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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 13.12.1990
Aktenzeichen: T-116/89
Rechtsgebiete: EWG, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG Art. 85 Abs. 1
EWG Art. 173
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein von einem Mitglied der Kommission an die Behörden eines Mitgliedstaats gerichtetes Schreiben, das keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt, wie sie aus einer Freistellungsentscheidung, einem Negativattest oder einer Entscheidung, mit der einstweilige Maßnahmen angeordnet werden, folgen, sondern nur eine erste Einschätzung einer Vereinbarung zwischen Unternehmen durch die Dienststellen der Kommission im Hinblick auf Artikel 85 EWG-Vertrag wiedergibt und sich darauf beschränkt, Änderungen dieser Vereinbarung vorzuschlagen unter dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Verfahrensrechte der an der Vereinbarung Beteiligten und desjenigen, der gegen diese Vereinbarung Beschwerde führt, unberührt bleiben, kann nicht als eine Handlung angesehen werden, die mit einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag angefochten werden kann.

Der Umstand, daß die nationalen Behörden aufgrund dieses an sie gerichteten Schreibens Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht erlassen haben, ändert nichts an dessen Rechtsnatur. Für die Kommission ergibt sich nämlich weder aus dieser Vorschrift noch aus der Verordnung Nr. 17, noch aus Artikel 5 EWG-Vertrag eine Befugnis, an einen Mitgliedstaat eine verbindliche Entscheidung darüber zu richten, wie sich die nationalen Behörden in bezug auf eine unter Artikel 85 EWG-Vertrag fallende Vereinbarung zwischen Unternehmen verhalten sollen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 13. DEZEMBER 1990. - PRODIFARMA UND KATWIJK FARMA BV UND LAGAP BV UND MEDICALEX BV UND POLYFARMA BV UND STEPHAR BV GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFT. - WETTBEWERB - OMNI-PARTIJEN AKKOORD - ZULAESSIGKEIT - RECHTSNATUR DER ANGEFOCHTENEN HANDLUNG. - RECHTSSACHE T-116/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der vorliegende Rechtsstreit geht auf die seit den 70er Jahren vom niederländischen Staat unternommenen Versuche zurück, die Kosten für Arzneimittel, die ausserhalb der Krankenhäuser und anderen Pflegeeinrichtungen abgegeben werden, einzudämmen. Er steht in engem Zusammenhang mit den Rechtssachen T-113/89 (Nefarma/Kommission, Slg. 1990, II-797) und T-114/89 (VNZ/Kommission, Slg. 1990, II-827) sowie mit der Rechtssache T-3/90 (Prodifarma/Kommission II, Unzulässigkeitsbeschluß vom 23. Januar 1991, noch nicht in der amtlichen Sammlung der Rechtsprechung veröffentlicht). Die in diesen Rechtssachen jeweils eingereichten Klagen richten sich gegen die Reaktion der Kommission auf eine Vereinbarung, die im Zusammenhang mit einer Änderung der niederländischen Regelung über die Gewinnspanne der Apotheker eine Senkung der Preise vorsieht, zu denen Arzneimittel an Apotheker geliefert werden. Nahezu alle niederländischen Repräsentativorganisationen von Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, von Krankenkassen und Krankenversicherern sowie von Berufsgruppen, die mit der Arzneimittelversorgung zu tun haben, haben sich dieser Vereinbarung angeschlossen, die deswegen auch "Omni-Partijen-Akkoord" ("Allparteienvereinbarung"; hiernach: "OPA") genannt wird. Das Gericht hat bei der Feststellung des Sachverhalts von Amts wegen die Sachverhaltsangaben berücksichtigt, die in den Akten der Parallelrechtssachen T-113/89 und T-114/89 enthalten sind.

1. Die nationale Regelung

2 Das wichtigste Interventionsinstrument des niederländischen Staats bezueglich der Kosten der Arzneimittelversorgung ist die Wet tarieven gezondheidszorg (Gesetz über die Tarife im Gesundheitswesen; hiernach: "WTG") vom 20. November 1980 (Stbl. 1980, S. 646), die Regeln für die Tarife von medizinische Versorgung leistenden Einrichtungen oder Personen enthält, zu denen auch die Apotheker und die eine Apotheke betreibenden Allgemeinärzte gerechnet werden. Artikel 2 Absatz 1 der WTG verbietet generell, einen Tarif anzuwenden, der nicht gemäß dem Gesetz genehmigt oder festgesetzt worden ist.

3 Die Festsetzung und Genehmigung der Tarife für das Gesundheitswesen ist nach der WTG dem Centraal Orgaan Tarieven Gezondheidszorg (Zentralstelle für die Tarife im Gesundheitswesen; hiernach: "COTG") anvertraut, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das COTG kann Richtlinien erlassen über die Höhe, den Aufbau und die Art und Weise der Anwendung eines Tarifs oder eines Teils hiervon. Diese Richtlinien bedürfen der Genehmigung des Ministers für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur, des Ministers für Wirtschaft und desjenigen Ministers, der aufgrund seiner Verantwortung für die Politik in bezug auf die jeweilige Kategorie von Einrichtungen oder Personen, die medizinische Versorgung leisten, mit betroffen ist. Nach Artikel 13 der WTG muß das COTG diese Richtlinien bei seinen Entscheidungen über die Genehmigung oder Festsetzung von Tarifen berücksichtigen. Gemäß Artikel 14 können der Minister für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur und der Minister für Wirtschaft gemeinsam dem COTG Weisungen über den Inhalt der Richtlinien erteilen. Das COTG ist gehalten, diesen Weisungen beim Erlaß der Richtlinien Folge zu leisten.

4 Aufgrund dieser Bestimmung erteilten der Staatssekretär für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur und der Staatssekretär für Wirtschaft am 21. April 1987 die Weisung, Richtlinien zur Änderung der Regelung über die an Apotheker für die Lieferung von Arzneimitteln zu zahlenden Vergütungen zu erlassen, um in diesem Sektor Einsparungen zu erzielen.

5 Die Weisung war zum einen darauf gerichtet, daß von der Vergütung, die der Apotheker verlangen kann, die Nachlässe abgezogen werden, die der Arzneimittellieferant ihm eingeräumt hat, soweit diese Nachlässe 2 % des für das betreffende Arzneimittel geltenden, durch das COTG anerkannten Listenpreises übersteigen.

6 Zum anderen war die Weisung darauf gerichtet, die Apotheker zum Ankauf und zur Lieferung von Generika oder von parallel importierten Arzneimitteln zu ermuntern, die billiger sind als die vom Hersteller oder vom offiziellen Importeur auf den niederländischen Markt gebrachten Arzneispezialitäten. Zwar wählt grundsätzlich der verschreibende Arzt das Arzneimittel aus, das der Verbraucher kaufen soll, doch hat der Apotheker die Möglichkeit, auf Verlangen des Verbrauchers ein anderes, gleichwertiges Arzneimittel zu liefern. Auf diese Weise kann der Apotheker an der Ersetzung von Arzneispezialitäten durch parallel importierte Arzneimittel oder Generika mitwirken. Die Weisung sah vor, daß der Apotheker als Anreizprämie ein Drittel des Preisunterschieds zwischen der verschriebenen teureren Arzneispezialität und dem von ihm gelieferten billigeren Arzneimittel für sich selbst behalten kann.

7 Zum 1. Januar 1988 führte das COTG eine Regelung ein, die mit der eben beschriebenen Weisung übereinstimmte. Zwar ist nach wie vor umstritten, ob diese Regelung die erwünschten oder aber nachteilige Folgen hatte; es wird jedoch überwiegend eingeräumt, daß nicht im erhofften Maß Einsparungen erzielt werden konnten. Die niederländische Regierung suchte deshalb nach noch strengeren Maßnahmen zur Kontrolle der Preise. Zu diesem Zweck legte sie einen Plan vor, das sogenannte "ijkprijzensysteem", wonach für alle Arzneimittel, die zur Behandlung einer bestimmten Krankheit verschrieben werden können, ein Hoechstbetrag der Erstattung durch die Krankenkassen festgesetzt wird, so daß bei Verordnung eines Arzneimittels, das mehr kosten würde als der festgesetzte Betrag, der Patient den Unterschiedsbetrag selbst zuzahlen müsste. Zur Durchführung dieses Plans ist es jedoch unter anderem deshalb nicht gekommen, weil die Berufsvereinigungen des Sektors Gesundheitswesen dem Staat als Alternativplan zur Erzielung der als notwendig angesehenen Einsparungen, die gemäß einem Beschluß der niederländischen Regierung jährlich 420 Mio HFL erreichen sollten, den OPA vorschlugen.

