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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 06.10.2005
Aktenzeichen: T-22/02
Rechtsgebiete: EG, EWR, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, EMRK


Vorschriften:

EG Art. 81
EG Art. 83
EG Art. 85
EG Art. 211
EG Art. 82
EWR Art. 53
Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 48 Abs. 1
EMRK Art. 6 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen T-22/02 und T-23/02

Sumitomo Chemical Co. Ltd mit Sitz in Tokio (Japan),

Sumika Fine Chemicals Co. Ltd mit Sitz in Osaka (Japan),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Klusmann und V. Turner,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Pignataro-Nolin und A. Whelan als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 2003/2/EG der Kommission vom 21. November 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/37.512 - Vitamine) (ABl. 2003, L 6, S. 1), soweit sie die Klägerinnen betrifft,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Vierte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Legal, der Richterin P. Lindh, des Richters P. Mengozzi, der Richterin I. Wiszniewska-Bialecka und des Richters V. Vadapalas,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2004

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1. In Artikel 1 der Entscheidung 2003/2/EG vom 21. November 2001 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMPE/E-1/37.512 - Vitamine) (ABl. 2003, L 6, S. 1, im Folgenden: Entscheidung) hat die Kommission festgestellt, dass mehrere Unternehmen durch die Beteiligung an einer Reihe von Vereinbarungen, die zwölf Märkte von Vitaminerzeugnissen, nämlich die der Vitamine A, E, B 1, B 2, B 5 und B 6, der Folsäure, der Vitamine C, D 3 und H, des Beta-Carotins und der Carotinoide betrafen, gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen haben. Des Näheren ergibt sich aus der Begründungserwägung 2 der Entscheidung, dass die Unternehmen im Rahmen dieser Vereinbarungen für die einzelnen Produkte Preise festgelegt und Absatzquoten zugewiesen, Preissteigerungen vereinbart und umgesetzt, Preisbekanntmachungen entsprechend ihren Vereinbarungen herausgegeben, die Produkte zu den vereinbarten Preisen verkauft, einen Mechanismus zur Überwachung und Sicherung der Einhaltung ihrer Vereinbarungen geschaffen und an regelmäßigen Zusammenkünften zur Umsetzung ihrer Pläne teilgenommen haben sollen.

2. Zu diesen Unternehmen gehören u. a. die japanischen Klägerinnen Sumitomo Chemical Co. Ltd und Sumika Fine Chemicals Co. Ltd, bei denen Verstöße auf den Märkten der Gemeinschaft und des EWR bei Vitamin H bzw. Folsäure festgestellt wurden (Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben j und k der Entscheidung).

3. In Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben k und l der Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass die Verstöße, an denen die Klägerinnen beteiligt waren, in der Zeit von Oktober 1991 bis April 1994 bzw. von Januar 1991 bis Juni 1994 erfolgten.

4. In Artikel 2 der Entscheidung wird den in Artikel 1 genannten Unternehmen aufgegeben, die Verstöße unverzüglich abzustellen, falls sie dies noch nicht getan haben, und sich künftig jeglicher Handlung und jeglichen Verhaltens zu enthalten, die denselben oder einen ähnlichen Zweck bzw. dieselbe oder eine ähnliche Wirkung haben.

5. Während die Kommission für die Verstöße auf den Märkten der Vitamine A, E, B 2, B 5, C und D 3, von Beta-Carotin und den Carotinoiden Geldbußen verhängt hat, hat sie für die Verstöße auf den Märkten der Vitamine B 1, B 6, H und Folsäure keine Geldbußen verhängt (Artikel 3 der Entscheidung).

6. Aus den Begründungserwägungen 645 bis 649 der Entscheidung ergibt sich nämlich, dass die auf diesen Märkten festgestellten Verstöße mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt eingestellt worden waren, an dem die Kommission ihre Ermittlungen einleitete; deshalb sei Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319, S. 1) auf diese Verstöße anwendbar gewesen.

7. Deshalb wurde u. a. gegen die Klägerinnen keine Geldbuße verhängt.

8. Aus der Entscheidung (Begründungserwägung 650) ergibt sich weiter, dass die Klägerinnen in ihren jeweiligen Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht hatten, dass die ihnen vorgeworfenen Verstöße nicht mehr Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sein könnten, da sie verjährt seien.

9. In der Entscheidung (Begründungserwägung 651) hat die Kommission dieses Vorbringen zurückgewiesen und ausgeführt: "Die Vorschriften über die Verjährungsfristen betreffen ausschließlich die Anwendung von Geldbußen oder Sanktionen. Sie haben keinerlei Einfluss auf die Befugnis der Kommission, gegen Kartelle zu ermitteln und gegebenenfalls Untersagungsentscheidungen zu erlassen."

Verfahren und Anträge der Parteien

10. Mit getrennten Klageschriften, die am 7. Februar 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurden, haben die Klägerinnen die vorliegenden Klagen erhoben, die unter den Nummern T-22/02 und T-23/02 in das Register eingetragen wurden.

11. Mit Beschluss vom 30. April 2004 hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts die Rechtssachen T-22/02 und T-23/02 gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung des Gerichts wegen Sachzusammenhangs zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden.

12. Gemäß Artikel 14 der Verfahrensordnung hat das Gericht auf Vorschlag der Ersten Kammer nach Anhörung der Parteien gemäß Artikel 51 der Verfahrensordnung die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

13. Da die Zusammensetzung der Kammern des Gerichts geändert und der Berichterstatter der Vierten Kammer zugewiesen worden war, wurden die vorliegenden Rechtssachen der Vierten erweiterten Kammer übertragen.

14. Das Gericht (Vierte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die mündliche Verhandlung eröffnet.

15. In der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2004 wurden die Parteien gehört und haben mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

16. In der Rechtssache T-22/02 beantragt die Klägerin Sumitomo, die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie von ihr betroffen sei, und die Beklagte in die Kosten zu verurteilen.

17. In der Rechtssache T-23/02 beantragt die Klägerin Sumika, die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie von ihr betroffen sei, und die Beklagte in die Kosten zu verurteilen.

18. In beiden verbundenen Rechtssachen beantragt die Kommission, die Klage abzuweisen und die Klägerin in die Kosten zu verurteilen.

Die Nichtigkeitsanträge

19. Die Klägerinnen stützen ihre Klagen auf zwei Rügen: Verjährung der Befugnis der Kommission, Verstöße festzustellen, und Unzuständigkeit der Kommission.

1. Die erste Rüge: Verjährung der Befugnis der Kommission, Verstöße festzustellen

20. Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission könne im vorliegenden Fall ihnen gegenüber keine Untersagungsentscheidung erlassen, weil einerseits die Verjährungsfrist des Artikels 1 der Verordnung Nr. 2988/74 abgelaufen sei und andererseits bestimmte allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts dem entgegenstünden.

Erster Teil: Anwendung der Verordnung Nr. 2988/84

Parteivorbringen

21. Die Klägerinnen machen geltend, die Befugnis der Kommission, Geldbußen oder Sanktionen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu verhängen, unterliege nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 2988/74 einer Verjährungsfrist von fünf Jahren; die Kommission selbst habe anerkannt, dass diese Verjährungsfrist, was die Klägerinnen betreffe, abgelaufen sei.

22. Eine förmliche Untersagungsentscheidung, wie sie im vorliegenden Fall gegen sie erlassen worden sei, müsse als Sanktion im Sinne dieses Artikels verstanden werden, da sie zumindest dreierlei Strafwirkungen zur Folge habe.

23. Die Entscheidung, die einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht im Rahmen eines angeblich weltweiten Kartells feststelle, könne, erstens, in Mitgliedstaaten, in denen andere Verjährungsfristen gälten, und selbst in Drittstaaten Anlass zu Verfolgungsmaßnahmen geben. Die Feststellungen der Kommission könnten im Rahmen dieser Verfolgungsmaßnahmen als Hinweise dienen, die für die Klägerinnen zumindest sehr hohe Rechtsverteidigungskosten zur Folge hätten. Die Klägerinnen könnten, zweitens, vor nationalen Gerichten von Dritten, die auf der Grundlage der Entscheidung Schadensersatz verlangen könnten, zivilrechtlich verklagt werden. Die Entscheidung sei, drittens, dem Ruf der Klägerinnen sehr abträglich, was auch für die negative Publizität gelte, die Zivilklagen von Dritten zur Folge haben würden.

24. Ziel der Verordnung Nr. 2988/74 sei es nach ihren Begründungserwägungen, im Interesse der Rechtssicherheit den Grundsatz der Verjährung für Geldbußen und andere Sanktionen einzuführen. Der Zweck der Einführung von Verjährungsfristen, wie sie in der Verordnung Nr. 2988/74 vorgesehen seien, in einem gegebenen Rechtssystem sei es, sicherzustellen, dass im Interesse einer geordneten Rechtspflege lange zurückliegende Verstöße nicht mehr verfolgt und bestraft würden. Die Rechtssicherheit, die Gerechtigkeit und der Grundsatz einer effektiven Verwaltung verlangten, dass die Verwaltung ihre Mittel und das Geld des Steuerzahlers für die Verfolgung aktueller, nicht aber vergangener Verstöße verwende. Von einem bestimmten Zeitpunkt an dürften Unternehmen daher nicht mehr Gegenstand von Geldbußen sein, dürften aber auch nicht mehr befürchten müssen, Adressat einer Entscheidung mit allen damit zusammenhängenden nachteiligen Folgen zu sein, mit der ein Verstoß festgestellt werde.

25. Folglich sei die Kommission durch die Verordnung Nr. 2988/74 nicht nur daran gehindert, den Klägerinnen Geldbußen aufzuerlegen, sie könne ihnen gegenüber auch keine Untersagungsentscheidung mehr erlassen, mit der ein Verstoß festgestellt werde.

26. Die Beklagte trägt vor, Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 könne im Lichte seines Kontexts und der Materialien nicht dahin ausgelegt werden, dass er auch für Geldbußen oder Sanktionen gelte, die nicht die in den Begründungserwägungen der Verordnung zitierten Rechtsvorschriften vorgesehenen ausschließlich finanziellen Sanktionen seien. In dem besagten Artikel würden die beiden Begriffe "Geldbußen" und "Sanktionen" eben deshalb verwendet, um alle finanziellen Sanktionen, die in diesen Rechtsvorschriften teilweise als "Geldbußen", teilweise als "Sanktionen" erwähnt würden, derselben Verjährungsregelung zu unterwerfen. Im ursprünglichen Verordnungsvorschlag der Kommission und in den beiden folgenden geänderten Vorschlägen sei der Doppelbegriff "Geldbußen (Sanktionen)" verwendet worden, was belege, dass die beiden Begriffe synonym verwendet worden seien. Die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses [nunmehr Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)] vom 29. Juni 1972 zeige in seinem ersten Satz (der Verordnungsvorschlag betrifft nur die Befugnis, Geldbußen für Verstöße gegen Bestimmungen zu verhängen und einzuziehen, die aufgrund des Vertrages zur Gründung der EWG im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht erlassen wurden), dass der Ausschuss den Verordnungsvorschlag dahin gehend verstanden habe, dass er sich ausschließlich auf Geldbußen im weitesten Sinne einschließlich der Zwangsgelder beziehe.

