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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.04.1988
Aktenzeichen: 352/85
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, EMRK


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 56
EWG-Vertrag Art. 59
EWG-Vertrag Art. 60
EWG-Vertrag Art. 66
EMRK Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn in einem Mitgliedstaat ansässige Betreiber von Kabelnetzen Fernsehprogramme verbreiten, die von Sendern in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden und Werbemitteilungen enthalten, die speziell für die Öffentlichkeit des Empfangsstaats bestimmt sind, so liegen mehrere Dienstleistungen im Sinne von Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag vor.

2. Nationale Rechtsvorschriften, nach denen von Sendern mit Standort in anderen Mitgliedstaaten ausgestrahlte Programme nur dann durch Kabel übertragen werden dürfen, wenn sie keine speziell für das inländische Publikum bestimmten Werbemitteilungen enthalten, während für die nationalen Fernsehanstalten keine derartigen Beschränkungen bestehen, stellen aufgrund ihres diskriminierenden Charakters Beschränkungen dar, die nach Artikel 59 EWG-Vertrag verboten sind. Dasselbe gilt für das Verbot der Untertitelung dieser Programme in der Nationalsprache, da dieses ausschließlich darauf abzielt, das Werbeverbot zu ergänzen.

Selbst wenn für derartige diskriminierende Beschränkungen Gründe der öffentlichen Ordnung, nämlich die Wahrung des nichtkommerziellen und damit pluralistischen Charakters des inländischen Rundfunks, angeführt werden, fallen sie nicht unter die durch Artikel 56 EWG-Vertrag zugelassenen Ausnahmen, da sie zu dem verfolgten Ziel ausser Verhältnis stehen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 26. APRIL 1988. - BOND VAN ADVERTEERDERS UND ANDERE GEGEN NIEDERLAENDISCHEN STAAT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER GERECHTSHOF DEN HAAG. - VERBOT DER WERBUNG UND DES UNTERTITELNS FUER IM AUSLAND AUSGESTRAHLTE FERNSEHSENDUNGEN. - RECHTSSACHE 352/85.

Entscheidungsgründe:

1 Mit Beschluß vom 30. Oktober 1985, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 1985, hat der Gerechtshof Den Haag neun Fragen nach der Auslegung der Bestimmungen des EWG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr sowie nach der Tragweite bestimmter allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gestellt, um beurteilen zu können, ob eine innerstaatliche Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, die es verbietet, von anderen Mitgliedstaaten aus gesendete Hörfunk - und Fernsehprogramme über Kabelnetze zu verbreiten, wenn diese Programme Werbemitteilungen enthalten, die sich speziell an das niederländische Publikum richten oder niederländische Untertitel führen.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem niederländischen "Bond van Adverteerders" ( Verband der Werbewirtschaft ), vierzehn Werbeagenturen sowie dem Betreiber eines Kabelnetzes ( nachstehend : die Werbefirmen ) einerseits und dem niederländischen Staat andererseits. In diesem Rechtsstreit geht es um die in der Kabelregeling, einer Ministerialverordnung vom 26. Juli 1984 ( STCRT Nr. 145 vom 27.7.1984 ), enthaltenen Verbote der Werbung und der Untertitelung, die nach Ansicht der Werbefirmen gegen die Artikel 59 ff. EWG-Vertrag sowie gegen die durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Freiheit der Meinungsäusserung verstossen.

3 Die in Rede stehenden Verbote der Werbung und der Untertitelung ergeben sich aus Artikel 4 Absatz 1 der Kabelregeling, wonach "die Benutzung einer Antennenanlage zum Zweck der Übertragung von für die Öffentlichkeit bestimmten Rundfunk - und Fernsehprogrammen... zulässig (( ist )), wenn es sich handelt

...

c ) um Programme, die vom Ausland her über Kabel -, Funk - oder Satellitenverbindungen angeboten werden, und zwar durch oder im Auftrag von Anstalten oder Gruppen von Anstalten, die das Programm im Lande ihrer Niederlassung mittels eines Rundfunksenders oder eines Kabelnetzes verbreiten, sofern

- das Programm keine speziell für das niederländische Publikum bestimmte Werbemitteilungen enthält,

- es vorbehaltlich einer Genehmigung durch den Minister nicht mit niederländischen Untertiteln arbeitet ".

