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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: C-319/03
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug, Dekrets Nr. 90-713 vom 1. August 1990 über die auf Verwaltungsassistenten in der staatlichen Verwaltung anwendbaren Rechtsvorschriften (Frankreich), Dekrets Nr. 75-765 vom 14. August 1975 betreffend die Altersgrenzen für die Einstellung von Beamten der Kategorien B, C und D durch Auswahlverfahren (Frankreich), @Gesetzes Nr. 75-3 vom 3. Januar 1975 über verschiedene Verbesserungen und Vereinfachungen hinsichtlich der Renten oder Bezüge von hinterbliebenen Ehegatten, Müttern und alten Menschen (Frankreich)


Vorschriften:

EGV Art. 141 Abs. 4
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug Art. 2 Abs. 1
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug Art. 2 Abs. 4
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug Art. 3 Abs. 1
Dekrets Nr. 90-713 vom 1. August 1990 über die auf Verwaltungsassistenten in der staatlichen Verwaltung anwendbaren Rechtsvorschriften (Frankreich) Art. 5 Abs. 1
Dekrets Nr. 75-765 vom 14. August 1975 betreffend die Altersgrenzen für die Einstellung von Beamten der Kategorien B, C und D durch Auswahlverfahren (Frankreich) Art. 1
Gesetzes Nr. 75-3 vom 3. Januar 1975 über verschiedene Verbesserungen und Vereinfachungen hinsichtlich der Renten oder Bezüge von hinterbliebenen Ehegatten, Müttern und alten Menschen (Frankreich) Art. 8 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 30. September 2004. - Serge Briheche gegen Ministre de l'Intérieur, Ministre de l'Éducation nationale und Ministre de la Justice. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif de Paris - Frankreich. - Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Artikel 141 Absatz 4 EG - Richtlinie 76/207/EWG - Voraussetzungen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst - Bestimmungen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer solchen Beschäftigung nicht wiederverheirateten Witwen vorbehalten. - Rechtssache C-319/03.

Parteien:

In der Rechtssache C-319/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,

eingereicht vom Tribunal administratif Paris (Frankreich), mit Entscheidung vom

3. Juli 2003

, eingegangen am

24. Juli 2003

, in dem Verfahren

Serge Briheche

gegen

Ministre de l'Intérieur,

Ministre de l'Éducation nationale

und

Ministre de la Justice

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken (Berichterstatterin) und N. Colneric,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Briheche,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Bergeot-Nunes als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M.J. Jonczy und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

29. Juni 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40, im Folgenden: Richtlinie).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen Herrn Briheche und dem Ministre de l'Intérieur (Innenminister), dem Ministre de l'Éducation nationale (Bildungsminister) sowie dem Ministre de la Justice (Justizminister) wegen der Ablehnung der Bewerbung von Herrn Briheche auf mehrere Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen für Verwaltungsassistenten oder -sekretäre durch diese Minister mit der Begründung, dass er nicht die in den französischen Regelungen vorgesehenen Altersvoraussetzungen für die Teilnahme an diesen Auswahlverfahren erfülle.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften

3. Artikel 141 Absatz 4 EG bestimmt:

Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen.

4. In Artikel 2 Absätze 1 und 4 der Richtlinie heißt es:

(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf.

...

(4) Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen.

5. Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs - einschließlich der Auswahlkriterien - zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen - unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig - und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.

Nationale Vorschriften

6. Artikel 5 Absatz 1 des Dekrets Nr. 90713 vom 1. August 1990 über die auf Verwaltungsassistenten in der staatlichen Verwaltung anwendbaren Rechtsvorschriften (décret n° 90713 relatif aux dispositions statutaires communes applicables aux corps d'adjoints administratifs des administrations de l'État, JORF vom 11. August 1990, S. 9795) legt für die Einstellung von Beamten durch externe Auswahlverfahren eine Altersgrenze von 45 Jahren fest.

7. Artikel 1 des Dekrets Nr. 75765 vom 14. August 1975 betreffend die Altersgrenzen für die Einstellung von Beamten der Kategorien B, C und D durch Auswahlverfahren (décret n° 75765 relatif à la limite d'âge applicable au recrutement par concours des fonctionnaires des corps classés en catégorie B, C et D, JORF vom 19. August 1975, S. 8444) legt für die Zulassung zum Auswahlverfahren ebenfalls eine Altersgrenze von 45 Jahren fest, wenn keine spezifischen Regelungen eine höhere Altersgrenze vorsehen.

