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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 5 K 3532/05 U
Rechtsgebiete: AO, UStG


Vorschriften:

AO § 163
UStG § 4 Nr. 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

5 K 3532/05 U

Ablehnung des Antrags auf abweichende Festsetzung der USt 1997 aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Senat des Finanzgerichts Münster

in der Sitzung vom 14. Dezember 2005,

an der teilgenommen haben:

...

auf Grund mündlicher Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen.

Der Kläger ist seit 1991 als Facharzt für Chirurgie und Plastische Chirurgie selbständig tätig. Anlässlich einer Umsatzsteuersonderprüfung für das Jahr 1996 und die Voranmeldungszeiträume Januar bis August 2003 vertrat der Prüfer die Auffassung, dass ärztliche Leistungen des Klägers nur insoweit gem. § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz - UStG - von der Umsatzsteuer befreit seien, als es sich um Heilbehandlungen handele. Heilbehandlungen im Sinne der Befreiungsvorschrift lägen nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nur vor, wenn die Leistungen des Arztes der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienten. Die Umsatzsteuerbefreiung für ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen hänge demzufolge davon ab, ob die Leistungen medizinisch indiziert seien oder nicht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 30. April 2004 Bezug genommen. Obwohl der Kläger nach Auffassung des Prüfers in 1996 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 79.688,34 DM ausgeführt hatte, wurde eine USt für 1996 wegen der Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) nicht erhoben. Im Jahre 2004 führte der Beklagte erneut eine USt-Sonderprüfung beim Kläger durch. Entsprechend den Ausführungen im Prüfungsbericht vom 12. April 2005 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 26. April 2005 die USt für 1997 i.H.v. 4.307,63 EUR zzgl. Zinsen fest. Über den Einspruch gegen diesen Bescheid ist bislang nicht entschieden.

Bereits vor Ergehen des USt-Bescheides beantragte der Kläger mit Schreiben vom 24. März 2005 die für 1997 festzusetzende Umsatzsteuer gem. § 163 i.V.m. § 227 AO aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Zur Begründung verwies er auf die BFH-Entscheidung vom 15. Juli 2004 (V R 27/03, BStBl II 2004,862). Im Urteil des EuGH vom 14. September 2002 (Rs. C-384/98 - in Slg. 2000, I - 6795, UR 2000, 432)) sei erstmals entschieden worden, dass nach Art. 13 Teil A Abs. 1 c der 6. EG-Richtlinie Leistungen eines Arztes umsatzsteuerfrei seien, wenn sie der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienten. Vor Bekanntwerden dieser Entscheidung sei in der Finanzverwaltung die Frage der Umsatzsteuerpflicht von ärztlichen Leistungen, auch von solchen, die nicht der Behandlung von Krankheiten dienten, nicht in Erwägung gezogen worden. Insbesondere seien in Nordrhein-Westfalen keine USt-Festsetzungen erfolgt. Die OFD Münster habe sich erstmals in einer Kurzinformation vom 21. Februar 2004 entsprechend der Verfügung vom 20. Juni 2002 zur Frage der Umsatzbesteuerung der Tätigkeit eines ästhetisch-plastischen Chirurgen geäußert. Die Finanzverwaltung in NRW habe zudem erst in 2003 erste USt-Sonderprüfungen bei plastisch tätigen Chirurgen durchgeführt. Auch in den BMF-Schreiben vom 13.2.2001 (BStBl I 2001, 157) und vom 8. November 2001 (BStBl I 2001, 826) sei die Umsatzsteuerpflicht von Schönheitsoperationen nicht erwähnt. In den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern sei aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit der Steuerpflichtigen zur Vermeidung einer unvorhersehbaren Belastung mit USt-Zahlungen der Beginn der Steuerpflicht durch Erlasse der OFDen München, Nürnberg und Karlsruhe geregelt worden. Nach diesen Erlassen gelte die USt-Pflicht für die genannten Leistungen erst ab dem 1.1.2003. Für den Geltungsbereich der OFD Münster könne unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes keine andere Verfahrensweise zur Anwendung kommen. Gleiche Sachverhalte dürften nicht ungleich behandelt werden. Aus Billigkeitsgründen müssten die Steuerpflichtigen in den Ländern, in denen keine entsprechenden Erlasse oder Verfügungen ergangen seien, gleich behandelt werden. Er habe die USt für 1997 überhaupt nicht in seine Disposition einbezogen und könne sie für die steuerpflichtigen Leistungen im nachhinein nicht mehr von seinen Patienten fordern. Aus diesen Gründen müsse die USt für Zeiträume vor dem 1.1.2003, also auch für das Streitjahr 1997, auf 0,00 EUR reduziert werden.

