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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 12.06.1992
Aktenzeichen: C-272/91 R
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 87
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes kann ein Beschluß, durch den eine einstweilige Anordnung erlassen wird, auf Antrag einer Partei jederzeit wegen veränderter Umstände abgeändert oder aufgehoben werden.

Der Erlaß von nationalen Rechtsvorschriften, die die gleichen Wirkungen haben wie die Verwaltungsmaßnahmen, deren Vollzug mit der einstweiligen Anordnung ausgesetzt worden ist, stellt keine veränderten Umstände dar, die eine Abänderung oder Aufhebung der einstweiligen Anordnung rechtfertigen können. Er kann nämlich nicht bewirken, daß die nach dem Gemeinschaftsrecht dem ersten Anschein nach gegebene Rechtswidrigkeit der fraglichen Verwaltungsmaßnahmen rückwirkend entfällt. Die einstweilige Anordnung ist also im Interesse der praktischen Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils aufrechtzuerhalten.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 12. JUNI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - KONZESSION FUER EIN AUTOMATISIERTES SYSTEM DES LOTTOSPIELS. - RECHTSSACHE C-272/91 R.

Entscheidungsgründe:

1 Die italienische Regierung hat mit Schreiben vom 23. März 1992 gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung an den Präsidenten des Gerichtshofes den Antrag gerichtet, den Beschluß vom 31. Januar 1992 zu überprüfen, mit dem der Italienischen Republik aufgegeben worden ist, die erforderlichen Maßnahmen zur Aussetzung der Rechtswirkungen des Dekrets des Ministers der Finanzen vom 14. Juni 1991, mit dem die Konzession für ein automatisiertes System des Lottospiels vergeben wird, sowie des Vollzugs des dazu mit dem Konsortium Lottomatica geschlossenen Vertrags zu treffen.

2 Dieser Beschluß ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung erwirkt worden, den sie im Rahmen einer am 18. Oktober 1991 eingereichten Klage nach Artikel 169 EWG-Vertrag gestellt hat, die auf die Feststellung gerichtet ist, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 30, 52 und 59 EWG-Vertrag sowie aus den Artikeln 9 und 17 bis 25 der Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. 1977, L 13, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 88/295/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. L 127, S. 1) verstossen hat, daß sie Anfang 1990 eine nicht verbindliche Bekanntmachung über sämtliche Aufträge, die das Ministerium der Finanzen in diesem Jahr zu vergeben beabsichtigte, sowie im November 1990 eine Bekanntmachung über eine Ausschreibung für die Konzession für das automatisierte System des Lottospiels nicht zur Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften mitgeteilt hat und daß sie die Teilnahme an dieser Ausschreibung Einrichtungen, Gesellschaften, Konsortien und Zusammenschlüssen vorbehalten hat, deren Gesellschaftskapital einzeln oder insgesamt mehrheitlich in öffentlicher Hand ist.

3 Der Präsident des Gerichtshofes hat in seinem Beschluß vom 31. Januar 1992 gemäß Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung festgestellt, daß die Notwendigkeit der von der Kommission beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht worden ist und Umstände vorliegen, aus denen sich deren Dringlichkeit ergibt. Er hat darauf hingewiesen, daß der Antrag der Kommission angesichts des Urteils vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-3/88 (Kommission/Italien, Slg. 1989, 4035) in diesem Stadium des Verfahrens nicht unbegründet erscheint und daß ein der Klage der Kommission stattgebendes Urteil für den Fall, daß eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, keine praktische Wirksamkeit entfalten würde.

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der Erklärungen der Parteien und der Gründe des Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofes wird auf den Beschluß vom 31. Januar 1992 verwiesen.

5 Die italienische Regierung macht für ihren Antrag auf Überprüfung des erwähnten Beschlusses als neuen Gesichtspunkt den Erlaß des Decreto-legge Nr. 47 vom 1. Februar 1992 geltend, dessen Artikel 7a das Ministerium der Finanzen ermächtige, seine Befugnisse hinsichtlich des automatisierten Lottospiels auf Gesellschaften zu übertragen, deren Kapital mehrheitlich in öffentlicher Hand sei, und feststelle, daß die Übertragung dieser Befugnisse erstmalig zugunsten der Lottomatica erfolge, also zugunsten der Gesellschaft, die schon aufgrund der - der Verletzungsklage zugrunde liegenden - Ausschreibung ausgewählt worden sei.

6 Gemäß Artikel 87 der Verfahrensordnung kann der Beschluß, durch den eine einstweilige Anordnung erlassen wird, auf Antrag einer Partei jederzeit wegen veränderter Umstände abgeändert oder aufgehoben werden.

7 Im vorliegenden Fall stellen die geänderten italienischen Rechtsvorschriften keine veränderten Umstände dar, die eine Abänderung oder Aufhebung der einstweiligen Anordnung rechtfertigen können. Die angeführte neue Regelung - unterstellt, sie regelte eine Übertragung der Ausübung der Befugnisse der öffentlichen Hand auf den Konzessionär - kann nämlich nicht bewirken, daß die nach dem Gemeinschaftsrecht dem ersten Anschein nach gegebene Rechtswidrigkeit der Ausschreibung und folglich der Erteilung der Konzession an das Konsortium Lottomatica sowie des mit diesem Konsortium geschlossenen Vertrags rückwirkend entfällt.

8 Die einstweilige Anordnung, mit der der Italienischen Republik aufgegeben wird, die Rechtswirkungen des Dekrets des Ministers der Finanzen vom 14. Juni 1991, mit dem die Konzession für ein automatisiertes System des Lottospiels vergeben wird, sowie den Vollzug des dazu mit dem Konsortium Lottomatica geschlossenen Vertrags auszusetzen, ist also im Interesse der praktischen Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils aufrechtzuerhalten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT

beschlossen:

1) Der Antrag der italienischen Regierung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 12. Juni 1992.

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