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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 4 KO 96/03
Rechtsgebiete: GG, ThürVwVfG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
ThürVwVfG § 2 Abs. 2 Nr. 1 idFv 25.11.2004
ThürVwVfG § 2 Abs. 2 Nr. 1
ThürVwVfG § 96a Abs. 1 idFv 25.11.2004
ThürVwVfG § 80
Nach der für Altverfahren nach Maßgabe der Übergangsregelung des § 96 a Abs. 1 ThürVwVfG i.d.F. des ÄndG vom 25.11.2004 (GVBl. S. 853) noch maßgeblichen früheren Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG war die Anwendung des § 80 ThürVwVfG im isolierten kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren ausgeschlossen; der Widerspruchsführer hatte danach bei erfolgreichem Abschluss eines kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahrens keinen Anspruch auf Kostenerstattung.
THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT - 4. Senat - Im Namen des Volkes Urteil

4 KO 96/03

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Erschließungsbeiträge n , hier: Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens

hat der 4. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Aschke und die Richter am Oberverwaltungsgericht Gravert und Dr. Hinkel am 17. Januar 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 2. November 2000 - 3 K 1987/97.We - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Erstattung der Anwaltskosten, die ihnen in einem abgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren entstanden sind, das mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch die Beklagte endete, dem somit kein verwaltungsgerichtliches Verfahren nachgefolgt ist.

Mit Bescheid vom 10.10.1994 zog die Beklagte die Kläger zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für das Gewerbe- und Sondergebiet Weimar-Süßenborn in Höhe von 297.050,- DM heran. Auf den Widerspruch der Kläger vom 25.10.1994 hob die Beklagte letztlich ihren Bescheid vom 10.10.1994 mit Bescheid vom 18.03.1996 auf. Der Aufhebungsbescheid vom 18.03.1996 enthielt keine Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Am 07.08.1996 beantragten die Kläger bei der Beklagten, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären und der Beklagten die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen. Eine Entscheidung hierüber erging nicht.

Die am 29.09.1997 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 02.11.2000 - 3 K 1987/97.We - abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, den Klägern stehe weder ein Anspruch auf Entscheidung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens gemäß § 80 Abs. 1 des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes - ThürVwVfG - noch auf den Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 80 Abs. 2 ThürVwVfG zu. Denn die Anwendbarkeit des § 80 ThürVwVfG sei hier gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG ausgeschlossen, weil in diesem Verfahren Rechtsvorschriften der Abgabenordnung - AO 1977 - anzuwenden seien. Der Ausgangsbescheid der Beklagten habe Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag und damit Abgaben im Sinne des § 1 Abs. 2 des Thüringer Kommunalabgabengesetzes - ThürKAG - betroffen. Auf dieses Verfahren seien gemäß § 15 ThürKAG einzelne Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden. § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG schließe die Anwendbarkeit der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht nur für das Ausgangsverfahren, sondern auch für das Widerspruchsverfahren aus. Der Ausschluss beziehe sich auch nicht lediglich auf die Verfahrensabschnitte, für die kraft der Verweisung des § 15 ThürKAG die dort im Einzelnen benannten Bestimmungen der Abgabenordnung Anwendung fänden. Auch eine analoge Anwendung des § 80 ThürVwVfG scheide mangels einer Regelungslücke aus. Ein Kostenerstattungsanspruch sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zwingend geboten.

