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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 18.12.1992
Aktenzeichen: T-43/90
Rechtsgebiete: Beamtenstatut, Allgemeine Durchführungsbestimmungen zu Art. 2 Abs. 4 Anhang VII des Beamtenstatus


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 2 Abs. 4 Anhang VII
Allgemeine Durchführungsbestimmungen zu Art. 2 Abs. 4 Anhang VII des Beamtenstatus Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nach Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts hat die Gleichstellung einer Person, der gegenüber einen Beamten eine gesetzliche Unterhaltspflicht trifft und deren Unterhalt ihn mit erheblichen Ausgaben belastet, Ausnahmecharakter. Daher ist die Voraussetzung, daß den Beamten eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber einer anderen Person als einem unterhaltsberechtigten Kind trifft, eng auszulegen.

Der Begriff "gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet" im Sinne des Statuts orientiert sich an den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die den Eltern und/oder den näheren oder entfernteren Verwandten eine gegenseitige gesetzliche Verpflichtung zum Unterhalt auferlegen. Deshalb ist dieser Begriff so auszulegen, daß nur auf die Unterhaltspflicht eines Beamten abgestellt wird, deren rechtlicher Ursprung vom Willen der Parteien unabhängig ist, und daß er daher die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen ausschließt, bei denen es sich um vertragliche Verpflichtungen, Naturalobligationen oder Schadensersatzpflichten handelt.

Da weder das Gemeinschaftsrecht noch das Statut dem Gemeinschaftsrichter Hinweise liefern, anhand deren er durch eine autonome Auslegung den Inhalt und die Tragweite der gesetzlichen Unterhaltspflicht ermitteln könnte, aufgrund deren einem Beamten die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts gewährt werden kann, ist zu ermitteln, ob die nationale Rechtsordnung, der der betroffene Beamte unterliegt, ihm eine solche Unterhaltspflicht auferlegt.

2. Den Begriffen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Erläuterung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung zu geben, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels zu ermitteln ist. Fehlt jedoch eine ausdrückliche Verweisung, so kann die Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegebenenfalls eine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten einschließen, wenn der Gemeinschaftsrichter dem Gemeinschaftsrecht oder den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts keine Anhaltspunkte entnehmen kann, die es ihm erlauben, Inhalt und Tragweite des Gemeinschaftsrechts durch eine autonome Auslegung zu ermitteln.

3. Ein Beamter hat dann kein berechtigtes Interesse an der Aufhebung einer Entscheidung wegen Formmangels, wenn die Verwaltung keinen Ermessensspielraum besitzt und handeln muß, wie sie es getan hat. In einem solchen Fall könnte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nämlich nur Anlaß zum Erlaß einer neuen, in der Sache mit der angefochtenen Entscheidung gleichlautenden Entscheidung geben.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 18. DEZEMBER 1992. - JOSE MIGUEL DIAZ GARCIA GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - ZULAGE FUER UNTERHALTSBERECHTIGTE KINDER - EINEM UNTERHALTSBERECHTIGTEN KIND GLEICHGESTELLTE PERSON - GESETZLICHE UNTERHALTSPFLICHT. - RECHTSSACHE T-43/90.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger, José Migül Díaz García, ein spanischer Staatsangehöriger, ist Beamter des Europäischen Parlaments mit Dienstort Brüssel. Vor seinem Dienstantritt beim Parlament wohnte er in Spanien. Er war verheiratet und Vater eines minderjährigen Kindes, lebte aber getrennt von seiner Ehefrau und dem aus der Ehe hervorgegangenen Kind. Im Juli 1983 erging eine gerichtliche Entscheidung über die Ehetrennung, die einen der Einleitung der Ehescheidung vorangehenden Verfahrensabschnitt darstellt. Seit Juli 1987 lebte der Kläger in häuslicher Gemeinschaft mit Visitación González Reillo und deren beiden minderjährigen Kindern. Frau González Reillo lebte ebenfalls getrennt von ihrem Ehemann; durch eine gerichtliche Entscheidung über die Ehetrennung war ihr die elterliche Sorge für ihre Kinder übertragen worden.

