach dem ersten Krieg habe er im Dezember 1995 den Auftrag erhalten, die zerstörten Telefonleitungen in Tschetschenien instand zu setzen. Bei Beginn des zweiten Krieges habe man ihn zwingen wollen, als Funker für die tschetschenischen Kämpfer zu arbeiten. Angesichts der wenigen ausgebildeten Leute und der Stärken des russischen Militärs in der Funktechnik sei dies jedoch unsinnig gewesen. Er sehe nicht ein, wozu und wofür er sterben solle. Das tschetschenische Volk werde vernichtet, andererseits hätten die Chefs von Tschetschenien das Land unter sich aufgeteilt. In den übrigen Gebieten Russlands könne er sich nicht niederlassen, denn Tschetschenen würden überall als Banditen angesehen und hätten keine Möglichkeit, offiziell eine Wohnung und Arbeit zu erhalten. Politisch sei er nicht tätig gewesen. Er könne nicht zurückkehren. Vor Tagen habe der SFB das Land übernommen. Er sei in Gefahr sowohl durch den SFB wie durch tschetschenische Rebellen.

Die Klägerin zu 2. gab an, sie seien geflüchtet, weil das Leben ihres Mannes bedroht gewesen sei. In dem Flüchtlingslager in Inguschetien hätten ständig sog. Säuberungsaktionen stattgefunden. Inguschetien sei ein sehr kleines Land, man könne ihnen dort nicht helfen. Sie befürchte, dass ihre Töchter gekidnappt würden, weil sie sich europäisch kleiden und zur Schule gehen würden. Das würde die Religion nach Ansicht der rebellischen Wahhabiten nicht dulden.

Die Kläger zu 1. und 2. erklärten zudem: Für die Tochter, die Klägerin zu 3. seien die gleichen Asylgründe maßgebend.

Mit Bescheid vom 14. November 2001 lehnte das Bundesamt die Asylanträge ab und verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 AuslG. Es wurde festgestellt, dass hinsichtlich der Russischen Föderation ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, andere Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG jedoch nicht bestehen.

Gegen den am 21. November 2001 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 30. November 2001 beim Verwaltungsgericht Weimar Klage erhoben. Zur Begründung haben sie ergänzend vorgetragen, ihnen drohe zum einen die Verfolgung durch tschetschenische Extremisten, zum anderen die Verfolgung in der Russischen Föderation wegen ihrer Nationalität. Es finde eine Ausgrenzung der Tschetschenen statt, die der Staat geschehen lasse.

Am 23. Mai 2003 wurden die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Weimar angehört. Der Kläger zu 1. hat ergänzend u. a. vorgetragen, er habe sich im ersten Tschetschenien-Krieg für die tschetschenische Seite engagiert, indem er Verletztentransporte durchgeführt und sich um die Lebensmittelversorgung gekümmert habe. Dem Ansinnen, eine Funkstrecke oder Telefonleitung aufzubauen, habe er sich verweigert. Nach dem Krieg habe er nicht mehr lange im Untersuchungsgefängnis arbeiten können und habe die Familie durch die Reparatur von Radio- und Fernsehtechnik ernährt. Sofort nach Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges sei er mit seiner Familie nach Inguschetien geflüchtet. Im April 2000 seien sie in der Hoffnung, dass die Gefahr vorüber sei, nach Grosny zurückgekehrt. Dort hätten jedoch nach einem Monat neue Kämpfe begonnen und es seien Nachforschungen angestellt worden, bei denen auch sein Name genannt worden sei. Daraufhin seien sie erneut nach Inguschetien gegangen. Inguschetien hätten sie im November 2000 verlassen und seien nach etwa zweimonatigem Zwischenaufenthalt in Moskau Ende Januar 2001 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Soweit die Kläger schriftsätzlich zunächst auch die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG beantragt hatten, haben sie die Klage mit Schreiben vom 4. Februar 2002 zurückgenommen.

Ungeachtet dessen haben die Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. November 2001 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG jeweils in ihrer Person vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht geäußert.

Mit seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2003 ergangenen Urteil hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen worden ist, und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bezüglich der Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht tragend ausgeführt, den Klägern als aus Tschetschenien stammenden tschetschenischen Volkszugehörigen drohe bei einer Rückkehr dorthin schon aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Eine inländische Fluchtalternative in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation stehe ihnen nicht zur Verfügung, weil sie infolge des russischen Registrierungswesens nicht die Möglichkeit hätten, sich irgendwo legal niederzulassen und Arbeit zu finden. Sie seien daher nicht in der Lage, ihr Existenzminimum zu sichern. Für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil insoweit bestandskräftig zugunsten der Kläger entschieden sei.

Gegen das dem Bundesbeauftragten am 25. Juni 2003 und der Beklagten am 1. Juli 2003 zugestellte Urteil haben der Bundesbeauftragte am 8. Juli 2003 und die Beklagte am 4. Juli 2003 Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt. Mit Beschluss vom 10. Juni 2004 - 3 ZKO 663/03 -, der Beklagten am 24. Juni 2004 und dem Bundesbeauftragten am 25. Juni 2004 zugestellt, hat der Senat die Berufung der Beklagten wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und den Zulassungsantrag des Bundesbeauftragten verworfen.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2004 hat die Beklagte sich zur Begründung der Berufung allein auf den ergangenen Bescheid und den Antrag auf Zulassung der Berufung bezogen. Auf die Aufforderung, die Begründung entsprechend den Anforderungen nach § 124 VwGO zu ergänzen, trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Juli 2004 nunmehr vor: Eine inländische Fluchtalternative bestehe schon deshalb, weil 2/3 aller Tschetschenen nicht mehr in Tschetschenien, sondern in anderen Regionen oder in GUS-Staaten lebe. Die Berufungsbegründung wurde den weiteren Beteiligten formlos übersandt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 23. Mai 2003 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Beklagte verpflichtet worden ist, die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 AuslG festzustellen.

Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2004, bei Gericht eingegangen am 13. Oktober 2004, hat der Bundesbeauftragte Anschlussberufung eingelegt.

Er führt aus, dass nach der überwiegenden obergerichtlichen Spruchpraxis eine Fluchtalternative für Tschetschenen in der Russischen Föderation eröffnet sei. Er äußert sich zur Quellenlage und zur Spruchpraxis, die zum Teil bereits eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger verneine.

Der Bundesbeauftragte beantragt,

die Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung und die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angegriffene Urteil hinsichtlich der darin ausgesprochenen Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens (2 Bände), die beigezogenen Behördenvorgänge des Bundesamtes (1 Aktenhefter) und der Ausländerbehörde (3 Aktenhefter) sowie den Inhalt der den Beteiligten übermittelten Erkenntnisquellenliste Russische Föderation - Tschetschenien vom 22. Oktober 2004 und die Ergänzungen vom 2. Dezember 2004 und 16. Dezember 2004, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Bundesbeauftragten entscheiden, obwohl ein Prozessbevollmächtigter des Bundesbeauftragten nicht in der mündlichen Verhandlung anwesend war, § 125 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 102 Abs. 2 VwGO.

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (I.), die Anschlussberufung des beteiligten Bundesbeauftragten war hingegen als unzulässig zu verwerfen (II.).

I.

Berufung der Beklagten: Die Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO für die Vorlage der Begründung ist gewahrt. Auch den inhaltlichen Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO genügt die Begründung (noch). Nach der Vorschrift muss sie einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten. Die Berufungsgründe müssen substantiiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen ausführen, weshalb das angefochtene Urteil unrichtig ist und geändert werden muss. Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 2004 - 4 C 6.03 - NVwZ-RR 2004, 541 = Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26; Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 C 6.98 - BVerwGE 107, 117 = AuAS 1998, 249 = NVwZ 1998, 13111 = DVBl 1999, 95). In asylrechtlichen Streitigkeiten erfüllt eine Berufungsbegründung die Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO nur dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage zu den tatsächlichen Verhältnissen im Heimatstaat des Asylbewerbers konkret bezeichnet und ihre von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. September 1999 - 9 B 372/99, 9 PKH 102/99 - NVwZ 2000, 67). Wird zur Begründung der Berufung statthafter Weise auf den Zulassungsantrag Bezug genommen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - 1 B 33.03 - AuAS 2004, 8), müssen die Ausführungen im Zulassungsantrag den oben genannten Anforderungen genügen.

Daran gemessen wird die Berufungsbegründung der Beklagten in den Schriftsätzen vom 6. Juli und 12. Juli 2004 in Verbindung mit dem Zulassungsantrag gerade noch gerecht. Ein bestimmter Antrag ist gestellt worden. Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag Bezug genommen. Darin sind die Fragen der Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger und des Vorhandenseins einer inländischen Fluchtalternative als grundsätzlich bedeutsam dargelegt worden; sie seien nicht im Sinne des angefochtenen Urteils zu beantworten. Die ergänzende Begründung vom 12. Juli 2004 geht darüber hinaus auf neuere Erkenntnisse und jüngere Rechtsprechung ein. In der Zusammenschau genügt dies, um von einer hinreichenden Begründung sprechen zu können.

II.

Anschlussberufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten: Den Förmlichkeiten des § 127 VwGO genügt das Rechtsmittel. Nach § 127 Abs. 1 VwGO können sich der Berufungsbeklagte und die anderen Beteiligten, also auch der Bundesbeauftragte, der Berufung anschließen. Nach Absatz 2 Satz 2 muss die Anschlussberufung innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung eingelegt werden, was noch fristwahrend geschehen ist. Da die Berufungsbegründung der Beklagten dem Bundesbeauftragten nicht förmlich zugestellt, sondern - ohne Zustellungswillen des Gerichts - formlos übersandt wurde, wurde diese Frist hier nicht in Lauf gesetzt (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 30. April 2004 - 3 LB 128/03 - zitiert nach juris).

Die Anschlussberufung des Bundesbeauftragten ist jedoch als unzulässig zu verwerfen. Das Rechtsmittel ist bei eigenem - erfolglosen - Zulassungsantrag wie hier nicht statthaft.

Grundsätzlich stehen dem Bundesbeauftragten nach § 6 Abs. 2 AsylVfG a. F. alle Gestaltungsrechte im gerichtlichen Verfahren offen, denn seine Stellung entspricht der des Vertreters des öffentlichen Interesses nach §§ 35 bis 37 VwGO und ist sogar noch dahin gehend erweitert, dass er gegen Entscheidungen des Bundesamtes Klage erheben kann. Er kann sich an allen verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren ohne sachliche und zeitliche Einschränkung beteiligen und bedarf keiner besonderen Beschwer (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1983 - 9 B 2597.82 - BVerwGE 67, 64 = NVwZ 1983, 413 = Buchholz 402.25 § 5 AsylVfG Nr. 1).

Die Anschlussberufung nach § 127 VwGO dient im Regelfall dazu, dem an sich "friedfertigen" Berufungsbeklagten zu ermöglichen, sich umfassend gegen eine eingelegte Berufung zu verteidigen und sein ursprüngliches Begehren weiter zu verfolgen. So liegt es etwa dann, wenn das Rechtsmittel des Gegners erst so kurz vor Fristablauf eingelegt wird, dass es ihm nicht mehr möglich ist, einen eigenen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Es soll vermieden werden, dass der Beteiligte, der sich mit dem Urteil zufrieden geben will, wegen eines erwarteten Rechtsmittelangriffs des Gegners vorsorglich selbst Rechtsmittel einlegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2002 - 4 C 4.01 - BVerwGE 116, 169 = DVBl 2003, 1423 = NVwZ 2002, 1250 = Buchholz 310 § 127 Nr. 11). Etwas anderes gilt jedoch im Falle der Anschlussberufung des Bundesbeauftragten oder des Vertreters des öffentlichen Interesses. Diese können eine ihrer Ansicht nach unrichtige Entscheidung ohne Rücksicht darauf bekämpfen, welches Ziel mit der Berufung verfolgt wird. Sie können eine Anschlussberufung allein zur Unterstützung des Berufungsklägers einlegen, auch wenn sie über dessen Anträge nicht hinausgehen (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 11. Juli 1978 - 39 XV 77 - BayVBl 1979, 274; Urteil vom 27. Juli 1977 - 397 II 74 - BayVBl 1978, 119).

