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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.01.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 930/99
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 12 Abs. 1
BRAGO § 83
BRAGO § 84
BRAGO §§ 12 Abs. 1, 83, 84

1. Zu den nach § 12 Abs. 1 BRAGO maßgeblichen Kriterien für die Bemessung der Verteidigergebühr im Einzelfall bei Rahmengebühren.

2. Bei der Bemessung der Gebühren für die Tätigkeit des Verteidigers in Fortsetzungsterminen ist die Terminsdauer ein geeigneter Gradmesser für den Umfang der Verteidigertätigkeit an den einzelnen Hauptverhandlungstagen.

OLG düsseldorf, 1. Strafsenat, Beschluß vom 11.01.2000 - 1 Ws 930/99


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

BESCHLUSS

1 Ws 930/99 412 Js 758/95 StA Düsseldorf

In der Strafsache

gegen

aus Düsseldorf, geboren am 1. August 1971 in Skopje/Mazedonien,

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schröter und die Richter am Oberlandesgericht Heidemann und Stüttgen am 11. Januar 2000 auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluß des Rechtspflegers des Landgerichts Düsseldorf vom 24. September 1999 nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Düsseldorf beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß über den zuerkannten Betrag hinaus weitere DM 2.214,68 als erstattungsfähige notwendige Auslagen des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse festgesetzt werden.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der frühere Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, jedoch werden die Gebühr auf 2/3 ermäßigt und 1/3 der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Düsseldorf hat den früheren Angeklagten am 15. August 1996 nach der 25 Tage dauernden Hauptverhandlung von dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen auf Kosten der Staatskasse freigesprochen und dieser auch seine notwendigen Auslagen auferlegt.

Der frühere Angeklagte ist in dem Verfahren von Rechtsanwältin B. in Köln (jetzt Düsseldorf) verteidigt worden, die ihm als Pflichtverteidigerin beigeordnet war, nachdem zuvor Rechtsanwalt W zum Pflichtverteidiger bestellt worden war.

1.

Der frühere Angeklagte hat beantragt, die ihm aus der Staatskasse zu erstattenden, in den von seiner Verteidigerin nach § 100 Abs. 1 Satz 1 BRAGO geltend gemachten Wahlverteidigergebühren bestehenden notwendigen Auslagen wie folgt festzusetzen:

- Gebühr für die Vertretung im Vorverfahren gemäß §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 84 BRAGO|DM 862,50|- Gebühr für den 1. Hauptverhandlungstag gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO|DM 1.9oo,--|- Gebühr .für weitere 24 Hauptverhandlungstage gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO à DM 760,--|DM 18.240,--|- Fahrtkosten Köln-Düsseldorf-Köln gem. § 28 BRAGO an 20 Hauptverhandlungstagen|DM 1.019,20|- Postgebühr gem. § 26 BRAGO|DM 30,--|- Tage-/Abwesenheitsgelder gem. § 28 Abs. 3 BRAGO|DM 710,--|Fotokopiekosten gem. § 27 BRAGO (106 Seiten)|DM 66,80| |DM 22.828,50|- zuzüglich 15 % MWst.|DM 3.424,28| |DM 26.252,78

2.

Durch den angefochtenen Beschluß hat der Rechtspfleger die dem früheren Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen wie folgt festgesetzt:

- Gebühr für das Vorverfahren| DM 650,-- |Gebühr für den 1. Hauptverhandlungstag| DM 1.900,-- |Gebühren für 19 weitere Hauptverhandlungstage, gestaffelt nach der Verhandlungsdauer von DM 180,-- bis DM 600,-- pro Tag,-(für fünf Hautverhandlungstage hat der Rechtspfleger die Festsetzung von Gebühren abgelehnt, da an diesen Tagen die Verteidigerin nicht anwesend und dem früheren Angeklagten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet war, der seine Pflichtverteidigergebühren liquidiert hat)| DM 5.940|- Auslagenpauschale|DM 30,--| Kopiekosten| DM 66,80| - 16 % Mehrwertsteuer| DM 1.373,88| |DM 9.960,69|abzüglich an den zunächst bestellten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt gezahlter| DM 379,50| Festgesetzter Betrag| DM 9.581,19

3.

Hiergegen richtet sich die "Erinnerung" des früheren Angeklagten, mit der er sich gegen die Herabsetzung der beantragten Vorverfahrensgebühr und der Gebühren für die weiteren Hauptverhandlungstermine sowie die Absetzung der geltend gemachten Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder wendet. Seinen Antrag auf Festsetzung von Gebühren für fünf Hauptverhandlungstermine, an denen seine Verteidigerin nicht teilgenommen hat und für die Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt worden war, hat der frühere Angeklagte zurückgenommen.