27. Keinesfalls könne eine Sanktion, die die Wettbewerbsbehörde eines Drittlandes verhänge, oder eine Verurteilung zu Schadensersatz durch ein nationales Gericht als Sanktion angesehen werden, die die Kommission verhängt hätte. Ein Rufschaden sei allenfalls eine mittelbare Folge des Erlasses der Entscheidung und könne nicht als Sanktion angesehen werden. Zudem vermengten die Klägerinnen den Erlass und die Veröffentlichung einer Entscheidung über die Feststellung eines Verstoßes. Nur die Veröffentlichung könne die Interessen des Adressaten gefährden, sei aber keine Sanktion.

28. In ihrer Erwiderung machen die Klägerinnen geltend, wenn die Kommission in Anwendung der Verordnung Nr. 2988/74 nicht mehr die Befugnis habe, den Unternehmen aufzugeben, den festgestellten Verstoß abzustellen und ihnen Geldbußen und Zwangsgelder im Fall eines Verstoßes aufzuerlegen, dann folge daraus zwangsläufig, dass sie auch nicht mehr über die implizite Befugnis verfüge, den Verstoß festzustellen (Urteil des Gerichtshofes vom 2. März 1983 in der Rechtssache 7/82, GVL/Kommission, Slg. 1983, 483, Randnr. 23).

29. Der Gerichtshof lege das Gemeinschaftsrecht nach dem Wortsinn, dem Zusammenhang, dem Zweck der Maßnahme und nur subsidiär den Materialien aus (Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache C-133/00, Urteil des Gerichtshofs vom 4. Oktober 2001, Bowden u. a., Slg. 2001, I-7031, I-7033, Nrn. 28 bis 30). Die Materialien könnten nicht selbst als klarer Ausdruck der Absicht der Verfasser einer Verordnung angesehen werden (Urteil des Gerichts vom 25. März 1999 in der Rechtssache T-102/96, Gencor/Kommission, Slg. 1999, II-753, Randnrn. 128 und 129). Von Belang sei daher nicht, wie der EWSA den Verordnungsvorschlag verstanden habe, sondern der Wortlaut des definitiven Verordnungstextes.

30. Der Wortlaut des Artikels 1 der Verordnung Nr. 2988/74 sei klar und eindeutig. Ganz ohne Zweifel stelle die Entscheidung, mit der ein Verstoß festgestellt werde, aufgrund ihrer punitiven Wirkungen und des klassischen Strafzweckes, der mit ihr verfolgt werde, eine Sanktion im Sinne dieses Artikels dar. Die Beklagte selbst gestehe das ein, wenn sie ausführe, sie habe eine Entscheidung erlassen, die ein vorbildliches Verhalten fördern und jedem Rückfall entgegenwirken solle; diese zwei Ziele entsprächen dem klassischen Zweck jeder Sanktion. Im Übrigen ergebe sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts Reischl in der Rechtssache GVL/Kommission (S. 510 und 516), dass die Beklagte seinerzeit bereits zugestanden habe, dass die Feststellung eines Verstoßes wegen ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt ebenfalls Sanktionswirkung habe; auch habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69 (ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 104) der Veröffentlichung einer Entscheidung die Wirkung einer zusätzlichen Sanktion zugesprochen.

31. Die Klägerinnen beharren insbesondere darauf, dass ein nationales Gericht eines Mitglieds- oder Drittstaats die Feststellungen der Kommission als hinreichenden Anscheinsbeweis betrachten könnte, den die Klägerinnen insbesondere in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur mit größten Schwierigkeiten widerlegen könnten. Sie zitieren hierzu Gerichtsentscheidungen aus Australien, den Vereinigten Staaten und aus Kanada sowie das Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 2000 in der Rechtssache C-344/98 (Masterfoods und HB, Slg. 2000, I-11369, Randnrn. 49 bis 52). In ihren Schriftsätzen habe die Beklagte selbst stillschweigend eine solche Möglichkeit eingeräumt, da sie im Rahmen ihrer Antwort auf die zweite Rüge das Interesse daran, Verletzten die Befassung nationaler Zivilgerichte zu ermöglichen, als Interesse anführe, das ihr die Befugnis gebe, einen Verstoß durch Entscheidung festzustellen (siehe unten, Randnr. 122).

32. Auch der Zusammenhang stehe einer Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 2988/74 auf die Feststellung eines Verstoßes nicht entgegen. Die Verwendung des Begriffes "Sanktion" in Artikel 1 dieser Verordnung erkläre sich entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht daraus, dass unterschiedlich benannte finanzielle Sanktionen einer gemeinsamen Verjährungsregelung hätten unterstellt werden sollen. Der Begriff "Geldbußen" hätte die in der Verordnung Nr. 11 des Rates vom 27. Juni 1960 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz (3) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1960, Nr. 52, S. 1121) vorgesehene finanzielle Sanktion ebenso eindeutig erfasst.

33. In ihrer Gegenerwiderung wendet sich die Beklagte gegen das Vorbringen, das die Klägerinnen auf das Urteil GVL/Kommission stützten. In diesem Urteil habe der Gerichtshof nicht erklärt, dass die stillschweigende Befugnis, Verstöße festzustellen, sich unmittelbar aus der Befugnis ergebe, die Einstellung von Verstößen anzuordnen und Geldbußen zu verhängen, die in den Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen seien, sondern vielmehr, dass alle diese Befugnisse ihre gemeinsame Basis in den Artikeln 83 EG und 85 EG hätten. Verfehlt sei auch die Auslegung, die die Klägerinnen dem Urteil ACF Chemiefarme/Kommission gäben.

Rechtliche Würdigung

34. Die Kommission ist für die Durchführung und die Ausrichtung der gemeinsamen Wettbewerbspolitik verantwortlich. Artikel 85 Absatz 1 EG ist auf diesem Gebiet spezifischer Ausdruck der allgemeinen Überwachungsaufgabe, die der Kommission nach Artikel 211 EG zukommt; er hat der Kommission aufgegeben, auf die Verwirklichung der in den Artikeln 81 EG und 82 EG niedergelegten Grundsätze zu achten; deshalb haben die auf der Grundlage des Artikels 83 EG erlassenen Rechtsvorschriften der Kommission umfangreiche Befugnisse übertragen (Urteile des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89, Delimitis, Slg. 1991, I-935, Randnr. 44, und Masterfoods und HB, Randnr. 46; Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-24/90, Automec/Kommission, Slg. 1992, II-2223, Randnrn. 73 und 74).

35. Die der Kommission in der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), die hier ratione temporis anwendbar ist, übertragenen Befugnisse haben somit zum Ziel, ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe nach Artikel 85 EG zu ermöglichen, die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften im Gemeinsamen Markt zu überwachen (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Januar 2004 in den Rechtssachen C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Aalborg Portland u. a./Kommission, Slg. 2004, I-123, Randnr. 54; Urteil des Gerichts vom 20. Februar 2001 in der Rechtssache T-112/98, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Slg. 2001, II-729, Randnrn. 61 und 66). Es liegt nämlich im Allgemeininteresse, wettbewerbswidrige Praktiken und Vereinbarungen zu vermeiden, aufzudecken und zu ahnden (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, Randnr. 54).

36. Deshalb ermächtigt die Verordnung Nr. 17 die Kommission, den Unternehmen aufzugeben, Verstöße abzustellen, und ihnen Geldbußen und im Fall einer Zuwiderhandlung Zwangsgelder aufzuerlegen. Die Befugnis, derartige Entscheidungen zu erlassen, impliziert zwangsläufig die Befugnis, den Verstoß festzustellen (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 23).

37. Dass ein Verstoß bereits vor Erlass einer Entscheidung der Kommission abgestellt wird, steht für sich genommen der Ausübung der Befugnis der Kommission, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festzustellen und zu ahnden, noch nicht entgegen. Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zum einen die Befugnis der Kommission, Sanktionen zu verhängen, nicht dadurch berührt wird, dass der Verstoß und seine schädlichen Wirkungen bereits aufgehört haben (Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 175), und zum anderen, dass die Kommission durch Entscheidung einen Verstoß feststellen kann, den das Unternehmen bereits abgestellt hat, falls sie daran ein legitimes Interesse hat (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 24).

38. In der Entscheidung hat die Kommission hinsichtlich der Klägerinnen nur festgestellt, dass diese gegen Artikel 81 Absatz 1 EG und Artikel 53 Absatz 1 EWR-Abkommen dadurch verstoßen haben, dass sie an Vereinbarungen betreffend die Märkte der Gemeinschaft und des EWR für Vitamin H (Klägerin Sumitomo, Oktober 1991 bis April 1994) und Folsäure (Klägerin Sumika, Januar 1991 bis Juni 1994) teilgenommen haben, und ihnen aufgegeben, sich künftig jeglicher Handlung und jeglichen Verhaltens sowie jeglicher Maßnahme, die denselben oder einen ähnlichen Zweck bzw. dieselbe oder eine ähnliche Wirkung hätten, zu enthalten. Hingegen hat die Kommission den Klägerinnen keine Geldbuße auferlegt, da diese ihre Teilnahme an den besagten Vereinbarungen mehr als fünf Jahre vor dem Beginn der Untersuchung der Kommission eingestellt hatten, was nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 2988/74 die Verjährung der Befugnis der Kommission zur Auferlegung von Geldbußen zur Folge hatte.

39. Mit dem ersten Teil ihrer ersten Rüge werfen die Klägerinnen der Kommission in der Sache vor, gegen diesen Artikel verstoßen zu haben, da die dort vorgesehene Verjährung auch die Befugnis zur Feststellung des Verstoßes erfasse. Einerseits sei die Feststellung eines Verstoßes eine "Sanktion", die die Kommission nach Ablauf der genannten Verjährungsfrist nicht mehr verhängen dürfe; andererseits habe die Verjährung der Befugnis, Geldbußen zu verhängen, zwangsläufig die Verjährung der stillschweigenden Befugnis, einen Verstoß festzustellen, zur Folge.

40. Zunächst ist somit zu prüfen, ob die Verjährung nach Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 auch die Befugnis der Kommission erfasst, einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG festzustellen.

41. Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 lautet: "Die Befugnis der Kommission, wegen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Verkehrs- oder Wettbewerbsrechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Geldbußen oder Sanktionen festzusetzen, verjährt

a) in drei Jahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über Anträge oder Anmeldungen von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, über die Einholung von Auskünften oder die Vornahme von Nachprüfungen;

b) in fünf Jahren bei den übrigen Zuwiderhandlungen."

42. Im Rahmen einer wörtlichen Auslegung dieser Bestimmung ist zu berücksichtigen, dass Gemeinschaftsrechtstexte in mehreren Sprachen abgefasst werden und dass die verschiedenen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind; die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts setzt daher einen Vergleich der Sprachfassungen voraus (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415, Randnr. 18).

43. In fast allen Sprachfassungen besagt der Wortlaut des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74, dass es die Befugnis der Kommission ist, Geldbußen oder Sanktionen festzusetzen, die der Verjährung unterliegt. Keine Sprachfassung nimmt auf eine Verjährung des Sachverhalts oder der Verstöße oder der Befugnis der Kommission Bezug, Verstöße festzustellen. Daher ist die Bedeutung des Ausdrucks "Sanktionen" zu untersuchen, der in der besagten Bestimmung neben dem Ausdruck "Geldbußen" steht, um festzustellen, ob dieser Ausdruck, wie die Klägerinnen vortragen, auch die Feststellung eines Verstoßes erfasst.

44. Wenn dieser Ausdruck auch in der Mehrzahl der Sprachfassungen als solcher eine weitere Bedeutung als der Ausdruck "Geldbußen" haben kann, der nur finanzielle Sanktionen erfasst, gibt es auch Sprachfassungen (nämlich die finnische und die schwedische), in denen dieser Ausdruck, ganz wie der Ausdruck "Geldbußen", der ihm vorausgeht, nur finanzielle Sanktionen erfasst.

45. Etwas widersprüchliche Auslegungshinweise ergeben sich auch aus der Berücksichtigung des Titels des Artikels 1. In einigen Sprachfassungen der Verordnung Nr. 2988/74 ist in diesem Titel auf die Verjährung des Vorgehens oder der Verfahren Bezug genommen; diese Ausdrücke könnten nahe legen, dass die dort vorgesehene Verjährung mehr erfasst als die schlichte Befugnis, Verstöße zu ahnden, nämlich auch ein Vorgehen oder ein Verfahren, mit dem nur die Feststellung eines Verstoßes erfolgen soll. In anderen Fassungen enthält der Titel Ausdrücke - wie das Wort "poursuites" (französische Fassung) oder das Wort "vervolging" (niederländische Fassung) - die im Gegensatz zu den Ausdrücken "Vorgehen" oder "Verfahren" auf ein Vorgehen mit Strafzweck hinweisen. In der dänischen Fassung nimmt der Titel auf die Verjährung der Befugnis, "Wirtschaftssanktionen" zu verhängen, Bezug.

46. Nach ständiger Rechtsprechung schließt das Erfordernis einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen es aus, eine bestimmte Fassung isoliert zu betrachten; es zwingt im Zweifelsfall vielmehr dazu, sie im Licht der in den anderen Sprachen erstellten Fassungen auszulegen und anzuwenden. Weichen diese Fassungen voneinander ab, so ist die Bestimmung nach ständiger Rechtsprechung nach Maßgabe des Sinns und Zwecks der Regelung auszulegen, zu der sie gehört (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 9/79, Koschniske, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6; vom 28. März 1985 in der Rechtssache 100/84, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1985, 1169, Randnr. 17; und vom 20. November 2003 in der Rechtssache C-152/01, Kyocera Electronics Europe, Slg. 2003, I-13821, Randnr. 33; Urteil des Gerichts vom 26. September 2000 in der Rechtssache T-80/97, Starway/Rat, Slg. 2000, II-3099, Randnr. 81).

47. Ganz allgemein sind zudem bei der Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang und die Ziele der Regelung, zu der sie gehört (Urteil des Gerichtshofes vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/82, Merck, Slg. 1983, 3781, Randnr. 12), sowie sämtliche Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts (Urteil CILFIT, Randnr. 20) zu berücksichtigen.

48. Im Rahmen der systematischen und teleologischen Auslegung ist von Belang, dass der Erlass der Verordnung Nr. 2988/74, wie sich aus dem Vorschlag KOM(71) 1514 endg. der Kommission vom 23. Dezember 1971 ergibt, den die Beklagte zu den Akten gereicht hat, die Antwort des Gemeinschaftsgesetzgebers auf Hinweise in Urteilen des Gerichtshofes von 1970 in den Rechtssachen betreffend das Chinin-Kartell (vgl. u. a. Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, Randnrn. 18 bis 20), wiederholt 1972 in Rechtssachen betreffend das Farbstoffkartell (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 52/69, Geigy/Kommission, Slg. 1972, 787, Randnr. 21) darstellt, in denen der Gerichtshof zunächst ausführt, dass die Vorschriften über die Befugnis der Kommission zur Verhängung von Geldbußen bei Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln keine Verjährung vorsähen, und dann ergänzt, eine Verjährungsfrist könne ihrer Funktion nur gerecht werden, wenn sie im Voraus festgelegt sei; die Festlegung einer solchen Frist und der Einzelheiten ihrer Anwendung falle in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers.

49. In der ersten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2988/74 heißt es, dass die "Vorschriften des Verkehrs- und Wettbewerbsrechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ... der Kommission die Befugnis ein[räumen], gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Geldbußen, Sanktionen und Zwangsgelder festzusetzen, wenn sie gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich der Auskünfte oder Nachprüfungen oder des Diskriminierungsverbots, des Kartellverbots oder des Verbots der missbräuchlichen Ausnutzung beherrschender Stellungen verstoßen"; festgestellt wird dort weiter, dass "diese Vorschriften ... keine Verjährung vor[sehen]".

50. Weiter heißt es in der zweiten Begründungserwägung: "Im Interesse der Rechtssicherheit ist es geboten, den Grundsatz der Verjährung einzuführen und die Einzelheiten seiner Anwendung zu regeln. Eine solche Regelung muss, um vollständig zu sein, sowohl die Befugnis zur Festsetzung von Geldbußen und Sanktionen als auch die Befugnis zur Vollstreckung der Entscheidungen erfassen, durch die Geldbußen, Sanktionen und Zwangsgelder festgesetzt werden. In ihr sind die Dauer der Verjährungsfrist, der Zeitpunkt, an dem die Verjährung beginnt, sowie die Handlungen zu bestimmen, welche zur Unterbrechung oder zum Ruhen der Verjährung führen. Dabei ist einerseits den Interessen der Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, andererseits den Bedürfnissen der Verwaltungspraxis Rechnung zu tragen."

51. In der dritten Begründungserwägung heißt es, dass "diese Verordnung ... für die einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 11 ..., der Verordnung Nr. 17 ... und der Verordnung (EWG) Nr. 1017/68 des Rates vom 19. Juli 1968 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs (ABl. L 175, S. 1) gelten [muss]."

52. Wie die Beklagte zu Recht geltend macht, sehen die Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1017/68 die Befugnis der Kommission vor, "Geldbußen" aufzuerlegen (siehe Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 22 der Verordnung Nr. 1017/68), während die Verordnung Nr. 11 die Kommission ermächtigt, "Sanktionen" zu verhängen (siehe Artikel 17 und 18 der Verordnung Nr. 11). Diese "Sanktionen" sind zudem ausschließlich finanzieller Art, wie sich einerseits daraus, dass durchgehend ein Höchstbetrag in Rechnungseinheiten oder in einem Vielfachen des Beförderungspreises festgesetzt wird, den der Verstoßende erhalten oder gefordert hat, und andererseits daraus ergibt, dass diese Sanktionen "gemäß Artikel 192 des Vertrages (jetzt Artikel 256 EG) vollstreckt" werden, der für "Entscheidungen des Rates oder der Kommission, die eine Zahlung auferlegen", gilt - "dieses gilt nicht gegenüber Staaten" -, die nach diesem Artikel "vollstreckbare Titel" sind (vgl. Artikel 17, 18 und 23 der Verordnung Nr. 11).

53. Dass in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 der Ausdruck "Sanktionen" neben dem Ausdruck "Geldbußen" verwendet wird, findet somit darin seine Begründung, dass klargestellt werden musste, dass die dort vorgesehene Verjährung auch die Befugnis betrifft, finanzielle Sanktionen aufzuerlegen, die nicht als Geldbußen gelten, etwa die nach der Verordnung Nr. 11.

54. Das Vorbringen der Klägerinnen, diese Klarstellung sei nicht erforderlich gewesen, da der Ausdruck "Geldbußen" auch die Sanktionen nach der Verordnung Nr. 11 habe erfassen können, so dass die Auslegung des Ausdrucks "Sanktionen" in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 durch die Kommission diesem seine praktische Wirksamkeit nehme, überzeugt nicht.

55. Im Rahmen einer Auslegung nach dem Zusammenhang zeigen die Vorschriften der Verordnung Nr. 2988/74 über die "Vollstreckungs-"Verjährung, also die Verjährung der "Befugnisse der Kommission zur Vollstreckung von Entscheidungen, durch die wegen Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Verkehrs- oder Wettbewerbsrechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Geldbußen, Sanktionen oder Zwangsgelder festgesetzt worden sind" (Artikel 4), vielmehr, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Erlass dieser Verordnung den Ausdruck "Geldbußen" nicht so verwendet hat, dass er jede finanzielle Sanktion bezeichnet. Insbesondere wird die Vollstreckungsverjährung gemäß Artikel 5 entweder durch die Bekanntgabe einer Entscheidung, durch die der ursprüngliche Betrag der Geldbuße, der Sanktion oder des Zwangsgeldes geändert oder ein Antrag auf eine solche Änderung abgelehnt wird, oder durch jede auf zwangsweise Beitreibung der Geldbuße oder Sanktion oder des Zwangsgelds gerichtete Handlung der Kommission oder eines Mitgliedstaats auf Antrag der Kommission unterbrochen. Diese Bezugnahmen auf den Betrag und die zwangsweise Beitreibung der Sanktion belegen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Ausdruck "Sanktionen" nicht verwendet hat, um andere als finanzielle Sanktionen zu bezeichnen.

56. Auch aus der dritten Begründungserwägung der Verordnung 2988/74, wonach diese "auch auf die einschlägigen Bestimmungen künftiger Verordnungen im Verkehrs- oder Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Anwendung finden" muss, ergibt sich nicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit der Erwähnung der "Sanktionen" neben den "Geldbußen" in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 alle Befugnisse zur Auferlegung von Sanktionen einschließlich nicht finanzieller Sanktionen, die der Kommission im Rahmen des Verkehrs- oder Wettbewerbsrechts möglicherweise übertragen würden, der Verjährung hätte unterwerfen wollen.