2 Am 12. Dezember 1988 wurde dem Kläger aufgrund seiner Teilnahme an einem allgemeinen Auswahlverfahren der Dienstposten eines Verwaltungsassistenten im Parlament angeboten. Am 18. Dezember 1988 reichte er beim Parlament eine Wohnsitzbescheinigung und eine Bescheinigung über die häusliche Gemeinschaft mit Frau González Reillo ein, die am 27. Januar und am 16. Dezember 1988 von der Stadtverwaltung Alicante (Spanien) ausgestellt worden waren.

3 Mit Wirkung von seinem Dienstantritt beim Parlament am 15. Februar 1989 wurden die Haushaltszulage und die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder für das aus seiner Ehe hervorgegangene Kind an seine Ehefrau gezahlt.

4 Im März 1989 erhob Frau González Reillo beim Gericht in Alicante Scheidungsklage. Der Kläger hatte bereits im Januar 1989 beim selben Gericht Scheidungsklage eingereicht.

5 Am 4. April 1989 beantragte der Kläger beim Parlament schriftlich gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe c und Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) Familienzulagen nach diesen Bestimmungen. Am 6. Juni 1989 teilte das Parlament dem Kläger mit, daß es seinem Antrag nicht stattgeben könne.

6 Nach Ende des spanischen Schuljahres im Juni 1989 zog Frau González Reillo mit ihren Kindern zum Kläger nach Brüssel-Schärbeek. Ihr Aufenthalt wurde von den belgischen Behörden nur bis zum 18. Dezember 1989 bewilligt.

7 Am 7. November 1989 stellte der Kläger beim Parlament einen Antrag nach Artikel 90 Absatz 1 des Statuts auf Erlaß einer Entscheidung, mit der festgestellt wird, daß er die Lasten eines Familienvorstands im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe c und von Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts zu tragen habe.

8 Um es seiner faktischen Familie zu ermöglichen, die Bewilligung zu erhalten, bei ihm in Belgien zu wohnen, unterzeichnete der Kläger am 20. Dezember 1989 ein Schriftstück, das als "Unterhaltsverpflichtung" bezeichnet war und mit dem er sich verpflichtete,

"gegenüber dem belgischen Staat und [seiner] Lebensgefährtin namens González Reillo, Visitación,... [nicht wiedergegeben] die Kosten der Gesundheitsfürsorge, die Aufenthaltskosten und die Kosten für die Rückreise der Genannten zu übernehmen.

... [nicht wiedergegeben]

Die vorliegende Unterhaltsverpflichtung erstreckt sich auf den Ehegatten des Ausländers und ihre gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder... [nicht wiedergegeben]".

9 Der Kläger und Frau González Reillo haben ein gemeinsames Kind, das am 29. Januar 1990 geboren wurde.

10 Mit Urteilen vom 20. Dezember 1989 und vom 1. März 1990 sprach das Gericht in Alicante die Scheidung der Ehen von Frau González Reillo und des Klägers aus. Das Urteil, mit dem die Scheidung der Ehe von Frau González Reillo ausgesprochen wurde, verurteilt deren ehemaligen Ehemann dazu, ihr monatlich 20 000 PTA für den Unterhalt der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder zu zahlen, wobei dieser Betrag an den Index der Entwicklung der Lebenshaltungskosten gebunden ist.

11 Mit Entscheidung vom 8. März 1990 lehnte der Generalsekretär des Parlaments den Antrag des Klägers vom 7. November 1989 ab und stützte sich hierfür insbesondere auf folgende Gründe:

"... beim gegenwärtigen Stand Ihrer persönlichen Verhältnisse werden die Haushaltszulage und die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder zu Recht Ihrer Ehefrau gezahlt, von der Sie nicht geschieden sind und die das Sorgerecht für Ihr eheliches Kind hat.

... [nicht wiedergegeben]

Soweit es sich um die Kinder Ihrer Lebensgefährtin handelt, kann Ihnen eine Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder ebenfalls nicht gewährt werden, da die Voraussetzungen der Anwendung von Artikel 2 Absatz 4 des genannten Anhangs nicht erfuellt sind... [nicht wiedergegeben]"

12 Mit Schreiben vom 3. April 1990 forderte der Kläger das Parlament auf, seine Entscheidung zu berichtigen oder die Argumentation zu widerlegen, auf die er seine Ausführungen stützte.

