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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.1989
Aktenzeichen: 342/87
Rechtsgebiete: RL 77/388/EWG


Vorschriften:

RL 77/388/EWG Art. 27
RL 77/388/EWG Art. 17
RL 77/388/EWG Art. 22
RL 77/388/EWG Art. 18
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das in der Sechsten Richtlinie ( 77/388 ) vorgesehene Recht des Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer im Rahmen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen durch einen anderen Steuerpflichtigen besteht gemäß Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie nur für diejenigen Steuern, die geschuldet werden - d. h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen - oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden. Es erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die gemäß Artikel 21 Aabsatz 1 Buchstabe c der Richtlinie ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 13. DEZEMBER 1989. - GENIUS HOLDING BV GEGEN STAATSSECRETARIS VAN FINANCIEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - MEHRWERTSTEUER - SECHSTE MEHRWERTSTEUERRICHTLINIE 77/388/EWG - RECHT AUF VORSTEUERABZUG. - RECHTSSACHE 342/87

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 28. Oktober 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 1987, zwei Fragen nach der Auslegung mehrerer Bestimmungen der Sechsten Richtlinie ( 77/388/EWG ) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem : einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ( ABl. L 145, S. 1; nachstehend : Sechste Richtlinie ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der in Ijmuiden ansässigen steuerlichen Einheit Genius Holding BV ( seinerzeit : Genius BV ), deren Tätigkeit in der Verrichtung von Montage - und Fertigungsarbeiten besteht, und dem Staatssecretaris van Financiën.

3 Gegen die Genius Holding, die für die Ausführung ihrer Aufträge Subunternehmer beschäftigt, erging für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1982 ein Nacherhebungsbescheid mit der Begründung, daß sie entgegen den geltenden Rechtsvorschriften von der von ihr geschuldeten Umsatzsteuer die Mehrwertsteuer abgezogen habe, die der Genicon Montage BV von zwei Subunternehmern, der Vissers Pijpleiding en Montage BV und des Montagebedrijf J. Van Mierlo, in Rechnung gestellt worden sei.

4 Der Inspecteur der Omzetbelasting wies die Beschwerde der Genius Holding gegen den Nacherhebungsbescheid zurück. Daraufhin erhob sie Klage beim Gerechtshof Amsterdam, der den angefochtenen Bescheid bestätigte.

5 Der mit der Kassationsbeschwerde befasste Hoge Raad ist der Ansicht, nach niederländischem Recht sei der Vorsteuerabzug nur zulässig, wenn die in der Rechnung ausgewiesene Steuer auch tatsächlich geschuldet werde. Nach der sogenannten Verlagerungsregelung, die in den Niederlanden aufgrund der vom Rat gemäß Artikel 27 der Sechsten Richtlinie erteilten Ermächtigung für die fraglichen Tätigkeiten gilt, schuldet der Subunternehmer nicht die Mehrwertsteuer für die dem Unternehmer erbrachten Leistungen, da diese Steuer ausschließlich vom Unternehmer auf den Betrag zu entrichten ist, den er dem Auftraggeber in Rechnung stellt. Daraus folgt, daß die Klägerin des Ausgangsverfahrens keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte, da die betreffende Mehrwertsteuer ihr von den Subunternehmern unter Verstoß gegen die vorerwähnten Vorschriften in Rechnung gestellt worden war.

6 Der Hoge Raad ist sich nicht sicher, ob eine solche Regelung mit der Sechsten Richtlinie vereinbar ist. Er hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Erstreckt sich das in der Sechsten Richtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug auch auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist?

2 ) Wenn ja, ermöglicht es die Richtlinie dann den Mitgliedstaaten, das Recht auf Abzug dieser Steuer dadurch - entweder ganz oder nur in besonderen Fällen - auszuschließen, daß an die Rechnung Anforderungen gestellt werden?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Zur Beantwortung der ersten Frage ist darauf hinzuweisen, daß der Steuerpflichtige gemäß Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie von der von ihm geschuldeten Steuer abziehen darf :

"die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden."

