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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.07.2000
Aktenzeichen: C-11/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 90/270/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 90/270/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der durch die Richtlinie 90/270 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten verfolgte Zweck des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer erfordert, daß unabhängig davon, welcher Art die auf dem Bildschirm wiedergegebenen Bilder sind, die in der Richtlinie und ihrem Anhang aufgestellten Vorschriften eingehalten werden. Unter den Begriff "Bildschirm zur Grafikdarstellung" im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a dieser Richtlinie, der daher weit auszulegen ist, fallen auch Bildschirme, auf denen Filmaufzeichnungen in analoger oder in digitalisierter Form dargestellt werden.

Dagegen ist der Begriff "Fahrer- bzw. Bedienerplätze von Fahrzeugen und Maschinen" im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270, da er einen Ausnahmetatbestand vom Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 darstellt, eng auszulegen. Dieser Begriff erfaßt daher nicht einen Arbeitsplatz, auf dem analoges oder digitalisiertes Bildmaterial mit Hilfe von technischen Einrichtungen und/oder Computerprogrammen bearbeitet wird, um sendefähige Fernsehbeiträge fertigzustellen.

(vgl. Randnrn. 37, 41, 43, 50, 54, Tenor Nrn. 1 bis 2)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 6. Juli 2000. - Margrit Dietrich gegen Westdeutscher Rundfunk. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Arbeitsgericht Siegen - Deutschland. - Richtlinie 90/270/EWG des Rates über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten - Geltungsbereich - Begriff "Bildschirm" im Sinne des Artikels 2 - Begriff "Fahrer- bzw. Bedienerplätze" im Sinne des Artikels 1. - Rechtssache C-11/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-11/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Arbeitsgericht Siegen (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Margrit Dietrich

gegen

Westdeutscher Rundfunk

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 2 Buchstabe a und 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 156, S. 14)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter) sowie der Richter R. Schintgen, C. Gulmann, J.-P. Puissochet und V. Skouris,

Generalanwalt: A. Saggio

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- des Westdeutschen Rundfunks, vertreten durch Rechtsanwalt W. Rebel, Köln,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Hillenkamp und durch N. Yerrell, zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordnete nationale Beamtin, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Februar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Arbeitsgericht Siegen hat mit Beschluß vom 7. Januar 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 Buchstabe a und 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 156, S. 14) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit, den Margrit Dietrich (nachstehend: Klägerin) gegen ihren Arbeitgeber, den Westdeutschen Rundfunk (WDR) (nachstehend: Beklagter), ein Rundfunkunternehmen in der Rechtsform einer gemeinnützigen Anstalt des öffentlichen Rechts, das im Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen Hörfunk- und Fernsehproduktionen erstellt und überträgt, wegen der Begrenzung ihrer täglichen Bildschirmarbeitszeit führt.

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1; nachstehend: Rahmenrichtlinie) lautet:

"Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.)."

4 Artikel 16 Absatz 1 der Rahmenrichtlinie sieht vor, daß der Rat Einzelrichtlinien erläßt, u. a. für die im Anhang aufgeführten Bereiche, zu denen "Arbeiten mit Bildschirmgeräten" gehören.

5 Die Richtlinie 90/270 bestimmt in Artikel 1:

"(1) Diese Richtlinie ist die fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG. Sie legt Mindestvorschriften in bezug auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten im Sinne von Artikel 2 fest.

(2) Die Richtlinie 89/391/EWG findet unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Bestimmungen der vorliegenden Richtlinien in vollem Umfang auf den gesamten in Absatz 1 genannten Bereich Anwendung.

(3) Diese Richtlinie gilt nicht für

a) Fahrer- bzw. Bedienerplätze von Fahrzeugen und Maschinen;

b) Datenverarbeitungsanlagen an Bord eines Verkehrsmittels;

c) Datenverarbeitungsanlagen, die hauptsächlich zur Benutzung durch die Öffentlichkeit bestimmt sind;

d) sogenannte "tragbare" Datenverarbeitungsanlagen, sofern sie nicht regelmäßig an einem Arbeitsplatz eingesetzt werden;

e) Rechenmaschinen, Registrierkassen und Geräte mit einer kleinen Daten- oder Messwertanzeigevorrichtung, die zur direkten Benutzung des Geräts erforderlich ist;

f) Schreibmaschinen klassischer Bauart, sogenannte "Display-Schreibmaschinen"."

