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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 1233/05
Rechtsgebiete: MTV zwischen der TÜV Süddeutschland Holding AG und der Gewerkschaft ÖTV vom 18.09.2000 i.d.F. vom 12.07.2002


Vorschriften:

MTV zwischen der TÜV Süddeutschland Holding AG und der Gewerkschaft ÖTV vom 18.09.2000 i.d.F. vom 12.07.2002 § 2
Nach § 2 des MTV für die Arbeitnehmer der TÜV Süddeutschland Holding AG und deren Konzerngesellschaften kann ein Anspruch auf zuschlagpflichtige Mehrarbeit auch dann erworben werden, wenn die Jahresarbeitszeit nur dadurch überschritten wird, weil Freizeitausgleich aus einem früheren Zeitguthaben verrechnet wurde.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 1233/05

Verkündet am: 24.05.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.04.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Moeller sowie die ehrenamtlichen Richter Uwe Feldkamp und Walter Schmid für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 04.11.2005 (Az.: 22 Ca 13653/05) wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Bezahlung von Überstundenzuschlägen.

Der 1951 geborene Kläger ist seit 15.01.1979 bei der Beklagten als amtlich anerkannter Sachverständiger beschäftigt. Er erzielte dabei zuletzt bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden ein monatliches Bruttogehalt von EUR 4.419,32.

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft . Die Beklagte gehört zur AG. Diese hat am 18.02.2000 mit der Gewerkschaft einen Manteltarifvertrag für alle Arbeitnehmer ihrer Konzerngesellschaften geschlossen, der zuletzt in der Fassung vom 12.07.2002 auch Regelungen zur Arbeitszeit und die Abgeltung von Überstunden vorsieht. Für die Arbeitnehmer am Standort München besteht außerdem eine Betriebsvereinbarung I/2003 über Arbeitszeit (Bl. 36 bis 44 d. A.) vom 8./11.8.2003.

Zum 31.03.2005 bestand auf dem für den Kläger geführten Arbeitszeitkonto ein Zeitguthaben von 47,4 Stunden. Mit Schreiben vom 03.06.2005 (Bl. 18 d. A.) hat der Kläger von der Beklagten dafür einen finanziellen Zuschlag von 30 % verlangt.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte sei verpflichtet, für die Guthabenstunden einen finanziellen Zuschlag von 30 % zu bezahlen. Dies ergebe sich aus § 2 Ziff. 2.6 des Manteltarifvertrages. Dieser sei in dem durch den Manteltarifvertrag festgelegten Ausgleichszeitraum vom 01.03.2004 bis 31.03.2005 abzurechnen. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen sei, stehe dem Kläger für 47,4 Stunden bei einem Stundensatz von EUR 26,49 ein Zuschlag von EUR 376,69 brutto zu.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 376,69 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe das Zeitguthaben bereits in einem früheren Ausgleichszeitraum erworben. Die Zuschläge dafür seien auch bereits ausbezahlt worden, sei es für den Ausgleichszeitraum vom 03.04.2004 bis 30.03.2005 oder sogar für einen früheren Ausgleichszeitraum. Der Kläger habe nämlich bereits für den Zeitraum 01.04.2003 bis 31.03.2004 im Mai 2004 für 61,6 Stunden Mehrarbeitszuschläge von 30 % erhalten. Tatsächlich habe der Kläger daher im folgenden Ausgleichszeitraum weniger als die geschuldeten 2002 Arbeitsstunden im Jahr gearbeitet und verlange dennoch für das restliche bestehende Guthaben einen Mehrarbeitszuschlag. Dies sei nach der tariflichen Regelung nicht möglich. Ein und dieselbe geleistete Stunde könne nur einmal zu einem Mehrarbeitszuschlag führen.

