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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.11.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 50/05
Rechtsgebiete: MTV, BGB, ArbGG


Vorschriften:

MTV § 7
MTV § 8.4
MTV § 8.5
MTV § 8.6
BGB § 670
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 50/05

verkündet am 02.11.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Fübbeker und den ehrenamtlichen Richter Löhlein auf die mündliche Verhandlung vom 02.11.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 10.03.2005 (Az.: 1 Ca 482/04) abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.426,27 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.077,43 € seit dem 03.08.2004 und aus 348,84 € seit dem 05.10.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.046,52 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.01.2005 zu bezahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um weitere Vergütung im Zeitraum Mai bis November 2004.

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Zeitarbeitunternehmen, in deren Niederlassung U. vom 27.07.1998 bis Ende Februar 2005 als Elektriker beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt der mit der Niederlassung Ulm am 27.11.2003 geschlossene Arbeitsvertrag, in dem ab dem 01.01.2004 bei einer 35-Stunden-Woche folgende für den Rechtsstreit relevante Regelungen enthalten sind:

§ 4 Vergütung

Ab 01.01.2004 beträgt der verstetigte Brutto-Monatslohn € 1.395,36 und setzt sich wie folgt zusammen:

Tariflicher Festlohn nach Entgeltgruppe € 1.395,36 freiwillige, übertarifliche Zulage € 45,50 Gesamtbrutto monatlich: € 1.440,86

Hilfsweise gilt ein Stundenlohn in Höhe von € 9,20 brutto für die Berechnung von Zuschlägen nach Maßgabe des § 7 MTV als vereinbart.

Die Firma ist gemäß § 8 Abs. 6 MTV berechtigt, andere tarifliche Leistungen anstelle des Tarifentgeltes zu zahlen, soweit hierdurch das Netto-Gesamteinkommen das tarifliche Netto-Gesamteinkommen übersteigt.

§ 6 Tarifbindung

Auf das Arbeitsverhältnis findet der zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und der Tarifkommission des DGB abgeschlossene Mantel-, Entgelt- und Entgeltrahmentarifvertrag vom 22.07.2003 - in der jeweils geltenden Fassung -Anwendung.

Der Manteltarifvertrag Zeitarbeit vom 22.07.2003 (Einsatzregelungen) folgende Bestimmungen:

(im Folgenden: MTV) beinhaltet in § 8

§ 8.4

Beträgt der zeitliche Aufwand für die Wegezeit im Sinne von § 8.3 mehr als 2 Stunden, hat der Mitarbeiter Anspruch auf Übernahme von Übernachtungskosten nach folgender Maßgabe:

Das Zeitarbeitsunternehmen übernimmt grundsätzlich die Organisation der Unterbringung und die Kosten in voller Höhe. Bei erforderliche Eigenorganisation einer Unterkunft durch den Mitarbeiter werden die Kosten nach vorheriger Genehmigung und Vorlage einer entsprechenden Quittung/Rechnung vom Arbeitgeber übernommen bzw. erstattet. Alternativ kann eine Übernachtungspauschale in Höhe der steuerlichen Sätze vereinbart werden.

§ 8.5

Der Mitarbeiter hat Anspruch auf Verpflegungskostenmehraufwand (VMA) nach Maßgabe der steuerlichen Vorschriften.

§ 8.6

Der Arbeitgeber ist berechtigt, tarifliche Leistungen gemäß § 8.4 und 8.5 anstelle des Tarifentgelts zu zahlen, soweit das Netto-Gesamteinkommen des Mitarbeiters das tarifliche Netto-Gesamteinkommen übersteigt, das sich aus dem Bruttoentgelt gemäß §§ 2 und 4 des Entgelttarifvertrages ergibt.

Dafür dürfen maximal 25 % vom Bruttoentgelt verrechnet werden. Dies gilt auch für außer- und übertarifliche Aufwendungsersatzleistungen (z. B. Fahrgeld), soweit sie einzelvertraglich vereinbart sind.

§ 8.7

Sonstiger Aufwendungsersatz gemäß § 670 BGB ist einzelvertraglich zu regeln.

Die Beklagte hat bundesweit mehrere Niederlassungen. Diese Niederlassungen werden ergebnisverantwortlich betrieben. Der jeweilige Niederlassungsleiter ist zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Personal berechtigt. Die jeweilige Niederlassung ist selbständig in der Aquisition von Kundenaufträgen und der Vereinbarung von Verrechnungssätzen mit dem Kunden. Die jeweilige Niederlassung kann unter Beachtung der Tarifverträge die Vergütung mit den Arbeitnehmern vereinbaren. Der jeweilige Niederlassungsleiter kann selbst entscheiden, ob er von der Verrechnungsmöglichkeit des § 8.6 MTV Gebrauch macht.