Mit Bescheid vom 8. April 2005, auf den Bezug genommen wird, lehnte der Beklagte den Antrag ab.

Zur Begründung führte er aus, dass ein Erlass nach § 227 AO nicht in Betracht komme, da die USt 1997 bislang noch gar nicht festgesetzt worden sei. Auch eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht. Eine abweichende Festsetzung aus persönlichen Billigkeitsgründen komme schon deshalb nicht in Betracht, weil keine entsprechenden Billigkeitsgründe, insbesondere die Erlassbedürftigkeit, geltend gemacht worden seien. Auch eine abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen komme vorliegend nicht in Betracht. Die Umsatzbesteuerung von nicht medizinisch indizierten ärztlichen Leistungen entspreche dem Gesetz und laufe auch den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwider. Die Steuerpflicht der Leistungen aus der Tätigkeit ästhetisch-plastischer Chirurgen sei nach den Erörterungen auf Bundesebene nicht mit einer bundeseinheitlichen Übergangsregelung versehen worden. In Nordrhein-Westfalen seien nie Regelungen getroffen worden, die Vertrauenstatbestände hätten begründen können. Die Steuerpflicht sei mithin auf alle offenen Fälle anzuwenden. Die anders gelagerten Regelungen in Baden-Württemberg und Bayern seien zugegebenermaßen "unglücklich", aber nur aus den von den dortigen Finanzbehörden geschaffenen Vertrauenstatbeständen zu erklären und in Nordrhein-Westfalen ohne Belang. Auch der Hinweis auf das BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 führe zu keiner anderen Beurteilung.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, dass während der Betriebsprüfung in 1997 für die Jahre 1993 bis 1995 kein Hinweis auf die USt-Pflicht von Schönheitsoperationen erfolgt sei. Im Bp-Bericht vom 8. September 1997 sei zur Umsatzsteuer in Tz. 8 ausgeführt: "Steuerpflichtige Umsätze lagen im Prüfungszeitraum nicht vor." Die OFD Münster habe erstmals in der Verfügung vom 20. Juni 2002 darauf hingewiesen, dass ärztliche Leistungen nach § 4 Nr. 14 umsatzsteuerfrei sein können, sofern es sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin handele. Erstmals befinde sich in diesem Schreiben auch der Hinweis, dass eine generelle USt-Befreiung für ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen nicht in Betracht komme. Wenn die Finanzverwaltung nun Umsatzsteuer ab 1997 erhebe, bürde sie dem Steuerpflichtigen eine Steuerpflicht auf, die sie selbst zu diesem Zeitpunkt als nicht bestehend angesehen habe.

Die Entscheidung der Referatsleiter der Obersten Finanzbehörden von Bund und Ländern vom 10. und 12. Juni 2003, nach der es aus Billigkeitsgründen nicht zu beanstanden sei, wenn vor dem 1.1.2003 erbrachte Leistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie als steuerfrei behandelt würden, soweit durch Erlasse oder Verfügungen oder einzelne Auskünfte in den Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände geschaffen worden seien, führe zur ungleichmäßigen Anwendung von Bundesrecht in den einzelnen Bundesländern. Eine ungleichmäßige Anwendung von Bundesrecht durch schlichtes Verwaltungshandelns sei unzulässig und verletze die Art. 3, 19 und 72 GG.

Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2005, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, lehnte der Beklagte den Einspruch als unbegründet ab. Er führte u.a. aus, dass das Bundesland NRW keinerlei Erlasse und Verfügungen zur USt-Pflicht und/oder Befreiung von Schönheitsoperationen erlassen habe und insoweit auch keine Vertrauenstatbestände begründet habe. Dass in einzelnen Bundesländern Billigkeitsregelungen getroffen worden seien, weil die Behörden in diesen Ländern in der Vergangenheit entsprechende Vertrauenstatbestände geschaffen hätten, rechtfertige nicht, dem Antrag des Klägers zu entsprechen.