Die Frage, ob die Anschlussberufung eines Beteiligten zulässig ist, wenn sein Berufungszulassungsantrag als unzulässig verworfen wurde, wird hingegen unterschiedlich beantwortet.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zu dieser konkreten Frage noch nicht geäußert. Unter Geltung des § 127 VwGO a. F. hatte es ursprünglich eine Anschlussberufung nur im Rahmen einer zugelassenen Berufung als zulässig erachtet, weil anderenfalls die gesetzliche Regelung über die Berufungszulassung unterlaufen würde (BVerwG, Urteil vom 18. März 1996 - 9 C 64/95 - NVwZ-RR 1997, 253 = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 7; Beschluss vom 18. Mai 1999 - 9 B 282/99 - zitiert nach juris). Mit der Entscheidung vom 11. April 2002 - 4 C 4.01 - (a. a. O.) hat es diese Rechtsauffassung aufgegeben und hält nun nicht mehr für erforderlich, dass die Gegenstände von Berufung und Anschlussberufung identisch sind. Für die Zukunft sei durch die Neufassung des § 127 VwGO ohnehin der Auffassung die Grundlage entzogen, dass sich eine Anschlussberufung im Rahmen der zugelassenen Berufung halten müsse. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung allerdings ausdrücklich erwogen, ob gegebenenfalls eine teleologische Reduktion erforderlich sei, wenn eine Anschlussberufung eingelegt wird, nachdem der Beteiligte zuvor mit einem eigenen Zulassungsantrag gescheitert ist.

In der Literatur wird teilweise vertreten, eine Anschlussberufung sei nicht mehr möglich, wenn ein eigener Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, weil dann das Urteil insoweit rechtskräftig sei (vgl. Happ in: Eyermann, Kommentar zur VwGO, 10. Aufl., § 127 RdNr. 12). Darin kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass der fehlende Erfolg des Zulassungsverfahrens diesen Beteiligten an das Urteil bindet; er habe die ihm gegenüber eingetretene Rechtskraft hinzunehmen.

Nach einer anderen Auffassung soll zu differenzieren sein: Wurde die sog. Hauptberufung unbeschränkt zugelassen, soll eine Anschlussberufung auch nach Verwerfung des Zulassungsantrages zulässig sein, weil bereits das Hauptrechtsmittel die Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung verhindert; wurde hingegen die Hauptberufung nur beschränkt zugelassen, ist das erstinstanzliche Urteil also teilweise rechtskräftig geworden, soll eine Anschlussberufung hinsichtlich des nicht zugelassenen Teils unzulässig sein (Meyer- Ladewig/Rudisile in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zu VwGO, Stand: September 2004, § 127 RdNr. 7c). Sie zieht die Konsequenz daraus, dass bei mehreren (teilbaren) Streitgegenständen die Beachtung der eingetretenen Rechtskraft nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO nach erfolglosem Zulassungsantrag Hindernis für eine sich auf diesen Gegenstand beziehende Anschlussberufung sein soll. Beide Auffassungen sind indessen dem Einwand ausgesetzt, dass die Durchbrechung der Rechtskraft im Wege der reformatio in peius gerade Sinn und Zweck der unselbständigen Anschlussberufung ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 2001 - 8 B 84/01 - NVwZ-RR 2002, 233 = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 10). Aus § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO folgt vielmehr, dass das angefochtene Urteil nicht teilrechtskräftig wird, soweit die Berufung nicht zugelassen bzw. deren Zulassung nicht beantragt worden ist (vgl. Bader in Bader u. a., VwGO, 2. Aufl., § 127 RdNr. 18), sondern die Anschließung auch statthaft ist, wenn der Beteiligte auf die Berufung verzichtet hat oder die Frist für die Berufung oder den Antrag auf Zulassung verstrichen ist.

Damit wird zwar der Weg in die Anschlussberufung auch bei unterbleibendem Antrag auf Zulassung eröffnet. Entscheidet sich der Beteiligte aber für das Zulassungsverfahren, folgt daraus nicht, dass ihm auf diese Weise zusätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, das weitere Angriffsmittel je nach Ausgang des eigenen Zulassungsverfahrens zu erwägen. Ein Bedürfnis, insoweit den "nicht friedfertigen Beteiligten" zusätzlich zu privilegieren, besteht nicht (vgl. dazu ergänzend BGH, Urteil vom 28. März 1984 - IV b ZR 58/82 - NJW 1984, 2951).

Es spricht daher vieles dafür, § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Wege der teleologischen Reduktion so auszulegen, dass derjenige, dessen Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt oder verworfen worden ist, sich auf diese Bestimmung nicht mehr berufen kann, soweit er das Urteil mit seinem Zulassungsantrag erfolglos angegriffen hatte.

Ob diese einschränkende Auslegung der Vorschrift stets geboten ist und für alle Fälle gilt, in denen der nunmehrige Berufungsbeklagte das Urteil zunächst selbst erfolglos angegriffen hatte, oder ob in bestimmten Konstellationen der Grundsatz der "Waffengleichheit" etwas anderes gebietet, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Denn hier geht es um den besonderen Fall, dass der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (oder allgemein: ein Vertreter des öffentlichen Interesses) sich nach dem Scheitern seines Zulassungsantrags einer Berufung anschließt, mit der das gleiche gegen denselben Berufungsbeklagten gerichtete Ziel verfolgt wird, dass also der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (bzw. der Vertreter des öffentlichen Interesses) von dem aus seiner speziellen Funktion resultierenden Privileg Gebrauch machen will, sich einer "gleich gerichteten" Berufung anzuschließen. Dieses Privilegs indessen bedarf es nicht mehr, wenn der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (oder Vertreter des öffentlichen Interesses) zunächst selbst die ihm prozessual zu Gebote stehenden Mittel ergriffen hatte; dann ist dieses Privileg - das sich gegebenenfalls zumindest hinsichtlich der zu tragenden Kosten zu Lasten des Berufungsbeklagten auswirken kann - gewissermaßen verbraucht. Es wäre nicht gerechtfertigt, den Berufungsbeklagten, der sich zuvor erfolgreich gegen den Zulassungsantrag des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (oder Vertreters des öffentlichen Interesses) zur Wehr gesetzt hat, nunmehr erneut über das besagte Privileg einen Angriff des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (oder Vertreter des öffentlichen Interesses) auszusetzen; dies gilt umso mehr, wenn wie hier die Berufungsbeklagten nach wie vor "friedfertig" geblieben sind, d. h. das Urteil nicht selbst bekämpft haben, soweit es für sie nachteilig ist. Sinn und Zweck des § 127 VwGO können es nicht erfordern, dem Bundesbeauftragten eine mehrfache Beteiligung in einer Instanz nach seiner Wahl zu ermöglichen, denn er hat als gesetzlicher Beteiligter ohnehin die gleichen prozessualen Gestaltungsrechte wie die Berufungsklägerin.

Der Bundesbeauftragte hat daher sein Rechtsmittel mit Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung verbraucht.

B.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage ist auch insoweit abzuweisen, als das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, hinsichtlich der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG.

Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Das Verbot des § 51 Abs. 1 AuslG schützt damit ebenso wie Art. 16a Abs. 1 GG - den Personenkreis der - politisch Verfolgten und dient der Umsetzung des Art. 33 Nr. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 59). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die den unbestimmten Rechtsbegriff des "politisch Verfolgten" im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a. F.) ausgefüllt hat, ist daher auch im Rahmen der Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslG zu berücksichtigen. Die Erfordernisse dieser Bestimmung sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter deckungsgleich, soweit es um die Frage der politischen Verfolgung geht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500, m. w . N.). Auch gilt für die -Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG der gleiche Prognosemaßstab wie für eine Verfolgungsgefahr i. S. d. Art. 16a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391, und vom - 3. November 1992 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150 [Leitsatz und S. 154], jeweils - m.w. N.).

Den Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG (wie des Art. 16a Abs. 1 GG) als politisch Verfolgter kann zum einen derjenige in Anspruch nehmen, der vorverfolgt, also wegen bereits eingetretener oder unmittelbar drohender (vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss - vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86, 1000/86 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315) - politischer Verfolgung, aus seinem Heimatland ausgereist ist und bei dem im Falle der Rückkehr in das Heimatland die Gefahr politischer Verfolgung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (sog. herabgestufter Prognosemaßstab, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 9 C 9/96 -, BVerwGE 104, 97; BVerfG, - Beschluss vom 2. Juli 1980 1 BvR 147/80, 181/80 und 182/80 -, BVerfGE 54, - 341). Dabei kann sich die Gefahr politischer Verfolgung einer Person auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das sie mit ihnen teilt, und wenn sie sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, so dass sie bisher eher zufällig von ausgrenzenden Rechtsgutbeeinträchtigungen verschont geblieben ist (zu dieser Gefahr der sog. Gruppenverfolgung vgl. nur BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, a. a. O., m. w . N.).

Zum anderen genießt derjenige den Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG, der zwar unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist ist, dem aber auf Grund sog. Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 3. November 1992 9 C 21.92 -, a. a. O.). Dies - ist dann der Fall, wenn "aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint"; unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat u. U. auch dann sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus; ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118/90 -, BVerwGE 89, 162 [169 f.]).

Vorverfolgt sind nur Personen, bei deren Ausreise aus dem Heimatstaat politische Verfolgung schon eingetreten war oder denen bereits zu diesem Zeitpunkt politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 - Buchholz 402.25 AsylVfG § 1 Nr. 166, 403).

I.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Kläger nicht vorverfolgt aus der Russischen Föderation ausgereist. In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat - wie auch das Verwaltungsgericht - davon aus, dass die Kläger tschetschenische Volkszugehörige sind und ihren Wohnsitz vor der Flucht in Inguschetien hatten.

Ethnische Tschetschenen unterlagen im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger im Winter 2000/2001 in der Russischen Föderation nicht landesweit oder auch nur regional mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Gruppenverfolgung durch den russischen Staat.

Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung beruht auf der Vermutung, dass eine solche Verfolgung in aller Regel jeden Angehörigen der Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erfasst. Die Regelvermutung eigener Verfolgung ist dann gerechtfertigt, wenn eine bestimmte Verfolgungsdichte feststellbar ist. Hierfür ist grundsätzlich die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet nach Intensität und Häufigkeit so dicht und eng gestreut fallen, dass bei objektiver Betrachtung für jedes Gruppenmitglied nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - a. a. O.; Urteil vom 20. Juni 1995 - 9 C 294/94 - NVwZ-RR 1996, 57; Senatsurteile vom 26. Oktober 1995 - 3 K O 150/95 - ThürVGRspr. 1996, 27 sowie vom 30. September 1998 - 3 KO 864/98 - ThürVGRspr 1999, 48 = NVwZ 1999, Beilage Nr. 3, 19). Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die bloße Feststellung "zahlreicher" oder "häufiger" Eingriffe reicht grundsätzlich nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie im Hinblick auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 515/89 - BVerfGE 83, 216 = InfAuslR 1991, 200 = NVwZ 1991, 768; BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 - BVerwGE 101, 123; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - a. a. O.).

Allerdings reicht eine lediglich statistisch-quantitative Betrachtung nicht aus. Vielmehr ist die Verfolgungsprognose auch hier in qualifizierender wertender Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen, die die Schwere, Anzahl, Zeit und Häufigkeit der festgestellten einzelnen Verfolgungsschläge ebenso einbezieht wie die Größe der betroffenen Gruppe. Mithin bedarf es wie bei der Individualverfolgung letztlich einer wertenden Gesamtbetrachtung, weil auch insoweit die Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Heimatstaat das für die Beurteilung des Vorliegens einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr vorrangige qualitative Kriterium bildet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. August 1996 - 9 B 355.96 - S. 6 des Abdrucks; Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - a. a. O.; Beschluss vom 22. Mai 1996 - 9 B 136/96 - zitiert nach juris).

