Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 18.09.2003
Aktenzeichen: 9 LB 92/03
Rechtsgebiete: AO, NKAG, VwGO


Vorschriften:

AO § 228
AO § 230 I
NKAG § 8
VwGO § 80 II 1
1) Der Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Grundstücksanschluss aus § 8 NKAG ist keine öffentliche Abgabe i. S. v. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

2) Durch den Suspensiveffekt eines Widerspruchs wird nicht der Lauf der fünfjährigen Frist für die in § 228 AO bestimmte Zahlungsverjährung unterbrochen.


Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen den von der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Herstellung des Schmutzwasserhausanschlusses für sein Grundstück.

Die Beklagte ließ in den Jahren 1991/1992 im Ortsteil C. die zentrale Abwasserbeseitigungsanlage einschließlich der Hausanschlüsse erstellen. Mit Bescheid vom 19. April 1994 forderte sie die Mutter des Klägers als seinerzeitige Eigentümerin auf, die für die Herstellung ihres Hausanschlusses entstandenen Kosten in Höhe von 7.272,66 DM zu erstatten. Diese legte hiergegen am 17. Mai 1994 Widerspruch ein mit der Begründung, einzelne Kostenpositionen seien nicht nachvollziehbar und infolge nicht fachgerechter Durchführung der Arbeiten sei es zu Schäden an ihrer Hoffläche gekommen. Eine Bearbeitung des Widerspruchs durch die Beklagte erfolgte in den folgenden sechs Jahren nicht. Auf Anfrage der Beklagten vom 16. März 2001 teilte der Kläger dieser Anfang Mai 2001 mit, das Widerspruchsverfahren werde von ihm fortgeführt. Der Erstattungsanspruch sei aufgrund der Untätigkeit der Beklagten inzwischen nach § 228 AO verjährt. Die Beklagte reduzierte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001 den Erstattungsanspruch auf 6.847,19 DM und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.

Der dagegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. November 2001 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen dargelegt:

Die Erstattungsforderung der Beklagten sei nach § 11 Abs. 1 Nr. 5a NKAG i.V.m. § 228 AO am 31. Dezember 1999 verjährt und damit erloschen. Eine Unterbrechung der Verjährung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5a NKAG i.V.m. § 231 AO sei ungeachtet der Frage, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruch einer Aussetzung der Vollziehung im Sinne von § 231 AO gleich zu erachten sei, nicht eingetreten, da der angefochtene Bescheid nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar gewesen sei. Die (wohl noch) herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass der Kostenerstattungsanspruch des § 8 NKAG nicht dem Regelungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unterfalle, teile die Kammer nicht. Öffentliche Abgaben seien hoheitlich geltend gemachte öffentlich-rechtliche Geldforderungen, die von allen erhoben würden, die einen normativ bestimmten Tatbestand erfüllten, und die zur Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienten. Dabei genüge es, wenn die Abgabe diese Funktion neben einer anderen, z.B. einer Lenkungs-, Antriebs-, Zwangs- oder Straffunktion habe und möglicherweise zweckgebunden zu verwenden sei. Sinn und Zweck der in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO enthaltenen Regelung sei es, dass der abgabeberechtigte Hoheitsträger nicht durch Einlegung von Rechtsbehelfen und die damit verbundene aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO an der Verfolgung seiner öffentlichen Aufgaben gehindert werde. Gerade dieser Finanzierungsfunktion diene aber auch der streitbefangene Kostenerstattungsanspruch, da er ausschließlich der Deckung der der kommunalen Körperschaft aus der anschlussbezogenen Maßnahme erwachsenen Ausgaben zu dienen bestimmt sei und keinerlei Zwecke außerhalb der Refinanzierungsfunktion erfülle.

Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 13. März 2003 deren Berufung gegen das ihr am 20. Dezember 2001 zugestellte Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (9 LA 98/02).

II.

Die zugelassene Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass der 1994 fällig gewordene Erstattungsanspruch der Beklagten nach §§ 228, 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Jahres 1999 verjährt war, weil eine Unterbrechung der Verjährung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5a NKAG i.V.m. § 231 Abs. 1 AO nicht erfolgt ist.

