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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.03.1998
Aktenzeichen: C-347/96
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 69/335/EWG, Richtlinie 85/303/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 234
Richtlinie 69/335/EWG Art. 4 Abs. 1 a
Richtlinie 69/335/EWG Art. 5 Abs. 1 a
Richtlinie 69/335/EWG Art. 7
Richtlinie 69/335/EWG Art. 10 a
Richtlinie 85/303/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Artikel 10 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital ist dahin auszulegen, daß er der Erhebung einer Steuer von 0,5 % auf eine notarielle Urkunde über die Einbringung eines nach der Gründung einer Kapitalgesellschaft gezahlten Teils des Gesellschaftskapitals entgegensteht, wenn bei der Gründung dieser Gesellschaft bereits eine Steuer von 1 % auf den Nominalwert des vollständigen Gesellschaftskapitals entrichtet worden ist.

Diese Bestimmung verbietet nämlich ausserhalb des Bereichs der Gesellschaftsteuer indirekte Steuern mit den gleichen Merkmalen wie eine solche. Zwar stellt die Abgabe auf beurkundete Rechtsakte eine allgemeine indirekte Abgabe dar, doch trifft sie die notariellen Urkunden, die für die Eintragung der Zahlung des noch nicht eingezahlten Teils des Kapitals und damit für die vollständige Einzahlung der Aktien vorgeschrieben sind. Somit handelt es sich um eine Abgabe, die aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit erhoben wird, die durch die Rechtsform der Gesellschaften bedingt ist. Auch wenn die Einzahlung des ausstehenden Teils des Gesellschaftskapitals oder deren notarielle Beurkundung keine Förmlichkeit darstellt, die vor der Ausübung der Tätigkeit der Kapitalgesellschaften erfuellt sein muß, ist die Eintragung der Einzahlung des noch ausstehenden Gesellschaftskapitals doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit. Daher können die Mitgliedstaaten, auch wenn es ihnen freisteht, die Gesellschaftsteuer erst dann zu erheben, wenn die Einlagen tatsächlich geleistet werden, auf ein Dokument, mit dem die Einbringung eines Teils des bereits der Gesellschaftsteuer unterliegenden Gesellschaftskapitals in eine Kapitalgesellschaft beglaubigt wird, keine Steuer erheben.

4 Artikel 10 der Richtlinie 69/335 begründet Rechte, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Diese Gerichte sind verpflichtet, die entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen. Das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie ist nämlich hinreichend genau und unbedingt abgefasst, um von den einzelnen vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstossenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend gemacht werden zu können.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 5. März 1998. - Solred SA gegen Administración General del Estado. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal Superior de Justicia de Madrid - Spanien. - Richtlinie 69/335/EWG - Abgabe auf ein Dokument, mit dem die Einbringung eines Teils des Kapitals beglaubigt wird. - Rechtssache C-347/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal Superior de Justicia Madrid hat mit Beschluß vom 3. Juli 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a, 5 Absatz 1 Buchstabe a, 7 und 10 Buchstabe a der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23; nachstehend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Solred SA (nachstehend: Solred) und der Administración General del Estado (nachstehend: Steuerverwaltung) wegen der Zahlung einer Abgabe auf eine notarielle Urkunde über die Einbringung eines noch ausstehenden Teils des bei der Gründung der Gesellschaft insgesamt gezeichneten Gesellschaftskapitals.

3 Durch die Richtlinie sollen insbesondere die Faktoren, die die Festsetzung und die Erhebung der Gesellschaftsteuer in der Gemeinschaft beeinflussen, im Rahmen der Beseitigung der steuerlichen Hindernisse, die dem freien Kapitalverkehr entgegenstehen, harmonisiert werden.

4 Nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie unterliegen der Gesellschaftsteuer u. a. "die Gründung einer Kapitalgesellschaft" (Buchstabe a) und "die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art" (Buchstabe c).

5 Die Gesellschaftsteuer wird gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie bei Gründung einer Kapitalgesellschaft oder Erhöhung des Kapitals auf den tatsächlichen Wert der von den Gesellschaftern geleisteten oder zu leistenden Einlagen jeder Art abzueglich der Lasten und Verbindlichkeiten, die der Gesellschaft jeweils aus der Einlage erwachsen, erhoben; den Mitgliedstaaten steht es nach dieser Bestimmung frei, die Gesellschaftsteuer erst dann zu erheben, wenn die Einlagen tatsächlich geleistet werden.

6 Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie sieht vor, daß die Mitgliedstaaten bestimmte von der Richtlinie erfasste Vorgänge von der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben können.