Die Verwaltung der Steuern sei Aufgabe der Finanzbehörden. Die Finanzämter handelten im Auftrage des Bundes, wenn die Steuern - wie bei der USt - teilweise dem Bunde zufließen würden. Dem Bund stünden dabei Aufsichts- und Weisungsrechte zu, die eine Einheitlichkeit der Gesetzesauslegung und der Ermessensausübung sicherstellen sollten. Zur Steuerpflicht von Schönheitsoperationen sei weder eine bundeseinheitliche Weisung erteilt worden, noch sei die Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG mit einer bundeseinheitlichen Übergangsregelung versehen worden. Hierzu habe auch keine Notwendigkeit bestanden, weil die Gesetzeslage seit der Einführung dieser Vorschrift klar und eindeutig gewesen sei. Schützenwert seien danach nur die Interessen von Steuerpflichtigen in den Bundesländern gewesen, deren Landesfinanzverwaltungen entgegen der gesetzlichen Lage durch Erlasse und Verfügungen Vertrauenstatbestände geschaffen hätten. Hieraus könne der Kläger jedoch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten. Ansonsten würde dies zu einer nicht zulässigen Gleichbehandlung im Unrecht führen.

Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage wiederholt der Kläger sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Hinsichtlich des Antrags auf Zulassung der Revision führt er aus, dass es einer obergerichtlichen Entscheidung, die zur Vereinheitlichung des Verwaltungshandelns bei der Besteuerung führe, bedürfe. Außerdem sei die Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 8. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2005 den Beklagten zu verpflichten, aus sachlichen Billigkeitsgründen nach Maßgabe des § 163 S. 1 AO die Umsatzsteuer 1997 sowie die darauf entfallenden Nachzahlungszinsen auf 0,00 Euro festzusetzen,

hilfsweise,

für den Fall der Unterliegens, die Zulassung der Revision.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Entscheidung des Beklagten, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

Gem. § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.

Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603).

Die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidungen darf das Gericht nach § 102 Finanzgerichtsordnung - FGO - nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

Dem Bescheid vom 8. April 2005 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2005, mit dem der Antrag auf abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 1997 abgelehnt worden ist, vermag der erkennende Senat keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die darauf schließen lassen, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Vorschrift des § 163 AO nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Der Beklagte hat in seiner Entscheidung zutreffend das Vorliegen von persönlichen und sachlichen Billigkeitsgründen, die eine abweichende Steuerfestsetzung gem. § 163 AO rechtfertigen könnten, verneint.

Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt -, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. Beschluss des BVerfG vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441).

Der Beklagte hat in seinem Ablehnungsbescheid unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung zu Recht das Vorliegen sachlicher Billigkeitsgründe verneint. Die Umsatzsteuerbelastung der von dem Kläger getätigten und der Umsatzbesteuerung unterworfenen Umsätze entspricht den Wertungen des Gesetzgebers.

Nach § 4 Nr. 14 UStG sind u.a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der Umsatzsteuer befreit.

§ 4 Nr. 14 UStG beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (so auch die Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 14 UStG). Die Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c lautet:

"(1)

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedsstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

c)

die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedsstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."

Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahingehend auszulegen, dass medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen; befreit sind nur diejenigen Leistungen, deren Zweck der Schutz der menschlichen Gesundheit ist; die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (EuGH-Urteil vom 14. September 2000 - RS. C-384/98 - in Slg. 2000, I-6795, UR 2000, 432). Dieser Auffassung hat sich auch der BFH in seiner Entscheidung vom 15. Juli 2004 (V R 27/03, a.a.O.) angeschlossen.

Bereits zu § 4 Nr. 14 UStG 1967, auf den der Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG 1993 zurückgeht, hat der BFH entschieden, dass nicht alle vom Arzt ausgeführten Umsätze steuerfrei sind, sondern nur diejenigen, die er in Ausübung seiner heilkundlichen Tätigkeit bewirkt. Solche Umsätze als Arzt lägen nach § 2 Abs. 4 der Bundesärzteordnung in der Fassung vom 4. Februar 1970 vor, wenn eine Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" gegeben sei. In Anlehnung an § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes vom 17. Februar 1939 werde unter Ausübung der Heilkunde jede berufs- oder erwerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden am Menschen verstanden (BFH-Urteil vom 26. Mai 1977 V R 95/76, BStBl II 1977, 879).

