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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.1999
Aktenzeichen: C-203/98
Rechtsgebiete: EGV, Königliche Verordnung zur Regelung des Luftverkehrs


Vorschriften:

EGV Art. 169 (jetzt EGV Art. 226)
EGV Art. 6 (jetzt EGV Art. 12)
EGV Art. 52 (jetzt EGV Art. 43)
EGV Art. 59 (jetzt EGV Art. 49)
Königliche Verordnung zur Regelung des Luftverkehrs Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 c
Königliche Verordnung zur Regelung des Luftverkehrs Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 d
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Bestimmungen eines Mitgliedstaats, die für natürliche und juristische Personen anderer Mitgliedstaaten eine Sonderregelung für die Verkehrszulassung von Flugzeugen vorsehen, wonach für die Zulassung ein in diesem Mitgliedstaat seit mindestens einem Jahr bestehender Wohnsitz oder eine solche Niederlassung erforderlich ist, stellen eine nach Artikel 6 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG) verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, die entgegen Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) die Ausübung der Niederlassungsfreiheit dieser Personen behindert.

2 Eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, kann nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem Vertrag angesehen werden, die eine auf der Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht beruhende Vertragsverletzung entfallen ließe.


Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 8. Juli 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Belgien. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 6 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 43 EG) - Luftverkehr - Verkehrszulassung von Flugzeugen. - Rechtssache C-203/98.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. Mai 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG (früher Artikel 169) Klage auf Feststellung erhoben, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 6, 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 43 EG und 49 EG) verstossen hat, indem es von Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft für die Verkehrszulassung von Flugzeugen in Belgien einen dort seit einem Jahr bestehenden Wohnsitz oder eine solche Niederlassung verlangt und ihnen die beantragten Fluggenehmigungen verweigert hat, wodurch es die Erbringung von nicht in Beförderungsleistungen bestehenden vorübergehenden oder auf Dauer angelegten Dienstleistungen im Luftverkehrsbereich ungerechtfertigt oder übermässig behindert hat.

2 Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstaben c und d der Königlichen Verordnung vom 15. März 1954 zur Regelung des Luftverkehrs (im folgenden: Königliche Verordnung) enthält eine Sonderregelung für Ausländer, wonach die Möglichkeit, in Belgien Verkehrszulassungen für Flugzeuge zu erhalten, beschränkt ist auf "... Ausländer, denen es gestattet ist, ihren Wohnsitz in Belgien zu nehmen oder in Belgien zu wohnen, und die dort mindestens seit einem Jahr ununterbrochen wohnen", sowie auf "... ausländische juristische Personen, die im Königreich seit mindestens einem Jahr einen Betrieb, eine Zweigniederlassung oder ein Büro haben".

3 Die Kommission machte die belgische Regierung mit Schreiben vom 31. Oktober 1995 auf bestimmte, ihrer Ansicht nach gegen Artikel 59 des Vertrages verstossende Beschränkungen von Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft aufmerksam, die im belgischen Hoheitsgebiet die Tätigkeit der Aufnahme von Luftbildern ausüben wollten, und wies ausserdem auf die Fragen hin, die sich im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Artikels 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstaben c und d der Königlichen Verordnung mit den Artikeln 6 und 52 des Vertrages stellten.

4 Mit Schreiben vom 9. Februar 1996 antworteten die belgischen Behörden, daß sie eine Verordnung zur Festlegung der Voraussetzungen für die Erteilung von Genehmigungen für die Arbeitsluftfahrt vorbereiteten. In einem Schreiben vom 27. August 1996 führten sie weiter aus, daß mit den Arbeiten begonnen worden sei und daß sie der Kommission demnächst einen Verordnungsentwurf vorlegen würden.

5 Nachdem die Kommission festgestellt hatte, daß die Königliche Verordnung noch nicht geändert worden sei, übersandte sie dem Königreich Belgien am 19. Juni 1997 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie das Königreich aufforderte, dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe nachzukommen.

6 Das Königreich Belgien wies in seinem Antwortschreiben vom 28. Juli 1997 darauf hin, daß bestimmte Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit in der Luftfahrt seit 1996 praktisch nicht mehr angeordnet würden; es lieferte jedoch keine neuen Informationen über die Beschränkungen der Verkehrszulassung von Flugzeugen in Belgien.