II.

Die in der "Erinnerung" des früheren Angeklagten liegende, nach §§ 11 Abs. 1 RPflG, 464b Satz,3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde ist nur teilweise begründet.

Über den bereits festgesetzten Betrag hinaus sind dem früheren Angeklagten lediglich weitere DM 2.214,68 aus der Staatskasse zu erstatten.

Im übrigen erweist sich die sofortige Beschwerde als unbegründet.

1.

Soweit der Rechtspfleger als Vorverfahrensgebühr gemäß §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO DM 650,-- festgesetzt hat und der frühere Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde die Festsetzung der Gebühr nebst 25% Zuschlag gemäß § 83 Abs. 3 BRAGO in Höhe von 862,50 DM weiterverfolgt, ist das Rechtsmittel nicht begründet.

a) Die Rahmengebühren nach §§ 83, 84 BRAGO sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggegebers von dem Rechtsanwalt nach billigem Ermessen zu bestimmen. Wenn - wie hier - die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Der Senat geht in Übereinstimmung mit einem großen Teil der Rechtsprechung davon aus, daß die Bestimmung des Verteidigers nicht unbillig und deshalb zu tolerieren ist, wenn die vom Gericht als angemessen erachteten Gebühren nicht um mehr als 20 % überschritten werden (s. Senatsbeschlüsse vom 10. Juli 1996 - 1 Ws 524/96 -; 3. April 1998 - 1 Ws 148/98 - und 29. Juli 1999 - 1 Ws 629/99-; OLG Köln JB 1994, 31).

b) Die von der Verteidigerin vorgenommene Bestimmung der Vorverfahrensgebühr ist nicht hinzunehmen, da sie diese nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalles auf der Grundlage der Bemessungskriterien des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO nach billigem Ermessen getroffen hat, sondern die als angemessen anzusehenden Gebühren um mehr als 20 % überschritten worden sind. Damit ist die Bestimmung unbillig und unwirksam. Die Gebühr war vielmehr von dem Rechtspfleger unter Abwägung der Kriterien des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO festzusetzen.

aa) Zutreffend hat der Rechtspfleger die Festsetzung der Gebühr damit begründet, die Verteidigerin sei nur kurze Zeit im Vorverfahren tätig gewesen. Die Verteidigerin hat sich mit Schreiben vom 16. Oktober 1995 für den früheren Angeklagten bestellt, die Anklageschrift stammt vom 25. Oktober 1995. Am 3. November 1995 ist der Verteidigerin Akteneinsicht gewährt worden.

Wenn die Verteidigerin ausführt, sie habe am 13. Oktober 1995 in der Justizvollzugsanstalt ein ausführliches Gespräch mit dem früheren Angeklagten geführt, noch vor Anklageerhebung die sachbearbeitende Staatsanwältin aufgesucht und versucht, diese zu einem Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zu veranlassen und schließlich nach Rücksprache mit dem früheren Angeklagten einen Haftprüfungsantrag gestellt, so rechtfertigt das keine Erhöhung der Vorverfahrensgebühr. Bei ihrem Anbahnungsgespräch mit dem früheren Angeklagten am 13. Oktober 1995 hatte die Verteidigerin noch keine Akteneinsicht, so daß sie mit dem Verfahrensstand nicht vertraut war, ein Gespräch mit der sachbearbeitenden Staatsanwältin mit dem Ziel der Aufhebung des Haftbefehls bedeutete keinen besonderen Arbeits- und Zeitaufwand und der Haftprüfungsantrag wurde erst am 11. Dezember 1995 gestellt.

bb) Auch die Bemessungskriterien des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO begründen eine höhere Festsetzung der Gebühr nicht. Die Angelegenheit hatte, da dem früheren Angeklagten sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger nach § 179 Abs. 1 und Abs. 2 StGB (a. F.) in zwei Fällen zur Last gelegt wurde, der mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht war, im Vergleich zu den gewöhnlich vor großen Strafkammern verhandelten Sachen leicht überdurchschnittliche Bedeutung. Die Sache bot keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten, sondern allein entscheidend war, da weitere Tatzeugen nicht vorhanden waren, die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der geschädigten Zeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Durch Widersprüche in diesen Aussagen begründete Zweifel der Strafkammer an der Richtigkeit der Angaben der Zeugin haben zum Freispruch des früheren Angeklagten geführt. Die Dauer der Hauptverhandlung war nicht Ausfluß besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Sache, sondern beruhte insbesondere auf Schwierigkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Zeugen und Sachverständigen.

Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des früheren Angeklagten waren, da er zur Tatzeit als Arbeiter ein Monatseinkommen von 2.400,-- DM hatte, unterdurchschnittlich.

Insgesamt ist die Sache demnach als durchschnittlich zu beurteilen.

2.

Soweit der frühere Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde nunmehr noch die Festsetzung von, je DM 440,-- für 9 weitere Verhandlungstage (für die in dem angefochtenen Beschluß je DM 180,-festgesetzt worden sind) und für die weiteren 10 Fortsetzungstermine je DM 760,-- geltend macht, ist das Rechtsmittel nicht begründet.

a)

Nach § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO beträgt die Gebühr für Fortsetzungstermine vor der großen Strafkammer DM 120,-- bis DM 760,--.

Die von dem Rechtspfleger für die Fortsetzungstermine festgesetzten Gebühren von

- DM 180,-- bei einer Verhandlungsdauer bis zu einer Stunde,

- DM 360,-- bei einer Verhandlungsdauer bis zu zwei Stunden,

- DM 440,-- bei einer Verhandlungsdauer bis zu vier Stunden und

- DM 600,-- bei einer Verhandlungsdauer bis zu fünf Stunden

entsprechen sowohl den dargelegten Kriterien des § 12 Abs. 1 BRAGO als auch der Dauer der Termine. Die Terminsdauer ist ein geeigneter objektiver Gradmesser für den Umfang der Tätigkeit des Verteidigers an den einzelnen Hauptverhandlungstagen (vgl. Senatsbeschluß vom 12. März 1998 - 1 Ws 33/98 -, abgedruckt in StV 1998, 613, AnwBl. 1998, 538 und NStZ - RR 1998, 288). Die in dem angefochtenen Beschluß vorgenommenen Abstufungen tragen den unterschiedlichen Arbeitsbelastungen angemessen Rechnung. Demgegenüber kommt es - was die Verteidigerin geltend macht - auf die Kanzleiabwesenheit des Verteidigers unter Berücksichtigung der Fahrzeiten zum Terminsort nicht an, denn sie bestimmen nicht den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit i.S.d. § 12 Abs. 1 BRAGO.

b) Die Meinung der Verteidigerin, zumindest seien die Gebühren für die Fortsetzungstermine auf DM 380,-- festzusetzen, die sie nach § 97 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO erhalten hätte, geht fehl. Die Gebühren für den gewählten Verteidiger nach §§ 83 ff. BRAGO und für den gerichtlich bestellten Verteidiger nach § 97 BRAGO sind unabhängig voneinander zu berechnen. Werden die Gebühren eines gewählten Verteidigers geltend gemacht, so sind sie nach §§ 83 ff. BRAGO zu berechnen, auch wenn sich für einzelne Gebühren bei der Berechnung nach § 97 BRAGO ausnahmsweise ein höherer Betrag ergeben sollte.

3.

a)

Die im Kostenfestsetzungantrag geltend gemachten Tage- und Abwesenheitsgelder der Verteidigerin gemäß § 28 BRAGO in Höhe von insgesamt DM 710,--sind dem früheren Angeklagten zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer zu erstatten. Sie sind notwendige Auslagen gemäß § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V. mit § 91 Abs. 2 StPO. Das folgt schon daraus, daß die dem früheren Angeklagten beigeordnete, damals außerhalb des Gerichtsortes ansässige Rechtsanwältin gegen diesen einen Anspruch gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 BRAGO auf Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers hat und dieser Anspruch auch die Gebühren nach § 28 BRAGO umfaßt. Dieser Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers entsteht allein aufgrund der öffentlich-rechtlichen Pflichtverteidigerbestellung (vgl.Hartmann, KostG, 28. Aufl. 1998, § 100 BRAGO, Rn. 6). Der sich hieraus ergebende Anspruch gegen den früheren Angeklagten gehört somit ohne weiteres zu dessen notwendigen Auslagen. Die Frage, ob die Inanspruchnahme eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war, ist deshalb ohne Belang.

b)

Wie die Tage- und Abwesenheitsgelder nach § 28 Abs. 2 BRAGO sind auch die Reisekosten für 20 Sitzungstage nach § 28 Abs. 1 BRAGO festzusetzen.

III.

Danach sind die folgenden weiteren notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse festzusetzen:

- Tage- und Abwesenheitsgeld für 20 Tage gemäß § 28 Abs. 2 BRAGO (der Festsetzungsantrag enthält insoweit einen Additionsfehler)|DM 890,-|- Reisekosten für 20 Hauptverhandlungstage gemäß § 28 Abs. 1 BRAGO|DM 1.019.20| |DM 1.909,20|- 16 % Mehrwertsteuer|DM 305.48| | DM 2.214,68

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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