Da der Gesetzgeber mit § 4 Nr. 14 UStG 1980, der - soweit die Tätigkeit als Arzt betroffen ist - mit der in dem Streitjahr gültigen Fassung des § 4 Nr. 14 UStG wortgleich ist, nur die Richtlinienvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL umsetzen wollte und nach der nationalen Regelung medizinisch nicht indizierte Eingriffe nicht in Ausübung der heilkundlichen Tätigkeit erbracht werden, sind nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers die vorliegend strittigen Umsätze des Klägers nicht nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

Damit läuft die Festsetzung der Umsatzsteuer nicht den Wertungen des Gesetzgebers zuwider.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Finanzverwaltung durch ihr Verhalten auch keinen Vertrauenstatbestand gesetzt, auf dessen Einhaltung der Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vertrauen durfte.

Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt voraus. Ein solcher Vertrauenstatbestand besteht in einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen kann, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. Diese Vertrauenssituation kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden, nicht hingegen durch den Erlass allgemeiner Verwaltungsrichtlinien (st. Rspr., vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1988 VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284). Als im vorstehenden Sinn unbeachtliche Verwaltungsvorschriften sind insbesondere die norminterpretierenden Verwaltungsanweisungen gemeint, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die nachgeordneten Behörden sicherstellen sollen, die aber keine Bindung aller Rechtsanwender wie durch eine Rechtsverordnung erreichen können und bei unzutreffender Gesetzesauslegung das Gericht nicht binden. Der zumindest konkludente Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt zudem vor allem dann, wenn - wie hier - die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610).

Ein derartiger Vertrauenstatbestand ist - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Abgesehen davon, dass für das Streitjahr keine allgemeinen Verwaltungsrichtlinien existierten, die besagt hätten, dass medizinisch nicht indizierte Leistungen eines plastischen Chirurgen gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei zu belassen seien, hat der Kläger vor Aufnahme seiner Tätigkeit weder eine verbindliche Zusage noch eine Auskunft beim Finanzamt darüber eingeholt, wie diese Umsätze steuerlich zu beurteilen sind. Im Übrigen enthält Abschn. 88 Abs. 2 der Umsatzsteuerrichtlinie 1996 den Hinweis, dass die Tätigkeit als Arzt die Ausübung der Heilkunde unter der Berufbezeichnung "Arzt" oder "Ärztin" ist. Zur Ausübung der Heilkunde gehört jede Maßnahme, die der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen dient. Hiermit hat die Finanzverwaltung bereits vor den Streitjahren eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass nicht alle Umsätze eines Arztes unter die Steuerbefreiungsnorm fallen.

Medizinisch nicht indizierte Operationen - wie sie der Kläger ausgeführt hat - dienen gerade nicht der Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden.

Im Schreiben vom 13. Februar 2001 (BStBl I 2001, 157) hat das Bundesministerium der Finanzen - BMF - ausgeführt, dass bestimmte Umsätze im Zusammenhang mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachten, die bislang nach Abschnitt 88 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 UStR nach Auffassung der Finanzverwaltung unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG fielen, im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 14. September 2000 abweichend von der bisherigen Regelung in Abschnitt 88 Abs. 3 UStR nunmehr als steuerpflichtig zu behandeln seien. Die Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 8. November 2001 betrifft ebenfalls nur Umsätze im Zusammenhang mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens und ist an die Stelle des BMF-Schreibens vom 13. Februar 2001 getreten. Dies letztgenannte BMF-Schreiben ist teilweise, z.B. bezüglich Abschnitt 88 Abs. 3 Nr. 5 UStR, über die Regelung im Schreiben vom 13. Februar 2001 hinausgegangen. Nur soweit dies geschehen ist, wurde dem Steuerpflichtigen aus Billigkeitsgründen ein Wahlrecht eingeräumt, diese geänderte Verwaltungsauffassung erst auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2001 erbracht worden sind.

Beide BMF-Schreiben betreffen jedoch nicht Umsätze aus medizinisch nicht indizierten Leistungen eines plastischen Chirurgen.

Die in den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern durch die dortigen Finanzverwaltungen gewährten Übergangsregelungen können auch nicht entsprechend im Streitfall zu Gunsten des Klägers angewandt werden.