Mit Beschluss vom 03.02.2003 - 4 ZKO 952/00 - hat der Senat auf Antrag der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Berufung vor, entgegen der nur am Wortlaut orientierten Auslegung des §2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG durch das Verwaltungsgericht müsse die Vorschrift einschränkend ausgelegt werden. Das ergebe sich daraus, dass § 15 ThürKAG hinsichtlich der Rechtsmittel gegen Abgabenbescheide nicht auf die §§ 347 ff. AO 1977 verweise. Vielmehr seien die allgemeinen Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO für das Vorverfahren anwendbar. Da ein Vorverfahren zwingend erforderlich sei, müsse der Gesetzgeber auch eine Regelung über dessen Kosten treffen. Die einzige Regelung, auf die zurückgegriffen werden könne, sei § 80 ThürVwVfG. Zumindest sei aber von einer Regelungslücke auszugehen, die durch analoge Anwendung des § 80 ThürVwVfG zu schließen sei. Der Ausschluss durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG gelte nur für solche Verfahrensbereiche, in denen die kraft der Verweisung in § 15 ThürKAG im einzelnen benannten Bestimmungen der Abgabenordnung tatsächlich Anwendung finden. Auch der Senat habe bereits entschieden, dass § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG nicht zwingend die Anwendung einzelner Vorschriften des Gesetzes ausschließe und habe die Anwendbarkeit des § 61 ThürVwVfG in einem abgabenrechtlichen Verfahren zugelassen. Die Anwendbarkeit des § 80 ThürVwVfG sei auch im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes des Bürgers geboten. Der Bürger sei in abgabenrechtlichen Angelegenheiten in besonderem Maße schutzbedürftig, weil er regelmäßig nicht in der Lage sei, seine Rechte selbst im erforderlichen Maße wahrzunehmen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Weimar vom 02.11.2000 - 3 K 1987/97.W e - die Beklagte zu verpflichten, eine Kostenentscheidung zu erlassen, nach der sie die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 10.10.1994 zu tragen hat, und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf den Erlass der begehrten Entscheidungen über Grund und Umfang der Kosten des Verfahrens über ihren Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.10.1994, weil ihnen ein Erstattungsanspruch gemäß § 80 ThürVwVfG nach der bis zum 02.12.2004 bestehenden und hier noch maßgeblichen Rechtslage nicht zusteht und auch auf Grund anderer Vorschriften ein Anspruch auf Erstattung von Kosten im isolierten abgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren nicht besteht.

Hebt die Ausgangsbehörde einen Verwaltungsakt im Widerspruchsverfahren im Wege der Abhilfeentscheidung auf, so hat sie zunächst nach § 72 VwGO über die Kosten zu entscheiden (Kostengrundentscheidung). Eine solche Kostengrundentscheidung ist hier im Abhilfebescheid der Beklagten vom 10.10.1994 nicht getroffen worden. Grundsätzlich kann zwar eine unterbliebene Kostengrundentscheidung im Wege der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO durchgesetzt werden, zumal sie Voraussetzung für eine Kostenfestsetzung nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 bis 3 ThürVwVfG ist. Für eine Klage auf Erlass einer Kostengrundentscheidung fehlt aber das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, wenn sie für den Kläger keinerlei Nutzen hat, weil weder Kosten des Verfahrens von ihm gefordert werden noch ein Anspruch auf Erstattung eigener Kosten in Betracht kommt. So liegt es aber hier.

Zwar gewährt § 80 ThürVwVfG dem Widerspruchsführer in einem erfolgreich abgeschlossenen abgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren seit dem 03.12.2004 einen Kostenerstattungsanspruch. Das Thüringer Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom 25.11.2004 (GVBl S. 853), das gemäß Art. 21 am 03.12.2004 in Kraft getreten ist, hat § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes (ThürVwVfG) geändert. Nach der neuen Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG gilt § 80 ThürVwVfG nunmehr ausdrücklich auch in Verwaltungsverfahren, in denen Bestimmungen der Abgabenordnung anzuwenden sind, soweit in diesen Verfahren ein Vorverfahren nach den §§ 68 bis 73 der Verwaltungsgerichtsordnung stattfindet.

Diese Neuregelung findet aber im vorliegenden Fall keine Anwendung. Nach der Übergangsbestimmung des § 96a ThürVwVfG (Art. 1 Nr. 28 des Änderungsgesetzes vom 25.11.2004) findet § 2 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 in der geänderten Fassung Anwendung erst für solche Vorverfahren, in denen der Widerspruch nach dem 02.12.2004 eingelegt wurde. Für das vorliegende Verwaltungsstreitverfahren, in dem es um die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens geht, das mit Widerspruchsschreiben vom 25.10.1994 eingeleitet und durch den Bescheid der Beklagten vom 18.03.1996 abgeschlossen wurde, gilt daher noch die alte, bis zum 02.12.2004 geltende Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG (im Folgenden: § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F.).

§ 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. hat die Anwendung der Erstattungsregelung des § 80 ThürVwVfG im isoliert gebliebenen abgabenrechtlichen Vorverfahren ausgeschlossen (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 17.11.2004 - 4 KO 97/03 -; ebenso im Ergebnis zu gleichlautenden Vorschriften in Verwaltungsverfahrensgesetzen anderer Bundesländer BVerwG, Urt. v. 27.09.1989 - 8 C 88/88 -, BVerwGE 82, 336 = NVwZ 1990, 651; OVG NW, Urt. v. 07.03.1997 - 3 A 169/78 -, DVBl. 1979, 787 und Urt. v. 26.04.1991 - 3 A 2504/89 -, NVwZ 1992, 585; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 04.02.1991 - 2 S 652/89 -, NVwZ 1992, 584).