6 Gemäß Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 gilt im Sinne dieser Richtlinie als "Bildschirm: Schirm zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung, ungeachtet des Darstellungsverfahrens".

7 Abschnitt II (Artikel 3 bis 9) der Richtlinie 90/270 sieht eine Reihe von Pflichten des Arbeitgebers im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes im Rahmen der Arbeit an Bildschirmgeräten vor.

8 In diesem Rahmen bestimmt Artikel 7 - Täglicher Arbeitsablauf:

"Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Tätigkeit des Arbeitnehmers so zu organisieren, daß die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch Pausen oder andere Tätigkeiten unterbrochen wird, die die Belastung durch die Arbeit an Bildschirmgeräten verringern."

9 Gemäß Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 90/270 hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie spätestens am 31. Dezember 1992 nachzukommen.

Deutsches Recht

10 Die Rahmenrichtlinie wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien vom 7. August 1996 (BGBl. 1996 I S. 1246) in deutsches Recht umgesetzt.

11 Die Umsetzung der Richtlinie 90/270 in deutsches Recht wurde durch die Verordnung zur Umsetzung von EG-Einzelrichtlinien zur EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz vom 4. Dezember 1996 (BGBl. 1996 I S. 1841), insbesondere durch deren Artikel 3 - Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten -, (im folgenden: BildscharbV) vollzogen.

12 § 2 Absatz 1 BildscharbV definiert Bildschirmgerät als "Bildschirm zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung, ungeachtet des Darstellungsverfahrens"; nach § 1 Absatz 2 Nummer 1 BildscharbV ist von deren Geltungsbereich ausgeschlossen die Arbeit an "Bedienerplätzen von Maschinen oder an Fahrerplätzen von Fahrzeugen mit Bildschirmgeräten".

Ausgangsrechtsstreit

13 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß die Klägerin seit dem 1. April 1974 im Studio des Beklagten in Siegen als Cutterin beschäftigt ist. Aufgabe der Klägerin ist es, in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Autoren eines Fernsehbeitrags Filmmaterial zusammenzustellen und bis zur Fertigstellung eines sendefähigen Beitrags zu bearbeiten. Ihre Tätigkeit besteht zu einem ganz überwiegenden Teil in der Sichtung und Auswahl ungeschnittener Videoaufzeichnungen oder Überwachung des Ergebnisses dieser Bearbeitung.

14 Im Studio Siegen gibt es vier Arbeitsplätze, die der Klägerin im Wechsel mit anderen Cutterinnen und Cuttern zur Verfügung stehen. Auf zwei dieser Arbeitsplätze wird in Form von Magnetaufzeichnungen gespeichertes analoges Bildmaterial zur Fertigstellung des ebenfalls analogen Sendebeitrags bearbeitet. Dafür stehen verschiedene technische Geräte zur Verfügung, die vom Cutter über ein Steuerpult bedient werden können. Die Eingabewerte des Steuerpults werden auf einem separaten Datenmonitor angezeigt. Auf zwei weiteren Arbeitsplätzen wird das analoge Material nach einer Vorauswahl digitalisiert. Die dadurch entstehenden Video-Computerdateien werden danach mit Hilfe von Computerprogrammen, die vom Cutter über eine Tastatur bedient werden, weiterbearbeitet. Der dabei entstehende Sendebeitrag kommt dann in digitalisierter Form zur Ausstrahlung.

15 Die Klägerin ist der Auffassung, daß es sich bei allen vier Arbeitsplätzen um Bildschirmarbeitsplätze im Sinne der BildscharbV handelt, und verlangt vom Beklagten gemäß § 5 BildscharbV, ihren Arbeitsablauf so zu organisieren, daß eine regelmäßige Unterbrechung ihrer täglichen Bildschirmarbeit entweder durch einen Wechsel zu anderen Tätigkeiten oder durch eine zehnminütige bezahlte Ruhepause pro Stunde gewährleistet sei.