57. Eine solche Auslegung wäre nämlich mit der Berücksichtigung anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts im Rahmen der systematischen Auslegung dieses Artikels nicht zu vereinbaren. Hierzu sind die Begründungserwägungen und die Bestimmungen der Entscheidung Nr. 715/78/EGKS der Kommission vom 6. April 1978 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Geltungsbereich des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (ABl. L 94, S. 22) zu erörtern.

58. Die Begründungserwägungen und die Bestimmungen dieser Entscheidung, die vier Jahre nach dem Erlass der Verordnung 2988/74 erlassen wurde, sind dieser offenkundig nachgebildet. Die in Artikel 1 Absatz 1 dieser Entscheidung vorgesehene Verfolgungsverjährung betrifft jedoch nur die Befugnis der Kommission, "Geldbußen festzusetzen", verwendet den Ausdruck "Sanktionen" aber nicht. Ganz allgemein verwenden die Begründungserwägungen und die Bestimmungen der Entscheidung Nr. 715/78 da, wo die entsprechenden Begründungserwägungen oder Bestimmungen der Verordnung Nr. 2988/74 von "Geldbußen oder Sanktionen" sprechen, nur den Ausdruck "Geldbußen", während sich der Ausdruck "Sanktionen" in dieser Entscheidung nicht findet. In den Begründungserwägungen der Entscheidung werden die Artikel des EGKS-Vertrags angeführt, die der Kommission die Befugnis zur Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern übertragen, den Ausdruck "Sanktion" aber nicht erwähnen. Ebenso wie im Fall der Verordnung Nr. 2988/74 hat der Gesetzgeber aber den Anwendungsbereich der Regelung über die Verfolgungsverjährung nicht auf die "Bestimmungen über Geldbußen oder Zwangsgelder ..., die im Vertrag und in den bisher erlassenen Durchführungsvorschriften enthalten sind", beschränken wollen, sondern ausdrücklich auch "die einschlägigen Bestimmungen künftiger Durchführungsvorschriften" angeführt. Gleichwohl hielt er es nicht für angebracht, den Ausdruck "Sanktionen" zu verwenden, so dass der Anwendungsbereich der Entscheidung grundsätzlich keine anderen Sanktionen als Geldbußen abdeckt (vgl. Begründungserwägungen 1 und 5).

59. Müsste also der Ausdruck "Sanktionen" in der Verordnung Nr. 2988/74 so verstanden werden, dass er auch Feststellungen eines Verstoßes erfasste, so ergäbe sich, dass solche Feststellungen im Rahmen des EG-Vertrags der Verjährung unterlägen, im Rahmen des EGKS-Vertrags aber nicht, obwohl die Verjährungsregelung im Rahmen des EGKS-Vertrags offenkundig bis ins kleinste Detail auf der kurz zuvor im Rahmen des EG-Vertrags eingeführten Regelung aufbaut. Für einen solchen Unterschied gibt es keinen vernünftigen Grund.

60. Nach alldem soll der Ausdruck "Sanktionen" in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 entsprechend dem Vortrag der Beklagten nur die Befugnis der Kommission zur Auferlegung finanzieller Sanktionen wegen Verstößen gegen das Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaften unabhängig von der Bezeichnung dieser Sanktionen in den Vorschriften, die sie vorsehen, einer einzigen Verjährungsregelung unterstellen.

61. Die Feststellung eines Verstoßes stellt keine Sanktion im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Verordnung Nr. 2988/74 dar und unterliegt somit nicht der dort vorgesehenen Verjährung.

62. Auch dem Vorbringen der Klägerinnen, die Verjährung der Befugnis, Geldbußen und Zwangsgelder aufzuerlegen, habe, zweitens, zwangsläufig die Verjährung der stillschweigenden Befugnis zur Feststellung eines Verstoßes zur Folge (siehe oben, Randnr. 28), ist kein besserer Erfolg beschieden.

63. Zwar ist die Befugnis zur Feststellung eines Verstoßes der Kommission im Rahmen der Verordnung Nr. 17 nur stillschweigend in dem Sinne verliehen, dass ihre ausdrücklichen Befugnisse, die Abstellung eines Verstoßes aufzugeben und Geldbußen zu verhängen, sie zwangsläufig voraussetzt (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 23). Jedoch steht diese stillschweigende Befugnis der Kommission nicht nur bei Ausübung ihrer ausdrücklichen Befugnisse zur Verfügung. Der Gerichtshof hat diese stillschweigende Befugnis in einem Urteil - dem Urteil GVL/Kommission - anerkannt, in dem es um die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Kommission ging, mit der ein Verstoß festgestellt wurde, der bereits abgestellt war, und mit der keine Geldbuße auferlegt wurde. Die Eigenständigkeit dieser Befugnis kann deshalb nicht bestritten werden. Ihr steht auch nicht entgegen, dass sie nur bei Vorliegen eines legitimen Interesses der Kommission ausgeübt werden darf.

64. Der erste Teil der ersten Rüge ist somit nicht begründet.

Zweiter Teil: Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts

Parteivorbringen

65. Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission hätte ihnen gegenüber die Entscheidung nicht erlassen dürfen, da dem mehrere allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts entgegenstünden.

66. Sie berufen sich, erstens, auf den Grundsatz der Rechtssicherheit. Sinn und Zweck der Verjährungsfristen in der Europäischen Union sei es, dass es nach einer bestimmten Zeit im Interesse einer geordneten Rechtspflege liege, Verstöße nicht mehr zu verfolgen oder nicht zum Anlass für eine wie auch immer geartete "Sanktion" zu nehmen. Außerdem ergäbe sich aus dem Vierten Bericht über die Wettbewerbspolitik der Kommission, dass die Einführung der Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung mit der Verordnung Nr. 2988/74 nach deren Begründungserwägungen der Rechtssicherheit dienen solle, die ein wesentliches Erfordernis sei, das nicht nur auf die Befugnis der Kommission, Geldbußen, sondern auch auf diejenige Auswirkungen haben müsse, alle Arten von Sanktionen einschließlich einer Untersagungsverfügung zu verhängen.

67. Mit dem Erlass der Entscheidung ihnen gegenüber habe die Kommission, zweitens, die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten verletzt. Unter Berufung namentlich auf nationale Gerichtsentscheidungen und Literatur über die Verjährung im Recht mehrerer Mitgliedstaaten tragen die Klägerinnen vor, dass die Vorschriften über die Verjährung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten so angewandt werden müssten, dass jede Verfolgung und Ahndung von lange zurückliegenden Verstößen ausgeschlossen sei.

68. Die Entscheidung sei, drittens, mit der Unschuldsvermutung unvereinbar, die sich in Artikel 48 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamiert worden sei (ABl. 2000, C 364, S. 1; Charta), und in Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950 (EMRK), finde und nach der jede Person, die einer Straftat angeklagt sei, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig gelte.

69. Diese Vermutung habe die Kommission einerseits wegen Artikel 51 Absatz 1 der Charta, die u. a. die Organe der Union verpflichte, die Rechte zu achten und sich an die Grundsätze zu halten, die die Charta vorsehe, und zum anderen deswegen zu beachten, weil es sich um ein in der EMRK garantiertes Grundrecht und damit um einen gemäß Artikel 6 Absatz 2 EU zugleich um einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und der ständigen Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte handle (Urteile des Gerichts vom 15. März 2000 in den Rechtssachen T-25/95, T-26/95, T-30/95, T-32/95, T-34/95 bis T-39/95, T-42/95 bis T-46/95, T-48/95, T-50/95 bis T-65/95, T-68/95 bis T-71/95, T-87/95, T-88/95, T-103/95 und T-104/95, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 2000, II-491, Randnr. 713, und Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Randnr. 60).

70. Zur Tragweite der Unschuldsvermutung habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass eine Gerichtsentscheidung, die ein Verfahren wegen Ablaufs der Verjährung beende, dann einen Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 2 EMRK darstelle, wenn sie die Annahme nahe lege, dass der Angeklagte rechtswidrig und schuldhaft gehandelt habe (siehe EGMR, Urteil Adolf vom 26. März 1982, Serie A, Nr. 49, § 38), oder wenn sie Anlass zu der Annahme gebe, dass der Richter den Angeklagten für schuldig gehalten habe (EGMR, Urteil Minelli vom 25. März 1983, Serie A, Nr. 62, § 37).

71. Daher habe die Kommission im vorliegenden Fall gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, wenn sie zu der Annahme Anlass gab, dass die Klägerinnen rechtswidrig gehandelt hätten, oder gar eine solche Rechtswidrigkeit festgestellt habe.

72. Die Beklagte ist der Auffassung, dass dieser Teil der Rüge nur ein Zusatzargument zur Stützung des ersten Teils der ersten Rüge und unbegründet sei. Unter anderem schienen die Klägerinnen anzunehmen, dass die fünfjährige Verjährungsfrist auch aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze gelte, erklärten aber nicht, warum dies so sei, und auch nicht, warum das Interesse des Grundsatzes der Rechtssicherheit durch eine Feststellung, die sieben Jahre nach dem Ende des Verstoßes zum Schutz eines legitimen Interesses getroffen werde, derart erschüttert werde, dass die Entscheidung für nichtig erklärt werden müsse. Im Übrigen folgte aus dem Vorbringen der Klägerinnen, dass die Mitgliedstaaten, die für Verwaltungsentscheidungen oder Zivilklagen auf dem Gebiet des Wettbewerbs längere Verjährungsfristen als fünf Jahre kennten, gegen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrecht verstießen.

73. Die von den Klägerinnen herangezogene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffe Rechtssachen, in denen Verjährungsfristen abgelaufen gewesen seien, deren Anwendung nicht bestritten gewesen sei; sie sei nicht einschlägig und könne zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der im Gemeinschaftsrecht festgelegten Fristen nichts beitragen. Die Unschuldsvermutung finde nur vor dem Erlass einer Entscheidung Anwendung (Urteil des Gerichts vom 6. Juli 2000 in der Rechtssache T-62/98, Volkswagen/Kommission, Slg. 2000, II-2707, Randnr. 281) und sage nichts über den Erlass oder Nichterlass einer Entscheidung unter Berücksichtigung der Rechtssicherheit und der Vorschriften über die Verjährung aus.

74. In ihrer Erwiderung wiederholen die Klägerinnen, dass die Befugnis der Kommission zum Erlass der streitigen Entscheidung auch in Anwendung allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verjährt sei. Sie hätten nicht vorgetragen, dass die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dieselbe Verjährungsfrist wie Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 vorsähen, sondern vielmehr aufgezeigt, dass sich diese Verjährungsfrist aus dem EG-Vertrag ergebe, insbesondere aus Artikel 85 Absatz 2 EG in Verbindung mit den Artikeln 3 Absatz 1 und 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und mit Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 und dass sie zur gleichen Zeit bestimmte allgemeine Rechtsgrundsätze als Rechtsgrundlage habe, darunter den Grundsatz der Rechtssicherheit und der geordneten Rechtspflege.