13 Der Kläger und Frau González Reillo schlossen im April 1990 die Ehe.

14 Am 3. Juli 1990 antwortete der Generalsekretär des Parlaments auf das Schreiben des Klägers vom 3. April 1990 mit der Erklärung, daß nichts ihm erlaube, die in seinem Schreiben vom 8. März 1990 enthaltene mit Gründen versehene Entscheidung, wie sie im damaligen Zusammenhang gegolten habe, in rechtlicher Hinsicht abzuändern.

Das Verfahren

15 Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 5. Oktober 1990 bei der Kanzlei des Gerichts erster Instanz eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben, die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Parlaments vom 29. März 1977 über den Erlaß der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts, Aufhebung der Entscheidung vom 8. März 1990 und, soweit erforderlich, Aufhebung der Entscheidung vom 3. Juli 1990, mit der seine Beschwerde zurückgewiesen worden ist, gerichtet ist.

16 Mit Schriftsatz, der am 10. Dezember 1990 eingegangen ist, hat der Beklagte die Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Mit Schriftsatz, der am 15. Januar 1991 eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, diese Einrede zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Einrede ist durch Beschluß des Gerichts vom 22. Januar 1991 dem Endurteil vorbehalten worden.

17 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Auf Anordnung des Gerichts haben die Parteien das Schreiben des Klägers an das Parlament vom 4. April 1989 und die Antwort des Parlaments vom 6. Juni 1989 vorgelegt.

18 Die mündliche Verhandlung hat am 7. Juli 1992 stattgefunden. Die Parteivertreter haben mündlich zur Sache verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

19 In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, er verzichte auf die von ihm erhobene Einrede der Unzulässigkeit, weil er dem Gericht die Möglichkeit nicht nehmen wolle, über die Begründetheit zu entscheiden. Der Kläger hat eine Abschrift eines Urteils des Juge de paix für den Zweiten Kanton Schärbeek vom 1. April 1992 vorgelegt (nachstehend unter Randnr. 26).

Anträge der Parteien

20 Der Kläger beantragt,

1) festzustellen, daß die Klage zulässig und begründet ist;

2) demgemäß die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Europäischen Parlaments über den Erlaß der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts festzustellen; die Entscheidung vom 8. März 1990, mit der dem Kläger die Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder nach Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts versagt wurde, aufzuheben; soweit erforderlich, die Entscheidung vom 3. Juli 1990, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wurde, aufzuheben;

3) dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

21 Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung seine Anträge in bezug auf die Zulässigkeit der Klage zurückgenommen und beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen;

° über die Kosten des Verfahrens nach den anwendbaren Bestimmungen zu entscheiden.

Begründetheit

22 Der Kläger macht drei Klagegründe geltend, erstens einen Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts, zweitens die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Parlaments vom 29. März 1977 über den Erlaß der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts und drittens einen Verstoß gegen Artikel 25 des Statuts.

Zum Klagegrund der Verletzung von Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts

23 Nach Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts kann "dem unterhaltsberechtigten Kind... ausnahmsweise durch besondere mit Gründen versehene und auf beweiskräftige Unterlagen gestützte Verfügung der Anstellungsbehörde jede Person gleichgestellt werden, der gegenüber der Beamte gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist und deren Unterhalt ihn mit erheblichen Ausgaben belastet".

Vorbringen der Parteien

24 Der Kläger vertritt die Ansicht, daß die Anstellungsbehörde die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder gewähren müsse, sobald sie festgestellt habe, daß die betreffenden Kinder Kinder im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts seien und die Altersvoraussetzungen nach Artikel 2 Absatz 4 erfuellten. Er beruft sich dafür auf das Urteil des Gerichtshofes vom 19. Januar 1984 in der Rechtssache 65/83 (Erdini/Rat, Slg. 1984, 211).