Das Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz galt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. nicht für "Verwaltungsverfahren, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind". Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann ein auf § 80 ThürVwVfG gestützter Erstattungsanspruch der Kläger nicht mit der Erwägung begründet werden, der Begriff des Verwaltungsverfahrens in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG beziehe sich nicht auf das Widerspruchsverfahren, um dessen Kosten es in § 80 ThürVwVfG geht. Unter den Begriff des Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG und im Sinne der Definition dieses Begriffs in § 9 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes und in der gleichlautenden landesrechtlichen Vorschrift des § 9 ThürVwVfG fällt nicht nur das Verfahren bis zum Erlass des Ausgangsbescheids, sondern auch das nachfolgende Widerspruchsverfahren von der Widerspruchserhebung bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids. Es gilt der Grundsatz der Einheit des Verwaltungsverfahrens (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.1989 - 8 C 88/88 -, a. a. O.).

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. sind gegeben. Vorliegend handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren einer Gemeinde, in dem es um die Erhebung einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag (§§ 127 ff., 132, 133 Abs. 3 BauGB) geht. Auch für das auf Bundesrecht beruhende Erschließungsbeitragsrecht gelten zum Teil die Vorschriften des Thüringer Kommunalabgabengesetzes (§ 1 Abs. 3 ThürKAG). Unter anderem gilt die Vorschrift des § 15 ThürKAG, nach der die dort genannten Vorschriften der AO 1977 entsprechend anwendbar sind.

Dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. nach ist also, wie auch die Kläger einräumen, die Anwendung des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes insgesamt und damit auch die Anwendung des § 80 ThürVwVfG in erschließungsbeitragsrechtlichen Verwaltungsverfahren ausgeschlossen. Fraglich kann nur sein, ob es bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. zu bleiben hat oder ob vielmehr unter Heranziehung weiterer Auslegungsgesichtspunkte wie Systematik, Normzweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift oder unter dem Gesichtspunkt einer verfassungskonformen Auslegung eine vom Wortlaut abweichende Auslegung der Vorschrift geboten ist.

Der Senat kommt indes auch unter Heranziehung dieser weiteren Auslegungskriterien zu dem Schluss, dass die Anwendung des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes in kommunalabgabenrechtlichen Verfahren, in denen über die Verweisungsvorschrift des § 15 ThürKAG die dort genannten Vorschriften der AO 1977 entsprechend anzuwenden sind, grundsätzlich ausgeschlossen ist (vgl. schon Urteil des Senats vom 07.06.2004 - 4 KO 1093/03).

Zunächst ist festzustellen, dass nicht nur der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F., sondern auch die Systematik des § 2 ThürVwVfG a. F. für einen vollständigen Anwendungsausschluss im Falle des Abs. 2 Nr. 1 spricht und eine Auslegung in dem von den Klägern vertretenen Sinne eines teilweisen Ausschlusses - nur "soweit" über § 15 ThürKAG einzelne Bestimmungen der AO 1977 entsprechend anzuwenden sind - schwerlich zulässt. Seinem Wortlaut nach schließt § 2 Abs. 2 ThürVwVfG a. F. die Anwendung des Gesetzes für bestimmte Verfahrensarten und Rechtsgebiete insgesamt aus. In den Fällen der Nrn. 2 - 7 ist das unmissverständlich. Aber auch nach Nr. 1 gilt das Gesetz nicht "für Verwaltungsverfahren, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind", und nicht etwa nur "soweit" Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Dagegen wird die Anordnung der Geltung des Gesetzes in § 2 Abs. 3 ThürVwVfG in den dort geregelten Fällen durch das Wort "soweit" begrenzt. So gilt das Gesetz nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ThürVwVfG für die Tätigkeit der Gerichtsverwaltungen und der Behörden der Justizverwaltung nur, "soweit" die Tätigkeit der Nachprüfung im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt. In § 2 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 ThürVwVfG werden einige Vorschriften des Gesetzes für bestimmte Verwaltungsverfahren für nicht anwendbar erklärt. Schließlich gelten nach Satz 2 einzelne Vorschriften des Gesetzes nur, "soweit" die Entscheidung nicht auf einer Leistungs- oder Eignungsbeurteilung beruht.

