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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.06.1999
Aktenzeichen: C-295/97
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 87
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Der Gerichtshof ist in einem nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eingeleiteten Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt.

Was jedoch die Kontrolle angeht, ob die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) und 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) eingehalten haben, so kann ein nationales Gericht für die Entscheidung, ob eine staatliche Maßnahme, die ohne Beachtung des nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag vorgeschalteten Prüfungsverfahrens eingeführt worden ist, diesem Verfahren hätte unterworfen werden müssen, zur Auslegung des Begriffes der Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag gezwungen sein. Hat es Zweifel, ob die betreffende Maßnahme als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist, kann es die Kommission um entsprechende Erläuterungen bitten, oder es kann oder muß nach Artikel 177 Absätze 2 und 3 EG-Vertrag dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen.

2 Der Begriff der Beihilfe ist weiter als der Begriff der Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen. Im übrigen schließt der Begriff Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 Absatz 1 EG) zwangsläufig Vorteile ein, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder die eine zusätzliche Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen darstellen.

Wird eine Regelung, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften zugunsten von in Schwierigkeiten befindlichen grossen Industrieunternehmen abweicht, die sehr hohe Schulden gegenüber bestimmten Kategorien von - überwiegend öffentlich-rechtlichen - Gläubigern haben, auf ein Unternehmen angewendet, ist dies als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag anzusehen, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, ein Erlaß von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

3 Sowohl aus dem Inhalt als auch aus den Zielsetzungen der Bestimmungen des Artikels 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) ergibt sich, daß als bestehende Beihilfen im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels die Beihilfen anzusehen sind, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages bestanden oder die unter den Voraussetzungen des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt werden durften, einschließlich derjenigen, die der Kommission mitgeteilt wurden, ohne daß diese zur Vereinbarkeit der Beihilfevorhaben mit dem Gemeinsamen Markt Stellung genommen hat, wie sich aus der Auslegung dieser Bestimmung durch den Gerichtshof in dem Urteil vom 11. Dezember 1973 in der Rechtssache 120/73 (Lorenz) ergibt. Dagegen sind als neue Beihilfen, für die die Anzeigepflicht gemäß der letztgenannten Bestimmung gilt, die Maßnahmen anzusehen, die auf die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen gerichtet sind, wobei sich die Umgestaltung auf bestehende Beihilfen oder auf der Kommission mitgeteilte ursprüngliche Vorhaben beziehen kann.

Wenn feststeht, daß eine Regelung, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, als solche staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie nicht angewandt werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission keine Entscheidung lässt, bevor eine Frist von zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung an abgelaufen ist.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. Juni 1999. - Industrie Aeronautiche e Meccaniche Rinaldo Piaggio SpA gegen International Factors Italia SpA (Ifitalia), Dornier Luftfahrt GmbH und Ministero della Difesa. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale di Genova - Italien. - Staatliche Beihilfen - Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) - Neue Beihilfe - Vorherige Meldung. - Rechtssache C-295/97.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale Genua hat mit Beschluß vom 29. Juli 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 11. August 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Industrie Äronautiche e Meccaniche Rinaldo Piaggio SpA (nachstehend: Piaggio) und der Gesellschaft deutschen Rechts Dornier Luftfahrt GmbH (nachstehend: Dornier) wegen Rückzahlung des von Piaggio an Dornier gezahlten Betrages von 30 028 894 382 LIT.

3 Piaggio hatte bei Dornier drei Luftfahrzeuge für die italienischen Streitkräfte gekauft. Zur Bezahlung des Kaufpreises nahm Piaggio von Dezember 1992 an verschiedene Zahlungen, Zahlungsanweisungen und Forderungsabtretungen zugunsten von Dornier vor.

4 Aufgrund des vom Industrieminister zusammen mit dem Minister für das Staatsvermögen erlassenen Dekrets vom 28. November 1994 (GURI Nr. 281 vom 1. Dezember 1994) wurde Piaggio der Sonderverwaltung nach dem Gesetz Nr. 95/79 vom 3. April 1979 (GURI Nr. 94 vom 4. April 1979; nachstehend: Gesetz Nr. 95/79) unterstellt. Diese Entscheidung erging nach einem Urteil des Tribunale Genua vom 29. Oktober 1994, mit dem die Zahlungsunfähigkeit von Piaggio festgestellt und die Möglichkeit bejaht wurde, dieses Unternehmen zum Verfahren der Sonderverwaltung zuzulassen.

5 Am 14. Februar 1996 erhob Piaggio vor dem Tribunale Genua Klage mit dem Antrag, zum einen sämtliche Zahlungen, Forderungsabtretungen und Zahlungsanweisungen, die in den zwei Jahren vor Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung zugunsten von Dornier erfolgt seien, gegenüber der Gesamtheit der Gläubiger für unwirksam zu erklären, und zum anderen Dornier zu verurteilen, die entsprechenden Beträge einschließlich der Zinsen zurückzuzahlen. Piaggio trug dazu vor, Dornier habe, obwohl sie von der Einstellung der Zahlungen gewusst habe, von ihr für den Verkauf der drei Luftfahrzeuge unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger eine Reihe von Vorzugszahlungen in Höhe von insgesamt 30 028 894 382 LIT erhalten.

6 Piaggio stützte ihre Klage auf Artikel 67 des Konkursgesetzes, der im vorliegenden Fall aufgrund der Verweisungen in den Artikeln 1 des Gesetzes Nr. 95/79 und 203 des Konkursgesetzes anwendbar ist und zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger des zahlungsunfähigen Unternehmens die Anfechtbarkeit der Zahlungen vorsieht, die in den zwei Jahren vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit und der Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung geleistet worden sind.

7 Dornier machte zu ihrer Verteidigung insbesondere die Unvereinbarkeit des Gesetzes Nr. 95/79 mit Artikel 92 EG-Vertrag geltend.

8 Das Gesetz Nr. 95/79 hat ein Verfahren der Sonderverwaltung für in Schwierigkeiten befindliche Grossunternehmen eingeführt.

9 Nach Artikel 1 Absatz 1 dieses Gesetzes kann dieses Verfahren auf Unternehmen angewandt werden, die seit mindestens einem Jahr wenigstens 300 Arbeitnehmer beschäftigen und gegenüber Kreditunternehmen, Vorsorgeeinrichtungen und Einrichtungen der sozialen Sicherheit oder Gesellschaften, an denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, Schulden haben, die mindestens 80 444 Milliarden LIT betragen und mehr als das Fünffache des eingezahlten Kapitals der Gesellschaft ausmachen.

10 Nach Artikel 1a dieses Gesetzes ist das Verfahren auch anwendbar, wenn sich die Zahlungsunfähigkeit aus der Verpflichtung ergibt, an den Staat, öffentliche Einrichtungen oder Gesellschaften, bei denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, aufgrund der Rückforderung rechtswidriger oder mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbarer Beihilfen oder im Rahmen von für technologische Innovationen und Forschungstätigkeiten gewährten Finanzierungen Beträge zurückzuzahlen, die sich auf mindestens 50 Milliarden LIT, die mindestens 51 % des eingezahlten Kapitals ausmachen, belaufen.

11 Um der Sonderverwaltung unterstellt zu werden, muß das Unternehmen nach Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 95/79 aufgrund des Konkursgesetzes oder wegen Nichtzahlung der Löhne und Gehälter seit mindestens drei Monaten gerichtlich für zahlungsunfähig erklärt worden sein. Der Industrieminister kann dann nach Anhörung des Ministers für das Staatsvermögen ein Dekret erlassen, durch das das Unternehmen der Sonderverwaltung unterstellt wird, und dem Unternehmen unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen erlauben, seine Tätigkeit während eines Zeitraums von höchstens zwei Jahren, der im Einverständnis mit dem interministeriellen Ausschuß für die Koordinierung der Industriepolitik (im folgenden: CIPI) um höchstens zwei weitere Jahre verlängert werden kann, fortzusetzen.

12 Der Sonderverwaltung unterstellte Unternehmen unterliegen den allgemeinen Vorschriften des Konkursgesetzes, soweit das Gesetz Nr. 95/79 oder spätere Gesetze keine ausdrücklichen Ausnahmen vorsehen. So kann der Eigentümer des zahlungsunfähigen Unternehmens im Fall der Sonderverwaltung ebenso wie in demjenigen des normalen Liquidationsverfahrens nicht über dessen Aktiva verfügen; diese dienen grundsätzlich der Gläubigerbefriedigung; die Zinsen auf die bestehenden Schulden werden ausgesetzt; die zur Erfuellung von Verbindlichkeiten in einem bestimmten Zeitraum vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen sind anfechtbar; gegen die Vermögensgegenstände des betroffenen Unternehmens dürfen keine Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt oder fortgesetzt werden. Im Unterschied zum normalen Konkursverfahren erstreckt sich jedoch im Falle der Sonderverwaltung die Aussetzung jeglicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 544/81 auch auf Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und Zuschläge bei verspäteter Zahlung der Körperschaftsteuer.

13 Nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 kann der Staat für Verbindlichkeiten, die die unter Sonderverwaltung gestellten Gesellschaften zur Finanzierung der laufenden Verwaltung und zur Wiederinbetriebnahme und Fertigstellung von Anlagen, Gebäuden und betrieblichen Einrichtungen eingehen, unter den durch Dekret des Ministers für das Staatsvermögen nach Zustimmung des CIPI festgesetzten Bedingungen und Modalitäten ganz oder teilweise eine Bürgschaft übernehmen.

14 Im Rahmen der Sanierung dürfen unter den im Gesetz Nr. 95/79 vorgesehenen Modalitäten sämtliche Betriebsstätten des zahlungsunfähigen Unternehmens verkauft werden. In diesem Fall unterliegt die vollständige oder teilweise Übertragung des Eigentums an dem Unternehmen nach Artikel 5a dieses Gesetzes einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT.

15 Ferner sind die unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen nach Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 19/87 vom 6. Februar 1987 (GURI Nr. 32 vom 9. Februar 1987) von der Zahlung der wegen Nichtzahlung der Sozialversicherungspflichtbeiträge verhängten Geldbussen und Zwangsgelder befreit.

16 Wird einem unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen gestattet, seine Tätigkeit fortzusetzen, so muß der hierfür bestellte Verwalter nach Artikel 2 zweiter Gedankenstrich des Gesetzes Nr. 95/79 einen geeigneten Verwaltungsplan aufstellen, dessen Vereinbarkeit mit den Leitlinien der staatlichen Industriepolitik vom CIPI geprüft wird, bevor der Industrieminister ihn genehmigt. Auch Entscheidungen wie diejenigen über die Restrukturierung, den Verkauf der Aktiva, die Liquidation oder die Beendigung der Sonderverwaltung müssen von diesem Minister genehmigt werden.

17 Erst nach Beendigung des Verfahrens der Sonderverwaltung können die Gläubiger des dieser Verwaltung unterstellten Unternehmens durch Liquidation seiner Aktiva oder aus seinen neuen Gewinnen ganz oder teilweise befriedigt werden. Nach den Artikeln 111 und 212 des Konkursgesetzes werden die durch die Sonderverwaltung und die Fortführung des Betriebes des Unternehmens verursachten Kosten einschließlich der eingegangenen Verbindlichkeiten durch Verwertung der Masse vorrangig vor den bei der Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung bestehenden Forderungen befriedigt.

18 Das Verfahren der Sonderverwaltung endet, wenn ein Vergleich durchgeführt worden ist, die Aktiva vollständig verteilt sind, die Forderungen vollständig erfuellt oder die Aktiva unzureichend sind oder aber wenn das Unternehmen wieder in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, und damit wieder eine ausgeglichene Finanzlage besteht.

19 Die Kommission wies in ihrem Schreiben E 13/92 (ABl. 1994, C 395, S. 4) an die italienische Regierung gemäß Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 1 EG) darauf hin, daß das Gesetz Nr. 95/79 in vielfacher Hinsicht unter die Artikel 92 ff. EG-Vertrag falle, und forderte die Regierung auf, ihr alle Fälle der Anwendung dieses Gesetzes im voraus zu melden, damit diese anhand der Beihilfenregelung für in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen geprüft werden könnten.

20 Da sich die italienischen Behörden in ihrer Antwort hierauf nur zu einer vorherigen Unterrichtung in den Fällen der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 bereit erklärten, beschloß die Kommission, das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag zu eröffnen. Aus den Akten ergibt sich nicht, daß dieses Verfahren bis jetzt zu einer endgültigen Entscheidung der Kommission geführt hat.

21 Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht wegen Zweifeln an der Vereinbarkeit des Gesetzes Nr. 95/79 mit Artikel 92 EG-Vertrag beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist es zulässig, daß ein nationales Gericht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ersucht, sich unmittelbar zur Vereinbarkeit einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats mit Artikel 92 EG-Vertrag (staatliche Beihilfen) zu äussern?

2. Bejahendenfalls: Ist davon auszugehen, daß der italienische Staat mit dem Gesetz Nr. [95] vom 3. April 1979 zur Einführung der Sonderverwaltung von Grossunternehmen in der Krise, insbesondere mit den in der Begründung dieses Vorlagebeschlusses aufgeführten Maßnahmen dieses Gesetzes, bestimmten, in dieser Regelung bezeichneten Unternehmen (nämlich Grossunternehmen) Beihilfen gewährt hat, die gegen Artikel 92 EG-Vertrag verstossen?

Zur Zulässigkeit der Vorlage

22 Nach Ansicht von Piaggio ist die Vorlage unzulässig, da in dem Vorlagebeschluß nicht hinreichend und klar der rechtliche Rahmen angegeben worden sei, in dem die Auslegung, um die ersucht werde, vorzunehmen sei. Auch seien die vorgelegten Fragen für die Lösung des Rechtsstreits nicht erheblich, da die Anfechtungsklage auf allgemeine konkursrechtliche Vorschriften gestützt werde, nach denen Zahlungen anfechtbar seien, die in den zwei Jahren vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit geleistet worden seien.

23 Der Vorlagebeschluß stellt den rechtlichen Rahmen, der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt, in der Tat nur in knapper Form dar, doch kann dies nicht zur Unzulässigkeit des Ersuchens führen. Die Darstellung ist nämlich ausreichend, um die vorgelegten Fragen klar zu verstehen.

24 Im übrigen ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-200/97, Ecotrade, Slg, 1998, I-0000, Randnr. 25).

25 Des weiteren genügt die Feststellung, daß im vorliegenden Fall die Frage, ob eine Regelung, wie sie das Gesetz Nr. 95/79 eingeführt hat, als neue oder als bestehende Beihilfe zu qualifizieren ist, was der Gerichtshof im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten, zu der er verpflichtet ist, von sich aus prüfen muß, nicht ohne Bedeutung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ist, berücksichtigt man die Konsequenzen, die das vorlegende Gericht aus dem Fehlen einer vorherigen Mitteilung der eventuell vorliegenden Beihilferegelung an die Kommission im Hinblick auf die Artikel 92 und 93 EG-Vertrag möglicherweise ziehen muß.

26 Zudem lässt sich nicht ohne weiteres behaupten, daß im Fall der Durchführung des allgemeinen Konkursverfahrens gegenüber Piaggio die Lage von Dornier in jeder Hinsicht gleich gewesen wäre, insbesondere hinsichtlich der Chancen dieses Unternehmens, seine Geldforderungen zumindest teilweise einzutreiben, trotz der Tatsache, daß die Zahlungen während des Verdachtzeitraums vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit auch in allgemeinen Konkursverfahren anfechtbar sind. Die Beurteilung dieser Frage ist Sache des nationalen Gerichts.

27 Somit sind die Vorlagefragen zu beantworten.

Zur ersten Vorlagefrage

28 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es den Gerichtshof ersuchen kann, sich unmittelbar zu der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 EG-Vertrag zu äussern.

29 Der Gerichtshof ist nach ständiger Rechtsprechung in einem nach Artikel 177 EG-Vertrag eingeleiteten Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt (vgl. u. a. Urteil vom 21. Januar 1993 in der Rechtssache C-188/91, Deutsche Shell, Slg. 1993, I-363, Randnr. 27).

30 Was im einzelnen die Kontrolle angeht, ob die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 92 und 93 EG-Vertrag eingehalten haben, so ist den unterschiedlichen, einander ergänzenden Rollen der nationalen Gerichte und der Kommission Rechnung zu tragen, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94 (SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547, Randnrn. 41 ff.) angeführt hat.

31 Während für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt ausschließlich die Kommission zuständig ist und dabei der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt, wachen die nationalen Gerichte über die Wahrung der Rechte des einzelnen bei Verstössen gegen die Verpflichtung nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag, staatliche Beihilfen der Kommission im voraus zu melden.

32 Um entscheiden zu können, ob eine staatliche Maßnahme, die ohne Beachtung des nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag vorgeschalteten Prüfungsverfahrens eingeführt worden ist, diesem Verfahren hätte unterworfen werden müssen, kann ein nationales Gericht zur Auslegung des Begriffes der Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag gezwungen sein. Hat es wie im vorliegenden Fall ausweislich des Vorlagebeschlusses Zweifel, ob die betreffende Maßnahme als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist, kann es die Kommission um entsprechende Erläuterungen bitten, oder es kann oder muß nach Artikel 177 Absätze 2 und 3 EG-Vertrag dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen (Urteil SFEI u. a., Randnrn. 49 bis 51).

33 Für eine sachgerechte Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu prüfen, ob eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79, die vom allgemeinen Konkursrecht abweicht, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EG-Vertrag zu qualifizieren ist und vor ihrer Durchführung der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag hätte gemeldet werden müssen.

Zur Qualifizierung als Beihilfe

34 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13, und Ecotrade, Randnr. 34).

35 Der Begriff Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag schließt zwangsläufig Vorteile ein, die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder die eine zusätzliche Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen darstellen (vgl. Urteil vom 7. Mai 1998 in den Rechtssachen C 52/97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg. 1998, I-2629, Randnr. 13).

36 Wie der Gerichtshof im Urteil Ecotrade zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag ausgeführt hat, könnten mehrere Elemente der durch das Gesetz Nr. 95/79 eingeführten Regelung, insbesondere unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangssachverhalts, als Beweis dafür dienen, daß eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag vorliegt, sofern die Bedeutung, die diesen Elementen im folgenden beigelegt wird, durch das vorlegende Gericht bestätigt wird.

37 Wie sich aus den Akten ergibt, soll das Gesetz Nr. 95/79 gezielt zugunsten von in Schwierigkeiten befindlichen grossen Industrieunternehmen angewandt werden, die sehr hohe Schulden gegenüber bestimmten Kategorien von - überwiegend öffentlich-rechtlichen - Gläubigern haben. Wie der Gerichtshof in Randnummer 38 des Urteils Ecotrade festgestellt hat, ist es sogar höchstwahrscheinlich, daß der Staat oder öffentliche Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des betroffenen Unternehmens zählen.

38 Auch wenn der Industrieminister bei seinen Entscheidungen, das in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen unter Sonderverwaltung zu stellen und ihm die Fortführung seiner Tätigkeit zu erlauben, soweit wie möglich die Interessen der Gläubiger und insbesondere die Möglichkeiten zur Aufwertung der Aktiva des Unternehmens berücksichtigen sollte, sind diese Entscheidungen, wie der Gerichtshof in Randnummer 39 des Urteils Ecotrade festgestellt und das vorlegende Gericht bestätigt hat, doch auch von dem Bestreben getragen, die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens aus Erwägungen der staatlichen Industriepolitik aufrechtzuerhalten.

