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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.12.2000
Aktenzeichen: C-213/99
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Weder Artikel 6 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, der die Zollbehörden verpflichtet, Entscheidungen, die für die Personen, an die sie gerichtet sind, nachteilige Folgen haben, zu begründen, noch Artikel 53 der Verordnung, der von den Zollbehörden ausdrücklich verlangt, wenn die Zollförmlichkeiten nicht vor Ablauf der festgesetzten Fristen eingeleitet worden sind, zur Regelung des Falles unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, noch Artikel 243 dieser Verordnung, der ein Klagerecht gegen die Entscheidungen der Zollbehörden vorsieht, stehen der automatischen, ohne vorherige Benachrichtigung erfolgenden Anwendung eines durch nationale Rechtsvorschriften eingeführten Verfahrens entgegen, das die Verwertung von Waren vorsieht, für die die gesetzlichen Fristen für die Anmeldung zur Abfertigung zum freien Verkehr oder für den Antrag auf eine andere zollrechtliche Bestimmung abgelaufen sind, und das die Betroffenen dadurch beenden können, dass sie sämtliche geltenden Steuern und Abgaben zuzüglich eines bestimmmten Prozentsatzes vom Warenwert entrichten.

Die Anwendung eines Verfahrens, das entweder die Verwertung dieser Waren oder die Erhebung eines wertabhängigen Zuschlags zur Regelung des Falles dieser Waren vorsieht, verstößt als solche nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die Erhebung einer Abgabe in Höhe von 5 % des Wertes der verspätet abgefertigten Waren diesem Grundsatz entspricht.

(vgl. Randnrn. 11-13, 25, 33, Tenor 1-3)

2 Ein wertabhängiger Zuschlag, der von den nationalen Zollbehörden für die Abfertigung der Waren erhoben wird, sofern die Fristen für die Erteilung einer zollrechtlichen Bestimmung überschritten sind, kann nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden. Bei einer solchen Abgabe, mit der das Verhalten von Wirtschaftsteilnehmern geahndet werden soll, die die vorgeschriebenen Formalitäten und Fristen nicht eingehalten haben, handelt es sich somit um eine Sanktion und nicht um die Gegenleistung für eine Lieferung von Gegenständen, für eine Dienstleistung oder für eine Einfuhr von Gegenständen im Sinne von Artikel 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern.

(vgl. Randnrn. 21, 36-38, Tenor 4)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 7. Dezember 2000. - José Teodoro de Andrade gegen Director da Alfândega de Leixões, Beteiligter: Ministério Público. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal Fiscal Aduaneiro do Porto - Portugal. - Abfertigung von Waren zum freien Verkehr - Überschreitung der Frist für die Erteilung einer zollrechtlichen Bestimmung - Verfahren der Verwertung von Waren oder der Erhebung einer wertabhängigen Abgabe. - Rechtssache C-213/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-213/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel Artikel 234 EG vom Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto (Portugal) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

José Teodoro de Andrade

gegen

Director da Alfândega de Leixões,

Beteiligter:

Ministério Público,

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1), insbesondere der Artikel 6, 53 und 243 sowie der gemeinschaftlichen Vorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter V. Skouris, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), R. Schintgen und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: N. Fennelly

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von J. T. de Andrade, vertreten durch Rechtsanwalt R. G. Soares, Porto,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes, Leiter des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für Gemeinschaftsangelegenheiten des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Â. C. de Seiça Neves, Jurist in diesem Dienst, und A. da Silva Teles, Juristischer Dienst der Generaldirektion Zölle und besondere Verbrauchsteuern, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Tricot, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, im Beistand von Rechtsanwalt A. Castro, Porto,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. September 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto hat mit Beschluss vom 11. Mai 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 1999, gemäß Artikel 234 EG sieben Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im Folgenden: Kodex), insbesondere der Artikel 6, 53 und 243 sowie der gemeinschaftlichen Vorschriften auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger de Andrade und dem Director da Alfândega de Leixões (im Folgenden: Beklagter) wegen der Erhebung eines Zuschlags wegen Überschreitung der Frist für die zollrechtliche Warenabfertigung.

