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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.03.1990
Aktenzeichen: 142/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 92
EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 3
EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Stellt die Kommission fest, daß eine staatliche Beihilfe eingeführt oder umgestaltet wurde, ohne daß sie davon zuvor, wie in Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag vorgeschrieben, unterrichtet wurde, so kann sie dem betreffenden Mitgliedstaat, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äussern, vorläufig aufgeben, die Zahlung der Beihilfe unverzueglich bis zum Abschluß ihrer Überprüfung einzustellen und der Kommission innerhalb der von ihr festgesetzten Frist alle Unterlagen, Informationen und Daten zu verschaffen, die notwendig sind, um die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen. Die gleiche Anordnungsbefugnis steht der Kommission zu, wenn sie zwar von der Beihilfe unterrichtet wurde, der betreffende Mitgliedstaat jedoch, ohne den Ausgang des in Artikel 93 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens abzuwarten, unter Verstoß gegen das in Artikel 93 Absatz 3 aufgestellte Verbot das Beihilfevorhaben durchführt.

Kommt der Mitgliedstaat der Anordnung der Kommission vollständig nach und erteilt die verlangten Auskünfte, so ist die Kommission verpflichtet, die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach dem Verfahren des Artikels 93 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag zu prüfen. Erteilt der Mitgliedstaat hingegen trotz der Anordnung der Kommission die verlangten Auskünfte nicht, so ist die Kommission befugt, das Verfahren abzuschließen und die Entscheidung, mit der die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen zu erlassen. In dieser Entscheidung kann gegebenenfalls die Rückforderung des bereits ausgezahlten Beihilfebetrags angeordnet werden.

Stellt der Mitgliedstaat trotz der Anordnung der Kommission die Zahlung der Beihilfe nicht ein, so kann die Kommission bei gleichzeitiger Fortsetzung ihrer Sachprüfung den Gerichtshof unmittelbar anrufen, um diese Vertragsverletzung feststellen zu lassen. Eine solche Klageerhebung ist wegen der bestehenden Dringlichkeit gerechtfertigt, da bereits eine anordnende Entscheidung vorliegt, die, nachdem dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äusserung gegeben wurde - also genau wie im Falle der Klagemöglichkeit nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag am Ende eines vorprozessualen kontradiktorischen Verfahrens -, ergangen ist. Diese Klage stellt nur eine Sonderform der Vertragsverletzungsklage dar, die auf die besonderen Probleme abgestimmt ist, die staatliche Beihilfen für den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes mit sich bringen.

2. Bei der Prüfung, ob Finanzhilfen eines Mitgliedstaats auf ein Unternehmen staatliche Beihilfen darstellen, ist es angebracht, zu ermitteln, ob das Unternehmen die fraglichen Mittel auf dem Kapitalmarkt hätte aufbringen können.

3. Soweit staatliche Beihilfen den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, sind die Artikel 92 bis 94 EWG-Vertrag auf sie anwendbar, selbst wenn sie als Ausfuhrbeihilfen im Sinne des Artikels 112 EWG-Vertrag, der die Angleichung der staatlichen Ausfuhrbeihilfen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik betrifft, angesehen werden können.

4. Angesichts der Verflechtung der Märkte, auf denen die Unternehmen der Gemeinschaft tätig sind, ist es nicht ausgeschlossen, daß eine staatliche Beihilfe, die einem Unternehmen gewährt wird, das fast seine gesamte Produktion ausserhalb der Gemeinschaft absetzt, den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft verfälschen kann. Die Ausfuhr eines Teils der Produktion des betreffenden Unternehmens nach Drittländern ist nämlich nur ein Umstand unter anderen, die insoweit berücksichtigt werden müssen.

5. Weder der verhältnismässig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismässig geringe Grösse des begünstigten Unternehmens schließen von vornherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus.

6. Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine besondere Regelung fehlt. Angewandt auf die Prüfung von Beihilfevorhaben durch die Kommission gebietet dieser Grundsatz, dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, zu den Äusserungen Stellung zu nehmen, die beteiligte Dritte nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag abgegeben haben und auf die die Kommission ihre Entscheidung stützen will. Soll der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt werden, darf die Kommission solche Äusserungen in ihrer Entscheidung gegen diesen Staat nicht berücksichtigen, soweit dieser keine Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen. Eine solche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt jedoch nur dann zu einer Nichtigerklärung, wenn das Verfahren ohne diese Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

7. Im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 EWG-Vertrag verfügt die Kommission über ein weites Ermessen, dessen Ausübung wirtschaftliche und soziale Wertungen voraussetzt, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind.