9 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission sind der Ansicht, diese Bestimmung sei dahin auszulegen, daß jede in der Rechnung ausgewiesene Steuer abgezogen werden dürfe.

10 Sie machen geltend, die Auslegung, wonach nur die Steuern, die mit der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang stuenden, Gegenstand eines Vorsteuerabzugs sein könnten, stehe im Widerspruch zur Zielsetzung der Regelung über den Vorsteuerabzug, durch die, wie der Gerichtshof in dem Urteil vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83 ( Rompelman, Slg. 1985, 655 ) entschieden habe, gewährleistet werden solle, daß alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, sofern sie der Mehrwertsteuer unterlägen, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in völlig neutraler Weise steuerlich belastet würden. Da gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweise, diese Steuer schulde, selbst wenn sie sie kraft Gesetzes eigentlich nicht zu zahlen sei, führe der Ausschluß des Rechts auf Vorsteuerabzug in diesem Fall zur Besteuerung einer Tätigkeit entgegen dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.

11 Ausserdem hätten die Wirtschaftsteilnehmer bei einer solchen Auslegung zu kontrollieren, ob die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer gesetzlich geschuldet werde, wofür es einer Beurteilung der gewählten Tarifierung bedürfe und die gewährten Steuerbefreiungen bekannt sein müssten. Diese Auslegung sei daher einem reibungslosen Ablauf der Handelsbeziehungen abträglich.

12 Dazu ist zunächst festzustellen, daß der Rat bei der Formulierung des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a sowohl von der Fassung des Artikels 11 Absatz 1 Buchstabe a der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 ( ABl. 71, S. 1303 ) als auch von derjenigen des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a des Vorschlags der Kommission für eine Sechste Richtlinie ( ABl. C 80 vom 5. 10. 1973, S. 1 ) abgewichen ist, nach denen das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug die Mehrwertsteuer umfasste, die ihm für an ihn gelieferte Gegenstände und an ihn erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt wurde.

13 Aus der gegenüber diesen Bestimmungen erfolgten Änderung ergibt sich, daß das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die geschuldet werden - d. h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen - oder die entrichtet worden sind, soweit sie geschuldet wurden.

14 Diese Auslegung des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a wird durch andere Bestimmungen der Sechsten Richtlinie bestätigt.

15 Gemäß Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a muß der Steuerpflichtige, um sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine nach Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b ausgestellte Rechnung besitzen, d. h. eine Rechnung, die getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweist. Nach diesen Bestimmungen hängt die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon ab, daß in der Rechnung die Steuer ausgewiesen ist, die mit der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang steht. Dieses Recht ist somit für eine Steuer ausgeschlossen, die - entweder weil sie höher ist als die gesetzlich geschuldete Steuer oder weil der betreffende Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt - in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht.

16 Ausserdem wird gemäß Artikel 2O Absatz 1 Buchstabe a "der ursprüngliche Vorsteuerabzug... nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere :... wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war ". Nach dieser Bestimmung muß also der ursprüngliche Vorsteuerabzug, wenn er nicht dem Betrag der gesetzlich geschuldeten Steuer entspricht, berichtigt werden, selbst wenn er mit dem in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausgewiesenen Steuerbetrag übereinstimmt.

17 Bei dieser Auslegung des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a lassen sich auch am ehesten Steuerhinterziehungen verhindern, die erleichtert würden, wenn jede in Rechnung gestellte Steuer abgezogen werden könnte.

18 Soweit die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die Kommission schließlich geltend machen, eine Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug allein auf diejenigen Steuern, die mit der Lieferung von Gegenständen und der Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang stuenden, stelle den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage, ist darauf hinzuweisen, daß es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zu gewährleisten, daß sie in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen, daß jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist.

19 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß das in der Sechsten Richtlinie ( 77/388/EWG ) des Rates vom 17. Mai 1977 vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug sich nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist.

20 Angesichts dieser Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der niederländischen Regierung, der spanischen Regierung und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Fünfte Kammer )

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 28. Oktober 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Das in der Sechsten Richtlinie ( 77/388/EWG ) des Rates vom 17. Mai 1977 vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist.

Ende der Entscheidung

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