39 Berücksichtigt man dazu, welche Unternehmen unter die streitige Regelung fallen und wieweit das Ermessen des Ministers reicht, insbesondere wenn er einem unter Sonderverwaltung stehenden zahlungsunfähigen Unternehmen die Fortsetzung seiner Tätigkeit gestattet, dann erfuellt die betreffende Regelung die Voraussetzung der Spezifizität, die eines der Merkmale des Begriffes der staatlichen Beihilfe ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnrn. 23 und 24).

40 Unabhängig von dem vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel ist die streitige Regelung offensichtlich geeignet, die Unternehmen, für die sie gilt, in eine günstigere Lage zu versetzen als andere, indem sie ihnen erlaubt, ihre wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen wäre, da diese entscheidend auf den Schutz der Gläubigerinteressen abstellen. Angesichts des Vorrangs der Forderungen, die mit der Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, kann die Genehmigung zu einer solchen Fortsetzung unter diesen Umständen eine zusätzliche Belastung für die öffentliche Hand mit sich bringen, wenn tatsächlich feststeht, daß der Staat oder öffentliche Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens gehören, zumal dieses definitionsgemäß erhebliche Beträge schuldet.

41 Die Anordnung der Sonderverwaltung hat neben der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79, zu deren vorheriger Mitteilung an die Kommission sich die italienischen Behörden bereit erklärt haben, zur Folge, daß das Verbot und die Aussetzung jeglicher Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und Zuschläge im Fall der verspäteten Zahlung der Körperschaftsteuer ausgedehnt werden, wegen Nichtzahlung der Sozialabgaben verhängte Geldbussen und Zwangsgelder erlassen werden und im Falle der vollständigen oder teilweisen Übertragung des Unternehmens ein Vorzugssatz angewandt wird, da die Übertragung einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT unterliegt, während die normale Registersteuer 3 % des Wertes der übertragenen Gegenstände beträgt.

42 Derartige vom nationalen Gesetzgeber gewährte Vergünstigungen können ebenfalls eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Form einer staatlichen Bürgschaft, eines tatsächlichen Verzichts auf öffentliche Forderungen, des Erlasses von Geldbussen oder anderen Zwangsgeldern oder einer Verringerung des Abgabensatzes bewirken. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn nachgewiesen wäre, daß die Anordnung der Sonderverwaltung und die Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens tatsächlich nicht zu einer zusätzlichen Belastung für den Staat im Vergleich zu derjenigen, die sich aus der Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ergeben hätte, geführt haben oder führen sollen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies im einzelnen zu prüfen, nachdem es gegebenenfalls die Kommission um Erläuterungen gebeten hat.

43 Aufgrund all dessen ist festzustellen, daß die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen sich als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag darstellt, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, ein Erlaß von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

Zu den Folgen des Fehlens einer vorherigen Meldung

44 Der Vertrag hat in Artikel 93 EG-Vertrag die fortlaufende Überprüfung und Überwachung der Beihilfen durch die Kommission vorgesehen und geregelt. Bei neuen Beihilfen, die die Mitgliedstaaten einführen wollen, ist nach dieser Bestimmung vorher ein Verfahren durchzuführen, ohne das eine Beihilfe nicht als rechtmässig eingeführt angesehen werden kann. Nach Artikel 93 Absatz 3 Satz 1 EG-Vertrag ist die beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung einer Beihilfe vor deren Gewährung der Kommission zu melden.