25 Zu den in Artikel 2 Absatz 4 erwähnten gesetzlichen Unterhaltspflichten macht der Kläger geltend, daß nach belgischem Recht die Kinder seiner Lebensgefährtin ihm gegenüber Gläubiger einer auf Unterhalt gerichteten Naturalobligation seien, die sich in eine zivilrechtliche Verpflichtung umgewandelt habe. Eine Unterhaltsschuld könne sich aus einer auf den Gefühlsbindungen zwischen den Lebensgefährten einerseits und einem Lebensgefährten und den Kindern seines Partners andererseits beruhenden Naturalobligation ergeben. Diese auf Unterhalt gerichtete Naturalobligation könne in eine zivilrechtliche Verpflichtung umgewandelt werden, indem sie vom Schuldner anerkannt und/oder freiwillig erfuellt werde.

26 Zur Begründung dieser Auffassung beruft sich der Kläger in seinen Schriftsätzen auf eine Reihe von Argumenten aus Entscheidungen belgischer Gerichte. In der mündlichen Verhandlung hat er sich auch auf das genannte Urteil des Juge de paix für den Zweiten Kanton Schärbeek vom 1. April 1992 berufen, das auf eine Klage erging, die Frau González Reillo am 21. Februar 1992 im Namen ihrer Kinder gegen ihn erhoben hatte. In diesem Urteil setzte der Juge de paix den Beitrag, den der Kläger zu den Kosten des Unterhalts und der Ausbildung der Kinder von Frau González Reillo zu leisten hat, auf 20 000 BFR je Monat und Kind fest und verurteilte diesen mit sofortiger Wirkung zur Zahlung dieser Beiträge für den Fall, daß die freiwilligen Leistungen eingestellt würden. In den Entscheidungsgründen des Urteils stellte das Gericht fest: "Die auf Unterhalt gerichtete Naturalobligation, die Herr Díaz García gegenüber den Kindern der Klägerin anerkennt, wurde aufgrund ihrer freiwilligen Erfuellung über mehr als vier Jahre in eine zivilrechtliche Verpflichtung umgewandelt, deren Erfuellung bei einer Einstellung der freiwilligen Leistungen gerichtlich durchgesetzt werden kann."

27 Für die Feststellung, welches Recht anwendbar ist, stützte sich der Juge de paix Schärbeek auf Artikel 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24. Oktober 1956, dem sowohl Belgien als auch Spanien beigetreten seien und in dem es heisse: "Ob, in welchem Ausmaß und von wem ein Kind Unterhalt verlangen kann, bestimmt sich nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat." Das Gericht stellte fest, daß die Kinder, um die es geht, ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit Dezember 1989 in Belgien hätten, und wandte deshalb belgisches Recht an.

28 Ferner weist der Kläger darauf hin, daß er am 20. Dezember 1989 gegenüber dem belgischen Staat eine Unterhaltsverpflichtung eingegangen sei. Somit sei es unbestreitbar, daß aus seiner freiwilligen Verpflichtung gesetzliche Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern von Frau González Reillo entstanden seien.

29 Der Beklagte macht geltend, daß nach Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts die Gewährung einer Zulage für eine einem unterhaltsberechtigten Kind gleichgestellte Person von der Voraussetzung abhängig sei, daß der Beamte der fraglichen Person gegenüber "gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist". Die Beweislast obliege dem Beamten, der "beweiskräftige Unterlagen" vorlegen müsse.

30 Der Kläger habe nicht den Beweis dafür erbracht, daß er gegenüber den Kindern seiner Lebensgefährtin gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet sei. In der Zeit, für die der Kläger die Gewährung der fraglichen Zulage beantragt habe, sei er nämlich selbst mit der Mutter seines ehelichen Kindes verheiratet gewesen, während seine Lebensgefährtin ihrerseits mit dem Vater ihrer beiden Kinder verheiratet gewesen sei. Weder im spanischen Recht noch in dem den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Recht gebe es jedoch eine gesetzliche Unterhaltspflicht eines Mannes gegenüber den Kindern seiner Lebensgefährtin.

31 Der vom Kläger am 20. Dezember 1989 eingegangenen Unterhaltsverpflichtung liege eine Entscheidung zugrunde, die der Betroffene freiwillig getroffen habe. Darin könne nicht die Quelle einer gesetzlichen Unterhaltspflicht, das heisst einer Pflicht, die sich aus der geltenden Rechtsordnung und nicht aus einem persönlichen Willensakt ergebe, gesehen werden.