16 Der Beklagte lehnt dies ab. Er ist der Auffassung, die BildscharbV finde auf Schnittplätze einer Cutterin keine Anwendung, weil dort elektronische Laufbilder bearbeitet würden, die nicht unter den Begriff des "Bildschirms zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung" fielen. Hergestellt würden Fernsehbilder und nicht Texte oder Grafiken. Die Bearbeitungsvorgänge beim Schneiden oder auch der eingeschlossenen Tonbearbeitung entsprächen der "Maschinenbedienung", wie sie z. B. für Steuerungsprozesse per Bildschirm in der Produktion von Chemikalien oder in der medizinischen Diagnostik üblich seien. Die Arbeitsplätze in der Fernsehproduktion seien dadurch gekennzeichnet, daß es sich um Maschinenbedienerplätze handele, die in der Regel mit mehreren Monitoren ausgestattet seien, die zur Bearbeitung und Beurteilung des Arbeitsergebnisses erforderlich seien.

17 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die BildscharbV für Arbeitsplätze von Cutterinnen und Cuttern Anwendung finde. Dies sei der Fall, wenn man die Darstellung von analogem und/oder digitalisiertem Filmmaterial auf Monitoren als "Grafikdarstellung" im Sinne von § 2 Absatz 1 BildscharbV verstehe und es sich nicht um einen "Maschinenbedienerplatz" im Sinne von § 1 Absatz 2 Nummer 1 BildscharbV handele.

18 Der Begriff des Bildschirmarbeitsplatzes im Sinne der Richtlinie 90/270 sei weit auszulegen, um dem Zweck der Richtlinie, der Sicherstellung eines höheren Maßes an Sicherheit an Bildschirmarbeitsplätzen sowie der Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer, Rechnung zu tragen. Dies komme darin zum Ausdruck, daß nach Artikel 2 Buchstabe a dieser Richtlinie neben der klassischen Textverarbeitung auch Bildschirme zur Grafikdarstellung - ungeachtet des Darstellungsverfahrens - mit einbezogen würden und daß Artikel 2 Buchstabe b eine Definition des Arbeitsplatzes vorsehe, die die Arbeit am Computer in den verschiedensten Erscheinungsformen erfasse.

19 Bei einer weiten Auslegung des Begriffes "Grafikdarstellung" könne die Bearbeitung einer Computerdatei, die Videoaufzeichnungen in digitalisierter Form enthalte, darunter gefaßt werden. Demgegenüber bleibe zweifelhaft, ob dies auch für die analoge Wiedergabe von Bildmaterial gelten könne. Da allerdings für den Betrachter ein Unterschied äußerlich nicht erkennbar sei und der Aspekt des Gesundheitsschutzes in gleicher Weise für die analoge und die digitale Darstellungsart gelte, spreche einiges dafür, gegebenenfalls im Wege der Analogie für beide Bildbearbeitungstechnologien zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen.

20 Das vorlegende Gericht geht weiter davon aus, daß der Ausnahmekatalog in Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 nicht bezwecke, den Geltungsbereich der Richtlinie in einer Weise einzuengen, daß zahlreiche Erscheinungsformen eines Computerarbeitsplatzes ausgeklammert blieben. Es nimmt daher an, daß als "Fahrer- bzw. Bedienerplatz von Fahrzeugen und Maschinen" im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie nur solche Arbeitsplätze gälten, an denen die Steuerung einer Maschine oder einer technischen Anlage mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage erfolge und die Bildschirmdarstellung sich auf die Wiedergabe der Eingabewerte und der im Produktionsvorgang anfallenden technischen Daten beschränke.

21 Da bei einer engeren Auslegung des Begriffes der Grafikdarstellung in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 oder bei einer weiteren Auslegung des Begriffes des Maschinenbedienerplatzes nach Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a dieser Richtlinie auch ein anderes Ergebnis möglich erscheine, hält das vorlegende Gericht es für geboten, diese Normen dem Gerichtshof zur Auslegung vorzulegen.

22 Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen sei entscheidungserheblich, denn wenn die Richtlinie 90/270 für Arbeitsplätze von Cutterinnen und Cuttern anwendbar wäre, so wäre dies auch die BildscharbV. Die Klägerin hätte dann gemäß § 5 BildscharbV Anspruch auf Unterbrechung der Bildschirmtätigkeit durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen.

23 Der Gerichtshof habe bislang erst einmal zur Richtlinie 90/270 Stellung genommen (Urteil vom 12. Dezember 1996 in den Rechtssachen C-74/95 und C-129/95, X, Slg. 1996, I-6609), ohne dabei die im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Fragen zu berühren.

24 Das Arbeitsgericht Siegen hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten dahin auszulegen, daß unter Grafikdarstellung im Sinne dieser Vorschrift auch die Wiedergabe von Filmaufzeichnungen auf Monitoren zu verstehen ist?

