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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: C-49/00
Rechtsgebiete: Richtlinie 89/391/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 89/391/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Sowohl aus dem Zweck der Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, die nach ihrer fünfzehnten Begründungserwägung für alle Gefahren gilt, als auch aus dem Wortlaut ihres Artikels 6 Absatz 3 Buchstabe a geht hervor, dass der Arbeitgeber zur Beurteilung aller Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verpflichtet ist. Außerdem sind die vom Arbeitgeber zu beurteilenden berufsbedingten Gefahren nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern sie entwickeln sich fortlaufend insbesondere nach Maßgabe der fortschreitenden Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der wissenschaftlichen Untersuchungen über berufsbedingte Gefahren.

( vgl. Randnrn. 12-13 )

2. Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht erfordert nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche und spezifische Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und kann sich auf einen allgemeinen rechtlichen Kontext beschränken, wenn dieser die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich hinreichend klar und bestimmt gewährleistet. Für die Erfuellung des Erfordernisses der Rechtssicherheit ist es besonders wichtig, dass die Rechtslage für den Einzelnen klar und bestimmt ist und ihn in die Lage versetzt, von allen seinen Rechten und Pflichten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

( vgl. Randnrn. 21-22 )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 15. November 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Unvollständige Umsetzung der Richtlinie 89/391/EWG - Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. - Rechtssache C-49/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-49/00

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und N. Yerrell als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

eklagte,

wegen Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 7 Absätze 3, 5 und 8 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) verstoßen hat, dass sie

- nicht vorgeschrieben hat, dass der Arbeitgeber alle Gefahren für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beurteilen muss,

- dem Arbeitgeber freigestellt hat, ob er außerbetriebliche Dienste zum Schutz und zur Gefahrenverhütung hinzuzieht, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen, und

- nicht die Fähigkeiten und die Eignung festgelegt hat, über die die Personen verfügen müssen, die für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortlich sind,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer S. von Bahr (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, L. Sevón und M. Wathelet,

Generalanwältin: C. Stix-Hackl

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 31. Mai 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 16. Februar 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 7 Absätze 3, 5 und 8 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1, nachfolgend: Richtlinie) verstoßen hat, dass sie

- nicht vorgeschrieben hat, dass der Arbeitgeber alle Gefahren für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beurteilen muss,

- dem Arbeitgeber freigestellt hat, ob er außerbetriebliche Dienste zum Schutz und zur Gefahrenverhütung hinzuzieht, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen, und

- nicht die Fähigkeiten und die Eignung festgelegt hat, über die die Personen verfügen müssen, die für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortlich sind.

Gemeinschaftsregelung

2 Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie verpflichtet den Arbeitgeber je nach Art der Tätigkeiten des Unternehmens bzw. Betriebs" zur Beurteilung von Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, unter anderem bei der Auswahl von Arbeitsmitteln, chemischen Stoffen oder Zubereitungen und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze".

3 Artikel 7 der Richtlinie - Mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung beauftragte Dienste" - sieht in seinen Absätzen 1 und 3 vor:

(1) Unbeschadet seiner Pflichten nach den Artikeln 5 und 6 benennt der Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer, die er mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren im Unternehmen bzw. im Betrieb beauftragt.

...

(3) Reichen die Möglichkeiten im Unternehmen bzw. im Betrieb nicht aus, um die Organisation dieser Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung durchzuführen, so muss der Arbeitgeber außerbetriebliche Fachleute (Personen oder Dienste) hinzuziehen."

4 Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie lautet:

In allen Fällen gilt:

- die benannten Arbeitnehmer müssen über die erforderlichen Fähigkeiten und Mittel verfügen,

- die hinzugezogenen außerbetrieblichen Personen oder Dienste müssen über die erforderliche Eignung sowie die erforderlichen personellen und berufsspezifischen Mittel verfügen und

- die benannten Arbeitnehmer und die hinzugezogenen außerbetrieblichen Personen oder Dienste müssen über eine ausreichende Personalausstattung verfügen,

so dass sie die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung übernehmen können, wobei die Größe des Unternehmens bzw. des Betriebs und/oder der Grad der Gefahren, denen die Arbeitnehmer ausgesetzt sind, sowie deren Lokalisierung innerhalb des gesamten Unternehmens bzw. des Betriebs zu berücksichtigen sind."

5 Artikel 7 Absatz 8 Unterabsatz 1 der Richtlinie lautet:

Die Mitgliedstaaten legen fest, welche Fähigkeiten und Eignungen im Sinne von Absatz 5 erforderlich sind."