2. Der Omni-Partijen-Akkoord (OPA)

a) Die Vertragsparteien des OPA

8 Als Ergebnis früherer Initiativen der Nederlandse Associatie van de Farmaceutische Industrie "Nefarma" (Niederländischer Verband der pharmazeutischen Industrie), eines der Kläger in der Rechtssache T-113/89, und der Vereniging van Nederlandse Ziekenfondsen "VNZ" (Vereinigung der Niederländischen Krankenkassen), eines der Kläger in der Rechtssache T-114/89, wurde am 18. August 1988 der OPA geschlossen.

9 Am OPA sind - bis auf eine Ausnahme - die Repräsentativorganisationen aller von der Verschreibung und Lieferung von Arzneimitteln betroffenen Gruppen beteiligt, d. h. der Hersteller und der Lieferanten, der verschreibenden Ärzte und der Apotheker sowie der Versicherer und der Krankenkassen, die die Arzneimittelkosten tragen.

10 Die Ausnahme betrifft die Prodifarma, die Klägerin in der vorliegenden Rechtssache und in der Rechtssache T-3/90; bei ihr handelt es sich um eine Organisation, in der sich kleinere Unternehmen als die der Markenarzneimittelindustrie zusammengeschlossen haben, die Generika oder Arzneispezialitäten herstellen oder auch Generika parallel importieren. Obwohl Prodifarma an den Vorberatungen über den OPA teilgenommen hatte, sind sie und die ihr angeschlossenen Unternehmen ihm nicht beigetreten. Auch die niederländische Regierung ist nicht am OPA beteiligt.

b) Der Inhalt des OPA

11 Der OPA gliedert sich in zwei Hauptteile verschiedenen Charakters. Zum einen enthält er einen privatrechtlichen Vertrag zwischen den Beteiligten, wonach sich die Hersteller und die Händler verpflichten, gegenüber den Apothekern die Einkaufspreise für Arzneimittel zu senken. Zum anderen enthält er Vorschläge der Beteiligten für Änderungen der oben beschriebenen nationalen Regelung, die der Staat nach ihrem Willen vornehmen soll, bevor ihr privatrechtlicher Vertrag durchgeführt wird. Diese beiden Hauptbestandteile werden durch eine Reihe von Bestimmungen ergänzt, die den Anwendungsbereich des OPA und die Verpflichtungen der Beteiligten bei der Durchführung der von ihnen vorgeschlagenen Regelung betreffen.

12 Die wichtigsten Bestimmungen des OPA lassen sich wie folgt zusammenfassen. Unter Punkt 7.1 des OPA erklären sich die beiden Kläger in der Rechtssache T-113/89, die Nefarma und der Bond van Groothandelaren in het Pharmaceutische Bedrijf (Verband der Großhändler im Arzneimittelsektor), bereit, gegenüber den Apothekern die Einkaufspreise für Arzneispezialitäten um durchschnittlich 7 % zu senken. Unter Punkt 8 des OPA ist ein "Preisstop" bis zum 1. Januar 1991 vorgesehen. Die Beteiligten erklären ferner, daß sie von "Nachschlagspreiserhöhungen" nach diesem Zeitpunkt absehen werden. Unter Punkt 9 verpflichten sich die Kläger, die Preise von neu einzuführenden Arzneimitteln so hoch festzusetzen, wie es dem Durchschnitt der in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten verlangten Preise entspricht.

13 Die Änderungen der nationalen Regelung, die dem Staat von den am OPA Beteiligten vorgeschlagen wurden, betreffen erstens eine Erhöhung der Nachlässe, die ein Apotheker erhalten kann, ohne daß sie bei der Erstattung durch die Krankenkassen berücksichtigt werden, von 2 % auf 4 % (Punkt 10). Zweitens wird der Staat aufgefordert, die oben beschriebene Prämie, die der Apotheker als Anreiz für die Abgabe von billigeren Arzneimitteln erhält, von 33,3 % auf 15 % herabzusetzen (Punkt 11).

14 Anhang 2 des OPA enthält Schätzungen der am OPA Beteiligten über die Entwicklung des Marktes nach der Einführung einer Prämie von 15 %. Der Umsatz beim Verkauf von Arzneispezialitäten sollte von 1988 bis 1990 von 1 750 Mio HFL auf 1 700 Mio HFL zurückgehen, dagegen der mit Generika von 250 Mio HFL auf 360 Mio HFL und der mit parallel importierten Arzneimitteln von 135 Mio HFL auf 200 Mio HFL steigen.

3. Die Verwaltungsverfahren

15 Mit Schreiben vom 6. September 1988 legte der Präsident der Nefarma dem Staatssekretär für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur und dem Staatssekretär für Wirtschaft den OPA vor. Ende November 1988 erklärte sich der niederländische Staat bereit, dem OPA eine Chance zu geben. Es war geplant, die im OPA vorgesehenen Preissenkungen am 1. Januar 1989 in Kraft treten zu lassen.

16 In der Folgezeit wurden bei der Kommission zwei parallele Verfahren betreffend den OPA eingeleitet. Am 2. Dezember 1988 beantragte die Prodifarma, eine der Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache, bei der Kommission gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag (ABl. Nr. 13, S. 204), festzustellen, daß der OPA gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstösst. Sie ersuchte die Kommission, die Durchführung des OPA während des Untersuchungsverfahrens zu untersagen und im Falle einer Anmeldung des OPA Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 anzuwenden. Des weiteren meldete die Nefarma, einer der Kläger in der Rechtssache T-113/89, den OPA am 9. Dezember 1988 im Namen aller an ihm Beteiligten bei der Kommission an. Diese Anmeldung wurde unter der Nummer IV/33.017 in das Register der Kommission eingetragen. Die Nefarma beantragte die Ausstellung eines Negativattests gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17, hilfsweise eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag.

17 In einem Schreiben vom 14. Dezember 1988, das von Herrn Rocca, dem Leiter einer Direktion in der Generaldirektion "Wettbewerb", unterzeichnet war, teilte die Kommission den am OPA Beteiligten mit, daß der OPA nach ihrer vorläufigen Ansicht wegen der in ihm enthaltenen Preisabsprache gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstosse und daß die an ihm Beteiligten nichts vorgebracht hätten, was eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 rechtfertigen könnte. Die Kommission fügte hinzu, daß die Möglichkeit untersucht werde, ein Verfahren nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten. Eine Kopie dieses Schreibens wurde an die Prodifarma gesandt.

18 Insbesondere gestützt auf dieses Schreiben leitete die Prodifarma vor den nationalen Gerichten ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Nefarma und die VNZ ein. Darin beantragte sie, die Durchführung des OPA so lange auszusetzen, bis die Kommission Gelegenheit gehabt habe, sich zum OPA zu äussern. Dieser Antrag wurde jedoch zurückgewiesen.

19 Nach der genannten ersten negativen Reaktion der Kommission setzten sich mehrere am OPA Beteiligte sowie die niederländische Regierung, vertreten durch die beiden betroffenen Staatssekretäre, wiederholt mit den Dienststellen der Kommission und mit dem für Wettbewerbssachen zuständigen Kommissionsmitglied in Verbindung, um sie eingehender über den OPA zu informieren und für ihn einzutreten.