4 Nach den Begründungserwägungen zur Kabelregeling betreffen diese Verbote nicht die Weitergabe (" doorgifte ") von über Funk ausgestrahlten Programmen durch den Betreiber eines Kabelnetzes. Nach den Darlegungen der niederländischen Regierung liegt der Grund hierfür darin, daß diese Programme grundsätzlich keine speziell für die niederländische Öffentlichkeit bestimmten Werbemitteilungen enthalten und daß sie zumindest von einem Teil der niederländischen Fernsehzuschauer direkt empfangen werden können. Wie die niederländische Regierung weiter ausgeführt hat, ohne auf den Widerspruch der Werbefirmen zu stossen, wenden sich die Verbote der Kabelregeling allein dagegen, daß der Betreiber eines Kabelnetzes Programme übermittelt (" overbrenging "), die ihm durch ausländische Sender über Fernmeldesatelliten "point to point" gesendet werden, was für die durch Sky Channel, Super Channel oder TV 5 ausgestrahlten Programme zutrifft.

5 In den Begründungserwägungen zur Kabelregeling heisst es weiterhin, die Verbote der Werbung und der Untertitelung seien dazu bestimmt, "das indirekte Zustandekommen eines kommerziellen Kabelrundfunkprogramms oder Fernsehabonnentenprogramms in den Niederlanden (( zu verhindern )), das dem inländischen Rundfunk und dem niederländischen Abonnentenfernsehen, das noch der Entwicklung bedarf, unlautere Konkurrenz machen könnte ".

6 Die "Omröpwet" ( Rundfunkgesetz ) von 1967 ( Staatsblad 176 ) wurde in der Absicht erlassen, für beide inländischen Kanäle ein pluralistisches, nichtkommerzielles Rundfunksystem einzuführen. Gemäß den Artikeln 27 und 29 dieses Gesetzes wird die für die Verbreitung von Programmen auf beiden Kanälen verfügbare Sendezeit aufgeteilt zwischen der "Nederlandse Omröpstichting" ( Niederländische Rundfunkstiftung; nachstehend : NOS ) und einer Reihe von durch den zuständigen Minister genehmigten Rundfunkanstalten ( nachstehend : Omröporganisaties ), die insbesondere die grossen geistigen Strömungen des niederländischen Volkes vertreten. Artikel 36 des Gesetzes bestimmt, daß die NOS ein gemeinsames Programm zu senden hat, das u. a. die Fernsehnachrichten umfasst. Überdies verpflichtet Artikel 35 des Gesetzes jede der Omröporganisaties, ein vollständiges Programm auszustrahlen, das in ausgewogenem Verhältnis kulturelle, erzieherische, unterhaltende und informative Sendungen umfasst.

7 Artikel 11 der Omröpwet verbietet es den Omröporganisaties, auf Verlangen Dritter Werbemitteilungen auszustrahlen. Das Recht, über die beiden inländischen Kanäle solche Mitteilungen zu verbreiten, bleibt gemäß Artikel 50 der Omröpwet der "Stichting Etherreclame" ( Stiftung für Rundfunkwerbung; nachstehend : STER ) vorbehalten. Die STER produziert diese Sendungen nicht selbst; sie beschränkt sich darauf, für die Ausstrahlung der durch Dritte, denen sie Sendezeiten zur Verfügung stellt, vorbereiteten Sendungen zu sorgen. Artikel 6 Absatz 2 ihrer Satzung schreibt ihr vor, ihre Einnahmen an den Staat zu überführen, der sie für die Subventionierung der Omröporganisaties und, in geringerem Umfang, der Presse verwendet. Nach den Ausführungen der niederländischen Regierung, denen die Werbefirmen nicht widersprochen haben, stammen die finanziellen Einnahmen der Omröporganisaties zu ungefähr 70 % aus Rundfunkbeiträgen der Fernsehzuschauer und zu etwa 30 % aus Erlösen der STER.