Der Feststellung der Verfolgungsdichte bedarf es nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder bevorsteht. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der Heimatstaat ethnische oder religiöse Minderheiten vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen Extremsituationen bedarf es nicht der Feststellung einzelner Vernichtungs- oder Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen darzutun. Die allgemeinen Anforderungen an eine hinreichend verlässliche Prognose müssen allerdings auch dann erfüllt sein. "Referenzfälle politischer Verfolgung" sowie ein "Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung" sind auch dabei gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - a. a. O.; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 - a. a. O.).

Wenn der Staat in einer Bürgerkriegssituation die effektive Gebietsgewalt in gewissen Teilbereichen des Konfliktgebietes innehat und dabei im Gegenzug zu den Aktionen des Bürgerkriegsgegners die am Konflikt nicht unmittelbar beteiligte Zivilbevölkerung durch Gegenterror unter den Druck brutaler Gewalt setzt, liegt ebenfalls politische Verfolgung vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1993 - 9 C 59.92 - NVwZ 1993, 1210). Eine solche Vorgehensweise in einer Bürgerkriegssituation kann sich als gruppengerichtete Verfolgung der der Gegenseite zugerechneten Zivilbevölkerung darstellen. Die Maßnahmen eines Staates, der faktisch die Rolle einer Bürgerkriegspartei einnimmt und in den umkämpften Bereichen seines Hoheitsgebietes nicht mehr als übergreifende, effektive Ordnungsmacht besteht, sind zwar dann keine politische Verfolgung im asylrechtlichen Sinne, wenn sie ein typisch militärisches Gepräge aufweisen und der Rückeroberung des Gebietes dienen, das zwar (noch) zum eigenen Staatsgebiet gehört, über das der Staat jedoch faktisch die Gebietsgewalt an den bekämpften Gegner verloren hat. Denn die Bekämpfung des Bürgerkriegsgegners durch staatliche Kräfte ist im Allgemeinen nicht politische Verfolgung. Führen allerdings die staatlichen Kräfte den Kampf in einer Weise, der auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können oder an dem militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt sind, liegt politische Verfolgung vor. Dies gilt erst recht, wenn die staatlichen Maßnahmen in die Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des aufständischen Bevölkerungsteils umschlagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 = DVBl 1990, 102 = NVwZ 1990, 151 = DÖV 1990, 200; BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 - InfAuslR 1993, 105; Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998 - 3 KO 869/96 - ThürVGRspr 1999, 122).

Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung - wie für jede politische Verfolgung - ist ferner, dass die festgestellten asylrelevanten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin wegen eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Die staatliche Verfolgung von Taten, die - wie separatistische Aktivitäten - aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, kann deshalb politische Verfolgung sein. Wenn ein Staat einer ganzen Bevölkerungsgruppe pauschal zumindest eine Nähe zu separatistischen Aktivitäten oder gar generell deren Unterstützung unterstellt, so stellt sich auch die Frage, ob die Verfolgungsmaßnahmen - objektiv gesehen - auf die Volkszugehörigkeit gerichtet sind und an diese anknüpfen (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Dezember 1993 - 2 BvR 1638/93 - a. a. O.). Der pauschale Verdacht separatistischer Aktivitäten einer ganzen Volksgruppe kann mit anderen Worten - ebenso wie im Einzelfall der Verdacht der Trägerschaft eines asylerheblichen Merkmals - auf die ganze Volksgruppe durchschlagen und eine "Separatismus-Verfolgung" je nach den Umständen des Falles als "ethnische" Gruppenverfolgung erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - a. a. O.).

1. Die Auswertung der Erkenntnismaterialien und die Überprüfung der dem Verfolgungsgeschehen zugrunde liegenden Einzelfälle, die die erste Instanz nicht in ausreichendem Maße dargestellt und gewürdigt hat, lässt nicht die Annahme zu, dass im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger im Winter 2000/2001 Tschetschenen in der Russischen Föderation in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit einer landesweiten oder regionalen Gruppenverfolgung von Seiten des Staates oder Dritter, die dem Staat zurechenbar gewesen wäre, unterlagen.

Eine landesweite, d. h. in der gesamten Russischen Föderation stattfindende Verfolgung von Tschetschenen war zu keinem Zeitpunkt gegeben. Zwar kam es außerhalb von Tschetschenien mehrfach zu Übergriffen durch russische Polizeikräfte, die verstärkt Identitätskontrollen bei südländisch/kaukasisch aussehenden Personen durchführten und in diesem Zusammenhang auch Gewalt anwendeten. Inhaftierungen wurden ohne Angabe von Gründen vorgenommen, ebenso willkürliche Wohnungsdurchsuchungen durchgeführt (vgl. Lagebericht Russische Föderation vom 22. Mai 2000, S. 4; ai, Länderbericht vom 22.12.1999, S. 1). Die einheimische Bevölkerung hegte teilweise erhebliche Ressentiments gegen tschetschenische Volkszugehörige, da viele Russen Kaukasier für ein Sicherheitsrisiko hielten (vgl. Der Einzelentscheiderbrief, April 2000, S. 1). Diese Übergriffe und Erschwernisse seitens staatlicher Stellen haben jedoch weder von der Häufigkeit noch von der Intensität her ein Ausmaß angenommen, aufgrund dessen jeder Tschetschene hätte befürchten müssen, in Anknüpfung an seine Volkszugehörigkeit russlandweit politisch verfolgt zu werden. Angesichts der Größe der Russischen Föderation und der Gesamtzahl der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen, die mehrere Hunderttausend beträgt (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation - Checklist Tschetschenien - August 2003, S. 6 - 8), ist die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte von vornherein auszuschließen (vgl. OVG Schleswig- Holstein, Urteil vom 24. April 2003 - 1 LB 212/01 - UA S. 10). Darüber hinaus waren die Übergriffe örtlich im Wesentlichen auf Moskau und andere Großstädte und zeitlich auf die Monate nach Kriegsbeginn im Herbst 1999 beschränkt (AA, Auskunft an das BAFl vom 28. Juni 2001).

2. Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm, dessen Ziel die Vernichtung oder Vertreibung der Tschetschenen war, sind nicht festzustellen. Von russischer Seite wurde regelmäßig betont, dass die militärischen Einsätze und sonstigen Maßnahmen dazu dienen sollten, tschetschenische Terroristen aufzuspüren und in Tschetschenien die Gebiets- und Personalhoheit und damit ein funktionierendes Staatswesen wiederherzustellen.

Auch der vermeintliche Befehl Nr. 541 des russischen Innenministers Ruschajlo vom 17. September 1999 lässt nicht auf ein staatliches Verfolgungsprogramm des russischen Staates gegenüber Tschetschenen schließen. Zwar soll dieser Befehl gezielt diskriminierende Maßnahmen, z. B. die Einschränkung der polizeilichen Anmeldung tschetschenischer Volkszugehöriger, die Durchführung regelmäßiger Kontrollen in deren Wohnungen und die erleichterte Festnahme von Tschetschenen zur Klärung ihrer Person und ihrer Tätigkeit angeordnet haben (Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker von Juli 2001, S. 2; IGFM, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische VG vom 20. Dezember 2000). Das Auswärtige Amt hat jedoch erhebliche Zweifel an der Echtheit des Befehls, da es keine Belege für dessen Authentizität gebe. Der russische Innenminister habe dessen Existenz bestritten, zudem stehe ein solcher Inhalt in elementarem Gegensatz zur russischen Verfassung. Es gebe einen Befehl Nr. 541; dieser trage jedoch den Titel: "Über die Verewigung der Namen der im Tschetschenien-Krieg Gefallenen" und habe einen anderen Inhalt (AA, Auskunft an das VG Braunschweig vom 12. Dezember 2001; Auskunft an das VG Karlsruhe vom 26. April 2002). Den eingeführten Erkenntnissen sind auch keine entsprechenden Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf eine systematische behördliche Umsetzung diskriminierender Maßnahmen, aus der man auf die Existenz dieses Befehls schließen könnte, hinweisen.

3. Im Winter 2000/2001 fand auch keine regional auf Tschetschenien begrenzte Gruppenverfolgung ethnischer Tschetschenen statt, die dadurch gekennzeichnet wäre, dass der verfolgende Staat die gesamte Gruppe im Blick hat, sie aber als "mehrgesichtiger Staat" aus politischem Kalkül oder ähnlichen Gründen derzeit nicht landesweit, sondern nur regional verfolgt (vgl. zur regionalen Gruppenverfolgung generell: BVerwG, Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 171.95 - a. a. O.; Urteil vom 9. September 1997 - 9 C 43.96 - BVerwGE 105, 204).

Zur geographischen Lage, Bevölkerung und den politischen Verhältnissen in Tschetschenien ist zunächst auszuführen:

Die zur Russischen Föderation gehörende, im Nordkaukasus liegende autonome Republik Tschetschenien grenzt im Süden an Georgien, im Osten an die autonome Republik Dagestan, im Westen an die autonome Republik Inguschetien und im Norden an die russische Region Stawropol. Die Bevölkerung setzte sich vor den Tschetschenien-Kriegen aus ca. 75 % Tschetschenen, ca. 20 % Russen sowie aus Inguscheten, Ukrainern, Armeniern und sonstigen kaukasischen Völkern zusammen. Die Tschetschenen sind eines der ältesten Völker des Nordkaukasus und das größte der Region. Erstmals im 19. Jahrhundert wurde das Land gegen den Widerstand der Bergvölker unter russische Verwaltung gebracht. Dies löste eine Emigrationswelle der tschetschenischen Bevölkerung in die Türkei und andere Länder des vorderen Orients aus. 1922 wurde Tschetschenien autonomes Gebiet und bildete ab 1936 mit Inguschetien zusammen die tschetschenisch-inguschetische ASSR. Tschetschenen stehen mit den Inguscheten in einem engen ethnischen und sprachlichen Zusammenhang. Während des zweiten Weltkriegs wurde die dortige Bevölkerung von Stalin beschuldigt, mit den Deutschen kollaboriert zu haben und in das sowjetische Zentralasien deportiert. 1957 wurde die tschetschenisch-inguschetische ASSR wiederhergestellt, Tschetschenen und Inguscheten durften offiziell zurückkehren und wurden rehabilitiert (vgl. Enzyklopädie Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien; MDR.DE Nachrichten, http://www.mdr. de/nachrichten/152453.html).

1991 wurde der ehemalige General der russischen Luftwaffe Dschochar Dudajew zum tschetschenischen Präsidenten gewählt, der einseitig die Souveränität der tschetschenisch-inguschetischen ASSR und den Austritt aus der UdSSR erklärte. In der Folge kam es zur Trennung der Inguscheten von Tschetschenien und zu einem umfangreichen Boykott Tschetscheniens von Seiten Russlands (vgl. Enzyklopädie Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien). Die Invasion russischer Truppen im Dezember 1994 führte zum ersten Tschetschenien-Krieg, der bis zum August 1996 andauerte und in dessen Folge Dudajew im April 1996 getötet wurde. Diesen Krieg hatte Tschetschenien für sich entschieden und in Verhandlungen mit Moskau schließlich erreicht, dass sämtliche russischen Truppen die Republik bis Anfang 1997 verließen. Im Januar 1997 wurde Aslan Maschadow zum Präsidenten gewählt. Die Legitimität der Wahl wurde sowohl von der OSZE als auch von der russischen Führung anerkannt. Die Statusfrage Tschetscheniens konnte jedoch nicht geklärt werden. Moskau betrachtete Tschetschenien weiterhin als Teil der Russischen Föderation, die tschetschenische Führung beharrte auf völliger Unabhängigkeit. Nach dem sog. Friedensvertrag, den der damalige russische Präsident Jelzin und Maschadow im Mai 1997 unterschrieben, sollte der Status von Tschetschenien bis zum 31. Dezember 2001 geklärt und festgeschrieben werden. Dazu kam es jedoch nicht. Die gravierenden wirtschaftlichen Probleme und die innere Zerrissenheit der tschetschenischen Gesellschaft führten zu erheblichen kriminellen Aktivitäten, insbesondere zahlreichen Geiselnahmen, und insgesamt einer Atmosphäre der Gesetzlosigkeit. Präsident Maschadow war nicht in der Lage, dem Einhalt zu bieten und konnte auch seine politischen Rivalen, wie z. B. den Widerstandskämpfer Bassajew, nicht zügeln, da diese an einem funktionierenden Staatswesen in Tschetschenien nicht interessiert waren. Der Status von Tschetschenien blieb weiterhin ungeklärt.