32 In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, daß das Urteil des Juge de paix Schärbeek zu einem Zeitpunkt ergangen sei, zu dem der Kläger und Frau González Reillo bereits verheiratet gewesen seien, also beinahe zwei Jahre nach dem Zeitraum, um den es in der vorliegenden Rechtssache gehe. Von dem Rechtsstreit seien also nicht Lebensgefährten, sondern Ehegatten betroffen gewesen. Da es sich im übrigen bei der von Frau González Reillo gegen den Kläger erhobenen Klage um eine Klage auf künftige Leistungen handele, mit der die Erfuellung einer Verpflichtung erzwungen werden solle, die er bereits einhalte, sei das Urteil auf einen hypothetischen Sachverhalt gestützt worden, und es fehle an einem tatsächlichen Interessengegensatz. Die Klägerin habe weder ein ursprüngliches noch ein gegenwärtiges Rechtsschutzinteresse gehabt. Vielmehr habe der angebliche Schuldner in gewisser Weise die Feststellung angestrebt, daß er eine gesetzliche Unterhaltspflicht habe, obwohl ihm niemand das Recht bestreite, eine von ihm persönlich als Naturalobligation angesehene Verpflichtung freiwillig zu erfuellen, wenn er es für richtig halte.

Würdigung durch das Gericht

33 Nach Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts kann jede Person, der gegenüber der Beamte gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist und deren Unterhalt ihn mit erheblichen Ausgaben belastet, für die Zwecke der Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder durch besondere Verfügung einem unterhaltsberechtigten Kind gleichgestellt werden.

34 Da die Gleichstellung einer Person mit einem unterhaltsberechtigten Kind Ausnahmecharakter hat, was durch den Wortlaut des Statuts unterstrichen wird, ist die Voraussetzung, daß den Beamten eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber einer anderen Person trifft, eng auszulegen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. November 1974 in der Rechtssache 6/74, Moulijn/Kommission, Slg. 1974, 1287).

35 Der Begriff "gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet", wie er vom Statut verwendet wird, orientiert sich an den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die den Eltern und/oder den näheren oder entfernteren Verwandten eine gegenseitige gesetzliche Verpflichtung zum Unterhalt auferlegen. Mit der Verwendung des Begriffs der gesetzlichen Unterhaltspflicht in Artikel 2 Absatz 4 seines Anhangs VII stellt das Statut ausschließlich auf die Unterhaltspflicht eines Beamten ab, deren rechtlicher Ursprung vom Willen der Parteien unabhängig ist, und schließt daher die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen aus, bei denen es sich um vertragliche Verpflichtungen, Naturalobligationen oder Schadensersatzpflichten handelt.

36 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteil vom 18. Januar 1984 in der Rechtssache 327/82, Ekro, Slg. 1984, 107) ist den Begriffen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Erläuterung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung zu geben, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels zu ermitteln ist. Nach Ansicht des Gerichts kann jedoch, wenn eine ausdrückliche Verweisung fehlt, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegebenenfalls eine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten einschließen, wenn der Gemeinschaftsrichter dem Gemeinschaftsrecht oder den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts keine Anhaltspunkte entnehmen kann, die es ihm erlauben, Inhalt und Tragweite des Gemeinschaftsrechts durch eine autonome Auslegung zu ermitteln.

37 Weder das Gemeinschaftsrecht noch das Statut liefern aber dem Gemeinschaftsrichter Hinweise, anhand deren er durch eine autonome Auslegung den Inhalt und die Tragweite der gesetzlichen Unterhaltspflicht ermitteln könnte, aufgrund deren einem Beamten die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts gewährt werden kann. Daher ist zu ermitteln, welcher nationalen Rechtsordnung der Kläger unterliegt, und zu prüfen, ob ihm diese gegenüber den Kindern seiner Lebensgefährtin eine gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne des Statuts auferlegt.

38 Für die Zwecke dieser Prüfung ist zu ermitteln, welches Gericht zuständig sein könnte und welches Recht dieses Gericht nach seinen eigenen Kollisionsnormen anwenden würde.