8. Die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe kann grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die in keinem Verhältnis zu den Zielen der Bestimmungen des EWG-Vertrags über staatliche Beihilfen stuende. Sie erfolgt nach dem einschlägigen nationalen Verfahrensrecht; allerdings darf die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung dadurch nicht praktisch unmöglich werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 21. MAERZ 1990. - KOENIGREICH BELGIEN GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STAATLICHE BEIHILFEN FUER EIN STAHLROHRUNTERNEHMEN - AUFHEBUNG IM WEGE DER RUECKFORDERUNG. - RECHTSSACHE 142/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Königreich Belgien hat mit Klageschrift, die am 8. Mai 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 87/507/EWG vom 4. Februar 1987 erhoben, mit der die Kommission festgestellt hat, daß die dem Unternehmen SA des Usines à tubes de la Meuse - Tubemeuse ( im folgenden : SA Tubemeuse ) vom belgischen Staat in unterschiedlichen Formen gewährten Finanzhilfen wegen Verstosses gegen das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag und wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Artikel 92 EWG-Vertrag rechtswidrige Beihilfen darstellten und daher zurückzufordern seien.

2 Wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, war die 1911 in der Gegend von Lüttich gegründete SA Tubemeuse auf dem Gebiet der Herstellung nahtloser Röhren für die Erdölindustrie tätig. Nachdem ihr schon in den siebziger Jahren Probleme entstanden waren, befand sie sich um 1979 in einer so kritischen Lage, daß sich einige private Aktionäre zurückzogen, an deren Stelle der belgische Staat in Höhe von 72 % des Gesellschaftskapitals trat.

3 Da sich die neuen Aktionäre der SA Tubemeuse für eine industrielle Umstrukturierung des Unternehmens und eine Erneuerung seiner Produktionsanlagen entschlossen hatten, genehmigte die Kommission 1982 ein Beihilfevorhaben des belgischen Staates zur Durchführung eines Investitionsprogramms, mit dem die Zukunft des Unternehmens im Rahmen zweier mittel - und langfristiger Verträge mit der Sowjetunion gesichert werden sollte.

4 Die aufgrund der Modernisierungsbemühungen der SA Tubemeuse erhofften Ergebnisse stellten sich nicht ein, und die Entwicklung der Lage führte zum endgültigen Rückzug der privaten Aktionäre und zum Erwerb nahezu sämtlicher Unternehmensaktien durch den belgischen Staat.

5 In der angefochtenen Entscheidung legt die Kommission dar, die belgische Regierung habe sie am 19. Juli 1984 gemäß Artikel 93 Absatz 3 von ihrer Absicht unterrichtet, zugunsten der SA Tubemeuse eine Kapitalaufstockung vorzunehmen und eine Emission bedingt gewinnberechtigter Wandelschuldverschreibungen zu zeichnen. Die belgische Regierung habe die vorgenannten, in der Planungsphase gemeldeten Finanzhilfen durchgeführt, bevor das von der Kommission inzwischen gemäß Artikel 93 Absatz 2 eingeleitete Verfahren durch eine abschließende Entscheidung beendet worden sei. Die belgische Regierung habe im übrigen durch Schreiben vom 29. Juli 1985 bestätigt, daß die SA Tubemeuse zuvor bereits andere öffentliche Finanzhilfen erhalten habe, ohne daß diese der Kommission gemeldet worden seien. Diese Finanzhilfen beliefen sich insgesamt auf 9,085 Mrd BFR.

6 Die belgische Regierung habe der Kommission ferner durch Schreiben vom 6. Juni 1986 den Plan einer Umwandlung von gesicherten Darlehen in Höhe von 3,010 Mrd BFR in Gesellschaftskapital zugunsten der SA Tubemeuse mitgeteilt und diese Maßnahme schließlich in Höhe von 2,510 Milliarden BFR durchgeführt, während der Plan noch Gegenstand eines von der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 eingeleiteten Verfahrens gewesen sei.

7 Der Gesamtbetrag der betreffenden Finanzhilfen belaufe sich auf etwa 12 Mrd BFR.

8 In der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission fest, diese Beihilfen seien wegen Verstosses gegen das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 3 rechtswidrig. Ferner seien sie aufgrund von Artikel 92 Absatz 1 materiellrechtlich mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und könnten keine der in Absatz 3 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahmen für sich in Anspruch nehmen. Auf der Grundlage dieser doppelten Begründung ordnete die Kommission an, daß der belgische Staat die Beihilfen zurückzufordern und die Kommission binnen zwei Monaten über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten habe.

