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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 1 NDH L 6/04
Rechtsgebiete: NDO


Vorschriften:

NDO § 12 Abs. 1 Satz 1
Ein Finanzbeamter, der in mehreren hundert Einzelfällen unerlaubte Hilfe in Steuersachen geleistet, dabei in mehr als 190 Fällen falsche Angaben in den Steuererklärungen Dritter eingetragen und darüber hinaus Einkünfte aus der unerlaubten Hilfe in Steuersachen nicht in seinen eigenen Steuererklärungen angegeben hat, ist aus dem Dienst zu entfernen.
Gründe:

I.

Der 1947 geborene Ruhestandsbeamte trat am 1. April 1965 als Steueranwärter beim Finanzamt F. in die niedersächsische Finanzverwaltung ein. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1966 wurde er zum Steuerassistenten z. A. ernannt. Am 1. Oktober 1968 erfolgte die Ernennung zum Steuerassistenten, am 31. August 1974 zum Beamten auf Lebenszeit. Am 1. April 1982 wurde der Ruhestandsbeamte zum Steueramtsinspektor befördert.

Mit Verfügung vom 27. Oktober 1987 wurde dem Ruhestandsbeamten eine Nebentätigkeitsgenehmigung für die Übernahme einer Pflegschaft erteilt. Unter dem 10. März 1999 erhielt er die Genehmigung für eine Nebentätigkeit als Versicherungsvertreter bei der G..

Durch Verfügung vom 13. März 2002 versetzte die Oberfinanzdirektion H. den Ruhestandsbeamten auf dessen Antrag hin mit Ablauf des Monats März 2002 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand.

Der Ruhestandsbeamte ist seit 1972 verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Er ist mit Ausnahme der hier relevanten Vorwürfe disziplinarisch nicht in Erscheinung getreten.

II.

Im März 2001 leitete das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen I. ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf unbefugte Hilfeleistung in Steuersachen und Steuerhinterziehung ein. Die Ermittlungen, die daraufhin durchgeführt wurden, begründeten den Verdacht, der Ruhestandsbeamte habe sich der Einkommensteuerhinterziehung zu eigenen Gunsten in den Jahren 1995 bis 1999, der Einkommensteuerhinterziehung zu Gunsten anderer in den Jahren 1996 bis 2000 und der unerlaubten Hilfeleistung in Steuersachen in den Jahren 1998 bis 2000 schuldig gemacht. Bei seiner Vernehmung durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen am 18. Juni 2001 räumte der Ruhestandsbeamte die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe ein. Er gab an, vor ca. 10 Jahren mit der Erstellung von Steuererklärungen für Familienangehörige begonnen und diese Tätigkeit später auf seinen Freundeskreis ausgedehnt zu haben. In der Folgezeit seien Bekannte hinzugekommen, u. a. auch von ihm betreute Versicherungskunden. Die Steuererklärungen habe er stets allein angefertigt. In einigen dieser Steuererklärungen habe er ohne Wissen der Steuerpflichtigen auch fiktive Spendenbeträge als Sonderausgaben eingetragen. Im Verwandtenkreis und für enge Freunde sei er unentgeltlich tätig geworden. Von anderen Personen habe er hingegen ein Honorar erhalten. Dass seine Tätigkeit nicht erlaubt gewesen sei, sei ihm immer klar gewesen.

Nach Abschluss der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erließ das Amtsgericht I. auf Antrag des Finanzamtes für Fahndung und Steuersachen I. unter dem 31. Oktober 2001 gegen den Ruhestandsbeamten einen Strafbefehl über eine Gesamtgeldstrafe von 20.000,-- DM und eine Geldbuße von 2.100,-- DM (J.). In diesem Strafbefehl, der am 29. November 2001 rechtskräftig wurde, heißt es u. a.:

"Das Finanzamt für Steuerfahndung und Strafsachen I. beschuldigt Sie, zu F. in den Jahren 1996 - 2001 durch 198 selbständige Handlungen dem Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen unvollständige bzw. unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern zu eigenen Gunsten verkürzt zu haben sowie Steuern zu Gunsten Dritter verkürzt zu haben bzw. versucht zu haben, Steuern zu Gunsten Dritter zu verkürzen, indem Sie Ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die sie aufgrund der Erstellung von Steuererklärungen für fremde Dritte erzielt haben, nicht in Ihrer Einkommensteuererklärung für die Jahre 1995 - 1999 angegeben haben und indem Sie in 193 Fällen für fremde Dritte Steuererklärungen gefertigt haben, in denen Sie ohne deren Wissen Spendenbeträge als Sonderaufgaben eingetragen haben, obwohl diese Gelder nie gespendet wurden.

Dadurch bewirkten Sie, dass

1. Einkommensteuer für das Jahr 1995 i. H. v. 762,-- DM,

2. Einkommensteuer für das Jahr 1996 i. H. v. 988,-- DM,

3. Einkommensteuer für das Jahr 1997 i. H. v. 1.120,-- DM,

4. Einkommensteuer für das Jahr 1998 i. H. v. 1.274,-- DM,

5. Einkommensteuer für das Jahr 1999 i. H. v. 1.534,-- DM

zu eigenen Gunsten zu niedrig festgesetzt wurde (Anlage 1),

zu 6. bis 126. in 121 Fällen Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 2000 zu Gunsten Dritter i. H. v. insgesamt 6.494,-- DM zu niedrig festgesetzt wurde (Anlage 2) und

zu 127. bis 152. in 26 Fällen Einkommensteuer für die Jahre 1996 bis 1999 zu Gunsten Dritter i. H. v. mindestens 780,-- DM zu niedrig festgesetzt werden sollte (Anlage 3).

Zu 153. bis 198. liegen in 46 Fällen untaugliche Versuche der Einkommensteuerverkürzung für die Jahre 1996 bis 2000 vor. Die falschen Angaben in der Steuererklärung konnten zu keinem Taterfolg führen, weil die festgesetzte Steuer auch ohne den Ansatz von Spenden bei 0,-- DM lag (Anlage 4).

Weiterhin legt Ihnen das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen I. zur Last, zu F. in den Jahren 1999 bis 2001 als Finanzbeamter entgegen § 5 StBerG geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen geleistet zu haben, indem Sie in 16 Fällen entgeltlich und in 25 Fällen unentgeltlich Einkommensteuererklärungen bzw. Anträge auf den Lohnsteuerjahresausgleich gestellt haben, obwohl Sie nicht zu den in den §§ 4 und 5 StBerG genannten Personen gehören und deshalb zur Hilfeleistung in Steuersachen nicht befugt waren (Anlage 5).

Straftaten nach §§ 369, 370 AO; §§ 2, 18, 10 b EStG; §§ 22, 23 StGB. ...

Auf Antrag des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen I. werden deshalb gegen Sie folgende Geldstrafen in Tagessätzen verhängt:

Wegen der Straftat zu 1. 5 Tagessätze,

wegen der Straftat zu 2. 5 Tagessätze,

wegen der Straftat zu 3. 7 Tagessätze,

wegen der Straftat zu 4. 7 Tagessätze,

wegen der Straftat zu 5. 10 Tagessätze,

wegen der Straftaten zu 6. bis 126. je 5 Tagessätze,

wegen der Straftaten zu 127. bis 152. je 5 Tagessätze,

wegen der Straften zu 153. bis 198. je 5 Tagessätze.

Aus diesen Einzelstrafen wird gemäß §§ 53, 54 StGB eine Gesamtstrafe von 200 Tagessätzen gebildet. Die Höhe des Tagessatzes beträgt 100,-- DM, die Geldstrafe mithin 200 x 100,-- DM = 20.000,-- DM.

Wegen der Steuerordnungswidrigkeiten zu 1. bis 16. wird eine Geldbuße von je 100,-- DM, wegen der Steuerordnungswidrigkeiten zu 17. bis 41. eine Geldbuße von je 20,-- DM festgesetzt. Damit werden Geldbußen von insgesamt 2.100,-- DM festgesetzt."