20 Inzwischen wurde das Verfahren zur Anpassung der nationalen Regelung, insbesondere der Richtlinien des COTG, an den Inhalt des OPA fortgesetzt. Am 23. Dezember 1988 teilte die niederländische Regierung den am OPA Beteiligten und der Gruppe um die Prodifarma jedoch mit, daß der niederländische Staat nicht beabsichtigte, die Änderungen der Richtlinien, die zur Umsetzung des OPA erforderlich gewesen seien, zu genehmigen, bevor er in Kenntnis des "endgültigen Standpunkts der Kommission" beurteilen könne, ob eine solche Genehmigung gegen den EWG-Vertrag verstossen würde. Tatsächlich versagten die zuständigen Staatssekretäre, als der COTG am 29. Dezember 1988 beschloß, seine Richtlinien zu ändern, die Genehmigung für diese Änderung. Entgegen der ursprünglichen Planung der am OPA Beteiligten und der niederländischen Regierung konnte der OPA demnach nicht am 1. Januar 1989 in Kraft treten.

21 Die am OPA Beteiligten und die niederländische Regierung versuchten Anfang 1989 weiterhin, die Kommission von den Vorzuegen des OPA zu überzeugen. So hatten insbesondere der Staatssekretär für Wirtschaft und sein Amtskollege aus dem Ministerium für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur auf ihren Wunsch hin am 7. Februar 1989 eine Unterredung mit dem neuen für den Wettbewerb zuständigen Kommissionsmitglied, Sir Leon Brittan. Auf diese folgte am 9. Februar ein Schreiben des Staatssekretärs für Wirtschaft, Herrn Evenhuis, an Sir Leon Brittan, mit zusätzlichen Ausführungen zur Rechtfertigung einer Senkung der Anreizprämie von 33,3 % auf 15 %.

22 Sir Leon Brittan beantwortete dieses Schreiben mit einem Schreiben an die beiden Staatssekretäre vom 6. März 1989, das von den Klägern in der vorliegenden Rechtssache sowie in den Rechtssachen T-113/89 und T-114/89 angefochten wird. In diesem Schreiben, dessen Entwurf den niederländischen Stellen schon einige Tage zuvor per Telefax übermittelt worden war, erklärte Sir Leon Brittan, daß er "als ehemaliger Finanzminister" die Bedeutung des Ziels der niederländischen Regierung, die Kosten der Arzneimittelversorgung in den Niederlanden unter Kontrolle zu bekommen, anerkenne. Jedoch müssten die wettbewerbswidrige Wirkung der Bestimmungen des OPA über die Senkung der Anreizprämie und die Ausweitung des zulässigen Spielraums für Preisnachlässe abgeschwächt werden, bevor eine positive Entscheidung ergehen könne.

23 Seiner Ansicht nach müsse der OPA zwei Voraussetzungen erfuellen, damit die Kommission in dieser Sache eine positive Entscheidung treffen könne:

- Erstens sei die Anreizprämie für die Lieferung von billigeren Arzneimitteln auf 20 % statt auf 15 % des Preisunterschieds zu den teureren Arzneispezialitäten zu senken;

- zweitens seien die Auswirkungen der Senkung der Anreizprämie ein Jahr lang mit Hilfe eines hierfür eingeführten Kontrollsystems zu erproben.

24 In dem Schreiben hieß es unter anderem:

"In diesem Zusammenhang schlage ich Ihnen vor, den Anreiz von 33 % nur auf 20 % statt auf die im OPA vorgesehenen 15 % zu senken und die Auswirkungen der Prämie von 20 % in der Praxis ein Jahr lang zu erproben."

25 Zum Kontrollsystem bemerkte Sir Leon Brittan, daß die niederländischen und die Gemeinschaftsbehörden bei dessen näherer Ausarbeitung zusammenarbeiten könnten, insbesondere durch einen Austausch von statistischen Daten über den Arzneimittelmarkt. Weiter führte er aus:

"Es versteht sich von selbst, daß meine Schlußfolgerungen bezueglich des OPA die Verfahrensrechte der Beteiligten, die den OPA angemeldet haben, und der Prodifarma, die gegen diese Vereinbarung Beschwerde erhoben hat, nicht berühren."

26 Eine Kopie dieses Schreibens wurde der Prodifarma am 16. März 1989 per Telefax übermittelt. Die Nefarma und die VNZ, Klägerinnen in den Rechtssachen T-113/89 und T-114/89, erhielten ebenfalls eine Kopie.

27 Am 17. März 1989 erklärte sich die Mehrheit der Mitglieder der Nefarma dazu bereit, eine Festsetzung der Anreizprämie auf 20 % zu akzeptieren. Die anderen am OPA Beteiligten erklärten sich ebenfalls bereit, diese Vereinbarung unter den im Schreiben vom 6. März 1989 enthaltenen Voraussetzungen anzuwenden. Das COTG passte seine Richtlinien dementsprechend an, und die beiden Staatssekretäre genehmigten die neuen Richtlinien, nachdem die Prodifarma vergebens versucht hatte, sie durch ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den niederländischen Staat daran zu hindern. Die im OPA enthaltenen Vorschläge wurden somit zum 1. April 1989 durchgeführt.

28 Am 28. April 1989 richtete Direktor Rocca ein Schreiben an die Prodifarma, in dem er sie darum bat, die Kommission durch Übermittlung bestimmter Daten bei der von ihr beabsichtigten Prüfung der Auswirkungen des OPA zu unterstützen. In diesem Schreiben wurde folgendes ausgeführt:

"Selbstverständlich wird die Kommission diese Daten gemäß Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 von 1962 nur zur Überprüfung des OPA im Rahmen dessen, was in der Sache IV/33.017 vereinbart worden ist, verwenden und die allgemeinen Geheimhaltungsregeln beachten."

Verfahren

29 Mit Klageschrift, die am 19. Mai 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, haben die Klägerinnen gegen die Kommission die vorliegende Klage auf Aufhebung der Entscheidung erhoben, die ihrer Ansicht nach in dem Schreiben Sir Leon Brittans vom 6. März 1989 enthalten ist.

30 Die Klägerinnen sind hinsichtlich dieses Schreibens der Ansicht, daß die vier in Artikel 173 EWG-Vertrag genannten Aufhebungsgründe vorlägen. Zum ersten sei die Kommission nicht befugt gewesen, in der Art und Weise einzuschreiten, in der sie dies getan habe, da sie nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag und nach den Artikeln 2 und 6 der Verordnung Nr. 17 nur befugt sei, Freistellungen zu gewähren oder Negativatteste auszustellen. Sodann habe die Kommission ihre positive Entscheidung über den OPA nicht ordnungsgemäß begründet. Ausserdem habe die Kommission gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, da die Bestimmungen des OPA, die eine Preisabsprache enthielten, und diejenigen Bestimmungen, mit denen die Marge für zulässige Nachlässe erhöht werde, nicht geändert worden seien, obwohl die Kommission sie für vertragswidrig befunden habe und die letztendliche Anpassung der Anreizprämie an der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung des OPA überdies nichts wesentlich geändert habe. Schließlich werfen die Klägerinnen der Kommission vor, sie habe ermessensmißbräuchlich gehandelt.

31 Mit einem am 30. Juni 1989 eingereichten Schriftsatz hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes erhoben.

32 Das Königreich der Niederlande hat mit Antragschrift, die am 20. Oktober 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, beantragt, im vorliegenden Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen zu werden.

33 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen.

34 Mit Beschluß vom 7. Dezember 1989 hat das Gericht (Erste Kammer) das Königreich der Niederlande im vorliegenden Rechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen. In einem am 19. Januar 1990 eingereichten Schriftsatz hat der Streithelfer erklärt, daß er zur Frage der Zulässigkeit nicht Stellung nehmen wolle, sich jedoch vorbehalte, später Erklärungen zur Begründetheit einzureichen.