8. Nach Artikel 8 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 753 vom 3. Januar 1975 über verschiedene Verbesserungen und Vereinfachungen hinsichtlich der Renten oder Bezüge von hinterbliebenen Ehegatten, Müttern und alten Menschen (loi n° 753 portant diverses améliorations et simplifications en matière de pensions ou allocations des conjoints survivants, des mères de famille et des personnes âgées, JORF vom 4. Januar 1975, S. 198) können [d]ie Altersgrenzen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst... Müttern..., die nach dem Tod ihres Mannes darauf angewiesen sind zu arbeiten, nicht entgegengehalten werden.

9. Diese Ausnahme wurde durch das Gesetz Nr. 79569 vom 7. Juli 1979 über die Abschaffung der Altersgrenzen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst für bestimmte Kategorien von Frauen (loi n° 79569 portant suppression des limites d'âge d'accès aux emplois publics pour certaines catégories de femmes, JORF vom 8. Juli 1979) dahin geändert, dass sie auf Mütter von drei oder mehr Kindern, nicht wiederverheiratete Witwen, nicht wiederverheiratete geschiedene Frauen, aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung getrennt lebende Frauen und unverheiratete Frauen mit mindestens einem unterhaltsberechtigten Kind, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, anwendbar wurde.

10. Artikel 34 des Gesetzes Nr. 2001397 vom 9. Mai 2001 über die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern (loi n° 2001397 relative à l'égalité professionnelle entre les femmes et les hommes, JORF vom 10. Mai 2001, S. 7320) ergänzt diese Liste der in der vorstehenden Randnummer aufgezählten Personen um unverheiratete Männer mit mindestens einem unterhaltsberechtigten Kind, die darauf angewiesen sind zu arbeiten.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11. Herr Briheche, 48 Jahre alt, Witwer, nicht wiederverheiratet, mit einem unterhaltsberechtigten Kind, bewarb sich bei mehreren Auswahlverfahren der öffentlichen Verwaltung in Frankreich und u. a. im Jahr 2002 bei einem Auswahlverfahren des Ministère de l'Intérieur (Innenministerium) zur Besetzung von Stellen für Verwaltungsassistenten der Zentralverwaltung.

12. Seine Bewerbung in diesem letztgenannten Auswahlverfahren wurde durch Entscheidung vom 28. Januar 2002 mit der Begründung abgelehnt, dass er die Altersvoraussetzungen von Artikel 5 Absatz 1 des Dekrets Nr. 90713 für die Teilnahme an einem solchen Auswahlverfahren nicht erfülle.

13. Gegen diese Entscheidung, mit der seine Bewerbung abgelehnt wurde, legte er Widerspruch ein und führte darin aus, dass ihm die Altersgrenze von 45 Jahren aufgrund des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 2001397 nicht mehr entgegengehalten werden könne.

14. Dieser Widerspruch wurde mit einer Entscheidung des Innenministers vom 8. März 2002 zurückgewiesen, in der dieser zum einen den Wortlaut seiner Entscheidung vom 28. Januar 2002 wiederholte und zum anderen präzisierte, dass, abgesehen von bestimmten Kategorien von Frauen, nur unverheiratete Männer mit mindestens einem unterhaltsberechtigten Kind, die darauf angewiesen seien zu arbeiten, einen Anspruch auf die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst hätten.

15. Herr Briheche erhob am 28. März 2002 Klage beim Tribunal administratif Paris und beantragte u. a., die Entscheidungen vom 28. Januar und 8. März 2002, mit denen seine Bewerbungen zu den genannten Auswahlverfahren abgelehnt worden waren, aufzuheben. Artikel 8 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 753 in der durch das Gesetz Nr. 2001397 geänderten Fassung sei nicht mit den Zielen der Richtlinie vereinbar, soweit er den Anspruch auf Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst auf nicht wiederverheiratete Witwen beschränke. Die Richtlinie stehe zwar Maßnahmen zur Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beim Zugang zu einer Beschäftigung beeinträchtigten, nicht entgegen, verpflichte aber die Mitgliedstaaten, die Bestimmungen zu überprüfen, für die der Schutzzweck, von dem sie sich ursprünglich hätten leiten lassen, nicht mehr begründet sei.

16. Das Tribunal administratif Paris hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Läuft es den Bestimmungen der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 zuwider, wenn Frankreich die Vorschriften über nicht wiederverheiratete Witwen des Artikels 8 des Gesetzes Nr. 75-3 vom 3. Januar 1975, geändert durch das Gesetz Nr. 79-569 vom 7. Juli 1979 und durch das Gesetz Nr. 2001-397 vom 9. Mai 2001, aufrechterhält?

Zur Vorlagefrage

17. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht wiederverheirateten Witwen vorbehält, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation befinden, davon ausschließt.