75. In ihrer Gegenerwiderung führt die Beklagte aus, das Vorbringen der Klägerinnen, die Verordnung Nr. 2988/74 beruhe auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sage nichts über deren Anwendungsbereich aus. Es sei Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, innerhalb bereichsabhängiger Grenzen für unterschiedliche Verfahren unterschiedliche Verjährungsfristen festzusetzen. Das gelte selbst für unterschiedliche Sanktionsverfahren, wie Artikel 1 der Verordnung Nr. 2988/74 selbst zeige, erst recht aber für Maßnahmen, mit denen keine Sanktionen verhängt würden, was auch immer die Bedeutung dieses Ausdrucks sei. Im Fall der Feststellung eines Verstoßes, der nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung falle, erlaube nichts den Schluss, dass der Erlass einer Entscheidung, mit der ein Verstoß festgestellt werde, die seit fünf Jahren und einigen Wochen vor der Eröffnung des Verfahrens der Kommission eingestellt worden sei, irgendeiner Verjährungsvorschrift widerspreche, die sich unmittelbar aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergebe.

Rechtliche Würdigung

76. Da das Vorbringen der Klägerinnen zu diesem Teil der Rüge in ihren Schriftsätzen etwas mehrdeutig ist, wurden sie in der mündlichen Verhandlung aufgefordert, deren Bedeutung klarzustellen. Sie führten aus, dass sie bestimmte allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zum einen anzögen, um ihre Auslegung der Verordnung Nr. 2988/74 zu unterstützen, wie sie sie im Rahmen des ersten Teils der ersten Rüge vorgetragen hatten, und um zum anderen geltend zu machen, dass die Kommission mit dem Erlass der Entscheidung ihnen gegenüber diese Grundsätze unabhängig von einem Verstoß gegen die Verordnung Nr. 2988/74 unmittelbar verletzt habe.

77. Dieser Teil wirft somit zum einen die Frage auf, ob die Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74, die das Gericht im Rahmen der Erörterung des ersten Teils der ersten Rüge vorgenommen hat, sich an den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts stößt, die die Klägerinnen angezogen haben. Eine Vorschrift des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts muss nämlich so weit wie möglich in Übereinstimmungen mit den Bestimmungen des EG-Vertrags und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts ausgelegt werden (Urteile des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-314/89, Rauh, Slg. 1991, I-1647, Randnr. 17; vom 10. Juli 1991 in den Rechtssachen C-90/90 und C-91/90, Neu u. a., Slg. 1991, I-3617, Randnr. 12, und vom 27. Januar 1994 in der Rechtssache C-98/91, Herbrink, Slg. 1994, I-223, Randnr. 9).

78. Zum anderen wirft der zweite Teil der ersten Rüge die Frage auf, ob die allgemeinen Rechtsgrundsätze unmittelbar dem Erlass einer Entscheidung über die Feststellung eines Verstoßes gegenüber den Klägerinnen entgegenstehen, die ungefähr siebeneinhalb Jahre nach der Abstellung der Verstöße und im Rahmen einer Untersuchung getroffen wurde, die ungefähr fünf Jahre und vier oder fünf Monate nach dieser Abstellung eingeleitet wurde.

79. Das Gericht wird diese beiden Fragen im Hinblick auf jeden der von den Klägerinnen im Rahmen des zweiten Teils der ersten Rüge herangezogenen Grundsätze prüfen.

- Der Grundsatz der Rechtssicherheit

80. Der Grundsatz der Rechtssicherheit soll die Vorhersehbarkeit von rechtlichen Lagen und Beziehungen garantieren, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C-63/93, Duff u. a., Slg. 1996, I-569, Randnr. 20; Urteil des Gerichts vom 31. Januar 2002 in der Rechtssache T-206/00, Hult/Kommission, Slg. ÖD I-A-19 und II-81, Randnr. 38).

81. Nach der Rechtssprechung des Gerichtshofes kann eine Verjährungsfrist ihrer Funktion, die Rechtssicherheit zu wahren, nur gerecht werden, wenn sie im Voraus festgelegt ist; dabei fällt die Festlegung der Frist und der Einzelheiten ihrer Anwendung in die Zuständigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers (Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache ACF Chemiefarma/Kommission, Randnrn. 19 und 20; Geigy/Kommission, Randnr. 21; vom 24. September 2002 in der Rechtssache Falck et Acciaierie di Bolzano/Kommission, Rechtssachen C-74/00 P und C-75/00 P, Slg. 2002, I-7869, Randnr. 139; und vom 2. Oktober 2003 in den Rechtssachen C-172/01 P, C-175/01 P, C-176/01 P und C-180/01 P, International Power u. a./NALOO, Slg. 2003, I-11421, Randnr. 106).

82. Die Verjährung verhindert, dass Lagen, die sich durch Zeitablauf verfestigt haben, auf Dauer in Frage gestellt werden können. Sie dient damit einerseits der Rechtssicherheit, erlaubt andererseits aber auch die Verfestigung von Lagen, die zumindest ursprünglich rechtswidrig waren. In welchem Umfang Verjährung vorgesehen wird, ergibt sich daher aus einer Abwägung zwischen den Erfordernissen der Rechtssicherheit und jenen der Rechtmäßigkeit nach Maßgabe der geschichtlichen und sozialen Umstände, die in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit überwiegen. Ihre Festlegung ist daher allein Sache des Gesetzgebers.

83. Die Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers über die Einführung von Verjährungsvorschriften und die Festsetzung der entsprechenden Fristen kann daher vom Gemeinschaftsrichter nicht überprüft werden. Dass für die Ausübung der Befugnisse der Kommission zur Feststellung eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht keine Verjährungsfrist vorgesehen ist, kann daher in sich keine Rechtswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Rechtssicherheit darstellen.

84. Daher steht der Grundsatz der Rechtssicherheit der Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 nicht entgegen, die im Rahmen der Prüfung des ersten Teils der ersten Rüge vorgenommen wurde und nach der die dort vorgesehene Verjährung nur für die Befugnis gilt, finanzielle Sanktionen zu verhängen, und insbesondere nicht die Feststellungsbefugnis der Kommission erfasst.

85. Folglich ist der zweite Teil der ersten Rüge, soweit er unter Anrufung des Grundsatzes der Rechtssicherheit die von den Klägerinnen im Rahmen des ersten Teils der ersten Rüge vertretene Auslegung stützen soll, zurückzuweisen.

86. Die Klägerinnen führen den Grundsatz der Rechtssicherheit auch als Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung außerhalb des Rahmens der Anwendung der Verordnung Nr. 2988/74 an. Das entsprechende Vorbringen der Klägerinnen beruht im Wesentlichen auf der Vorstellung, dass die schlichte Berücksichtigung der seit der Abstellung des den Klägerinnen vorgeworfenen Verstoßes verstrichenen Zeit dem Ergreifen von Maßnahmen und dem Erlass der Entscheidung gegen sie entgegenstehe. Namentlich tragen die Klägerinnen nicht vor, dass die Kommission von den fraglichen Verstößen schon so zeitig Kenntnis gehabt hätte oder haben können und müssen, dass sie früher Maßnahmen hätte ergreifen können. Sie tragen ganz einfach vor, dass das Vorgehen der Kommission zur Feststellung der fraglichen Verstöße deswegen, weil es mit der Versendung der ersten Auskunftsersuchen betreffend Vitamin H und Folsäure fünf Jahre und vier oder fünf Monate nach der Abstellung dieser Verstöße eingeleitet wurde und ungefähr siebeneinhalb Jahre nach dieser Einstellung zur Feststellung des Verstoßes führte, unter Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit zu spät erfolgt ist.

87. Es ist jedoch nicht Sache des Gemeinschaftsrichters, die Fristen, die Tragweite oder die Einzelheiten der Anwendung der Verjährung für bestimmte Verstöße festzusetzen, sei es allgemein oder in einem ihm unterbreiteten Fall. Jedoch schließt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes das Fehlen einer gesetzlichen Verjährung nicht aus, dass das konkrete Vorgehen der Kommission am Grundsatz der Rechtssicherheit zu messen ist. Nach Auffassung des Gerichtshofs ergibt sich aus dem grundlegenden Erfordernis der Rechtssicherheit bei Fehlen von Vorschriften über die Verjährung, dass die Kommission die Ausübung ihrer Befugnisse nicht unbeschränkt aufschieben darf (Urteile des Gerichtshofs Geigy/Kommission, Randnr. 21; Falck et Acciaierie di Bolzano/Kommission, Randnr. 140; International Power u. a./NALOO, Randnr. 107; vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-372/97, Italien/Kommission, Slg. 2004, I-3679, Randnr. 116, und in der Rechtssache C-298/00 P, Italien/Kommission, Slg. 2004, I-4087, Randnr. 90).

88. Daher kann sich das Gemeinschaftsgericht bei der Prüfung der Rüge, dass die Kommission zu spät gehandelt habe, nicht auf die Feststellung beschränken, dass es keine Verjährungsfrist gebe, sondern er muss überprüfen, ob die Kommission nicht übermäßig spät gehandelt hat (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil des Gerichts vom 10. Juni 2004 in der Rechtssache T-307/01, François/Kommission, Slg. 2004, II-0000, Randnr. 46).

89. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich jedoch nicht, dass die Frage, ob ein Vorgehen der Kommission übermäßig spät erfolgte, ausschließlich anhand der Zeit zu beantworten wäre, die zwischen den fraglichen Tatsachen und der Einleitung des Vorgehens verstrichen ist. Im Gegenteil lässt sich der Rechtsprechung entnehmen, dass das Vorgehen der Kommission nicht als übermäßig spät anzusehen ist, wenn es an einer Verzögerung oder einer anderen an der Kommission vorwerfbaren Nachlässigkeit fehlt; insbesondere sind der Zeitpunkt, zu dem die Kommission Kenntnis von dem Verstoß erlangt hat, und die angemessene Dauer des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen (siehe u. a. Urteil Geigy/Kommission, Randnr. 21, wo der Gerichtshof überprüft hat, ob das Verhalten der Kommission im konkreten Fall diese daran hindere, von ihrer Befugnis zur Verhängung von Geldbußen Gebrauch zu machen; Urteil Falck et Acciaierie di Bolzano/Kommission, Randnr. 144, gelesen im Licht von Randnr. 132; Urteile vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-372/97, Italien/Kommission, Randnrn. 118 und 119, und in der Rechtssache C-298/00 P, Italien/Kommission, Randnrn. 91 und 92; siehe auch Urteile des Gerichts vom 10. April 2003 in der Rechtssache T-369/00, Département du Loiret/Kommission, Slg. 2003, II-1789, Randnr. 56, und François/Kommission, Randnrn. 48 bis 54).

90. Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Nachlässigkeit der Kommission bei der Einleitung oder dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens, sondern um den schlichten und objektiven Zeitablauf zwischen der Abstellung der Verstöße, wobei nicht behauptet wird, dass die Kommission von ihnen zu einem Zeitpunkt Kenntnis gehabt hätte oder auch nur hätte haben können und müssen, der ihr ein früheres Eingreifen erlaubt hätte. Im Übrigen ergibt sich aus der Entscheidung, dass die Kommission Hinweise auf die Verstöße im Laufe des Jahres 1999 erhalten hatte, dass sie noch im selben Jahr Auskunftsersuchen versandt hat, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte am 6. Juli 2000 angenommen und die Entscheidung am 21. November 2001 erlassen wurde; dieser zeitliche Ablauf gibt sicherlich keine Hinweise auf eine überlange Verfahrensdauer.

91. Da der schlichte Umstand, dass die Kommission eine rechtswidrige Vereinbarung, die aus offensichtlichen Gründen bewusst geheim gehalten wurde, nicht entdeckt hat, einem nachlässigen Verhalten der Kommission bei der ihr im EG-Vertrag übertragenen Überwachungsaufgabe nicht gleichgesetzt werden kann, belegt der Umstand, dass die Kommission die Ermittlungen wegen der fraglichen Verstöße erst fünf Jahre und einige Monate nach deren Abstellung aufgenommen hat und die Entscheidung erst siebeneinhalb Jahre nach diesem Zeitpunkt ergangen ist, keine Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit.

- Grundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind

92. Im Rahmen des zweiten Unterteils des zweiten Teils der ersten Rüge stellen die Klägerinnen eine Reihe von Zitaten aus der Literatur und Rechtsprechung nationaler Gerichte zur Frage der Verjährung im Recht mehrerer Mitgliedstaaten zusammen, mit Hilfe derer sie im Grundsatz belegen wollen, dass der Zweck der in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten festgelegten Verjährungsfristen dazu führt, dass diese Fristen, wenn sie einmal abgelaufen sind, nicht nur der Verhängung von Sanktionen, sondern auch der Feststellung von Verstößen entgegenstehen.

93. Die Klägerinnen haben jedoch das Vorliegen von Grundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, in Fragen der Verjährung bei weitem nicht dargetan.

94. In der in den Klageschriften angeführten nationalen Lehre und Rechtsprechung zur Verjährung im Zivil- wie im Strafrecht werden neben der Rechtssicherheit andere Gründe für die Festlegung von Verjährungsfristen genannt: die Verhinderung von Klagen, die, verspätet eingereicht, mehr in Schädigungsabsicht als im Interesse der Gerechtigkeit erhoben werden; der Verlust von Beweismitteln; die Sanktion mangelnde Sorgfalt der klagenden Partei; das nach Ablauf einer bestimmten Zeit fehlende soziale Interesse an der Verfolgung von Verstößen und das Erfordernis, dass die Behörden sich zentral mit aktuellen Fragen beschäftigen.

95. Bereits aus dem Wortlaut dieser Zitate folgt, dass der Festlegung von Verjährungsregeln unterschiedliche Gründe zugrunde liegen können. Nach Auffassung des Gerichts ist es Sache des jeweiligen Gesetzgebers, in den verschiedenen Gebieten, für die er zuständig ist, zu entscheiden, ob der eine oder der andere dieser Gründe für die Festlegung von Verjährungsfristen spricht, und die Tragweite und die Einzelheiten der Anwendung dieser Fristen nach Maßgabe der mit der Einführung der Fristen verfolgten Ziele festzulegen.

96. Insbesondere haben die Klägerinnen nicht belegen können, dass es eine den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsame Regel gäbe, nach der eine Verjährungsfrist für einen bestimmten Verstoß sowohl die Befugnis, den Verstoß zu ahnden, als auch diejenige, ihn festzustellen, erfassen müsse.

97. Selbst wenn im Übrigen in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten tatsächlich die Regel ein und derselben Verjährungsfrist für die Feststellung und die Ahndung von Verstößen existieren sollte, würde eine solche Regel noch nicht zwangsläufig in der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten. Hierzu wäre noch zusätzlich erforderlich, dass diese Regel in jenen Rechtsordnungen als echter allgemeiner Rechtsgrundsatz und nicht schlicht aufgrund spezifischer Bestimmungen gelten würde, die der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums erlassen hat.

98. Da nun aber die Verjährung selbst kein allgemeiner Rechtsgrundsatz ist (siehe oben, Randnrn. 82 und 83), kann dieser Rang erst recht nicht einer Regel zugeschrieben werden, die die Anwendung ein und derselben Verjährungsfrist für die Feststellung und die Ahndung von Verstößen vorsieht.

99. Eine solche Regel ist deshalb für den Gemeinschaftsgesetzgeber und die Gemeinschaftsverwaltung nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts verbindlich. Das Vorbringen der Klägerinnen ist deshalb zu verwerfen, und zwar sowohl insoweit, als sie - gemäß dem Erfordernis, Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechts auszulegen - die Auslegung der Verordnung Nr. 2988/74 stützen soll, die die Klägerinnen im Rahmen des ersten Teils der ersten Rüge vertreten, als auch insoweit, als sie auf die Feststellung zielt, dass die Kommission mit dem Erlass der Entscheidung gegenüber den Klägerinnen, die von der vorgeblichen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Regel abweicht, unmittelbar allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verletzt hätte.

100. Da die Klägerinnen diese angebliche gemeinsame Regel auch unabhängig von ihrer Eigenschaft als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anführen, ist daran zu erinnern, dass eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, die nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, um ihren Inhalt festzustellen, nach der Rechtsprechung generell autonom auszulegen ist, was unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zieles zu erfolgen hat (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Januar 1984 in der Rechtssache 327/82, Ekro, Slg. 1984, 107, Randnr. 11; Urteil des Gerichts vom 8. März 1990 in der Rechtssache T-41/89, Schwedler/Parlament, Slg. 1990, II-79, Randnr. 27; vom 18. Dezember 1992 in der Rechtssache T-43/90, Díaz García/Parlament, Slg. 1992, II-2619, Randnr. 36; und vom 22. April 1993 in der Rechtssache T-9/92, Peugeot/Kommission, Slg. 1993, II-493, Randnr. 39).

101. In Ermangelung einer ausdrücklichen Verweisung kann die Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegebenenfalls eine Bezugnahme auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalten, wenn der Gemeinschaftsrichter im Gemeinschaftsrecht oder den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür hat, wie Inhalt und Bedeutung durch autonome Auslegung zu bestimmen sind (Urteile des Gerichts vom 18. Dezember 1992 in der Rechtssache T-85/91, Khouri/Kommission, Slg. 1992, II-2637, Randnr. 32, und Díaz García/Parlament, Randnr. 36).

102. Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch bei der Erörterung des ersten Teils der ersten Rüge entschieden, dass Inhalt und Bedeutung des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74, soweit er die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage betrifft, sich mittels einer autonomen Auslegung dieser Bestimmung ermitteln lassen, die nach den Methoden der Wortlautauslegung, der Auslegung aus dem Zusammenhang, der teleologischen Auslegung und der systematischen Auslegung durchgeführt wird. Daher ist für die Auslegung dieser Bestimmung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten zurückzugreifen.

- Unschuldsvermutung

103. Die Klägerinnen berufen sich weiter auf die Unschuldsvermutung, wie sie in Artikel 48 Absatz 1 der Charta und in Artikel 6 Absatz 2 EMRK niedergelegt ist.

104. Die Unschuldsvermutung, wie sie sich namentlich aus Artikel 6 Absatz 2 EMRK ergibt, gehört zu den Grundrechten, die nach Artikel 6 Absatz 2 EU und einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt sind (Urteile des Gerichtshofes vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C-199/92 P, Hüls/Kommission, Slg. 1999, I-4287, Randnr. 149, und C-235/92 P, Montecatini/Kommission, Slg. 1999, I-4539, Randnr. 175).

105. Aus der Rechtsprechung ergibt sich weiter, dass die Unschuldsvermutung auf Verfahren wegen des Verstoßes gegen die auf Unternehmen anwendbaren Wettbewerbsregeln, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, anwendbar ist (vgl. Urteile Hüls/Kommission, Randnr. 150; Montecatini/Kommission, Randnr. 176, und Volkswagen/Kommission, Randnr. 281).

106. Die Unschuldsvermutung will, dass jede angeklagte Person als unschuldig gilt, bis ihre Schuld gesetzlich festgestellt ist. Sie verbietet damit jede förmliche Feststellung und selbst jede Anspielung auf die Verantwortlichkeit einer des Verstoßes angeklagten Person in einer Entscheidung, die das Verfahren beendet, wenn diese Person nicht alle Garantien für die Ausübung der Verfahrensrechte im Rahmen eines normalen Verfahrensablaufs, der auf eine Entscheidung über die Begründetheit der Beanstandung zielt, hat ausnützen können.

107. Hingegen verbietet die Unschuldsvermutung nicht, dass die Verantwortlichkeit der eines Verstoßes angeklagten Person am Ende eines vollständig abgelaufenen Verfahrens festgestellt wird, in dem alle Formen beachtet wurden und die Verfahrensrechte daher in vollem Umfang haben ausgeübt werden können, selbst wenn der Verstoßende nicht geahndet werden kann, weil die entsprechende Befugnis der zuständigen Behörde verjährt ist.

108. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, auf die die Klägerinnen sich berufen (s. o. Randnr. 70), sollte sie im vorliegenden Fall anwendbar sein, bestätigt nur die in den Randnummern 106 und 107 angestellten Erwägungen.

109. Daher ist zum einen festzustellen, dass die Auslegung der Verordnung Nr. 2988/74, zu der das Gericht bei der Prüfung des ersten Teils der ersten Rüge gelangt ist, nicht gegen die Beachtung der Unschuldsvermutung verstößt. Aus dieser Auslegung ergibt sich nämlich nicht, dass die Kommission befugt wäre, das Vorliegen eines Verstoßes durch eine Entscheidung festzustellen, die vorzeitig das in der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Verfahren beendet, weil die in Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 festgelegte Verjährungsfrist abgelaufen ist. Nach dieser Auslegung steht die Verordnung Nr. 2988/74, die die Befugnis der Kommission zur Feststellung von Verstößen nicht betrifft, dem nicht entgegen, dass die Kommission, wenn sie feststellt, dass die Verjährung nach Artikel 1 Absatz 1 dieser Verordnung eingetreten ist, das Verfahren zum alleinigen Zweck der Feststellung des Verstoßes fortführt, solange das Verfahren seinen normalen Gang nimmt und alle Verfahrensgarantien beachtet werden.

