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Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.12.2000
Aktenzeichen: 18 K 2941/96 AO
Rechtsgebiete: GrEStWoBauG, FGO, AO


Vorschriften:

GrEStWoBauG § 3 Abs. 5
FGO § 102
AO § 234 Abs. 2
AO § 237 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Düsseldorf

18 K 2941/96 AO

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klägerin erwarb im Jahre 1982 Grundeigentum. Hierfür beantragte sie am 22.03.1982 Befreiung von der Grunderwerbsteuer. Nachdem der Beklagte festgestellt hatte, dass die Voraussetzungen des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau -GrEStWoBauG- nicht erfüllt waren, setzte er mit Bescheid vom 11.05.1988 Grunderwerbsteuer (17.063 DM) einschließlich eines Zuschlages (7.165 DM) gemäß § 3 Abs. 5 dieses Gesetzes in Höhe von insgesamt 24.228 DM fest. Dieser Betrag war bis zum 14.06.1988 zu zahlen.

Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Außerdem beantragte sie am 12.06.1988 Aussetzung der Vollziehung des Bescheides, welche der Beklagte mit Verfügung vom 30.06.1988 gewährte. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 13.01.1989).

Mit der Klage verfolgte die Klägerin zunächst ihr Begehren vor dem Finanzgericht -FG- Düsseldorf (Az.: 3 K 23/89 GE) weiter. In der mündlichen Verhandlung am 30.11.1993 nahm sie die Klage zurück. Daraufhin wurde mit Beschluss vom 30.11.1993 das Verfahren eingestellt.

Während des Klageverfahrens hatte der Beklagte auf Antrag vom 01.02.1989 die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheides bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über die Klage vor dem FG ausgesetzt (Verfügung vom 10.02.1989). Sämtliche Aussetzungsverfügungen enthielten den Hinweis auf die Zinspflicht nach § 237 Abgabenordnung -AO-. Nach Klagerücknahme beendete der Beklagte die Aussetzung der Vollziehung und forderte die Klägerin zur Zahlung der Grunderwerbsteuer einschließlich des Zuschlages bis zum 07.01.1994 auf (Verfügung vom 02.12.1993).

Mit Bescheid vom 18.01.1994 setzte der Beklagte Aussetzungszinsen zur Grunderwerbsteuer von abgerundet 17.000 DM für die Dauer von 66 Monaten (14.06.1988 bis 14.12.1993) in Höhe von 5.610 DM fest. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 24.01.1994, eingegangen am 21.01.1994, Einspruch ein. Dieser blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 09.06.1995).

Die Klägerin hatte sich im Einspruchsschreiben vom 24.01.1994 gegen die Zinsfestsetzung mit der Begründung gewandt, Aussetzungszinsen entfielen, weil das Betriebstättenfinanzamt "A" in den Jahren 1989 bis Ende 1993 Lohnsteuer ihres Ehemannes für 1989 und 1990 von ca. 128.000 DM zu Unrecht einbehalten und nunmehr zurückgezahlt habe. Für 1989 und 1990 würden erhebliche Einkommensteuererstattungsansprüche entstehen. Tatsächlich setzte das Wohnsitzfinanzamt "B" mit Bescheiden vom 24.11.1994 die Einkommensteuer 1989 und 1990 herab, nachdem die Klägerin und ihr Ehemann - nach Abschluss eines Zivilrechtsstreits mit dem Arbeitgeber im November 1993 - Lohnsteuerbescheinigungen über berichtigten Arbeitslohn einschließlich Lohnsteuer für 1989 und 1990 eingereicht hatten (Schreiben vom 26.08.1994 bzw. 03.09.1994). Außerdem setzte das Finanzamt "B" Erstattungszinsen nach § 233a AO von 2.881 DM (1989) bzw. 241 DM (1990) fest. Die geänderten Steuerfestsetzungen führten zu Einkommensteuererstattungsansprüchen für 1989 von 11.474,16 DM und für 1990 von 267,21 DM. Zuvor hatten die Klägerin und ihr Ehemann mit Schreiben vom 26.12.1993 (1989) und 26.08.1994 (1990) die Umbuchung dieser Beträge auf das beim Beklagten geführte Grunderwerbsteuerkonto beantragt.