Mit Verfügung vom 20. April 2001 leitete der Vorsteher des Finanzamtes F. disziplinarische Vorermittlungen gegen den Ruhestandsbeamten ein. Danach untersagte die Oberfinanzdirektion H. dem Ruhestandsbeamten durch Verfügung vom 11. Juni 2001 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Führung der Dienstgeschäfte. Mit Verfügung vom 23. August 2001 brach der Vorsteher des Finanzamtes F. die Vorermittlungen ab. Daraufhin leitete der OberfinanzpräsidentK. mit Verfügung vom 27. August 2001 ein förmliches Disziplinarverfahren gegen den Ruhestandsbeamten ein und enthob ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens des Dienstes. Mit Verfügung vom 6. September 2001 setzte der Oberfinanzpräsident das förmliche Disziplinarverfahren bis zur Beendigung des steuerstrafrechtlichen Verfahrens aus. Mit weiterer Verfügung vom 4. Oktober 2001 ordnete er die Einbehaltung von 30 % der Dienstbezüge des Ruhestandsbeamten an. Nach Erlass des Strafbefehls setzte der Oberfinanzpräsident das förmliche Disziplinarverfahren fort. Nach der Pensionierung des Ruhestandsbeamten ordnete er mit Verfügung vom 10. April 2002 die Einbehaltung von 5 % des Ruhegehalts gemäß § 92 NDO an.

III.

Mit der bei der Disziplinarkammer am 27. Mai 2003 eingegangenen Anschuldigungsschrift hat die Vertreterin der Einleitungsbehörde dem Ruhestandsbeamten vorgeworfen, ein Dienstvergehen begangen zu haben, indem er

in den Jahren 1997 bis 2001 in 279 Einzelfällen unbefugte Hilfe in Steuersachen geleistet,

in 193 Fällen falsche Angaben in Steuererklärungen Dritter eingetragen und

in den Jahren 1995 bis 2000 die Erlöse aus der unerlaubten Hilfe in Steuersachen nicht in seinen Einkommenssteuererklärungen angegeben habe.

Die Vertreterin der Einleitungsbehörde hat beantragt,

auf Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen.