8 Nach Ansicht der Werbefirmen bietet ihnen die STER zu beschränkte Werbemöglichkeiten. Insbesondere sei sie nicht in der Lage, so häufig wie gewünscht Werbemitteilungen auszustrahlen. Die Firmen wünschen deshalb die umfassenderen Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen durch ausländische Sender von kommerziellen Programmen geboten werden; Werbe - und Untertitelungsverbot der Kabelregeling stuenden dem im Wege.

9 Die Betroffenen beantragten daher beim Präsidenten der Arrondissementsrechtbank Den Haag, den Vollzug der streitigen Verbote im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig auszusetzen. Der Präsident gab dem Antrag statt, soweit er das Verbot der Untertitelung betraf, wies ihn jedoch hinsichtlich des Werbeverbots zurück. Seiner Meinung nach ist das Verbot der Untertitelung diskriminierend, da es nicht für die Omröporganisaties gelte, und überfluessig, weil das Werbeverbot bereits genüge, um die Verbreitung von ausländischen Programmen mit niederländischen Untertiteln, die Werbemitteilungen umfassen, zu verhindern. Sowohl die Werbefirmen als auch der niederländische Staat haben gegen diesen Beschluß ein Rechtsmittel beim Gerechtshof Den Haag eingelegt.

10 Dieser hielt es für erforderlich, dem Gerichtshof neun Fragen über die Auslegung der Artikel 59 ff. EWG-Vertrag vorzulegen. Die Fragen lauten wie folgt :

"1 ) Liegt eine oder liegen mehrere, aufgrund all ihrer wesentlichen Merkmale nicht auf das Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats beschränkte Dienstleistungen vor, wenn über Kabel -, Funk - oder Satellitenverbindungen aus dem Ausland angebotene Hörfunk - oder Fernsehprogramme - mit oder ohne Werbemitteilungen - von Betreibern von Kabelnetzen in diesem Mitgliedstaat empfangen werden und dann durch diese Betreiber über ihre Kabelnetze verbreitet werden?

2 ) Bei Bejahung der Frage 1 : Liegt eine nach Artikel 59 EWG-Vertrag unzulässige Beschränkung derartiger Dienstleistungen vor, wenn eine nationale Regelung die Verbreitung von in der genannten Weise aus dem Ausland angebotenen Programmen über inländische Kabelnetze Beschränkungen unterwirft, die nicht oder nicht in gleicher Weise für entsprechende inländische Sendungen gelten?

3 ) Ist es für die Beantwortung der Frage 2 von Bedeutung, ob die in der genannten Weise aus dem Ausland angebotenen Programme speziell an das Publikum des betroffenen Mitgliedstaats gerichtete Werbemitteilungen enthalten, wenn entsprechende Mitteilungen in aus diesem Mitgliedstaat stammenden Programmen nur durch eine Einrichtung, die ein gesetzliches Monopol für derartige Sendungen besitzt, ausgestrahlt werden dürfen und die Einnahmen dieser Einrichtung aus diesen Sendungen ( fast ) vollständig für die Finanzierung des Betriebs der inländischen Rundfunkanstalten und für die inländische Presse bestimmt sind?

4 ) Falls die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar sind, stellt dann eine wie oben beschriebene innerstaatliche Regelung, die die Verbreitung der in der genannten Weise aus dem Ausland angebotenen Programme mit speziell an das Publikum des Empfangsmitgliedstaats gerichteten Werbemitteilungen verbietet, eine nach Artikel 59 EWG-Vertrag unzulässige Beschränkung dar, wenn den inländischen Rundfunkanstalten dieses Mitgliedstaats die Ausstrahlung von Werbemitteilungen verboten und die Verbreitung solcher Mitteilungen aus diesem Mitgliedstaat einer Einrichtung vorbehalten ist, die ein gesetzliches Monopol für solche Sendungen besitzt, während die Einnahmen aus diesen Sendungen ( nahezu ) vollständig für die inländischen Rundfunkanstalten und die inländische Presse bestimmt sind?