Der Beklagte, der das Einspruchsschreiben vom 24.01.1994 auch als Antrag auf Erlass von Aussetzungszinsen ausgelegt hatte, lehnte mit Bescheid vom 09.05.1995 - ohne Rechtsbehelfsbelehrung - einen solchen Verzicht ab.

Der hiergegen am 30.06.1995 erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 25.04.1996). Der Beklagte war der Auffassung, ein Zinsverzicht sei geboten, wenn eine Aufrechnung zulässig sei. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben. Anspruch und Gegenanspruch müssten zwischen denselben Personen bestehen; Schuldner des einen Anspruchs müsse Gläubiger des anderen Anspruchs sein. Im Streitfall sei eine solche Gegenseitigkeit nicht gegeben. Während dem Beklagten ein Grunderwerbsteueranspruch gegen die Klägerin zugestanden habe, habe der Ehemann der Klägerin einen Einkommensteuererstattungsanspruch gehabt. Gegen den Anspruch eines Ehegatten dürfe das Finanzamt nicht mit eigenen Ansprüchen gegen den anderen Ehegatten aufrechnen.

Mit der gegen die "Einspruchsentscheidung vom 25. April 1996" gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, die Aussetzungszinsen seien aufzuheben, weil der Beklagte in den Jahren 1989 bis 1993 über einen ihm nicht zustehenden erheblichen Steuerbetrag verfügt habe, nämlich über die zu Unrecht an das Betriebstättenfinanzamt "A" für 1989 und 1990 abgeführte Lohnsteuerbeträge von ca. 128.000 DM. Aufgrund dieses überzahlten Betrages, der nicht verzinst worden sei, sei es unbillig, Aussetzungszinsen zu erheben. Der Beklagte habe keinen Zinsnachteil und sie keinen Zinsvorteil gehabt. Außerdem könne eine vollständige Würdigung des Streitfalles nur im Wege einer Zusammenschau mit ihren anderen Verfahren erfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringen wird auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsätze vom 10.12.1999 und 25.10. 1999 verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.06.1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.04.1996 zu verpflichten, auf die festgesetzten Aussetzungszinsen zu verzichten.

hilfsweise

Vertagung,

weiter hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass eine Aufrechnungslage zwischen dem Nachzahlungs- und den Erstattungsansprüchen nicht bestanden habe. Eine Aufrechnung hätte auch nicht auf den Beginn der Aussetzung zurückwirken können, weil die Einkommensteuererstattungsansprüche erst später entstanden seien als der Anspruch auf Aussetzungszinsen. Im Übrigen seien die Erstattungsansprüche nach § 233a AO verzinst worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 10.12.1999 lehnte das Gericht mit unanfechtbarem Beschluss den Antrag der Klägerin auf Verbindung der Verfahren 18 K 3941/95 AO, 18 K 2941/95 AO und 18 K 4228/99 AO ab.

Die gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen erhobene Klage (18 K 3941/95 AO) nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 10.12.1999 zurück, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde (Beschluss vom 10.12.1999).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten im Klageverfahren und die vom Gericht beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Ablehnung des Verzichts auf Aussetzungszinsen zur Grunderwerbsteuer ist rechtmäßig.

Gemäß § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO kann auf Aussetzungszinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Billigkeitsantrag ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 Finanzgerichtsordnung -FGO- gezogenen Grenzen überprüft werden kann (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichte des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS OGB 3/70, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1972, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906). Lediglich dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO; vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BStBl II 1997, 259).

Im Streitfall sind die Ermessenserwägungen des Beklagten nicht zu beanstanden. Insbesondere war sein Ermessen nicht auf Null reduziert, weil sich der Ermessensspielraum nicht derart verengt hat, dass nur ein Verzicht richtig gewesen wäre.