Rechtlicher Rahmen

3 Artikel 49 des Kodex bestimmt u. a., dass für zollrechtlich angemeldete Waren binnen einer Frist, die je nach Transportweg 20 oder 45 Tage nicht überschreiten darf, eine Anmeldung zum freien Verkehr vorzunehmen oder ein Antrag auf eine andere zollrechtliche Bestimmung zu stellen ist. Wenn es die Umstände rechtfertigen, können die Zollbehörden eine kürzere Frist festsetzen oder diese Fristen verlängern. Nach Artikel 50 des Kodex werden die Waren bis zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung in vorübergehende Verwahrung genommen; gemäß Artikel 53 treffen die Zollbehörden, sind die Förmlichkeiten nicht vor Ablauf der nach Artikel 49 festgesetzten Fristen eingeleitet worden, zur Regelung des Falles unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Veräußerung der Waren.

4 Im portugiesischen Recht bestimmt Artikel 638 des Regulamento das Alfândegas (Zollverordnung), dass Waren, die in Zollagern oder Freilagern verwahrt werden und für die die Verwahrungsfristen überschritten sind, von den Zollstellen in der Regel verkauft werden. Nach Artikel 639 dieser Verordnung können die Eigentümer dieser Waren sie allerdings noch abfertigen lassen, wenn sie den Antrag binnen sechs Monaten von der Bereitstellung der Waren zur öffentlichen Versteigerung an stellen. Die so abgefertigten Waren unterliegen sämtlichen geltenden Steuern und Abgaben zuzüglich eines Betrages, der 5 % ihres Wertes entspricht.

5 Das Unternehmen Curtume Kiriazi Ltda mit Sitz in Brasilien versandte sieben Paletten Rinderhäute nach Portugal, die zum Verkauf an den Kläger bestimmt waren. Diese Waren wurden im Alcântara-Hafen in Lissabon (Portugal) am 11. Juni 1995 entladen und anschließend per Bahn nach Leixões befördert, wo sie am 20. Juni 1995 eintrafen und auf dem Bahnhof gelagert wurden. Nachdem dem Kläger am 24. Juli 1995 eine Verlängerung der Frist für die Erteilung einer zollrechtlichen Bestimmung um 45 Tage erhalten hatte, wurden die Waren am 3. August 1995 in das Lager des Serviço Português de Contentores (SPC) in Sao Mamede de Infesta übergeführt und am 15. September 1995 beim Zollamt Leixões zur Zollagerung angemeldet. Sie verblieben in der Anlage des SPC, bis die Anmeldungen zur Abfertigung zum freien Verkehr und zum Verbrauch angenommen wurden. Diese Abfertigung erfolgte am 19. September 1995 für drei Paletten, am 9. Oktober 1995 für eine Palette, am 19. Oktober 1995 für eine weitere Palette und am 2. Januar 1996 für die beiden übrigen Paletten. Vom Zollamt Leixões wurden daraufhin insgesamt 3 473 724 ESC an Zöllen, Stempelabgaben und Mehrwertsteuer festgesetzt und erhoben.

6 Nachdem die Waren bereits zum freien Verkehr und zum Verbrauch abgefertigt worden waren, leitete das Zollamt Leixões am 9. Mai 1996 das im Fall von Fristüberschreitungen vorgesehene Verfahren ein und stellte fest, die Waren seien am 11. Juni 1995 im Inland eingetroffen. Das genannte Zollamt forderte den Kläger am 22. Januar 1997 auf, binnen zehn Tagen 905 483 ESC an Zollschuld einschließlich Stempelabgabe und Mehrwertsteuer zu zahlen, was der Kläger am 3. Februar 1997 tat.

7 Der Kläger erhob daraufhin beim Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto Klage auf Nichtigerklärung des Abgabenbescheids über diesen Betrag von 905 483 ESC sowie auf dessen Erstattung zuzüglich Zinsen bis zur tatsächlichen Rückzahlung. Zur Stützung dieser Klage machte er u. a. geltend, der geforderte Betrag entspreche nicht den Kosten einer von der Zollverwaltung erbrachten Einlagerungsleistung und stelle eine unverhältnismäßige Sanktion dar, da er nicht nach Maßgabe des Verhaltens des Eigentümers der Waren, sondern anhand ihres Wertes errechnet worden sei.

8 Da das Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto der Auffassung ist, dass die Entscheidung in diesem Rechtsstreit von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist das vorstehend beschriebene nationale Zollverwaltungsverfahren mit Artikel 53 des Zollkodex, insbesondere Artikel 53 Absatz 1, vereinbar, soweit darin vorgeschrieben ist, dass Waren, für die die gesetzlichen Fristen überschritten sind, automatisch und ohne vorherige Benachrichtigung dem Verfahren für Waren, für die die Fristen überschritten sind, (Verwertung) unterliegen?

