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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 4 UF 40/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 323 Abs. 1
ZPO § 323 Abs. 2
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.02.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl - 32 F 127/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Familiengericht nämlich in dem angegriffenen Urteil festgestellt, dass der Beklagten kein höherer Kindesunterhaltsanspruch gegen die Klägerin ab Februar 2005 als der vom Familiengericht ausgeurteilte Unterhaltsanspruch von 73,31 € monatlich zusteht.

Dem entsprechend konnte die Klägerin eine Abänderung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Brühl vom 06.09.2004 - 32 F 215/04 -, durch welches sie verurteilt worden ist, ihrer damals noch minderjährigen Tochter, der Beklagten des hiesigen Verfahrens, Barunterhalt in Höhe von 284,00 € beginnend ab Januar 2004 zu zahlen, verlangen.

Die Voraussetzungen für eine Abänderungsklage nach § 323 Abs. 1 ZPO liegen vor. Seit der Verurteilung im Jahre 2004 haben sich nämlich die Umstände, die zu einer Verurteilung der Beklagten geführt haben, so entscheidend geändert, dass eine Abänderung des Versäumnisurteils begehrt werden kann. Eine Änderung ist schon alleine deswegen eingetreten, weil sich die Steuerklasse der Klägerin , nachdem die Beklagte in den Haushalt des Vaters gezogen war, ab Januar 2005 geändert hat. Darüber hinaus haben sich die Höhe der Selbstbehalte zum 01.07.2005 gemäß den Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Köln geändert. Und schließlich ist die Beklagte am 07.11.2006 volljährig geworden.

Im Rahmen der Abänderungsklage konnte nunmehr auch berücksichtigt werden, dass der Vater der Beklagten über ein wesentlich höheres Nettoeinkommen als die Klägerin verfügt und daher trotz seiner Betreuungsleistungen gegenüber seiner Tochter, der Beklagten, barunterhaltspflichtig auch für die Zeit ihrer Minderjährigkeit ist.

Die Klägerin ist mit ihrem Vorbringen nicht nach § 323 Abs. 2 ZPO präkludiert. Zwar bestand das erhebliche Einkommensgefälle zwischen den beiderseitigen Einkommen der Eltern der Beklagten schon im Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils. Gleichwohl ist die Klägerin nicht gehindert, diesen Umstand im Abänderungsprozess geltend zu machen. Zwar kann grundsätzlich die Abänderungsklage auf Gründe, die vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess bereits vorhanden waren, auch dann nicht gestützt werden, wenn sie dort nicht vorgetragen worden und deshalb noch nicht Gegenstand der gerichtlichen Beurteilung gewesen sind. Das gilt aber nicht uneingeschränkt. So können fortdauernde Gründe für die Zukunft neu vorgebracht werden, wenn denn daneben sonstige wesentliche Veränderungen eingetreten sind.

So liegt der Fall hier. Denn das erhebliche Einkommensgefälle zwischen den beiden Elternteilen fand mit der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses nicht sein Ende; vielmehr dauert und wirkt es weiter fort ( vgl. hierzu u.a. BGH FamRZ 1990, 1095).

Bestand bzw. besteht aber weiterhin das - nunmehr aufgrund der sonstigen Umstände noch gesteigerte - erhebliche Ungleichgewicht zwischen den Einkommensverhältnissen der beiden Elternteile, erscheint es gerechtfertigt, den Vater der Beklagten als betreuenden Elternteil zu Braunterhaltsleistungen heranzuziehen.

Nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB haften die Eltern für den Unterhalt eines Kindes nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB ergibt sich, dass im Falle des Getrenntlebens der Eltern der Elternteil, bei dem das Kind lebt, seinen Teil der Unterhaltspflicht grundsätzlich durch die Betreuung des Kindes in vollem Umfang erfüllt, während der andere Elternteil den Barunterhalt allein zu tragen hat. Dieser Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Er gilt z. B. nicht für Zusatzbedarf. Auch für den normalen Unterhaltsbedarf gilt er nicht, wenn die Vermögens- oder Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. In einem solchen Falle kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils sich ermäßigen oder ganz entfallen, insbesondere dann, wenn der nicht betreuende Elternteil zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung des eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre, während der andere Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leisten könnte, ohne dass dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde. Die Heranziehung des nichtbetreuenden Elternteils zum Barunterhalt darf nicht zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen (so u. a. BGH FamRZ 1998, 286 ff. m. w. N.; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rdn. 899 m. w. N.). Entscheidend ist, dass der für seinen eigenen angemessenen Unterhalt verbleibende Betrag denjenigen des an sich barunterhaltspflichtigen, nicht betreuenden Elternteils so deutlich übersteigt, dass eine Abweichung von der Regel des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB geboten ist.