35 Das Gericht (Erste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, dem Antrag der Kommission auf Vorabentscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit stattzugeben. Die Vertreter der Klägerinnen und der Kommission haben in der Sitzung vom 20. Juni 1990 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

36 Die Klägerinnen beantragen,

- die Entscheidung der Kommission, die in dem Schreiben an den Staatssekretär für Wohlfahrt, Gesundheit und Kultur D. J. D. Dees und an den Staatssekretär für Wirtschaft A. J. Evenhuis vom 6. März 1989 enthalten ist, aufzuheben;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

37 Die Kommission beantragt,

- die Klage für unzulässig zu erklären;

- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

38 Bezueglich der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit beantragen die Kläger,

- die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

39 Der Streithelfer erklärt, daß er die Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage in das Ermessen des Gerichts stelle.

40 Am Ende der Sitzung hat der Präsident die mündliche Verhandlung über die Einrede der Unzulässigkeit für geschlossen erklärt.

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Aufhebung

41 Die Kommission stützt ihre Einrede der Unzulässigkeit hauptsächlich darauf, daß eine Handlung eines Gemeinschaftsorgans nur dann Gegenstand einer Klage nach Artikel 173 EWG-Vertrag darstellen könne, wenn sie verbindliche Rechtswirkungen erzeuge.

42 Nach Ansicht der Kommission hat das Schreiben Sir Leon Brittans ausschließlich tatsächliche und keine rechtlichen Folgen gehabt. Dieses Schreiben binde weder die niederländische Regierung, an die es sich gerichtet habe, noch Dritte wie die Kläger und nicht einmal die Kommission selbst. Aus der Lektüre des betreffenden Schreibens ergebe sich unmittelbar, daß es sich hierbei um eine Meinungsäusserung ohne bindende Wirkungen handele und somit nicht um eine "Handlung" im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag.

43 Zur Begründung ihrer Auffassung weist die Kommission zunächst auf bestimmte Wendungen in dem Schreiben hin, die insofern, als darin ausdrücklich die Möglichkeit einer späteren Entscheidung der Kommission offengelassen werde, der in keiner Weise vorgegriffen werde, den vorläufigen Charakter des Schreibens deutlich machten. Das Schreiben enthalte nur Vorschläge und bedeute weder den Abschluß der Angelegenheit noch das Ende der von den Dienststellen der Kommission geführten Untersuchung, die vielmehr erst mit der Einführung des "Kontrollsystems" richtig in Gang gekommen sei. Das angefochtene Schreiben stelle daher keine Zurückweisung der Beschwerde der Prodifarma dar.

44 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission dem hinzugefügt, sollte sie in einem späteren Stadium eine Entscheidung in der Sache erlassen, so gelte diese rückwirkend und trete an die Stelle des angefochtenen Schreibens. Erst wenn eine solche endgültige Entscheidung erlassen worden sei, könnten sich die Klägerinnen auf die Notwendigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes berufen.

45 Die Kommission bemerkt, daß das angefochtene Schreiben nicht als eine Entscheidung angesehen werden könne, mit der ein Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen im Sinne des Beschlusses vom 17. Januar 1980 in der Rechtssache 792/79 R (Camera Care/Kommission, Slg. 1980, 119) abgelehnt werde, da die Klägerinnen keinen solchen Antrag gestellt hätten. Auch beeinträchtige das Schreiben nicht die Verfahrensrechte der Klägerinnen. Falls die Untersuchung nämlich ergeben sollte, daß die Beschwerde unbegründet ist, könnten sie von der Kommission ein Schreiben gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. Nr. 127, S. 2268) verlangen.

46 Nach Meinung der Kommission hat nicht das streitige Schreiben für die Klägerinnen verbindliche Rechtswirkungen hervorgerufen, sondern die Entscheidung der niederländischen Regierung - die hierbei aus eigener Machtbefugnis und in eigener Verantwortung gehandelt habe -, den OPA durchzuführen. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß das nationale Recht der Prodifarma gerichtlichen Rechtsschutz biete und daß die Prodifarma davon auch Gebrauch gemacht habe. Sie habe nämlich zweimal unter Berufung auf die angebliche Rechtswidrigkeit des OPA einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Der Umstand, daß diese beiden Anträge von den nationalen Gerichten abgewiesen worden seien, bedeute aber nicht, daß dieser Klägerin nun der Rechtsweg zum Gericht eröffnet sei. Zwar habe die niederländische Regierung ihre Entscheidung, die für die Durchführung des OPA erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, davon abhängig gemacht, daß die Kommission "grünes Licht" gebe; die Kommission selbst habe insoweit aber keine Entscheidung erlassen.

47 Die Kommission macht ausserdem geltend, daß sich die vorliegende Klage nicht gegen eine Kollegialentscheidung der Kommission richte, die im Anschluß an das in diesem Bereich übliche interne Verfahren getroffen worden sei, sondern gegen ein Schreiben, in dem ein einzelnes Mitglied der Kommission auf Drängen der Regierung des betroffenen Staats seine persönliche Auffassung über einen Vorgang äussere, der sich noch in einem frühen Stadium der Untersuchung befinde.

48 Die Kommission führt weiter aus, daß Dritte, an die das Schreiben Sir Leon Brittans nicht gerichtet gewesen sei, demnach durch dieses in keiner Weise betroffen sein könnten. Dritte könnten nur dann im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag unmittelbar und individuell betroffen sein, wenn die angefochtene Handlung gegenüber einem primären Adressaten Rechtswirkungen entfaltet habe, was bei dem streitigen Schreiben in bezug auf die niederländische Regierung nicht der Fall sei.

49 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission schließlich zu bedenken gegeben, daß eine Lockerung der Zulässigkeitsvoraussetzungen später zu einer Flut von Klagen gegen die verschiedenen Arten von Schreiben führen würde, die ihre Dienststellen im Laufe der Untersuchungen an die betroffenen Unternehmen zu richten hätten, so daß sie künftig nicht mehr auf die zahlreichen an sie gerichteten Anträge auf eine informelle Stellungnahme ihrer Dienststellen eingehen könnte.

50 Die Klägerinnen tragen dagegen vor, das von ihnen angefochtene Schreiben sei eine Entscheidung, die, obwohl sie an die beiden in der Sache zuständigen Staatssekretäre gerichtet gewesen sei, ihre Rechtstellung erheblich verändert habe.

51 Die erste Reaktion der Kommission vom 14. Dezember 1988 auf den OPA habe ein tatsächliches Hindernis für dessen Inkrafttreten dargestellt. Dadurch, daß im Schreiben Sir Leon Brittans angekündigt worden sei, daß eine Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag gewährt werde, wenn die vorgeschlagenen Änderungen vorgenommen würden, habe dieses Schreiben unmittelbar die Durchführung des OPA zur Folge gehabt. Es handele sich daher um eine Entscheidung, mit der die Rechtsstellung der am OPA Beteiligten, darunter der Prodifarma und der in ihr zusammengeschlossenen Unternehmen, objektiv und unmittelbar verändert worden sei.

52 Die Klägerinnen räumen ein, daß die Sprache, in der das Schreiben gehalten ist, den Eindruck wecken könne, daß darin nur eine Absicht der Kommission zum Ausdruck gebracht werde. Sie berufen sich jedoch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach für die Feststellung, ob eine Handlung anfechtbar sei, nicht auf ihre Form, sondern auf ihren Inhalt abzustellen sei (Urteile vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70, "AETR", Kommission/Rat, Slg. 1971, 263, und vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639). Nach Meinung der Klägerinnen wusste die Kommission, daß das Schreiben vom 6. März 1989 unter den Umständen, unter denen es versendet worden sei, von allen Beteiligten als eine Entscheidung aufgefasst würde, in der die Voraussetzungen, unter denen der OPA durchgeführt werden könnte, verbindlich festgesetzt seien. Demnach habe die Kommission die Absicht gehabt, die bisherige Rechtslage zu ändern und die Blockierung des OPA, die sich aus ihrem Schreiben vom 14. Dezember 1988 ergeben habe, aufzuheben. Indem sich die Kommission in ihrem Schreiben vom 28. April 1989 auf den "Rahmen dessen, was in der Sache IV/33.017 vereinbart worden ist", beziehe, gehe sie selbst davon aus, daß durch das Schreiben vom 6. März 1989 eine neue Rechtslage für den in diesem Schreiben angegebenen Zeitraum geschaffen worden sei.

