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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.03.1991
Aktenzeichen: C-249/88
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Kommission muß, wenn sie in einem Verfahren gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag vor dem Gerichtshof auf Feststellung klagt, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag verstossen hat, die behauptete Vertragsverletzung beweisen.

2. Ein Mitgliedstaat verstösst gegen Artikel 30 EWG-Vertrag, wenn er auf dem Sektor für pharmazeutische Erzeugnisse eine Regelung über Programmverträge einführt, von der lediglich einheimische Unternehmen profitieren können und die als Gegenleistung für übernommene Verpflichtungen mit Bezug auf Investitionen, Forschung, Beschäftigung und Ausfuhren Ausnahmen von der allgemeinen Regelung über die Preiskontrolle gestattet und die erfassten Erzeugnisse bei der Zulassung zur Kostenerstattung begünstigt. Eine solche Regelung ist nämlich geeignet, die eingeführten Erzeugnisse zu benachteiligen, und stellt daher eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung dar.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 19. MAERZ 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - ARTIKEL 30 EWG-VERTRAG - NATIONALE RECHTSVORSCHRIFTEN UEBER DEN PREIS FUER ARZNEIMITTEL - REGELUNG UEBER "PROGRAMMVERTRAEGE". - RECHTSSACHE C-249/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 9. September 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat,

- daß es zur Bestimmung der Hoechstpreise für pharmazeutische Erzeugnisse Kriterien vorsieht, die sich auf Merkmale des belgischen Marktes beziehen und es nicht erlauben, den spezifischen Kostenfaktoren eingeführter Erzeugnisse Rechnung zu tragen;

- daß es die Preise für pharmazeutische Erzeugnisse auf einem so niedrigen Niveau einfriert, daß der Absatz bestimmter eingeführter Erzeugnisse unmöglich oder unrentabel wird;

- daß es den betroffenen pharmazeutischen Unternehmen nicht die Gelegenheit gibt, die Kriterien zu erfahren, nach denen sich die Entscheidungen über die Festsetzung der Hoechstpreise für ihre Erzeugnisse oder über die Anpassung dieser Preise richten;

- daß es die Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit auf Kriterien stützt, die weder objektiv noch nachprüfbar sind;

- daß es bei bestimmten pharmazeutischen Erzeugnissen die Erstattungsfähigkeit von einer Senkung der Preise dieser Erzeugnisse abhängig macht;

- daß es den Absatz eingeführter pharmazeutischer Erzeugnisse, deren Preise eingefroren sind, durch den Abschluß von Programmverträgen behindert, die Preiserhöhungen unter Voraussetzungen gestatten, die nur die einheimischen Erzeugnisse erfuellen können;

- daß es bei der Zulassung zur Erstattung die einheimischen pharmazeutischen Erzeugnisse begünstigt, für die Programmverträge gelten, während für eingeführte Erzeugnisse derartige Verträge nicht bestehen.

2 Wie aus den Ausführungen der Kommission und aus den Akten hervorgeht, betreffen diese Rügen drei Aspekte der belgischen Rechtsvorschriften über die Festsetzung der Preise und die Erstattung der Arzneimittelkosten:

- die Regelung über die Festsetzung der Preise für Arzneispezialitäten und andere Arzneimittel durch den Wirtschaftsminister auf der Grundlage des Gesetzes vom 9. Juli 1975 zur Einführung einer Preisregelung für Arzneispezialitäten und andere Arzneimittel (Moniteur belge vom 30. Juli 1975, S. 9328);

- die Regelung über die Zulassung zur Erstattung der Kosten von Arzneimittellieferungen durch das Staatliche Institut für Kranken- und Invaliditätsversicherung gemäß der königlichen Verordnung vom 2. September 1980 (Moniteur belge vom 30. September 1980, S. 11107);

- die durch die königliche Verordnung vom 31. Dezember 1983 (Moniteur belge vom 21. Januar 1984, S. 850) eingeführte Regelung betreffend die Programmverträge im Arzneimittelsektor.

