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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.02.1991
Aktenzeichen: C-184/89
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 117
EWGV Art. 119
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das in Artikel 119 EWG-Vertrag niedergelegte Verbot jeder Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern auf dem Gebiet des Arbeitsentgelts gilt auch für die Modalitäten, nach denen ein Tarifvertrag den quasiautomatischen Aufstieg von einer Vergütungsgruppe in eine andere unter Zugrundelegung der Dienstzeit regelt.

2. Artikel 119 EWG-Vertrag lässt es nicht zu, daß ein für den nationalen öffentlichen Dienst geschlossener Tarifvertrag vorsieht, daß für den Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe die Dienstzeit von Arbeitnehmern, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt sind, voll, die Dienstzeit von Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beträgt, jedoch nur zur Hälfte angerechnet wird, wenn sich herausstellt, daß zu der letztgenannten Arbeitnehmergruppe erheblich weniger Männer als Frauen gehören, es sei denn, der Arbeitgeber weist nach, daß die betreffende Bestimmung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die insbesondere darauf abstellen, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeuebten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden verschafft.

3. Im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags ist das nationale Gericht verpflichtet, diese Bestimmung - ohne daß es ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder auf anderen Wegen beantragen oder abwarten müsste - ausser Anwendung zu lassen und auf die Angehörigen der durch diese Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die übrigen Arbeitnehmer anzuwenden, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 7. FEBRUAR 1991. - HELGA NIMZ GEGEN FREIE UND HANSESTADT HAMBURG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARBEITSGERICHT HAMBURG - DEUTSCHLAND. - AUFSTIEG IN EINE HOEHERE VERGUETUNGSGRUPPE - VERDOPPELUNG DER BEWAEHRUNGSZEIT FUER TEILZEITBESCHAEFTIGTE ARBEITNEHMER - MITTELBARE DISKRIMINIERUNG. - RECHTSSACHE C-184/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 13. April 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Nimz und ihrem Arbeitgeber, der Freien und Hansestadt Hamburg, über ihren Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe.

3 Aus den Akten geht hervor, daß das fragliche Arbeitsverhältnis den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) unterliegt. Nach § 23a Nr. 6 BAT in seiner bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung werden für den Bewährungsaufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe die Dienstzeiten von Arbeitnehmern, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt sind, voll, die Dienstzeiten von Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beträgt, aber nur zur Hälfte angerechnet.

4 Unter Hinweis auf diese Bestimmung und mit der Begründung, die Klägerin sei mit weniger als Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt, lehnte es ihr Arbeitgeber ab, ihr nach sechsjähriger Zugehörigkeit zur Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 a BAT den Aufstieg in die nächsthöhere Vergütungsgruppe, und zwar die Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 2 BAT, zu gewähren.

5 Die Klägerin sah darin eine gesetzwidrige Diskriminierung, da die Arbeitnehmer, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt seien, nach sechsjähriger Zugehörigkeit zu einer Vergütungsgruppe Anspruch auf einen automatischen Aufstieg in die nächsthöhere Vergütungsgruppe hätten. Sie erhob daher Klage beim Arbeitsgericht Hamburg. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts wirft die Klage Fragen nach der Auslegung der Artikel 117 und 119 EWG-Vertrag sowie der Richtlinie 75/117 auf. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Liegt ein Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag in Form der "mittelbaren Diskriminierung von Frauen" vor, wenn ein Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für den Bewährungsaufstieg in die nächsthöhere Vergütungsgruppe im Hinblick auf die Position einer Verwaltungsfachangestellten der Universität bestimmt:

Bewährungszeiten, in denen der Angestellte regelmässig mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten beschäftigt war, werden voll, Bewährungszeiten, in denen er mit mindestens der Hälfte der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt war, werden zur Hälfte angerechnet,

wenn von allen angestellten Teilzeitbeschäftigten mit weniger als Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten mehr als 90 % weiblichen Geschlechts sind und von allen Teilzeitbeschäftigten mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten und den Vollzeitbeschäftigten knapp über 55 % weiblichen Geschlechts sind?