53 Das Argument der Kommission, daß das angefochtene Schreiben vorläufigen Charakter habe, trifft nach Ansicht der Klägerinnen nicht den Kern des Rechtsstreits. Die Verwaltung oder eine Behörde könne jederzeit Entscheidungen treffen oder Handlungen vornehmen, die rechtlich bindend seien. Die Ansicht, daß nur verfahrensbeendende Handlungen anfechtbar seien, laufe dem Rechtsschutzsystem des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag zuwider. Die Klägerinnen führen als Beleg für dieses Vorbringen die Urteile des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81 (IBM, a. a. O.) und vom 15. März 1967 in den Rechtssache 8/66 bis 11/66 (Cimenteries/Kommission, Slg. 1967, 99) an. Auf das Argument der Kommission, daß im vorliegenden Fall kein Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen abgelehnt worden sei, haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung entgegnet, daß der von der Prodifarma bei der Kommission eingereichte Antrag sehr wohl auf den Erlaß einstweiliger Maßnahmen gegen den OPA gerichtet gewesen sei.

54 Nach Meinung der Klägerinnen ist das Argument, daß sie jederzeit von der Kommission das in Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 vorgesehene Schreiben verlangen könnten, wenn die Untersuchung ergebe, daß ihre Beschwerde unbegründet sei, unerheblich für die Frage, ob das angefochtene Schreiben Rechtswirkungen erzeugt hat.

55 Es widerspreche der Realität, wenn die Kommission behaupte, daß nur die Entscheidung der niederländischen Regierung, die aus eigener Machtbefugnis und in eigener Verantwortlichkeit handelnd "grünes Licht" für den OPA gegeben habe, verbindliche Rechtswirkungen entfaltet habe. Die niederländische Regierung habe zuvor die Kommission gebeten, dem OPA eine Chance zu geben, und nach dem Schreiben vom 14. Dezember 1988 habe an dessen Durchführung auf nationaler Ebene nur gedacht werden können, wenn die Kommission ihren ursprünglichen Standpunkt aufgebe.

56 In der mündlichen Verhandlung haben sich die Klägerinnen auf die Urteile vom 23. November 1971 in der Rechtssache 62/70 (Bock/Kommission, Slg. 1971, 897) und vom 17. Januar 1985 in der Rechtssache 11/82 (Piraiki-Patraiki/Kommission, Slg. 1985, 207) berufen, in denen der Gerichtshof unter Umständen, die den Klägerinnen zufolge dem Sachverhalt im vorliegenden Rechtsstreit vergleichbar waren, Klagen von Privatpersonen gegen Entscheidungen, die an Mitgliedstaaten gerichtet gewesen seien, für zulässig erklärt habe.

57 Sie haben weiter vorgetragen, die Übersendung des noch nicht unterzeichneten Entwurfs des Schreibens an die niederländischen Behörden bestätige, daß es sich um eine Antwort gehandelt habe, die auf spezifische Bedürfnisse zugeschnitten gewesen sei, die die niederländische Regierung der Kommission genau mitgeteilt habe, und daß das streitige Schreiben unter diesen Umständen keinesfalls als eine Note angesehen werden könne, die nur Vorschläge politischer Art enthalte.

58 Dem Argument der Kommission, daß das angefochtene Schreiben nur die persönliche Meinung eines Mitglieds der Kommission wiedergebe, halten die Klägerinnen entgegen, daß das Schreiben vom Vizepräsidenten der Kommission verfasst sei, der persönlich für Wettbewerbssachen zuständig sei. Aus dem Umstand, daß die Kommission in dem genannten Schreiben vom 28. April 1989 auf dieses Schreiben verweise und ankündige, welche Haltung "die Kommission" künftig einnehmen werde, ergebe sich ausserdem, daß die Kommission selbst dieses Schreiben nicht nur als Ausdruck einer persönlichen Meinung angesehen habe.

59 Die Klägerinnen verweisen zur Begründung ihrer Auffassung, daß die im Schreiben vom 6. März 1989 enthaltene Entscheidung sie unmittelbar und individuell betreffe, auf die Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76 (Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875) und vom 11. Oktober 1983 in der Rechtssache 210/81 (Demo-Studio Schmidt/Kommission, Slg. 1983, 3045). In der mündlichen Verhandlung haben sie vorgetragen, daß Privatpersonen von einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung, die Durchführungsmaßnahmen auf nationaler Ebene erforderlich mache, unmittelbar betroffen seien, sobald mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sei, daß und wie sie von dieser Durchführungsmaßnahme betroffen sein würden. Im vorliegenden Fall sei vorhersehbar gewesen, welche Folgen das Schreiben für sie haben würde.

60 Schließlich haben die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, daß es gegen Sinn und Zweck des Rechtsschutzes nach Artikel 173 EWG-Vertrag verstossen würde, wenn ihre Klage für unzulässig erklärt würde. Es könne nicht angehen, daß die Kommission im Rahmen einer informell geführten Wettbewerbspolitik über eine Freiheit verfüge, die die im EWG-Vertrag vorgesehene gerichtliche Kontrolle einschränken würde. Artikel 173 bezwecke nicht nur den Schutz von Individualinteressen, sondern auch, was noch bedeutsamer sei, die Überwachung der Rechtmässigkeit des Handelns der Gemeinschaftsorgane; wenn das angefochtene Schreiben nicht als eine Entscheidung angesehen würde, so würde dies eine Lücke in dieses System reissen.

61 Auf die Fragen des Gerichts haben die Klägerinnen geantwortet, daß Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag, wonach die nach Artikel 85 Absatz 1 verbotenen Vereinbarungen nichtig seien, der Qualifizierung des angefochtenen Schreibens als Entscheidung nicht entgegenstehe. Die Zulässigkeit einer Klage auf Kontrolle der Rechtmässigkeit einer Handlung eines Gemeinschaftsorgans könne nicht davon abhängen, ob das nationale Recht einen Rechtsbehelf vorsehe, mit dem die Nichtigkeit der von dieser Handlung betroffenen Vereinbarung festgestellt werden könne.

62 Unter Berufung auf die Prozessökonomie verteidigen die Klägerinnen ihren Standpunkt, daß das streitige Schreiben eine Handlung sei, gegen die das Königreich der Niederlande klagen könnte. Zur Rechtsgrundlage einer derartigen Entscheidung tragen die Klägerinnen vor, daß die Blockierung der Durchführung des OPA aus der Auslegung der Artikel 85 und 5 EWG-Vertrag folge, die der Gerichtshof im Urteil vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85 (Vereniging van Vlaamse Reisbureaus, Slg. 1987, 3801) vorgenommen habe. Demnach stütze sich die Entscheidung, dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, ebenfalls auf diese Bestimmungen.

Zur Rechtsnatur des angefochtenen Schreibens

63 Angesichts dieser tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten ist zu untersuchen, ob das Schreiben, gegen das sich die vorliegende Klage richtet, eine Handlung darstellt, gegen die eine Nichtigkeitsklage im Sinne des Artikels 173 EWG-Vertrag gegeben ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist hierfür zu prüfen, ob es verbindliche Rechtswirkungen erzeugt hat (siehe zuletzt Beschluß vom 17. Mai 1989 in der Rechtssache 151/88, Italien/Kommission, Slg. 1989, 1255, 1261).

1. Zu den Auswirkungen des Schreibens Sir Leon Brittans auf die zuvor bestehende Rechtslage

64 Das Gericht hält es für angebracht, zunächst zu entscheiden, ob das Schreiben, das Sir Leon Brittan am 6. März 1989 an die beiden niederländischen Staatssekretäre richtete, die zuvor bestehende Rechtslage verändert hat, insbesondere indem es das Hindernis für die Durchführung des OPA durch die niederländischen Behörden aus dem Weg räumte, das den Klägerinnen zufolge durch das Schreiben von Direktor Rocca vom 14. Dezember 1988 entstanden war.

65 Hierzu ist zunächst die Rechtslage zu untersuchen, wie sie im Zeitpunkt der Versendung des streitigen Schreibens bestand, und zwar unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerinnen, daß der OPA mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag unvereinbar gewesen sei. In diesem Fall war der OPA gemäß Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag nichtig und konnte diese Nichtigkeit vor den nationalen Gerichten von jedem geltend gemacht werden, der glaubte, durch diese Vereinbarung in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Umstand, daß der OPA bei der Kommission angemeldet worden war, war insoweit unerheblich, da die aus Artikel 85 Absatz 2 folgende Nichtigkeit nur durch eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 mit Wirkung gegenüber jedermann beseitigt werden kann. Solange über eine solche Vereinbarung noch keine Verbotsentscheidung der Kommission nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ergangen ist, steht es den Beteiligten jedoch frei, sie durchzuführen. Wenn sie die Vereinbarung bei der Kommission angemeldet haben, schützt sie Artikel 15 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 sogar gegen die in Artikel 15 Absatz 2 dieser Verordnung für den Fall eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag vorgesehenen Geldbussen, sofern die Kommission ihnen diesen Vorteil nicht gemäß Artikel 15 Absatz 6 dieser Verordnung entzogen hat. Die Beteiligten laufen allerdings Gefahr, daß ihnen im Rahmen eines Verfahrens vor den nationalen Gerichten die Nichtigkeit ihrer Vereinbarung entgegengehalten wird.

66 Diese Rechtslage wird, was das Gemeinschaftsrecht betrifft, durch das Schreiben von Direktor Rocca vom 14. Dezember 1988 an die am OPA Beteiligten nicht verändert. Es enthält nur die Darstellung einer ersten Einschätzung des OPA durch die Kommission und beschränkt sich auf die Unterrichtung der Beteiligten, daß die Möglichkeit geprüft werde, ihnen den Vorteil des Artikels 15 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 zu entziehen. Aufgrund dieses Schreibens ist jedoch auf der Ebene des niederländischen Rechts ein Hindernis für die Durchführung des OPA entstanden, da die Regierung des Königreichs der Niederlande, solange die Kommission ihre ablehnende Haltung zu dem OPA aufrechterhielt, nicht bereit war, die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu erlassen, von denen die am OPA Beteiligten dessen Inkrafttreten abhängig gemacht hatten.

67 Sodann ist zu prüfen, ob das angefochtene Schreiben diese eben beschriebene Rechtslage verändern konnte.

68 Was zunächst die angebliche Nichtigkeit des OPA im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß das Schreiben Sir Leon Brittans nicht als eine Entscheidung angesehen werden kann, mit der eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 gewährt worden wäre. Es war nur der Ausgangspunkt der Prüfung des OPA im Hinblick auf die Frage, ob eine solche Freistellung gewährt werden kann. Folglich konnte durch das Schreiben die Nichtigkeit der Vereinbarung nicht beseitigt werden, die unmittelbar aus der von den Klägerinnen behaupteten Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 folgt.

69 Sodann ist zu prüfen, ob das angefochtene Schreiben Wirkungen erzeugt hat, die denen einer Entscheidung gleichwertig sind, die, ohne dieselben Rechtswirkungen wie eine Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 zu erzeugen, die zuvor bestehende Rechtslage dennoch dadurch verändert hätte, daß sie die Verfahrensrechte der am OPA Beteiligten und der Beschwerde führenden Dritten berührte.

70 Eine solche Entscheidung kann in Form eines Negativattests gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 ergehen, mit dem die Kommission ihren Standpunkt zu einer Vereinbarung festlegt. Nach Erlaß einer solchen Entscheidung sind die Beteiligten gegen Maßnahmen geschützt, die die Kommission gegen ihre Vereinbarung ergreifen könnte, während die Beschwerdeführer nicht mehr die Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen können, es sei denn, daß eine Veränderung der Umstände eintritt oder daß sie neue Tatsachen vorbringen. Die Wirkungen eines Negativattests gegenüber Dritten, die eine Beschwerde eingereicht haben, sind daher denen einer Entscheidung vergleichbar, mit denen ihre Beschwerde zurückgewiesen wird (siehe Urteil des Gerichtshofes vom 17. November 1987 in den Rechtssachen 142/84 und 156/84, BAT und Reynolds/Kommission, Slg. 1987, 4487, 4571). Solche Wirkungen setzen jedoch eine endgültige Beurteilung der betreffenden Vereinbarung voraus, die im vorliegenden Fall nicht stattgefunden hat.

71 Das angefochtene Schreiben hat ausserdem das Recht der Klägerinnen unberührt gelassen, ein Schreiben gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63 zu verlangen. Aus dem in diesem Schreiben enthaltenen ausdrücklichen Hinweis, daß die Verfahrensrechte der Beteiligten unberührt bleiben, ergibt sich, daß Sir Leon Brittan diese Rechte umfassend schützen wollte. Daraus folgt, daß die bis dahin bestehende Rechtslage durch dieses Schreiben auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht verändert wurde.

72 Die Kommission ist ausserdem befugt, vor ihrer endgültigen Entscheidung über eine Vereinbarung, die bei ihr angemeldet wurde oder gegen die bei ihr eine Beschwerde eingereicht wurde, einstweilige Maßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, einer Situation entgegenzutreten, die geeignet wäre, dem Beschwerdeführer einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen, oder die für die Allgemeinheit unerträglich ist (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 17. Januar 1980 in der Rechtssache 792/79 R, Camera Care, a. a. O., 130 f.). In dem angefochtenen Schreiben kommt jedoch keine Absicht zum Ausdruck, die bestehende Rechtslage mit derartigen Maßnahmen vorläufig zu verändern. Nichts in diesem Schreiben erlaubt den Schluß, daß sein Verfasser der Ansicht gewesen wäre, daß die Rechtsfolgen aus Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag und aus der Verordnung Nr. 17 im vorliegenden Fall eine unerträgliche Situation geschaffen hätten. Das Schreiben bezweckt weder, die Anwendung von Artikel 85 Absatz 2 zeitweilig auszuschließen noch einstweilen die Durchführung des OPA zu untersagen oder sie Beschränkungen zu unterwerfen. Der Verfasser des Schreibens hat zwar die Möglichkeit einer positiven Entscheidung über den OPA von einer Änderung der darin vorgesehenen Regelung über die Anreizprämie und von der Einführung eines Kontrollsystems abhängig gemacht; es ist jedoch festzustellen, wie das Gericht es in seinen Urteilen vom 13. Dezember 1990 in den Rechtssachen T-113/89 und T-114/89 getan hat, daß es sich dabei nicht um verbindliche Maßnahmen handelte, da das angefochtene Schreiben es den am OPA Beteiligten völlig freistellte, diese Maßnahmen zu akzeptieren oder aber abzulehnen.

73 Die Klägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß die Beschwerde, die die Prodifarma am 2. Dezember 1988 bei der Kommission eingereicht habe, einen Antrag auf Erlaß einstweiliger Maßnahmen enthalten habe. In dem angefochtenen Schreiben wird jedoch nicht auf die in der genannten Beschwerdeschrift gestellten Anträge Bezug genommen. Dieser Umstand bestätigt die Auffassung des Gerichts, daß mit diesem Schreiben keine einstweiligen Maßnahmen im Sinne des Beschlusses des Gerichtshofes vom 17. Januar 1980 in der Rechtssache 792/79 R (Camera Care, a. a. O.) ergriffen wurden.

2. Zu den Auswirkungen des Schreibens Sir Leon Brittans gegenüber dem Königreich der Niederlande

74 Aufgrund des Schreibens Sir Leon Brittans hat die niederländische Regierung jedoch ihre nationale Regelung geändert, um das Hindernis zu beseitigen, das der Umsetzung des OPA in nationales Recht entgegenstand. Es ist daher zu untersuchen, ob die niederländische Regierung ihre Zustimmung zur Durchführung des OPA aufgrund einer Entscheidung der Kommission, die sie hierzu ermächtigte, oder aufgrund einer einfachen Stellungnahme erteilt hat.