9 Mit ihren Klagegründen macht die belgische Regierung geltend :

a ) Die streitige Finanzhilfe sei keine Beihilfe;

b ) wenn sie eine Beihilfe sei, handele es sich um eine Ausfuhrbeihilfe, die mithin unter Artikel 112 EWG-Vertrag und nicht unter die Artikel 92 bis 94 EWG-Vertrag falle;

c ) der Handel zwischen Mitgliedstaaten sei nicht im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 beeinträchtigt;

d ) bei der kontradiktorischen Prüfung der Beihilfe gemäß Artikel 93 Absatz 2 sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden;

e ) die angefochtene Entscheidung sei gegenstandslos, weil die SA Tubemeuse sich zum Zeitpunkt ihres Erlasses in einem gerichtlichen Vergleichsverfahren befunden habe;

f ) die betreffende Finanzhilfe sei gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c gerechtfertigt gewesen;

g ) die Rückforderung der Beihilfe sei unmöglich, da sich die SA Tubemeuse in einem Vergleichsverfahren befinde.

10 Die Kommission macht die Unzulässigkeit der Klagegründe geltend, mit denen vorgebracht wird, die streitige Finanzhilfe sei gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c gerechtfertigt gewesen.

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Einrede der Unzulässigkeit

12 Die Einrede der Unzulässigkeit war ursprünglich gegenüber der Klage insgesamt erhoben worden. Die Kommission hat sie jedoch in ihrer Gegenerwiderung und in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof auf die Klagegründe beschränkt, mit denen die angefochtene Entscheidung insoweit gerügt wird, als sie die Feststellung enthält, daß die streitige Beihilfe nicht gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden könne.

13 Die Kommission macht geltend, diese Feststellung sei lediglich eine überfluessige Hilfsbegründung der angefochtenen Entscheidung; die hauptsächliche und ausreichende Begründung gehe dahin, daß die betreffende Beihilfe deshalb rechtswidrig sei, weil sie unter Verstoß gegen das Verbot des Artikels 93 Absatz 3 vor Abschluß des nach dieser Vorschrift eingeleiteten Verfahrens durchgeführt worden sei. Selbst wenn die streitige Beihilfe materiellrechtlich gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sein sollte, könne dies ihre Rechtswidrigkeit wegen des Verstosses gegen Artikel 93 Absatz 3 nicht beseitigen.

14 Zu den Folgen der Verstösse gegen diese Bestimmung hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87 ( Französische Republik/Kommission, Slg. 1990, 0000 ) folgendes ausgeführt.

15 Stellt die Kommission fest, daß eine Beihilfe eingeführt oder umgestaltet wurde, ohne daß sie davon zuvor unterrichtet wurde, so kann sie dem betreffenden Mitgliedstaat, nachdem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äussern, vorläufig aufgeben, die Zahlung der Beihilfe unverzueglich bis zum Abschluß ihrer Überprüfung einzustellen und der Kommission innerhalb der von ihr festgesetzten Frist alle Unterlagen, Informationen und Daten zu verschaffen, die notwendig sind, um die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu prüfen.

16 Die gleiche Anordnungsbefugnis steht der Kommission zu, wenn sie zwar von der Beihilfe unterrichtet wurde, der betreffende Mitgliedstaat jedoch, ohne den Ausgang des in Artikel 93 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens abzuwarten, unter Verstoß gegen das in Artikel 93 Absatz 3 aufgestellte Verbot das Beihilfevorhaben durchführt.

17 Kommt der Mitgliedstaat der Anordnung der Kommission vollständig nach, so ist diese verpflichtet, die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach dem Verfahren des Artikels 93 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag zu prüfen.

18 Erteilt der Mitgliedstaat trotz der Anordnung der Kommission die verlangten Auskünfte nicht, so ist die Kommission befugt, das Verfahren abzuschließen und die Entscheidung, mit der die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen zu erlassen. In dieser Entscheidung kann gegebenenfalls die Rückforderung des bereits ausgezahlten Beihilfebetrags angeordnet werden.