Das Arbeitsgerichts hat durch Urteil vom, 04.11.2005 der Klage stattgegeben und die Berufung für die Beklagte zugelassen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 22.11.2005 zugestellte Urteil hat diese mit einem am 09.12.2005 bei dem Landesarbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz Berufung einlegen lassen und ihr Rechtsmittel durch einem am Montag, den 23.01.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte trägt vor, ein Anspruch des Klägers bestehe nicht. Der Kläger habe den tariflichen Ausgleichszeitraum vom 01.04.2004 bis 31.03.2005 mit einem Zeitguthaben von 61,6 Stunden begonnen. Im Mai 2004 sei dem Kläger dafür ein Zeitzuschlag von 30 % i.H.v. insgesamt EUR 494,65 vergütet worden (Bl. 79 bis 80 d. A.). In diesem Zeitraum habe der Kläger insgesamt nur 1.987,4 Stundengearbeitet, so dass sich das Mehrarbeitskonto auf 47,4 Stunden reduziert habe. Damit entfalle ein Mehrarbeitszuschlag für diese Zeit bereits deshalb, weil nach der tariflichen Regelung der Zeitzuschuss nur einmal zu bezahlen sei. Zudem könne ein Zeitguthaben mit Zuschlag nur dann erworben werden, wenn der Arbeitnehmer im Jahreszeitraum über 2002 Stunden tatsächlich arbeite. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Wäre bei Verrechnung des Zeitguthabens mit Freizeit der Zuschlag erneut zu zahlen, wären im Übrigen die Arbeitnehmer benachteiligt, die sich eine Mehrarbeit finanziell abgelten lassen.

Die Beklagte beantragt,

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.11.2005 (Az.: 22 Ca 13653/05) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, er fordere die Zuschläge nicht zweimal. Die Beklagte setze die 47,4 Stunden unzulässigerweise den 61,6 Stunden, die bis 30.06.2004 zu nehmen waren, gleich. Der Kläger habe diese Stunden bis zum 30.06.2004 durch Freizeit genommen, wie es auch in der Betriebsvereinbarung I/2003 geregelt sei. Damit habe der Kläger die geschuldete Arbeitszeit in dieser Höhe erfüllt. Bei den 47,4 Stunden handele es sich daher um neu hinzugekommene Stunden, so dass auch der Zuschlag für diese nicht zweimal bezahlt werde. Auch eine Ungleichbehandlung mit Mitarbeitern, die sich die Mehrarbeitstunden finanziell abgelten lassen, liege nicht vor, nachdem diese für diese Zeiten gerade eine zusätzliche Vergütung beziehen.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 23.01.2006 (Bl. 74 bis 78 d. A.), 03.04.2006 (Bl. 104 bis 108 d. A.) und 28.04.2006 (Bl. 123 bis 130 d. A.), den Schriftsatz des Klägers vom 16.02.2006 (Bl. 82 bis 84 d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12.04.2006 (Bl. 109 bis 111 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist in der rechten Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig. Das Arbeitsgericht hat die Berufung gem. § 64 Abs. 2a ArbGG im Urteil zugelassen. Auf den Wert des Beschwerdegegenstands kommt es daher nicht an.

II.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Denn dem Kläger steht gem. § 2 Abs. 2.11 des Manteltarifvertrags zwischen der AG und deren Konzerngesellschaften sowie der Gewerkschaft vom 18.09.2000 i.d.F. vom 12.07.2002 (im Folgenden: MTV) i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Bezahlung eines Zuschlags von 30 % für 47,4 Stunden i.H.v. EUR 376,69 brutto zu. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind - zwischen den Parteien unstreitig - bereits aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) die Bestimmungen des MTV anzuwenden. Für das Klagebegehren sind daher folgende Regelungen maßgeblich:

§ 2

Arbeitszeit

2.1. Grundsatz

. . .

2.2 Arbeitszeit

Die regelmäßige Jahresarbeitszeit beträgt 2002 Stunden.

. . .

2.3 Flexible Arbeitszeit

. . .

2.4 Zeitsouveränität

. . .

2.5 Ausgleichszeitraum

. . .

2.6 Zuschläge

Über der 48. Wochenstunde wird bei angeordneter Arbeit ein Zuschlag von 30 % bezahlt.

Für Nachtarbeit, SSamstage, Sonn- und Feieretage werden folgende Zuschläge bezahlt:

. . .

Zuschläge werden nur einmal bezahlt, und zwar der jeweils höhere Zuschlag.

. . .

2.7 Arbeitszeitkonto

Die geleistete Arbeitszeit wird für jeden Mitarbeiter auf einem Arbeitszeitkonto erfasst.

. . .

2.11 Abgleich am Ende des Ausgleichszeitraums

Das tatsächliche Arbeitszeitvolumen darf am Ende des Ausgleichszeitraumes die regelmäßige Jahresarbeitszeit (Ziff. 2.2) zzgl. 231 Stunden nicht überschreiten bzw. die regelmäßige Jahresarbeitszeit (Ziff. 2.2) abzgl. 77 Stunden nicht unterschreiten. Zeitguthaben bis zu 115,5 Stunden sind in den ersten drei Monaten des neuen Ausgleichszeitraums durch Freizeitausgleich mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen. Zeitguthaben über 115,5 Stunden bis zu 231 Stunden sind durch Freizeitausgleich oder finanziell mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen.