75 Für die Beurteilung der Frage, ob die Meinungsäusserung des Mitglieds der Kommission gegenüber der niederländischen Regierung Entscheidungscharakter hatte, ist zunächst zu prüfen, ob die angefochtene Handlung auf einer Rechtsgrundlage beruht, die die Kommission ermächtigt, eine für einen Mitgliedstaat verbindliche Entscheidung zu treffen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind Meinungsäusserungen der Kommission gegenüber den Behörden eines Mitgliedstaats in Bereichen, in denen sie zum Erlaß verbindlicher Entscheidungen nicht befugt ist, nur einfache Stellungnahmen ohne Rechtswirkungen (z. B. Urteile vom 4. Februar 1959 in der Rechtssache 17/57, Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1958-1959, 9, 25, und vom 27. März 1980 in der Rechtssache 133/79, Sucrimex/Kommission, Slg. 1980, 1299, 1310; Beschluß vom 17. Mai 1989 in der Rechtssache 151/88, Italien/Kommission, a. a. O., 1261).

76 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß keine Vermutung für eine solche Befugnis besteht, wenn weder im EWG-Vertrag noch in verbindlichen Handlungen der Organe eine dahin gehende Vorschrift enthalten ist (Beschluß vom 30. September 1987 in der Rechtssache 229/86, Brother Industries/Kommission, Slg. 1987, 3757, 3762 ff.).

77 Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, verleihen jedoch weder Artikel 85 EWG-Vertrag noch die Bestimmungen der Verordnung Nr. 17 der Kommission die Befugnis, gegenüber den Mitgliedstaaten Rechtswirkungen entfaltende Entscheidungen zu erlassen. Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission zwar Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die ihnen vorgeworfenen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht abzustellen, doch ermächtigt diese Vorschrift die Kommission nicht, einen Mitgliedstaat dazu zu verpflichten, in seinem nationalen Recht bestimmte Maßnahmen zu erlassen, wie zum Beispiel die nationale Regelung über die Anreizprämie, von der in dem angefochtenen Schreiben die Rede ist, zu ändern. Ebenso kann die Befugnis der Kommission zur Ausstellung von Negativattesten nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 und zur Gewährung von Freistellungen nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag nur gegenüber den betroffenen Unternehmen ausgeuebt werden und kann nicht als Grundlage für an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen dienen.

78 Zu Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17, der vorsieht, daß "die Kommission... zur Erfuellung der ihr... übertragenen Aufgaben von den Regierungen und den zuständigen Behörden... alle erforderlichen Auskünfte einholen ((kann))", ist festzustellen, daß diese Vorschrift nicht als Rechtsgrundlage für eine Entscheidung dienen kann, die das Königreich der Niederlande verpflichten würde, das Kontrollsystem einzuführen, von dem in dem angefochtenen Schreiben die Rede ist.

79 Eine Befugnis der Kommission zum Erlaß von Entscheidungen, die gegenüber den Mitgliedstaaten Rechtswirkungen entfalten können, kann auch nicht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes hergeleitet werden, wonach der EWG-Vertrag für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung begründet, keine Rechtsvorschriften zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, die die praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag ausschalten könnten (siehe z. B. Urteil vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85, Vereniging van Vlaamse Reisbureaus, a. a. O., 3826). Diese Verpflichtung folgt aus Artikel 5 EWG-Vertrag, der im Lichte der Artikel 3 Buchstabe f und 85 auszulegen ist. Artikel 5 EWG-Vertrag verleiht der Kommission aber nicht die Befugnis, verbindliche Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten, um ihnen ein Verhalten vorzuschreiben, das dem Gemeinschaftsrecht entspricht (Beschluß vom 30. September 1987 in der Rechtssache 229/86, Brother Industries, a. a. O.). Daraus folgt, daß er auch nicht als Rechtsgrundlage für eine Entscheidung dienen kann, mit der ein Mitgliedstaat ermächtigt wird, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen, daß ihr Verhalten ihren Verpflichtungen aus den Artikeln 3 Buchstabe f, 5 und 85 EWG-Vertrag genügt, und zwar unbeschadet der späteren Kontrolle, die der Gerichtshof insoweit im Rahmen der Verfahren nach den Artikeln 169 und 177 EWG-Vertrag ausübt (vgl. für die Anwendung der letztgenannten Bestimmung das Urteil vom 1. Oktober 1987, a. a. O.). Eine vorherige Kontrolle der Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht in Form einer von der Kommission gewährten Ermächtigung entspricht dagegen nicht der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gemeinschaftsbehörden und den nationalen Behörden auf diesem Gebiet, wie sie im EWG-Vertrag vorgesehen ist.

80 Zwar ist die Kommission nach Artikel 89 befugt, zur Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht gegenüber den Mitgliedstaaten Entscheidungen zu erlassen und diese zu ermächtigen, Abhilfemaßnahmen zu treffen. Diese Übergangsvorschrift betrifft jedoch nur die Fälle, in denen es an Durchführungsvorschriften zu den Artikeln 85 und 86, wie etwa der Verordnung Nr. 17, fehlt.

81 Dagegen ist die Kommission nach Artikel 90 Absatz 3 EWG-Vertrag befugt, geeignete Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten, um dafür zu sorgen, daß diese die Vorschriften des EWG-Vertrags und insbesondere des Artikels 90 in bezug auf die Unternehmen, die in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen, einhalten. Aus dem angefochtenen Schreiben ergibt sich jedoch eindeutig, daß es nicht auf diese Vorschrift gestützt wurde.

82 Es ist daher festzustellen, daß das streitige Schreiben nicht auf einer Rechtsgrundlage beruht, die die Kommission dazu ermächtigt, eine Entscheidung zu erlassen, die die Rechtslage für das Königreich der Niederlande verändern könnte, sei es indem sie dieses verpflichtet oder indem sie es ermächtigt, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Folglich hat das Schreiben gegenüber diesem Mitgliedstaat keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt.

83 An diesem Ergebnis kann auch der Umstand nichts ändern, daß die niederländische Regierung um diese Stellungnahme in der Absicht gebeten hatte, dieser nachzukommen, daß sie, solange keine positive Reaktion vorlag, davon absah, die für die Durchführung des OPA erforderlichen verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu erlassen, und daß sie den in dem streitigen Schreiben geäusserten Bemerkungen in den schließlich erlassenen Rechtsvorschriften Rechnung trug. Weder aus der Absicht des niederländischen Staats, sich nach dem Standpunkt zu richten, den die Kommission zu dem OPA einnehmen würde, noch aus dem Umstand, daß er den im Schreiben Sir Leon Brittans enthaltenen Vorschlägen uneingeschränkt gefolgt ist, ergibt sich, daß dieses Schreiben die Rechtsposition des Königreichs der Niederlande gegenüber der Gemeinschaft verändert hätte.

84 Die Meinungsäusserung Sir Leon Brittans stellt sich daher weder als eine Entscheidung dar, die die niederländische Regierung dazu gezwungen hätte, die Genehmigung für den OPA in seiner ursprünglichen Fassung zu versagen, noch als eine Ermächtigung, ihn in einer geänderten Fassung durchzuführen, sondern als eine Handlung, die in ihren Wirkungen einer Stellungnahme vergleichbar ist, um die die nationalen Behörden gebeten haben, um die Vereinbarkeit der von ihnen beabsichtigten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen und so ihre Verpflichtung aus den Artikeln 3 Buchstabe f, 5 und 85 EWG-Vertrag zu erfuellen.