3 Wegen weiterer Einzelheiten des Ablaufs des vorprozessualen und des gerichtlichen Verfahrens sowie des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Festsetzung von Hoechstpreisen für pharmazeutische Erzeugnisse

4 Nach Artikel 2 des vorerwähnten Gesetzes vom 9. Juli 1975

kann der Wirtschaftsminister "Hoechstpreise für Arzneispezialitäten und sonstige Arzneimittel im allgemeinen sowie für jede Arzneispezialität oder jedes sonstige Arzneimittel im besonderen festsetzen"; gemäß Artikel 3 des Gesetzes hat er hierbei bestimmten, in einer königlichen Verordnung vom 11. Dezember 1975 (Moniteur belge vom 16. Dezember 1975, S. 15989) festgelegten Kriterien Rechnung zu tragen.

5 Nach Ansicht der Kommission behindern diese Regelung und die Art ihrer Durchführung die Einfuhr pharmazeutischer Erzeugnisse, weil die Kriterien, auf die die vorgenannte königliche Verordnung vom 11. Dezember 1975 abstelle, sich mindestens teilweise auf Merkmale des belgischen Marktes bezögen und es nicht gestatteten, die spezifischen Kostenfaktoren der eingeführten Erzeugnisse zu berücksichtigen, weil die Preise so niedrig festgesetzt würden, daß der Absatz eingeführter Erzeugnisse häufig unrentabel sei, und weil die betroffenen Unternehmen den ministeriellen Entscheidungen nicht entnehmen könnten, nach welchen Kriterien diese Entscheidungen ergangen seien.

6 Vor einer Prüfung dieser Rügen ist daran zu erinnern, daß die Kommission, wenn sie vor dem Gerichtshof auf Feststellung klagt, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag verstossen hat, die behauptete Vertragsverletzung beweisen muß (Urteil vom 25. April 1989 in der Rechtssache 141/87, Kommission/Italien, Slg. 1989, 943).

Zu den in der königlichen Verordnung vom 11. Dezember 1975 aufgeführten Kriterien

7 Wie aus Artikel 2 Absatz 3 Buchstaben c bis e der auf Artikel 33 Absatz 7 EWG-Vertrag gestützten Richtlinie 70/50/EWG der Kommission vom 22. Dezember 1969 über die Beseitigung von Maßnahmen

gleicher Wirkung, wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen, die nicht unter andere auf Grund des EWG-Vertrags erlassene Vorschriften fallen (ABl. 1970, L 13, S. 29), hervorgeht, steht Artikel 30 EWG-Vertrag unter anderem einer nationalen Preiskontrollregelung entgegen, die Preisbestandteile für inländische und eingeführte Erzeugnisse zum Nachteil der letzteren unterschiedlich festlegt, eine etwaige Preiserhöhung für die eingeführten Erzeugnisse entsprechend den mit der Einfuhr verbundenen zusätzlichen Kosten und Belastungen unmöglich macht oder die Preise für die Erzeugnisse in Abhängigkeit vom Gestehungspreis oder der Qualität allein der inländischen Erzeugnisse in einer solchen Höhe festlegt, daß sich hieraus ein Einfuhrhindernis ergibt. Diese Auslegung von Artikel 30 wird durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes bestätigt, namentlich durch das Urteil vom 9. Juni 1988 in der Rechtssache 56/87 (Kommission/Italien, Slg. 1988, 2919, Randnrn. 6 und 7).

8 Zwar stellt Artikel 3 der königlichen Verordnung vom 11. Dezember 1975 auf Kriterien ab wie "Investition und Beschäftigung", "Markt- und Wettbewerbsbedingungen sowie deren Einfluß auf die Ausfuhr" sowie "Sozio-ökonomische und technisch-wissenschaftliche Belange der Allgemeinheit", die unmittelbar einheimische Unternehmen betreffen und deren systematische oder vorrangige Berücksichtigung es gestatten würde, die Erzeugnisse dieser Unternehmen bei der Preisfestsetzung zu begünstigen.