Zuschläge werden nur einmal bezahlt; d.h. gem. Ziff. 2.6 bereits während des Jahres bezahlte Zuschläge werden berücksichtigt.

. . .

Betriebsrat und Arbeitgeber können auch eine finanzielle Abgeltung des Zeitguthabens bis 115,5 Stunden an Stelle des o.g. Freizeitausgleichs bei nicht vorhersehbarem Arbeitsvolumen und niicht vorhersehbaren Fehlzeiten vereinbaren.

Zu diesen tariflichen Bestimmungen bestehen Protokollnotizen zur Auslegung des Tarifvertrages (Bl. 8 bis 10 d. A.) darin heißt es u.a.:

MTV § 2, Ziff. 2.6

Gegenrechnung von während des Ausgleichszeitraumes bezahlten Zuschlägen

Zur Ermittlung der Anzahl noch auszuzahlender

Zuschläge am Ende des Ausgleichszeitraumes i.H.v. 30 % wird von der Gesamtzahl der Guthabenstunden die Zahl der Stunden abgezogen, für die bereits während des Ausgleichszeitraumes ein Zuschlag ausbezahlt wurde.

. . .

Die Betriebsvereinbarung I/2003 über Arbeitszeit für Beschäftigte im Standort München enthält u.a. folgende Regelungen:

3. Dauer der Arbeitszeit, durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, Reisezeit

3.1 Für Mitarbeiter, für die der Manteltarifvertrag (MTV) gilt, beträgt die Arbeitszeit 2002 Stunden pro Jahr einschl. Ausfallzeiten wie z.B. Urlaub, Krankheit, Feiertage auf der Grundlage des MTV vom Stand 18.09.2000. Hieraus ergibt sich eine durchschnittlich zu leistende Wochenarbeitszeit i.H.v. 38,5 Stunden.

. . .

5. Arbeitszeitkonten

5.1 Für jeden Mitarbeiter, für den der Tarifvertrag gilt, wird ein Arbeitszeitkonto geführt.

Das Arbeitszeitkonto enthält folgende Angaben (auf 10tel Stunden genau):

a) Beschäftigungsgrad des Mitarbeiters

(Vollzeit oder Teilzeit)

b) Sollzeit pro Mitarbeiter, d.h. die bis zum Auswertungszeitpunkt zu erbringende Arbeitszeit

c) Zeitkontostand d.h. Stunden, die vom Mitarbeiter in Freizeit oder finanziell in Anspruch genommen werden können

d) Geleistete Mehrarbeitsstunden (Mehrarbeitsvolumen), d.h. der Zeitkontostand zzgl. ausbezahlter Mehrarbeit

e) Ausbezahlte Mehrarbeit d.h. Mehrarbeit, die der Mitarbeiter im aktuellen Ausgleichszeitraum geleistet hat und die bereits ausgezahlt wurden

f) Reststunden alter Ausgleichszeitraum, d.h. Zeitguthaben oder Rückstände aus dem Vorausgleichszeitraum

. . .

7. Zeitausgleich bei Mitarbeitern, für die der Tarifvertrag gilt

7.1 Der Ausgleichszeitraum beträgt 12 Monate.

Er beginnt jeweils am 01.04. und endet am 31.03. des Folgejahres.

7.2 Innerhalb des Ausgleichszeitraumes sind 2002 Stunden abzuleisten

. . .

7.6 Am Ende des erweiterten Ausgleichszeitraumes d.h. mit Ablauf des 30.06. des nachfolgenden Ausgleichszeitraumes, werden die noch bestehenden Zeitguthaben des abgelaufen Ausgleichszeitraumes ausbezahlt.

