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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.05.2003
Aktenzeichen: 1 U 114/02
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 5 Abs. 4 Satz 1
StVO § 7 Abs. 5 Satz 1
StVO § 18 Abs. 5 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 114/02

Verkündet am 05. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 7. April 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E sowie die Richter am Oberlandesgericht M und E

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 25. April 2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

I.

Wegen des Verkehrsunfalls vom 03.04.2000 gegen 9.30 Uhr auf der BAB 46 in Fahrtrichtung Neuss, bei dem der von dem Zeugen L gefahrene Omnibus des Klägers, mit dem von dem Beklagten zu 2. gefahrenen Pkw Audi, der bei der Beklagten zu 3. versichert ist, zusammenstieß, nachdem der Pkw Audi des Beklagten zu 1. zunächst mit dem Pkw BMW des Zeugen D kollidiert war, steht dem Kläger gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu.

1.

Zwar kann entgegen dem Landgericht nicht als feststehend davon ausgegangen werden, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Beklagten zu 2. (mit) verursacht worden ist (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG). Jedoch führt die gebotene Gesamtabwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zu dem für die beteiligten Fahrer nicht unabwendbaren Unfallereignis (§§ 7, 17 StVG) zu dem Ergebnis, dass die Beklagten insgesamt keine Haftung für die Unfallschäden des Klägers trifft. Zu Lasten einer Partei dürfen nur solche unfallursächlichen Tatsachen berücksichtigt werden, auf welche die Partei sich entweder selbst berufen hat oder die unstreitig oder bewiesen sind.

a.

Zu Lasten des Klägers geht neben der hohen Betriebsgefahr des mit einer auf etwa 96 km/h gesteigerten Geschwindigkeit zum Überholen den Fahrstreifen wechselnden Omnibusses ein unfallursächliches Verschulden des Fahrers des Omnibusses, des Zeugen L.

Dieser hat nämlich zum einen bei dem Überholvorgang und dem Fahrstreifenwechsel gegen die in §§ 5 Abs. 4 Satz 1, 7 Abs. 5 Satz 1 StVO bestimmten Sorgfaltspflichten verstoßen und zum anderen die in § 18 Abs. 5 Nr.1 StVO normierte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h deutlich überschritten.

aa.

Wer - wie hier der Zeuge L - zum Überholen ausscheren und den Fahrstreifen wechseln will, muß sich gemäß §§ 5 Abs. 4 Satz 1, 7 Abs. 5 Satz 1 StVO so verhalten, daß eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Für den Fahrer bedeutet dies, dass er das Ausscheren bzw. den Fahrstreifenwechsel mit äußerster Sorgfalt vorzubereiten und durchzuführen hat.

Kommt es - wie hier - auf einer Autobahn bei einem Ausscheren von dem rechten auf den linken Fahrstreifen zu einem Zusammenstoß mit dem bisher auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der ausscherende Fahrstreifenwechsler den an ihn zu stellenden hohen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt hat.

Die Überholfahrstreifen der Autobahn, insbesondere der linke Fahrstreifen, werden nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei flüssigem Verkehr regelmäßig mit angespannter Aufmerksamkeit und erhöhter Bremsbereitschaft befahren. Dies beruht einerseits auf der typischerweise dort gefahrenen höheren Geschwindigkeit und andererseits auf dem Umstand, daß mit Fahrzeugen gerechnet wird, die mit - zum Teil weitaus - geringerer Geschwindigkeit von dem angrenzenden Fahrstreifen auf die Überholfahrstreifen wechseln. Wenn es daher auf einer Autobahn bei einem Ausscheren von dem rechten auf den linken Fahrstreifen zu einem Zusammenstoß mit dem auf dem linken Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug kommt, so läßt das regelmäßig auf ein Aufmerksamkeitsverschulden des ausscherenden Fahrstreifenwechslers schließen, insbesondere darauf, daß dieser nicht mit der erforderlichen Sorgfalt die notwendige Rückschau genommen hat.

Den ihn belastenden Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert und erst recht nicht widerlegt. Vielmehr ist die schuldhafte Pflichtverletzung des Zeugen L bewiesen.

Das Landgericht ist aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme in nicht zu beanstandender Weise zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Zeuge L mit dem Omnibus des Klägers auf die linke Fahrbahn ausscherte, als der sich mit einer Geschwindigkeit von 130 bis 166 km/h mit seinem Pkw Audi nähernde Beklagte zu 2. nur noch etwa 20 bis 50 m hinter ihm war. Der Zeuge L hätte bei Beachtung der von §§ 5 Abs. 4 Satz 1, 7 Abs. 5 Satz 1 StVO geforderten Sorgfalt, den Pkw Audi des Beklagten erkennen und den beabsichtigten Fahrstreifenwechsel zurückstellen müssen. Es liegt auf der Hand, dass in der gegebenen Situation der durchgeführte Fahrstreifenwechsel den bevorrechtigten Beklagten zu 2. erheblich gefährdete. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (Bl. 9 f DA) kann insoweit verwiesen werden.

bb.