Nachdem sich im Frühjahr 1999 die Hinweise mehrten, dass die anarchischen Zustände in Tschetschenien unhaltbar wurden und antirussische Milizen einen Kleinkrieg gegen die umliegenden russischen Gebiete führten, begann Russland im Oktober 1999 seinen zweiten Einmarsch in Tschetschenien (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, September 2001, S. 8, 9). Die russischen Streitkräfte setzten in großem Umfang Bodentruppen, Artillerie und Luftstreitkräfte ein und brachten bis zum Frühjahr 2000 fast das gesamte Territorium und alle größeren Städte unter ihre Kontrolle. Im Juni 2000 berief der russische Präsident den Mufti Achmed Kadyrow zum Chef der provisorischen Verwaltung der tschetschenischen Republik (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2000, S. 14). Im Januar 2001 stellte Putin einen weitgehenden Abzug der russischen Streitkräfte aus Tschetschenien in Aussicht, der im März des Jahres vorsichtig begonnen wurde. In der Folge kündigte jedoch der tschetschenische Feldkommandeur Bassajew einen "totalen Krieg auf dem gesamten Gebiet Russlands" an, was dazu führte, dass der Abzug der russischen Truppen bereits im Mai/Juni 2001 wieder gestoppt wurde. Damit waren im Sommer 2001 weiterhin etwa 80.000 russische Soldaten in Tschetschenien stationiert (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, September 2001, S. 13; AA, Lagebericht Russische Föderation vom 28. August 2001, S. 9). Die tschetschenischen Kämpfer, die sich in Wald- und Berggebiete zurückzogen, sollten von den russischen Streitkräften systematisch ausgeschaltet und vernichtet werden. Der russische Militäreinsatz, den die russische Regierung als Terrorismusbekämpfung bezeichnete, führte zu großen Verlusten in der Zivilbevölkerung. Es kam zu massiven Menschenrechtsverletzungen in Form von willkürlichen Tötungen von Zivilisten, Vergewaltigungen, Plünderungen, Raub, Folter, Misshandlungen, Geiselnahmen und Hinrichtungen. Die russischen Streitkräfte richteten sog. Filtrationslager ein, die dazu dienen sollten, tschetschenische Widerstandskämpfer unter den Flüchtlingen aufzuspüren und in denen russische Spezialkräfte systematisch gefoltert haben sollen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2000, S. 10, 11; AA, Ad hoc-bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 3, 4).

Im Einzelnen wird von folgenden Übergriffen berichtet:

Am 7. Oktober 1999 haben russische Streitkräfte das Dorf Elistanzhi angegriffen und dabei 48 Zivilisten getötet und über 100 verletzt. Die Opfer waren überwiegend Frauen und Kinder. Im Verlauf des Oktober wurden mehrere Krankenhäuser in Grosny und Ursus-Martan angegriffen, unter anderen das einzige noch arbeitende Geburtskrankenhaus in Grosny. Bei den Angriffen kamen zahlreiche Menschen ums Leben (vgl. ai, Länderbericht Russische Föderation: Tschetschenien vom 22. Dezember 1999, S. 3, 4). Am 21. Oktober 1999 wurden bei einer Explosion auf einem Markt in Grosny 140 Menschen getötet und 400 verletzt. Es wurde vermutet, dass es sich um eine "Sonderkommandoaktion" russischer Streitkräfte handelte, die auf dem Marktplatz Waffen und Sprengstoff tschetschenischer Rebellen vermuteten (AA, ad hoc-bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 6). Ende Oktober, Anfang November fanden wiederholt Angriffe auf den Ort Samashki statt, am 29. Oktober 1999 auf einen zivilen Konvoi in der Nähe von Shami-Yurt. Anfang November kam es zu Luft- und Artillerieangriffen auf das Dorf Zakhan-Yurt, bei denen die russischen Truppen auf das Personal einer psychiatrischen Klinik feuerten und den Chefarzt sowie durch Bombenangriffe viele Zivilisten töteten. Am 21. November 1999 bombardierten russische Truppen die Stadt Goity, in der mehrere 10.000 Flüchtlinge aus anderen Teilen Tschetscheniens Schutz gesucht hatten. Der Kreis Shatoy wurde von den russischen Truppen faktisch eingeschlossen, indem diese einen engen Bergpass ständig bombardierten und damit die Bewohner und mehrere tausend Binnenflüchtlinge ohne humanitäre Hilfe und ohne Nahrungsmittel der Gefahr des Verhungerns aussetzten. Am 3. Dezember 1999 wurden über 40 Flüchtlinge, die in einem mit weißen Fahnen gekennzeichneten Konvoi Grosny verlassen wollten, von russischen Spezialeinheiten getötet (vgl. ai, Länderbericht Russische Föderation: Tschetschenien vom 22. Dezember 1999, S. 3 - 5). Bei einem Massaker in Alkhan-Yurt im Dezember 1999 sind 41 Zivilisten ermordet sowie Vergewaltigungen, Plünderungen und Brandstiftungen begangen worden. Dieser Übergriff wurde, anders als die meisten anderen zum Gegenstand einer russischen Untersuchung gemacht (vgl. AA, Ad hoc-bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 3, 4). A m 1. Februar 2000 bombardierten die russischen Truppen den Ort Aldi, weil dort der Fluchtweg der tschetschenischen Rebellen bei ihrem Rückzug aus Grosny vorbeigeführt hatte. Am 5. Februar fand eine "Säuberung" durch Einheiten des Innenministeriums statt, bei der über 100 Zivilisten getötet wurden (vgl. Frankfurter Rundschau, Presseartikel vom 6. April 2000). Ebenfalls am 5. Februar 2000 sollen russische Soldaten in einem südlichen Stadtbezirk von Grosny mindestens 62 Zivilisten getötet haben (vgl. AA, Lagebericht Russische Föderation vom 22. Mai 2000, S. 8). Am gleichen Tag eröffnete die russische Armee und Luftwaffe das Feuer auf Katyr-Jurt, in dem sich damals mehr als 20.000 Zivilisten aufhielten. Sie schossen aus Flugzeugen und Hubschraubern mit Granaten und Raketen, warfen Handgranaten in Keller, in denen sie Rebellen vermuteten. LKWs mit Flüchtlingen wurden trotz weißer Fahnen beschossen, zahlreiche Männer verhaftet. Mehr als 100 Zivilisten wurden getötet, 9/10 der Häuser geplündert und zerstört. Ähnliches geschah am 7. Februar 2000 in dem benachbarten Dorf Gechi-Tschu (vgl. Frankfurter Rundschau, Presseartikel vom 6. April 2000). Im Dezember 2000 nahmen russische Truppen eine Hochschule in Grosny unter Beschuss und töteten mindestens 7 Personen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, Januar 2001, S. 17).

Darüber hinaus haben die russischen Streitkräfte seit Kriegsbeginn Tausende von Tarnminen aus Flugzeugen abgeworfen und Minenfelder um Städte und Dörfer gelegt, um die Bewegungsfreiheit der tschetschenischen Kämpfer einzuschränken. Im Gegenzug griffen die tschetschenischen Widerstandskämpfer vielfach zu den gleichen Mitteln, folterten und ermordeten russische Soldaten, verschleppten und vergewaltigten Frauen, verschafften sich gegen den Willen der Bevölkerung Zugang zu Dörfern, um diese zu Angriffszielen russischer Bombardierungen zu machen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2000, S. 10, 11; AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 3, 4). Zwar wurde der Tschetschenienkrieg von der russischen Regierung im Sommer 2000 für beendet erklärt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24. Mai 2000, S. 3), es kam jedoch weiter zu Kampfhandlungen, die erst im Laufe des Jahres 2001 nachließen (vgl. Stellungnahme des UNHCR vom Januar 2000, S. 4).

Angesichts der bekannt gewordenen Umstände des Vorgehens der russischen Streitkräfte gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass vielfach Unbeteiligte Opfer von Übergriffen geworden sind - die Zivilbevölkerung deshalb auch wie in einer Bürgerkriegssituation Gegenterror ausgesetzt war.

Dennoch lässt sich weder für die Phase des sog. 2. Tschetschenienkrieges und erst recht nicht nach dessen faktischem Ende von einer Gesamtsituation sprechen, die die Merkmale einer regionalen Gruppenverfolgung hat.

Gemessen an den Kriterien, die für eine Gruppenverfolgung maßgeblich sind, tragen die feststellbaren Einzelereignisse die Annahme einer Gruppenverfolgung ethnischer Tschetschenen in Tschetschenien nicht. Zwar ist eine Vielzahl von Verfolgungsmaßnahmen von Seiten der russischen Streitkräfte bekannt geworden. Die Zahl der feststellbaren Verfolgungsfälle im Verhältnis zur Bevölkerungszahl reicht jedoch nicht aus, um die erforderliche Dichte (vgl. oben S. 15) der Verfolgungsschläge zu belegen. Erforderlich ist vielmehr, sie in ein Verhältnis zur Gesamtbevölkerung zu setzen.

Die Angaben zu den tatsächlichen Bevölkerungszahlen in Tschetschenien sind schwankend. Vor dem ersten Tschetschenien-Krieg hatte das Land etwa 1,2 Millionen Einwohner (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Der Tschetschenien-Konflikt, Juni 2002, S. 5). Rund 150.000 Tschetschenen lebten Anfang der 90er Jahre in anderen Gebieten der Russischen Föderation, bevorzugt in Moskau, St. Petersburg und der Wolgaregion. Infolge der beiden Kriege hat die Bevölkerung in Tschetschenien stark abgenommen. Bereits im Zuge des ersten Krieges sind etwa 600.000 Bewohner Tschetscheniens geflüchtet bzw. wurden vertrieben. Etwa 2/3 davon waren Tschetschenen. Ein Großteil der nicht tschetschenischen Vertriebenen ist nicht nach Tschetschenien zurückgekehrt. Vor Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges sollen noch etwa 450.000 Menschen überwiegend tschetschenischer Volkszugehörigkeit in Tschetschenien gelebt haben (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Der Tschetschenien-Konflikt, Juni 2002, S. 7). Von dieser Bevölkerungszahl ist angesichts fehlender anderweitiger, gesicherter Erkenntnisse auszugehen.

Setzt man dazu die Zahl der Übergriffe (s. o.) insbesondere Ende 1999 ins Verhältnis, so sind in erheblichem Umfang Maßnahmen der russischen Streitkräfte auch gegenüber der Zivilbevölkerung festzustellen, die vielfach asylerheblichen Charakter gehabt haben dürften, wenn sie vermuteten/unterstellten Widerstand der Bevölkerung brechen wollten. Es fehlt aber eine tatsächliche Grundlage für eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, dass es nicht mehr bei vereinzelt bleibenden Übergriffen oder einer Vielzahl einzelner Übergriffe geblieben ist. Sowohl in der Fläche als auch nach der Anzahl und der zeitlichen sowie räumlichen Verbreitung reichen die Geschehnisse nicht, um die Regelvermutung einer Gruppenverfolgung für jeden im Herkunftsgebiet lebenden tschetschenischen Volkszugehörigen zu rechtfertigen.