Nationale Regelung

6 Die Richtlinie wurde durch das Decreto legislativo Nr. 626 vom 19. September 1994 (GURI Nr. 256 vom 12. November 1994, Supplemento ordinario Nr. 141, S. 5) in der Fassung des Decreto legislativo Nr. 242 vom 19. März 1996 (GURI Nr. 104 vom 6. Mai 1996, Supplemento ordinario Nr. 75, S. 5, nachfolgend: Decreto legislativo) in italienisches Recht umgesetzt.

7 Artikel 4 Absatz 1 des Decreto legislativo lautet:

Der Arbeitgeber beurteilt je nach Art der Tätigkeiten des Unternehmens oder der Produktionsstätte bei der Auswahl von Arbeitsmitteln, chemischen Stoffen oder Zubereitungen und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, einschließlich der Gefahren für Gruppen von Arbeitnehmern, die besonderen Risiken ausgesetzt sind."

8 Artikel 8 des Decreto legislativo - Gefahrenverhütungs- und Schutzdienst" - bestimmt:

1. Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 10 richtet der Arbeitgeber gemäß den Bestimmungen dieses Artikels innerhalb des Unternehmens oder der Produktionsstätte einen Gefahrenverhütungs- und Schutzdienst ein oder beauftragt außerbetriebliche Personen oder Dienste damit.

2. Der Arbeitgeber benennt nach Rücksprache mit dem Sicherheitsbeauftragten innerhalb des Unternehmens oder der Produktionsstätte einen oder mehrere seiner Beschäftigten für die Erfuellung der Aufgaben nach Artikel 9, darunter den Verantwortlichen des Dienstes, der über die entsprechenden Qualifikationen und Fähigkeiten verfügen muss.

3. Es muss eine ausreichende Zahl der in Absatz 2 genannten Beschäftigten vorhanden sein, die über die erforderlichen Fähigkeiten sowie über entsprechende Mittel und Zeit verfügen müssen, um die ihnen übertragenen Aufgaben auszuführen. Aus ihrer Tätigkeit zur Durchführung ihrer Aufgaben dürfen ihnen keine Nachteile entstehen.

4. Unbeschadet der Bestimmungen von Absatz 2 kann der Arbeitgeber zur Ergänzung der Maßnahme zur Gefahrenverhütung oder der Schutzmaßnahmen außerbetriebliche Personen mit den erforderlichen Fachkenntnissen hinzuziehen.

5. In folgenden Fällen ist die Einrichtung des Gefahrenverhütungs- und Schutzdienstes innerhalb des Unternehmens oder der Produktionsstätte zwingend:

a) in Industrieunternehmen im Sinne von Artikel 1 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 175 vom 17. Mai 1988 in der geänderten Fassung, die der Erklärungs- oder Mitteilungspflicht gemäß den Artikeln 4 und 6 dieses Dekrets unterliegen;

b) in Wärmekraftwerken;

c) in Nuklearanlagen und -labors;

d) in Unternehmen zur Herstellung und getrennten Lagerung von Sprengstoffen, Pulver und Munition;

e) in Industrieunternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten;

f) in Bergbauunternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten;

g) in öffentlichen oder privaten Heimen oder Heilanstalten.

6. Unbeschadet der Bestimmungen von Absatz 5 kann der Arbeitgeber nach Rücksprache mit dem Sicherheitsbeauftragten außerbetriebliche Personen oder Dienste hinzuziehen, wenn die Fähigkeiten der im Unternehmen oder in der Produktionsstätte Beschäftigten unzureichend sind.

7. Der außerbetriebliche Dienst muss den Merkmalen des Unternehmens oder der Produktionsstätte, dem oder der er seine Dienstleistung erbringen soll, auch im Hinblick auf die Zahl der Arbeitnehmer angepasst sein.

8. Der Verantwortliche für den außerbetrieblichen Dienst muss über entsprechende Qualifikationen und Fähigkeiten verfügen.

9. Der Minister für Arbeit und soziale Sicherheit kann nach Anhörung der ständigen Beratungskommission im Einvernehmen mit dem Minister für das Gesundheitswesen und dem Minister für Industrie, Handel und Handwerk durch Dekret spezifische Voraussetzungen, Modalitäten und Verfahren für die Zertifizierung der Dienste und für die Mindestzahl der Arbeitnehmer im Sinne der Absätze 3 und 7 festlegen.

10. Durch die Hinzuziehung von außerbetrieblichen Personen oder Diensten wird der Arbeitgeber insoweit nicht von seiner Haftung befreit.