7 Die Richtlinie schreibt entsprechend ihrer letzten Begründungserwägung auch die Beseitigung anderer indirekter Steuern vor, die die gleichen Merkmale wie die Gesellschaftsteuer oder die Wertpapiersteuer aufweisen und deren Beibehaltung die mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde. Diese indirekten Steuern, deren Erhebung untersagt ist, sind u. a. in Artikel 10 der Richtlinie aufgeführt, der lautet:

"Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:

a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;

b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;

c) die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck auf Grund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann."

8 Die auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbare spanische Regelung ist in der kodifizierten Fassung der Ley del Impüsto sobre Transmisiones Patrimoniales y Actos Jurídicos Documentados (Gesetz über die Steuer auf vermögensrechtliche Übertragungen und beurkundete Rechtsakte) enthalten, die durch das Real Decreto Legislativo 3050/1980 vom 30. Dezember 1980 erlassen und deren jetzt geltende Neufassung durch das Real Decreto Legislativo 1/1993 vom 24. September 1993 (Boletín Oficial del Estado vom 20. Oktober 1993; nachstehend: das Gesetz) erlassen worden ist.

9 Artikel 1 des Gesetzes lautet:

"1. Die Steuer auf vermögensrechtliche Übertragungen und beurkundete Rechtsakte ist eine indirekte Steuer, die unter den in den folgenden Artikeln festgelegten Voraussetzungen erhoben wird auf:

1. die entgeltlichen vermögensrechtlichen Übertragungen; 2. die gesellschaftsbezogenen Vorgänge; 3. die beurkundeten Rechtsakte.

2. Für den gleichen Rechtsakt kann in keinem Fall Steuer für entgeltliche vermögensrechtliche Übertragung und Steuer für gesellschaftsbezogene Vorgänge festgesetzt werden."

10 Artikel 31 des Gesetzes sieht im Titel über die Besteuerung der "beurkundeten Rechtsakte" im Abschnitt "notarielle Urkunden" unter der Überschrift "Steuersatz" u. a. vor:

"...

2. Wenn notarielle Schriftstücke und Urkunden über eine wertmässig bestimmbare Menge oder einen wertmässig bestimmbaren Gegenstand Rechtsakte oder Verträge enthalten, die in das Eigentums- oder Handelsregister oder in das Register der gewerblichen Schutzrechte eingetragen werden können und nicht der Erbschafts- oder Schenkungssteuer oder den Steuern gemäß Artikel 1 Nummern 1 und 2 dieses Gesetzes unterliegen, ist auf die Erstausfertigung dieser Schriftstücke und Urkunden ausserdem eine Steuer von 0,5 % für diese Rechtsakte oder Verträge zu entrichten. Bei Protesturkunden ist die Steuer zum selben Satz mittels Steuermarken zu entrichten."

11 Solred wurde mit notarieller Urkunde vom 21. November 1990 mit einem Gesellschaftskapital von 300 000 000 PTA gegründet. 180 000 000 PTA, d. h. 60 % des Nominalwerts des Gesellschaftskapitals, wurden am selben Tag eingebracht. Am 28. November 1990 zahlte Solred an die Steuerverwaltung 3 000 000 PTA, was 1 % des Nominalwerts des Gesellschaftskapitals entsprach.

12 Mit notarieller Urkunde vom 17. Januar 1991 wurden die noch einzuzahlenden 40 % des Kapitals, d. h. 120 000 000 PTA, in die Gesellschaft eingebracht. Am 7. Februar 1991 reichte Solred SA bei der Steuerverwaltung den Vordruck für die Festsetzung der Steuer für diesen zweiten Vorgang mit dem Hinweis ein, daß hierfür keine Steuer anfalle, da bereits bei der Gründung der Gesellschaft die Steuer von 1 % auf das gesamte Gesellschaftskapital entrichtet worden sei.

13 Die Steuerverwaltung setzte dagegen die Steuer in der Weise fest, daß sie auf den Betrag von 120 000 000 PTA den Satz von 0,5 % anwandte. Sie war nämlich der Meinung, daß die bei der Gründung der Gesellschaft entrichtete Steuer für gesellschaftsbezogene Vorgänge nicht ausschließe, daß das Dokument, aufgrund dessen der noch ausstehende Teil des Kapitals eingezahlt worden sei, der Steuer für "beurkundete Rechtsakte" unterworfen werde.