II.

Das von den Klägern geschilderte persönliche Schicksal vor der Ausreise macht sie ebenso nicht zu Vorverfolgten.

Die Angaben der Kläger sind nicht geeignet, eine fluchtauslösende Verfolgungsfurcht zu begründen. Auf der Grundlage der eigenen Angaben sind Drangsalien staatlicher Stellen in Tschetschenien nicht festzustellen. Die Kläger haben keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihr Leben oder ihre persönliche Freiheit in Tschetschenien von Seiten des russischen Staates bedroht war. Das Engagement des Klägers zu 1. im ersten Tschetschenien-Krieg hat, wie seinen eigenen Angaben zu entnehmen ist, nicht zu einer Reaktion des russischen Staates geführt. Der Hinweis, bei Nachforschungen im April 2000 sei sein Name genannt worden, ist zu unsubstantiiert. So teilt der Kläger nicht einmal mit, wer Nachforschungen angestellt habe und von wem sein Name genannt worden sei. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Kläger zu 1. diesbezüglich nichts erläutert. Darüber hinaus hat der Kläger zu 1. in der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht teilweise widersprüchliche Angaben gemacht. So hat er beim Bundesamt angegeben, er sei bei Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges aufgefordert worden, für die tschetschenischen Kämpfer als Funker zu arbeiten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er hingegen mitgeteilt, er sei mit seiner Familie unmittelbar nach Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges nach Inguschetien geflüchtet.

In Inguschetien haben die Kläger sich bis etwa einen Monat vor der Ausreise - nach ihren eigenen Angaben - aufgehalten. Die Erfassungsaktion bei den Zeltlager-Bewohnern, die nach dem erstmaligen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit fluchtauslösend gewesen sein soll, ist für sich genommen schon nicht als lebens- oder freiheitsbedrohende Maßnahme des russischen Staates einzustufen. Ohnehin ist das Vorbringen insoweit auch sehr vage und unsubstantiiert geblieben und von den Klägern selbst nicht weiter verfolgt worden. Die pauschale Behauptung des Klägers zu 1., nach früheren Erfassungen seien viele Lagerbewohner verschwunden oder verhaftet worden, hat er ebenso nicht mit nahe liegendem, konkretem Vortrag unterlegt. Soweit die Klägerin zu 2. in der Anhörung beim Bundesamt angegeben hat, in den Flüchtlingslagern in Inguschetien hätten "ständige Reinigungen und Säuberungen" stattgefunden, ist diese Aussage ebenso pauschal und unsubstantiiert geblieben; schlüssige Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Kläger allein deswegen haben sich auch aus der Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht ergeben (vgl. Sitzungsniederschrift).

III.

Ungeachtet dessen stand den Klägern ohnehin im Zeitpunkt ihrer Ausreise eine inländische Fluchtalternative in der gesamten Russischen Föderation einschließlich Inguschetien zur Verfügung; in der letztgenannten Republik haben sie von Herbst 1999 bis zum Winter 2000/2001 unbehelligt gelebt. Sie hatten mithin schon Schutz vor Verfolgung vor der Ausreise gefunden.

Eine inländische Fluchtalternative kann in einem mehrgesichtigen Staat offen stehen, in dem eventuelle Zugriffshandlungen regional begrenzt nur in einem Landesteil vorkommen. Sie setzt voraus, dass der Asylsuchende in den als Fluchtalternative in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 - a. a. O.; BVerwG, Urteile vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 - BVerwGE 85, 139, vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 72.90 - BVerwGE 87, 141 und vom 14. Dezember 1993 - BVerwG 9 C 45.92 - a. a. O.). Dabei versteht es sich von selbst, dass unter einer existentiellen Gefährdung am Herkunftsort nur verfolgungsunabhängige existentielle Gefährdungen gemeint sind. Das Ausweichen in einen verfolgungsfreien Landesteil, in dem die wirtschaftliche Existenz gefährdet ist, wird dem von regionaler Verfolgung Betroffenen zugemutet, wenn ohne die Verfolgung auch an seinem Herkunftsort die wirtschaftliche Situation nicht besser wäre. Eine inländische Fluchtalternative besteht also dann, wenn die existentielle Gefährdung in verfolgungssicheren Landesteilen im Zeitpunkt der Flucht in gleicher Weise auch am Herkunftsort unabhängig von den Verfolgungsmaßnahmen bestand. Umgekehrt ist eine inländische Fluchtalternative zu verneinen, wenn in verfolgungssicheren Landesteilen eine existentielle Gefährdung besteht, die zwar im Zeitpunkt der Flucht in gleicher Weise auch am Herkunftsort bestand, deren Ursache aber verfolgungsbedingt war. Die gegenteilige Ansicht würde bedeuten, dass ein Asylsuchender, der aufgrund regionaler Verfolgung seine wirtschaftliche Existenzgrundlage verliert, auch dann kein Asyl beanspruchen könnte, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaates zwar keine Verfolgung befürchten müsste, dort aber auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten hätte. Damit würden die durch die Verfolgung ausgelösten Nachteile letztlich zur Versagung des Asylrechts führen. Dies stünde zu dem Grundgedanken des Asylrechts in offensichtlichem Widerspruch (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 1996 - 9 B 136/96 - a. a. O.; Urteil des Senats vom 25. November 1999 - 3 KO 165/96 -).

Den Klägern war zuzumuten, im verfolgungssicheren Landesteil (Inguschetien) zu bleiben, auf den sich die Auseinandersetzungen in Tschetschenien nicht erstreckten. Der Annahme der Verfolgungssicherheit stehen auch nicht die in den Flüchtlingslagern stattfindenden Registrierungen entgegen, die die Kläger nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung fürchteten. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Registrierungen einem anderen Zweck als dem der Erfassung der Flüchtlinge dienten.

Die genannte Ausweichmöglichkeit schied auch nicht wegen einer Gefährdung ihres wirtschaftlichen Existenzminimums aus. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn der Ausländer durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen Dritter jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Das ist nicht der Fall, wenn er am Ort der inländischen Fluchtalternative auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat, als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (vgl. dazu nur BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 1 B 128/02 - InfAuslR 2002, 455 = AuAs 2002, 261). Eine solche Situation war für die Kläger von Herbst 1999 bis Dezember 2000 weder nach ihrem eigenen Vortrag noch nach der Auskunftslage gegeben. Zwar war die Republik Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert, durch internationale Hilfe u. a. vom UNHCR wurde die Versorgungslage in den Flüchtlingslagern im Jahr 2000 jedoch verbessert (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 5). Dabei ist nicht das in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschende Niveau bei der Lebensmittelversorgung zu Grunde zu legen, sondern das in den russischen Provinzen viel bescheidenere, aber nach russischen Maßstäben wohl ausreichende Niveau (vgl. Schleswig- Holsteinisches OVG, Urteil vom 24. April 2003 - 1 LB 212/01 - UA S. 18). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein fehlendes Existenzminimum nicht verfolgungsbedingt wäre, wenn die wirtschaftliche Notlage am Ort der inländischen Fluchtalternative keine andere ist als die am Herkunftsort. Zu vergleichen wäre daher die Lage in Inguschetien mit der in Grosny, wo die Kläger bis zum Ausbruch des zweiten Tschetschenien-Krieges gelebt haben. Die Verhältnisse dort waren katastrophal, da der Wiederaufbau in der kurzen Zeit zwischen den beiden Kriegen komplett von externer Wiederaufbauhilfe abhängig und kaum vorangekommen war. Insbesondere in Grosny war nicht einmal die Grundversorgung mit Lebensmitteln gewährleistet, da die internationalen Hilfsorganisationen dorthin keinen Zugang hatten (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 15. Februar 2000, S. 7). Demgegenüber stellte sich die Situation in Inguschetien vergleichsweise besser dar (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl, Der Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2000, S. 11, 12; AA, Lagebericht Russische Föderation vom 22. Mai 2000, S. 9, 12).

IV.

Den damit unverfolgt ausgereisten Klägern steht Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG auch nicht aufgrund eines Nachfluchttatbestandes zu.

Ihnen droht bei einer Rückkehr in Tschetschenien selbst und in der gesamten Russischen Föderation weder aus individuellen Gründen noch aufgrund ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das Leben der Kläger sei nach Auswertung der Erkenntnismaterialien bei einer Rückkehr nach Tschetschenien unzweifelhaft in Gefahr, überzeugt nicht.

1. Eine Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in der Russischen Föderation findet auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht statt.

Tschetschenen sind allerdings in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens nahezu flächendeckend Anfeindungen durch die Bevölkerung und diskriminierenden Kontrollmaßnahmen durch die Polizei ausgesetzt, die nach der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater im Oktober 2002 noch verschärft wurden (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 20; Auskunft an das Schleswig-Holsteinische VG vom 8. Januar 2003). Insbesondere Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben oder denen russische Behörden ein solches Engagement unterstellen, erwecken Aufmerksamkeit bei Personenkontrollen. So ist es mehrfach zu willkürlichen Festnahmen und mehrere Tage andauernden Inhaftierungen gekommen, bei denen auch Gewaltanwendungen von Seiten russischer Polizeikräfte stattgefunden haben (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 27. November 2002, S. 12, 13).

Es drängt sich der Eindruck auf, die in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens erfolgenden Maßnahmen dienen vor allem der Ergreifung tschetschenischer Rebellen oder von deren Unterstützern. Von Übergriffen in Form von Festnahmen oder längeren Inhaftierungen nach Personenkontrollen ohne derartigen Anlass wird zwar noch berichtet, es handelt sich dabei jedoch offensichtlich um Einzelfälle (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 24. April 2003 - 1 LB 212/01 - UA S. 23). Zudem sollen sich die Maßnahmen nicht nur auf Tschetschenen, sondern in einer Art Generalverdacht auf kaukasisch aussehende Personen insgesamt erstrecken (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation, April 2003, S. 10; AA, Lagebericht Russische Föderation vom 26. März 2004, S. 7). Die Kläger hätten demnach, da sie unmittelbar nach Ausbruch des zweiten Tschetschenien-Krieges nach Inguschetien geflüchtet sind und sich in diesem Krieg in keiner Weise an Kampfhandlungen beteiligt oder für die tschetschenische Seite engagiert haben, voraussichtlich nur mit Personenkontrollen zu rechnen, die asylrechtlich nicht erheblich sind.

2. Die Kläger sind bei einer Rückkehr auch nicht von einer regionalen Gruppenverfolgung tschetschenischer Volkszugehöriger in Tschetschenien betroffen.

Die politische Situation in der Republik Tschetschenien stellte sich nach der Ausreise der Kläger wie folgt dar:

Im März 2003 veranlasste die russische Regierung die Abhaltung eines Verfassungsreferendums, im Oktober 2003 tschetschenische Präsidentschaftswahlen (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 4, 5). Die politische Gewalt ging damit offiziell wieder in tschetschenische Hände über. Bei den Wahlen siegte der bisherige Chef der Verwaltungsbehörde Tschetscheniens Achmad Kadyrow, der von der russischen Regierung protegiert und als Statthalter Moskaus bezeichnet wurde (vgl. ai-Journal vom 1. November 2003, S. 3, 4). Dieses beruhte darauf, dass die russische Regierung zuvor alle Kandidaten, die in Umfragen vor Kadyrow gelegen hatten, zum Rückzug ihrer Kandidatur bewegt hatte oder diese durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen wurden. Die Wahl, zu der die OSZE aus Sicherheitsgründen keine offiziellen Beobachter entsandt hatte, wurde von westlichen Politikern, Menschenrechtsorganisationen und vom bisherigen, von Russland nicht anerkannten und in den Untergrund abgetauchten Präsidenten Maschadow als unfair bezeichnet (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien, November 2003, S. 20).