9 Die streitige Verordnung enthält jedoch noch andere Kriterien, die unterschiedslos sämtliche Unternehmen angehen, sowie bestimmte Kriterien wie etwa "Bestandteile des Preises ab Hersteller oder ab Importeur", "Kosten der Produktions-, Einfuhr- oder Vertriebsfaktoren" und "Verkaufskosten", die es namentlich gestatten, die spezifischen Kostenfaktoren eingeführter pharmazeutischer Erzeugnisse zu berücksichtigen (Urteil vom

13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 73).

10 Jedenfalls geht aus den Akten nicht hervor, daß der Wirtschaftsminister bei der Ausübung der ihm durch das Gesetz vom 9. Juli 1975 verliehenen Befugnisse den die belgischen Unternehmen angehenden Kriterien den Vorzug eingeräumt und die die Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten angehenden Kriterien in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder unterschätzt und dementsprechend die letztgenannten Unternehmen benachteiligt hätte. Soweit die Kommission behauptet, die "Währungsschwankungen" hätten nicht ausgeglichen werden können, tritt sie keinerlei Beweis dafür an, daß der belgische Minister bei der Festsetzung der Preise die Wechselkurse ausser acht gelassen hätte.

11 Nach alledem ist die erste Rüge der Kommission zurückzuweisen.

Zu dem sich aus der Anwendung der belgischen Regelung ergebenden Preisniveau

12 Die Kommission wirft der belgischen Regierung vor, sie habe die Preise für eingeführte pharmazeutische Erzeugnisse zu niedrig festgesetzt, als daß sie rentabel sein könnten. Ihren Schriftsätzen und ihren Ausführungen zu diesem Punkt lässt sich insgesamt sogar entnehmen, daß es sich hierbei um ein entscheidendes Vorbringen zur Stützung ihrer Vertragsverletzungsklage handelt.

13 Die Kommission hatte zunächst geltend gemacht, in Belgien seien die Preise für Arzneimittel niedriger als in den anderen Mitgliedstaaten. Die belgische Regierung hat sich bemüht, die Unrichtigkeit dieser Behauptung zu beweisen. In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofes hat die Kommission "Wert auf

die Klarstellung gelegt, daß sie keinerlei rechtliche Konsequenzen aus den Vergleichsdaten betreffend das Niveau der Preise für pharmazeutische Erzeugnisse in den Mitgliedstaaten zieht". Das beiderseitige Vorbringen zu diesem Punkt kann daher ausser Betracht bleiben.

14 Um das angeblich niedrige Niveau der Arzneimittelpreise in Belgien darzutun, stützt sich die Kommission ausserdem auf die Entwicklung der Preise für bestimmte pharmazeutische Erzeugnisse, die sie, wie sie vorträgt, ausgewählt habe, weil sie für einen zeitlichen Vergleich von Interesse seien. Die belgische Regierung legt eine Gegendarstellung vor, bei der sie sich für die rechnerische Ermittlung der Preisentwicklung auf andere Gruppen von Erzeugnissen bezieht. Keine dieser Darstellungen, welches auch immer ihre jeweiligen Vorzuege sein mögen, ist jedoch kennzeichnend für die in Belgien bei eingeführten Erzeugnissen akzeptierten Preise.

15 Gerade zu diesem zwischen den Parteien streitigen Punkt hat der Gerichtshof mehrfach entschieden, daß Preisregelungen, die unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten, zwar als solche keine Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung darstellen, jedoch eine solche Wirkung entfalten können, wenn die Preise so niedrig sind, daß der Absatz der eingeführten Erzeugnisse entweder unmöglich oder gegenüber dem inländischer Erzeugnisse erschwert wird (siehe insbesondere das Urteil vom 29. November 1983 in der Rechtssache 181/82, Roussel Laboratoria/Niederlande, Slg. 1983, 3849, Randnr. 17).

16 Dies gilt auch für eine Regelung der von der Kommission beanstandeten Art, die die Preise der Erzeugnisse im einzelnen festsetzt. Auch wenn ein solches System angesichts der Regierungspolitik, die auf Sicherung eines maßvollen Preisniveaus bei pharmazeutischen Erzeugnissen gerichtet ist, das Inverkehrbringen sowohl inländischer als auch eingeführter

Erzeugnisse erschwert, stellt dieses System bereits dann eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung dar, wenn der Verkehr eingeführter Erzeugnisse behindert wird.