2. Kann das nationale Zollverwaltungsverfahren, soweit es als einzige (und, wie dargestellt, automatische) Maßnahme, die die nationalen Zollbehörden zu ergreifen haben, die Durchführung des Verfahrens für Waren, für die die Fristen überschritten sind, vorsieht, das nur die Verwertung der Waren regelt, als unverhältnismäßige Maßnahme angesehen werden, die die Verteidigungsrechte der Abgabenpflichtigen verletzt und als Hemmnis für den freien Warenverkehr betrachtet werden kann, zumal diese Maßnahme als automatische Maßnahme sofort, am ersten Tag nach Ablauf der gesetzlichen Lagerfrist getroffen werden kann, ohne dass der Importeur der Ware benachrichtigt wird?

3. Verstößt das nationale Zollverwaltungsverfahren dadurch gegen Artikel 6 Absatz 3 des Zollkodex der Gemeinschaften, dass danach Waren in den angegebenen Fällen sofort ohne vorherige Benachrichtigung der "Verwertung" zugeführt werden?

4. Verstößt das nationale Zollverwaltungsverfahren dadurch gegen Artikel 243 des Zollkodex der Gemeinschaften, dass im Rahmen des Verfahrens für Waren, für die die Fristen überschritten sind, nach den Artikeln 638 ff. der portugiesischen Zollverordnung eine Benachrichtigung nicht zwingend vorgeschrieben ist?

5. Unterliegt die Abgabe für Waren, für die die Fristen überschritten sind, gemäß Artikel 638 ff. der portugiesischen Zollverordnung der Mehrwertsteuer, wenn sie (entsprechend der Auffassung der nationalen Gerichte) als verwaltungsverfahrensrechtliche Sanktion anzusehen ist?

6. Kann der Umstand, dass die Abgabe eine wertabhängige (objektive) Abgabe ist und das Verschulden des Handelnden oder die Kosten, die die Zollbehörden im konkreten Fall für Sicherungsmaßnahmen bei der Überwachung, der Einlagerung oder sonstigen Maßnahmen getragen haben, nicht berücksichtigt werden, als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angesehen werden, wenn der in der fünften Frage dargelegten Ansicht (wonach die Abgabe eine Verwaltungssanktion darstellt) gefolgt wird?

7. Wenn jedoch davon ausgegangen wird, dass die erwähnte Abgabe keinen Sanktionscharakter hat, sondern vielmehr den Charakter eines Entgelts für eine Dienstleistung, die die Zollbehörden erbracht haben, ist dann die Erhebung von Mehrwertsteuer gerechtfertigt?

Zur ersten Frage

9 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 53 des Kodex der automatischen, ohne vorherige Benachrichtigung erfolgenden Anwendung eines Verfahrens wie des durch die portugiesische Verordnung eingeführten, entgegensteht, das die Verwertung von Waren vorsieht, für die die gesetzlichen Fristen für die Anmeldung zur Abfertigung zum freien Verkehr oder für den Antrag auf eine andere zollrechtliche Bestimmung abgelaufen sind (im Folgenden: Waren, für die die Fristen überschritten sind).

10 Nach Auffassung des Klägers steht Artikel 53 des Kodex einem Verfahren zur Verwertung von Waren, für die die Fristen überschritten sind, entgegen, das automatisch und ohne jede Mitteilung an den Betroffenen angewandt wird. Die portugiesische Regierung und die Kommission vertreten demgegenüber die Meinung, dieser Artikel stehe der automatischen Anwendung eines solchen Verfahrens nicht entgegen.

11 Artikel 53 bestimmt ausdrücklich, dass die Zollbehörden, sind die Förmlichkeiten nicht vor Ablauf der festgesetzten Fristen eingeleitet worden, zur Regelung des Falles unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Veräußerung zu treffen haben. Nach dieser Bestimmung müssen diese Behörden somit die erforderlichen Maßnahmen treffen, können jedoch unter ihnen, zu denen auch die Veräußerung der Waren gehört, wählen.

12 Wie in Randnummer 4 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sieht die portugiesische Verordnung ein Verfahren zur Verwertung von Waren, für die die Fristen überschritten sind, vor, das die Betroffenen dadurch beenden können, dass sie sämtliche geltenden Steuern und Abgaben zuzüglich eines bestimmmten Prozentsatzes vom Warenwert entrichten.