Übergangsregelungen stehen nicht im Belieben der Finanzverwaltung, sondern müssen jeweils durch § 163 oder § 227 AO gedeckt sein, andernfalls das Verordnungsrecht der Verwaltungsbehörden unkontrollierbar erweitert, damit in die Legislative eingegriffen und außerdem das aus Art. 20 des GG abgeleitete Recht der Rechtsprechung auf Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt würde.

Ungeachtet des Fehlens einer allgemeinen Verwaltungsanordnung hat der Beklagte vorliegend zutreffend geprüft, ob die Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des erstmals ergangenen höchstrichterlichen Urteils des BFH zur Steuerpflicht von Umsätzen von Schönheitschirurgen zu ändern ist. In fehlerfreier Ausübung seines Ermessens hat er eine derartige Maßnahme abgelehnt. Dies gilt zunächst für die Frage, ob im Wege einer allgemeinen Übergangsregelung ein Erlass der Steuer vorzunehmen gewesen wäre und der Kläger dem entsprechend hätte gestellt werden müssen, als wäre eine solche generelle Regelung ergangen. Der Beklagte hat hierzu in seiner ablehnenden Entscheidung ausgeführt, dass die Steuerpflicht der Leistungen aus der Tätigkeit ästhetisch-plastischer Chirurgen nach Erörterungen auf Bundesebene nicht mit einer bundeseinheitlichen Übergangsregelung versehen worden sei. Eine Anwendungsregelung sei ggf. auf Länderebene möglich, soweit in den jeweiligen Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände z.B. durch Erlasse oder Verfügungen geschaffen worden seien. Da es nach den vorstehenden Ausführungen keine bundeseinheitliche Richtlinienregelung oder ein BMF-Schreiben zu Gunsten des Klägers gab, war mangels eines entsprechenden Vertrauenstatbestandes eine allgemeine Übergangsregelung - anders als bei den in Abschnitt 88 Abs. 3 UStR genannten Umsätzen - nicht erforderlich und geboten. Die Ablehnung einer allgemeinen - bundeseinheitlich gültigen - Übergangsregelung ist daher im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.

Wenn für die Verwaltung danach keine Notwendigkeit für eine allgemeine - bundeseinheitliche - Übergangsregelung im Billigkeitswege bestand, war der Beklagte dennoch gehalten zu prüfen, ob aufgrund von Erlassen der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung bzw. Verfügungen der zuständigen Oberfinanzdirektion im vorliegenden Fall eine abweichende Festsetzung geboten war.

Der Beklagte hat auch dies zutreffend geprüft und verneint. Seine Ablehnung einer solchen Maßnahme lässt keinen Ermessensfehler erkennen. Zutreffend durfte der Beklagte darauf abstellen, dass es vorliegend im Bereich der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung und speziell im Bereich der OFD Münster an einem schützenswerten Vertrauen des Klägers gefehlt hat, da keine entsprechenden Verwaltungsanweisungen zu seinen Gunsten existierten. Ein Anlass, auf den bisherigen Zustand zu vertrauen, ist auch deshalb vorliegend zu verneinen, weil die Rechtslage unklar und bis zum Ergehen des Urteils des FG Berlin (vom 12 November 2002 7 K 7264/02, EFG 2003, 418) und nachfolgend der Entscheidung des BFH in der Rechtsprechung überhaupt noch nicht beantwortet war.

Schließlich vermag auch der Einwand des Klägers, dass die OFDen in Bayern und Baden-Württemberg eine Übergangsregelung für medizinisch nicht indizierte Leistungen eines plastischen Chirurgen bis zum 31.12.2002 getroffen haben, keine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu rechtfertigen. Hatten diese OFDen zuvor - anders als die OFD Münster und die Finanzverwaltung NRW - durch eine entsprechend lautende Verfügung eine ausdrückliche Steuerfreiheit für die hier strittigen Leistungen geregelt, so liegt bereits eine andere Ausgangssituation vor als im Streitfall, die auch eine andere Behandlung - hier: Übergangsregelung - rechtfertigt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, wonach Gleiches gleich zu behandeln ist, wäre dann bereits aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssitutation nicht gegeben. Die OFDen hätte dann nur umgesetzt, was auf Bundesebene diesbezüglich erörtert worden ist, nämlich die Einzelfallprüfung für jedes Bundesland und ggf. jede einzelne OFD.