17 Eine solche Behinderung liegt vor, wenn die eingeführten Erzeugnisse auf dem Markt des Einfuhrstaats nicht mit einem angemessenen Gewinn abgesetzt werden können.

18 Die Kommission erblickt den Beweis dafür, daß dies vorliegend der Fall sei, in dem Umstand, daß Importeure wegen des unzureichenden Niveaus der von den belgischen Behörden genehmigten Preise darauf verzichtet hätten, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu vertreiben.

19 Dieser Umstand kann jedoch für sich allein noch nicht als Beweis dafür angesehen werden, daß die für eingeführte pharmazeutische Erzeugnisse akzeptierten Preise zu niedrig gewesen wären.

20 Wie nämlich die belgische Regierung zu Recht bemerkt, kann es an der Geschäftspolitik des Produktionsunternehmens liegen, daß die Preise bei ein und demselben Erzeugnis von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich sind; aus der blossen Tatsache, daß ein Unternehmen mit der Begründung, der ihm vorgeschriebene Hoechstpreis sei unzureichend, darauf verzichtet, ein bestimmtes Erzeugnis auf dem Markt eines Mitgliedstaats zu vertreiben, lässt sich nicht auf eine Behinderung der Einfuhren schließen. So kann zum Beispiel ein Unternehmen ein Interesse daran haben, zur Vermeidung von Parallelausfuhren seine Erzeugnisse in einem Mitgliedstaat nicht zu einem Preis zu vertreiben, den es für unrentabel hält.

21 Es war Sache der Kommission, hinsichtlich der eingeführten Erzeugnisse, auf die sie ihre Feststellung einer Vertragsverletzung zu stützen gedachte, darzutun, daß die von den belgischen Behörden akzeptierten Preise angesichts von Struktur und Höhe der Produktionskosten sowie der mit der Einfuhr verbundenen Kosten und Belastungen einen Verkauf mit angemessenem Gewinn nicht gestatteten.

22 Mangels entsprechender Darlegungen erlauben es weder allgemeine Überlegungen noch die von der Kommission angeführten Umstände, ihrem Vorbringen zu folgen.

Zur Begründung der preisrechtlichen ministeriellen Entscheidungen

23 Nach Ansicht der Kommission ermöglichen es die vom Wirtschaftsminister auf der Grundlage des Gesetzes vom 9. Juli 1975 getroffenen Entscheidungen ihren Adressaten nicht, die Gründe zu erfahren, aus denen die Verwaltung den Hoechstpreis des jeweiligen Erzeugnisses auf einem bestimmten Niveau festgesetzt habe, was in Widerspruch zu den Anforderungen stehe, die der Gerichtshof insoweit in seinem Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82 (Duphar/Niederlande, Slg. 1984, 523) aufgestellt habe.

24 Das Königreich Belgien macht geltend, seit dem Erlaß mehrerer Urteile des belgischen Staatsrats aus dem Jahre 1981 habe sich der Wirtschaftsminister veranlasst gesehen, die Begründung seiner preisrechtlichen Entscheidungen zu ändern; er beziehe sich nicht mehr allgemein auf die Kriterien 1 bis 10 der vorerwähnten königlichen Verordnung vom 11. Dezember 1975, sondern bezeichne nunmehr genau das Kriterium oder die Kriterien, die seiner Entscheidung als Grundlage gedient hätten. Im übrigen liege es auf der Hand, daß die Unternehmen im Rahmen des Preisfestsetzungsverfahrens angesichts der Diskussion, die mit ihnen stattfinde, erfahren könnten, weshalb der Minister sich für diesen und nicht für jenen Preis entschieden habe.