13 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 53 des Kodex der automatischen, ohne vorherige Benachrichtigung erfolgenden Anwendung eines Verfahrens wie des durch die portugiesische Verordnung eingeführten entgegensteht, das die Verwertung von Waren, für die die Fristen überschritten sind, vorsieht.

Zur zweiten und zur sechsten Frage

14 Die zweite und die sechste Frage des vorlegenden Gerichts, die zusammen geprüft werden können, gehen im Wesentlichen dahin, ob die automatische Anwendung eines Verfahrens zur Verwertung von Waren, für die die Fristen überschritten sind, oder die Erhebung eines wertabhängigen Zuschlags zur Regelung des Falles dieser Waren gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

15 Der Kläger macht geltend, die Einführung eines Verwertungsverfahrens, das zu einer Aneignung durch den Staat führen könne und ohne irgendeine Mitteilung an den Betroffenen ablaufe, durch die portugiesischen Behörden als einzige Maßnahme zur Regelung des Falles von Waren, für die die Fristen überschritten sind, lasse nicht die Beurteilung zu, ob diese Maßnahme zu dem verfolgten Zweck erforderlich sei, und beachte somit nicht die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Gleiche gelte für den bei der Regelung des Falles erhobenen Zuschlag, dessen Höhe nicht anhand des Zollwertes der fraglichen Waren festgesetzt werden dürfe, sondern nach Maßgabe der konkreten Schwere und der Folgen des begangenen Verstoßes sowie der Notwendigkeit, Fristüberschreitungen vorzubeugen, abgestuft werden müsse.

16 Die portugiesische Regierung ist demgegenüber der Meinung, diese Pflicht zur Entrichtung eines bestimmten Prozentsatzes des Warenwerts solle die Einhaltung der Fristen fördern und sei eine Ersatzlösung für die Verwertung. Die entsprechenden Maßnahmen der innerstaatlichen Verordnung seien ausgewogen und beachteten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

17 Nach Ansicht der Kommission ist das portugiesische Verfahren für Waren, für die die Fristen überschritten sind, gemessen an der Art des Verstoßes, der damit geahndet werden solle, und an den Interessen, die es schützen solle, offensichtlich unverhältnismäßig, da es eine unwiderlegliche Vermutung dafür schaffe, dass die Verwertung der Waren in jedem Fall erforderlich sei. Zu der auf den Warenwert abstellenden Regelungsabgabe vertritt die Kommission allerdings die Meinung, die bloße Tatsache, dass eine Verwaltungssanktion wertabhängig bemessen werde, stelle an sich keinen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar.

18 Die gemeinschaftsrechtliche Regelung sieht keine spezielle Verwaltungssanktion für den Fall einer Überschreitung der Fristen für die Anmeldung zur Abfertigung zum freien Verkehr oder für den Antrag auf eine andere zollrechtliche Bestimmung vor. Wie in Randnummer 11 des vorliegenden Urteils ausgeführt, überlässt sie allerdings den Zollbehörden die Aufgabe, zur Regelung des Falles von Waren, für die die Fristen überschritten sind, alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Verwertung zu treffen.

19 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Randnr. 20 des Urteils vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-36/94, Siesse, Slg. 1995, I-3573) sind die Mitgliedstaaten, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Regelung keine besondere Sanktion für den Fall eines Verstoßes gegen ihre Vorschriften enthält oder wenn sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften verweist, nach Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Hierzu müssen die Mitgliedstaaten, denen bei der Wahl der Sanktionen ein Ermessen verbleibt, darauf achten, dass die Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss.

20 Hinsichtlich der zollrechtlichen Zuwiderhandlungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten mangels einer gemeinschaftlichen Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet befugt sind, die Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen. Sie sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu beachten (vgl. Urteil Siesse, Randnr. 21).

21 Der portugiesischen Zollverordnung zufolge werden die Waren nach Ablauf der Fristen zwar von den Zollämtern in der Regel der Verwertung zugeführt, doch können die Eigentümer dieser Waren sie noch durch Zahlung eines Zuschlags, der einem bestimmten Prozentsatz ihres Wertes entspricht, abfertigen. Somit ist die Verwertung entgegen dem Vorbringen des Klägers und der Kommission nicht die einzige Maßnahme, die zur Regelung des Falles solcher Waren vorgesehen ist. Diese Verordnung kann daher nicht deshalb als unverhältnismäßig angesehen werden, weil sie nur diese Maßnahme vorsähe.