2. Nach diesen Regelungen steht dem Kläger der von ihm begehrte Zeitzuschlag für 47,4 Stunden zu. Denn gem. § 2 Ziff. 2.11 Satz 2 MTV ist Zeitguthaben bis zu 115,5 Stunden in den ersten drei Monaten des neuen Ausgleichszeitraums durch Freizeitausgleich mit einem Zuschlag von 30 % auszugleichen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich zwar noch kein Zahlungsanspruch des Klägers, da § 2 Ziff. 2.11 Satz 2 MTV den Zuschlag von 30 % auf den Freizeitausgleich bezieht und im Gegensatz zu § 2 Ziff. 2.11 Satz 3 MTV damit noch keinen Geldanspruch vorsieht. Durch § 2 Ziff. 2.11 letzter Absatz haben die Tarifvertragsparteien jedoch eine weitergehende Reglungsmöglichkeit für Arbeitgeber und Betriebsrat vorgesehen. Davon haben die Betriebsparteien durch die Betriebsvereinbarung I/2003 über Arbeitszeit Gebrauch gemacht und in Ziff. 7.6 der Betriebsvereinbarung festgelegt, dass ein am Ende des bis 30.06. des nachfolgenden Ausgleichszeitraums noch bestehendes Zeitguthaben auszubezahlen ist. Damit steht dem Kläger ein Ausgleich für einen Zuschlag von 30 % für 47,4 Arbeitsstunden zu.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich den tariflichen Regelungen nicht entnehmen, dass der Zuschlag nur zu gewähren ist, wenn die regelmäßige Jahresarbeitszeit tatsächlich und darüber hinaus weitere Arbeitstunden tatsächlich geleistet wurden.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitsachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG vom 30.05.2001 - 4 AZR 269/00 = AP Nr. 4 zu § 23 b BAT).

b) Nach diesen Grundsätzen kann dem Tarifvertrag nicht entnommen werden, dass nur von Arbeitnehmern im Jahreszeitraum tatsächlich über 2002 Stunden geleistete Arbeitszeiten einen Anspruch auf einen Zeitzuschlag begründen.

aa) Zwar entsprach es auch der bisherigen Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 11.12.2002 - 10 Sa 265/02), dass schon allgemeiner Sprachgebrauch und die Üblichkeit im Arbeitsleben es nahe legen, dass eine gesondert zu vergütende Arbeitszeit nur bei der tatsächlichen Erbringung einer eigenen Arbeitsleistung vorliegt oder zumindest das Bestehen einer zusätzlichen Belastung in dieser Zeit voraussetzt. Zulagen oder Zeitgutschriften für geleistete Arbeit konnten daher nur erworben werden, wenn diese Arbeiten auch tatsächlich geleistet wurden. Das Bundesarbeitsgericht ist dem jedoch nicht gefolgt (vgl. BAG vom 06.11.2003 - 6 AZR 166/02). Danach kommt es vielmehr allein darauf an, wie die Tarifvertragsparteien selbst die Jahresarbeitszeit, den Abrechnungszeitraum sowie deren Berechnung geregelt haben und wie sich dabei ein etwaiger Freizeitausgleich auf die zu erbringende Jahresarbeitszeit auswirken soll. Wird dabei zwischen tatsächlicher Arbeitsleistung und Freizeitausgleich nicht unterschieden, kann ein Anspruch auf einen Zuschlag für Überstundenarbeit auch durch Anrechnung eines Freizeitausgleichs erworben werden (vgl. BAG vom 06.11.2003 - a.a.O.).

bb) Dies gilt auch vorliegend. Aus den Regelungen in § 2 Ziff. 2.2 bis 2.11 MTV folgt gerade nicht, dass die Zeitzuschläge nur für tatsächlich über 2002 Arbeitsstunden hinaus geleistete Stunden zu gewähren sind. § 2 Ziff. 2.2 bis § 2 Ziff. 2.7 des MTV regeln nur, dass die Jahresarbeitszeit 2002 Stunden betragen soll, diese flexibel gestaltet werden kann und in einem Arbeitszeitkonto festzuhalten ist. Allein an diese Jahresarbeitszeit knüpft die Zuschlagsregelung in § 2 Ziff. 2.11 MTV an. Ergibt sich aus dem Arbeitszeitkonto, dass die Jahresarbeitszeit von 2002 Stunden durch ein ausgewiesenes Zeitguthaben überschritten ist, ist ein Ausgleich mit Zuschlag zu gewähren. Weder aus § 2 Ziff. 2.6 MTV noch aus § 2 Ziff. 2.11 MTV folgt, dass der Arbeitnehmer das zuschlagspflichtige Zeitguthaben nur erwerben kann, wenn er 2002 Stunden im Jahr und darüber hinaus noch Stunden tatsächlich geleistet hat.