110. Zum anderen ergibt sich nicht, dass die Kommission im vorliegenden Fall die Unschuldsvermutung verkannt hätte. Die Entscheidung hat das Verfahren gegen die Klägerinnen nicht wegen des Ablaufs der Verjährungsfrist beendet, sondern sie ist am Ende eines Verfahrens erfolgt, das seinen normalen Gang gegangen ist und in dessen Rahmen die Klägerinnen sämtliche Verfahrensgarantien hatten, die den Unternehmen zustehen, bevor gegen sie eine Entscheidung der Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln erlassen werden kann; das wird dadurch bestätigt, dass die Klägerinnen dies nicht bestreiten.

111. Daher können sich die Klägerinnen im vorliegenden Fall nicht auf die Unschuldsvermutung berufen.

112. Nach alledem ist dieser Teil der ersten Rüge ebenso wie der erste unbegründet und folglich diese Rüge insgesamt zurückzuweisen.

2. Die zweite Rüge: Unzuständigkeit der Kommission

Parteivorbringen

113. Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission sei nicht zuständig gewesen, eine Entscheidung zu erlassen, nach der sie Artikel 81 Absatz 1 EG zuwider gehandelt hätten. Weder Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 noch eine andere Bestimmung ermächtigten die Kommission, eine Entscheidung zur Feststellung eines Verstoßes zu erlassen, wenn dieser Verstoß nach Artikel 1 der Verordnung 2988/74 bereits verjährt sei.

114. Der EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 17 ermächtigten die Kommission ausdrücklich nur dazu, Maßnahmen zu ergreifen, um einen bestehenden Verstoß abzustellen, und Geldbußen oder Zwangsgelder zu verhängen. Weder der EG-Vertrag noch die Verordnung Nr. 17 behandelten hingegen die Frage, ob die Kommission befugt sei, durch Entscheidung festzustellen, dass ein Unternehmen die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags in der Vergangenheit verletzt habe, wenn dieser Verstoß eindeutig vor der Entscheidung oder selbst vor der Eröffnung des Verfahrens der Kommission abgestellt worden sei.

115. Die Klägerinnen erkennen, dass der Gerichtshof im Urteil GVL/Kommission entschieden hat, dass die Befugnis der Kommission, eine Entscheidung zu treffen, durch die die Unternehmen verpflichtet werden sollen, einen von ihr festgestellten Verstoß abzustellen, und Geldbußen und im Falle einer Zuwiderhandlung Zwangsgelder zu verhängen, notwendig die Befugnis umfasse, einen Verstoß festzustellen. Jedoch habe der Gerichtshof in diesem Urteil auch ausgeführt, dass die Kommission eine Entscheidung, mit der nur ein bereits abgestellter Verstoß festgestellt werde, nur erlassen dürfe, wenn sie ein legitimes Interesse daran belege, insbesondere die ernstliche Gefahr einer Wiederholung des fraglichen Verhaltens, das eine Klärung der Rechtslage durch eine förmliche Entscheidung rechtfertige.

116. Die Kommission habe in ihrer Praxis vor Erlass der Entscheidung anerkannt, dass sie einen bereits abgestellten Verstoß nur durch Entscheidung feststellen könne, wenn ein legitimes Interesse bestehe; sie habe im vorliegenden Fall auch anerkannt, dass die gerügten, den Klägerinnen vorgeworfenen Verstöße eindeutig bereits 1994 abgestellt worden seien. Gleichwohl habe sie kein legitimes Interesse daran dargelegt, durch die Entscheidung festzustellen, dass die Klägerinnen Artikel 81 EG zuwidergehandelt hätten.

117. Das Erfordernis eines legitimen Interesses sei eng auszulegen (Schlussanträge des Generalanwalts Reischl in der Rechtssache GVL/Kommission, S. 512 bis 521). Die Klägerinnen hätten im Laufe des Verwaltungsverfahrens keine Rechtsfrage aufgeworfen, die durch eine förmliche Entscheidung der Kommission hätte geklärt werden müssen, sondern nur tatsächlich ihre Beteiligung an den angeblichen Vereinbarungen bestritten.

118. Daher habe im vorliegenden Fall keine wirkliche Gefahr bestanden, dass die Klägerinnen zu der fraglichen Verhaltensweise zurückkehren würden, da diese mehr als fünf Jahre vor der Entscheidung abgestellt worden sei und die Beklagte seitdem keinen Rückfall und keinen anderen Grund festgestellt habe, der einen Rückfall wahrscheinlicher als in anderen Fällen machen würde.

119. Die Beklagte macht geltend, die Klägerinnen hätten zugestehen müssen, dass sie über eine stillschweigende Befugnis zum Erlass von Entscheidungen verfüge, die einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln feststellten, wenn dieser Verstoß bereits abgestellt sei und keine Geldbuße verhängt werde. Das könne sie nur tun, wenn sie ein legitimes Interesse an diesem Vorgehen habe.

120. Die Voraussetzungen, unter denen die Kommission diese Befugnis ausübe, brauchten jedoch nicht eng ausgelegt zu werden. Nichts deute insbesondere darauf hin, das der Gerichtshof im Urteil GVL/Kommission die Befugnis der Kommission zum Erlass von Entscheidungen zur Feststellung eines Verstoßes auf Fälle rechtlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gerügten Verhaltens hätte beschränken wollen. Im Übrigen sei der Gerichtshof in diesem Urteil den Schlussanträgen des Generalanwalts Reischl nicht gefolgt, namentlich, was die fragliche stillschweigende Befugnis angehe, so dass man sich nicht auf die Erwägungen des Generalanwalts stützen könne, um das Urteil auszulegen.

121. Auch gebe es keinen Grund zu dem Schluss, dass eine stillschweigende Befugnis ipso facto Ausnahmecharakter hätte. Die stillschweigende Befugnis, Verstöße durch Entscheidung festzustellen, wenn daran ein legitimes Interesse betreffend die Anwendung des Rechts des Wettbewerbs bestehe, stelle keine Ausnahme von den Befugnissen dar, die die Verordnung Nr. 17 der Kommission übertrage, sondern ergänze diese. Die ausdrücklichen Befugnisse der Kommission beruhten auf der insbesondere in Artikel 83 Absatz 2 Buchstabe d EG und Artikel 85 EG formulierten Überlegung, dass es Sache der Kommission sei, über die Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die Unternehmen zu wachen und gegebenenfalls einen Verstoß gegen diese Regel festzustellen (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 22). Es sei daher nicht angebracht, a priori die Frage zu beantworten, ob die stillschweigende Befugnis der Kommission eng oder weit auszulegen sei. Wichtig sei, sich der Umstände zu vergewissern, unter denen ein Verstoß festgestellt werden müsse, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln durch die Unternehmen sicherzustellen. Dieses Erfordernis werde durch das Kriterium des legitimen Interesses ausgedrückt.

122. Es gebe daher auch noch andere legitime Interessen als die Klärung der Rechtslage, die die Feststellung eines abgestellten Verstoßes rechtfertigen könnten, z. B.:

- das Interesse daran, ein vorbildliches Verhalten der Unternehmen zu fördern, indem besonders schwere Verstöße in einer Entscheidung dargelegt würden, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens erlassen würde, in dem die Unschuldsvermutung und die Verfahrensrechte voll beachtet würden, und zumal dann, wenn die Unternehmen, wie die Klägerinnen im vorliegenden Fall, den Sachverhalt und den Verstoß im Laufe dieses Verfahrens bestritten;

- das Interesse daran, von einem Rückfall abzuhalten, da die Feststellung eines Verstoßes gemäß Punkt 2 der Richtlinien für die Berechnung der in Anwendung des Artikels 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und des Artikels 65 Absatz 5 des EGKS-Vertrags auferlegten Geldbußen (ABl. 1998, C 9, S. 3) die Grundlage dafür sein könne, wegen des Rückfalls die einem Unternehmen im Fall eines späteren gleichartigen Verstoßes auferlegten Geldbußen zu erhöhen;

- das Interesse daran, die Befassung nationaler Zivilgerichte durch Verletzte zu ermöglichen, die nicht die Befugnisse zur Erlangung von Beweisen auf Gemeinschaftsebene wie die Kommission hätten und daher nicht unbedingt in der Lage seien, im Fall eines weite Teile der Erde umfassenden Verstoßes, den die verantwortlichen Unternehmen bestritten, die erforderlichen Beweise zu erbringen.

123. Da nun den Klägerinnen sehr schwere Verstöße vorgeworfen würden und sie die Tatsachen bestritten, was sich klar aus dem Text der Entscheidung ergebe, seien diese drei legitimen Interessen im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerinnen würden ohne Zweifel auch im Rahmen eines nationalen Verfahrens die ihnen vorgeworfenen Fakten bestreiten, es sei durchaus möglich, dass es zum Rückfall komme, wenn die festgestellten Verstöße nicht öffentlich gerügt würden, und ein Kartell, bei dem es zur Festsetzung von Preisen und zum Austausch von Informationen komme, sei ein sehr schwerer Verstoß, der bei der Festsetzung der Geldbuße nicht außer Acht gelassen werden könne, wenn eine solche im Fall eines Rückfalls zu verhängen wäre.

124. In ihrer Erwiderung führen die Klägerinnen aus, die von der Beklagten angeführten Interessen rechtfertigten den Erlass der Entscheidung ihnen gegenüber nicht.

125. Was das Interesse an der Förderung eines exemplarischen Verhaltens der Unternehmen und das Interesse daran, Rückfälle zu verhindern, anbelange, so habe das in ihrem Fall bereits die Mitteilung der Beschwerdepunkte bewirkt, so dass es nicht erforderlich gewesen sei, ihnen gegenüber die Entscheidung zu erlassen, die im Wesentlichen den rechtlichen Inhalt dieser Mitteilung übernommen habe. Was die Generalprävention anbelange, so reiche die Entscheidung gegenüber den Kartellunternehmen aus, bei denen keine Verjährung eingetreten sei. Wollte man im Übrigen zugestehen, dass auch ohne tatsächliche Gefahr einer Wideraufnahme der fraglichen Praktiken ein legitimes Interesse daran bestehe, von einem Rückfall abzuhalten, so könnte die Kommission in jedem Fall unabhängig von den Gegebenheiten der Sache und dem Datum, zu dem der Verstoß begangen wurde, einen Verstoß feststellen.

126. Das Interesse daran, die Befassung nationaler Zivilgerichte durch die Verletzten zu erlauben, sei nicht legitim. Die Beklagte sei weder durch EG-Vertrag noch durch die Verordnung Nr. 17 damit betraut, eine solche Befassung zu ermöglichen.