Der Ruhestandsbeamte hat beantragt,

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

Die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht L. hat durch Urteil vom 11. Mai 2004 festgestellt, dass der Ruhestandsbeamte eines Dienstvergehens schuldig ist, und ihm das Ruhegehalt aberkannt. Zugleich hat sie dem Ruhestandsbeamten für die Dauer von zwölf Monaten einen Unterhaltsbeitrag von 75 vom Hundert des im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils erdienten Ruhegehalts bewilligt. Zur Begründung dieser Entscheidung hat die Disziplinarkammer folgendes ausgeführt: Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung sei davon auszugehen, dass der Ruhestandsbeamte in den Jahren 1997 bis 2001 in 279 Einzelfällen unerlaubte Hilfe in Steuersachen geleistet und dabei in 193 Fällen falsche Angaben in den Steuererklärungen Dritter eingetragen habe. Außerdem habe er in der Zeit von 1995 bis 2000 Erlöse aus der unerlaubten Hilfe in Steuersachen nicht in seinen eigenen Steuererklärungen angegeben. Dadurch habe er sich nach den §§ 369, 370 AO, 2, 18, 10 b EStG strafbar gemacht. Außerdem habe er Ordnungswidrigkeiten nach § 5 StBerG begangen. Das ergebe sich aus den Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts I. vom 31. Oktober 2001. Der Ruhestandsbeamte habe diese Verfehlungen im Strafverfahren und im förmlichen Disziplinarverfahren auch eingeräumt. Durch dieses Verhalten habe er ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen. Denn er habe gegen seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Verwaltung seines Amtes (§ 62 Satz 2 NBG), zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes (§ 62 Satz 3 NBG), zur Befolgung von Anordnungen des Dienstvorgesetzten (§ 63 Satz 3 NBG) und zur Unterlassung ungenehmigter Nebentätigkeiten (§ 73 NBG) verstoßen. Der Ruhestandsbeamte habe auch schuldhaft gehandelt. Die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens sei ihm bekannt gewesen. Gründe, die die Pflichtverstöße entschuldigen könnten, lägen nicht vor. Ein Nervenfacharzt habe dem Ruhestandsbeamten zwar eine neurotisch-aggressionsgehemmte Persönlichkeitsstruktur mit Stabilisierung des Selbstwertbildes durch Anerkennung anderer bescheinigt und die Ansicht vertreten, die dienstlichen Verfehlungen des Ruhestandsbeamten seien durch diese Erkrankung wesentlich mitbestimmt. Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Ruhestandsbeamten bei den Pflichtverletzungen in beachtlicher Weise gemindert gewesen sei. Denn der Ruhestandsbeamte sei sehr wohl in der Lage gewesen, die Bitten von Steuerpflichtigen abzulehnen, für sie Steuererklärungen anzufertigen. Seine Angaben bei seiner Vernehmung im Disziplinarverfahren am 13. Mai 2002 zeigten, dass es ihm möglich gewesen sei, sein Verhalten zielgerichtet und ergebnisorientiert zu steuern und das Ansinnen z. B. kleiner Gewerbebetreibender aus terminlichen Gründen, mangels fachlicher Kompetenz und aus Angst vor Entdeckung zurückzuweisen. Das Dienstvergehen wiege derart schwer, dass dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen sei. Ein Finanzbeamter, der die Pflicht zur Steuerehrlichkeit verletze, zerstöre das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn und schädige das Ansehen der Finanzbeamten. Auch die jahrelange unerlaubte Steuerhilfe für eine Vielzahl anderer Steuerpflichtiger sei geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit der Finanzbeamten stark zu erschüttern. Derartig gravierende Kernpflichtverletzungen erforderten grundsätzlich die disziplinare Höchstmaßnahme. Milderungsgründe, die es rechtfertigen könnten, von der Verhängung der Höchstmaßnahme ausnahmsweise abzusehen, seien nicht gegeben. Die nervenfachärztlich attestierte Persönlichkeitsstruktur des Ruhestandsbeamten begründe keinen Milderungsgrund. Dass seine psychischen Probleme eine unausweichliche psychische Zwangssituation zur Folge gehabt habe, lasse sich nicht feststellen. Dass der Ruhestandsbeamte inzwischen seine Steuerschulden beglichen habe, stelle ebenfalls keinen Milderungsgrund dar. Angesichts der Schwere der Dienstpflichtverletzungen könnten auch seine Mitwirkung bei der Aufklärung der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und seine Reue nach der Entdeckung der Taten ein Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme nicht rechtfertigen.

IV.

Gegen das dem Ruhestandsbeamten am 19. Mai 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Ruhestandsbeamten, die am 17. Juni 2004 bei der Disziplinarkammer eingegangen ist.