2) Für den Fall der Bejahung der Frage 1:

Gebieten Artikel 119 in Verbindung mit Artikel 117 EWG-Vertrag und/oder die Regelung der Richtlinie 75/117/EWG des Rates, daß für die Teilzeitbeschäftigten mit weniger als Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollzeitbeschäftigten Angestellten die gleiche Bewährungszeit gilt wie für Teilzeitbeschäftigte mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten oder eines Vollzeitbeschäftigten,

oder

darf das Gericht im Hinblick auf eine Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien keine solche Entscheidung treffen, sondern muß diese vielmehr den Tarifvertragsparteien überlassen?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der fraglichen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob es Artikel 119 EWG-Vertrag nicht zulässt, daß ein für den nationalen öffentlichen Dienst geschlossener Tarifvertrag vorsieht, daß für den Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe die Dienstzeit von Arbeitnehmern, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt sind, voll, die Dienstzeit von Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beträgt, jedoch nur zur Hälfte angerechnet wird, wenn zu der letztgenannten Arbeitnehmergruppe sehr viel mehr Frauen als Männer gehören.

8 Zur sachgerechten Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu prüfen, ob der Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe zum Anwendungsbereich des Artikels 119 EWG-Vertrag gehört.

9 Aus den Akten geht hervor, daß es sich im vorliegenden Fall um ein System der quasiautomatischen Einstufung in die Vergütungsgruppen handelt, das auf den in einem Tarifvertrag enthaltenen Dienstzeitvorschriften beruht. Diese Vorschriften bestimmen die Entwicklung der Vergütung als solcher, die einem Arbeitnehmer ohne Änderung der Tätigkeit zusteht.

10 Folglich fallen unter diesen Umständen die Vorschriften über den quasiautomatischen Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe grundsätzlich unter den Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag.

11 Da Artikel 119 zwingenden Charakter hat, ist das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nicht nur für die Behörden verbindlich, sondern es erstreckt sich auch auf alle Tarifverträge, die die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln, und auf alle Verträge zwischen Privatpersonen (siehe zuletzt Urteil vom 27. Juni 1990 in der Rechtssache C-33/89, Kowalska, Slg. 1990, I-2591).

12 Den Akten ist zu entnehmen, daß nach der fraglichen Bestimmung des Tarifvertrags die Arbeitnehmer, die mit mindestens der Hälfte, aber weniger als Dreiviertel der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers beschäftigt sind, im Verhältnis zu diesen doppelt so viele Dienstjahre benötigen, um in die nächsthöhere Vergütungsgruppe aufzusteigen. Ein Tarifvertrag wie der hier in Rede stehende, der es den Arbeitgebern gestattet, zwischen zwei Gruppen von Arbeitnehmern - denjenigen, die eine bestimmte Mindestzahl von Arbeitsstunden pro Woche oder pro Monat leisten, und denen, die bei gleichen Aufgaben diese Mindeststundenzahl nicht erreichen - einen Unterschied beim Gesamtentgelt aufrechtzuerhalten, führt jedoch faktisch zu einer Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer im Verhältnis zu den männlichen, wenn sich herausstellt, daß prozentual erheblich weniger Männer als Frauen teilzeitbeschäftigt sind. Ein derartiger Tarifvertrag muß grundsätzlich als Artikel 119 EWG-Vertrag zuwiderlaufend angesehen werden. Anders wäre dies nur, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Arbeitnehmergruppen durch objektive Faktoren gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (siehe Urteil vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka-Kaufhaus, Slg. 1986, 1607).

13 Insoweit hat die Stadt Hamburg in diesem Verfahren im wesentlichen geltend gemacht, die Arbeitnehmer, die vollzeitbeschäftigt oder mit Dreiviertel der Arbeitszeit beschäftigt seien, gewännen schneller Fähigkeiten und Fertigkeiten für ihre Tätigkeit hinzu als die übrigen Arbeitnehmer. Die Bundesregierung hat sich darüber hinaus auf das grössere Erfahrungswissen der erstgenannten Arbeitnehmer berufen.

14 Derartige Erwägungen stellen jedoch lediglich verallgemeinernde Aussagen zu bestimmten Kategorien von Arbeitnehmern dar. Ihnen lassen sich keine objektiven Kriterien entnehmen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (siehe Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989, 2743). Zwar geht das Dienstalter Hand in Hand mit der dienstlichen Erfahrung, die den Arbeitnehmer grundsätzlich zu einer besseren Erfuellung seiner Aufgaben befähigt, jedoch hängt der objektive Charakter eines solchen Kriteriums von allen Umständen des Einzelfalls und insbesondere davon ab, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeuebten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden verschafft. Es ist aber Sache des nationalen Gerichts, das zur Beurteilung des Sachverhalts allein zuständig ist, in Anbetracht aller Umstände festzustellen, ob und in welchem Umfang eine tarifvertragliche Bestimmung wie die hier fragliche durch objektive Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist.