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht diesem Ergebnis auch § 2 Ziff. 2.11 zweiter Absatz MTV nicht entgegen. Zwar ist danach bestimmt, dass Zuschläge nur einmal bezahlt werden.

aa) Es ist aber bereits schon nicht ersichtlich, dass im Fall des Klägers oder auch vergleichbarer Arbeitnehmer mit Zeitguthaben über mehrere Abrechnungszeiträume eine Bezahlung von Zuschlägen tatsächlich doppelt erfolgt. Es erscheint nämlich durchaus möglich, dass ein Arbeitnehmer ein Zeitguthaben, für das Zuschläge anfallen, im neuen Ausgleichszeitraum durch Freizeitausgleich vollständig zurückgeführt hat und ein am Ende des neuen Ausgleichszeitraums erworbenes neues Zeitguthaben nur durch Mehrarbeit danach erworben wurde, so dass dafür eben kein Zuschlag bereits bezahlt wurde.

bb) Zudem ist § 2 Ziff. 2.11 zweiter Absatz MTV auf den hier vorliegenden Streitfall gar nicht anwendbar. Denn durch den zweiten Halbsatz mit dem Verweis auf § 2 Ziff. 2.6 MTV wird deutlich, dass das Verbot der zweimaligen Bezahlung nur die dort geregelten Zuschläge betrifft, wie sich besonders deutlich auch aus der Verrechnungsregelung in der Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 2.6 MTV ergibt. Zuschläge nach § 2 Ziff. 2.6. MTV, die einer erneuten Bezahlung entgegenstehen würden, sind hier aber nicht vergütet worden. Dass dem Kläger für Nachtarbeit, Samstag, Sonntag und Feiertagsarbeit Zuschläge bezahlt worden seien, behauptet die Beklagte selbst nicht. Soweit es um den in § 2 Ziff. 2.6 Abs. 1 genannten Zuschlag geht, gilt nichts anders. Denn dieser kann nach seinem Wortlaut nur über 48 Stunden hinausgehende Wochenarbeit betreffen, für die ein Zuschlag zu bezahlen ist, auch wenn insgesamt die Jahresarbeitszeit nicht überschritten wird.

4. Auch von einer Ungleichbehandlung von finanziell abzugeltenden Zeitguthaben und durch Freizeitausgleich zurückgeführtem Zeitguthaben steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.

a) Abgesehen davon, dass die Tarifvertragsparteien schon deshalb nicht verpflichtet gewesen wären, die Fälle von finanzieller Abgeltung und Freizeitausgleich identisch zu regeln, da ihnen ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zusteht (vgl. etwa: BAG vom 29.08.2001 - 4 AZR 352/00 = AP Nr. 291 zu Art. 3 GG; BAG vom 21.10.1992 - 4 AZR 88/92 = AP Nr. 165 zu §§ 22, 23 BAT 1975) und eine Überprüfung einer derartigen tariflichen Regelung durch das Gericht auf Richtigkeit, Zweckmäßigkeit oder Billigkeit nicht in Betracht kommt (vgl. BAG vom 06.11.1996 - 5 AZR 334/95 = AP Nr. 1 zu § 10 AVR Caritasverband; BAG vom 05.04.1995 - 4 AZR 154/94 = AP Nr. 18 zu § 1 TVG "Tarifverträge: Lufthansa"; BAG vom 12.02.1992 - 7 AZR 100/91 = AP Nr. 5 zu § 620 BGB "Altersgrenze") liegt auch keine Ungleichbehandlung vor.

b) Nach der tariflichen Regelung haben alle Arbeitnehmer Anspruch auf Bezahlung des Zuschlags, wenn nach Beendigung des Bemessungszeitraums ihr Arbeitszeitkonto ein Guthaben aufweist. Wenn Arbeitnehmer dieses Guthaben nur erzielen, wenn sie tatsächlich über die Jahresarbeitszeit hinaus arbeiten, weil sie im Gegensatz zu einem anderen Arbeitnehmer, der Freizeitausgleich in Anspruch nimmt, sich ein bisheriges Guthaben ausbezahlen ließen, liegt der Grund für die nunmehr erforderliche Mehrleistung gerade darin, dass sie durch die Auszahlung ein gegenüber dem Arbeitnehmer mit Freizeitausgleich zusätzliches Entgelt erhalten haben. Wenn sie daher ein Guthaben nur erwerben können, wenn sie erneut tatsächliche Mehrarbeit leisten, stellt dies keine Ungleichbehandlung dar.

Der Kläger hat daher Anspruch auf Auszahlung des Zuschlags von 30 % für 47,4 Stunden in der zwischen den Parteien unstreitigen Höhe von EUR 376,69 brutto nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 15.09.2005 (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB) zu.

III.

Die Berufung der Beklagten war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kammer hat die Revision gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für die Beklagte zugelassen.

Ende der Entscheidung

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