Sachliche Billigkeitsgründe für den Verzicht auf Aussetzungszinsen kommen nicht in Betracht. Ein Verzicht wegen sachlicher Unbilligkeit setzt voraus, dass die Erhebung von Aussetzungszinsen im Einzelfall mit Rücksicht auf den von § 237 AO verfolgten Zweck nicht mehr zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung aber gegen allgemeine Rechtsgrundsätze verstößt oder den gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft. Hierbei müssen bei der Billigkeitsprüfung solche Umstände unberücksichtigt bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1993 X R 104/91, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen -BFH/NV- 1994, 597 mit weiteren Nachweisen -mwN-). Nach § 237 Abs. 1 AO ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Nach Sinn und Zweck des § 237 AO soll die Erhebung von Aussetzungszinsen zum einen verhindern, dass durch Anfechtungsklagen "ohne ernsthafte Erfolgsaussichten", verbunden mit einer gleichwohl erlangten Aussetzung der Vollziehung, die Steuerzahlung zinslos hinausgeschoben wird. Zum anderen sollen der Zinsnachteil des Steuergläubigers, der den Steuerbetrag nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung erhält, und der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden (BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BStBl II 1991, 498 mwN). Dies gilt auch bei einer überlangen Verfahrensdauer, selbst wenn sie auf einer schuldhaft verzögerten Bearbeitung durch den Veranlagungsbeamten beruht (BFH-Beschluss vom 19. Februar 1996 I B 86/95, BFH/NV 1996, 725 mwN).

Im Streitfall war die Erhebung der Aussetzungszinsen auch nicht deswegen sachlich unbillig, weil eine sog. Verrechnungsstundung während des Zinszeitraums möglich gewesen wäre. Eine solche Stundungssituation besteht - neben der erforderlichen Gegenseitigkeit der Ansprüche - nur dann, wenn mit einem Gegenanspruch zwar noch nicht aufgerechnet werden kann, dieser aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht, alsbald fällig und nach Grund und Höhe schlüssig belegt wird (BFH-Urteile vom 6. Oktober 1982 I R 98/81, BStBl II 1983, 397;vom 7. März 1985 IV R 161/81, BStBl II 1985, 449;vom 12. Juni 1996 II R 71/94, BFH/NV 1996, 873; FG Münster, Urteil vom 03.12.1993 11 K 5330/91, rkr., Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1994, 552). Diese Voraussetzungen waren bis zum Ende des Zinslaufs am 14.12.1993 nicht erfüllt. Der Zivilrechtsstreit über das Vorliegen von Arbeitslohn wurde erst im November 1993 rechtskräftig abgeschlossen. Lohnsteuerbescheinigungen oder sonstige Unterlagen über berichtigten Arbeitslohn und hierauf entfallende Lohnsteuer reichten die Klägerin und ihr Ehemann im August und September 1994 ein. Eine Abtretungserklärung des Ehemanns hinsichtlich des ihm zustehenden (künftigen) Erstattungsanspruchs für 1989 könnte frühestens dem Umbuchungsantrag der Eheleute vom 26.12.1993 zu entnehmen sein. Demgemäß kann offen bleiben, ob eine Verrechnungsstundungssituation überhaupt einen Verzicht auf Aussetzungszinsen rechtfertigt, wenn die Erstattungsansprüche ihrerseits verzinst werden.

Darüber hinaus begründet der Einwand der Klägerin, die Finanzverwaltung habe von 1989 bzw. 1990 bis Ende 1993 Lohnsteuerabzugsbeträge ihres Ehemanns in Höhe von ca. 128.000 DM zu Unrecht einbehalten, keinen sachlichen Billigkeitsgrund für einen Verzicht auf Aussetzungszinsen zur Grunderwerbsteuer. Dieser Sachverhalt ist im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1989 und 1990 zu würdigen, was auch durch die Änderung der Steuerfestsetzungen für diese Jahre einschließlich der Verzinsung der Einkommensteuererstattungsansprüche nach § 233a geschehen ist.

Die Rechtssache ist entscheidungsreif. Eine Vertagung kommt daher nicht in Betracht. Insbesondere ist der Ausgang dieses Verfahrens wegen Verzichts auf Aussetzungszinsen nicht von der Streitfrage im Verfahren 18 K 816/96 AO abhängig, ob bzw. in welcher Höhe Einkommensteuererstattungsansprüche für 1989 bis 1991 nach §§ 236, 233a AO zu verzinsen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs abweicht (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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