Zur Begründung der Berufung trägt der Ruhestandsbeamte im Wesentlichen folgendes vor: Er wende sich gegen die Bemessung der Disziplinarmaßnahme. Die Aberkennung des Ruhegehalts sei nicht gerechtfertigt. Er habe zwar ein Dienstvergehen begangen. Dieses könne jedoch nicht zur Verhängung der Höchstmaßnahme führen, weil mildernde Umstände vorlägen. Er habe sich bei den Dienstpflichtverletzungen in einer unausweichlichen psychischen Zwangssituation befunden, weil er krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, die Bitten von Steuerpflichtigen, für sie Steuererklärungen zu erstellen, abzulehnen. Dass er für Gewerbetreibende keine Steuererklärungen angefertigt habe, sei allein darauf zurückzuführen, dass er über die dazu erforderlichen Fachkenntnisse nicht verfügt habe. Aus der von ihm vorgelegten Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. M. vom 15. Juni 2004 ergebe sich, dass er sich den Ansinnen von Gewerbetreibenden, für sie Steuererklärungen anzufertigen, nicht hätte entziehen können, wenn er die notwendigen Kenntnisse dafür gehabt hätte. Daher liege ein Milderungsgrund vor, den die Disziplinarkammer bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme außer acht gelassen habe. Darüber hinaus sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er an der Aufklärung der Straftaten mitgewirkt habe. Dass dies erst nach deren Entdeckung geschehen sei, könne ihm nicht angelastet werden, weil er krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, sich vorher selbst zu belasten. Ferner müsse bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Rechnung gestellt werden, dass der Dienstherr einem erkrankten Beamten beistehen müsse, was in seinem Fall nicht geschehen sei. Sein Dienstherr hätte es ihm ermöglichen müssen, sich in ärztliche Behandlung zu begeben, um die weitere Verletzung von Dienstpflichten zu vermeiden. Auch einem alkoholabhängigen Beamten werde Gelegenheit gegeben, sich einer Alkoholentziehungskur zu unterziehen, bevor disziplinarische Maßnahmen ergriffen würden. Ferner sei mildernd zu berücksichtigen, dass er seine Dienstpflichten nicht eigennützig verletzt habe, in der Vergangenheit disziplinarisch nicht in Erscheinung getreten sei, seine übrigen dienstlichen Verpflichtungen immer ordnungsgemäß erfüllt habe und durchweg gut beurteilt worden sei. Schließlich müsse die Bemessung der Disziplinarmaßnahme auch seiner Lebenssituation Rechnung tragen. Die Aberkennung des Ruhegehalts würde ihn gravierend belasten. Seine Einkünfte würden dadurch um ca. 700,-- € sinken, so dass er nicht mehr in der Lage wäre, seinen Lebensstandard annähernd aufrecht zu erhalten. Außerdem habe er bereits eine hohe Geldstrafe zahlen müssen. Überdies habe das Disziplinarverfahren auch seine Familie erheblich belastet.

Der Ruhestandsbeamte beantragt,

das Urteil der Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht L. vom 11. Mai 2004 zu ändern und auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

Die Vertreterin der Einleitungsbehörde beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und bestreitet, dass sich der Ruhestandsbeamte bei den Pflichtverletzungen in einer unausweichlichen psychischen Zwangssituation befunden habe. Dem stehe schon entgegen, dass er das Ansinnen kleiner Gewerbetreibender, für sie Steuererklärungen zu erstellen, abgelehnt habe. Dass der Ruhestandsbeamte in erheblichem Umfang an der Aufklärung der Taten mitgewirkt habe, stelle ebenfalls keinen Milderungsgrund dar. Zu dieser Aufklärung sei es erst gekommen, nachdem sein Arbeitsplatz und seine Wohnung durchsucht und belastende Unterlagen sichergestellt worden seien. Außerdem werde bestritten, dass der Ruhestandsbeamte aus medizinischen Gründen erst nach der Entdeckung der Taten in der Lage gewesen sei, bei deren Aufklärung mitzuarbeiten. Der Einwand des Ruhestandsbeamten, sein Dienstherr sei verpflichtet gewesen, ihm wegen seiner Erkrankung beizustehen, greife ebenfalls nicht durch. Denn es habe vor der Entdeckung der Taten keine Anzeichen für eine Erkrankung gegeben. Die Behauptung, bei der Anfertigung der Steuererklärungen uneigennützig gehandelt zu haben, entlaste den Ruhestandsbeamten auch nicht. Denn die unbefugte Hilfeleistung in Steuersachen stelle eine schwerwiegende Verfehlung im Kernbereich der einem Finanzbeamten obliegenden Dienstpflichten dar, die die Aberkennung des Ruhegehalts selbst dann rechtfertige, wenn der Finanzbeamte sich nicht persönlich bereichert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die Beiakten A bis H Bezug genommen.

V.

Die Berufung ist unbegründet. Denn die Disziplinarkammer hat zu Recht auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt.