7 Da die Kommission keine weiteren Informationen über den Erlaß von Maßnahmen zur Änderung der in Frage stehenden Bestimmungen der Königlichen Verordnung erhalten hatte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

8 Aufgrund der Erklärungen der belgischen Regierung in der Klagebeantwortung hat die Kommission den Gegenstand ihrer Klage auf die Unvereinbarkeit der Königlichen Verordnung mit den Artikeln 6 und 52 des Vertrages beschränkt und den Teil ihrer Klage, der auf Artikel 59 gestützt war, fallengelassen.

9 Nach Ansicht der Kommission verstossen die fraglichen Bestimmungen der Königlichen Verordnung, wonach für ein Flugzeug, das einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Person oder Gesellschaft gehöre, während des ersten Jahres, in dem diese in Belgien wohne oder niedergelassen sei, keine Verkehrszulassung erteilt werden könne, gegen die Artikel 6 und 52 des Vertrages, da sie natürliche und juristische Personen der anderen Mitgliedstaaten diskriminierten und ein Hindernis für deren Niederlassung darstellten.

10 Die belgische Regierung ist weder den Schlußfolgerungen noch den Argumenten der Kommission entgegengetreten. Sie hat lediglich erklärt, daß sie beabsichtige, Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstaben c und d der Königlichen Verordnung zu ändern, um den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen, und daß sich die Verwaltung bis zum Inkrafttreten der neuen Bestimmungen verpflichtet habe, die in Rede stehenden Bestimmungen nicht auf natürliche oder juristische Personen der anderen Mitgliedstaaten anzuwenden.

11 Artikel 6 des Vertrages verbietet in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit; dieser Grundsatz ist in bezug auf die Niederlassungsfreiheit durch Artikel 52 des Vertrages durchgeführt worden.

12 Nach der Entscheidung, die der Gerichtshof im Fall der Registrierung eines Schiffes getroffen hat (vgl. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-221/89, Factortame u. a., Slg. 1991, I-3905, Randnr. 22), ist davon auszugehen, daß die Verkehrszulassung eines Flugzeugs nicht von der Ausübung der Niederlassungsfreiheit losgelöst werden kann, wenn das Flugzeug ein Mittel zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch einen Gemeinschaftsbürger darstellt, die eine feste Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat voraussetzt. Daher dürfen die Voraussetzungen für die Verkehrszulassung von Flugzeugen keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zur Folge haben und der Ausübung der Niederlassungsfreiheit nicht entgegenstehen.

13 Die in Rede stehenden Bestimmungen der Königlichen Verordnung stellen dadurch, daß sie für natürliche und juristische Personen anderer Mitgliedstaaten als des Königreichs Belgien eine Sonderregelung vorsehen, wonach für die Verkehrszulassung eines Flugzeugs in Belgien ein dort seit mindestens einem Jahr bestehender Wohnsitz oder eine solche Niederlassung erforderlich ist, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit dieser Personen behindert.

14 Das Vorbringen des Königreichs Belgien in seiner Klagebeantwortung, daß die Verwaltungspraxis seit 1996 dahin gehe, die fraglichen Bestimmungen unangewendet zu lassen, ändert nichts an dieser Feststellung. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann nämlich eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem Vertrag angesehen werden (vgl. Urteil vom 7. März 1996 in der Rechtssache C-334/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1996, I-1307, Randnr. 30).

15 Nach alledem ist festzustellen, daß das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 6 und 52 des Vertrages verstossen hat, indem es von Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft für die Verkehrszulassung von Flugzeugen in Belgien einen dort seit einem Jahr bestehenden Wohnsitz oder eine solche Niederlassung verlangt hat.

16 Da die Kommission erklärt hat, daß sie den auf Artikel 59 des Vertrages gestützten Teil ihrer Klage fallenlasse, braucht über den von ihr zunächst geltend gemachten Verstoß gegen diesen Artikel nicht mehr entschieden zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, das Königreich Belgien zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Königreich Belgien hat gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 6 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG und 43 EG) verstossen, indem es von Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft für die Verkehrszulassung von Flugzeugen in Belgien einen dort seit einem Jahr bestehenden Wohnsitz oder eine solche Niederlassung verlangt hat.

2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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