Im Mai 2004 wurde Kadyrow bei einem Bombenanschlag getötet, Putin ernannte daraufhin den tschetschenischen Regierungschef Sergej Abramow zum provisorischen Präsidenten. Am 29. August 2004 fanden erneut Präsidentschaftswahlen statt, bei denen erwartungsgemäß der von der russischen Regierung unterstützte Alu Alkhanov mit 73,67 % der Stimmen siegte. Die Wahlen wurden von internationalen Organisationen ebenfalls als unfair bezeichnet, da sich außer Alkhanov keiner der Kandidaten den Wählern wirksam präsentieren konnte und echte Alternativkandidaten zur Wahl nicht zugelassen worden waren (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2004, S. 6, 7). Ramsan Kadyrow, der Sohn des getöteten Präsidenten, der nach dem Tod seines Vaters zum Vize-Regierungschef ernannt wurde, ist Oberbefehlshaber der tschetschenischen Milizeinheiten, denen ein Teil der Macht der russischen Sicherheitskräfte übertragen wurde. Er hat eine mehrere tausend Mann starke Miliz aufgebaut, die für zahlreiche Entführungen, Folterungen und Morde verantwortlich ist und von der Bevölkerung inzwischen stärker gefürchtet ist als die russischen Sicherheitskräfte (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24. Mai 2004, S. 8).

Die Menschenrechtslage in Tschetschenien hat sich nach der Ausreise der Kläger nicht wesentlich verändert. Im Jahr 2001 gingen die militärischen Aktionen Russlands in eine breit angelegte so genannte "Antiterror-Operation" mit dem Ziel der Zerschlagung des tschetschenischen Widerstandes über. Es kam zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen von Seiten der russischen Armee, die verstärkt Bodentruppen, Artillerie und Luftwaffe einsetzte, um die tschetschenischen Rebellengruppen zu vernichten und dabei mit äußerster Brutalität auch gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien, die im Wesentlichen nur noch aus tschetschenischen Volkszugehörigen bestand, vorging. Dazu gehörten häufig stattfindende "Säuberungen" und "Sonderaktionen", bei denen russische Truppen tschetschenische Dörfer auf der Suche nach vermeintlich dort untergetauchten Terroristen durchkämmten, Personen, vor allem männlichen Geschlechts und Jugendliche, festnahmen und erschossen oder zusammenschlugen und folterten, um sie anschließend in Gefängnisse oder Erdlöcher zu stecken. In diesen so genannten Filtrationslagern soll es zu Folterungen in Form von Elektroschocks, Vergewaltigungen und Schlägen auf Kopf und Rücken mit Metallhammern durch russische Spezialkräfte gekommen sein (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 27. November 2002, S. 7). An Kontrollposten wurden männliche Jugendliche willkürlich festgenommen und verschleppt. Monatlich wurden zwischen 50 und 80 Männer von russischen Soldaten ermordet (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien - Das russische Militär, November 2003, S. 8). Russischen Sicherheitskräften wurden Raub, Plünderungen und Vergewaltigungen vorgeworfen, Flüchtlinge sollen häufig von russischen Truppen beschossen und während der Kampfhandlungen zeitweise am Verlassen des Kampfgebietes gehindert worden sein. Darüber hinaus sollen sie von Flüchtlingen beim Grenzübertritt Geld erpresst haben (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 27. November 2002, S. 6). Am 1. September 2003 ist die Zuständigkeit für "Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in der nordkaukasischen Region der Russischen Föderation" planmäßig vom Inlandsgeheimdienst FSB auf das russische Innenministerium übergegangen (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 9).

Im Einzelnen kam es zu folgenden, nicht abschließend aufgeführten Übergriffen: Anfang 2001 wurde ein 14-jähriges Mädchen in der Hafteinrichtung Tschernokosowo von den russischen Lagerwachen mehrfach vergewaltigt und starb an den Folgen (ai, Auskunft an das VG Braunschweig vom 20. Februar 2002, S. 4). Am 28. Juni 2001 nahmen Soldaten die Männer des Ortes Tschernoretschje fest und misshandelten sie mit Schlägen, Elektroschocks und brennenden Zigaretten. In den Orten Assinowskaja und Sernowodsk trieben russische Soldaten am 2. und 3. Juli 2001 alle mehr als 16 Jahre alten Männer auf einem Feld zum Verhör zusammen und quälten sie mit Elektroschocks. Ein Teil der Männer wurde danach in eine provisorische Haftanstalt in Atschkoj-Martan gebracht und erneut geschlagen. Die Mehrzahl wurde nach zwei Tagen freigelassen, aber einige blieben verschwunden. Am 20. Juli 2001 umstellten russische Truppen das Dorf Alchan Chala, schnitten es von der Außenwelt ab und führten eine "Säuberungsaktion" durch, bei der Dorfbewohner gefoltert wurden und verschwunden sind (vgl. zu den vorstehenden Einzelfällen: ai, Stellungnahme vom 8. Oktober 2001, S. 2, 3). Am 18. Oktober 2001 durchsuchten russische Soldaten ein Haus in Kurcheloj. Da der gesuchte Mann nicht auffindbar war, verhafteten sie dessen schwangere Ehefrau, vergewaltigten und misshandelten sie, so dass sie eine Fehlgeburt erlitt. Erst Mitte November konnte sie von ihrer Familie freigekauft werden (ai, Auskunft an das VG Braunschweig vom 20. Februar 2002, S. 3, 4). Im Juli und November 2001 führten russische Streitkräfte in dem Dorf Serdschen-Yurt Razzien durch, in deren Verlauf es zu extralegalen Hinrichtungen gekommen ist und mehrere Personen verschwunden sind. In Zozin- Yurt wurde am 29. und 30. Dezember 2001 eine "Säuberungsaktion" durchgeführt, bei der alle männlichen Zivilisten zwischen 14 und 60 Jahren zusammengetrieben, kontrolliert und geschlagen wurden. Mehr als 100 Dorfbewohner, unter ihnen Frauen und Kinder, mussten ein bis zwei Nächte bei Minustemperaturen im Freien verbringen, mehrere blieben verschwunden, einige wurden hingerichtet. Am 2. Januar 2002 wurde der 24-jährige Selimchan Murdalow in Grosny festgehalten und gefoltert. Einen Tag später wurde er von Mitgefangenen mit einem gebrochenen Arm, einem abgeschnittenen Ohr, Verletzungen an den Genitalien und einer Gehirnerschütterung gesehen. Seitdem ist sein Schicksal ungeklärt (vgl. zu den vorstehenden Einzelfällen: ai, Auskunft an das VG Ansbach vom 1. Februar 2002, S. 2, 3). Am 11. Januar 2002 wurden sechs Männer und Frauen aus Nochtschij-Keloi an der Straße nach Dagestan gefoltert, hingerichtet und ihre Leichen verbrannt (vgl. Lettre International, Bericht von Anna Politkowskaja vom 1. Oktober 2003). Vom 24. bis 26. Juli 2002 fand eine "Säuberung" des Dorfes Zozon-Yurt durch russische Truppen statt. Sämtliche Männer wurden festgehalten und erst nach Zahlung eines Lösegeldes von 500,- bis 2000,- Rubel freigelassen. Etwa 40 Männer, die nicht freigekauft werden konnten, wurden mehrere Stunden gefoltert. Konnte man bestimmte gesuchte Männer nicht finden, wurden deren Mütter, Ehefrauen oder Schwestern festgehalten, geschlagen und mit dem Tod bedroht. In Tevzeni nahmen russische Streitkräfte vom 16. bis 20. August 2002 eine "Säuberungsaktion" vor, nachdem mehrere Soldaten bei der Explosion einer Landmine in der Nähe des Dorfes verletzt worden waren. Sie zerstörten Gebäude und Hausrat, plünderten und trieben die Männer zusammen. Diese mussten sich ausziehen und bäuchlings auf die Erde legen. Die Soldaten schlugen dann mit Stöcken und Maschinengewehren auf sie ein, traten sie und sprangen auf ihre Rücken. 67 Männer wurden festgenommen, in einem Erdloch festgehalten, geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert. Am 18. August 2002 wurden neun Häuser in Gechi-Tschu durch Beschuss russischer Soldaten völlig zerstört und der Friedhof verwüstet. Das Dorf Jalchoj- Mokch wurde vom 21. bis 28. August 2002 durch russische Soldaten von der Außenwelt abgeschnitten und teilweise zerstört. Die Männer wurden festgenommen, zusammengeschlagen und mit Elektroschocks gefoltert (vgl. zu den vorstehenden Einzelfällen: Gesellschaft für bedrohte Völker, Allgemeine Stellungnahme vom 1. September 2002, S. 4 - 6). Ebenfalls im August wurde in Avtury ein Mann gezwungen, sich auf einen angespitzten Pfahl zu setzen, der durch seine Gedärme gestoßen wurde. Er starb an den Folgen. Am 16. Oktober 2002 kamen in Starye Atagi bei einem Schusswechsel mit russischen Soldaten zwei Personen ums Leben, die Soldaten plünderten deren Haus und zündeten es an. Aus Tschetschen-Aul wurden am 23. Oktober 2002 fünf Männer verschleppt und später tot aufgefunden (vgl. Gesellschaft für bedrohte Völker, Allgemeine Stellungnahme vom 1. Januar 2003, S. 7, 8).

Insbesondere nach den Ereignissen im Moskauer Musical-Theater "Nord-Ost" im Oktober 2002 verschärfte die russische Seite ihr Vorgehen gegen tschetschenische Volkszugehörige. Am 26. Oktober 2002 verschleppten russische Soldaten einen 22-jährigen Zivilisten aus Achkoj-Martan und schlugen sämtliche Mitglieder seiner Familie, am 27. Oktober 2002 wurden 29 Personen aus Sernowodosk verhaftet, vier davon blieben verschwunden. Am gleichen Tag wurde der behinderte Sohn einer Familie aus Grosny verschleppt und das Haus der Familie gesprengt. Vom 25. bis 30. Oktober fanden Säuberungen in Tschetschen-Aul, Berkat-Yurt und Alchazurowo statt, bei denen mehrere Menschen getötet wurden. Aus Achtschoi Martan wurden am 5. November 2002 vier Personen, aus Nowje Atagi fünf Personen verschleppt, ohne wieder aufzutauchen. Am gleichen Tag wurden mehrere Wohnhäuser in Grosny bombardiert. Vier Leichen, die Folterspuren aufwiesen, wurden am 7. November 2002 in Tschernorechie gefunden. In der Nacht des 11. November 2002 nahmen russische Soldaten zwei Männer aus Bratskoje fest; die Suche nach ihnen blieb erfolglos. Am 15. November 2002 drangen sie zum sechsten Mal in ein Haus in Grosny ein, schlugen alle Bewohner zusammen, stahlen Nahrungsmittel, Papiere und Geld und nahmen den 21-jährigen Sohn mit, der nicht zurückkehrte. Am 18. November 2002 wurden anlässlich einer "Säuberung" in Duba-Yurt drei Männer nach Folterungen ermordet, in Grosny neun Zivilisten erschossen, am folgenden Tag die Leichen von sieben weiteren Zivilisten gefunden. Das Dorf Mesker-Yurt wurde am 28. November 2002 einer "Säuberung" unterzogen, die bis zum 1. Dezember 2002 dauerte und bei der 30 Personen festgenommen wurden, von denen vier ve rschwunden sind. Am 1. Dezember 2002 wurde die Bürgermeisterin von Alkan- Kala erschossen, die häufig die Gräueltaten russischer Soldaten angeprangert hatte. Am 14. Dezember 2002 überrollte ein Militärlastwagen bei Gudermes absichtlich einen privaten PKW, in dem tschetschenische Zivilisten saßen, die alle ums Leben kamen. Am 29. Dezember 2002 wurden in Grosny drei Studenten des Erdölinstituts mit Schussverletzungen und durchschnittenem Hals tot aufgefunden (vgl. zu den vorstehenden Einzelfällen: Gesellschaft für bedrohte Völker, Allgemeine Stellungnahme vom 1. Januar 2003, S. 3 - 10; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Allgemeine Stellungnahme vom Dezember 2002, S. 3 - 5).

