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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 20.03.2003
Aktenzeichen: 5 Sa 629/02
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1
ArbGG § 14 Abs. 2 Nr. 5
Haben die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich den Widerruf durch Einreichung eines Schriftsatzes zu einer durch Landesgesetz eingerichteten auswärtigen Kammer eines Arbeitsgerichts vereinbart, so kann der Vergleich fristwahrend nicht durch Eingang eines Schriftsatzes beim Stammgericht widerrufen werden. Auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den zuständigen Kammervorsitzenden kommt es nicht an.
5 Sa 629/02

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

wegen Kündigung

Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Malkmus und die ehrenamtlichen Richter Steigerwald und Hendl aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg/Kammer Aschaffenburg vom 17.07.2002 - Az.: 6 Ca 69/02 A - in Ziffern 1 und 2 abgeändert.

2.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 18.02.2002 beendet worden ist.

3.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

4.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über die Frage, ob der Rechtsstreit durch den vor dem Arbeitsgericht Würzburg/Kammer Aschaffenburg geschlossenen Vergleich vom 18.02.2002 beendet worden ist.

Am 18.02.2002 haben die Parteien vor dem Arbeitsgericht Würzburg/Kammer Aschaffenburg einen widerruflichen Vergleich geschlossen, dessen Ziffer 4. folgenden Wortlaut hat:

"4. Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht von einer der Parteien durch Einreichung eines Schriftsatzes zum Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, bis einschließlich 05.03.2002 widerrufen wird."

Mit Schriftsatz vom 04.03.2002 hat die Beklagte den Widerruf des Vergleichs erklärt. Der an das Arbeitsgericht Würzburg, Ludwigstraße 33, 97070 Würzburg gerichtete Widerruf ist dort per Telefax am 04.03.2002 eingegangen und dem für das streitgegenständliche Verfahren zuständigen, am 05.03.2002 am Arbeitsgericht Würzburg anwesenden Kammervorsitzenden vorgelegt worden.

Das Arbeitsgericht hat daraufhin das Verfahren fortgesetzt und mit Endurteil vom 17.07.2002 die Klage abgewiesen. Das Erstgericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Vergleich vom 18.02.2002 rechtzeitig widerrufen worden ist. Auf den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Urteils wird, auch hinsichtlich des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Einzelnen, Bezug genommen.

Zur Begründung seiner dagegen gerichteten Berufung lässt der Kläger vortragen, das Verfahren sei durch den Vergleich vom 18.02.2002 beendet worden. Der Widerruf sei beim Arbeitsgericht Würzburg, nicht aber bei der im Vergleich hierzu vorgesehenen Kammer Aschaffenburg des Arbeitsgerichts Würzburg innerhalb der Widerrufsfrist erklärt worden.

Der Kläger beantragt:

1.

Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 17.07.2002 aufgehoben.

2.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 18.02.2002 beendet worden ist.

3.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Widerruf habe auch beim Stammgericht eingereicht werden können; im Übrigen habe der zuständige Richter innerhalb der Frist Kenntnis vom Widerruf genommen.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Der Rechtsstreit wurde durch den Vergleich vom 18.02.2002 beendet; der mit Schriftsatz vom 04.03.2002 erklärte Widerruf ist innerhalb der Widerrufsfrist beim Arbeitsgericht Würzburg, nicht aber bei der von den Parteien hierzu bestimmten Kammer Aschaffenburg des Arbeitsgerichts Würzburg eingegangen.

Zwar können die für einen auswärtigen Spruchkörper bestimmten Schriftsätze grundsätzlich auch beim Stammgericht wirksam eingereicht werden (vgl. BAG vom 23.09.1981, AP Nr. 2 zu § 64 ArbGG 1979), dies gilt aber nicht ohne weiteres für den Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs, weil sich Form und Frist des Widerrufs allein nach der von den Parteien getroffenen Vereinbarung richten und nach materiell-rechtlichen Grundsätzen zu beurteilen sind (BGH vom 25.01.1980, NJW 1980, 1753 ff). Der Wortlaut der Ziffer 4. des Vergleiches vom 18.02.2002 ist eindeutig; die Parteien haben rechtlich bindend als Erklärungsempfänger nicht das Stammgericht schlechthin, sondern allein dessen auswärtige Kammer Aschaffenburg bestimmt.

Der Prozessvergleich ist ein Prozessvertrag, der eine Doppelnatur hat. Er ist Prozesshandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtlicher Vertrag, weil er sachlich-rechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt. Als Vertrag des bürgerlichen Rechts unterliegt er den Vorschriften und Grundsätzen des Privatrechts. Dem entspricht es, dass die Freiheit der Prozessparteien, den Empfänger eines Widerrufsschriftsatzes zu bestimmen, keinen Einschränkungen unterliegt. Die Parteien sind hier ebensowenig eingeschränkt wie bei den Vereinbarungen zu Frist und Form des Widerrufs. So ist es ohne Weiteres zulässig und vielfach auch üblich, zum Adressaten der Widerrufserklärung das Gericht zu bestimmen, vor dem der Vergleich protokolliert worden ist (BGH vom 25.01.1980, NJW 1980, 1753 ff.).

Aus dieser den Parteien vorbehaltenen Freiheit ergibt sich, dass es keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, als Empfänger einer Widerrufserklärung nicht das Stammgericht, sondern eine gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 5 ArbGG an einem anderen Ort errichtete Kammer des Arbeitsgerichts zu bestimmen, wenn - wie vorliegend - der Vergleich vor einer solchen auswärtigen Kammer abgeschlossen und von ihr beurkundet worden ist. Die auswärtigen Kammern eines Arbeitsgerichts sind zwar Teil des Stammgerichts, aber örtlich verselbständigt, weil sie durch ein auf § 14 Abs. 2 Nr. 5 ArbGG beruhendes Landesgesetz besonders eingerichtet worden sind. Dies ist bei der Kammer Aschaffenburg des Arbeitsgerichts Würzburg der Fall (Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte für Arbeitssachen im Freistaat Bayern, BayRS 32-1-A in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der Gerichte für Arbeitssachen im Freistaat Bayern vom 23.06.1988, BayGVBl 1988, 159).

An dem erzielten Ergebnis ändert auch nichts der Umstand, dass der Schriftsatz mit dem Vergleichswiderruf innerhalb der Widerrufsfrist am Gerichtsort Würzburg dem für vorliegendes Verfahren bei der Kammer Aschaffenburg zuständigen Richter vorgelegt worden ist. Würde die Kenntnisnahme durch den zuständigen Richter an einem nicht von den Parteien für den Vergleichswiderruf bestimmten Ort genügen, so würde dies zu Unwägbarkeiten und Rechtsunsicherheiten führen, die von den vergleichschließenden Parteien regelmäßig nicht gewollt sind (vgl. hierzu LAG Hamm vom 30.03.1992, LAGE § 794 ZPO Nr. 6). Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien des Streitfalles einen hierzu abweichenden Willen besaßen, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision gemäß nachstehender Rechtsmittelbelehrung einlegen.

Ende der Entscheidung

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