5 ) Falls die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar sind, stellt dann eine wie oben beschriebene nationale Regelung, die die Verbreitung der in der beschriebenen Weise aus dem Ausland angebotenen Programme mit Untertiteln in der Sprache des Empfangsmitgliedstaats nur deshalb von einer behördlichen Genehmigung abhängig macht, um an das Publikum des betreffenden Mitgliedstaats gerichtete kommerzielle Sendungen zu verhindern, eine nach Artikel 59 EWG-Vertrag unzulässige Beschränkung dar, wenn für inländische Rundfunkanstalten strenge Zulassungsvoraussetzungen gelten, diese Anstalten keinen kommerziellen Rundfunk ( in welcher Form auch immer ) betreiben dürfen und im übrigen eine Situation vorliegt, wie sie im letzten Teil der vierten Frage beschrieben wurde?

6 ) Falls die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar sind, ist dann von einer nationalen Regelung - abgesehen davon, daß sie nicht diskriminieren darf - auch zu verlangen, daß sie aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und in einem vernünftigen Verhältnis zu dem mit ihr angestrebten Ziel steht?

7 ) Bei Bejahung der Frage 6 : Können kulturpolitische Zielsetzungen, die auf die Aufrechterhaltung eines pluralistischen und nichtkommerziellen Rundfunkwesens sowie einer pluralistischen und unabhängigen Presse gerichtet sind, einen solchen Rechtfertigungsgrund liefern, auch wenn die Regelung ( nahezu ) ausschließlich die finanziellen Voraussetzungen für diese Zielsetzungen betrifft?

8 ) Kann ein solcher Rechtfertigungsgrund darin bestehen, daß durch eine nationale Regelung, wie sie in den vorausgegangenen Fragen beschrieben wurde, verhindert werden soll, daß in der genannten Weise aus dem Ausland angebotene kommerzielle Programme dem inländischen Rundfunk in dem betroffenen Mitgliedstaat und den in diesem Mitgliedstaat noch zu entwickelnden neuen Medienformen Konkurrenz machen?

9 ) Können die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ( namentlich der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ) und die im Gemeinschaftsrecht verankerten Grundrechte ( namentlich der Meinungs - und Informationsfreiheit ) unmittelbare Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründen, an denen eine wie oben beschriebene innerstaatliche Regelung ohne Rücksicht darauf gemessen werden muß, ob geschriebenes Gemeinschaftsrecht auf sie anwendbar ist?"

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

a ) Zur Frage, ob Dienstleistungen im Sinne der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag vorliegen

12 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob eine oder mehrere Dienstleistungen im Sinne von Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag vorliegen, wenn in einem Mitgliedstaat ansässige Betreiber von Kabelnetzen Fernsehprogramme verbreiten, die von Sendern in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden und Werbemitteilungen enthalten, die speziell für die Öffentlichkeit des Empfangsstaats bestimmt sind.

13 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzustellen, um welche Dienstleistungen es sich hier handelt, dann zu prüfen, ob diese Leistungen grenzueberschreitenden Charakter im Sinne von Artikel 59 EWG-Vertrag haben, und schließlich zu untersuchen, ob es um Dienstleistungen geht, die - im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag - in der Regel gegen Entgelt erbracht werden.

14 Die Sendungen, die den Gegenstand des Rechtsstreits bilden, enthalten mindestens zwei gesonderte Dienstleistungen. Die erste Leistung erbringen die in einem Mitgliedstaat ansässigen Betreiber von Kabelnetzen zugunsten der Sendeanstalten in anderen Mitgliedstaaten, indem sie die von diesen ausgestrahlten Fernsehprogramme an ihre eigenen Teilnehmer weiterleiten. Die zweite Leistung erbringen die Sendeanstalten einiger Mitgliedstaaten zugunsten der insbesondere im Empfangsstaat ansässigen Werbefirmen, indem sie die Werbemitteilungen verbreiten, die diese Firmen speziell für das Publikum des Empfangsstaats erstellt haben.

15 Beide Dienstleistungen haben grenzueberschreitenden Charakter im Sinne von Artikel 59 EWG-Vertrag. In beiden Fällen sind nämlich die Erbringer der Leistung in einem anderen Mitgliedstaat ansässig als diejenigen, denen die Leistung zugute kommt.