11. Der Arbeitgeber teilt dem Gewerbeaufsichtsamt und den örtlich zuständigen Gesundheitseinrichtungen den Namen der Person mit, die als Verantwortlicher für den innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gefahrenverhütungs- und Schutzdienst benannt ist. Diese Mitteilung enthält eine Erklärung, mit der für diese Personen Folgendes bescheinigt wird:

a) die im Rahmen der Gefahrenverhütung und des Schutzes wahrgenommenen Aufgaben;

b) der Zeitraum, im dem solche Aufgaben wahrgenommen wurden;

c) der berufliche Werdegang."

Sachverhalt und Vorverfahren

9 Die Kommission gab der Italienischen Republik zunächst gemäß dem Verfahren des Artikels 169 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 Absatz 1 EG) Gelegenheit, sich zu äußern, und richtete dann mit Schreiben vom 19. Oktober 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an sie mit der Aufforderung, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen. Da die Italienische Republik auf diese Stellungnahme nicht reagierte, hat die Kommission die vorliegende Klage eingereicht.

Würdigung durch den Gerichtshof

Zur ersten Rüge

10 Nach Ansicht der Kommission erwächst dem Arbeitgeber aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie die Verpflichtung zur Beurteilung aller Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit. Die drei in dieser Bestimmung erwähnten Gefahrentypen seien lediglich Beispiele für besondere Gefahren, die beurteilt werden müssten. Deshalb macht die Kommission mit ihrer ersten Rüge geltend, dass die italienische Umsetzungsvorschrift, d. h. Artikel 4 Absatz 1 des Decreto legislativo, wonach der Arbeitgeber nur diese drei besonderen Gefahrentypen beurteilen müsse, gegen die Richtlinie verstoße.

11 Die italienische Regierung entgegnet, dass diese Rüge einer Grundlage entbehre. Zunächst umfassten die drei in der Richtlinie aufgezählten und in die nationale Regelung aufgenommenen Gefahrentypen in Wirklichkeit alle Gefahrenquellen am Arbeitsplatz. Sodann sähen die anderen Bestimmungen des Decreto legislativo und weitere nationale Vorschriften besondere Pflichten des Arbeitgebers zur Beurteilung der Gefahren vor. Schließlich müsse der Arbeitgeber nach Artikel 2087 des Codice civile Maßnahmen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und zum Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer ergreifen, und die Beachtung dieser Verpflichtung könne nicht ohne vorherige Beurteilung der betreffenden Gefahren gewährleistet werden.

12 Zunächst geht sowohl aus dem Zweck der Richtlinie, die nach ihrer fünfzehnten Begründungserwägung für alle Gefahren gilt, als auch aus dem Wortlaut ihres Artikels 6 Absatz 3 Buchstabe a hervor, dass der Arbeitgeber zur Beurteilung aller Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verpflichtet ist.

13 Außerdem sind die vom Arbeitgeber zu beurteilenden berufsbedingten Gefahren nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern sie entwickeln sich fortlaufend insbesondere nach Maßgabe der fortschreitenden Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der wissenschaftlichen Untersuchungen über berufsbedingte Gefahren.

14 Daher kann Artikel 4 Absatz 1 des Decreto legislativo, der zwar die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beurteilung besonderer Gefahren vorsieht, den Umfang dieser Verpflichtung aber auf die drei beispielhaft in Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie genannten Gefahrentypen beschränkt, keine ordnungsgemäße Umsetzung dieser Vorschrift darstellen.

15 Das Argument der italienischen Regierung, dass andere Bestimmungen des Decreto legislativo und weitere nationale Vorschriften besondere Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Beurteilung der Gefahren vorsähen, ist zurückzuweisen, da die fehlende Umsetzung der in der Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Verpflichtung zur Beurteilung aller Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer nicht durch den Erlass besonderer Maßnahmen geheilt werden kann, die nur einige der fraglichen Gefahren betreffen.

16 Hinsichtlich des Arguments der italienischen Regierung in Bezug auf Artikel 2087 des Codice civile genügt der Hinweis, dass die allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers, Maßnahmen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und zum Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer zu ergreifen, nicht der besonderen Verpflichtung entspricht, alle Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer zu den von der Richtlinie verfolgten Zwecken und innerhalb des von ihr vorgegebenen rechtlichen Rahmens zu beurteilen.

17 Die Existenz von Artikel 2087 des Codice civile kann also die Italienische Republik nicht davon entbinden, Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie ordnungsgemäß in ihr nationales Recht umzusetzen.

18 Daher ist der auf die Verletzung von Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie gestützten ersten Rüge der Kommission Erfolg beschieden.

