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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: C-277/99
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) (Österreich)


Vorschriften:

EGV Art. 234
EGV Art. 48 (jetzt EGV Art. 39)
EGV Art. 51 (jetzt EGV Art. 42)
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) (Österreich) § 14 Abs. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.

In Ausnahmefällen obliegt es jedoch dem Gerichtshof, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

( vgl. Randnrn. 18-19 )

2. Die vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt) aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, gelten auch dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

Die Situation des einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmers ist, sofern die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, aufgrund deren er Anspruch auf das von ihm begehrte Arbeitslosengeld hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begonnen haben, für die gesamte Zeit, in der er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nach den Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu beurteilen, wobei sämtliche von ihm zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Zeiten vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen. Macht der Betreffende dagegen nach Erschöpfung aller seiner Rechte aus dem Abkommen erneut von der Freizügigkeit Gebrauch und legt neue Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurück, die ausschließlich nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 liegen, so bestimmt sich seine neue Situation nach dieser Verordnung.

( vgl. Randnrn. 28, 35, Tenor 1-2 )

3. Ein nationales Recht darf gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben.

( vgl. Randnr. 39, Tenor 3 )


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 5. Februar 2002. - Doris Kaske gegen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Arbeitslosenversicherung - Ersetzung der Abkommen der Mitgliedstaaten über soziale Sicherheit durch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Fortbestand der Vergünstigungen, die zuvor nach dem nationalen Recht in Verbindung mit den Abkommen gewährleistet waren - Freizügigkeit der Arbeitnehmer. - Rechtssache C-277/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-277/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Doris Kaske

gegen

Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Frage, ob durch eine Übertragung der im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt, Slg. 1991, I-323) aufgestellten Grundsätze auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung anstelle der Artikel 3, 6, 67 und 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), angewandt werden kann, und über die Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J.-P. Puissochet (Berichterstatter), R. Schintgen und V. Skouris,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von Frau Kaske, vertreten durch Rechtsanwalt F.-C. Sladek,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Ortiz Vaamonde als Bevollmächtigten,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und S. Pizarro als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und G. Braun als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Oktober 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 29. Juni 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 1999, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Möglichkeit, durch eine Übertragung der im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt, Slg. 1991, I-323) aufgestellten Grundsätze auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung (im Folgenden: österreichisch-deutsches Abkommen) anstelle der Artikel 3, 6, 67 und 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), anzuwenden, und nach der Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einer Beschwerdesache der Frau Kaske gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden: Arbeitsmarktservice) vom 28. November 1996, mit dem ihr Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld gemäß § 14 Absatz 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (im Folgenden: AlVG) abgelehnt wurde.

Die Gemeinschaftsregelung

3 Die Verordnung Nr. 1408/71 trat in Bezug auf die Republik Österreich mit dem Beitritt dieses Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum am 1. Januar 1994 in Kraft.

4 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

5 Artikel 6 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

Diese Verordnung tritt für den von ihr erfassten Personenkreis, soweit Artikel 7, 8 und 46 Absatz 4 nichts anderes bestimmen, an die Stelle folgender Abkommen über soziale Sicherheit:

a) Abkommen, die ausschließlich zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in Kraft sind."

6 Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 (Zusammenrechnung der Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten) lautet:

(1) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Versicherungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind, die Beschäftigungszeiten jedoch unter der weiteren Voraussetzung, dass sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

(2) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Beschäftigungszeiten abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als handelte es sich um Beschäftigungszeiten, die nach den eigenen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind außer in den in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe a) Ziffer ii) und Buchstabe b) Ziffer ii) bezeichneten Fällen nur anzuwenden, wenn der Arbeitslose unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, anrechnungsfähige Zeiten zurückgelegt hat, und zwar

- im Falle des Absatzes 1 Versicherungszeiten,

- im Falle des Absatzes 2 Beschäftigungszeiten.

(4) Ist die Dauer der Leistungsgewährung von der Dauer von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten abhängig, so findet Absatz 1 oder Absatz 2 entsprechend Anwendung."

7 Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

Für die Gewährung der Leistungen an einen Arbeitslosen, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnte, gilt Folgendes:

...

b)...

ii) Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, erhalten bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnorts zu seinen Lasten. Der Arbeitslose erhält jedoch Leistungen nach Maßgabe des Artikels 69, wenn ihm bereits Leistungen zu Lasten des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats zuerkannt worden waren, dessen Rechtsvorschriften zuletzt für ihn gegolten haben. Die Gewährung von Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er wohnt, wird für den Zeitraum ausgesetzt, für den der Arbeitslose gemäß Artikel 69 Leistungen nach den während der letzten Beschäftigung für ihn geltenden Rechtsvorschriften beanspruchen kann."

Das nationale Recht

8 § 14 AlVG bestimmt:

Anwartschaft

(1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfuellt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war....

...

(5) Ausländische Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten sind auf die Anwartschaft anzurechnen, soweit dies durch zwischenstaatliche Abkommen oder internationale Verträge geregelt ist. Bei dieser Berücksichtigung ausländischer Beschäftigungs- und Versicherungszeiten ist die Zurücklegung einer Mindestbeschäftigungszeit im Inland vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose

1. vor seiner letzten Beschäftigung im Ausland insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt hat oder

2. zwecks Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt ist und sein hier lebender Ehegatte insgesamt mindestens 15 Jahre seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat und

in beiden Fällen innerhalb von drei Monaten nach dem Ende der Beschäftigung oder der Versicherungspflicht im Ausland sich in Österreich arbeitslos meldet.

(6) Die in den Abs. 4 und 5 angeführten Zeiten dürfen bei der Ermittlung der Anwartschaft nur einmal berücksichtigt werden."

Das österreichisch-deutsche Abkommen

9 Das österreichisch-deutsche Abkommen trat am 1. Oktober 1979 in Kraft und gilt seither fort. Artikel 7 dieses Abkommens lautet:

Berücksichtigung von Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind

(1) Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, werden bei der Beurteilung, ob die Anwartschaftszeit erfuellt ist, und bei der Festsetzung der Bezugsdauer (Anspruchsdauer) berücksichtigt, sofern der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates besitzt, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, und sich im Gebiet dieses Vertragsstaates gewöhnlich aufhält. Das Gleiche gilt, wenn der Antragsteller zwecks Familienzusammenführung in den Vertragsstaat, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, übersiedelt ist und sein bereits dort lebender Ehegatte die Staatsangehörigkeit dieses Vertragsstaates besitzt.

(2) Bei anderen Arbeitslosen werden Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, nur dann berücksichtigt, wenn der Arbeitslose nach seiner letzten Einreise in das Gebiet des Vertragsstaates, in dem er den Anspruch geltend macht, dort mindestens vier Wochen ohne Verletzung der Vorschriften über die Beschäftigung von Ausländern als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10 Frau Kaske, eine gebürtige Deutsche, besitzt seit 1968 auch die österreichische Staatsangehörigkeit. Sie war von 1972 bis zum 31. Dezember 1982 in Österreich als Arbeitnehmerin pensions-, kranken-, unfall- und arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. 1983 übersiedelte sie nach Deutschland, wo sie bis April 1995 als Arbeitnehmerin u. a. arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Vom 1. Mai 1995 bis 14. Februar 1996 bezog sie dort Arbeitslosengeld. Vom 15. Februar bis 31. Mai 1996 war sie neuerlich arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt. Danach kehrte sie nach Österreich zurück, wo sie am 12. Juni 1996 beim Arbeitsmarktservice Arbeitslosengeld beantragte.

11 Mit Bescheid vom 8. August 1996 wies der Arbeitsmarktservice ihren Antrag ab. Die Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass Frau Kaske vor der Geltendmachung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld keine österreichischen Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurückgelegt habe, wie Artikel 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 es verlange. Folglich habe auf der Grundlage dieser Verordnung keine Zusammenrechnung ihrer in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten erfolgen können. Aufgrund dessen sei die Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld nicht erfuellt.

12 Die von Frau Kaske gegen diesen Bescheid vom 8. August 1996 erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 28. November 1996 als unbegründet abgewiesen. In der Begründung ihres Bescheides vertrat die Behörde die Auffassung, dass Frau Kaske nicht in den Anwendungsbereich des zur Anwendung von Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 erlassenen § 14 Absatz 1 AlVG falle, da sie in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruchs keine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung in Österreich habe nachweisen können. Außerdem sei § 14 Absatz 5 AlVG nicht anwendbar, da Frau Kaske weder vor der Zurücklegung von Versicherungszeiten in Deutschland 15 Jahre lang ihren Wohnsitz in Österreich gehabt habe noch zum Zweck der Familienzusammenführung nach Österreich übersiedelt sei. Daher könnten die ausländischen Beschäftigungszeiten nicht auf die Anwartschaft angerechnet werden.

13 Gegen diesen Ablehnungsbescheid vom 28. November 1996 erhob Frau Kaske Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof. Da dieser der Ansicht ist, dass Frau Kaske dann Anspruch auf Arbeitslosengeld hätte, wenn ihre deutschen Beschäftigungszeiten für die Anwartschaft heranzuziehen wären, und dass dies der Fall wäre, wenn die Bestimmungen des österreichisch-deutschen Abkommens auf sie anzuwenden wären, hat er dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die so genannte Rönfeldt-Rechtsprechung" des Europäischen Gerichtshofes auch auf einen Fall anzuwenden, in dem eine Wanderarbeitnehmerin von der Freizügigkeit" (genauer: in deren Vorwegnahme) zwar noch vor Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, aber auch vor dem Wirksamwerden des EG-Vertrags in ihrem Heimatstaat, also zu einem Zeitpunkt Gebrauch gemacht hat, zu dem sie sich im Beschäftigungsstaat noch nicht auf Artikel 39 ff. EG (vormals Artikel 48 ff. EG-Vertrag) berufen konnte?

2. Für den Fall der Bejahung der ersten Frage:

Bedeutet die Anwendung der Rönfeldt-Rechtsprechung auf den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, dass sich eine Wanderarbeitnehmerin auf eine gegenüber der Verordnung Nr. 1408/71 günstigere Rechtslage, welche sich aus einem bilateralen Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union (hier aus dem österreichisch-deutschen Abkommen über Arbeitslosenversicherung) ergibt, jeweils für die weitere Dauer der Inanspruchnahme der Freizügigkeit im Sinne der Artikel 39 ff. EG (vormals Artikel 48 ff. EG-Vertrag), insbesondere daher auch noch bei Ansprüchen, die nach der Rückkehr vom Beschäftigungsstaat im Heimatstaat geltend gemacht werden, berufen kann?

3. Für den Fall der Bejahung der zweiten Frage:

Müssen solche Ansprüche nur insoweit nach dem - günstigeren - Abkommen beurteilt werden, als sie sich auf Versicherungszeiten der Arbeitslosenversicherungspflicht gründen, die bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 (hier also: bis zum 1. 1. 1994) im Beschäftigungsstaat erworben wurden?

4. Für den Fall der Verneinung einer der beiden ersten Fragen bzw. der Bejahung der dritten Frage:

Ist es unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes des Artikels 39 EG (vormals Artikel 48 EG-Vertrag) in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 zulässig, wenn ein Mitgliedstaat für die Berücksichtigung von Versicherungszeiten, die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, in seiner Rechtsordnung zwar eine gegenüber der Verordnung Nr. 1408/71 günstigere Regelung vorsieht (hier: Verzicht auf das Erfordernis einer unmittelbar vorangehenden Versicherung im Sinne des Artikels 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71), deren Anwendung jedoch - abgesehen vom Fall der Familienzusammenführung - von einem 15-jährigen Wohnsitz im Inland vor dem Erwerb der Versicherungszeiten in dem anderen Mitgliedstaat abhängig macht?

Zur ersten Frage

14 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, auch dann gelten, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

15 In Randnummer 29 des Urteils Rönfeldt hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Artikel 48 und 51 des Vertrages nicht zulassen, dass Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit deshalb verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1408/71 unanwendbar geworden sind.

16 Im Ausgangsverfahren hatte Frau Kaske zunächst in Österreich und dann in Deutschland gearbeitet, bevor sie in Deutschland arbeitslos wurde. Sie ist unmittelbar nach Eintritt der Arbeitslosigkeit nach Österreich zurückgekehrt und erhebt dort, in ihrem neuen Wohnsitzland, Anspruch auf Arbeitslosengeld, wobei sie insbesondere die in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungszeiten geltend macht. Sie ist der Ansicht, dass diese Zeiten bei Anwendung des österreichisch-deutschen Abkommens über Arbeitslosenversicherung nach den österreichischen Rechtsvorschriften über Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden könnten und sie somit Anspruch darauf habe, von der österreichischen Verwaltung entsprechende Leistungen zu erhalten.

Zulässigkeit der Fragen

17 Die österreichische Regierung trägt hauptsächlich vor, dass die Berücksichtigung der von Frau Kaske in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungszeiten für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich sei, da die Zeiten, die seit der Zeit, in der sie von der deutschen Verwaltung Leistungen wegen einer früheren Arbeitslosigkeit bezogen habe, berücksichtigt werden könnten, in Anbetracht der nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz erforderlichen Beschäftigungsdauer insgesamt nicht ausreichten, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für sie zu begründen. Die österreichische Regierung macht somit zumindest implizit geltend, dass die Frage nach der Anwendbarkeit des österreichisch-deutschen Abkommens auf die Situation von Frau Kaske für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits keine Rolle spiele.

18 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. insbesondere Urteil vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38).

19 Der Gerichtshof hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass es ihm in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. insbesondere Urteil PreussenElektra, Randnr. 39).

20 Im vorliegenden Fall betreffen die Fragen des vorlegenden Gerichts die Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Die Beurteilung der für die Begründung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld erforderlichen Beschäftigungsdauer ist eine nationalrechtliche Frage, über die der Gerichtshof nicht zu befinden hat. Es liegt hier keiner der in der vorstehenden Randnummer genannten Fälle vor, in denen die Frage als unzulässig zurückgewiesen werden könnte.

21 Daher sind die Vorlagefragen zu beantworten.

Beantwortung der Vorlagefragen

22 Die österreichische Regierung vertritt die Ansicht, die im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze könnten aus zwei Gründen nicht auf die Situation von Frau Kaske angewandt werden. Zum einen sei die Verordnung Nr. 1408/71 auf Frau Kaske bereits angewandt worden, da sie auf dieser Grundlage in Deutschland Leistungen wegen einer ersten Arbeitslosigkeit bezogen habe. Somit falle sie endgültig unter die Verordnung Nr. 1408/71, denn wenn ein Wanderarbeitnehmer bei jeder in seiner beruflichen Laufbahn eintretenden Arbeitslosigkeit verlangen könnte, dass die günstigere Vorschrift angewandt werde, hätte dies erhebliche Verwaltungsprobleme zur Folge. Zum anderen sei das Urteil Rönfeldt vor dem Hintergrund von Rentenansprüchen ergangen, bei denen wesentliche Unterschiede zu den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bestuenden.

23 Die spanische Regierung macht das letztgenannte Argument ebenfalls geltend. Im Unterschied zu Leistungen bei Alter und bei Invalidität, bei denen es für den Anspruch des Angehörigen eines Mitgliedstaats nicht darauf ankomme, in welchem Mitgliedstaat der anspruchsbegründende Tatbestand eingetreten sei, bestehe nach der Verordnung Nr. 1408/71 ein Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur, wenn die letzte Versicherungs- oder Beschäftigungszeit in dem Mitgliedstaat zurückgelegt worden sei, in dem die Leistung beantragt werde. Dieser Unterschied sei keineswegs zufällig, sondern erkläre sich aus der Natur der Leistungen bei Arbeitslosigkeit, die unbestreitbar mit der letzten Beschäftigung in Zusammenhang stuenden und deren Gewährung durch eine neue Beschäftigung unterbrochen werde.

24 Da es im Ausgangsverfahren um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung geht, ist zunächst festzustellen, ob die im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze auf solche Leistungen anzuwenden sind.

25 Der Gerichtshof hat in Randnummer 21 des Urteils Rönfeldt ausgeführt, dass die in dieser Rechtssache vorgelegte Frage des nationalen Gerichts dahin gehe, ob es mit den Artikeln 48 und 51 des Vertrages vereinbar sei, dass Arbeitnehmer Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, weil Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1408/71 unanwendbar geworden seien. Die in diesem Urteil gegebene Antwort betrifft demnach alle von der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Vergünstigungen der sozialen Sicherheit unabhängig davon, ob die Leistungen endgültig erworben sind oder einem Versicherten vorübergehend gewährt werden. Insoweit ist festzustellen, dass die im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze zwar Leistungen bei Alter betreffen, deren charakteristisches Merkmal zweifellos ihre Endgültigkeit ist, aber auch für Leistungen bei Invalidität gelten, die wie Leistungen bei Arbeitslosigkeit veränderlich und in bestimmten Fällen sogar vorläufig sein können (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-475/93, Thévenon, Slg. 1995, I-3813, Randnrn. 2, 26 und 27, und vom 9. Oktober 1997 in den Rechtssachen C-31/96 bis C-33/96, Naranjo Arjona u. a., Slg. 1997, I-5501, Randnrn. 2 und 29). Zwischen diesen Leistungen besteht daher kein wirklicher, in ihrer Natur begründeter Unterschied im Hinblick auf die Qualifizierung als Vergünstigung der sozialen Sicherheit, die im Urteil Rönfeldt vorgenommen wird.

26 Bezogen auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens haben die vom Gerichtshof im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze zur Folge, dass ein österreichischer Staatsangehöriger, dem die Bestimmungen des vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich geschlossenen österreichisch-deutschen Abkommens hätten zugute kommen können, ein wohlerworbenes Recht darauf besitzt, dass dieses Abkommen nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 weiter angewandt wird. Jedenfalls konnte dieser Staatsangehörige vor Inkrafttreten dieser Verordnung nur dann unter das Abkommen fallen, wenn er bereits in Deutschland beschäftigt war.

27 Die im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze sind allein darauf gerichtet, ein wohlerworbenes Recht auf dem Gebiet des Sozialrechts, das in dem Zeitpunkt, in dem es dem betreffenden Angehörigen eines Mitgliedstaats zugute kommen könnte, nach dem Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehen ist, fortbestehen zu lassen. Dass die Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat eines Staatsangehörigen mit dem Beitritt dieses Mitgliedstaats zur Europäischen Gemeinschaft anwendbar geworden ist, hat daher keine Auswirkungen auf sein wohlerworbenes Recht, in den Genuss einer bilateralen Regelung zu kommen, die auf ihn in dem Zeitpunkt, in dem er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, allein anwendbar war. Wie im Übrigen die Kommission vorträgt, liegt dieser Lösung die Überlegung zugrunde, dass der Betroffene ein schützenswertes Vertrauen entwickeln durfte, er werde von den Bestimmungen des bilateralen Abkommens profitieren können.

28 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die vom Gerichtshof im Urteil Rönfeldt aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, auch dann gelten, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

Zur zweiten und zur dritten Frage

29 Die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts gehen dahin, ob sich das wohlerworbene Recht eines österreichischen Staatsangehörigen auf Anwendung des österreichisch-deutschen Abkommens anstelle der Verordnung Nr. 1408/71 auf den gesamten Zeitraum bezieht, in dem er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, und ob sich dieses Recht auf alle von ihm in der Arbeitslosenversicherung zurückgelegten Zeiten gründen kann oder nur auf die Zeiten, die bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich zurückgelegt wurden.

30 Wie bereits in Randnummer 29 des Urteils Rönfeldt entschieden und in Randnummer 15 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufen wurde, lassen es die Artikel 48 und 51 EG-Vertrag nicht zu, dass Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit deshalb verlieren, weil in das nationale Recht eingeführte Abkommen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufgrund des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1408/71 unanwendbar geworden sind.

31 Mit anderen Worten, fällt ein Angehöriger eines Mitgliedstaats in Bezug auf eine Vergünstigung der sozialen Sicherheit unter ein Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten und ist dieses Abkommen für ihn günstiger als eine Gemeinschaftsverordnung, die später auf ihn anwendbar geworden ist, so hat er das sich aus diesem Abkommen ergebende Recht endgültig erworben mit der Folge, dass alle Beschränkungen, die ihm auferlegt würden, mit den Artikeln 48 und 51 EG-Vertrag unvereinbar wären.

32 Wurden infolgedessen die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die die Grundlage für die Ansprüche des Arbeitnehmers darstellen, zumindest teilweise zu einer Zeit zurückgelegt, zu der nur ein bilaterales Abkommen anwendbar war, so ist die Situation des Arbeitnehmers in Bezug auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit insgesamt nach den Bestimmungen dieses Abkommens zu beurteilen, sofern dies für ihn günstiger ist. Insoweit besteht keine Veranlassung, zwischen den Zeiten der Ausübung des Freizügigkeitsrechts und zwischen den Versicherungs- und Beschäftigungszeiten danach zu unterscheiden, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen.

33 Sind die Ansprüche des Arbeitnehmers dagegen vollständig nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begründet, d. h. sind alle Rechte aus einer früheren Versicherungs- oder Beschäftigungszeit, auf die eine Zeit folgte, in der der Arbeitnehmer arbeitslos war und Arbeitslosengeld bezogen hat, erschöpft - wie dies nach Ansicht der österreichischen Regierung hier der Fall ist -, so befindet er sich in einer neuen Situation, die nach den Vorschriften dieser Verordnung zu beurteilen ist (Urteil Thévenon).

34 Die Verordnung Nr. 1408/71 wird in dieser Weise nur dann anwendbar, wenn sich die wohlerworbenen Rechte aus dem bilateralen Abkommen in der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit vollständig erschöpft haben. Andernfalls gilt für den Betreffenden auch für die darauf folgenden Zeiten weiterhin die günstigere Regelung des Abkommens.

35 Daher ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass die Situation des einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmers, sofern die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, aufgrund deren er Anspruch auf das von ihm begehrte Arbeitslosengeld hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begonnen haben, für die gesamte Zeit, in der er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nach den Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu beurteilen ist, wobei sämtliche von ihm zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Zeiten vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen. Macht der Betreffende dagegen nach Erschöpfung aller seiner Rechte aus dem Abkommen erneut von der Freizügigkeit Gebrauch und legt neue Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurück, die ausschließlich nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 liegen, so bestimmt sich seine neue Situation nach dieser Verordnung.

Zur vierten Frage

36 Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob das in Artikel 48 EG-Vertrag verankerte Diskriminierungsverbot einer Vorschrift wie § 14 Absatz 5 AlVG entgegensteht, der von Artikel 67 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 insofern abweicht, als er zwei Fälle - mindestens 15-jähriger Aufenthalt in Österreich und Familienzusammenführung - vorsieht, in denen der Antrag auf Arbeitslosengeld nicht in dem letzten Staat gestellt werden muss, in dem der Arbeitnehmer Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, sondern in Österreich gestellt werden kann.

37 Nach ständiger Rechtsprechung steht das Gemeinschaftsrecht günstigeren Vorschriften des nationalen Rechts nicht entgegen, sofern sie mit ihm vereinbar sind (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 10. Dezember 1969 in der Rechtssache 34/69, Duffy, Slg. 1969, 597, Randnr. 9, vom 6. März 1979 in der Rechtssache 100/78, Rossi, Slg. 1979, 831, Randnr. 14, vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 733/79, Laterza, Slg. 1980, 1915, Randnr. 8, vom 9. Juli 1980 in der Rechtssache 807/79, Gravina u. a., Slg. 1980, 2205, Randnr. 7, Rönfeldt, Randnr. 26, und vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90, Singh, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 23).

38 Im Ausgangsverfahren kommt die Vergünstigung, die § 14 Absatz 5 AlVG Arbeitslosen vorbehält, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in Österreich aufgehalten haben, hauptsächlich den beständig im Inland erwerbstätigen österreichischen Staatsangehörigen zugute, wodurch diejenigen österreichischen Staatsangehörigen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, und die meisten Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden. Eine solche Vorschrift ist daher als eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts und als eine auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung anzusehen.

39 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass ein nationales Recht gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen darf, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

40 Die Auslagen der österreichischen, der spanischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Juni 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt) aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, gelten auch dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

2. Die Situation des einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmers ist, sofern die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, aufgrund deren er Anspruch auf das von ihm begehrte Arbeitslosengeld hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begonnen haben, für die gesamte Zeit, in der er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nach den Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu beurteilen, wobei sämtliche von ihm zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Zeiten vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen. Macht der Betreffende dagegen nach Erschöpfung aller seiner Rechte aus dem Abkommen erneut von der Freizügigkeit Gebrauch und legt neue Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurück, die ausschließlich nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 liegen, so bestimmt sich seine neue Situation nach dieser Verordnung.

3. Ein nationales Recht darf gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben.

Ende der Entscheidung

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