Darüber hinaus hat der Zeuge L die zulässige Höchstgeschwindigkeit für den Kraftomnibus des Klägers deutlich überschritten. Er ist ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen N in der angestrebten Überholphase mit einer bis auf etwa 96 km/h gesteigerten Geschwindigkeit gefahren. Die unter günstigsten Umständen zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug gemäß § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO jedoch lediglich 80 km/h. Eine Erlaubnis, bis zu 100 km/h schnell zu fahren, bestand nicht, da jedenfalls, wie aus den mit dem Gutachten K zu den Akten gereichten Lichtbildern (Bl. 52 GA) ersichtlich ist, an der Rückseite des Busses des Klägers keine mit dem Siegel der Zulassungsstelle versehene "100" - Plakette angebracht war (§ 18 Abs. 5 Nr. 3 c StVO).

b.

Der Kläger hat mit der Berufung das durch das Ausscheren bzw. den Fahrstreifenwechsel bedingte unfallursächliche Verschulden des Zeugen L auch nicht mehr in Abrede gestellt. Soweit er allerdings geltend macht, auch den Beklagten zu 2. treffe ein unfallursächliches Verschulden, so ist das nicht zutreffend.

Zwar kann ein Verschulden des Beklagten zu 2. nicht ausgeschlossen werden; auf der Grundlage des plausiblen Gutachtens des Sachverständigen N ist nämlich davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2. in einer hier nicht auszuschließenden Unfallkonstellation den Unfall hätte vermeiden können. Das Verschulden des Beklagten zu 2. ist jedoch nicht bewiesen.

Der Sachverständige N hat in seinem schriftlichen Gutachten schlüssig dargelegt, dass die Vermeidbarkeit des Unfalles für den Beklagten zu 2. von zum Teil ungeklärten Weg-Zeit-Überlegungen abhängt.

So hätte der Beklagte zu 2. den Unfall zwar vermeiden können, wenn er mehr als drei Sekunden vor dem vollständigen Überwechseln des Busses auf den linken Fahrstreifen das von dem Busfahrer eingeleitete Fahrmanöver hätte erkennen können und keine über 130 km/h liegende Annäherungsgeschwindigkeit vorlag. Von einer derartigen Reaktionsaufforderung kann hier jedoch nicht gesichert ausgegangen werden.

Zwar haben die Zeugen L und D übereinstimmend bekundet, dass der Bus zum Fahrstreifenwechsel das linke Blinklicht gesetzt habe. Es ist jedoch nicht zu klären, in welcher Annäherungsphase sich der Beklagte zu 2) zu diesem Zeitpunkt befand und mit welcher Geschwindigkeit er fuhr.

Eine weitere Aufklärung durch die von dem Kläger beantragte Anhörung des Sachverständigen N oder durch ein weiteres Sachverständigengutachten ist nicht erfolgversprechend. Der Sachverständige N hat sich mit den verschiedenen Weg-Zeit-Konstellationen erschöpfend befasst. Er hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sich insbesondere keine sachverständigen Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Beklagten zu 2., insbesondere zu einer über 130 bis 140 km/h hinausgehenden Geschwindigkeit des Audis treffen lassen.

Auch aus den Zeugenaussagen ist ein hinreichend sicherer Rückschluss insoweit nicht möglich. Der von dem Kläger angeführte Zeuge R ist nicht selbst Unfallzeuge gewesen. Die von ihm als Untergrenze geschätzte Geschwindigkeit des Beklagten zu 2. von 140 km/h beruht insoweit auf Rückschlüssen bzw. Vermutungen des Zeugen zu dem Unfallhergang. Gewichtiger ist demgegenüber schon die Aussage des Zeugen F der mit seinem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt hinter dem Beklagten zu 2. hergefahren ist, der aber bekundet hat, dass sowohl er als auch der Beklagte zu 2. mit einer Geschwindigkeit von 120 bis 140 km/h gefahren seien.

Im Ergebnis kann damit jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass für den Beklagten zu 2. der von dem Zeugen L mit dem Bus beabsichtigte Fahrstreifenwechsel erst zwei Sekunden vor der Annährung erkennbar war und er zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h gefahren ist; bei dieser Konstellation war der Unfall nach den plausiblen Feststellungen des Sachverständigen N für den Beklagten zu 2. aber nicht mehr vermeidbar.

Damit ist hinsichtlich der Haftung der Beklagten kein mitursächliches Verschulden des Beklagten zu 2. zu berücksichtigen, sondern lediglich die Betriebsgefahr des mit einer Geschwindigkeit von etwa 130 km/h auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw Audi.

c.

Wie das Landgericht zutreffend näher ausgeführt hat, tritt bei der Gesamtabwägung die bei den Beklagten lediglich anzusetzende Betriebsgefahr des Audi hinter das erhebliche unfallursächliche Verschulden des Zeugen L bei dem Fahrstreifenwechsel, welches die ohnehin erhöhte Betriebsgefahr seines mit einer Geschwindigkeit von bis zu etwa 96 km/h den Fahrstreifen wechselnden Omnibusses weiter gesteigert hat, vollständig zurück.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Der Streitwert für den Berufungsrechtzug wird auf 6.908,71 € festgesetzt; dem entspricht auch die Beschwer des Klägers.

Ende der Entscheidung

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