Zur zweiten Rüge

19 Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo, wonach der Arbeitgeber außerbetriebliche Dienste hinzuziehen könne, wenn die Fähigkeiten der im Unternehmen Beschäftigten nicht ausreichten, verstoße offenkundig gegen die zwingende Regelung des Artikels 7 Absatz 3 der Richtlinie.

20 Die italienische Regierung trägt vor, Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo in Verbindung mit den anderen Bestimmungen dieses Artikels, insbesondere Absätze 1 und 5, müsse so verstanden werden, dass der Arbeitgeber, wenn er nicht über ausreichende Möglichkeiten verfüge, um die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Gefahrenverhütung innerhalb des Unternehmens zu organisieren, Personal mit den entsprechenden Fähigkeiten einstellen oder außerbetriebliche Personen oder Dienste hinzuziehen müsse.

21 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes erfordert die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche und spezifische Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und kann sich auf einen allgemeinen rechtlichen Kontext beschränken, wenn dieser die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich hinreichend klar und bestimmt gewährleistet (u. a. Urteile vom 16. November 2000 in der Rechtssache C-214/98, Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I-9601, Randnr. 49, und vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C-38/99, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-10941, Randnr. 53).

22 Für die Erfuellung des Erfordernisses der Rechtssicherheit ist es besonders wichtig, dass die Rechtslage für den Einzelnen klar und bestimmt ist und ihn in die Lage versetzt, von allen seinen Rechten und Pflichten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (Urteil vom 19. September 1996 in der Rechtssache C-236/95, Kommission/Griechenland, Slg. 1996, I-4459, Randnr. 13).

23 Artikel 7 Absätze 1 und 3 der Richtlinie enthält die Verpflichtung für den Arbeitgeber, einen mit der Verhütung berufsbedingter Gefahren und mit dem Schutz vor solchen Gefahren beauftragten Dienst im Unternehmen einzurichten oder, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen, außerbetriebliche Fachleute hinzuzuziehen.

24 Nach Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo hat aber ein Arbeitgeber nur die Möglichkeit und nicht die Verpflichtung, auf außerbetriebliche Personen oder Dienste zurückzugreifen, wenn die Fähigkeiten der im Unternehmen Beschäftigten nicht ausreichen.

25 Aus Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo allein ergibt sich also nicht, dass der Arbeitgeber auf jeden Fall Personal mit den entsprechenden Fähigkeiten einstellen oder außerbetriebliche Personen oder Dienste hinzuziehen muss, um sich um die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren im betreffenden Unternehmen zu kümmern.

26 Daher ist zu prüfen, ob Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo in Verbindung mit den anderen Absätzen dieses Artikels, insbesondere Absätze 1 und 5, gleichwohl in der von der italienischen Regierung geltend gemachten Weise auszulegen ist.

27 Zwar stellt Artikel 8 Absatz 1 des Decreto legislativo den Grundsatz auf, dass der Arbeitgeber den Gefahrenverhütungs- und Schutzdienst im Unternehmen einrichtet oder außerbetriebliche Personen oder Dienste damit beauftragt; er verweist aber für die konkrete Anwendung des Grundsatzes auf die anderen Absätze von Artikel 8 und scheint Absatz 6 keine andere Bedeutung beimessen zu wollen als die, die sich aus seinem Wortlaut ergibt.

28 Somit geht aus Artikel 8 Absatz 1 des Decreto legislativo nicht klar hervor, dass Absatz 6 dieses Artikels dahin auszulegen ist, dass er den Arbeitgeber unter allen Umständen verpflichtet, Personal mit den erforderlichen Fähigkeiten einzustellen oder außerbetriebliche Personen oder Dienste hinzuzuziehen, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen.

29 Artikel 8 Absatz 5 des Decreto legislativo, auf den sich die italienische Regierung ebenfalls berufen hat, enthält für den Arbeitgeber die Verpflichtung, in einigen abschließend aufgezählten Fällen den Gefahrenverhütungs- und Schutzdienst im Unternehmen einzurichten. Ist diese Vorschrift so auszulegen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, in den von ihr erwähnten Fällen unter allen Umständen für die Gefahrenverhütungs- und Schutzdienste zu sorgen, so folgt daraus nicht notwendigerweise, dass er solche Dienste auch in allen anderen Fällen, insbesondere in denen des Artikels 8 Absatz 6 des Decreto legislativo, einzurichten hat.

30 Eine Betrachtung von Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo im Licht der anderen Bestimmungen dieses Artikels führt im Übrigen zu keiner anderen Auslegung.

31 Daher ist der Schluss zu ziehen, dass die von der italienischen Regierung vertretene Auslegung von Artikel 8 Absatz 6 des Decreto legislativo, wonach der Arbeitgeber unter allen Umständen verpflichtet ist, Personen mit den erforderlichen Fähigkeiten einzustellen oder außerbetriebliche Personen oder Dienste hinzuzuziehen, weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift noch aus ihrem rechtlichen Kontext hinreichend klar und bestimmt hervorgeht.

32 Folglich greift die auf die Verletzung von Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie gestützte zweite Rüge der Kommission durch.

Zur dritten Rüge

33 Mit ihrer dritten Rüge macht die Kommission geltend, die Italienische Republik habe gegen Artikel 7 Absätze 5 und 8 der Richtlinie verstoßen, da sie keine klare und detaillierte Regelung über die erforderliche Befähigung der Personen vorgesehen habe, die für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren im Unternehmen verantwortlich seien.

34 Die italienische Regierung trägt vor, sie habe dem Arbeitgeber die Verantwortung dafür übertragen, die Kriterien zu bestimmen, anhand deren das tatsächliche Vorliegen der Fähigkeiten und Qualifikationen beurteilt werden könne, die für die Durchführung dieser Tätigkeiten erforderlich seien. Außerdem sehe Artikel 8 Absatz 9 des Decreto legislativo die Möglichkeit für den zuständigen Minister vor, Vorschriften über die Zertifizierung der mit Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren beauftragten Dienste zu erlassen. Ferner sei der Arbeitgeber nach Artikel 8 Absatz 11 des Decreto legislativo verpflichtet, den zuständigen nationalen Behörden Informationen über die für diese Dienste verantwortlichen Personen zu erteilen.

35 Dazu ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 7 Absatz 8 der Richtlinie festlegen müssen, über welche Fähigkeiten und welche Eignung die Personen oder Dienste im Sinne von Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie verfügen müssen, die sich mit den Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren in den Unternehmen befassen.

36 Die Erfuellung dieser Verpflichtung impliziert, dass die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, die den Anforderungen der Richtlinie genügen und den betroffenen Unternehmen mit geeigneten Mitteln zur Kenntnis gebracht werden, damit diese ihre Pflichten auf dem Gebiet in Erfahrung bringen und die zuständigen nationalen Behörden die Einhaltung dieser Maßnahmen feststellen können.

37 Die von der Italienischen Republik gewählte Lösung, dem Arbeitgeber die Verantwortung dafür zu übertragen, die Fähigkeiten und die Eignung zu bestimmen, die für die Durchführung der Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren erforderlich sind, genügt offenkundig nicht den Anforderungen von Artikel 7 Absätze 5 und 8 der Richtlinie.

38 Was Artikel 8 Absatz 9 des Decreto legislativo angeht, wonach die nationalen Behörden Maßnahmen auf dem Gebiet des Schutzes vor berufsbedingten Gefahren und ihrer Verhütung erlassen können, so handelt es sich um eine fakultative Bestimmung, und die italienische Regierung hat durch nichts nachgewiesen, dass die nationalen Behörden von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten.

39 Hinsichtlich des Artikels 8 Absatz 11 des Decreto legislativo genügt schließlich die Feststellung, dass diese Vorschrift nicht den Erlass von Bestimmungen über die Fähigkeiten und die Eignung der für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren verantwortlichen Personen bezweckt, sondern sich damit befasst, dass der Arbeitgeber den zuständigen nationalen Behörden Informationen über diese Personen erteilt.

40 Daher greift auch die auf die Verletzung von Artikel 7 Absätze 5 und 8 der Richtlinie gestützte dritte Rüge der Kommission durch.

41 Nach alledem ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 7 Absätze 3, 5 und 8 der Richtlinie verstoßen hat, dass sie

- nicht vorgeschrieben hat, dass der Arbeitgeber alle Gefahren für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beurteilen muss,

- dem Arbeitgeber freigestellt hat, ob er außerbetriebliche Dienste zum Schutz und zur Gefahrenverhütung hinzuzieht, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen, und

- nicht die Fähigkeiten und die Eignung festgelegt hat, über die die Personen verfügen müssen, die für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortlich sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Italienischen Republik beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a und Artikel 7 Absätze 3, 5 und 8 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit verstoßen, dass sie

- nicht vorgeschrieben hat, dass der Arbeitgeber alle Gefahren für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beurteilen muss,

- dem Arbeitgeber freigestellt hat, ob er außerbetriebliche Dienste zum Schutz und zur Gefahrenverhütung hinzuzieht, wenn die innerbetrieblichen Möglichkeiten nicht ausreichen, und

- nicht die Fähigkeiten und die Eignung festgelegt hat, über die die Personen verfügen müssen, die für die Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer verantwortlich sind.

2. Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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