15 Daher ist auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt zu antworten: Artikel 119 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht zulässt, daß ein für den nationalen öffentlichen Dienst geschlossener Tarifvertrag vorsieht, daß für den Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe die Dienstzeit von Arbeitnehmern, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt sind, voll, die Dienstzeit von Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beträgt, jedoch nur zur Hälfte angerechnet wird, wenn sich herausstellt, daß zu der letztgenannten Arbeitnehmergruppe erheblich weniger Männer als Frauen gehören, es sei denn, der Arbeitgeber weist nach, daß die tarifvertragliche Bestimmung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die insbesondere darauf abstellen, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeuebten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden verschafft.

Zur zweiten Frage

16 Die zweite Frage geht dahin, welche Folgen sich - insbesondere im Hinblick auf die Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien - ergäben, wenn das vorlegende Gericht die Unvereinbarkeit einer Bestimmung eines Tarifvertrags mit Artikel 119 EWG-Vertrag feststellte.

17 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne, Slg. 1976, 455) entschieden hat, ist Artikel 119 EWG-Vertrag hinreichend bestimmt, so daß ein Betroffener vor einem innerstaatlichen Gericht unter Berufung auf diese Bestimmung verlangen kann, daß das Gericht nationale Rechtsvorschriften ausser Anwendung lässt, und zwar auch in dem Fall, daß sich die betreffende Bestimmung aus einem Tarifvertrag ergibt, der mit Artikel 119 nicht vereinbar ist.

18 Aus dem Urteil vom 27. Juni 1990 in der Rechtssache C-33/89 (a. a. O.) geht hervor, daß im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags die Angehörigen der dadurch benachteiligten Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Arbeitnehmer haben, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag im innerstaatlichen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

19 Ferner ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe insbesondere das Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77, Slg. 1978, 629) das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne daß es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.

20 Diese Erwägungen gelten auch für den Fall, daß sich die dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Bestimmung aus einem Tarifvertrag ergibt. Es wäre nämlich mit dem Wesen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar, wenn dem nationalen Gericht die uneingeschränkte Befugnis abgesprochen würde, unmittelbar bei der ihm obliegenden Anwendung des Gemeinschaftsrechts Bestimmungen eines Tarifvertrags ausser Anwendung zu lassen, die die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften möglicherweise behindern.

21 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags das nationale Gericht verpflichtet ist, diese Bestimmung - ohne daß es ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder auf anderem Wege beantragen oder abwarten müsste - ausser Anwendung zu lassen und auf die Angehörigen der durch diese Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die übrigen Arbeitnehmer anzuwenden, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Arbeitsgericht Hamburg mit Beschluß vom 13. April 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 119 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht zulässt, daß ein für den nationalen öffentlichen Dienst geschlossener Tarifvertrag vorsieht, daß für den Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe die Dienstzeit von Arbeitnehmern, die mit mindestens Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beschäftigt sind, voll, die Dienstzeit von Arbeitnehmern, deren Arbeitszeit zwischen der Hälfte und Dreiviertel der regelmässigen Arbeitszeit beträgt, jedoch nur zur Hälfte angerechnet wird, wenn sich herausstellt, daß zu der letztgenannten Arbeitnehmergruppe erheblich weniger Männer als Frauen gehören, es sei denn, der Arbeitgeber weist nach, daß die betreffende Bestimmung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die insbesondere darauf abstellen, welche Beziehung zwischen der Art der ausgeuebten Tätigkeit und der Erfahrung besteht, die die Ausübung dieser Tätigkeit nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden verschafft.

2) Im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags ist das nationale Gericht verpflichtet, diese Bestimmung - ohne daß es ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder auf anderen Wegen beantragen oder abwarten müsste - ausser Anwendung zu lassen und auf die Angehörigen der durch diese Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die übrigen Arbeitnehmer anzuwenden, wobei diese Regelung, solange Artikel 119 EWG-Vertrag im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

Ende der Entscheidung

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