19 Stellt der Mitgliedstaat die Zahlung der Beihilfe nicht ein, so kann die Kommission bei gleichzeitiger Fortsetzung ihrer Sachprüfung den Gerichtshof unmittelbar anrufen, um diese Vertragsverletzung feststellen zu lassen. Eine solche Klageerhebung ist wegen der bestehenden Dringlichkeit gerechtfertigt, da bereits eine anordnende Entscheidung vorliegt, die, nachdem dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äusserung gegeben wurde - also genau wie im Falle der Klagemöglichkeit nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag am Ende eines vorprozessualen kontradiktorischen Verfahrens - ergangen ist. Diese Klage stellt nur eine Sonderform der Vertragsverletzungsklage dar, die auf die besonderen Probleme abgestimmt ist, die staatliche Beihilfen für den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes mit sich bringen.

20 Angesichts dieser Feststellungen kann der Kommission nicht gefolgt werden, soweit sie vorbringt, daß die auf der Durchführung der Beihilfe vor Abschluß des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 3 beruhende Rechtswidrigkeit die betreffende Beihilfe unzulässig und aus diesem Grund die Prüfung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit Artikel 92 Absatz 3 überfluessig mache.

21 Die Einrede, mit der die Unzulässigkeit der die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 betreffenden Klagegründe geltend gemacht wird, ist somit zurückzuweisen. Daher sind alle Klagegründe zu prüfen.

Zum Beihilfecharakter der streitigen Finanzhilfe

22 In der angefochtenen Entscheidung wird festgestellt, daß die Finanzlage des Unternehmens unsicher gewesen sei, daß der Sektor, in dem es tätig gewesen sei, starke strukturelle Überkapazitäten aufgewiesen habe und daß die Lage auf dem Erdölmarkt zu einer Verlangsamung der Bohrtätigkeiten und zum Rückgang der Nachfrage nach nahtlosen Röhren geführt habe. Unter diesen Umständen hätte kein privater Kapitalgeber Kapital bereitgestellt. Infolgedessen stellten die erwähnten Finanzhilfen des belgischen Staates staatliche Beihilfen dar, die gemäß Artikel 92 zu würdigen seien.

23 Mit dem ersten Klagegrund macht die belgische Regierung eine fehlerhafte Anwendung des Artikels 92 Absatz 1 geltend, weil die streitige Finanzhilfe keine Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung, sondern eine normale Gesellschaftseinlage eines Aktionärs sei.

24 Zur Begründung trägt die belgische Regierung vor, ihre Finanzhilfen für die SA Tubemeuse stellten keine eigentlichen Beihilfen dar, sondern seien die logische Fortführung des umfassenden Programms zur Umstrukturierung und Neuordnung des Unternehmens sowie die Vollendung der 1982 von der Kommission selbst genehmigten Investition. Das Investitionsvorhaben sei damals der Kommission mitgeteilt worden, obwohl die belgische Regierung hierzu nicht verpflichtet gewesen sei, da es sich nicht um eine staatliche Beihilfe gehandelt habe. Ihre streitige Finanzhilfe für die SA Tubemeuse sei daher die normale Reaktion eines jeden Kapitalgebers, der seine ursprüngliche Investition in Gefahr sehe.

25 Es ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung Kapitalzuweisungen der öffentlichen Hand, in welcher Form auch immer, an Unternehmen staatliche Beihilfen darstellen können, wenn die Voraussetzungen des Artikels 92 EWG-Vertrag erfuellt sind ( vgl. die Urteile vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills, Slg. 1984, 3809, und vom 13. März 1985 in den Rechtssachen 296/82 und 318/82, Leeuwarder Papierwarenfabriek, Slg. 1985, 809 ).

26 Um festzustellen, ob solche Maßnahmen den Charakter staatlicher Beihilfen haben, ist auf das in der Entscheidung der Kommission angeführte und übrigens auch von der belgischen Regierung nicht in Zweifel gezogene Kriterium abzustellen, ob es dem Unternehmen möglich gewesen wäre, die betreffenden Geldbeträge auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen.

27 Vorliegend ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung sowie aus den Akten, daß die SA Tubemeuse - abgesehen von der technischen Überalterung ihrer Produktionsanlagen, die das umfassende Neuordnungsprogramm von 1982 notwendig gemacht hatte, das dank der seinerzeit von der Kommission genehmigten Finanzhilfen der öffentlichen Hand durchgeführt worden war - seit 1979 mit strukturellen Finanzproblemen konfrontiert war : Zu hohe Produktionskosten, eine Reihe verlustreicher Geschäftsjahre mit ständig negativen Betriebsergebnissen, eine unsichere Liquidität und eine starke Verschuldung führten zum fast vollständigen Rückzug der privaten Aktionäre dieses Unternehmens.