25 Zwar gebietet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, daß jedermann vor den nationalen Gerichten ein effektiver Rechtsschutz gegenüber nationalen Entscheidungen zu gewähren ist, die ein durch die Verträge anerkanntes Recht beeinträchtigen können; dieser Grundsatz setzt voraus, daß die Betroffenen, bevor sie eventuell Klage erheben, von der Verwaltung die Begründung dieser Entscheidungen erfahren können (Urteile vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston/Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, Slg. 1986, 1651, und vom 15. Oktober 1987 in der Rechtssache 222/86, Unectef/Heylens, Slg. 1987, 4097, Randnrn. 14 und 15). Die Kommission erbringt jedoch nicht den Beweis, und es geht auch nicht aus den Akten hervor, daß die betroffenen Unternehmen nicht in der Lage gewesen wären, vom Wirtschaftsminister auf Antrag die genauen Gründe für die getroffenen preisrechtlichen Entscheidungen zu erfahren, obwohl diese ausweislich der Akten zumeist nur knapp begründet waren.

26 Nach alledem greift keine der die Regelung über die Preisfestsetzung für pharmazeutische Erzeugnisse betreffenden Rügen der Kommission durch.

Zur Zulassung der pharmazeutischen Erzeugnisse zur Kostenerstattung durch die Sozialversicherung

27 Die Vorschriften über die Erstattung der pharmazeutischen Lieferungen sind in der vorerwähnten königlichen Verordnung vom 2. September 1980 niedergelegt. Aufgrund dieser Verordnung können unter den hierin festgesetzten Voraussetzungen die Kosten der in den einschlägigen Listen aufgeführten Arzneispezialitäten und pharmazeutischen Erzeugnisse vom Staatlichen Institut für Kranken- und Invaliditätsversicherung erstattet werden.

28 Nach Artikel 3 dieser Verordnung "müssen die Arzneispezialitäten, um zugelassen werden zu können, bestimmte Zulassungsvoraussetzungen betreffend Zusammensetzung und Preis erfuellen und einen sozialen Nutzen aufweisen". Die Kriterien für Zusammensetzung und Dosierung sind in einer Anlage zur Verordnung

aufgeführt. Für die Erstattungsfähigkeit eines Erzeugnisses genügt es nicht, daß das Erzeugnis zu einer bestimmten therapeutischen Kategorie gehört; vielmehr muß seine Zulassung einen "Nutzen" aufweisen. Gemäß Artikel 5 der Verordnung dürfen die öffentlichen Preise der Erzeugnisse, deren Zulassung beantragt wird, einen bestimmten Prozentsatz des Preises für eine gleichartige Spezialität nicht überschreiten. Spezialitäten, deren Wirkstoffe identisch sind und deren galenische Form vergleichbar ist, sind jedoch unter den gleichen Voraussetzungen zu erstatten.

29 Die Kommission macht geltend, die Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit stützten sich nicht auf objektive, nachprüfbare Kriterien; ausserdem werde die Aufnahme der Erzeugnisse in die Liste der erstattungsfähigen Produkte häufig von einer Senkung des Preises unter den vom Wirtschaftsminister festgesetzten Hoechstpreis abhängig gemacht, was die Unternehmen veranlasse, diese Erzeugnisse nicht zu vertreiben.

30 Das Königreich Belgien erwidert, den Unternehmen seien die Kriterien, die ihnen gegenüber angewandt würden, aus der Diskussion bekannt, die zwischen ihnen und dem Technischen Rat für Arzneispezialitäten stattfinde. Auch stehe nichts der Aufforderung zu einer Preissenkung entgegen, da die Regierung die Möglichkeit besitze, ein Erzeugnis ganz von der Erstattung auszuschließen. Im übrigen seien die von der Kommission beanstandeten Vorschriften durch eine Verordnung vom 20. April 1988 (Moniteur belge vom 29. April 1988, S. 6118) geändert worden; diese führe ein Verfahren für den Dialog mit den betroffenen Unternehmen ein, das eine grössere Transparenz ermögliche, und verbiete es, an die Unternehmen Empfehlungen zur Senkung der Preise zu richten.