Haben die OFDen in Bayern und Baden-Württemberg, ohne dass sie zuvor einen entsprechenden Vertrauenstatbestand gesetzt hätten, jedoch die vorliegende Übergangsregelung getroffen, so kann sich der Kläger auf die - möglicherweise fehlerhafte - rechtswidrige Steuerfreiheit für Umsätze bis zum 31.12.2002 nicht berufen, denn der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis; insoweit gibt es keine "Gleichheit im Unrecht" (vgl. BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 107-108/89, BStBl II 1990, 1060).

Aufgrund eines zuvor im Einzelfall gesetzten Vertrauenstatbestandes kann es auch durchaus dazu kommen, dass Bundesrecht - hier: das UStG - von der Finanzverwaltung unterschiedlich gehandhabt und angewendet wird. Hierin liegt nach Auffassung des erkennenden Senates keine Verletzung von Verfassungsrecht. Das Gebot des Vertrauensschutzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip. Die Grundsätze von Treu und Glauben und das Vertrauensschutzprinzip sind ungesetztes Recht, die das gesetzte Recht verdrängen, wenn das Vertrauen eines Beteiligten in ein bestimmtes Verhalten des anderen Beteiligten nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. September 2000 IX R 33/97, BStBl II 2000, 676). Dies kommt nach ständiger Rechtsprechung dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Weder gab es auf Bundesebene und noch auf Ebene des Landes NRW eine entsprechende Verwaltungsanweisung zu Gunsten des Klägers, noch lässt sich aus der vorherigen Betriebsprüfung, die in 1997 für die Jahre 1993 bis 1995 stattfand, ein Vertrauenstatbestand herleiten. Im Bp-Bericht vom 8. September 1997 wird lediglich unter Tz. 8 zur Umsatzsteuer ausgeführt, dass umsatzsteuerpflichtige Umsätze im Prüfungszeitraum nicht vorlagen. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, ob in dem Prüfungszeitraum überhaupt nicht medizinisch indizierte - und damit umsatzsteuerpflichtige - Leistungen vom Kläger ausgeführt worden sind. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte und der damalige Prüfer diese Leistungen rechtsfehlerhaft als nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei angesehen hat, ergibt sich für das Streitjahr kein Vertrauenstatbestand hieraus. Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gebietet nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass das Finanzamt in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut prüft und rechtlich würdigt. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 100/89, BFH/NV 1991, 217, mit Nachweisen der BFH-Rechtsprechung). Dies gilt selbst dann, wenn die - fehlerhafte - Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist (BFH-Urteil vom 16. Juli 1964 V 92/61 S, BStBl III 1964, 634), die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat (BFH-Urteil vom 22. Juni 1971, VIII 23/65, BStBl II 1971, 749) oder der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH-Urteile vom 23. Mai 1989 X R 17/85, BStBl II 1989, 879;vom 25. Mai 1993 IX R 17/90, BStBl II 1993, 834).

Lagen damit sachliche Billigkeitsgründe, die eine abweichende Steuerfestsetzung gem. § 163 AO rechtfertigen könnten, nicht vor, so kann sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe berufen. Der Kläger hat im Verwaltungs- und später im Klageverfahren zwar dargelegt, dass die Besteuerung der hier strittigen Umsätze zu einer wirtschaftlich nicht tragbaren Situation führen würde, da er nachträglich nicht mehr die Möglichkeit habe, durch Erhöhung der Honorarrechnung die Umsatzsteuerbelastung finanziell auf seine Patienten abzuwälzen. Eine abweichende Festsetzung aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt jedoch voraus, dass der Steuerschuldner erlassbedürftig und erlasswürdig ist. Erlassbedürftigkeit ist dabei gegeben, wenn die Erhebung der Steuer die Existenz des Steuerschuldners vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Entgegen der ihm insoweit obliegenden Feststellungslast wurde eine eventuelle Existenzgefährdung von ihm jedoch weder durch substantiierte Darstellung seiner wirtschaftlichen Situation dargelegt, geschweige denn in irgendeiner Form geltend gemacht oder gar nachgewiesen. Der Beklagte hatte aus diesem Grund in seiner Entscheidung, durch welche eine abweichende Steuerfestsetzung abgelehnt wurde, keinerlei Anlass, der Frage des Vorliegens persönlicher Billigkeitsgründe weiter nachzugehen.

Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe gem. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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