28 Es ist ferner nicht in Abrede gestellt worden, daß sich der Sektor der hauptsächlich für Erdölbohrungen bestimmten nahtlosen Stahlröhren in einer Krise befand, die durch starke Überkapazitäten in den Erzeugerländern und durch neue Produktionskapazitäten in den Entwicklungs - und den Staatshandelsländern gekennzeichnet war. Im übrigen haben die von den Vereinigten Staaten verhängten Einfuhrbeschränkungen für Stahlröhren und der Verfall der Erdölpreise auf dem Weltmarkt, der zur Verlangsamung der Bohrtätigkeiten beitrug, zum Rückgang der Nachfrage nach diesen Röhren und in der Folge zum spürbaren Rückgang ihrer Preise sowie weltweit zur Verringerung der Produktion dieser Röhren geführt. Aus diesen Gründen haben sich die anderen Mitgliedstaaten bemüht, ihre Produktionskapazitäten in diesem Sektor abzubauen.

29 Unter diesen Umständen deutet nichts darauf hin, daß die Auffassung der Kommission, die Rentabilitätsaussichten der SA Tubemeuse hätten einen privaten Kapitalgeber, der unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen sein Geld anlegt, nicht zu den fraglichen Finanzierungsmaßnahmen bewegen können und die SA Tubemeuse hätte die zum Überleben erforderlichen Gelder wohl kaum auf dem Kapitalmarkt beschaffen können, so daß die beanstandeten Finanzhilfen der belgischen Regierung für die SA Tubemeuse als staatliche Beihilfen anzusehen seien, auf einem Irrtum beruhte.

30 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zu Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag

31 Die belgische Regierung macht geltend, selbst wenn es sich bei den fraglichen Finanzhilfen um Beihilfen handeln sollte, stellten sie Beihilfen zur Ausfuhr dar, weil die SA Tubemeuse 90 % ihrer Produktion nach Drittländern ausführe. Sie fielen daher unter Artikel 112, was die Anwendung der Artikel 92 bis 94 ausschließe.

32 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß unabhängig von der Frage, ob die streitigen Beihilfen als Ausfuhrbeihilfen angesehen werden können, Artikel 112, der die Angleichung der staatlichen Ausfuhrbeihilfen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik betrifft, die Anwendung der Artikel 92 bis 94 nicht ausschließt. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, daß eine Ausfuhrbeihilfe den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

33 Nach Auffassung der belgischen Regierung kann die fragliche Finanzhilfe, da 90 % der Produktion der SA Tubemeuse ausserhalb der Gemeinschaft abgesetzt würden, weder den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen noch den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes verfälschen, selbst wenn, wie in der angefochtenen Entscheidung geschehen, angenommen werde, daß die Produktion des Unternehmens an nahtlosen Röhren 17 % der Produktion der Gemeinschaft ausmache.

34 Das Unternehmen sei umstrukturiert worden, um vor allem den sowjetischen Markt zu beliefern. Die hierzu geschaffenen neuen Produktionskapazitäten könnten daher den Gemeinsamen Markt nicht überschwemmen, und der innergemeinschaftliche Handel könne nicht durch die beanstandeten Finanzhilfen des belgischen Staates beeinträchtigt werden. In diesem Punkt sei die angefochtene Entscheidung daher nicht ausreichend begründet.

35 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es angesichts der Verflechtung der Märkte, auf denen die Unternehmen der Gemeinschaft tätig sind, nicht ausgeschlossen ist, daß eine Beihilfe den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft auch dann verfälschen kann, wenn das begünstigte Unternehmen fast seine gesamte Produktion ausserhalb der Gemeinschaft absetzt. Die Ausfuhr eines Teils der Produktion des betreffenden Unternehmens nach Drittländern ist nämlich nur ein Umstand unter anderen, die insoweit berücksichtigt werden müssen.

36 Vorliegend hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, die Tätigkeit der in der Gemeinschaft ansässigen Hersteller nahtloser Röhren sei grossenteils auf Exportgroßgeschäfte ausgerichtet, dabei aber betont, daß der Markt der Gemeinschaft weiterhin Absatzmöglichkeiten biete.

37 Die Kommission hat weiter geltend gemacht, daß sich der Sektor der nahtlosen Röhren weltweit in einer Situation der Krise, der Rezession und heftigen Wettbewerbs befinde, die durch starke strukturelle Überkapazitäten in den Herstellerländern sowie die sich daraus ergebenden Preisschwankungen gekennzeichnet sei und durch die von den Vereinigten Staaten verhängten Einfuhrbeschränkungen sowie die neuen Kapazitäten in den Entwicklungs - und den Staatshandelsländern noch verschärft werde. Jede Vergünstigung für ein Unternehmen dieses Sektors sei daher geeignet, seine Wettbewerbsstellung gegenüber den anderen zu stärken.