16 Beide Dienstleistungen werden auch - im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag - gegen Entgelt erbracht. Zum einen erhalten die Betreiber der Kabelnetze für den Dienst, den sie den Sendeanstalten leisten, ein Entgelt in Form von Gebühren, die sie von ihren Teilnehmern erheben. Dabei ist es unerheblich, daß sie für diese Weiterleitung in der Regel nicht von den Sendeanstalten selbst bezahlt werden. Artikel 60 EWG-Vertrag verlangt nicht, daß die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugute kommt. Zum anderen werden die Sendeanstalten von den Werbefirmen für die Dienste bezahlt, die sie ihnen leisten, indem sie deren Mitteilungen in ihr Programm aufnehmen.

17 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist somit dahin zu beantworten, daß mehrere Dienstleistungen im Sinne von Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag vorliegen, wenn in einem Mitgliedstaat ansässige Betreiber von Kabelnetzen Fernsehprogramme verbreiten, die von Sendern in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden und Werbemitteilungen enthalten, die speziell für die Öffentlichkeit des Empfangsstaats bestimmt sind.

b ) Zur Frage, ob nach Artikel 59 EWG-Vertrag verbotene Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegen

18 Mit der zweiten, dritten, vierten und fünften Frage will das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Werbe - und Untertitelungsverbote wie diejenigen der Kabelregeling nach Artikel 59 EWG-Vertrag verbotene Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, wenn berücksichtigt wird, daß die niederländische Omröpwet den Sendern, die inländische Programme ausstrahlen, die Verbreitung von Werbemitteilungen verbietet und das Recht, solche Mitteilungen zu verbreiten, einer Stiftung vorbehält, die gemäß ihrer Satzung verpflichtet ist, ihre Einnahmen an den Staat abzuführen, der sie dazu verwendet, die Sendeanstalten, die inländische Programme ausstrahlen, und die Presse zu subventionieren.

19 Diese Fragen sind zusammen zu beantworten, wobei zunächst das Werbeverbot und anschließend das Verbot der Untertitelung zu prüfen ist.

20 Die besonderen Umstände, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat, machen es notwendig, diese beiden Verbote der Kabelregeling in Zusammenhang mit den inländischen Vorschriften über das Rundfunkwesen zu untersuchen.

- Zum Werbeverbot

21 Gemäß Artikel 59 EWG-Vertrag waren die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als dem des Leistungsempfängers ansässig sind, bis zum Ende der Übergangszeit aufzuheben.

22 Ein Werbeverbot wie das in der Kabelregeling ausgesprochene enthält eine doppelte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs. Zum einen hindert es die in einem Mitgliedstaat ansässigen Betreiber von Kabelnetzen daran, von Sendern mit Standort in anderen Mitgliedstaaten angebotene Fernsehprogramme weiterzuleiten. Zum anderen verwehrt das Verbot es diesen Sendern, in ihre Programme - unter anderem zum Nutzen von im Empfangsstaat ansässigen Werbefirmen - Mitteilungen aufzunehmen, die sich speziell an das Publikum dieses Staates wenden.

23 Die niederländische Regierung ist der Auffassung, das Werbeverbot der Kabelregeling treffe die Sender in anderen Mitgliedstaaten in der gleichen Weise, wie das Werbeverbot der Omröpwet die Omröporganisaties treffe; jenes Verbot sei sogar weniger einschneidend als dieses, da es nicht alle Werbemitteilungen verbiete, sondern nur diejenigen, die speziell für das niederländische Publikum bestimmt sind. Hieraus folge, daß, sollte eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegen, diese nicht diskriminierender Art wäre und deshalb nicht unter das Verbot von Artikel 59 EWG-Vertrag fiele.

24 Dieser Überlegung kann nicht gefolgt werden. Es geht nicht um einen Vergleich zwischen der Lage der Omröporganisaties und derjenigen der Sendeanstalten in anderen Mitgliedstaaten; zu vergleichen ist vielmehr die Gesamtlage des niederländischen Rundfunks mit derjenigen der ausländischen Sender.

25 In dieser Hinsicht ist hervorzuheben, daß die STER nur die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, daß die Verbreitung von Werbung über die niederländischen Programme in technischer und finanzieller Beziehung in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Omröpwet erfolgt; die STER kann nicht selbst als Veranstalter von Programmen angesehen werden. Sie regelt lediglich die Übertragung von Werbemitteilungen, die von Dritten, denen sie Sendezeiten verkauft, gestaltet werden.