Der Ruhestandbeamte räumt ein, das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen zu haben, und wendet sich mit seiner Berufung ausschließlich gegen die Bemessung der Disziplinarmaßnahme. Dementsprechend beantragt er, auf eine mildere Maßnahme als die Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen.

Die disziplinare Höchstmaßnahme, die die Disziplinarkammer gegen den Ruhestandsbeamten verhängt hat, ist jedoch nicht zu beanstanden.

Die Aberkennung des Ruhegehalts setzt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NDO voraus, dass bei einem aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt wäre (vgl. NDH, Urt. v. 14.07.2005 - 1 NDH L 1/04 -; Urt. v. 13.01.2005 - 2 NDH L 6/04 -; Urt. v. 21.01.2002 - 1 NDH L 3644/02 -; Urt. v. 13.06.2002 - 1 NDH L 1820/01 -). In der Literatur wird zwar die Auffassung vertreten, dass ein Dienstvergehen, das die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, nach dem Eintritt in den Ruhestand eine geminderte Disziplinarrelevanz habe und daher eine mildere Beurteilung gerechtfertigt sein könne (vgl. Claussen/Janzen, BDO-Kommentar, 8. Aufl., Rdn. 3 zu § 12; Köhler/Ratz, BDO-Kommentar, 2. Aufl., Rdn. 5 zu § 12). Diese Auffassung ist aber unzutreffend, weil das Gesetz, wie sich auch aus § 117 Abs. 7 NDO ergibt, von der Gleichwertigkeit beider Disziplinarmaßnahmen ausgeht (vgl. NDH, Urt. v. 28.1.2005 - 1 NDH L 6/03 -; Urt. v. 13.06.2002 - 1 NDH L 1820/01 -; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 8.4.2003 - 1 D 27/02 -; Urt. v. 26.09.2001 - 1 D 23/00 -). Außerdem hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass in den Fällen, in denen der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden so erheblich ist, dass bei einem aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst erfolgen muss, die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich ist, um den mit dieser Disziplinarmaßnahme verfolgten Zwecken der Generalprävention und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes Geltung zu verschaffen (BVerwG, Urt. v. 26.09.2001, a.a.O.). Demnach setzt die Aberkennung des Ruhegehalts grundsätzlich nur voraus, dass bei einem aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt wäre. Das gilt auch im vorliegenden Fall, weil keine Gründe vorliegen, die es rechtfertigen könnten, ausnahmsweise von dem o. g. Grundsatz abzuweichen.

Befände sich der Ruhestandsbeamte noch im aktiven Dienst, wäre seine Entfernung aus dem Dienst unerlässlich. Ein aktiver Beamter ist dann aus dem Dienst zu entfernen, wenn das für die Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses unerlässliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstherrn und dem Beamten endgültig zerrüttet ist (NDH, Urt. v. 12.5.2005 - 1 NDH L 9/03 -; Beschl. v. 23.06.2003 - 1 NDH M 2/03 -). Das ist nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung hier der Fall.

Der Ruhestandsbeamte hat in den Jahren 1997 bis 2001 in 279 Einzelfällen unerlaubte Hilfe in Steuersachen geleistet und dabei in 193 Fällen falsche Angaben in den Steuererklärungen Dritter eingetragen. Darüber hinaus hat er in der Zeit von 1995 bis 2000 Einkünfte aus der unerlaubten Hilfe in Steuersachen nicht in seinen eigenen Steuererklärungen angegeben. Ein Finanzbeamter, der jahrelang derartige Verfehlungen begeht und sich dadurch strafbar macht, versagt im Kernbereich seiner Dienstpflichten und zerstört das Vertrauen der Öffentlichkeit, der Steuerpflichtigen und seines Dienstvorgesetzten in seine korrekte und uneigennützige Amtsführung unwiederbringlich. Durch die Steuerhinterziehung und die unerlaubte Hilfe in Steuersachen setzt er zudem die Finanzverwaltung insgesamt dem Verdacht aus, einzelne Steuerpflichtige zu Lasten der Allgemeinheit zu begünstigen. Ein derartiger Anschein erschüttert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Finanzverwaltung und die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen nachhaltig. Er untergräbt überdies die Steuermoral und die Steuerehrlichkeit. Die Weiterbeschäftigung eines Finanzbeamten, der sich derartige Pflichtverletzungen zu Schulden kommen lässt, ist dem Dienstherrn nicht zuzumuten. Denn das Amt des Steuerbeamten erfordert ein hohes Maß an Verlässlichkeit, das unbedingte Voraussetzung für einen vertrauensvollen Umgang innerhalb der Behörde und mit den Steuerpflichtigen ist. Daher wäre der Ruhestandsbeamte aus dem Dienst zu entfernen, wenn er noch aktiver Beamter wäre.