Das Verwaltungsgericht hätte allerdings die Frage, ob eine Aussetzung der Vollziehung im Sinne von § 231 Abs. 1 AO auch ein nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit Einlegung des Widerspruchs eintretender Suspensiveffekt sein kann, nicht unbeantwortet lassen dürfen. Denn der Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die Herstellung, Erneuerung, Veränderung und Beseitigung eines Haus- oder Grundstücksanschlusses nach § 8 NKAG fällt entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts (ebenso: VG Chemnitz, Beschl. v. 21.10.1998 - 1 K 851/98 - NVwZ-RR 1999, 681; VG Dresden, Beschl v. 22.1.1996 - 7 K 2891/95 - NVwZ-RR 1997, 189 = SächsVBl 1996, 139) nicht unter den Begriff der öffentlichen Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dem Widerspruch der Mutter des Klägers gegen den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 19. April 1994 kam mithin nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu.

Der Senat hält nach erneuter Überprüfung in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.4.1980 - II 322/79 - KStZ 1981, 134; Bayer. VGH, Beschl. v. 22.1.1985 - 23 CS 84 A.258 - VGH n.F. 38, 17 = BayVBl 1985, 409; OVG Greifswald, Beschl. v. 1.2.2001 - 1 M 80/00 - NVwZ-RR 2001 = KStZ 2002, 18/19; OVG Münster, Beschl. v. 3.8.1976 - II B 303/75 - OVGE 32, 109 = NJW 1977, 214 = KStZ 1976, 233 = GemHH 1977, 118; VGH Kassel, Beschl. v. 12.1.1989 - 5 ZH 4916/88 - NVwZ-RR 1989, 329 = ZMR 1989, 390) und der Literatur (Dietzel in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Januar 2003, § 10 RdNr 4) an der bereits im Beschluss des 3. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. August 1984 (- III OVG A 122/83 - dng 1987, 62) vertretenen Rechtsauffassung fest, dass es sich bei dem auf § 8 NKAG gestützten Erstattungsanspruch nicht um eine öffentliche Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO handelt, sondern um eine öffentlich-rechtliche Entgeltleistung besonderer Art. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 17.12.1992 - 4 C 30.90 - NVwZ 1993, 1112 = DVBl 1993, 441) ist geklärt, dass § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur jene von Hoheitsträgern durch Verwaltungsakt angeforderten Geldleistungen erfassen will, die von der Zweckrichtung her Gemeinsamkeiten mit den Steuern aufweisen, so dass es ebenso wie im Steuerrecht gerechtfertigt erscheint, dem öffentlichen Interesse am sofortigen Zahlungseingang den Vorrang zu geben gegenüber dem sonst als vorrangig anerkannten Interesse des Schuldners, vor Unanfechtbarkeit des Heranziehungsbescheides nicht leisten zu müssen. Eine Festlegung des Abgabenbegriffs auf die klassischen öffentlichen Lasten "Steuern, Beiträge und Gebühren" hat der Gesetzgeber bewusst vermieden, um durch § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch andere Geldleistungen erfassen zu können, bei denen die öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen ebenfalls davor bewahrt werden sollen, dass ihnen die Einnahmen, auf die sie zur Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen öffentlichen Ausgaben angewiesen sind, nur deshalb auf unabsehbare Zeit vorenthalten werden, weil Abgabepflichtige die Rechtsmittelmöglichkeiten, die ihnen eröffnet werden, ausschöpfen. Der ausnahmsweise Ausschluss des Suspensiveffektes trägt somit dazu bei, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand zu gewährleisten und die Voraussetzungen für eine geordnete Haushaltsführung zu schaffen, derer es zur effektiven Erfüllung öffentlicher Aufgaben bedarf. Im Hinblick auf die bezweckte Angleichung an das Steuerrecht sind in den Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO deshalb neben Gebühren und Beiträgen alle Abgaben einzubeziehen, durch welche die Befriedigung des öffentlichen Finanzbedarfs sichergestellt wird. Das sind alle Entgelte, die eine Finanzierungsfunktion erfüllen, weil der Hoheitsträger sich mit ihrer Hilfe eine Einnahmequelle erschließt, die es ihm ermöglicht, seine eigenen Ausgaben bei der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen hoheitlichen Aufgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken. Der auf § 8 NKAG gestützte Erstattungsanspruch