2. Wenn Frage 1 verneint wird: Ist Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates dahin auszulegen, daß unter Grafikdarstellung im Sinne dieser Vorschrift die Wiedergabe von Videodateien auf Monitoren zu verstehen ist, die Filmaufzeichnungen in digitalisierter Form enthalten?

3. Wenn Frage 1 oder Frage 2 bejaht wird: Ist Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates dahin auszulegen, daß als Maschinenbedienerplatz im Sinne dieser Vorschrift auch ein Arbeitsplatz gilt, auf dem analoges oder digitalisiertes Bildmaterial mit Hilfe von technischen Einrichtungen und/oder Computerprogrammen bearbeitet wird?

Zur ersten und zur zweiten Frage

25 Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter den Begriff "Bildschirm zur Grafikdarstellung" im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 auch Bildschirme fallen, auf denen Filmaufzeichnungen in analoger oder in digitalisierter Form dargestellt werden.

26 Nach Auffassung des Beklagten und der niederländischen Regierung sind diese Fragen zu verneinen.

27 Der Beklagte macht geltend, Bildschirm im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 sei ein Bildschirm zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung, ungeachtet des Darstellungsverfahrens. Im Ausgangsrechtsstreit gehe es um die Frage, ob der Bildschirm, an dem die Klägerin arbeite, ein Bildschirm zur "Grafikdarstellung" sei.

28 Bildschirme zur Grafikdarstellung seien aber nur solche, auf denen eine Zeichnung zum Vervielfältigen oder als künstlerischer Ausdruck dargestellt werde. Unter dem Begriff der Grafik sei die "Vervielfältigung von Schrift und Druck und die Kunst des Zeichnens, des Kupfer- und Stahlstichs, des Holzstichs, -schnitts oder eines einzelnen Blattes mit einer Darstellung aus einer dieser Künste" zu verstehen.

29 Bei der "grafischen" Darstellung nehme der Urheber der zu erstellenden Grafik die zeichnerische Bearbeitung unmittelbar am Bildschirm vor. Die Cutterin werde dagegen nicht mit der Bedienung von Computerprogrammen anhand von alphanumerischen Zeichen oder mit der Erstellung von Grafikdarstellungen beschäftigt, sondern sie wähle aus vorhandenem Filmmaterial, also laufenden Bildern, Bilder für den jeweiligen Beitrag passend aus und bestimme, welche Bilder und Töne mit welcher Länge und in welcher Reihenfolge neben- und/oder nacheinander montiert würden.

30 Es mache insoweit keinen Unterschied, ob das Bildmaterial analog oder digital wiedergegeben werde. Bei beiden Darstellungsverfahren erscheine letztlich ein laufendes Bild auf dem Bildschirm. Im übrigen komme es nach der Begriffsbestimmung in Artikel 2 der Richtlinie für die Abgrenzung deren Geltungsbereichs nicht auf das Darstellungsverfahren an.

31 Folglich erfasse der Begriff der Grafikdarstellung nicht die analoge oder digitale Wiedergabe von Filmaufzeichnungen auf Monitoren.

32 Die niederländische Regierung macht entsprechend geltend, maßgeblich für den Begriff des Bildschirms im Sinne der Richtlinie 90/270 sei die Art der dargestellten Information - alphanumerisch oder grafisch - und nicht die Art der Darstellung.

33 Unter "alphanumerisch" und "grafisch" im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie sei die Wiedergabe von Zeichen und nicht von bewegten Bildern zu verstehen, wofür auch der Anhang der Richtlinie 90/270 mit den Mindestvorschriften, denen die Arbeitsplätze genügen müßten, spreche. Die Vorschriften über den Bildschirm in Nummer 1 Buchstabe b dieses Anhangs beträfen die auf dem Bildschirm angezeigten Zeichen (Schärfe, Größe usw.) und das angezeigte Bild (Helligkeit, Kontrast) als solches. Der Anhang enthalte dagegen keine Vorschriften über laufende Bilder.

34 Die Wiedergabe von Filmaufzeichnungen und Videodateien auf Monitoren betreffe Informationen in Form von laufenden Bildern. Sie betreffe also nicht die Wiedergabe von Zeichen im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270. Die Arbeit an Monitoren im Rahmen des Schnitts analoger Filmbilder und der weiteren digitalen Bearbeitung falle daher nicht unter die Richtlinie 90/270.

35 Der Auffassung, unter den Begriff "Bildschirm zur Grafikdarstellung" fielen nicht Bildschirme, auf denen Filmaufzeichnungen dargestellt würden, ist nicht zu folgen.

36 Durch die Richtlinie 90/270 sollen gemäß ihrer Überschrift und ihrem Artikel 1 die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten festgelegt werden; gemäß ihrer vierten Begründungserwägung ist die Einhaltung der Mindestvorschriften zur Sicherstellung eines höheren Maßes an Sicherheit an Bildschirmarbeitsplätzen eine unabdingbare Voraussetzung für die Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer.

37 Dieser Zweck des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer erfordert aber, daß unabhängig davon, welcher Art die auf dem Bildschirm wiedergegebenen Bilder sind, die in der Richtlinie und ihrem Anhang aufgestellten Vorschriften, wie z. B. die Verringerung aller Strahlungen auf unerhebliche Werte oder die Berücksichtigung des durch zum Arbeitsplatz gehörende Geräte verursachten Lärms, eingehalten werden.

38 Im übrigen würde eine enge Auslegung von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 dergestalt, daß Bildschirme zur Wiedergabe von Filmaufzeichnungen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen wären, dazu führen, daß eine beträchtliche Zahl von Arbeitnehmern aus dem durch diese Richtlinie vorgesehenen Schutz heraus fielen, obwohl sie sich in einer ähnlichen Situation befinden wie die Arbeitnehmer, die einen Bildschirm zur Grafikdarstellung in dem Sinne verwenden, der diesem Begriff vom Beklagten und der niederländischen Regierung beigelegt wird. Die praktische Wirksamkeit der Richtlinie wäre also erheblich beeinträchtigt.

39 Wie die Kommission zutreffend dargelegt hat, besteht bei den vom Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 ausgeschlossenen Geräten, die in Artikel 1 Absatz 3 abschließend aufgezählt sind, ein Bezug auf Situationen, in denen die Verwendung des Bildschirms entweder von untergeordneter Bedeutung oder nur von kurzer Dauer ist. Dagegen fallen alle Formen intensiver Bildschirmarbeit in den Geltungsbereich der Richtlinie.

40 Überdies kann, wie die Kommission ebenfalls zu Recht angeführt hat, aus dem Umstand, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Anpassung an den technischen Fortschritt, wie sie in Artikel 10 der Richtlinie 90/270 für die im Anhang enthaltenen Mindestvorschriften vorgesehen ist, für den Begriff des Bildschirms nicht vorgesehen hat, gefolgert werden, daß er diesen Begriff für so umfassend hielt, daß er die Ziele der Richtlinie zu erreichen erlaubt.

41 Nach alledem ist der Begriff des Bildschirms zur Grafikdarstellung in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 weit auszulegen, so daß darunter Bildschirme fallen, auf denen Filmaufzeichnungen dargestellt werden.

42 Dabei macht es keinen Unterschied, ob das dargestellte Material analog oder digital gespeichert ist, zumal nach Artikel 2 der Richtlinie 90/270 Bildschirme "ungeachtet des Darstellungsverfahrens" erfaßt werden.

43 Daher ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, daß unter den Begriff "Bildschirm zur Grafikdarstellung" im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 auch Bildschirme fallen, auf denen Filmaufzeichnungen in analoger oder in digitalisierter Form dargestellt werden.

Zur dritten Frage

44 Für den Fall, daß der Gerichtshof die erste oder die zweite Frage bejaht, macht der Beklagte geltend, die Arbeitsplätze der Klägerin gehörten zu den "Fahrer- bzw. Bedienerplätzen von Fahrzeugen und Maschinen", die vom Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 ausgenommen seien.

45 Die Richtlinie 90/270 trage dem Umstand Rechnung, daß ein Regelwerk, das im wesentlichen für den Büro- und Verwaltungsbereich konzipiert sei, nicht auf solche Bereiche übertragen werden solle und könne, die spezifischen Anforderungen unterlägen. Dies folge beispielweise aus Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 90/270, wonach Datenverarbeitungsanlagen an Bord eines Verkehrsmittels ausgenommen seien.