26 Es liegt somit eine Diskriminierung vor, da das Werbeverbot der Kabelregeling den Sendern der anderen Mitgliedstaaten jede Möglichkeit nimmt, über ihr Programm speziell für das niederländische Publikum bestimmte Werbemitteilungen auszustrahlen, während die Omröpwet die Ausstrahlung derartiger Sendungen über die inländischen Programme zugunsten der Gesamtheit der Omröporganisaties zulässt.

27 Nach alledem hat ein Werbeverbot, wie das in der Kabelregeling enthaltene, Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zur Folge, die nach Artikel 59 EWG-Vertrag verboten sind.

- Zum Verbot der Untertitelung

28 Die niederländische Regierung macht im wesentlichen geltend, wie aus den Begründungserwägungen zur Kabelregeling hervorgehe, ziele das Verbot der Untertitelung einzig und allein darauf ab, zu verhindern, daß das Werbeverbot umgangen werde. Das sei vor allem dann der Fall, wenn das mit niederländischen Untertiteln versehene ausländische Programm - wie bei kommerziellen Programmen üblich - Werbung enthalte. Nach den Begründungserwägungen der Kabelregeling müsse eine solche Werbung wegen der Untertitelung des in Rede stehenden Programms als speziell für das niederländische Publikum bestimmt angesehen werden. Zwar enthalte die Omröpwet kein an die Omröporganisaties gerichtetes Verbot der Untertitelung; jedoch könnten diese Anstalten aufgrund der für den Zugang zum System des niederländischen Rundfunks geltenden Vorschriften die von ihnen ausgestrahlten Programme nur insoweit mit Untertiteln versehen, als die Programme keine Werbemitteilungen enthielten.

29 Hierzu genügt die Feststellung, daß das an die Sender in anderen Mitgliedstaaten gerichtete Verbot der Untertitelung ausschließlich darauf abzielt, das Werbeverbot zu ergänzen, das, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, seinerseits Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs mit sich bringt, die unter das Verbot von Artikel 59 EWG-Vertrag fallen.

30 Ein Verbot der Untertitelung wie das in der Kabelregeling enthaltene hat somit Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zur Folge, die nach Artikel 59 EWG-Vertrag verboten sind.

c ) Zur Frage, ob Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs wie die hier in Rede stehenden gerechtfertigt sein können

31 Mit seiner sechsten Frage - die von der Annahme ausgeht, innerstaatliche Vorschriften wie die vorliegend umstrittenen hätten keinen diskriminierenden Charakter - möchte das vorlegende Gericht wissen, ob derartige Vorschriften durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein und in einem vernünftigen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen. Mit seiner siebenten und achten Frage möchte es ferner wissen, ob solche Gründe kulturpolitischer Art oder Bestandteil einer Politik zur Bekämpfung einer Form des unlauteren Wettbewerbs sein können.

32 Zunächst ist hervorzuheben, daß sich innerstaatliche Vorschriften, die nicht unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf deren Ursprung anwendbar und die somit diskriminierend sind, mit dem Gemeinschaftsrecht nur dann vereinbaren lassen, wenn sie unter eine ausdrücklich abweichende Bestimmung fallen.

33 Die einzige abweichende Bestimmung, die in einem Fall wie dem vorliegenden in Betracht kommen kann, ist Artikel 56 EWG-Vertrag, auf den Artikel 66 verweist; nach jener Bestimmung gilt das Verbot von Artikel 59 EWG-Vertrag nicht für innerstaatliche Vorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sind.

34 Wirtschaftliche Ziele wie dasjenige, einer inländischen öffentlichen Stiftung die Gesamtheit der Einnahmen zu sichern, die aus speziell für das Publikum des betroffenen Staats bestimmten Werbemitteilungen stammen, können keine Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 56 EWG-Vertrag sein.

