Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: 4 EO 551/03
Rechtsgebiete: VwGO, ThürKGG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
ThürKGG § 37
ThürKGG § 41 Abs. 5
Die Rückabwicklung gegenseitiger Rechte und Pflichten verschiedener Hoheitsträger aus einem fehlgeschlagenen Vertragsverhältnis (hier: Mitgliedschaft einer Gemeinde in einem Zweckverband) kann nicht einseitig durch Verwaltungsakt erfolgen, sofern hierfür keine normative Ermächtigungsgrundlage besteht.

Eine derartige Ermächtigungsgrundlage ergibt sich weder aus § 37 ThürKGG noch aus § 41 Abs. 5 ThürKGG.


THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Beschluss

4 EO 551/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Verfassung, Verwaltung und Organisation der Gemeinden und Gemeindeverbände/kommunalen Gebietskörperschaften,

hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Blomenkamp und den an das Gericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Becker

am 15. Oktober 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gera vom 26.05.2003 - 2 E 331/03 GE - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 37.900,94 € festgesetzt.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Nachprüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, können die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage stellen.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 21.02.2003 für sofort vollziehbar erklärte Aufforderung zur Begleichung einer "Ausgleichsverbindlichkeit" in Höhe von 151.603,74 € wiederhergestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Antragsgegner als Zweckverband nicht die Befugnis zustehe, die Ausgleichsverbindlichkeit durch Bescheid einzufordern. Die Befugnis zur Geltendmachung einer Ausgleichsverbindlichkeit gegenüber einer Gemeinde, die nie wirksam Mitglied des Zweckverbandes geworden sei, ergebe sich weder aus § 41 Abs. 5 des Thüringer Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit -ThürKGG- in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.10.2001 (GVBl. S. 290) noch aus § 37 ThürKGG. Eine Verwaltungsaktbefugnis könne auch nicht im Wege der Auslegung ermittelt werden, weil zwischen dem Zweckverband und der nicht Verbandsmitglied gewordenen Gemeinde kein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehe. Vielmehr knüpfe ein zu regelnder Ausgleich zwischen einem im Wege zum Zweckverband "stecken gebliebenen" Vorverband und dessen Mitglied an eine auf der Ebene der Gleichordnung zwischen den Beteiligten vollzogene Rechtsbeziehung an.

Demgegenüber macht der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Eilentscheidung den gerichtlichen Prüfungsmaßstab überspannt. Die Klärung der Frage, wie ein Zweckverband seinen Finanzbedarf deckt, der durch das Ausscheiden eines Mitgliedes aus dem zunächst bestehenden "Vorverband" entstanden sei, sei eine bisher nicht von der Rechtsprechung entschiedene, schwierige Frage, deren Beantwortung nicht Aufgabe des Eilverfahrens sein könne. Im hiesigen Eilverfahren sei deshalb nur Raum für eine grobe Einschätzung der Erfolgsaussichten und ggfs. eine Interessenabwägung, bei der auch die gesetzgeberische Wertung zu akzeptieren sei, dass die Deckung des Finanzbedarfs eines Zweckverbandes durch Zahlungsbescheide gegenüber seinen Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern des "Vorverbandes" gesichert werden solle. Schließlich sei der Antragstellerin ein erhebliches Anlage- und Umlaufvermögen übertragen worden, um der Antragstellerin eine zeitnahe ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung zu ermöglichen. Dies hätte nicht geschehen können, wenn der Antragsgegner seine Ausgleichsforderung zunächst mit der Leistungsklage hätte verfolgen und erst einen sicher über Jahre andauernden Rechtsstreit hätte abwarten müssen.

Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO ist weder hinsichtlich des angewandten Prüfungsmaßstabs noch hinsichtlich der Beurteilung des voraussichtlichen Erfolgs des Rechtsbehelfs der Antragstellerin in der Hauptsache zu beanstanden. Insbesondere ist § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dem Vollzugsinteresse eines Zweckverbandes aus Gründen der Sicherung seines Finanzbedarfs gegenüber ehemaligen Mitgliedern einen Vorrang bei der zu treffenden Interessenabwägung einzuräumen. Die fehlende aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin beruht vorliegend nicht auf gesetzlicher Vorgabe (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 3 VwGO), sondern auf behördlicher Anordnung. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO ist die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, dessen sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO behördlich angeordnet worden ist, wiederherzustellen, wenn es an den formellen Begründungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO fehlt oder in materieller Hinsicht das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides das private Aufschubinteresse des Betroffenen nicht überwiegt. Ein überwiegendes öffentliches Interesse kann nicht angenommen werden, wenn die besondere Eilbedürftigkeit zu verneinen oder der Bescheid offensichtlich nicht rechtmäßig ist (vgl. den Senatsbeschluss vom 16.12.2002 -4 EO 866/02- ThürVGRspr. 2003, 135 = ThürVBl. 2003, 132 = KStZ 2003, 114). In Übereinstimmung mit diesem Prüfungsmaßstab hat das Verwaltungsgericht den Rechtsbehelf der Antragstellerin in der Hauptsache für voraussichtlich erfolgreich gehalten, weil im Eilverfahren keine Ermächtigungsgrundlage für den erlassenen Bescheid ersichtlich war. Die vom Antragsgegner im Beschwerdevorbringen zitierte Rechtsprechung des Senats, wonach die Klärung grundsätzlicher und schwieriger Rechtsfragen nicht Aufgabe des Eilverfahrens sein kann (Senatsbeschluss vom 23.04.1998 -4 EO 6/97- ThürVGRspr. 1998, 117 = ThürVBl. 1998, 184= LKV1999, 70), steht dem nicht entgegen. Zum Einen betrifft diese Entscheidung die Rechtmäßigkeitsprüfung des Gerichts in abgabenrechtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. i. V. m. Abs. 4 Satz 3 VwGO. Zum Anderen hat sich das Verwaltungsgericht lediglich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs der Antragstellerin in der Hauptsache geäußert und keine schwierigen Rechtsfragen abschließend geklärt.

Soweit der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats geltend macht, ein Zweckverband stehe den Gemeinden in hoheitlicher Überordnung gegenüber und seine Befugnis zur Anforderung der Ausgleichsverbindlichkeit durch Verwaltungsakt ergebe sich aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Behörden in hoheitlichen Über- und Unterordnungsverhältnissen im Zweifel auch dann zum Erlass von Verwaltungsakten befugt sind, wenn eine solche Befugnis nicht ausdrücklich geregelt ist, verkennt er den Inhalt der zitierten Senatsentscheidung. Denn in dieser Entscheidung (Beschluss vom 16.12.2002 - 4 ZEO 4/02 - ThürVBl. 2003, 109 = LKV 2003, 290) hat der Senat die Befugnis eines Zweckverbandes zur Erhebung einer Verbandsumlage durch Verwaltungsakt aus einer ausdrücklichen landesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hergeleitet und gerade nicht darauf erkannt, dass zwischen einem Zweckverband und seiner Mitgliedsgemeinde ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehe. Vielmehr hat der Senat in der Entscheidung genau im Gegenteil ausgeführt, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Zweckverband und seiner Mitgliedsgemeinde auf einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung der Mitgliedsgemeinden und mithin auf der Ebene der Gleichordnung begründet wurde.

Überdies trifft die o. g. Entscheidung keine Aussage über die Art des Rechtsverhältnisses zwischen einer Gemeinde, die nie wirksam Mitglied eines Zweckverbandes geworden ist, und dem Antragsgegner, der dieser Gemeinde gegenüber als nunmehr wirksam gewordener Zweckverband und als Rechtsnachfolger eines zuvor nicht wirksam gegründeten "Vorverbandes" auftritt und Ausgleichsansprüche für die Übertragung von Vermögenswerten geltend macht. Der Senat vermag ebenso wenig wie das Verwaltungsgericht zu erkennen, dass betreffend diesen Vermögensausgleich zwischen zwei selbstständigen öffentlichrechtlichen Körperschaften und Hoheitsträgern ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehen soll. Es kann daher offen bleiben, ob sich die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes - wie der Antragsteller meint - allein aus einem Über- und Unterordnungsverhältnis ergeben kann (vgl. hierzu etwa Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Auflage 1994, Rn. 13 f. zu § 45).

Es geht hier in der Sache vielmehr um die Rückabwicklung eines fehlgeschlagenen öffentlich-rechtlichen Vertrages, nämlich einer nicht wirksam gewordenen Vereinbarung verschiedener Gemeinden zum Zusammenschluss als Zweckverband im Sinne der §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 ThürKGG. Ebenso wie die durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag begründeten Pflichten grundsätzlich nicht durch den Erlass von Verwaltungsakten durchgesetzt werden dürfen (so bereits der angeführte Senatsbeschluss vom 16.12.2002 -4 ZEO 4/02- a.a.O.), kann auch die Rückabwicklung gegenseitiger Rechte und Pflichten verschiedener Hoheitsträger aus einem fehlgeschlagenen Vertragsverhältnis nicht durch einseitigen Verwaltungsakt erfolgen, sofern hierfür keine normative Ermächtigungsgrundlage besteht. Eine derartige Ermächtigungsgrundlage zur Rückabwicklung einer fehlgeschlagenen Zweckverbandsgründung durch Verwaltungsakt ist nicht ersichtlich.