18. Nach ständiger Rechtsprechung hat der durch die Richtlinie aufgestellte Grundsatz der Gleichbehandlung allgemeine Geltung, und die Richtlinie ist auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar (vgl. u. a. Urteile vom 11. Januar 2000 in der Rechtssache C285/98, Kreil, Slg. 2000, I69, Randnr. 18, und vom 19. März 2002 in der Rechtssache C476/99, Lommers, Slg. 2002, I2891, Randnr. 25).

19. Dieser Grundsatz beinhaltet nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie, dass bei den Bedingungen des Zugangs - einschließlich der Auswahlkriterien - zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen - unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig - und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.

20. Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die für die Zulassung zu externen Auswahlverfahren für die Einstellung von Beamten vorsieht, dass nicht wiederverheiratete Witwen, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, von der Altersgrenze befreit sind, führt bei nicht wiederverheirateten Witwern, die sich in der gleichen Situation befinden, zu einer Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie zuwiderlaufenden Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

21. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob eine solche Regelung gleichwohl nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie zulässig sein kann, wonach die Richtlinie nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen[steht].

22. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, hat die letztgenannte Vorschrift den bestimmten und begrenzten Zweck, Maßnahmen zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen (Urteil vom 11. November 1997 in der Rechtssache C409/95, Marschall, Slg. 1997, I6363, Randnr. 26).

23. Eine Maßnahme, nach der weibliche Bewerberinnen in Bereichen des öffentlichen Dienstes vorrangig befördert werden sollen, ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn sie weiblichen Bewerberinnen, die die gleiche Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber besitzen, keinen automatischen und unbedingten Vorrang einräumt und wenn die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der die besondere persönliche Lage aller Bewerber berücksichtigt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2000 in der Rechtssache C158/97, Badeck u. a., Slg. 2000, I1875, Randnr. 23).

24. Diesen Bedingungen liegt die Tatsache zugrunde, dass bei der Festlegung der Reichweite von Ausnahmen von einem Individualrecht wie dem in der Richtlinie verankerten Recht von Männern und Frauen auf Gleichbehandlung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, wonach Ausnahmen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist, und der Grundsatz der Gleichbehandlung so weit wie möglich mit den Erfordernissen des auf diese Weise angestrebten Zieles in Einklang gebracht werden muss (Urteil Lommers, Randnr. 39).

25. Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie lässt also nationale Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung zu, die Frauen spezifisch begünstigen und ihre Fähigkeit verbessern sollen, im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und unter den gleichen Bedingungen wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verfolgen. Diese Bestimmung soll eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herbeiführen, indem sie in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringert und so im Einklang mit Artikel 141 Absatz 4 EG Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen verhindert oder ausgleicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C450/93, Kalanke, Slg. 1995, I3051, Randnr. 19, und vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache C407/98, Abrahamsson und Anderson, Slg. 2000, I5539, Randnr. 48).

26. Die französische Regierung führt in ihren Erklärungen aus, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung erlassen worden sei, um die tatsächlichen Ungleichheiten zu beschränken, die zwischen Männern und Frauen u. a. deshalb bestünden, weil die Frauen den Großteil der Hausarbeit erledigten, insbesondere, wenn zur Familie Kinder gehörten, und um die Eingliederung der Frauen ins Arbeitsleben zu erleichtern.

27. Eine solche Regelung räumt, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, den Bewerbungen bestimmter Kategorien von Frauen, zu denen auch die nicht wiederverheirateten Witwen gehören, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, dadurch absoluten und unbedingten Vorrang ein, dass sie ihnen den Anspruch auf Befreiung von den Altersgrenzen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst vorbehält und nicht wiederverheiratete Witwer davon ausschließt, die sich in der gleichen Situation befinden.

28. Daraus folgt, dass eine solche Regelung, die bestimmte Kategorien von Frauen von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst befreit, während dies nicht für Männer gilt, die sich in der gleichen Situation befinden, nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie nicht zulässig ist.

29. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche dennoch nach Artikel 141 Absatz 4 EG zulässig ist.

30. Nach dieser Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben u. a. zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beibehalten oder beschließen.

31. Unabhängig von der Frage, ob positive Maßnahmen, die nicht nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie zulässig sind, eventuell nach Artikel 141 Absatz 4 EG zulässig sein könnten, genügt die Feststellung, dass die letztgenannte Bestimmung nicht zulässt, dass die Mitgliedstaaten Voraussetzungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst festlegen, die jedenfalls zu dem verfolgten Ziel außer Verhältnis stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Abrahamsson und Anderson, Randnr. 55).

32. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht wiederverheirateten Witwen vorbehält, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation befinden, davon ausschließt.

Kostenentscheidung:

Kosten

33. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht wiederverheirateten Witwen vorbehält, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation befinden, davon ausschließt.

Ende der Entscheidung

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