31 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil Duphar vom 7. Februar 1984 (a. a. O.) entschieden hat, muß es den

Mitgliedstaaten, auch wenn der Ausschluß eines Arzneimittels von der Kostenerstattung durch die Versicherungseinrichtung zur vollständigen Verdrängung dieses Arzneimittels vom Inlandsmarkt führen kann, angesichts der Besonderheiten des Arzneimittelhandels, der dadurch gekennzeichnet ist, daß die Arzneimittelkosten zu einem grossen Teil von den Sozialversicherungsträgern übernommen werden, insbesondere zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts dieser Träger möglich sein, den Arzneimittelverbrauch zu regeln und namentlich zu bestimmen, welche Arzneimittel erstattungsfähig sind. Jedoch dürfen derartige Regelungen keine Diskriminierung zum Nachteil eingeführter Erzeugnisse begründen und müssen auf objektiven, vom Ursprung der Erzeugnisse unabhängigen und für jeden Importeur nachprüfbaren Kriterien beruhen. Im Lichte dieser Grundsätze sind die Rügen der Kommission zu prüfen.

32 Was die Kriterien für die Erstattungsfähigkeit betrifft, so ergibt sich aus den Akten, daß die therapeutischen Kriterien in den in regelmässigen Zeitabständen geänderten Anlagen zur königlichen Verordnung vom 2. September 1980 festgelegt werden. Sie können also von jedermann zur Kenntnis genommen werden. Weiter ist den Akten zu entnehmen, daß die Unternehmen mit den zuständigen Dienststellen Kontakte unterhalten, die es ihnen ermöglichen, die in ihrem Fall angewandten Kriterien zu erfahren, und sie gegebenenfalls dazu veranlassen, diese zu beanstanden und der Verwaltung zusätzliche Beurteilungsgrundlagen zu unterbreiten. Die Kommission hat daher den ihr obliegenden Beweis weder dafür erbracht, daß die zugrunde gelegten Kriterien als solche oder wegen der Art und Weise ihrer Anwendung der Objektivität ermangelten, noch dafür, daß die beteiligten Unternehmen keinerlei Überprüfung vornehmen könnten.

33 Was den Preis betrifft, von dem die Kostenerstattung für pharmazeutische Erzeugnisse abhängig gemacht wird und der, ohne daß irgendein Verbot entgegenstuende, niedriger sein kann als der im Rahmen der wirtschaftlichen Preisregelung akzeptierte Hoechstpreis,

so geht aus den Akten hervor, daß er von der Verwaltung im Wege des Vergleichs mit dem Preis der auf dem Markt vorhandenen vergleichbaren Spezialitäten festgesetzt wird. Die wenigen von der Kommission angeführten Beispiele gestatten nicht den Schluß, daß er willkürlich festgesetzt worden wäre oder daß etwa ein zu niedriges Preisniveau allein aus diesem Grund Unternehmen veranlasst hätte, ihre Erzeugnisse nicht in den Handel zu bringen.

34 Die Kommission hat somit, was diese beiden Rügen betrifft, die behauptete Zuwiderhandlung nicht bewiesen.

Zur Regelung betreffend die Programmverträge auf dem Sektor der pharmazeutischen Erzeugnisse

35 Die vorerwähnte königliche Verordnung vom 31. Dezember 1983 ermächtigte den Wirtschafts- und den Sozialminister, mit Erzeugern, Importeuren oder Verpackern pharmazeutischer Erzeugnisse Programmverträge über Verpflichtungen betreffend unter anderem die Investitionen, die Forschung, die Beschäftigung und die Ausfuhren als Gegenleistung für die genehmigten Preise und Erstattungen zu schließen. Um diesen Verträgen Rechnung zu tragen, sieht eine königliche Verordnung vom 14. Oktober 1985 (Moniteur belge vom 21. November 1985, S. 17137) unter Abänderung der königlichen Verordnung vom 2. September 1980 über die Erstattungsvoraussetzungen vor, daß die Preise für unter einen Programmvertrag fallende pharmazeutische Erzeugnisse nicht den Bestimmungen von Artikel 5 der letztgenannten Verordnung unterliegen, wonach nur solche pharmazeutischen Erzeugnisse, deren Preis einen bestimmten Prozentsatz des Preises für gleichartige Erzeugnisse nicht überschreitet, erstattungsfähig sind, und nicht als Vergleichsbasis für die Festsetzung der Erstattungsgrundlage für Erzeugnisse dienen können, die nicht Gegenstand eines Programmvertrags sind.