14 Solred erhob gegen diese Entscheidung Beschwerde zum Tribunal Económico Administrativo Regional Madrid, das die Beschwerde mit Beschluß vom 13. Dezember 1993 zurückwies. Auf den von Solred hiergegen beim Tribunal Superior de Justicia Madrid eingelegten Rechtsbehelf entschied dieses Gericht, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist nach zutreffender Auslegung der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 (in der später durch die Richtlinien 73/79 und 73/80, beide vom 9. April 1973, 74/553 vom 7. November 1974 und 85/303 vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung), insbesondere ihrer Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a, 5 Absatz 1 Buchstabe a, 7 und 10 Buchstabe a, die Möglichkeit ausgeschlossen, nach der Erhebung einer Steuer gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auf die Gründung einer Aktiengesellschaft in Höhe eines Satzes von 1 %, der in jedem Fall auf den Nominalwert des Gesellschaftskapitals angewandt wird, auch wenn dieses noch nicht vollständig eingebracht ist, später eine Steuer zu erheben, die die Einzahlung des noch einzubringenden Teils des Kapitals mit einem Satz von 0,5 % belastet?

2. Gilt die Beschränkung des Artikels 10 der Richtlinie 69/335 auch dann, wenn die zweite Steuer zwar nicht speziell auf Kapitaleinlagen abzielt, sondern auf das Schriftstück, durch das diese in der vorgeschriebenen Form geleistet werden, und wenn diese Förmlichkeit nach dem innerstaatlichen Gesellschaftsrecht obligatorisch ist und deshalb ein Satz von 0,5 % auf die Höhe der in das Schriftstück aufgenommenen Einlage angewandt wird.

3. Klärung der unmittelbaren Wirkung der genannten Richtlinie 69/335 (mit den späteren Änderungen) und Hinweise auf ihre Auswirkung und ihren eventuellen Vorrang gegenüber innerstaatlichen Rechtsvorschriften, falls diese nicht im Einklang mit dieser Richtlinie ausgelegt werden können.

Zu den ersten beiden Fragen

15 Mit den ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie der Erhebung einer Steuer von 0,5 % auf eine notarielle Urkunde über die Einbringung eines nach der Gründung einer Kapitalgesellschaft gezahlten Teils des Gesellschaftskapitals entgegensteht, wenn bei der Gründung dieser Gesellschaft bereits eine Steuer von 1 % auf den Nominalwert des vollständigen Gesellschaftskapitals entrichtet worden ist.

16 Die spanische Regierung verweist darauf, daß das Gesetz eine indirekte Steuer entweder auf entgeltliche vermögensrechtliche Übertragungen oder auf gesellschaftsbezogene Vorgänge oder auf beurkundete Rechtsakte vorsehe. Wenn ein durch notarielle Urkunde förmlich festgestellter Vorgang einer der ersten beiden Steuerarten unterliege, sei die Urkunde als solche von der Steuer befreit.

17 Im vorliegenden Fall sei auf die Gesellschaftsgründung als gesellschaftsbezogenen Vorgang eine Steuer zu einem Satz von 1 % des gezeichneten Kapitals erhoben worden. Sodann sei nach der Entscheidung, das bei der Gesellschaftsgründung nicht eingezahlte Kapital einzuzahlen, was ein späterer, eigenständiger Vorgang sei, auf die notarielle Urkunde die Steuer für beurkundete Rechtsakte erhoben worden, da der in dieser Urkunde förmlich festgestellte Vorgang keiner anderen Steuer unterliege.

18 Die im vorliegenden Fall streitige Steuer betreffe somit die notarielle Urkunde, nicht aber den Vorgang selbst, der nicht der Steuer unterliege.

19 Weder die Zahlung des bei der Gründung nicht eingezahlten Kapitals noch die förmliche Feststellung der Zahlung durch notarielle Urkunde sei eine Bedingung für die Ausübung der Tätigkeit der Gesellschaft. Die Gesellschaft sei nämlich mit Eintragung der Gründungsurkunde in das Handelsregister errichtet und könne dann frei tätig sein.

20 Schließlich trägt die spanische Regierung vor, daß es sich nicht um eine Förmlichkeit handele, der die Gesellschaften aufgrund ihrer Rechtsform unterlägen, sondern um eine Förmlichkeit, die vorgeschrieben sei, wenn bei der Gründung der Gesellschaft das Kapital nicht vollständig eingezahlt worden sei. Ob noch eine zweite Zahlung erfolgen solle, hänge daher ausschließlich von den Gesellschaftern ab.