Auch nach dem Referendum und den Wahlen im März und Oktober 2003 hat sich die Situation der Zivilbevölkerung nicht maßgeblich verbessert. Zwar ging die Zahl der groß angelegten "Säuberungsaktionen" der russischen Streitkräfte zurück, gezielte Einzelaktionen wurden jedoch vermehrt durchgeführt. Festnahmen, Entführungen, Misshandlungen und Tötungen von Zivilisten fanden weiter statt und wurden immer häufiger auch tschetschenischen Sicherheitskräften angelastet. Im Jahr 2003 gab es nach Angaben der tschetschenischen Behörden über 400 Entführungsfälle und das Schicksal von mindestens 2000 Verschwundenen aus den vergangenen Jahren blieb ungeklärt (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 7). In bisher acht Fällen sind Verurteilungen russischer Offiziere für Verbrechen an der tschetschenischen Zivilbevölkerung bekannt geworden. So wurde der Armeeoberst Budanow für Vergewaltigung und den Mord an einer 17-jährigen Tschetschenin zu 10 Jahren Haft verurteilt (vgl. AA, Lagebericht Russische Föderation vom 26. März 2004, S. 10).

Auch im Laufe des Jahres 2004 kam es weiter zu Übergriffen auf die tschetschenische Zivilbevölkerung, jedoch weniger durch russische Truppen als nunmehr durch tschetschenische Einheiten des Präsidenten Kadyrow.

In Duba-Yurt fuhren am 27. März 2004 acht Militärfahrzeuge vor, deren Insassen 19 Häuser stürmten und elf Männer festnahmen, von denen sie drei wieder freiließen. Die anderen Männer wurden zwei Wochen nach der Entführung mit Spuren von Folter und Schusswunden tot aufgefunden. Im April 2004 kam eine sechsköpfige Familie in Prigatschoj ums Leben, nach offiziellen Angaben durch eine Minenexplosion, nach Auffassung von Mitgliedern der Organisation Memorial durch einen Bombenabwurf oder einen Raketenabschuss (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24. Mai 2004, S. 8, 10; Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Juli 2004, S. 11). Sieben Tote wurden in Serschen-Yurt aufgefunden, nach offiziellen Angaben aufgrund eines Überfalls von Rebellen. Laut Memorial sprechen jedoch zahlreiche Indizien für eine Täterschaft der föderalen Kräfte. Im gleichen Monat kam es zu Bomben- oder Raketenangriffen auf zwei Dörfer, bei denen eine Frau und fünf Kinder getötet wurden und für die sowohl die russische Armee als auch die Rebellen verantwortlich gemacht wurden (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Juli 2004, S. 11, 12).

Von Seiten tschetschenischer Separatisten und Selbstmordattentäter wurden ebenfalls zahlreiche Anschläge verübt, u. a. die Geiselnahme im Moskauer Theater im Oktober 2002 und ein Bombenanschlag auf das tschetschenische Regierungsgebäude in Grosny im Dezember 2002. Im Verlauf der Jahre 2003 und 2004 folgten in Tschetschenien und im gesamten Kaukasus in großem Maße Anschläge von Rebellenseite, z. B. ein Selbstmordattentat auf ein Militärkrankenhaus in Nordossetien mit 50 Toten, ein Bombenanschlag auf einen Pendlerzug im Nordkaukasus mit 45 Toten, ein Anschlag auf die FSB-Zentrale in Inguschetien mit 4 Toten, Selbstmordattentate am Rande eines Moskauer Rock-Festivals, einen Attentatsversuch auf ein Restaurant in der Moskauer Innenstadt und einen Anschlag vor dem Hotel National im Zentrum Moskaus mit 6 Toten (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 7). Auch Tschetschenien selbst blieb von Anschlägen nicht verschont. In Snamenskoje im Norden Tschetscheniens forderte ein Sprengstoffanschlag auf ein Verwaltungsgebäude 60 überwiegend zivile Todesopfer, in Ilischan-Yurt erfolgte ein Selbstmordanschlag auf eine von tausenden Pilgern besuchte Feier mit 16 Toten und 140 Verletzten (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien - Das russische Militär, November 2003, S. 14). Darüber hinaus folterten und ermordeten tschetschenische Banden und Rebellen russische Soldaten und kooperationswillige Tschetschenen, verschleppten und vergewaltigten Frauen und führten Plünderungen durch. Im Juni 2004 griffen tschetschenische "Rebellen" die Nachbarrepublik Inguschetien an, wobei sie mehrere Polizeistationen, Posten der Verkehrspolizei und eine Kaserne von Grenzsoldaten umringt haben und alle Anwesenden erschossen, darunter den inguschetischen Innenminister, einen seiner Stellvertreter, den Gesundheitsminister und 47 Sicherheitskräfte. Im August führten etwa 300 Kämpfer einen generalstabsmäßig geplanten schweren Angriff auf die föderalen Kräfte in Grosny durch und griffen Abteilungen des Innenministeriums sowie mehrere Wahllokale an. Zahlreiche Soldaten, Polizisten, Rebellen und Zivilpersonen wurden getötet (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2004, S. 10). Im September 2004 erfolgte der Anschlag auf eine Schule in Beslan (Nordossetien-Alanien), der zu mehr als 430 zivilen Todesopfern führte und zu dem sich tschetschenische Kämpfer bekannt haben (vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 22. Oktober 2004, S. 1).

Insgesamt ist festzustellen, dass es sowohl auf Seiten der föderalen Kräfte im Zusammenwirken mit ihren tschetschenischen Verbündeten als auch auf Seiten der tschetschenischen Widerstandskämpfer zu Maßnahmen gekommen ist und, in geringerem Umfang, weiter kommt, die meist als asylerhebliche Eingriffe einzuordnen sind.

Ein Verfolgungsprogramm des Russischen Staates ist jedoch auch in den Jahren 2002 bis 2004 nicht zu erkennen. Eine Vertreibung aller Tschetschenen aus ihrer Heimatregion beabsichtigt der russische Staat offensichtlich nicht, denn er versucht im Gegenteil, die in die anderen russischen Republiken, insbesondere nach Inguschetien geflüchteten Tschetschenen zur Rückkehr zu bewegen, indem ihnen Aufbauhilfen zugesagt werden und die Versorgung der Flüchtlingslager eingeschränkt wird (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 14, Auskunft an den Bayerischen VGH vom 12. Januar 2003; Bundesamt, Inform ationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation - Tschetschenienkonflikt, Juli 2004, S. 13; Memorial, Stellungnahme von Dezember 2002, S. 53).

Ein staatliches Programm zur Verfolgung von Tschetschenen ist auch nicht darin zu sehen, dass sich der russische Präsident Putin der massiven Bekämpfung des Terrorismus verschrieben hat, denn dieses Ziel verfolgt er unabhängig von der Volkszugehörigkeit der mutmaßlichen Terroristen und über die Grenzen der Russischen Föderation hinaus (vgl. Die Zeit, Presseartikel vom 16. September 2004).

Die Übergriffe selbst sind nach wie vor schwerwiegend. Auch wenn sie in ihrem mehrjährigen Geschehen betrachtet werden, bleiben es weiterhin Einzelfälle, deren Häufigkeit seit dem Jahr 2003 zurückgegangen ist. Nach Zahl und Intensität reichen sie im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nicht aus, die für die Regelvermutung erforderliche Dichte der Verfolgungsschläge zu belegen; zum Teil sind sie nicht einmal dem Staat zurechenbar, soweit sie von den sog. "Widerstandskämpfern" ausgehen. Auch insoweit sind sie in ein Verhältnis zur Gesamtbevölkerung zu setzen. Zur Bevölkerungsentwicklung selbst ist festzustellen: Zwar sind anlässlich des 2. Tschetschenienkrieges wiederum ca. 190.000 Menschen in die Nachbarländer und die anderen Republiken der Russischen Föderation geflüchtet (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Der Tschetschenien-Konflikt, Juni 2002, S. 7, 8). Mittlerweile ist jedoch eine große Zahl der Flüchtlinge nach Tschetschenien zurückgekehrt (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Juli 2004, S. 9; UNHCR, Stellungnahme vom 22. Oktober 2004, S. 1). Angesichts dieser Rückkehr wird die Bevölkerungszahl in Tschetschenien wieder erheblich gestiegen sein. Genaue Angaben werden derzeit von keiner Seite gemacht. Eine Volkszählung im Oktober 2002 hat nach offiziellen Angaben eine Bevölkerungszahl von etwas mehr als einer Million ergeben; diese Zahl wird indessen von unabhängigen Beobachtern und Organisationen stark angezweifelt (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 13). Festgestellt wurde jedoch, dass allein aus Inguschetien im März und April 2004 nahezu 10.000 Personen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Juli 2004, S. 9, 10), im Juli 2004 etwa 3.300 Personen organisiert nach Tschetschenien zurückgekehrt sind. Darüber hinaus haben mehrere Hundert Binnenflüchtlinge Inguschetien auf eigene Faust in Richtung Tschetschenien verlassen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2004, S. 7). Die erheblichen Rückkehrerzahlen zeigen, dass jedenfalls eine Aufwärtsentwicklung festzustellen ist; zu den zuletzt geschätzten Bewohnern von etwa 600.000 (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24. Mai 2004, S. 15) dürften deshalb mehrere 10.000 Personen wieder hinzugekommen sein.

Von einer potentiellen Gefährdung jedes Tschetschenen lässt sich daher angesichts des Umfangs der bekannt gewordenen Geschehnisse (s. o.) nicht sprechen. Die Rückkehr von Flüchtlingen - auch wenn sie von russischer Seite dazu gedrängt werden - zeigt im Übrigen, dass tschetschenische Volkszugehörige selbst die Gefahr, Opfer eines asylerheblichen Übergriffs durch die russischen Streitkräfte oder die tschetschenische Miliz zu werden, nicht mehr so drastisch sehen dürften.

Auch im Übrigen gibt es Anzeichen, dass sich die Lage in Tschetschenien langsam normalisiert. So verkehrt seit Mai 2004 wieder zweimal wöchentlich ein Personenzug zwischen Moskau und Grosny. Zahlreiche militärische Kontrollposten in Grosny und anderen Landesteilen sollen abgebaut oder der Straßenpolizei zur Nutzung überlassen worden sein (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Juli 2004, S. 6, 11). Im August 2004 wurde zwischen der tschetschenischen Regierung und dem Energiekonzern UES ein Vertrag zur Wiederherstellung der Stromversorgung in Tschetschenien unterzeichnet. Die Arbeitslosenquote liegt allerdings nach Angaben des Präsidenten bei über 75 % (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Tschetschenien-Konflikt, Oktober 2004, S. 6), mithin dürften die Existenzschwierigkeiten nach wie vor erheblich sein.

V.

Selbst wenn Tschetschenen eine Rückkehr in ihre Heimatregion Tschetschenien aufgrund der derzeit dort herrschenden Verhältnisse nicht zumutbar sein sollte, hätten sie in der Russischen Föderation auch heute und in absehbarer Zukunft noch hinreichende Fluchtalternativen.