38 Nach der angefochtenen Entscheidung war es in diesem allgemeinen Zusammenhang das neue erklärte Ziel der SA Tubemeuse, deren Produktion nahtloser Röhren einen beträchtlichen Teil der Gemeinschaftsproduktion darstelle und deren Ausfuhren ungefähr 90 % ihres Umsatzes ausmachten, sich von dem als nicht lukrativ genug angesehenen sowjetischen Markt zu lösen und sich dank der ihr gewährten Beihilfen anderen Märkten zuzuwenden. Daher sei verständigerweise vorauszusehen gewesen, daß die SA Tubemeuse ihre Tätigkeiten nunmehr auf den Binnenmarkt der Gemeinschaft ausrichten werde.

39 Die Kommission hat in der Verhandlung vor dem Gerichtshof ergänzend und ohne Widerspruch seitens der belgischen Regierung ausgeführt, daß im ersten Halbjahr 1988 die Ausfuhren der SA Tubemeuse nach der Sowjetunion um 33,3 % ihrer Gesamtproduktion zurückgegangen seien, während ihre Ausfuhren nach Ländern der Gemeinschaft 31,8 % dieser Produktion erreicht hätten.

40 Bei Berücksichtigung dieser Gegebenheiten ist die Einschätzung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung, die an die SA Tubemeuse gezahlten Beihilfen seien geeignet, sich auf die Wettbewerbsstellung der in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen dieses Sektors auszuwirken und damit im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 den Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen, hinreichend begründet und erscheint nicht fehlerhaft.

41 Zu dem Argument der belgischen Regierung, die SA Tubemeuse stelle nicht 17 % der Gemeinschaftsproduktion an nahtlosen Röhren, sondern wesentlich weniger her, ist zu bemerken, daß diese Behauptung, selbst wenn sie richtig sein sollte, in keiner Weise die vorstehende Einschätzung der Auswirkungen der beanstandeten Beihilfen auf die Wettbewerbsstellung der in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen dieses Sektors in Frage stellt.

42 Die belgische Regierung macht noch geltend, für den Bereich staatlicher Beihilfen gebe es keine Vorschrift zur Festlegung der Schwelle, von der ab der innergemeinschaftliche Handel beeinträchtigt sei, so daß der Marktanteil von 5 % herangezogen werden könne, den die Kommission gewöhnlich in Wettbewerbssachen zugrunde lege.

43 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Nach den Urteilen vom 17. September 1980 in der Rechtssache 730/79 ( Philip Morris, Slg. 1980, 2671 ) und vom 11. November 1987 in der Rechtssache 259/85 ( Französische Republik/Kommission, Slg. 1987, 4393 ) schließt weder der verhältnismässig geringe Umfang einer Beihilfe noch die verhältnismässig geringe Grösse des begünstigten Unternehmens von vornherein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus.

44 Aus alledem ergibt sich, daß dieser Klagegrund nicht durchgreift und daher zurückzuweisen ist.

Zu der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

45 Die belgische Regierung trägt vor, die Kommission beziehe sich in der angefochtenen Entscheidung auf die Stellungnahmen von "drei anderen Mitgliedstaaten und vier Fachverbänden von Stahlröhrenerzeugern", ohne die entsprechenden Dokumente vorgelegt und dem Kläger ermöglicht zu haben, diese Stellungnahmen zu würdigen. Es sei daher nicht bekannt, welchen Einfluß diese Stellungnahmen möglicherweise auf die Entscheidung der Kommission gehabt hätten. Mithin seien das rechtliche Gehör und der Grundsatz des "fairen Verfahrens" verletzt.

46 Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, insbesondere in den Urteilen vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84 ( Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263 ) und vom 11. November 1987 ( a. a. O.), entschieden hat, ist die Gewährung des rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine besondere Regelung fehlt.

47 In den genannten Urteilen hat der Gerichtshof anerkannt, daß dieser Grundsatz gebietet, dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, zu den Äusserungen Stellung zu nehmen, die beteiligte Dritte nach Artikel 93 Absatz 2 abgegeben haben und auf die die Kommission ihre Entscheidung stützen will. Der Gerichtshof hat festgestellt, daß die Kommission solche Äusserungen in ihrer Entscheidung gegen diesen Staat nicht berücksichtigen darf, soweit dieser keine Gelegenheit hatte, hierzu Stellung zu nehmen.