39 Im vorliegenden Fall haben beide Betroffenen die spanische Staatsangehörigkeit. Im fraglichen Zeitraum, der sich vom Dienstantritt des Klägers beim Parlament (Februar 1989) bis zu seiner Eheschließung mit Frau González Reillo (April 1990) erstreckt, wohnten die Kinder zunächst von Februar 1989 bis zum Ende des Schuljahres 1988/89 bei ihrer Mutter in Spanien. Anschließend wohnten sie beim Kläger und ihrer Mutter in Belgien. Zunächst hielten sie sich in Belgien aufgrund einer vorläufigen Aufenthaltsbewilligung auf. Mit Wirkung vom 20. Dezember 1989 wurde ihnen aufgrund der vom Kläger eingegangenen Unterhaltsverpflichtung der weitere Aufenthalt in Belgien bewilligt.

40 Bei dieser Sachlage zeigt sich, daß je nach dem Zeitpunkt, zu dem eine Klage eingereicht worden wäre, die spanischen oder die belgischen Gerichte zuständig gewesen wären und daß das anwendbare Recht das spanische oder das belgische Recht hätte sein können.

41 Es steht jedoch im vorliegenden Fall fest, daß es weder im belgischen noch im spanischen Recht eine wie vorstehend definierte gesetzliche Unterhaltspflicht einer Person gegenüber den Kindern ihres Lebensgefährten gibt, deren rechtlicher Ursprung vom Willen des Schuldners unabhängig ist. Daher war der Kläger, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob das Haager Übereinkommen auf die in Rede stehende Beziehung anwendbar war oder ob diese Beziehung dem belgischen oder dem spanischen Recht unterlag, während des streitigen Zeitraums nicht im Sinne des Statuts gesetzlich zum Unterhalt gegenüber den Kindern von Frau González Reillo verpflichtet.

42 Insbesondere kann dem Vorbringen des Klägers, das auf die Ansicht gestützt wird, eine durch Umwandlung einer Naturalobligation geschaffene zivilrechtliche Verpflichtung stelle eine gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne des Statuts dar, nicht gefolgt werden. Selbst wenn die Erfuellung einer solchen zivilrechtlichen Verpflichtung gerichtlich erzwungen werden kann, stellt sie keine Verpflichtung dar, deren rechtlicher Ursprung vom Willen der Parteien unabhängig ist, da sie ihren Ursprung in einem freiwilligen Verhalten hat; sie kann daher nicht als gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne des Statuts angesehen werden.

43 Ungeachtet einer seit der Abfassung des Statuts im Jahre 1962 eingetretenen Änderung der Wertvorstellungen ist das Gericht jedenfalls nicht befugt, Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts eine weiter gefasste Auslegung zu geben, um Verpflichtungen der vom Kläger angeführten Art in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen.

44 Zum Urteil des Juge de paix Schärbeek vom 1. April 1992 genügt die Feststellung, daß es sich auf einen Zeitraum nach der Eheschließung des Klägers mit Frau González Reillo bezieht. Dieses Urteil ist daher für den Zeitraum, um den es im vorliegenden Fall geht, unerheblich.

45 Was die vom Kläger zugunsten der Kinder seiner Lebensgefährtin eingegangene Unterhaltsverpflichtung angeht, so kann eine solche Verpflichtung, unterstellt, sie könnte eine Unterhaltspflicht schaffen, ebenfalls nicht als gesetzliche Unterhaltspflicht im Sinne des Statuts eingestuft werden, da sie auf den Willen des Beamten zurückgeht.

46 Nach allem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

Der Klagegrund der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Parlaments vom 29. März 1977 zur Festlegung der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts

47 Artikel 3 der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen betreffend die Gleichstellung einer Person mit einem unterhaltsberechtigten Kind, die das Parlament am 29. März 1977 erlassen hat, sieht vor:

"Die Person, deren Gleichstellung beantragt wird, muß eine der folgenden Voraussetzungen erfuellen:

° älter als 60 Jahre sein, wenn es sich um einen Mann, und älter als 55 Jahre sein, wenn es sich um eine Frau handelt;

° jünger als 18 Jahre sein; diese Altersgrenze erhöht sich jedoch auf 26 Jahre, wenn sich die betreffende Person in Schul- oder Berufsausbildung befindet;

° dauernd gebrechlich sein oder an einer Krankheit leiden, die es ihr unmöglich macht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten."