Folglich ist auf die Aberkennung des Ruhegehalts zu erkennen.

Von dieser Disziplinarmaßnahme kann auch nicht wegen eines Milderungsgrundes abgesehen werden, weil keiner der von der Rechtsprechung anerkannten Milderungsgründe vorliegt.

Der Ruhestandsbeamte kann sich insbesondere nicht auf den Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation berufen. Denn dieser Milderungsgrund setzt voraus, dass das Dienstvergehen Folge einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.09.1998 - 1 D 97/97 -; Urt. v. 09.05.2001 - 1 D 22/00 -; Urt. v. 23.10.2002 - 1 D 5/02 -). Anhaltspunkte dafür, dass die Verfehlungen des Ruhestandsbeamten schockbedingt gewesen sind, bestehen indessen nicht. Der Nervenfacharzt Dr. M. hat in seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2004, die der Ruhestandsbeamte im Berufungsverfahren vorgelegt hat, zwar ausgeführt, die biographische Anamnese unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten habe ergeben, dass der Ruhestandsbeamte ein pathologisch ausgeprägtes Harmoniebedürfnis, eine schwere Aggressionshemmung sowie eine mittelschwere neurotische Depression mit Ängsten und Selbstwertstörung habe. Das Krankheitsbild führe psychodynamisch zu einem extremen Bedürfnis nach Fremdbestätigung. Aus psychotherapeutischer Sicht müsse bestätigt werden, dass der Ruhestandsbeamte dort, wo er in der Lage gewesen sei, an ihn herangetragene Wünsche zu bearbeiten, aufgrund einer suchtartigen Bedürftigkeit nach narzistischer Zufuhr nur eingeschränkt steuerungsfähig gewesen sei. Diese Ausführungen von Dr. M. geben aber keinen Hinweis darauf, dass der Ruhestandsbeamte sich bei den ihm anzulastenden Verfehlungen in einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat, die durch einen Schock, d. h. ein plötzliches und unvorhergesehenes Ereignis, hervorgerufen worden ist. Der Inhalt des nervenfachärztlichen Attests von Dr. M. vom 10. Mai 2002, das der Ruhestandsbeamte im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat, spricht im Gegenteil dafür, dass dessen psychische Krankheit allmählich über einen langen Zeitraum, schon beginnend in der Kindheit, entstanden ist. Dem genannten Attest ist zu entnehmen, dass der Ruhestandsbeamte von einer sehr dominant auftretenden Mutter geprägt worden sei. Nach dem frühen Tod des Vaters seien in großem Maße Pflichten an ihn herangetragen worden, gegen die er sich nicht habe abgrenzen können. Aggressionen habe er stets gegen sich selbst gerichtet. Er habe nie gelernt, aggressive Impulse adäquat zu äußern, um die Harmonie der Umgebung nicht zu gefährden. Aus den Angaben des Patienten sei ersichtlich, dass es im Laufe der Zeit jeweils kleine Schritte gewesen seien, die zur aktuellen Problematik geführt hätten. Folglich liegen die Voraussetzungen des o. g. Milderungsgrundes nicht vor.