Hiervon kann vorliegend ausgegangen werden. Der Vater der Beklagten verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.836,00 €. Der Senat geht von diesem Einkommen aus, auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr eine Entgeltabrechnung des Arbeitgebers des Vaters der Beklagten für Mai 2007 zu den Akten gereicht hat (vgl. Bl. 99 GA), aus der sich für Mai 2007 ein Nettogehalt von 2.606,74 € ergibt. Diese Entgeltabrechnung gibt lediglich eine Momentaufnahme für den Monat Mai wieder und lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf das Jahreseinkommen zu. So kann nicht festgestellt werden, welche Einmalbezüge der Vater der Beklagten im Jahr erhält. Auch kann nicht festgestellt werden, wie sich die jeweiligen Zulagen, die der Vater der Beklagten monatlich bezieht, im Jahresdurchschnitt darstellen. Dagegen steht das bisher eingeräumte Nettoeinkommen von rund 2.836,00 €. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bisher fälschlicherweise ein zu hohes Einkommen ihres Vaters zugestanden hat.

Demgegenüber verfügt die Klägerin nur über ein Jahresbruttoeinkommen von 16.730,24 € entsprechend der von ihr überreichten Entgeltabrechnung für Dezember 2006. Nach Abzug von Steuern (Lohnsteuerklasse 1/0,5) verbleibt ihr unter Berücksichtigung von Kirchensteuer, Sozialabgaben, des Arbeitgeberanteils von 13,00 € für vermögenswirksame Leistungen sowie eines Beitrags für eine Zusatzversicherung von 20,00 € noch ein Nettoeinkommen von rund 1.000,00 €. Dieser Betrag liegt für die Zeit bis zum 30.06.2005 gerade noch im Bereich des angemessenen Selbstbehaltes und danach um 100,00 € darunter. Dagegen verbleiben dem Vater der Beklagten über dem angemessenen Selbstbehalt noch 1.836,00 € bzw. 1.736,00 €. Damit kann für den Senat nicht zweifelhaft sein, dass auf Seiten des Vaters der Beklagten der für seinen angemessenen Unterhalt verbleibende Betrag denjenigen, den die Klägerin zur Verfügung hat, so deutlich übersteigt, dass eine Abweichung von der Regel des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB geboten erscheint.

Vorliegend verbliebe der Klägerin auch unter Berücksichtigung des bloßen Mindestselbstbehaltes (890,-- € ab 1.7.2005), lediglich ein überschießender Betrag von rund 110,00 € und von rund 160,00 € für die Zeit davor. Dagegen verfügt der Vater der Beklagten sogar über ein den angemessenen Selbstbehaltes zur Zeit über ein diesen übersteigendes Einkommen von rund 1.800,00 €. Bei wertender Betrachtungsweise liegt daher ein so erhebliches Ungleichgewicht zwischen den beiden Einkommensverhältnissen vor, dass aus Billigkeitsgründen eine alleinige Barunterhaltspflicht des Vaters der Beklagten zu bejahen ist.

Soweit die Klägerin das erstinstanzliche Urteil mit 73,31 € akzeptiert hat, ist eine evt. anteilsmäßige Unterhaltsschuld jedenfalls angemessen berücksichtigt. Das gilt sowohl für die Zeit vor wie auch nach der Volljährigkeit der Beklagten.

Die Klägerin ist auch nicht gehalten, durch die Aufnahme einer Nebentätigkeit ihr Einkommen zu verbessern, um sich leistungsfähiger zu machen. Der Senat folgt insoweit der zitierten Rechtsprechung des BGH., dass im Falle eines erheblichen finanziellen Ungleichgewichtes zwischen den Eltern, welches zur Barunterhaltspflicht des betreuenden Elternteils führt, eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit des an sich barunterhaltspflichtigen nichtbetreuenden Elternteils entfällt. Die Klägerin ist zum Einen vollschichtig tätig und zum Anderen durch ihre zwei unstreitig erlittenen Schlaganfälle krankheitsbedingt so beeinträchtigt, dass ihr jedenfalls die Ausübung einer Nebentätigkeit nicht zumutbar ist.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorwurf der Beklagten, dass die Klägerin ihre Krankheit durch früheren Alkoholmissbrauch selbst verursacht habe. Die Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, die nicht ohne Weiteres dazu führt, dass aus unterhaltsrechtlicher Sicht die durch den Alkoholismus verursachte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit als schuldhafter Verstoß gegen eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit angesehen werden kann. Erst dann, wenn der Unterhaltsschuldner eine Behandlung der Krankheit ablehnt oder rückfällig wird, kommt eine vorwerfbare Obliegenheitsverletzung in Betracht. Dass solches der Klägerin - unterstellt ein früherer Alkoholmissbrauch liegt vor - unterstellt werden kann, ist nicht einmal ansatzweise dargetan.

Bei der Billigkeitsentscheidung war im Rahmen der Beurteilung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern der Beklagten zudem die hohe Miete, die die Klägerin zahlen muss, zu berücksichtigen. Die Klägerin ist als "Hausdame" in einem Seniorenheim tätig. Sie ist aus "Präsensgründen" gehalten, die zur Verfügung gestellte Dienstwohnung zu beziehen. Daher kann sie auch nicht darauf verwiesen werden, sich eine billigere Wohnung zu suchen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 15 x (284,00 € - 73,31 €) = 3.160,35 €.

Ende der Entscheidung

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