45 Die Kommission hat die Regelung des Gesetzes Nr. 95/79 jedoch als "bestehende staatliche Beihilfe" qualifiziert, obwohl dieses Gesetz, wie sie selbst einräumt, nach dem Inkrafttreten des Vertrages erlassen und ihr trotzdem nicht nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag gemeldet worden ist. Sie führt für ihre Auffassung Zweckmässigkeitsgründe an, u. a. ihre Zweifel, die sich über 14 Jahre hingezogen hätten, ob das Gesetz Nr. 95/79 als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei, das Vertrauen der dieser Regelung unterliegenden Wirtschaftsteilnehmer, die seltene Anwendung der Regelung und die praktische Unmöglichkeit, die Rückzahlung der eventuell rückforderbaren Beträge zu erreichen.

46 Diese Auffassung ist abzulehnen.

47 Die Antwort auf die Frage, ob eine neue Beihilfe vorliegt und folglich vor ihrer Einführung das Prüfungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag eingeleitet werden muß, kann nicht von der subjektiven Einschätzung der Kommission abhängen.

48 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-44/93 (Namur-Les assurances du crédit, Slg. 1994, I-3829, Randnr. 13) entschieden hat, ergibt sich sowohl aus dem Inhalt als auch aus den Zielsetzungen der Bestimmungen des Artikels 93 EG-Vertrag, daß als bestehende Beihilfen im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels die Beihilfen anzusehen sind, die vor dem Inkrafttreten des Vertrages bestanden oder die unter den Voraussetzungen des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt werden durften, einschließlich derjenigen, die nach der Auslegung dieser Vorschrift durch den Gerichtshof in dem Urteil vom 11. Dezember 1973 in der Rechtssache 120/73 (Lorenz, Slg. 1973, 1471, Randnrn. 4 bis 6) als solche zu betrachten sind. Als neue Beihilfen, für die die Anzeigepflicht gemäß der letztgenannten Bestimmung gilt, sind dagegen die Maßnahmen anzusehen, die auf die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen gerichtet sind, wobei sich die Umgestaltung auf bestehende Beihilfen oder auf der Kommission mitgeteilte ursprüngliche Vorhaben beziehen kann.

49 Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie infolgedessen nicht angewandt werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung an keine Entscheidung erlässt, bevor diese Frist abgelaufen ist (vgl. Urteil Lorenz, Randnr. 4).

50 Somit ist auf die erste Frage zu antworten:

Der Gerichtshof ist in einem nach Artikel 177 EG-Vertrag eingeleiteten Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 EG-Vertrag befugt. Das nationale Gericht kann jedoch, wenn es mit einem Antrag wegen der Konsequenzen aus einem Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 letzter Satz EG-Vertrag befasst ist, die Kommission um Erläuterungen bitten oder es kann oder muß nach Artikel 177 Absätze 2 und 3 EG-Vertrag dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen, um entscheiden zu können, ob die betreffenden staatlichen Maßnahmen staatliche Beihilfen darstellen, die der Kommission hätten gemeldet werden müssen.

Die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen stellt sich als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag dar, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, ein Erlaß von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie nicht angewandt werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung an keine Entscheidung erlässt, bevor diese Frist abgelaufen ist.

Zur zweiten Vorlagefrage

51 Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage.

Kostenentscheidung:

Kosten

52 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschluß vom 29. Juli 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Der Gerichtshof ist in einem nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eingeleiteten Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) befugt. Das nationale Gericht kann jedoch, wenn es mit einem Antrag wegen der Konsequenzen aus einem Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 letzter Satz EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 letzter Satz EG) befasst ist, die Kommission um Erläuterungen bitten oder es kann oder muß nach Artikel 234 Absätze 2 und 3 EG dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen, um entscheiden zu können, ob die betreffenden staatlichen Maßnahmen staatliche Beihilfen darstellen, die der Kommission hätten gemeldet werden müssen.

2. Die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79 vom 3. April 1979, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen stellt sich als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag dar, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, ein Erlaß von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

3. Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie nicht angewandt werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung an keine Entscheidung erlässt, bevor diese Frist abgelaufen ist.

Ende der Entscheidung

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