48 Eine solche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt jedoch nur dann zu einer Nichtigerklärung, wenn das Verfahren ohne diese Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Insoweit ist festzustellen, daß die betreffenden Stellungnahmen, die auf Ersuchen des Gerichtshofes vorgelegt worden sind, nichts Neues gegenüber den Informationen enthalten, über die die Kommission bereits verfügte und die der belgischen Regierung bekannt waren. Bei dieser Sachlage war der Umstand, daß die belgische Regierung keine Gelegenheit hatte, diese Stellungnahmen zu kommentieren, nicht geeignet, das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens zu beeinflussen. Auch dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zu dem Vorbringen, die SA Tubemeuse habe sich zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung im Vergleichsverfahren befunden

49 Die belgische Regierung macht hilfsweise geltend, selbst wenn die Finanzhilfe für die SA Tubemeuse eine nach Artikel 92 Absatz 1 verbotene Beihilfe gewesen sein sollte, sei die Entscheidung der Kommission gegenstandslos, weil zum Zeitpunkt ihres Erlasses das Unternehmen sich in einem Vergleichsverfahren mit Aufgabe der Vermögensmasse zugunsten der Gläubiger befunden habe, was bedeute, daß das Unternehmen wirtschaftlich aufgehört habe, zu existieren. Mithin habe der Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht mehr beeinträchtigt und der Wettbewerb nicht mehr verfälscht werden können.

50 Die Regierung trägt weiter vor, daß zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung die beanstandete Beihilfe mit dem Vergleichsantrag des begünstigten Unternehmens weggefallen und die Aufhebung der Beihilfe durch die Liquidation des Unternehmensvermögens bereits vollzogen gewesen sei. Die angefochtene Entscheidung, die diese Sachlage ausser acht lasse, beruhe daher auf unzutreffenden Tatsachen und sei, soweit sie die Rückforderung der Beihilfe anordne, gegenstandslos.

51 Hierzu ist festzustellen, daß nach belgischem Recht das Vergleichsgericht dem Liquidator gestatten kann, die Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens fortzuführen. Vorliegend ist unstreitig, daß die SA Tubemeuse ihre Produktionstätigkeit, wenn auch in beschränktem Umfang, während des gesamten Vergleichsverfahrens fortgesetzt hat, daß sie weder wirtschaftlich noch rechtlich aufgehört hat, zu existieren, und daß sie schließlich auf ein anderes Unternehmen übertragen worden ist. Daher lässt sich nicht sagen, die angefochtene Entscheidung sei gegenstandslos gewesen.

52 Dieser Klagegrund kann daher nicht durchgreifen.

Zu Artikel 92 Absatz 3

53 In bezug auf die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a verweist die Kommission in der angefochtenen Entscheidung auf die von ihr durchgeführte eingehende sozioökonomische Analyse der belgischen Regionen ( Entscheidung 82/740/EWG vom 22. Juli 1982, ABl. L 312, S. 18, geändert durch die Entscheidung 85/544/EWG vom 31. Juli 1985, ABl. L 341, S. 19 ), in der sie zu dem Ergebnis gekommen sei, daß die Region Lüttich weder eine aussergewöhnlich niedrige Lebenshaltung noch eine erhebliche Unterbeschäftigung aufweise. Die belgische Regierung habe weder diese Analyse in Frage gestellt noch seither neue Angaben gemacht, die sie entkräften könnten.

54 Bezueglich der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c führt die Kommission in der angefochtenen Entscheidung aus, daß die streitigen Finanzhilfen des belgischen Staates für die SA Tubemeuse die Entwicklung der erwähnten Region nicht fördern könnten, weil das begünstigte Unternehmen ausserstande sei, seine eigene Lebensfähigkeit sicherzustellen.

55 Die belgische Regierung macht dazu geltend, daß sich die sozioökonomischen Daten seit der genannten Analyse der Kommission geändert hätten und daß die Ausnahmebestimmungen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstaben a und c insoweit auf die betreffenden Beihilfen hätten angewendet werden müssen, als diese dazu bestimmt seien, die wirtschaftliche Entwicklung der Region Lüttich zu fördern, die in der letzten Zeit durch die Schließung von Fabriken und den Wegfall von Arbeitsplätzen hart getroffen worden sei.

56 Dem Vorbringen der belgischen Regierung kann nicht gefolgt werden. Die Kommission verfügt im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 über ein weites Ermessen, dessen Ausübung wirtschaftliche und soziale Wertungen voraussetzt, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind.