Der nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift bewirkte vollständige Ausschluss der Geltung des Gesetzes für kommunalabgabenrechtliche Verwaltungsverfahren in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. wird auch durch die Gesetzgebungsmaterialien bestätigt. In der amtlichen Begründung zu § 2 ThürVwVfG (LT-Drucks. 1/334, S. 88) heißt es:

"§ 2 nimmt bestimmte Bereiche von der Anwendung des Gesetzes insgesamt oder von Teilen des Gesetzes aus."

Zu Abs. 2 wird weiter wörtlich ausgeführt:

"2. Absatz 2 enthält verschiedene Sachgebiete, auf die das Gesetz keine Anwendung finden soll.

a) Die in Nummer 1 aufgeführte Abgabenordnung enthält eine abgeschlossene Spezialregelung für das Besteuerungsverfahren, das durch zahlreiche Besonderheiten geprägt ist. (.......) Ebenfalls ausgeschlossen sind von der Anwendung des Gesetzes die im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes nicht erwähnten Verfahren, die sich auf Kommunalabgaben beziehen. Für sie gelten im Wesentlichen - z. T. etwas modifiziert - die Vorschriften der Abgabenordnung."

Zu § 2 Abs. 3 ThürVwVfG ist in den Materialien ausgeführt, dass er im Hinblick auf die Besonderheiten bestimmter Bereiche eine nur eingeschränkte Anwendbarkeit des Gesetzes vorsehe.

Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich danach, dass der Gesetzgeber für die in § 2 Abs. 2 ThürVwVfG a. F. genannten Verwaltungsverfahren die Anwendbarkeit des Gesetzes insgesamt ausschließen wollte. Zwar lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen, ob dem Gesetzgeber bei der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. getroffenen Regelung gerade die Folge des Ausschlusses des § 80 ThürVwVfG bewusst war. Darauf kommt es aber für die Auslegung nicht an. Dieser Umstand kann allenfalls bei der Frage Bedeutung erlangen, ob eine analoge Anwendung des § 80 ThürVwVfG im Hinblick auf eine dem Gesetzgeber nicht bewusste Regelungslücke geboten sein könnte.

Eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. lässt sich auch mit Erwägungen zum Normzweck der Vorschrift nicht begründen. Der Gesetzgeber hat sich, wie die Gesetzgebungsmaterialien zeigen (vgl. LT-Drucks. 1/334, S. 88 und 187), von der Erwägung leiten lassen, dass mit dem Verweis des § 15 ThürKAG auf die Abgabenordnung die ansonsten notwendigen Vorschriften über das Verwaltungs- und Vollstreckungsverfahren abgedeckt sind. Normzweck des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. ist also eine Kollisionsregelung. Diesem Normzweck wird der nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift bewirkte vollständige Anwendungsausschluss des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das kommunalabgabenrechtliche Verfahren gerecht; jedenfalls lassen sich mit diesem Normzweck keine Ausnahmen begründen.

Aus der Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des § 61 ThürVwVfG auf öffentlich-rechtliche Verträge auf dem Gebiet des Kommunalabgabenrechts (vgl. Beschluss v. 21.08.2000 - 4 ZEO 1239/98 - ThürVBl. 2001, 22) ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat die Anwendbarkeit der Vorschriften des Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetzes auf öffentlich-rechtliche Verträge, deren Gegenstand die Ablösung von Kommunalabgaben sind, damit begründet, dass die Vorschriften der §§ 2 Abs. 6, 7 Abs. 11 ThürKAG, die Ablösungsverträge für zulässig erklären, nach ihrem Normzweck zugleich auf die einzige landesrechtliche Regelung des öffentlich-rechtlichen Vertrages in den §§ 54 ff. ThürVwVfG verweisen. Diese Argumentation lässt sich auf die hier zu entscheidende Frage nicht übertragen, da die Anwendbarkeit des § 80 ThürVwVfG gerade nicht alternativenlos ist und durch Vorschriften des Thüringer Kommunalabgabengesetzes nicht gefordert wird.

Nach dem Ergebnis der Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. und insbesondere unter Würdigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift kommt auch eine analoge Anwendung des § 80 VwVfG nicht in Betracht, weil es an einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Regelungslücke fehlt.

Eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. ist schließlich auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen geboten. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist hier nicht betroffen. Die Erstattung von Kosten des isolierten Vorverfahrens betrifft nicht den Zugang zum gerichtlichen Verfahren. In Betracht zu ziehen wäre allenfalls ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG): Der durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. bewirkte Ausschluss des § 80 ThürVwVfG führt zum einen zu einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Widerspruchsführern eines isoliert bleibenden allgemeinen Verwaltungsverfahrens, die nach Maßgabe des § 80 Abs. 1 und 2 ThürVwVfG Erstattung ihrer Kosten beanspruchen können. Zum anderen führt er auch zu einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen, die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Aufhebung des Kommunalabgabenbescheids erreichen und dann Erstattung auch ihrer Anwaltskosten im Vorverfahren nach Maßgabe des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO beanspruchen können. Da Art. 3 Abs. 1 GG nur eine willkürliche, durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber verbietet, kommt es darauf an, ob es sich um vergleichbare Sachverhalte handelt und ob sich für deren unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber sachliche Gründe anführen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage einer willkürlichen Ungleichbehandlung durch den Ausschluss des Ersatzes der Anwaltskosten für den im Vorverfahren obsiegenden Steuerpflichtigen nach einer früheren Fassung der Abgabenordnung geprüft und im Ergebnis verneint (BVerfG, Beschluss vom 20.06.1973 - 1 BvL 9, 10/71 -, BVerfGE 35, 283 ff. [292 ff., 294 ff.]). Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht auch den Ausschluss der Kostenerstattung im isolierten abgabenrechtlichen Vorverfahren nach früherem bayerischem Landesrecht als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (BVerwG, Urteil vom 27.09.1989 - 8 C 88/88 -, a. a. O.). Dem schließt sich der Senat auch für die hier zu beurteilende Regelung des Thüringer Landesrechts an:

Für die Ungleichbehandlung des Widerspruchsführers, der bereits im Vorverfahren Erfolg hat, gegenüber dem Kläger, der erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegt (zur Entscheidung über die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Vorverfahren im Fall eines nachfolgenden Klageverfahrens Senatsbeschluss v. 19.10.2000 - 4 VO 117/00 - NVwZ-RR 2001, 487 = ThürVBl 2001, 108), kann der Gesetzgeber sachliche Gründe haben. Die Sachlagen unterscheiden sich in wesentlicher Hinsicht. Denn die Voraussetzungen für den Erfolg eines Rechtsbehelfs im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren sind nicht deckungsgleich. Dabei kann dahinstehen, ob eine Abhilfe im Vorverfahren unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts (§ 68 Abs. 1 VwGO) in Kommunalabgabensachen praktisch in Betracht kommt. Jedenfalls können und dürfen auch in Kommunalabgabensachen die Verwaltungs- und Widerspruchsbehörden bei ihrer Entscheidung, ob sie dem Widerspruch abhelfen oder die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens in Kauf nehmen wollen, die rechtlichen Risiken eines gerichtlichen Verfahrens, den mit einem gerichtlichen Verfahren verbundenen Ermittlungsaufwand und andere Belastungen für die Behörde sowie die wirtschaftliche Bedeutung der Sache berücksichtigen und abwägen (vgl. BVerfG, a. a. O., S. 293 f.). Der Widerspruchsführer kann mit anderen Worten im Widerspruchsverfahren schon dann Erfolg haben, wenn tatsächliche oder rechtliche Zweifel an dem angegriffenen Verwaltungsakt bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichte - die auf das hier vorliegende kommunalabgabenrechtliche Verfahren übertragbar ist - wird die Aufklärungspflicht der Behörden von der Zumutbarkeit begrenzt (vgl. BFH, Urteile vom 07.12.1955 - V z 183/54 S -, BFHE 62, 201 [203]; vom 09.03.1967 - V 96/64 -, BFHE 88, 223, [224] und vom 18.03.1988 - V R 206/83 -, zitiert nach Juris). So darf für die Anforderungen, die an die Aufklärungspflicht der Behörden zu stellen sind, berücksichtigt werden, ob die Aufklärung im Verhältnis zu ihrem Erfolg einen nicht mehr vertretbaren Zeit- oder Arbeitsaufwand erfordert (BFH, Urteil vom 23.02.1967 - IV 344/65 -, BFHE 88, 134 [136]; vgl. allgemein auch BFH, Beschluss vom 23.07.1996 - VII B 42/96 -, BFHE 180, 529 [530]). Dabei dürfen die Behörden auch berücksichtigen, in welchem Maße sie durch ein zu erwartendes gerichtliches Verfahren belastet werden, sofern sie bei vorhandenen tatsächlichen oder rechtlichen Zweifeln dem Begehren des Abgabenpflichtigen im Vorverfahren nicht entsprechen und zu seinem Nachteil entscheiden (BVerfG, a. a. O., S. 294). Demgegenüber kann die verwaltungsgerichtliche Klage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg haben, wenn der erlassene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Wegen dieser unterschiedlichen Sachlage ist eine unterschiedliche gesetzliche Regelung der Kostenerstattung für das Widerspruchsverfahren im Fall eines Erfolgs des Widerspruchsführers im isoliert bleibenden Vorverfahren und im Fall eines nachfolgenden Klageverfahrens jedenfalls nicht willkürlich.

Auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer kostenrechtlichen Gleichstellung der Bürger in den unterschiedlichen Verfahren ergibt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz nicht. Ein allgemeiner Rechtssatz, der dem in einem Verwaltungsvorverfahren obsiegenden Bürger einen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten zubilligt, besteht nicht (BVerfG, a. a. O., S. 295). Regelungen über die Kostenerstattung sind untereinander nicht vergleichbar, soweit sie Bestandteil unterschiedlicher Verfahrensordnungen sind. Die Verfahrensbeteiligten können deshalb auf Grund des Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichbehandlung grundsätzlich nur im Rahmen des jeweils eigenständig ausgestalteten Verfahrens verlangen.

Eine im Hinblick auf den Grundsatz der Waffen- und Chancengleichheit der Verfahrensbeteiligten (vgl. dazu BVerfG, a. a. O., S. 289 ff.) bedeutsame Ungleichbehandlung liegt im Fall des kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahrens nicht vor. Denn der Ausschluss des § 80 ThürVwVfG umfasst auch die Grundlage eines Anspruchs der Ausgangsbehörde auf Erstattung ihrer notwendigen Aufwendungen im Fall eines Unterliegens des Widerspruchsführers (§ 80 Abs. 1 Satz 3 ThürVwVfG). Dass die Widerspruchsbehörde bei erfolglosem Widerspruch auf der Grundlage der §§ 1, 21 des Thüringer Verwaltungskostengesetzes und der Thüringer Allgemeinen Verwaltungskostenordnung eine Gebühr nach Nr. 1.1.2. und Auslagen nach Nr. 2 des Allgemeinen Verwaltungskostenverzeichnisses erhebt, steht der Waffen- und Chancengleichheit der Verfahrensbeteiligten nicht entgegen. Denn im Widerspruchsverfahren ist die Widerspruchsbehörde nicht Verfahrensbeteiligte. Dass eine Erstattungsregelung, die es insbesondere dem Bürger erleichtert, die Hilfe eines Bevollmächtigten in Anspruch zu nehmen, für das kommunalabgabenrechtliche Vorverfahren durch Art. 3 Abs. 1 GG zwingend geboten wäre, um eine Chancen- und Waffengleichheit des Bürgers gegenüber der Behörde überhaupt erst herzustellen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Das Kommunalabgabenrecht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht wesentlich vom Steuerrecht. Auch dort gibt es mit Billigung der einschlägigen Rechtsprechung für den im isolierten Einspruchsverfahren erfolgreichen Steuerpflichtigen keine Kostenerstattung (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 23.07.1996 - VII B 42/96 -, BFHE 180, 529 [530]; BVerfG, a. a. O., S. 283 ff.).

Danach bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG a. F. bewirkten Ausschluss der Erstattung der Kosten des isolierten abgabenrechtlichen Vorverfahrens.

Mangels einer gesetzlichen Grundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Kostenerstattung ist auch für einen Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren kein Raum.

Der Senat hatte nicht zu prüfen, ob den Klägern ein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Widerspruchsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung bzw. der Staatshaftung (§ 1 Abs. 1 StHG) zusteht (vgl. dazu ThürOLG, Urteil vom 30.04.2002 - 3 U 1336/01 -, VIZ 2003, 99). Für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist ausschließlich der ordentliche Rechtsweg gegeben (Art. 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 S. 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO in entsprechender Anwendung.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 6.482,67 DM (entspricht 3.314,54 Euro) festgesetzt.

Gründe:

Der für die Kostenberechnung festzusetzende Streitwert ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der bis zum 31.12.2001 geltenden und hier gemäß § 73 Abs. 1 GKG und § 72 Nr. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl. I S. 718) noch anzuwendenden Fassung in Deutschen Mark (DM) zu bestimmen und richtet sich nach dem geltend gemachten Erstattungsbetrag für das Vorverfahren.

Ende der Entscheidung

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