Den Klägern steht es frei, sich außerhalb Tschetscheniens niederzulassen. Das Registrierungssystem sperrt nicht praktisch diese Möglichkeit. Art. 27 der Russischen Verfassung garantiert das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnortes. Das "Gesetz über das Recht der Bürger auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb der Russischen Föderation" vom 25. Juni 1993 schränkt mit dem eingeführten Registrierungswesen in mehreren Städten und Regionen allerdings ein (vgl. AA, Auskunft an das VG Frankfurt/Oder vom 25. November 1996; UNHCR, Stellungnahme vom Januar 2002, S. 9 f.); ein speziell Tschetschenen treffendes System der Registrierung liegt darin nicht, vor allem wirkt es nicht landesweit. Vielmehr wurde damit das aus Sowjet-Zeiten stammende "Propiska- System " abgeschafft, das die Polizeibehörden ermächtigte, den Bürgern den Aufenthalt oder die Niederlassung an einem bestimmten Ort zu verwehren; viele Regionalbehörden wenden jedoch weiter restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Dieses ist in großem Maße in den von Flüchtlingen und Vertriebenen bevorzugten Gebieten wie Moskau und St. Petersburg der Fall, die ihren lokalen Arbeitsmarkt schützen, Kontrolle über interne Migrationsbewegungen ausüben und die Ansiedlung wirtschaftlich und politisch unerwünschter Migranten verhindern wollen (vgl. UNHCR, Stellungnahme vom Januar 2002, S. 10). Insbesondere Tschetschenen und andere kaukasisch aussehende Personen sind insgesamt von dem rigiden Zuzugssystem betroffen und werden häufig erst nach Zahlung von Bestechungsgeldern oder Intervention einflussreicher Persönlichkeiten registriert (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 19).

Diese restriktive Handhabung der Registrierung ist Folge der in der Russischen Föderation allgemein herrschenden schlechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die zu einem Zuwanderungsdruck von Russen aus anderen GUS- Republiken sowie innerhalb der Russischen Föderation in die Großstädte und wirtschaftlichen Ballungszentren geführt hat. Insbesondere in Moskau und St. Petersburg ist es für Zuwanderer nahezu unmöglich, sich legal aufzuhalten. Die restriktive Registrierungspraxis ist jedoch nicht auf diese Orte beschränkt. Nach einer Auskunft von amnesty international (an den Bayerischen VGH vom 16. April 2004) ist sie darüber hinaus in den Regionen Nischni Nowgorod, Kaliningrad, Stawropol, Krasnodar, Karbadino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien- Alanien bekannt, Gebieten, in denen Tschetschenen sich bevorzugt niederlassen.

Personen ohne die erforderliche Registrierung haben keinen Anspruch auf die ohnehin sehr eingeschränkte staatliche Unterstützung im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen sowie Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Ohne Registrierung können Tschetschenen deshalb meist nur in solchen Zuzugsbeschränkungen unterliegenden Regionen leben, wenn sie auf ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten zurückgreifen können. Angesichts der großen tschetschenischen Diaspora insbesondere in Inguschetien, Dagestan, Stavropol Kray, Volgograd Oblast, Kalmykiya, Astrakhan Oblast, Saratov Oblast, Tyumen Oblast, Nordossetien, Alania und Moskau sind die Möglichkeiten dazu häufig gegeben. So lebten schon vor dem Zuzug von Flüchtlingen aufgrund des zweiten Tschetschenien-Krieges beispielsweise in Moskau nach Angaben von Bundesbehörden mehrere Hunderttausende ethnischer Tschetschenen, in Dagestan ca. 60.000, in St. Petersburg und Umgebung ca. 18.000 bis 20.000, in der Region Rostov 40.000 bis 45.000 Tschetschenen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation - Checklist Tschetschenien - August 2003, S. 6 - 8).

Es gibt hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass Tschetschenen landesweit die Registrierung versagt wird. Angesichts der Größe der Russischen Föderation kann auch nicht aus der Registrierungspraxis in den Großstädten und einigen Regionen darauf geschlossen werden, dass diese Handhabung im gesamten Land praktiziert wird (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 24. April 2003 - 1 LB 212/01 - UA S. 25). Es finden sich auch Regionen, in denen eine Registrierung zur Wohnsitznahme nicht erforderlich ist, die keine örtlichen Vorschriften zur Registrierung erlassen haben oder solche nicht restriktiv anwenden (AA, Auskünfte an das OVG Rheinland-Pfalz vom 19. Januar 2004, an den Bayerischen VGH vom 12. November 2003, an das BAFl vom 22. Januar 2003). Tschetschenen, denen ein Unterkommen mangels verwandtschaftlicher Beziehungen in den von ihnen bevorzugt besiedelten Gebieten nicht möglich ist, können deshalb in Gebiete außerhalb der genannten Regionen ausweichen, in denen ihnen eine Registrierung nicht versagt wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, bei Verweigerung der Registrierung die Hilfe von Mitgliedern der Organisation "Memorial" in Anspruch zu nehmen und eine Registrierung unter Umständen gerichtlich durchzusetzen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation hat die erheblichen lokalen Abweichungen unterliegende Registrierungspraxis bereits mehrfach als rechtswidrig deklariert (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 19; Auskunft des UNHCR an den Bayerischen VGH vom 29. Oktober 2003). Auch haben das Verfassungsgericht und das oberste Gericht der Russischen Föderation einige Entscheidungen zur Registrierung zugunsten der Bürger getroffen (vgl. Stellungnahme des Menschenrechtszentrums "Memorial", Dezember 2002, S. 17).

Die inländische Fluchtalternative scheitert auch nicht am fehlenden Existenzminimum. Das Existenzminimum der Flüchtlinge in der Russischen Föderation ist grundsätzlich gesichert. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist schlecht, aber auf niedrigem Niveau gewährleistet. Die Versorgung der Flüchtlinge entspricht der allgemein schlechten Lebenssituation der Mehrheit der russischen Bevölkerung (vgl. AA, Lagebericht Russische Föderation vom 26. März 2004, S. 18, 19).

Die Gebiete, in denen eine inländische Fluchtalternative offen steht, sind für die Kläger auch erreichbar. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht dorthin gelangen könnten oder etwa gar mit einer zwangsweisen Rückführung nach Tschetschenien rechnen müssten (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 19).

Im Übrigen dürfte nach wie vor auch Inguschetien als inländische Fluchtalternative offen sein. Die seit Herbst 2003 erfolgende sukzessive Schließung der Flüchtlingslager in Inguschetien steht dem nicht entgegen. Zwar üben die russischen Behörden Druck auf die Flüchtlinge aus, um sie zur Rückkehr nach Tschetschenien zu bewegen, in dem sie Kompensationsleistungen für erlittene Kriegsschäden versprechen, ankündigen, wer zu spät komme, erhalte keine staatliche Hilfe mehr, und wer zurückbleibe, werde als Widerstandskämpfer betrachtet. Dennoch sind zahlreiche Flüchtlinge der Aufforderung zur Rückkehr nicht gefolgt. So sind aus dem Lager "Sputnik", das am 1. April 2004 geschlossen wurde, nur die Hälfte der Bewohner, aus dem Lager "Bart" nach der Schließung am 1. März 2004 sogar nur 23 % der Bewohner nach Tschetschenien zurückgekehrt. Die zurückgebliebenen Flüchtlinge sind dann in andere Massenunterkünfte gelangt oder haben eine private Unterkunft gefunden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme vom 24. Mai 2004, S. 17, 18). Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass sich von den im Sommer 2002 in Inguschetien registrierten 150.000 tschetschenischen Flüchtlingen etwa 2/3 bei Gastfamilien oder in improvisierten Unterkünften aufhielten und nur 1/3 in Zeltlagern. Ende November 2003 haben nur noch 7000 Flüchtlinge in drei Zeltlagern gelebt, etwa 60.000 hingegen in provisorischen und privaten Unterkünften (vgl. AA, Ad hoc-Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 13). Neueste Zahlen des Bundesamtes ergeben, dass im August 2004 in Inguschetien noch 49.000 Flüchtlinge lebten, 22.000 in Übergangsunterkünften und 27.000 in angemieteten Wohnungen (vgl. Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation - Tschetschenienkonflikt, Oktober 2004, S. 7, 8). Zwangsweise Rückführungen nach Tschetschenien sind nicht bekannt geworden (vgl. AA, Ad hoc- Bericht Tschetschenien vom 16. Februar 2004, S. 14, Auskunft an den Bayerischen VGH vom 12. November 2003; Bundesamt, Informationszentrum Asyl und Migration, Russische Föderation - Tschetschenienkonflikt, Juli 2004, S. 13).

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass in Inguschetien das wirtschaftliche Existenzminimum der Kläger nicht gewährleistet ist. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur Lage im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger verwiesen werden, an der sich ausweislich der Auskunftslage nichts wesentlich geändert hat (vgl. nur AA, Ad hoc-Bericht vom 16. Februar 2004, S. 13). Die Versorgungslage ist weiterhin sehr schlecht, Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe gewährleisten. Von zahlreichen internationalen Hilfsorganisationen wird jedoch vielfältige Unterstützung geleistet. So soll die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" in der inguschetischen Stadt Sleptsowskaja 180 Häuser gebaut haben, um sie den Flüchtlingen als Alternative zu den Zeltlagern zur Verfügung zu stellen. Die russischen Behörden haben allerdings zunächst verhindert, dass die Häuser bezogen und noch weitere gebaut wurden (ai, Auskunft an den Bayerischen VGH vom 16. April 2004).

C.

Abschiebungshindernisse hat der Senat nicht zu prüfen.

Das Verwaltungsgericht hat dazu zwar nach dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag im Urteil entschieden und das Rechtsschutzinteresse für die Klage insoweit verneint, obwohl die Kläger bereits mit Schriftsatz vom 4. Februar 2002 die Verpflichtungsklage zur Feststellung von Abschiebungsschutz gemäß § 53 AuslG zurückgenommen hatten.

Zu einer Entscheidung über diesen Streitgegenstand war das Gericht wegen des Rangverhältnisses des Abschiebungsschutzes nach § 51 AuslG einerseits und der Hilfsanträge nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG und § 53 Abs. 6 AuslG andererseits nicht mehr befugt, nachdem es der Klage hinsichtlich § 51 Abs. 1 AuslG stattgegeben hatte (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2002 - 1 C 17/01 - BVerwGE 116, 326 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 62 = NVwZ 2003, 356). Auch in der Berufungsinstanz ist dieses Hilfsbegehren nicht etwa wegen des Rechtsmittels der Beklagten angefallen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2000 - 9 B 144/00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 36). Die Rücknahme der Klage hat die Rechtshängigkeit der Schutzansprüche der Kläger nach § 53 AuslG entfallen lassen, so dass sie als Hilfsanträge auch nicht mehr Gegenstand des Verfahrens werden konnten. Vielmehr steht zwischen den Beteiligten bestandskräftig fest, dass die Kläger einen weitergehenden Abschiebungsschutz gemäß § 53 AuslG nicht beanspruchen können.

D.

Über die Kosten des Verfahrens war insgesamt neu zu befinden.

Für die Kostenlast ist zwischen dem ersten und zweiten Rechtszug zu differenzieren.

Für die erste Instanz kann der Kostenausspruch hinsichtlich der Streitgegenstände, über die rechtskräftig entschieden ist, nicht aufrechterhalten bleiben, nachdem das Verwaltungsgericht pauschal die Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 kostenbelastet hat, ohne die Grundlagen für das teilweise Obsiegen bzw. Unterliegen quotenmäßig auszuweisen (Asylanspruch nach Art. 16a GG, Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG, Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG). Die Kostenentscheidung war nach dem Gebot der Einheitlichkeit neu zu treffen. Danach fallen die Kosten anteilig den Klägern gemäß § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Satz 1 ZPO zur Last.

Für die zweite Instanz war maßgebend, dass die Beklagte mit ihrer auf den Abschiebungsschutz der Kläger nach § 51 AuslG beschränkten Berufung erfolgreich war, so dass die außergerichtlichen Kosten der Beklagten den Klägern ebenso jeweils zu je 1/3 zur Last fallen. Nachdem der Bundesbeauftragte sich als Rechtsmittelführer auf der Seite der Beklagten ebenso mit einem eigenen Antrag auf Abänderung des erstinstanzlichen Urteils beteiligt hat und mit seiner unzulässigen Anschlussberufung unterlegen ist, war es nach § 154 Abs. 2 VwGO geboten, ihn an den außergerichtlichen Kosten der Kläger in dieser Instanz hälftig zu beteiligen.

Im Übrigen haben die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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