85 Aus dem Schriftwechsel zwischen der Kommission und der niederländischen Regierung ergibt sich, daß deren Verhalten auf das Bestreben zurückzuführen ist, das Risiko, bei der Durchführung des OPA gegen das Gemeinschaftsrecht zu verstossen, zu vermeiden. Zu diesem Zweck sah sie freiwillig von der Durchführung des OPA ab, solange die Kommission eine ablehnende Haltung einnahm, und passte dann die nationale Regelung an den im Schreiben des Mitglieds der Kommission dargelegten Standpunkt an. Im EWG-Vertrag, insbesondere in den Artikeln 155 und 189 Absatz 1, ist eine solche freiwillige Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und den Gemeinschaftsorganen im übrigen ausdrücklich vorgesehen, da danach zu den Maßnahmen, die die Organe und insbesondere die Kommission treffen können, auch Empfehlungen und Stellungnahmen gehören. Diese ausdrückliche Ermächtigung zum Erlaß von Maßnahmen ohne verbindliche Rechtswirkungen zeigt, daß die freiwillige Befolgung der Vertragsregeln und der nicht zwingenden Maßnahmen der Organe ein wesentlicher Faktor bei der Verwirklichung der Ziele des EWG-Vertrags ist. Folglich kann der Umstand, daß die Regierung eines Mitgliedstaats bis zum Empfang einer positiven Stellungnahme der Kommission davon abgesehen hat, eine Maßnahme zu ergreifen, deren Vereinbarkeit mit dem EWG-Vertrag zweifelhaft war, der genannten Stellungnahme nicht den Charakter einer Ermächtigung verleihen.

86 Ausserdem ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Inhalt des streitigen Schreibens, daß es irgendwelche Rechtswirkungen erzeugen sollte.

87 Wie die Kommission bemerkt hat, deutet darauf das Fehlen einer Kollegialentscheidung der Kommission hin. Anders als in den Fällen, in denen der Gerichtshof von Beamten der Kommission unterzeichnete Schreiben als anfechtbare Maßnahmen angesehen hat (vgl. z. B. Urteil vom 15. März 1967 in den Rechtssachen 8/66 bis 11/66, Cimenteries/Kommission, a. a. O.), stellt sich das angefochtene Schreiben weder als Mitteilung einer Entscheidung der Kommission dar noch als ein Schreiben, das im Namen der Kommission oder aufgrund einer Übertragung von Befugnissen verfasst wurde, deren Zulässigkeit der Gerichtshof im Urteil vom 23. September 1986 in der Rechtssache 5/85 (AKZO/Kommission, Slg. 1986, 2585, 2614) anerkannt hat. Vielmehr scheint es sich dabei um ein persönliches Schreiben Sir Leon Brittans im Rahmen eines Gedankenaustauschs zwischen Politikern zu handeln.

88 Die Klägerinnen können auch nicht unter Berufung auf das von Direktor Rocca am 28. April 1989 an die Prodifarma gerichtete Schreiben behaupten, daß die Kommission selbst das streitige Schreiben als eine Entscheidung und nicht als eine politische Stellungnahme eines ihrer Mitglieder angesehen habe. Mit seiner Verweisung auf "das, was in der Sache IV/33.017 vereinbart worden ist", bediente sich der Direktor nämlich mit Recht einer Wendung, die mit der Annahme, daß es sich um eine verbindliche Entscheidung handeln könnte, nicht zu vereinbaren ist.

89 Schließlich ist die Ausdrucksweise, deren sich Sir Leon Brittan bediente, um der niederländischen Regierung aufzuzeigen, welche Änderungen der nach dem OPA vorgesehenen Regelung seiner Ansicht nach vorgenommen werden sollten, bevor eine positive Entscheidung über diese Vereinbarung erwogen werden konnte, nicht mit der Auffassung zu vereinbaren, daß es sich um eine mit Bedingungen versehene Ermächtigung gehandelt habe. So verwendet er bezueglich der Festsetzung der Anreizprämie auf 20 % nur die Formulierung "schlage ich Ihnen vor" ("stel ik u voor"). Auch die in bezug auf die Einführung eines Kontrollsystems gebrauchte Formulierung deutet darauf hin, daß nicht beabsichtigt war, ein solches System vorzuschreiben, sondern daß dessen Einrichtung von der freiwilligen Mitwirkung der niederländischen Regierung abhängig sein würde.

90 Aus all diesen Gründen stellt das Gericht fest, daß das angefochtene Schreiben gegenüber dem Königreich der Niederlande keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt hat.

3. Zum gerichtlichen Rechtsschutz von Privatpersonen

91 Die Klägerinnen machen ferner geltend, daß wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles weder der gerichtliche Rechtsschutz von Privatpersonen noch die Überwachung der Rechtmässigkeit des Handelns der Gemeinschaftsorgane ausreichend gewährleistet sei, wenn das angefochtene Schreiben nicht als eine Entscheidung angesehen werde.

92 Hierzu ist zu bemerken, daß das Rechtsschutzverlangen der Klägerinnen im wesentlichen auf eine Feststellung des Gerichts darüber gerichtet ist, ob die Vereinbarung, gegen die sie sich bei der Kommission gewandt haben, mit dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht vereinbar und ob der von Sir Leon Brittan in seinem Schreiben vom 6. März 1989 eingenommene Standpunkt begründet ist. Eine solche Form des gerichtlichen Rechtsschutzes ist in Artikel 173 EWG-Vertrag aber nicht vorgesehen. Zwar dürfen die Bestimmungen über das Klagerecht nicht restriktiv ausgelegt werden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 211, 237); es würde jedoch die Grenzen der Auslegung des EWG-Vertrags überschreiten, wenn eine Klage zugelassen würde, die in dieser Bestimmung nicht vorgesehen ist.

93 Aus all diesen Gründen stellt das Gericht fest, daß das Schreiben Sir Leon Brittans vom 6. März 1989 an die beiden niederländischen Staatssekretäre nicht als eine mit Klage anfechtbare Entscheidung qualifiziert werden kann. Folglich braucht nicht geprüft zu werden, ob das Schreiben Sir Leon Brittans an die niederländische Regierung die Kläger unmittelbar und individuell betrifft.

94 In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, daß sich die Klägerinnen für die Zulässigkeit der vorliegenden Klage zu Unrecht auf die Urteile des Gerichtshofes vom 23. November 1971 in der Rechtssache 62/70 (Bock, a. a. O.) und vom 17. Januar 1985 in der Rechtssache 11/82 (Piraiki-Patraiki, a. a. O.) berufen haben. In diesen Rechtssachen hat der Gerichtshof über die Frage befunden, ob eine Privatperson von einer an einen Mitgliedstaat gerichteten Entscheidung der Kommission unmittelbar betroffen sein kann, für die Durchführungsmaßnahmen des Mitgliedstaats erforderlich sind, bevor sie gegenüber den einzelnen praktische Wirkungen entfalten kann. Der Sachverhalt im vorliegenden Rechtsstreit ähnelt zwar insofern in gewisser Weise den Situationen, über die der Gerichtshof in den beiden genannten Urteilen befunden hat, als die niederländische Regierung ihre Entscheidung, die für die Durchführung des OPA erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, ausdrücklich von einer positiven Reaktion der Kommission abhängig gemacht hatte und es daher ausser Zweifel stand, daß sie in Übereinstimmung mit der von ihr erbetenen Stellungnahme handeln wollte. Die Klagen, die der Gerichtshof in diesen Rechtssachen als zulässig angesehen hatte, waren aber gegen Entscheidungen gerichtet, die gegenüber den betroffenen Mitgliedstaaten Rechtswirkungen erzeugt hatten, indem sie sie ermächtigt hatten, Maßnahmen zu ergreifen, die Privatpersonen berührten und die ohne die angefochtenen Entscheidungen gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen hätten. Im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an einer solchen Entscheidung. Folglich kann die genannte Rechtsprechung kein Argument für die Zulässigkeit der vorliegenden Klage darstellen.

95 Aus all diesen Erwägungen folgt, daß die vorliegende Klage als unzulässig abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

96 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des oben genannten Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldnern aufzuerlegen. Da der Streithelfer insoweit keinen Antrag gestellt hat, hat er seine Kosten selbst zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Klägerinnen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die dieser selbst zu tragen hat.

Ende der Entscheidung

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