22 Wie der Gerichtshof in Randnummer 22 des Urteils Siesse ausgeführt hat, verstößt der mit einer Abgabe wie dem im Ausgangsverfahren streitigen Zuschlag verfolgte Zweck, die Wirtschaftsteilnehmer, die die vorgeschriebenen Formalitäten und Fristen nicht eingehalten haben, mit Sanktionen zu belegen, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht. Denn ohne eine solche Maßnahme hätte die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Formalitäten letztlich keinerlei Folgen für den Wirtschaftsteilnehmer, der die versäumte Handlung nach Ablauf der Fristen nachholen kann. Durch die auferlegte Sanktion sollen die Wirtschaftsteilnehmer also veranlasst werden, innerhalb der vorgeschriebenen Fristen tätig zu werden.

23 Dass die versäumte Handlung nur nachgeholt werden kann, wenn eine dementsprechend als Sanktion vorgesehene Abgabe gezahlt wird, verstößt ebenfalls nicht gegen das Gemeinschaftsrecht. Ein solches Erfordernis stellt nämlich nur eine Sicherungsmaßnahme dar, durch die die tatsächliche Zahlung der entsprechenden Abgabe gewährleistet werden soll (vgl. Urteil Siesse, Randnr. 23).

24 Die Höhe der Sanktion muss nach der genannten Rechtsprechung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und nach Regeln festgesetzt werden, die denjenigen entsprechen, die im nationalen Recht für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gelten. Wie der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Siesse ausgeführt hat, ist es Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die in der portugiesischen Regelung vorgesehene Abgabe von 5 % des Wertes der Waren diesen Grundsätzen entspricht.

25 Auf die zweite und auf die sechste Frage ist daher zu antworten, dass die Anwendung eines Verfahrens, das entweder die Verwertung der Waren, für die die Fristen überschritten sind, oder die Erhebung eines wertabhängigen Zuschlags zur Regelung des Falles dieser Waren vorsieht, als solche nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob der im Ausgangsfall vorgesehene Zuschlag diesem Grundsatz entspricht.

Zur dritten und zur vierten Frage

26 Mit der dritten und der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 6 Absatz 3 und 243 des Kodex die Anwendung eines Verfahrens, wie es im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, zulassen, das keine vorherige Benachrichtigung der Betroffenen vorsieht.

27 Nach Ansicht des Klägers ergibt sich aus Artikel 4 Nummer 5 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 3 des Kodex, dass die Durchführung eines Verfahrens zur Verwertung von Waren, wie es im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, durch die Zollbehörden eine Entscheidung darstellt, die mit Gründen zu versehen und dem Betroffenen mitzuteilen sei. Außerdem verstoße dieses Verfahren gegen Artikel 243 des Kodex, der ein Klagerecht gegen die Entscheidungen der Zollbehörden vorsehe.

28 Für die portugiesische Regierung ist die Einleitung des Verfahrens zur Verwertung der Waren, für die die Fristen überschritten sind, demgegenüber nicht das Ergebnis einer Entscheidung der Verwaltungsbehörden, sondern die Rechtsfolge der Nichteinhaltung der Frist. Dieser Fall werde daher nicht von Artikel 6 Absatz 3 des Kodex erfasst, der von den Zollbehörden verlange, Entscheidungen, mit denen Anträge abgewiesen würden oder die für ihre Adressaten nachteilige Folgen hätten, zu begründen. Die portugiesische Regierung trägt ferner vor, Artikel 243 des Kodex sehe ein Klagerecht nur gegen die Entscheidungen der Zollbehörden vor; im Übrigen hätten die Betroffenen verschiedene Klagemöglichkeiten während der gesamten Dauer des Verfahrens und nach dessen Abschluss, so auch gegen den Abgabenbescheid über den zur Regelung des Falles der Waren geforderten Betrag, wovon sie im Ausgangsverfahren Gebrauch gemacht hätten.

29 Die Kommission ist der Ansicht, dass der Kodex eine schriftliche Entscheidung nur im Fall eines schriftlichen Antrags verlange und dass Artikel 6 des Kodex nur solche Entscheidungen erfasse, die einen bestimmten Adressaten beträfen. Die Entscheidungen könnten aber auch Waren betreffen, deren Eigentümer nicht bekannt sei. Da das portugiesische Verfahren vor der Verwertung der Waren aber auch dann keine vorherige Benachrichtigung vorschreibe, wenn der Eigentümer oder Importeur der Zollverwaltung bekannt sei, gebe dieses Verfahren diesem nicht die Möglichkeit, das ihm durch Artikel 243 des Kodex gewährleistete Klagerecht auszuüben.