Der Kläger arbeitete im Zeitraum Mai bis November 2004 auf einer Baustelle eines Kunden in M.. Ihm wurden neben einem Tariflohn in Höhe von 1.395,36 € brutto (mit Ausnahme des Monats Juli 2004) erhebliche und der Höhe nach unterschiedliche steuerfreie Beträge für Verpflegungskostenmehraufwand und Übernachtung bezahlt (vgl. Lohn-/Gehaltsabrechnungen von Mai bis November 2004, Bl. 10 bis 13 und Bl. 47 bis 49 der erstinstanzlichen Akte). In diesem Zeitraum erfolgte in jedem Monat eine Kürzung des Bruttoeinkommens gemäß § 8.6 MTV. Bis auf den Monat Juli 2004 betrug die Kürzung gemäß § 8.6 MTV in jedem Monat 348,84 € brutto (25 % des Bruttoentgelts). Insgesamt kürzte die Beklagte das Bruttoentgelt des Klägers um 2.472,79 € brutto, den eingeklagten Betrag.

Der Kläger war im Jahr 2004 zusammen mit fünf weiteren Arbeitnehmern der Beklagten, die dieselben Tätigkeiten verrichteten, auf der Baustelle in M. eingesetzt. Der Arbeitskollege G. kam ebenfalls aus der Niederlassung U. und hatte eine Stundenlohn von 9,50 €. Auch bei ihm wurden zunächst Kürzungen gemäß § 8.6 MTV vorgenommen. Im Rahmen eines im August 2004 geschlossenen Vergleichs einigte sich Herr G. mit der Beklagten auf eine Reduzierung des Stundenlohns auf 8,70 € ohne Kürzung durch § 8.6 MTV. Der Arbeitskollege Ö. kam aus der Niederlassung M. und hatte einen Stundenlohn von 8,70 €. Der Arbeitskollege V. kam aus der Niederlassung L. und hatte einen Stundenlohn von 8,70 €. Die Arbeitskollegen O. und K. kamen aus der Niederlassung C. und hatten einen Stundenlohn von 8,90 € bzw. 7,96 €. Bei den vier zuletzt genannten Mitarbeitern der Beklagten wurde keine Kürzung gemäß § 8.6 MTV vorgenommen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kürzung seines Entgeltes gemäß § 8.6 MTV unwirksam sei.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.426,27 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 1.077,43 EUR brutto seit dem 03.08.2004 sowie auf 348,84 EUR brutto seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.046,52 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie von § 8.6 MTV zulässigerweise Gebrauch gemacht habe.

Das Arbeitsgericht hat im am 10.03.2005 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird insbesondere angeführt, dass die von der Beklagten gemäß § 8.6 MTV vorgenommen Abzüge nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstießen. Zwar finde der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich unternehmensweit Anwendung. Die Selbständigkeit der jeweiligen Niederlassungen der Beklagten rechtfertigten es jedoch, die Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers auf die jeweilige Niederlassung zu beschränken. Im Übrigen habe der Kläger nicht behauptet, dass sein gemäß § 8.6 MTV gekürztes Entgelt unter das Einkommen der vergleichbaren Arbeitnehmer gesunken sei. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seite 3 bis 5 des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses dem Kläger am 16.03.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 14.04.2005 eingelegte und am 17.05.2005 (Dienstag nach Pfingsten) ausgeführte Berufung des Klägers. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger insbesondere vor, dass die Parteien eine Verrechnung des tariflichen Bruttoentgeltes nicht vereinbart hätten. Der Abzug sei willkürlich gewesen. Der Kläger habe auch einen gesetzlichen Anspruch auf Reisekostenersatz. Der Kläger führt weiter an, dass die von der Beklagten vorgenommene Kürzung gemäß § 8.6 MTV gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstieße. Dieser Grundsatz gelte für das gesamte Unternehmen der Beklagten. Die von der Beklagten bezahlten unterschiedlichen Tariflöhne seien kein zulässiges Differenzierungskriterium für eine Kürzung gemäß § 8.6 MTV. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 17.05.2005 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt insbesondere vor, dass sie § 8.6 MTV richtig angewendet habe und eine zusätzliche individualrechtliche Vereinbarung dazu nicht erforderlich sei. Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei betriebsbezogen und deshalb nur innerhalb der jeweiligen Niederlassung anzuwenden. Im Übrigen hätten die Mitarbeiter, bei denen keine Kürzungen vorgenommen worden seien, einen niedrigeren tariflichen Stundenlohn gehabt als der Kläger. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 23.06.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf weiteres Arbeitsentgelt im Zeitraum Mai bis November 2004 in Höhe von (rechnerisch unstreitigen) 2.472,79 € brutto gemäß § 4 des Arbeitsvertrags vom 27.11.2004 nebst Zinsen.