35 Die niederländische Regierung hat jedoch geltend gemacht, die Verbote der Werbung und der Untertitelung verfolgten letzten Endes einen nichtwirtschaftlichen Zweck, nämlich die Aufrechterhaltung des nichtkommerziellen und damit pluralistischen Charakters des inländischen Rundfunks. In der Tat würden aus den Einnahmen der STER die Subventionen bestritten, die der Staat den Omröporganisaties zahle, damit diese ihren nichtkommerziellen Charakter wahren könnten. Ein pluralistischer Rundfunk sei aber nur vorstellbar, wenn die Omröporganisaties einen nichtkommerziellen Charakter hätten.

36 Hierzu genügt die Feststellung, daß die aufgrund von Artikel 56 EWG-Vertrag getroffenen Maßnahmen nicht in einem Mißverhältnis zum angestrebten Ziel stehen dürfen. Da Artikel 56 EWG-Vertrag eine Ausnahme von einem grundlegenden Prinzip des Vertrages vorsieht, muß er so ausgelegt werden, daß sich seine Wirkung auf dasjenige beschränkt, was zum Schutz der Interessen notwendig ist, die er wahren will.

37 Die niederländische Regierung erkennt selbst an, daß es weniger einschränkende, nichtdiskriminierende Mittel gibt, um die angestrebten Ziele zu erreichen. So könnte den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Veranstaltern kommerzieller Programme die Wahl gelassen werden, sich entweder den objektiven, auch für den inländischen Rundfunk geltenden Beschränkungen der Ausstrahlung von Werbesendungen - wie dem Verbot der Werbung für bestimmte Erzeugnisse oder an bestimmten Tagen, der Begrenzung der Zeitdauer oder der Häufigkeit der Sendungen - zu fügen oder aber, falls sie das nicht wünschen, auf Werbesendungen zu verzichten, die speziell für das niederländische Publikum bestimmt sind.

38 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Mai 1980 in der Rechtssache 52/79 ( Debauve, Slg. 1980, 833 ) entschieden hat, bleibt jeder Mitgliedstaat in Ermangelung einer Harmonisierung der auf dem Gebiet von Hörfunk und Fernsehen geltenden innerstaatlichen Vorschriften befugt, Fernsehwerbung in seinem Hoheitsgebiet aus Gründen des Allgemeininteresses Rechtsvorschriften zu unterwerfen, zu beschränken oder sogar völlig zu verbieten, sofern er alle Dienstleistungen in diesem Bereich ohne Rücksicht auf ihren Ursprung, auf die Staatsangehörigkeit des Erbringers der Leistung oder auf den Ort, an dem dieser ansässig ist, gleich behandelt.

39 Nach alledem ist festzustellen, daß Verbote der Werbung und der Untertitelung wie die in der Kabelregeling enthaltenen nicht durch Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 56 EWG-Vertrag gerechtfertigt sein können.

d ) Zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und den vom Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechten

40 Die neunte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und das durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte Recht auf Meinungsfreiheit den Mitgliedstaaten unmittelbare Verpflichtungen auferlegen, unabhängig davon, ob geschriebene Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anwendbar sind.

41 Aus den Antworten auf die vorangegangenen Fragen ergibt sich, daß Verbote der Werbung und der Untertitelung, wie die in der Kabelregeling enthaltenen, mit den Artikeln 59 ff. EWG-Vertrag unvereinbar sind. Diese Antworten ermöglichen es dem vorlegenden Gericht bereits für sich allein, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden; die neunte Frage bedarf daher keiner Beantwortung.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Die Auslagen der Bundesregierung und der französischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Gerechtshof Den Haag mit Beschluß vom 18. November 1985 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Wenn in einem Mitgliedstaat ansässige Betreiber von Kabelnetzen Fernsehprogramme verbreiten, die von Sendern in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden und Werbemitteilungen enthalten, die speziell für die Öffentlichkeit des Empfangsstaats bestimmt sind, so liegen mehrere Dienstleistungen im Sinne von Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag vor.

2 ) Verbote der Werbung und der Untertitelung, wie die in der Kabelregeling enthaltenen, haben Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zur Folge, die nach Artikel 59 EWG-Vertrag verboten sind.

3 ) Solche Verbote können nicht durch Gründe der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 56 EWG-Vertrag gerechtfertigt sein.

Ende der Entscheidung

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