erfüllt diese Begrifflichkeiten nicht. Eine Finanzierungsfunktion kommt ihm nicht zu, weil die Gemeinde damit keine Ausgaben refinanziert, die ihr bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben entstanden sind, sondern sie nur die Kosten geltend macht, die ihr dadurch entstanden sind, dass sie anstelle des Grundeigentümers dessen durch den satzungsrechtlichen Anschlusszwang begründete Verpflichtung zur Herstellung des Haus- oder Grundstücksanschlusses erfüllt. Sie hat an seiner Stelle die Vorfinanzierung der Maßnahme übernommen, so dass der Erstattungsanspruch Wesenszüge des zivilrechtlichen Aufwendungsersatzes für eine Geschäftsführung ohne Auftrag oder auch des Anspruchs auf Übernahme der Kosten einer durchgeführten Ersatzvornahme gegenüber dem eigentlich Pflichtigen aufweist. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Gemeinde die Haus- oder Grundstücksanschlüsse zum Bestandteil der öffentlichen Einrichtung Abwasserbeseitigung bestimmt hat. Denn auch in diesem Fall dient die Herstellung der Anschlüsse weiterhin dem Interesse des Betroffenen, sein Grundstück in Erfüllung des ihn treffenden öffentlich-rechtlichen Anschlusszwangs an die öffentliche Abwasserleitung anschließen zu können.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich indes dennoch im Ergebnis als richtig, weil der mit der Einlegung des Widerspruchs gegen die Heranziehung zur Kostenerstattung ausgelöste Suspensiveffekt den Lauf der fünfjährigen Frist für die in § 228 AO bestimmte Zahlungsverjährung nicht unterbrochen hat. Nach dem abschließenden Katalog des § 230 Abs. 1 AO wird die Verjährung unterbrochen durch schriftliche Geltendmachung des Anspruches, durch Zahlungsaufschub, durch Stundung, durch Aussetzung der Vollziehung, durch Sicherheitsleistung, durch Vollstreckungsaufschub, durch eine Vollstreckungsmaßnahme, durch Anmeldung im Konkurs und durch Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen. Mit Ausnahme der Sicherheitsleistung durch den Steuerschuldner haben danach alle Unterbrechungshandlungen gemeinsam, dass sie ein Tätigwerden der Finanzbehörde mit nach außen gerichteter Wirkung verlangen, aus dem sich ergibt, dass diese den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis weiterhin geltend machen will, während eine lediglich innerdienstliche Handlung oder die bloße Untätigkeit der Behörde nicht genügen (vgl. Ruban in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Stand: Juli 2003, AO § 231 Rz. 12; BVerwG, Beschl. v. 10.4.1986 - 8 B 5.86 - Buchholz 401.0 § 228 AO Nr. 6 = DÖV 1986, 890). Keine Unterbrechung der Verjährung tritt deshalb z.B. ein, wenn der Vollstreckungsaufschub dem Vollstreckungsschuldner nicht mitgeteilt worden ist (BFH, Urt. v. 23.4.1991 - VII R 37/90 - BFHE 164, 392 = BStBl II 1991, 742 = BB 1991, 1922), wenn der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung dem Adressaten nicht zugegangen ist (BFH, Urt. v. 22.7.1999 - V R 44/98 - BStBl II 1999, 749) oder wenn die Steuerbehörde lediglich vor Erlass des Steuerbescheides angekündigt hat, dessen Vollziehung später auszusetzen ( BFH, Urt. v. 14.4.1996 - II R 43/93 - n.v.). Angesichts dieser Rechtsprechung verbietet es sich, im Wege der Analogie den mit der Einlegung eines Widerspruchs durch den Abgabeschuldner verbundenen Suspensiveffekt mit einer die Verjährung unterbrechenden Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde im Sinne des § 231 Abs. 1 AO gleichzusetzen. Denn dies hätte genau die - abgesehen vom Fall der Sicherheitsleistung durch den Steuerschuldner - gesetzlich gerade nicht gewollte Folge, dass ohne jegliches Tätigwerden der Behörde die Zahlungsverjährung unterbrochen würde. Der Einwand der Beklagten, für den Kostenschuldner sei schon aufgrund des Heranziehungsbescheides offenkundig, dass ihn die Gemeinde zur Kostenerstattung heranziehe, verfängt in diesem Zusammenhang nicht. Denn ein Heranziehungs- bzw. Steuerbescheid muss natürlich in allen Fallkonstellationen des § 231 Abs. 1 AO vorliegen, da nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO erst mit dessen Fälligkeit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, um deren Unterbrechung es geht.

Ende der Entscheidung

Zurück