1. Der monatliche Abzug von 25 % des tariflichen Bruttoentgeltes gemäß § 8.6 MTV verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und ist deshalb unwirksam.

Der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört zu den Grundprinzipien des deutschen Arbeitsrechts. Der gesetzlich nicht normierte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Dieser ist seinem Wesen nach kompetenzbezogen, bezieht sich also auf den Bereich, auf den sich die Regelungskompetenz erstreckt. Das spricht für den Unternehmensbezug des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, denn dieser richtet sich an den Arbeitgeber, der mit dem Unternehmensträger identisch ist. Als Normadressat ist er für das Unternehmen in seiner Gesamtheit verantwortlich. Eine Beschränkung seiner Verpflichtung auf den Rahmen einzelner Betriebe, also auf Teile des Unternehmens, bedürfte besonderer Gründe (BAG, Urteil vom 17.11.1998 - 1 AZR 147/98 - AP Nr. 162 zu § 242 BGB Gleichbehandlungobiter dictum). Diese unternehmensbezogene Betrachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hält die erkennende Kammer für richtig. Adressat des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist der Arbeitgeber. Auf dessen konkrete Ausübung der Leitungsmacht kommt es an. Die unterschiedliche Betriebszugehörigkeit kann allenfalls im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung gegebenenfalls als Differenzierungsgrund berücksichtigt werden. Auch im Schriftum wird nunmehr überwiegend die Auffassung vertreten, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur betriebsbezogen ist, sondern innerhalb desselben Unternehmens auch betriebsübergreifende Geltung beansprucht (Erfurter Kommentar-Preis, 5. Auflage, § 611 Rdnr. 724; Münchener Kommentar/Müller-Glöge, BGB, 4. Auflage, Rdnr. 1133; Schaub, 11. Auflage, § 112 Rdnr. 15; Münchener Handbuch Arbeitsrecht-Richardi, § 14 Rdnr. 9; Däubler, Das Arbeitsrecht 2, Seite 312; Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 2. Auflage, § 111 Rdnr. 19; a.A.: Kasseler Handbuch/Künzl, 2.1 Randziffer 841, jeweils m. w. N.).

Nach allgemeiner Ansicht und ständiger Rechtsprechung gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern gleich zu behandeln, soweit sie sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden. Verboten ist nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern vor allem eine sachfremde Gruppenbildung. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Bereich der Vergütung anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistungen nach einem allgemeinen Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Sachfremd ist eine Differenzierung dann, wenn es für sie keine billigenswerten Gründe gibt. Liegt ein solcher Grund nicht vor, so kann der übergangene Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der allgemeinen Regelung behandelt zu werden (BAG, Urteil vom 17.11.1998, a.a.O.).

Wenn man die vorstehend genannten Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt anwendet, steht für die erkennende Kammer fest, dass die Beklagte den Kläger so wie die anderen Arbeitnehmer ihres Unternehmens behandeln muss, zumindest so wie die auf der Baustelle in M. eingesetzten Arbeitnehmer (1.1). Die unterschiedlichen Stundenlöhne sind kein sachlicher Grund für eine Lohnkürzung gemäß § 8.6 MTV (1.2).

1.1 Die Beklagte muss ihre Arbeitnehmer im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes unternehmensweit gleich behandeln. Zwar ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Arbeitsvergütung wegen des Vorrangs der Vertragsfreiheit nur beschränkt anwendbar (BAG, Urteil vom 09.11.1972 - 5 AZR 224/72 - AP Nr. 36 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet jedoch Anwendung, wenn ein Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten, erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt oder wenn er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt (BAG, Urteil vom 23.08.1995 - 5 AZR 293/94 - AP Nr. 134 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

Im vorliegenden Fall macht die Beklagte unterschiedlich von der Verrechnungsmöglichkeit des § 8.6 MTV Gebrauch. Bei einem Teil der Arbeitnehmer wendet die Beklagte § 8.6 MTV nicht an. Jedenfalls beim Kläger hat die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum gemäß § 8.6 MTV 25 % des Bruttoentgelts mit Ansprüchen auf Aufwendungsersatz gemäß §§ 8.4 und 8.5 MTV verrechnet. Die Beklagte rechtfertigt diese vorgenommene Differenzierung zunächst damit, dass die vom Kläger benannten Arbeitnehmer von anderen Niederlassungen der Beklagten entsandt worden seien. Jede Niederlassung, jeweils ein selbständiger Betrieb, entscheide selbständig, ob sie von der Verrechnungsmöglichkeit des § 8.6 MTV Gebrauch macht. Die von der Beklagten vorgetragenen Kompetenzen der einzelnen Niederlassungen, die sie mit Ergebnisverantwortlichkeit der Niederlassungen überschreibt, lassen jedoch nicht erkennen, warum die einzelnen Niederlassungen die Tarifnorm des § 8.6 MTV so unterschiedlich anwenden (z.B. wirtschaftliche Gründe oder Gründe des regionalen Arbeitsmarktes). Die unterschiedlichen Betriebszugehörigkeiten der einzelnen Arbeitnehmer eignen sich deshalb nicht als Differenzierungsgrund für die Anwendung des § 8.6 MTV.

Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Anwendung des § 8.6 MTV ist nach Auffassung der Kammer jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Arbeitnehmer unterschiedlicher Niederlassungen vom Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum bei gleichen Arbeitsbedingungen zusammen eingesetzt werden. Vorliegend sind der Kläger und fünf weitere Arbeitnehmer der Beklagten aus vier Niederlassungen über einen längeren Zeitraum auf eine Baustelle eines Kunden in M. entsandt worden und haben dort bei gleichen Arbeitsbedingungen zusammen gearbeitet. Jedenfalls die Arbeitnehmer der Niederlassungen U. und C. konnten aus räumlichen Gründen an den meisten Arbeitstagen nicht an ihrem Wohnsitz übernachten und haben deshalb Anspruch auf Aufwendungsersatz gehabt (tarifvertraglich und gemäß § 670 BGB).

1.2 Auch die von der Beklagten als Differenzierungsgrund vorgebrachten unterschiedlichen tariflichen Stundenlöhne der Arbeitnehmer auf der Baustelle in M. rechtfertigen keine unterschiedliche Handhabung des § 8.6 MTV.

§ 8.6 MTV knüpft ja gerade an das tarifliche Bruttoentgelt an und lässt eine prozentuale Verrechnung mit Aufwendungsersatzansprüchen zu. Bei einem Arbeitnehmer mit einem hohen Stundenlohn kann deshalb gemäß § 8.6 MTV auch mehr verrechnet werden. Der unterschiedliche Tariflohn rechtfertigt jedoch nicht die Entscheidung, bei dem Arbeitnehmer mit höherem Tariflohn 25 % des Bruttoentgeltes zu verrechnen und bei dem Arbeitnehmer mit niedrigerem Tariflohn auf eine Verrechnung zu verzichten. Diese Vorgehensweise hätte im vorliegenden Fall das Ergebnis, dass der Kläger nach Anwendung des § 8.6 MTV tatsächlich weniger vergütet bekommt als seine Arbeitskollegen mit einem geringeren Stundenlohn.

So sind beim Kläger in der Regel monatlich 348,84 € brutto verrechnet/gekürzt worden bei einem Stundenlohn von 9,20 €. Die auf der Baustelle in M. eingesetzten anderen Arbeitnehmer der Beklagten (Stundenlöhne zwischen 7,96 € und 8,90 €) haben in der Stunde zwischen 1,24 € und 0,30 € weniger verdient. Bei gleicher Arbeitszeit (35-Stunden-Woche) führt dies zu Bruttolöhnen, die zwischen 187,92 € und 45,46 € niedriger sind als der des Klägers. Die Praxis der Beklagten führt also zu dem Ergebnis, dass der Kläger letztlich weniger verdient hat als Arbeitnehmer mit vergleichbaren Ansprüchen auf Aufwendungsersatz.

2. Da die beim Kläger durchgeführte Verrechnung des Bruttolohne gemäß § 8.6 MTV bereits gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt und deshalb unwirksam ist, kann es vorliegend dahingestellt bleiben, ob die Tarifnorm des § 8.6 MTV wirksam ist. Die erkennende Kammer ist allerdings der Auffassung, dass § 8.6 MTV gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen könnte. Bei Arbeitnehmern, die keine erheblichen Aufwendungsersatzansprüche gemäß §§ 8.4 und 8.5 MTV haben, weil sie z.B. in der Nähe der Niederlassung eingesetzt werden, kann der Arbeitgeber den Tariflohn nicht gemäß § 8.6 MTV kürzen. Dagegen hat der Arbeitgeber eine Kürzungsmöglichkeit z. B. bei Arbeitnehmern, die in weit entfernten Kundenbetrieben arbeiten. Diese Kürzungsmöglichkeit hat der Arbeitgeber selbst dann, wenn den Arbeitnehmern z.B. Übernachtungskosten tatsächlich entstanden sind und sie eine entsprechende Rechnung vorlegen (§ 8.4 Satz 2 MTV).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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