Vorbringen der Parteien

48 Der Kläger macht geltend, das Parlament habe dadurch, daß es Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht vorgesehene Voraussetzungen hinzugefügt habe, offensichtlich einen Verfahrens- und Befugnismißbrauch begangen. Artikel 3 des Beschlusses führe automatisch zum Ausschluß einer erheblichen Zahl von Personen (insbesondere der Kinder des Lebensgefährten eines Beamten, der tatsächlich ihnen gegenüber die Lasten eines Familienvorstands trage), soweit sie nicht an einer schweren Krankheit litten oder dauernd gebrechlich seien.

49 Der Beklagte räumt auf das auf Artikel 3 der Allgemeinen Durchführungsbestimmungen gestützte Vorbringen des Klägers ein, daß eine gleichlautende Vorschrift durch Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 1990 in der Rechtssache T-75/89 (Brems/Rat, Slg. 1990, II-899, Randnr. 29) für rechtswidrig erklärt worden sei. Er macht jedoch geltend, daß Artikel 3 nicht die Grundlage der vom Kläger angefochtenen Einzelfallentscheidung gewesen sei, denn die Kinder seiner Lebensgefährtin, die jünger als 18 Jahre seien, fielen in vollem Umfang in den Anwendungsbereich des Artikels 3. Der Antrag des Klägers sei somit nicht aufgrund dieser Bestimmung abgelehnt worden.

Würdigung durch das Gericht

50 Es genügt die Feststellung, daß Artikel 3 der in Rede stehenden Allgemeinen Durchführungsbestimmungen keine Vorschrift enthält, die die Kinder von Frau González Reillo von der Anwendung des Artikels 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts ausschließen könnte, da diese im streitigen Zeitraum jünger als 18 Jahre waren.

51 Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Der dritte Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 25 des Statuts

Vorbringen der Parteien

52 Der Kläger macht geltend, daß es ihm die Begründungen der ausdrücklichen ablehnenden Entscheidungen über seinen Antrag und seine Beschwerde nicht erlaubt hätten, die Rechtmässigkeit dieser Entscheidungen zu prüfen. Das Parlament habe Allgemeine Durchführungsbestimmungen erlassen, weil es entweder der Ansicht gewesen sei, daß Absatz 4 nicht klar sei, oder weil für die Verwaltung geeignete Kriterien für die Ausübung ihres Ermessens festzulegen gewesen seien. Unter diesen Umständen könne das Parlament im Rahmen des vorliegenden Falles nicht die Ansicht vertreten, daß diese Vorschrift hinreichend klar sei, um sich selbst zu genügen.

53 Der Beklagte macht geltend, daß die Verweisung auf die Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 4 in der Entscheidung vom 8. März 1990 eine hinreichende Begründung darstelle. Ausserdem habe der Kläger in seiner Beschwerde keine entsprechende Rüge vorgetragen, und der Beklagte sei daher nicht verpflichtet gewesen, diese Frage in seiner Antwort zu behandeln.

Würdigung durch das Gericht

54 Die Würdigung des ersten vom Kläger geltend gemachten Klagegrundes durch das Gericht hat eindeutig ergeben, daß dieser keinen Anspruch auf Gleichstellung der Kinder seiner Lebensgefährtin mit unterhaltsberechtigten Kindern geltend machen konnte, denn er war ihnen gegenüber nicht gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet. Daher könnte die angefochtene Entscheidung selbst dann, wenn sie wegen unzureichender Begründung aufgehoben würde, nur durch eine neue in der Sache mit der angefochtenen Entscheidung gleichlautende Entscheidung ersetzt werden. In Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofes, nach der ein Kläger dann kein berechtigtes Interesse an der Aufhebung einer Entscheidung wegen Formmangels hat, wenn die Verwaltung keinen Ermessensspielraum besitzt und handeln muß, wie sie es getan hat (Urteil vom 6. Juli 1983 in der Rechtssache 117/81, Geist/Kommission, Slg. 1983, 2191, Randnr. 7; siehe auch Urteil vom 29. September 1976 in der Rechtssache 9/76, Morello/Kommission, Slg. 1976, 1415, Randnr. 11), braucht das Gericht diesen Klagegrund nicht näher zu prüfen.

55 Nach allem ist festzustellen, daß die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

56 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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