Offenkundig scheidet zunächst die Regelung des § 37 ThürKGG über die Erhebung der Verbandsumlage durch einen Zweckverband gegenüber seinen Mitgliedsgemeinden in diesem Zusammenhang aus. Denn eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheitert bereits daran, dass der geltend gemachte Ausgleichsanspruch in seiner Rechtsnatur und seinem Umfang nicht mit einer Verbandsumlage vergleichbar ist: Die in § 37 Abs. 1 Satz 1 ThürKGG geregelte Verbandsumlage soll nicht den Finanzbedarf ausgleichen, der einem Zweckverband durch das Ausscheiden eines tatsächlichen oder vermeintlichen Mitglieds entsteht, sondern dient der Deckung des Finanzbedarfs eines Zweckverbandes, dessen Einnahmen aus besonderen Entgelten und sonstigen Einnahmen nicht ausreichen. Sie wird gemäß §§ 17 Abs. 2 Nr. 5, 37 Abs. 2 ThürKGG nach einem in der Verbandssatzung zu regelnden Umlegungsschlüssel gegenüber allen Verbandsmitgliedern erhoben, die den Zweckverband mit der Erfüllung bestimmter Aufgaben betraut haben. Demgegenüber macht der Antragsgegner mit dem geforderten Ausgleichsanspruch gegenüber einer einzigen Gemeinde Ansprüche geltend für die Rückübertragung von Vermögenswerten und die Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben, die ihm nicht wirksam übertragen wurden. Die Rechtsnatur dieses Anspruchs hat keinerlei Umlagecharakter.

Auch aus einer unmittelbaren oder analogen Anwendung des § 41 Abs. 5 ThürKGG ergibt sich keine normative Ermächtigungsgrundlage für die Geltendmachung der Ausgleichsforderung des Antragsgegners durch Verwaltungsakt. Diese Vorschrift gilt unmittelbar nur für die Auseinandersetzung eines rechtlich existenten Zweckverbandes mit einer Gemeinde, die zunächst wirksam Mitglied des Zweckverbandes geworden und später aus diesem ausgeschieden ist, beispielsweise durch Ausschluss oder Kündigung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 5 ThürKGG. Bereits diese Voraussetzungen liegen betreffend die Antragstellerin nicht vor, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nie Verbandsmitglied des Antragsgegners war. Es kommt im Beschwerdeverfahren auch nicht darauf an, ob § 41 Abs. 5 ThürKGG auf einen nicht existent gewordenen Zweckverband entsprechend anwendbar wäre oder ob ein nicht wirksam gegründeter Zweckverband öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger sein kann. Dabei lässt der Senat offen, ob der vom Antragsgegner angeführten Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden zu folgen ist, wonach es sich bei einem nicht wirksam gegründeten Zweckverband nicht um ein "öffentlich-rechtliches nullum", sondern um einen teilrechtsfähigen "Abwicklungszweckverband" handele, der nur nach den Regeln über die Auflösung des Zweckverbandes wieder beendet werden könne (vgl. VG Dresden, Urteil vom 05.07.2000 - 14 K 3910/99 -). Der Antragsgegner hat schon nicht dargelegt, inwiefern sich aus § 41 Abs. 5 Satz 2 ThürKGG eine gesetzliche Befugnis für einen Zweckverband ergeben soll, gegenüber ausscheidenden Verbandsmitgliedern Ansprüche im Zusammenhang mit der gebotenen Auseinandersetzung durch Verwaltungsakt geltend machen zu können. Diese Vorschrift sieht lediglich vor, die Verbandssatzung könne im Falle des Ausscheidens eines Verbandsmitgliedes vorschreiben, dass mit dem ausscheidenden Verbandsmitglied eine Auseinandersetzung stattzufinden habe. Aus dieser Ermächtigung für den Erlass von Auseinandersetzungsregelungen in der Verbandssatzung folgt aber noch nicht, welche gegenseitigen Ansprüche bei dieser Auseinandersetzung bestehen und wie diese geltend zu machen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 14 GKG i. V. m. §§ 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei legt der Senat in Anlehnung an den "Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit" (Abschnitt I Ziffer 7, DVBl. 1996, S. 605 ff.) in Verfahren gegen einen auf eine bezifferte Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt den Wert der geforderten Geldleistung (151.603,74 €) zu Grunde und ermäßigt diesen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf ein Viertel.

Hinweis:

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück