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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.06.1994
Aktenzeichen: C-135/92
Rechtsgebiete: EWGV, Fischereiabkommens mit Schweden, Verordnung 3929/90/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 173 Abs. 2
Fischereiabkommen mit Schweden Art. 1
Verordnung 3929/90/EWG Art. 3 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Schreiben der Kommission an die schwedischen Stellen, mit dem diese von einer Sanktion unterrichtet werden, die die Kommission im Rahmen einer Befugnis und des ihr durch Artikel 3 Absätze 7 und 8 der Verordnung Nr. 3929/90 eingeräumten Ermessens über ein schwedisches Fischereifahrzeug verhängt hat, für das damit während eines bestimmten Zeitraums im Rahmen des Fischereiabkommens zwischen der Gemeinschaft und Schweden keine Lizenz mehr erlangt werden kann, stellt eine Entscheidung dar, die den Eigentümer dieses Fischereifahrzeugs unmittelbar und individuell betrifft und die von ihm im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden kann.

2. Die Gewährung rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ist ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine Regelung für das fragliche Verfahren fehlt. Dieser Grundsatz erfordert, daß jede möglicherweise von einer Sanktion betroffene Person in zweckdienlicher Weise ihre Auffassung zu den einzelnen Gesichtspunkten darlegen kann, auf die die Kommission die Verhängung der Sanktion stützt. Eine Entscheidung der Kommission, die in einem Schreiben enthalten ist, mit dem die schwedischen Stellen von einer über ein schwedisches Fischereifahrzeug im Rahmen des Fischereiabkommens zwischen der Gemeinschaft und Schweden verhängten Sanktion unterrichtet werden, ist daher für nichtig zu erklären, wenn dem Eigentümer des Fischereifahrzeugs vor dem Erlaß dieser Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 29. JUNI 1994. - FISKANO AB GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - NICHTIGKEITSKLAGE - FISCHEREIABKOMMEN EWG-SCHWEDEN - SCHREIBEN DER KOMMISSION BETREFFEND EINEN VERSTOSS EINES SCHWEDISCHEN FISCHEREIFAHRZEUGS. - RECHTSSACHE C-135/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Firma Fiskano AB hat mit Klageschrift, die am 25. April 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der in dem Schreiben des Generaldirektors der Kommission J. Almeida Serra an den Botschafter Schwedens bei den Europäischen Gemeinschaften, Seine Exzellenz Stig Brattström, vom 19. Februar 1992 enthaltenen Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften.

2 Dieses Schreiben bezieht sich auf Verstösse des schwedischen Fischereifahrzeugs Lavön, das dem klagenden Unternehmen gehört.

3 Den Rahmen des Schreibens bildet das am 21. März 1977 in Brüssel unterzeichnete Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Regierung von Schweden, das vom Rat im Namen der Gemeinschaft mit der Verordnung (EWG) Nr. 2209/80 vom 27. Juni 1980 (ABl. L 226, S. 1) genehmigt wurde. Das Abkommen legt die Bestimmungen und Bedingungen für die im beiderseitigen Interesse liegende Fischereitätigkeit fest. Die Bedingungen, die in den Gewässern der Gemeinschaft fischende schwedische Fischereifahrzeuge einhalten müssen, werden jährlich durch eine Verordnung des Rates festgelegt.

4 Seit November 1989 beantragte die Klägerin jeweils für die Jahre 1990, 1991 und 1992 eine Fischereilizenz für ihr Schiff Lavön.

5 Am 10. Dezember 1991 wurde die Lavön, als sie in der Fischereizone der Niederlande fischte, vom Algemene Inspectie Dienst des niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Fischerei kontrolliert. Da das Fischereifahrzeug nicht auf der Liste stand, die die niederländischen Behörden von der Kommission erhalten hatten, und für das Schiff somit offenbar keine Fischereilizenz erteilt worden war, meldeten die niederländischen Behörden dies der Kommission. Die von den Dienststellen der Kommission daraufhin vorgenommene Prüfung ergab, daß die Lavön zwar in den Monatslisten für Januar, Februar, März und April 1991, aber nicht in der von den schwedischen Behörden der Kommission übermittelten Monatsliste für Dezember 1991 aufgeführt war. Infolgedessen bestand für die Lavön keine Fischereilizenz für den Monat Dezember.

6 Am 19. Februar 1992 richtete die Kommission an den Botschafter Schwedens bei den Europäischen Gemeinschaften das mit der Klage angefochtene Schreiben, das der Klägerin am 26. Februar 1992 in Kopie zuging.

7 Dieses Schreiben hat folgenden Wortlaut:

"Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist von den für die Überwachung der Fischerei zuständigen niederländischen Behörden darüber unterrichtet worden, daß das Fischereifahrzeug unter schwedischer Flagge 'Lavön' in der Zeit vom 9. bis zum 15. Dezember 1991 bei Fischereitätigkeit in niederländischen Gewässern (Position 54 19' Nord und 0 410' Ost) beobachtet worden ist.

Die Kommission hat festgestellt, daß für dieses Fischereifahrzeug keine Lizenz bestand, die es im genannten Zeitraum zum Fischfang in den Gewässern der Gemeinschaft berechtigt hätte, und es somit rechtswidrig gefischt hat.

Die Kommission setzt die Behörden Ihres Landes gemäß Artikel 3 Absätze 7 und 8 der Verordnung (EWG) Nr. 3939/90 des Rates (ABl. L 378 vom 31. Dezember 1990) davon in Kenntnis, daß das genannte Fischereifahrzeug für die Dauer von zwölf Monaten vom 15. Dezember 1991 an für die Erteilung einer neuen Fischereilizenz gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3885/91 des Rates (ABl. L 367 vom 31. Dezember 1991) nicht in Betracht gezogen werden wird."

8 Die Klägerin richtete am 30. März 1992 eine Beschwerde an die Kommission. Mit Schreiben vom 5. Mai 1992 teilte die Kommission mit, sie sehe die Beschwerde als unbegründet an. Die Klägerin hat anschließend die vorliegende Klage erhoben.

9 Die Klägerin rügt insbesondere, die Kommission habe den EWG-Vertrag und eine Reihe allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze verletzt. Mit ihrer Erwiderung macht sie ausserdem gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag die Rechtswidrigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 3929/90 des Rates vom 20. Dezember 1990 über Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände für Schiffe unter schwedischer Flagge (1991) (ABl. L 378, S. 48) geltend.

10 Die Kommission hält die Klage für unzulässig. Hilfsweise wendet sie sich gegen den Vorwurf der Verletzung des Gemeinschaftsrechts. Ferner macht die Kommission geltend, die von den Klägerin in ihrer Erwiderung erhobene Rüge der Rechtswidrigkeit sei verspätet.

Zum rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits

11 Zunächst ist durch Hinweis auf die wesentlichen Bestimmungen der rechtliche Rahmen des Rechtsstreits zu umreissen.

12 Gemäß Artikel 1 des Fischereiabkommens mit Schweden gewährt jede Partei den Fischereifahrzeugen der anderen Partei zu Fischereizwecken Zugang zu ihrem Fischereihoheitsgebiet. Nach Artikel 2 werden die Fischereirechte erforderlichenfalls jährlich festgelegten Fangquoten unterworfen.

13 Gemäß Artikel 3 kann "[j]ede Partei... vorschreiben, daß in ihrem Fischereihoheitsgebiet die Fangtätigkeit von Fischereifahrzeugen der anderen Partei von Lizenzen abhängig gemacht wird. Die zuständigen Stellen beider Parteien teilen der jeweils anderen Partei zu diesem Zweck zu gegebener Zeit Name, Registriernummer und sonstige wichtige Angaben über die Fischereifahrzeuge mit, die zum Fischen im Fischereihoheitsgebiet der anderen Partei zugelassen werden sollen. Die andere Partei erteilt daraufhin Lizenzen, die zu den... Fangmöglichkeiten in angemessenem Verhältnis stehen."

14 Nach Artikel 5 des Abkommens treffen beide Parteien die notwendigen Vorkehrungen, um die Beachtung der Bestimmungen des Abkommens und aller sonstigen einschlägigen Vorschriften durch ihre Fischereifahrzeuge sicherzustellen. Weiterhin kann jede Partei nach dieser Bestimmung in ihrem Fischereihoheitsgebiet in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung des Abkommens durch die Fischereifahrzeuge der anderen Partei sicherzustellen.

15 Artikel 7 sieht für Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des Abkommens ein Konsultations- und gegebenenfalls Schiedsverfahren vor.

16 In bezug auf Verstösse gegen die Lizenzregelung haben die Gemeinschaft und Schweden für 1991 vereinbart, daß jede Partei der anderen Partei Namen und Kennzeichnung der Fischereifahrzeuge der anderen Partei mitteilt, die während des darauffolgenden Monats oder der darauffolgenden Monate wegen eines Verstosses gegen ihre Bestimmungen nicht zum Fischfang in ihrer Fischereizone berechtigt sind (Vereinbartes Protokoll zur Regelung der Lizenzen, Brüssel, 26., 27. und 28. November 1990, Punkt 2.6).

17 Die Bedingungen, die für den Fischfang durch schwedische Fischereifahrzeuge in den Gewässern der Gemeinschaft gelten, werden jedes Jahr in einer Verordnung des Rates festgelegt. Für das Jahr 1991 war dies die Verordnung Nr. 3929/90. Diese Bedingungen betreffen hauptsächlich die Fangquoten und die für die Fischereitätigkeit zugelassenen Zonen.

18 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3929/90 ist die Ausübung der Fischereitätigkeit "nur zulässig, wenn die Kommission auf Ersuchen der schwedischen Behörden im Namen der Gemeinschaft eine Lizenz ausstellt". In der Praxis übermitteln die schwedischen Stellen zu Beginn des Jahres eine sogenannte Basisliste, in der die für die Erteilung einer Lizenz im fraglichen Jahr vorgesehenen Fischereifahrzeuge aufgeführt sind. Danach übersenden die schwedischen Stellen der Kommission monatlich eine sogenannte Monatsliste, in der die Fischereifahrzeuge verzeichnet sind, für die sie um eine Lizenz für den jeweiligen Monat ersuchen. Nach Erhalt der Monatsliste bestätigen die Dienststellen der Kommission den schwedischen Stellen, daß für die in dieser Liste aufgeführten Fischereifahrzeuge eine Lizenz besteht, die sie in dem betreffenden Monat zum Fischen in den Gewässern der Gemeinschaft berechtigt. Die Kommission übermittelt diese Liste auch den Mitgliedstaaten, die für die Überwachung der Einhaltung der Regelung in erster Linie zuständig sind.

19 Artikel 3 Absätze 7 und 8 der Verordnung Nr. 3929/90 sieht vor, daß bei "Nichteinhaltung der sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen... die Lizenz zurückgezogen" wird und daß für "Fischereifahrzeuge, bei deren Einsatz die sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen nicht eingehalten wurden,... für einen Zeitraum von längstens zwölf Monaten keine Lizenz ausgestellt" wird.

20 Artikel 4 der Verordnung bestimmt schließlich:

"Bei einem ordnungsgemäß festgestellten Verstoß teilen die Mitgliedstaaten der Kommission unverzueglich den Namen des betreffenden Schiffes und die gegebenenfalls von ihnen getroffenen Maßnahmen mit.

Die Kommission teilt Schweden seitens der Gemeinschaft Namen und Kennzeichnung der Fischereifahrzeuge mit, die im darauffolgenden Monat bzw. in den darauffolgenden Monaten aufgrund eines Verstosses gegen die Gemeinschaftsbestimmungen nicht zum Fischfang in der Fischereizone der Gemeinschaft berechtigt sind."

Zur Zulässigkeit der Klage

21 Die Kommission macht gegen die Zulässigkeit der Klage geltend, bei dem streitigen Schreiben handele es sich um eine im Rahmen des Fischereiabkommens mit Schweden an die schwedischen Stellen gerichtete Notifikation, die gegenüber diesem Staat keine bindenden Rechtswirkungen entfalte; es sei dessen Sache, die notwendigen Vorkehrungen einschließlich etwaiger Sanktionen zu treffen, um die Beachtung der Bestimmungen des Abkommens durch seine Fischereifahrzeuge sicherzustellen. Das fragliche Schreiben enthalte daher keine Entscheidung im Sinne des Gemeinschaftsrechts und betreffe die Klägerin nicht unmittelbar und individuell.

22 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

23 Zwar trifft es zu, daß das Schreiben der Kommission im Rahmen des Fischereiabkommens mit Schweden an diesen Staat gerichtet war.

24 Wie sich jedoch aus seinem Wortlaut ergibt, wurden die schwedischen Stellen mit diesem Schreiben über eine gegen das Fischereifahrzeug Lavön verhängte Sanktion unterrichtet; die Lavön sollte für einen Zeitraum von zwölf Monaten vom 15. Dezember 1991 an für die Erteilung einer neuen Fischereilizenz nicht mehr in Betracht gezogen werden.

25 Aus dem Text des Schreibens geht weiterhin hervor, daß diese Maßnahme in Anwendung von Artikel 3 Absätze 7 und 8 der Verordnung Nr. 3929/90 getroffen worden war. Diese Vorschriften, deren Wortlaut oben unter Randnummer 19 dieses Urteils wiedergegeben ist, verleihen jedoch der Kommission die Befugnis zur Verhängung von Sanktionen gegen die für Verstösse Verantwortlichen und räumen ihr für die Wahrnehmung dieser Befugnis ein gewisses Ermessen ein.

26 Unabhängig von den Rechtswirkungen, die nach den Bestimmungen des Fischereiabkommens mit dem Schreiben für Schweden verbunden sind, enthält dieses Schreiben somit eine Entscheidung, die die Klägerin als Eigentümerin des mit der Sanktion belegten Schiffes unmittelbar und individuell betrifft.

27 Der Umstand, daß die schwedischen Stellen nach der Auslegung des Abkommens durch die Kommission aufgrund des Schreibens andere Sanktionen hätten verhängen können, ist nicht geeignet, der angefochtenen Entscheidung die unmittelbare und individuelle Wirkung gegenüber der Klägerin zu nehmen.

28 Auch die Schweden offenstehende Möglichkeit, die von der Kommission getroffene Maßnahme im Rahmen der Konsultationen oder des Schiedsverfahrens nach Artikel 7 des Abkommens anzugreifen, ist ohne Einfluß auf das Recht der Klägerin, eine sie unmittelbar und individuell betreffende Entscheidung im Wege der Klage anzufechten.

29 Auch der ° von der Kommission behauptete ° Umstand, daß die schwedischen Stellen bereits einen Monat vor dem streitigen Schreiben den Ausschluß der Lavön von der Erteilung einer Lizenz für den Fischfang in den gemeinschaftlichen Gewässern beschlossen hätten, kann nicht zu einer anderen rechtlichen Einordnung der Wirkungen der angefochtenen Entscheidung gegenüber der Klägerin führen.

30 Demnach ist die Klage für zulässig zu erklären.

Zur Zulässigkeit der Rüge der Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 3929/90

31 Die Klägerin hat mit der Erwiderung gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag die Rüge erhoben, die Verordnung Nr. 3929/90, insbesondere ihr Artikel 3 Absatz 8, sei rechtswidrig. Sie macht vor allem geltend, der Rat sei zum Erlaß dieser Verordnung nicht befugt gewesen und die mit der Verordnung erfolgte Übertragung der Befugnis, Sanktionen zu verhängen, auf die Kommission laufe dem Gemeinschaftsrecht und der Rechtsprechung des Gerichtshofes zuwider.

32 Diese Rüge ist gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung für unzulässig zu erklären; nach dieser Bestimmung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

33 Wie der Generalanwalt unter den Nummern 51 bis 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, war die fehlerhafte Angabe der Nummer der fraglichen Verordnung im streitigen Schreiben (Verordnung Nr. 3939/90 anstatt Verordnung Nr. 3929/90) nicht geeignet, die Klägerin daran zu hindern, festzustellen, um welche Verordnung es sich handelte, und damit die Rüge ihrer Rechtswidrigkeit schon mit der Klage zu erheben.

Zur Begründetheit

34 Die Klägerin macht zunächst geltend, die angefochtene Entscheidung verletze verschiedene Grundsätze und Regeln des Gemeinschaftsrechts, denn mit ihr werde gegen sie eine Sanktion verhängt, obgleich sie in gutem Glauben gehandelt habe und die Lavön ohne ihr Wissen infolge von Unregelmässigkeiten, die allein die schwedischen Behörden zu verantworten hätten, ohne Lizenz gefischt habe. Nach ihrer Auffassung wäre die Kommission insbesondere verpflichtet gewesen, den Sachverhalt vorher durch Einholung von Auskünften bei den schwedischen Stellen aufzuklären.

35 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

36 Es gibt keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und keinen Grundsatz, durch die die Kommission verpflichtet oder ermächtigt würde, zu kontrollieren, in welcher Weise die schwedischen Stellen von ihren eigenen Befugnissen Gebrauch machen, die Fischereifahrzeuge unter schwedischer Flagge, für die bei der Gemeinschaft um Fischereilizenzen ersucht wird, zu bestimmen.

37 Auf Artikel 7 Absatz 1 des Abkommens, der lediglich gegenseitige Konsultationen der Parteien in Fragen der Durchführung und des reibungslosen Ablaufs des Abkommens vorsieht, kann eine derartige Verpflichtung nicht gegründet werden.

38 Zum zweiten macht die Klägerin geltend, die Kommission habe es versäumt, ihr vor Erlaß der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, und habe damit den allgemeinen Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

39 Die Gewährung rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ist ein fundamentaler Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und muß auch dann sichergestellt werden, wenn eine Regelung für das fragliche Verfahren fehlt (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84, Belgien/Kommission, "Meura", Slg. 1986, 2263, vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 40/85, Belgien/Kommission, "Boch", Slg. 1986, 2321, vom 21. September 1989 in den verbundenen Rechtssachen 46/87 und 227/88, Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, "Boussac Saint Frères", Slg. 1990, I-307, vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, "Tubemeuse", Slg. 1990, I-959, und vom 12. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-48/90 und C-66/90, Niederlande u. a./Kommission, Slg. 1992, I-565).

40 Wie aus dieser gesamten Rechtsprechung folgt, erfordert die Gewährung rechtlichen Gehörs, daß jede möglicherweise von einer Sanktion betroffene Person in zweckdienlicher Weise ihre Auffassung zu den einzelnen Gesichtspunkten darlegen kann, auf die die Kommission die Verhängung der Sanktion stützt.

41 Es steht fest, daß die Kommission der Klägerin vor dem Erlaß der streitigen Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Dieses Versäumnis stellt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör dar.

42 Die Kommission rechtfertigt diese Unterlassung mit dem völkerrechtlichen Kontext des streitigen Schreibens.

43 Dieses Vorbringen, das auf der unrichtigen Annahme beruht, die Kommission habe gegen die Klägerin keine Sanktion verhängt, ist bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zurückgewiesen worden.

44 Demnach ist die angefochtene Entscheidung, ohne daß die übrigen Klagegründe zu prüfen wären, wegen Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör für nichtig zu erklären.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

46 Die Klägerin hat mit ihrem Antrag auf Nichtigerklärung nicht beantragt, die Beklagte zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Jede Partei trägt daher ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die in dem Schreiben des Generaldirektors der Kommission der Europäischen Gemeinschaften J. Almeida Serra an den Botschafter Schwedens bei den Europäischen Gemeinschaften, Seine Exzellenz Stig Brattström, vom 19. Februar 1992 enthaltene Entscheidung der Kommission betreffend einen Verstoß eines schwedischen Fischereifahrzeugs im Rahmen des Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Regierung von Schweden wird für nichtig erklärt.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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