30 Artikel 6 Absatz 3 des Kodex bestimmt: "Schriftliche Entscheidungen, mit denen Anträge abgelehnt werden oder die für die Personen, an die sie gerichtet sind, nachteilige Folgen haben, sind zu begründen. Sie müssen eine Belehrung über die Möglichkeit enthalten, einen Rechtsbehelf nach Artikel 243 einzulegen." Artikel 243 Absatz 1 Satz 1 des Kodex lautet: "Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen."

31 Die Begründungspflicht gemäß Artikel 6 Absatz 3 des Kodex erfasst nur die schriftliche Ablehnung von Anträgen oder Entscheidungen, die einen bestimmten Adressaten betreffen. Im vorliegenden Fall ist dem Verwertungsverfahren aber keine schriftliche Entscheidung vorausgegangen, und nach Artikel 53 des Kodex war, wie in der Antwort auf die erste Frage ausgeführt, die Zollverwaltung vor Durchführung dieses Verfahrens nicht zum Erlass einer solchen schriftlichen Entscheidung verpflichtet.

32 Das Klagerecht gemäß Artikel 243 des Kodex kann in verschiedenen Abschnitten des Verfahrens ausgeübt werden, insbesondere zum Zeitpunkt der Ausschreibung der Waren zum Verkauf im Wege der öffentlichen Versteigerung oder auch, wie im Ausgangsrechtsstreit, nach Eingang des Abgabenbescheids über den zur Regelung des Falles der Waren zu zahlenden Betrag.

33 Auf die dritte und die vierte Frage ist daher zu antworten, dass die Artikel 6 Absatz 3 und 243 des Kodex die Anwendung eines Verfahrens wie es im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, zulassen, das keine vorherige Benachrichtigung der Betroffenen vorsieht.

Zur fünften und zur siebten Frage

34 Die fünfte und die siebte Frage des vorlegenden Gerichts gehen dahin, ob der im Ausgangsverfahren streitige Zuschlag der Mehrwertsteuer unterworfen werden kann; dabei unterscheidet das Gericht danach, ob der Zuschlag Sanktionscharakter hat oder nicht.

35 Der Kläger, die portugiesische Regierung und die Kommission sind der Ansicht, der bei Nichteinhaltung der Frist nach Artikel 49 des Kodex erhobene Zuschlag könne nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden, da er nicht auf eine Dienstleistung zurückgehe.

36 Gemäß Artikel 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) unterliegen der Mehrwertsteuer die Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, sowie die Einfuhr von Gegenständen.

37 Wie in Randnummer 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll mit einer Abgabe wie dem streitigen Zuschlag das Verhalten von Wirtschaftsteilnehmern geahndet werden, die die vorgeschriebenen Formalitäten und Fristen nicht eingehalten haben. Es handelt sich somit um eine Sanktion und nicht um die Gegenleistung für eine Lieferung von Gegenständen, für eine Dienstleistung oder für eine Einfuhr von Gegenständen. Eine solche Sanktion kann naturgemäß nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden.

38 Auf die fünfte und die siebte Frage ist daher zu antworten, dass ein Zuschlag, der als Sanktion für die Nichteinhaltung von Zollformalitäten bestimmt ist, nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der portugiesischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto mit Beschluss 11. Mai 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 53 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften steht der automatischen, ohne vorherige Benachrichtigung erfolgenden Anwendung eines Verfahrens wie des durch die portugiesische Verordnung eingeführten entgegen, das die Verwertung von Waren vorsieht, für die die gesetzlichen Fristen für die Anmeldung zur Abfertigung zum freien Verkehr oder für den Antrag auf eine andere zollrechtliche Bestimmung abgelaufen sind.

2. Die Anwendung eines Verfahrens, das entweder die Verwertung dieser Waren oder die Erhebung eines wertabhängigen Zuschlags zur Regelung des Falles dieser Waren vorsieht, verstößt als solche nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob der im Ausgangsfall vorgesehene Zuschlag diesem Grundsatz entspricht.

3. Die Artikel 6 Absatz 3 und 243 der Verordnung Nr. 2913/92 lassen die Anwendung eines Verfahrens, wie es im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, zu, das keine vorherige Benachrichtigung der Betroffenen vorsieht.

4. Ein Zuschlag, der als Sanktion für die Nichteinhaltung von Zollformalitäten bestimmt ist, kann nicht der Mehrwertsteuer unterworfen werden.

Ende der Entscheidung

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