36 Die Kommission trägt vor, die Vorschriften über die Programmverträge seien diskriminierend und begünstigten die inländischen Erzeugnisse, da lediglich einheimische Unternehmen hiervon profitieren könnten und sich der Preisvorteil auf die Erstattungsfähigkeit auswirke.

37 Das Königreich Belgien macht geltend, im Anschluß an die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission vom 30. September 1987 [SG (87) 11716] seien die Vorschriften über die Programmverträge durch Gesetz vom 30. Dezember 1988 (Moniteur belge vom 5. Januar 1989, S. 75) aufgehoben worden. Die bereits geschlossenen Verträge blieben bis zu ihrem Ablauf in Kraft, würden jedoch nicht erneuert; neue Verträge würden nicht geschlossen.

38 Die in der königlichen Verordnung vom 31. Dezember 1983 getroffene Regelung betreffend die Programmverträge gestattet es, Preiserhöhungen ausserhalb des Rahmens der im Gesetz vom 9. Juli 1975 und in der königlichen Verordnung vom 11. Dezember 1975 festgelegten allgemeinen Regeln als Gegenleistung für übernommene Verpflichtungen mit Bezug auf Investitionen, Forschung, Beschäftigung und Ausfuhren zu genehmigen; sie ist damit geeignet, die eingeführten Erzeugnisse zu benachteiligen, und stellt daher eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung dar (siehe das Urteil vom 9. Juni 1988 in der Rechtssache Kommission/Italien, a. a. O.).

39 Dies gilt um so mehr, als die von einem Programmvertrag erfassten pharmazeutischen Erzeugnisse ausdrücklich von der Anwendung der in Artikel 5 der königlichen Verordnung vom 2. September 1980 festgelegten Regeln ausgenommen sind, wonach pharmazeutische Erzeugnisse, deren Preis einen bestimmten Prozentsatz des Preises gleichartiger Erzeugnisse überschreitet, nicht erstattungsfähig sind, und als die von einem solchen Vertrag erfassten Erzeugnisse auch nicht als Vergleichsbasis für die Prüfung der Erstattungsfähigkeit anderer Erzeugnisse dienen können.

40 Zwar sind die Bestimmungen über die Programmverträge durch das Gesetz vom 30. Dezember 1988 aufgehoben worden; das Königreich Belgien bestreitet jedoch nicht, daß die bereits abgeschlossenen Verträge bis zu ihrem Ablaufdatum weiterhin durchgeführt werden, was zur Folge hat, daß die Zuwiderhandlung andauert.

41 Was die abgeschlossenen und inzwischen ausgelaufenen Verträge betrifft, so bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Artikel 169 EWG-Vertrag durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission; auch wenn der hierin gerügte Mangel nach Ablauf der gemäß Artikel 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wurde, bleibt ein Rechtsschutzinteresse an der Weiterverfolgung der Klage gegeben. Dieses Interesse kann namentlich darin bestehen, die Grundlage für eine Haftung zu bestimmen, die einen Mitgliedstaat wegen seiner Zuwiderhandlung gegenüber anderen Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft oder einzelnen treffen kann (siehe die Urteile vom 7. Februar 1973 in der Rechtssache 39/72, Kommission/Italien, Slg. 1973, 101, und vom 18. Januar 1990 in der Rechtssache C-287/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-125).

42 Somit ist festzustellen, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es mit der königlichen Verordnung vom 31. Dezember 1983 eine Regelung über Programmverträge auf dem Sektor der pharmazeutischen Erzeugnisse eingeführt und die Erzeugnisse, für die derartige Verträge gelten, bei der Zulassung zur Kostenerstattung begünstigt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

43 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof jedoch die Kosten ganz oder teilweise gegeneinander aufheben, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission nur mit einem Teil ihres Vorbringens Erfolg hatte, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß es mit der königlichen Verordnung vom 31. Dezember 1983 eine Regelung über Programmverträge auf dem Sektor der pharmazeutischen Erzeugnisse eingeführt und die Erzeugnisse, für die derartige Verträge gelten, bei der Zulassung zur Kostenerstattung begünstigt hat.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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