127. Die Beklagte führt in ihrer Gegenerwiderung aus, sie mache nicht allgemein geltend, dass in allen Fällen ein legitimes Interesse an der Feststellung eines Verstoßes bestehe. Die Gefahr eines Rückfalls zum Schaden des Allgemeininteresses sei im Fall von besonders schwerwiegenden Kartellen besonders ernst zu nehmen, namentlich bei Verstößen, die ihrer Natur nach geheim und von der Kommission nur schwer aufzudecken seien. Deshalb falle die Abwägung zwischen den Interessen der Adressaten und dem Allgemeininteresse im Fall sehr erheblicher Verstöße anders aus als im Fall geringfügiger Verstöße.

128. Was das Interesse an der Befassung nationaler Gerichte angehe, so sei es für die durch einen weite Teile der Erde erfassenden Verstoß Verletzten besonders schwierig, diese zu beweisen; daher sei es von Belang, dass die Kommission ihre Befugnis zur Erlangung von Beweisen in Verfahren über geheime Kartelle ausübe. Sie habe dieses Interesse nicht regelmäßig zur Rechtfertigung einer Feststellung eines Verstoßes geltend gemacht, sondern ebenso wie das Interesse, von einem Rückfall abzuhalten, nur im Fall besonders schwerer Verstöße. Im Übrigen könne ziviler Schadensersatz auch eine Funktion des öffentlichen Interesses erfüllen, da er von der Verletzung der Wettbewerbsregeln abhalten könne. Das Gemeinschaftsrecht betrachte Schadensersatz als für die vollständige Anwendung der Artikel 81 EG und 82 EG lebenswichtig (Urteil des Gerichtshofes vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-453/99, Courage et Crehan, Slg. 2001, I-6297).

Rechtliche Würdigung

129. Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission sei zum Erlass der Entscheidung ihnen gegenüber nicht zuständig gewesen, da es keine Bestimmung gebe, die sie ermächtige, bereits abgestellte Verstöße durch Entscheidungen festzustellen, zumal, wenn die Verjährungsfrist des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 bereits abgelaufen sei, sofern sie kein legitimes Interesse am Erlass dieser Entscheidung ihnen gegenüber dartun könne.

130. Was das oben in den Randnummern 113 und 114 wiedergegebene Vorbringung der Klägerin betrifft, so wurde bereits in Randnummer 37 dieses Urteils ausgeführt, dass die Abstellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln vor Erlass einer Entscheidung der Kommission in sich keinen Umstand darstelle, der die Kommission an der Ausübung ihrer Befugnis zur Feststellung dieses Verstoßes hinderte, da der Gerichtshof entschieden hat, dass die Kommission einen Verstoß feststellen könne, den das betroffene Unternehmen bereits abgestellt habe, sofern die Kommission daran ein legitimes Interesse habe (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 24).

131. Ferner wurde oben in Randnummer 63 festgestellt, dass die Befugnis der Kommission zur Feststellung eines Verstoßes im Rahmen der Regelung der Verordnung Nr. 17 sich nur stillschweigend ergebe, da die ausdrücklichen Befugnisse, die Abstellung eines Verstoßes aufzugeben und Geldbußen zu verhängen, sie zwangsläufig voraussetzten (Urteil GVL/Kommission, Randnr. 23), dass aber diese stillschweigende Befugnis nicht nur zum Zwecke der Ausübung der ausdrücklichen Befugnisse der Kommission eingeräumt sei. Dass die Kommission Verstoßenden keine Geldbußen auferlegen kann, weil die Verjährungsfrist des Artikels 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/74 bereits abgelaufen ist, steht daher in sich der Feststellung dieses Verstoßes nicht entgegen.

132. Das oben in den Randnummern 115 bis 118 wiedergegebene Vorbringen der Klägerinnen wirft in Wirklichkeit nicht die Frage auf, ob die Kommission befugt war, die den Klägerinnen vorgeworfenen Verstöße durch Entscheidung festzustellen, sondern die Frage, ob die Kommission im vorliegenden Fall ein legitimes Interesse an der Feststellung dieser Verstöße hatte (vgl. Urteile GVL/Kommission, Randnr. 24). Mit diesem Vorbringen wird demnach der Sache nach die Art der Ausübung dieser Befugnis gerügt.

133. Das Gericht muss feststellen, dass sich aus der Entscheidung nicht ergibt, dass die Kommission die Frage, ob sie ein solches Interesse habe, tatsächlich geprüft hätte.

134. In der mündlichen Verhandlung wurde die Beklagte hierzu befragt. Sie stützte sich auf die Begründungserwägung 651 der Entscheidung, in der die Kommission geschlossen habe, dass es angebracht sei, den Verstoß der Klägerinnen festzustellen; dieser Schluss laufe darauf hinaus, dass sie ein legitimes Interesse an dieser Feststellung habe.

135. In dieser Begründungserwägung heißt es, dass die Verjährungsvorschriften ausschließlich die Anwendung von Geldbußen oder Sanktionen betreffen und dass sie keinen Einfluss auf das Recht der Kommission haben, Kartellsachen zu untersuchen und gegebenenfalls Untersagungsverfügungen zu erlassen. Mit diesen Feststellungen verwirft die Kommission nur das Vorbringen der Klägerinnen, die fraglichen Verstöße könnten, falls sie nachgewiesen wären, nicht Gegenstand einer Entscheidung sein, weil Verjährung eingetreten sei. Aus ihnen lässt sich nicht ableiten, dass die Kommission sich gefragt hätte, ob sie ein legitimes Interesse an der Feststellung der Verstöße, die die Klägerinnen bereits abgestellt hatten, durch Entscheidung habe.

136. Dadurch, dass die Kommission bei Erlass der Entscheidung nicht geprüft hat, ob an der Feststellung der Verstöße der Klägerinnen ein legitimes Interesse bestehe, hat sie einen Rechtsfehler begangen, der zur Nichtigerklärung der Entscheidung führt, soweit sie die Klägerinnen betrifft.

137. Zudem hat die Beklagte vor dem Gericht das Vorliegen eines legitimen Interesses nicht dargetan. Sicher hat sie ausgeführt, dass neben dem Interesse an der Klärung der Rechtslage, das unter den Umständen der Rechtssache GVL/Kommission anerkannt wurde, andere Interessen im vorliegenden Fall den Erlass der Entscheidung gegenüber den Klägerinnen rechtfertigen könnten, nämlich das Interesse daran, ein vorbildliches Verhalten der Unternehmen zu fördern, daran, angesichts der besonders schweren Verstöße, von einem Rückfall abzuhalten, und daran, die Befassung nationaler Zivilgerichte durch Verletzte zu erlauben.

138. Die Beklagte beschränkt sich jedoch darauf, ganz allgemein drei Fälle zu verkünden, ohne auf den vorliegenden Fall angewandt bezüglich der sehr schweren und sehr verbreiteten, den Klägerinnen vorgeworfenen Verstöße darzutun, dass diese Fälle hier vorlägen und folglich ein legitimes Interesse an der Feststellung der Verstöße gegenüber den Klägerinnen belegten. Die Kommission hat gegenüber dem Gericht nicht konkret erklärt, warum die Schwere und die geografische Ausdehnung der Verstöße im Fall der Klägerinnen die Feststellung der abgestellten Verstöße durch Entscheidung erforderlich mache. Sie hat auch nicht den geringsten Hinweis dafür vorgebracht, dass die Gefahr eines Rückfalls der Klägerinnen bestehe. Sie hat auch nicht, bezogen auf den vorliegenden Fall, Hinweise auf Klagen beigebracht, die durch die Verstöße verletzte Dritte eingereicht hätten oder die auch nur in Aussicht stünden.

139. Außerdem haben die Klägerinnen bestritten, dass die von der Beklagten vor dem Gericht geltend gemachten Interessen legitim seien. Sie haben geltend gemacht, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte sie hinreichend von einer Wiederholung abhalte, dass es keine wirkliche Gefahr einer Wiederholung der wettbewerbswidrigen Praktiken gebe und dass das Bemühen, die Befassung nationaler Gerichte zu ermöglichen, bereits in sich zweifelhaft sei. Die Beklagte hat auf diese Einwendungen keine detaillierte Antwort gegeben, die ein legitimes Interesse hätte dartun können.

140. Die zweite Rüge greift somit durch.

Der Antrag der Klägerinnen, bestimmte Daten von der Veröffentlichung der vorliegenden Rechtssachen auszunehmen

141. Die Klägerinnen haben in ihren Klageschriften beantragt, das Gericht möge in den Veröffentlichungen betreffend die vorliegenden Rechtssachen angesichts von deren Gegenstand Hinweise auf die Erzeugnisse und auf die Zeiträume der ihnen in der Entscheidung vorgeworfenen Verstöße auslassen.

142. Aus den von den Klägerinnen zu den Akten gereichten Schriftstücken im Anhang zu ihrer Erwiderung ergibt sich, dass nach der Erhebung der vorliegenden Klagen eingehende Erörterungen zwischen den Klägerinnen und der Kommission über die Veröffentlichung der Entscheidung stattfanden. Die Klägerinnen hatten von der Kommission verlangt, in der veröffentlichten Fassung der Entscheidung ihre Firmennamen, das Vitaminerzeugnis, für das ihnen jeweils ein Verstoß zur Last gelegt worden sei, und andere Hinweise zu ihrer Identifizierung als Unternehmen, die an einem rechtswidrigen Kartell teilgenommen hätten, zu streichen.

143. Die Kommission hat diese Anträge letztlich zurückgewiesen; die nicht vertrauliche Fassung der Entscheidung, die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Januar 2003 veröffentlicht wurde, erwähnt offen die Gesichtspunkte, die Gegenstand der Anträge der Klägerinnen oben in Randnummer 141 waren (vgl. insbesondere Artikel 1 der Entscheidung).

144. Diese Informationen gelangten somit nach der Erhebung der vorliegenden Klagen in den öffentlichen Bereich; sie können daher nicht Gegenstand einer vertraulichen Behandlung sein (Beschlüsse des Präsidenten der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts vom 9. November 1994 in der Rechtssache T-7/93, Langnese Iglo/Kommission, Slg. 2004, II-0000, Randnr. 11; des Präsidenten der Fünften erweiterten Kammer des Gerichts vom 3. Juni 1997, Gencor/Kommission, Rechtssache T-102/96, Slg. II-879, Randnr. 29; und des Präsidenten der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts vom 3. Juli 1998 in der Rechtssache T-143/96, Volkswagen und Volkswagen Sachsen/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20). Der Antrag der Klägerinnen ist daher zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

145. Nach Artikel 87 Absatz 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei auf entsprechenden Antrag die Kosten. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung 2003/2/EG der Kommission vom 21. November 2001 wegen eines Verfahrens der Anwendung des Artikel 81 EG und des Artikels 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/37.512 - Vitamine) wird für nichtig erklärt, soweit sie die Klägerinnen betrifft.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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