57 Angesichts dieses Ermessens der Kommission ist der Klagegrund, mit dem die belgische Regierung lediglich die Wertungen in der Begründung der angefochtenen Entscheidung allgemein angegriffen hat, ohne Umstände anzuführen, anhand deren diese Wertungen in Zweifel gezogen werden könnten, zurückzuweisen.

Zu dem Vorbringen, eine sofortige Durchführung der angefochtenen Entscheidung sei unmöglich

58 Die belgische Regierung macht geltend, die sofortige Durchführung der Entscheidung der Kommission sei, soweit mit ihr die Rückforderung der beanstandeten Beihilfe angeordnet werde, unmöglich. Die Rückforderung der unter Verstoß gegen den Vertrag gewährten Beihilfen könne nämlich nur nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts erfolgen. Vorliegend stehe das Vergleichsverfahren über das Vermögen der SA Tubemeuse der Geltendmachung aller Forderungen seitens des belgischen Staates entgegen. Die Vermögensmasse des Unternehmens sei seinen Gläubigern überlassen, so daß der Staat keine Befugnis habe, die Rückzahlung der betreffenden Beihilfe anzuordnen.

59 Im übrigen könne die Entscheidung der Kommission ebensowenig wie ein Urteil des Gerichtshofes zugunsten des belgischen Staates irgendein Vorrecht begründen, das ihm gestatten würde, zu Lasten der Gläubiger der SA Tubemeuse von den einschlägigen Vorschriften abzuweichen. Der belgische Staat könne lediglich im Rahmen des Vergleichsverfahrens seine Forderung als nicht bevorrechtigter Gläubiger anmelden. Die angefochtene Entscheidung stelle daher, soweit sie die sofortige Rückforderung der angeblichen Beihilfe anordne, eine Verletzung der allgemeinen, den Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätze des Gesellschafts - und des Insolvenzrechts dar.

60 Hierzu ist zu bemerken, daß die Argumentation der belgischen Regierung davon ausgeht, die angefochtene Entscheidung ordne die Rückforderung der betreffenden Beihilfe als bevorrechtigte Forderung an. Die angefochtene Entscheidung beschränkt sich indessen darauf, die Rückforderung der Beihilfe ohne Festlegung näherer Einzelheiten dieser Rückforderung anzuordnen.

61 Die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Beihilfe erfolgt grundsätzlich nach dem einschlägigen nationalen Verfahrensrecht; allerdings darf die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung dadurch nicht praktisch unmöglich werden ( vgl. das Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 94/87, Kommission/Bundesrepublik Deutschland, Slg. 1989, 175 ).

62 Aus diesem Grunde hat auch die Kommission in der mündlichen Verhandlung erklärt, die belgische Regierung habe ihre aus der angefochtenen Entscheidung resultierende Verpflichtung zur Rückforderung der Beihilfe erfuellt, da sie nach Zurückweisung ihres Antrages auf einstweilige Anordnung durch den Präsidenten des Gerichtshofes ihre Forderung im Vergleichsverfahren über das Vermögen der SA Tubemeuse als nicht bevorrechtigte Forderung angemeldet und gegen das diese Anmeldung zurückweisende Urteil Berufung eingelegt habe.

63 Im übrigen können etwaige Schwierigkeiten verfahrensrechtlicher und sonstiger Art bei der Durchführung der angefochtenen Entscheidung keinen Einfluß auf deren Rechtmässigkeit haben.

64 Infolgedessen ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

65 Die belgische Regierung macht weiter geltend, die Pflicht, die durch die Anordnung der Rückforderung der beanstandeten Beihilfe in der angefochtenen Entscheidung begründet worden sei, stehe insoweit ausser Verhältnis zu den Zielen der Artikel 92 und 93, als durch die Anmeldung der Forderung im Vergleichsverfahren seitens des belgischen Staates den übrigen Gläubigern des Unternehmens schwere Nachteile zugefügt würden.

66 Hierzu ist festzustellen, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( vgl. z. B. das Urteil vom 24. Februar 1987 in der Rechtssache 310/85, Slg. 1987, 901 ) die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit ist. Infolgedessen kann die Rückforderung einer zu Unrecht gewährten staatlichen Beihilfe zwecks Wiederherstellung der früheren Lage grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden, die in keinem Verhältnis zu den Zielen der Bestimmungen des EWG-Vertrags über staatliche Beihilfen stuende.

67 Auch dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

68 Da keiner der von der belgischen Regierung vorgebrachten Klagegründe durchgreift, ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

69 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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