21 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß Artikel 10 unter Berücksichtigung der letzten Begründungserwägung der Richtlinie ausserhalb des Bereichs der Gesellschaftsteuer namentlich indirekte Steuern mit den gleichen Merkmalen wie eine Gesellschaftsteuer verbietet. Damit sind u. a. alle anderen Steuern oder Abgaben gemeint, die für die Gründung einer Kapitalgesellschaft oder die Erhöhung ihres Kapitals (Artikel 10 Buchstabe a) oder für die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann (Artikel 10 Buchstabe c), zu entrichten sind. Dieses letztgenannte Verbot ist dadurch gerechtfertigt, daß die fraglichen Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden, so daß die Beibehaltung dieser Abgaben auch die von der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde (Urteile vom 11. Juni 1996 in der Rechtssache C-2/94, Denkavit Internationaal u. a., Slg. 1996, I-2827, Randnr. 23, und vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I-0000, Randnr. 21).

22 Die Abgaben, die bei der Eintragung neuer Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu entrichten sind, fallen unmittelbar unter das Verbot des Artikels 10 Buchstabe c der Richtlinie. Gleiches muß gelten, wenn diese Abgaben für die Eintragung von Erhöhungen des Kapitals dieser Gesellschaften zu entrichten sind, da sie ebenfalls aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit erhoben werden, die durch die Rechtsform der betreffenden Gesellschaften bedingt ist. Auch wenn die Eintragung der Kapitalerhöhungen formell kein der Tätigkeit der Kapitalgesellschaften vorangehendes Verfahren darstellt, so ist sie doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit (Urteil in der Rechtssache Fantask u. a., a. a. O., Randnr. 22).

23 Zwar stellt die Abgabe auf beurkundete Rechtsakte eine allgemeine indirekte Abgabe dar, doch trifft sie in einem Fall wie dem vorliegenden die notariellen Urkunden, die für die Eintragung der Zahlung des noch nicht eingezahlten Teils des Kapitals und damit für die vollständige Einzahlung der Aktien vorgeschrieben sind. Somit handelt es sich um eine Abgabe, die aufgrund einer wesentlichen Förmlichkeit erhoben wird, die durch die Rechtsform der Gesellschaften bedingt ist.

24 Auch wenn die Einzahlung des ausstehenden Teils des Gesellschaftskapitals oder deren notarielle Beurkundung keine Förmlichkeit darstellt, die vor der Ausübung der Tätigkeit der Kapitalgesellschaften erfuellt sein muß, ist die Eintragung der Einzahlung des noch ausstehenden Gesellschaftskapitals doch eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit.

25 Daher können die Mitgliedstaaten, auch wenn es ihnen nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie freisteht, die Gesellschaftsteuer erst dann zu erheben, wenn die Einlagen tatsächlich geleistet werden, auf ein Dokument, mit dem die Einbringung eines Teils des bereits der Gesellschaftsteuer unterliegenden Gesellschaftskapitals in eine Kapitalgesellschaft beglaubigt wird, keine Steuer erheben.

26 Somit ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, daß Artikel 10 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß er der Erhebung einer Steuer von 0,5 % auf eine notarielle Urkunde über die Einbringung eines nach der Gründung einer Kapitalgesellschaft gezahlten Teils des Gesellschaftskapitals entgegensteht, wenn bei der Gründung dieser Gesellschaft bereits eine Steuer von 1 % auf den Nominalwert des vollständigen Gesellschaftskapitals entrichtet worden ist.

Zur dritten Frage

27 Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinie Rechte begründen, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann, und ob diese Gerichte verpflichtet sind, die entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen.

28 Nach ständiger Rechtsprechung können sich die einzelnen in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, vor dem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unrichtig in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. u. a. Urteil in der Rechtssache Fantask, a. a. O., Randnr. 54).

29 Im vorliegenden Fall genügt der Hinweis darauf, daß das Verbot des Artikels 10 der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt abgefasst ist, um von den einzelnen vor den nationalen Gerichten gegenüber einer gegen diese Richtlinie verstossenden Bestimmung des nationalen Rechts geltend gemacht werden zu können.

30 Schließlich ist nach ständiger Rechtsprechung jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene einzelstaatliche Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet lässt (Urteil vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, Randnr. 21).

31 Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 10 der Richtlinie Rechte begründet, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Diese Gerichte sind verpflichtet, die entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Die Auslagen der spanischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Tribunal Superior de Justicia Madrid mit Beschluß vom 3. Juli 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 ist dahin auszulegen, daß er der Erhebung einer Steuer von 0,5 % auf eine notarielle Urkunde über die Einbringung eines nach der Gründung einer Kapitalgesellschaft gezahlten Teils des Gesellschaftskapitals entgegensteht, wenn bei der Gründung dieser Gesellschaft bereits eine Steuer von 1 % auf den Nominalwert des vollständigen Gesellschaftskapitals entrichtet worden ist.

2. Artikel 10 der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung begründet Rechte, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Diese Gerichte sind verpflichtet, die entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen.

Ende der Entscheidung

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