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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 10.06.2003
Aktenzeichen: 16 Wx 130/03
Rechtsgebiete: FEVG, FGG, ZPO, AuslG


Vorschriften:

FEVG § 3
FEVG § 5 Abs. 3 Satz 2
FEVG § 7
FGG § 12
FGG § 27
FGG § 27 Abs. 1
FGG § 29
ZPO § 546
AuslG § 5 Abs. 3 Satz 2
AuslG § 57 Abs. 2
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5
AuslG § 103 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 130/03

In der Freiheitsentziehungssache

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Appel-Hamm und Sturhahn

am 10.06.2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 15.05.2003 - 6 T 164/03 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Verfahrens der Rechtsbeschwerde - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die nach den §§ 3, 7 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen hat in der Sache vorläufig Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern im Sinne der §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

Bei richtiger rechtlicher Wertung sind weitere tatsächliche Ermittlungen erforderlich, an deren Durchführung der Senat gehindert ist.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen reichen für die Annahme eines Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 AuslG nicht aus. Die Verletzung von Mitwirkungspflichten stellt keinen Verhinderungstatbestand im Sinne von § 57 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 4 AuslG dar. In Betracht kommt allein der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG. Ein begründeter Verdacht, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen werde, liegt nur dann vor, wenn sich aus Erklärungen oder dem Verhalten des Betroffenen der konkrete Verdacht ergibt, er werde seine Abschiebung in einer Weise behindern, die nicht durch einfachen Zwang überwunden, dh dass die Abschiebung nicht ohne Festnahme durchgeführt werden kann. Die bloße Ausreiseverweigerung oder das Unterlassen gebotener Mitwirkungshandlungen allein reichen hierfür nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf InfAuslR 1997, 407; OLG Köln NVwZ-Beil 8/1995, 63; siehe auch Erlass des Innenministeriums des Landes NRW vom 08.05.2001 I B 1/VI. 4. 1.1 Ziffer 1.2). Soweit der Ausländer zur Mitwirkung bei der Passersatzpapierbeschaffung verpflichtet ist, hat die Ausländerbehörde die Möglichkeit, diese Pflicht mit Mitteln des allgemeinen Verwaltungszwanges durchzusetzen (§ 70 Abs. 4 Satz 2 AuslG), wozu unter Umständen auch die Zwangshaft als Beugehaft gehören kann. Die Haft gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 AuslG ist demgegenüber vom Gesetzgeber nicht als Beuge- sondern nur als Sicherungshaft ausgestattet. Dass die Verhaftung die Abschiebung durch die Ausländerbehörde erleichtert, vermag angesichts der Schwere des Eingriffs in verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsgüter des Ausländers die Erforderlichkeit der Haft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu begründen. Es müssen sich deshalb aus der Weigerung zur Mitwirkung konkrete Verdachtsmomente ergeben, dass sich der Betroffene aktiv der Abschiebung entziehen wird. Anhaltspunkte hierfür könnten - wie das Landgericht angenommen hat - darin zu sehen sein, dass der Betroffene an zwei ihm angekündigten Terminen zur Vorsprache beim türkischen Generalkonsulat für die Ausländerbehörde nicht erreichbar war. Zu berücksichtigen ist insoweit jedoch, dass die Ehefrau des Betroffenen einen Tag vor dem Termin vom 23.07.2002 stationär in die Rheinischen Landeskliniken E2 eingewiesen worden war und ihre Erkrankung auch vor dem zweiten Vorsprachetermin vom 24.03.2003 Gegenstand einer Korrespondenz zwischen dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen und der Ausländerbehörde gewesen ist. Das Landgericht hätte insbesondere im Hinblick auf diese Umstände den Sachverhalt weiter aufklären und den Betroffenen persönlich zu den Gründen anhören müssen, warum er an den ihm angekündigten Terminen zur Vorsprache beim türkischen Generalkonsulat für die Ausländerbehörde nicht auffindbar war. Dabei sind auch Art und Intensität der familiären Bindungen des Betroffenen für die Frage, ob er sich der Abschiebung entziehen will, von Bedeutung. Die Anhörung des Betroffenen ist grundsätzlich auch in der Beschwerdeinstanz geboten. Das gesetzliche Gebot der Anhörung des Betroffenen selbst - wie auch die seines Ehegatten nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FEVG - erschöpft sich nicht in der bloßen Garantie rechtlichen Gehörs, sondern soll darüber hinaus im Sinne der Gewährleistung eines Mindeststandards der nach § 12 FGG gebotenen Sachaufklärung sicherstellen, dass über die Freiheitsentziehung nicht ohne einen persönlichen Eindruck von dem hierdurch unmittelbar Betroffenen entschieden wird. Die Anhörung darf deshalb ausnahmsweise nur dann unterbleiben, wenn mit Sicherheit auszuschließen ist, dass die erneute Anhörung neue Erkenntnisse bringt. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der in zweiter Instanz anwaltlich vertretene Betroffene vor dem Beschwerdegericht Angaben zu den Gründen seines Verhaltens am 23.07.2002 und 23.04.2003 verweigern würde. Ob er von der Amtsrichterin hierzu befragt worden ist, kann dem Anhörungsprotokoll vom 07.05.2003 nicht entnommen werden. Er hat seinerzeit jedenfalls keine weiteren Angaben gemacht, weil sein Verfahrensbevollmächtigter bei der Anhörung nicht zugegen war. Ob diesem die Möglichkeit eingeräumt worden war, an der Anhörung teilzunehmen, kann dem Akteninhalt nicht entnommen werden. Dass schriftsätzlich von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen keine Entschuldigungsgründe vorgetragen worden sind, vermag das Landgericht von seiner Anhörungs- und Amtsermittlungspflicht nach § 12 FGG nicht zu befreien. Es muss - wie auch das Amtsgericht - eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung in der Form der Abschiebungshaft rechtfertigen.

Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AuslG ist grundsätzlich auch der Ehepartner des Betroffenen anzuhören. Ob diese Anhörung vorliegend unterbleiben kann, weil Nachteile für die Gesundheit der Ehefrau des Betroffenen zu befürchten sind, ist durch Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu klären.

Weiterer Aufklärung bedarf auch die Frage, ob zur Sicherung der Abschiebung die beantragte Haftdauer von drei Monaten erforderlich ist, oder ob die Abschiebung in einem Fall wie dem vorliegenden nicht auch dadurch sichergestellt werden kann, dass die Mitwirkungspflicht des Ausländers bei der Passersatzbeschaffung mit Mitteln des allgemeinen Verwaltungszwanges (§ 70 Abs. 4 AuslG) durchgesetzt wird und nach Vorliegen der Passersatzpapiere eine zweiwöchige Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG beantragt und angeordnet wird. Zur Notwendigkeit der beantragten Haftdauer wird die Ausländerbehörde deshalb ergänzend vorzutragen haben.

Ob der Abschiebung des Betroffenen Artikel 6 GG entgegensteht, falls seine Ehefrau infolge ihrer Erkrankung auf unabsehbare Zeit an der Ausreise gehindert sein sollte, hat nicht der Senat zu entscheiden. Diese Frage fällt allein in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte, denen allein die Kontrolle der verfassungskonformen Handhabung des Ausländerrechts obliegt. Für den Fall aber, dass der Betroffene - wie sein Verfahrensbevollmächtigter angekündigt hat - vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen sollte, muss durch eine entsprechende zeitliche Gestaltung des Abschiebehaftverfahrens gewährleistet sein, dass den Rechten des Betroffenen Geltung verschafft werden kann (vgl. BGHZ 78, 145 ff., 151).

Die Sache ist deshalb unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur entsprechenden weiteren Sachaufklärung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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