Ein Absehen von der Höchstmaßnahme wäre auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Ruhestandsbeamte das Dienstvergehen im Zustand eingeschränkter Steuerungsfähigkeit begangen haben sollte, die ihm der Nervenfacharzt Dr. M. in seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2004 attestiert hat. Dabei kann dahinstehen, ob sich der Ruhestandsbeamte tatsächlich krankheitsbedingt in einem Zustand befunden hat, in dem er nicht mehr frei über sein Handeln bestimmen konnte, woran der Senat nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung durchaus Zweifel hat. Denn selbst wenn die Einschätzung des Arztes zutreffen sollte, wäre die Aberkennung des Ruhegehalts nicht zu beanstanden, weil von einem Beamten im Hinblick auf die von ihm als selbstverständlich geforderte und langjährig geübte Pflichterfüllung erwartet werden muss, dass er auch bei verminderter Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit noch genügend Widerstandskraft gegen die Verletzung zentraler und leicht einsehbarer Kernpflichten aufbringt (BVerwG, Urt. v. 29.08.2001 - 1 D 8.00 -; Urt. v. 23.10.2002, a.a.O.). Daher erlaubt selbst eine verminderte Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit es nicht, von der Verhängung der Höchstmaßnahme abzusehen, wenn - wie hier - gegen zentrale Kernpflichten verstoßen worden ist, deren besonderes Gewicht jeder Finanzbeamte ohne weiteres erkennen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.08.2001, a.a.O.).

Dass der Ruhestandsbeamte nach der Entdeckung der Straftat an deren vollständiger Aufklärung mitgewirkt hat, lässt ebenfalls kein Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme zu. Denn dieser Umstand erlaubt angesichts der Schwere und der langjährigen Dauer der Dienstpflichtverletzungen keine mildere Disziplinarmaßnahme.

Ebenso wenig verschafft die Belastung des Ruhestandsbeamten durch das Disziplinarverfahren eine Rechtfertigung dafür, von der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Ist - wie im vorliegenden Fall - die strengste Disziplinarmaßnahme zu verhängen, weil die Verfehlungen zu einem endgültigen Vertrauensverlust geführt haben, ist es nicht möglich, wegen der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen besonderen Belastung eine mildere Disziplinarmaßnahme auszusprechen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Ruhestandsbeamte vor den ihm zur Last gelegten Verfehlungen seine dienstlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt hat, disziplinarisch nicht in Erscheinung getreten ist und befriedigend bzw. vollbefriedigend beurteilt worden ist.

Von der Höchstmaßnahme ist auch nicht deshalb abzusehen, weil der Dienstherr nicht für eine rechtzeitige ärztliche Behandlung des Ruhestandsbeamten gesorgt hat. Denn dem Dienstherrn war vor der Aufdeckung der Verfehlungen die erst sehr viel später angegebene psychische Erkrankung des Ruhestandsbeamten gar nicht bekannt. Daher kann von einer Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Ruhestandsbeamten keine Rede sein.

Entgegen der Annahme des Ruhestandsbeamten kann bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ebenfalls nicht berücksichtigt werden, dass er im strafgerichtlichen Verfahren zu einer erheblichen Geldstrafe verurteilt worden ist. Denn das Disziplinarverfahren und das Strafverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Während die Kriminalstrafe die Ahndung kriminellen Unrechts bezweckt, dient die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme dazu, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Berufsbeamtentums und damit in die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.2.1999 - 1 D 72/97 -; Urt. v. 6.7.2000 - 2 WD 9/00 -).

Die Aberkennung des Ruhegehalts verstößt schließlich auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Diese Disziplinarmaßnahme bedeutet für den Betroffenen zwar eine erhebliche wirtschaftliche Härte. Diese Härte ist aber Folge eines ihm zurechenbaren Verhaltens und deshalb keineswegs unverhältnismäßig (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 1 D 77/97 -).

Eine Änderung der Entscheidung der Disziplinarkammer zu dem Unterhaltsbeitrag ist nicht beantragt worden. Daher ist diese Entscheidung im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 NDO.

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 90 NDO).



Ende der Entscheidung

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