46 Unter "Bedienerplätzen von Maschinen" seien solche Arbeitsplätze zu verstehen, die an Maschinen in der Produktion eingerichtet und über eine Steuereinrichtung mit Bildschirm, über die unmittelbar in den Produktionsablauf dieser Maschine eingegriffen werden könne, als ein integrierter Bestandteil der Maschine anzusehen seien. Das vorlegende Gericht nehme insoweit fälschlicherweise an, daß als Maschinenbedienerplatz nur solche Arbeitsplätze gälten, an denen die Steuerung einer Maschine oder einer technischen Anlage mit Hilfe einer Datenverarbeitungsanlage erfolge und die Bildschirmdarstellung sich auf die Wiedergabe der Eingabewerte und der im Produktionsvorgang anfallenden technischen Daten beschränke. Weder die Richtlinie noch die BildscharbV enthielten eine solche Einschränkung.

47 Wesentlich für die Ausnahmeregelung des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 sei, daß Bearbeitungsvorgänge integrierter Bestandteil eines Maschinenbedienerplatzes mit Bildschirm seien, wie sie bei Steuerungsprozessen per Bildschirm in der Produktion, beispielsweise in der medizinischen Diagnostik, üblich seien. Dies treffe für die Bearbeitungsvorgänge an einem Schnittgerät mit integriertem Steuerpult zu. Auch hier handele es sich nämlich um einen Arbeitsplatz, an dem der Schnitt von Rohbildmaterial mittels eines technischen Gerätes unter Benutzung einer integrierten Steuereinrichtung mit Bildschirm erfolge.

48 Der Wortlaut von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 gibt keinen Aufschluß über die Tragweite des Begriffes "Bedienerplatz von Maschinen".

49 Wie der Gerichtshof im Rahmen der Beantwortung der ersten beiden Fragen festgestellt hat, wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber den Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 sehr weit fassen. Vom Geltungsbereich dieser Richtlinie sind nur die in Artikel 1 Absatz 3 abschließend aufgezählten Arbeitsplätze ausgenommen, die Geräte betreffen, bei denen der Bildschirm untergeordnete Funktion hat oder kurzzeitig verwendet wird.

50 Daher ist der Begriff "Fahrer- bzw. Bedienerplätze von Fahrzeugen und Maschinen", da er einen Ausnahmetatbestand vom Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 darstellt, jedenfalls eng auszulegen.

51 Wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, verlangt eine Tätigkeit wie die der Klägerin neben der ständigen Manipulation der Produktionsschritte die visuelle und auditive Verfolgung dieser Schritte und deren Darstellung in Form elektronischer Laufbilder an mehreren Bildschirmen bzw. Monitoren gleichzeitig und erfordert darüber hinaus intellektuelle und kreative Leistungen, deren Umsetzung Auge und Ohr gleichermaßen beanspruchen.

52 Nichts berechtigt zu der Annahme, der Gemeinschaftsgesetzgeber habe eine derart intensiv ausgeübte Bildschirmtätigkeit unter den Begriff "Fahrer- bzw. Bedienerplätze von Fahrzeugen und Maschinen" fallen lassen wollen.

53 Überdies ist die Einbeziehung einer solchen Tätigkeit in den Geltungsbereich der Richtlinie 90/270 schon dadurch gerechtfertigt, daß bei ihr die Arbeit am Bildschirm viel belastender ist als bei einem gewöhnlichen Büroarbeitsplatz mit Computer, der unstreitig in den Schutzbereich der Richtlinie fällt.

54 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß ein Arbeitsplatz, wie er im Ausgangsverfahren streitig ist, auf dem analoges oder digitalisiertes Bildmaterial mit Hilfe von technischen Einrichtungen und/oder Computerprogrammen bearbeitet wird, um sendefähige Fernsehbeiträge fertigzustellen, nicht unter den Begriff "Bedienerplatz von Maschinen" im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270 fällt.

Kostenentscheidung:

Kosten

55 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Arbeitsgericht Siegen mit Beschluß vom 7. Januar 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Unter den Begriff "Bildschirm zur Grafikdarstellung" im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) fallen auch Bildschirme, auf denen Filmaufzeichnungen in analoger oder in digitalisierter Form dargestellt werden.

2. Ein Arbeitsplatz, wie er im Ausgangsverfahren streitig ist, auf dem analoges oder digitalisiertes Bildmaterial mit Hilfe von technischen Einrichtungen und/oder Computerprogrammen bearbeitet wird, um sendefähige Fernsehbeiträge fertigzustellen, fällt nicht unter den Begriff "Bedienerplatz von Maschinen" im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 90/270.

Ende der Entscheidung

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