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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 5 U 244/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97
ZPO § 515 Abs.3 a.F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 24.10.2001 (1 O 7/98) wird, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, zurückgewiesen. Soweit sie zurückgenommen wurde, wird der Kläger des Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Ansprüche des Klägers in vollem Umfang zu Recht für unbegründet gehalten. Auch in dem geringen Umfang, in dem die Berufung letztlich noch durchgeführt wurde, nämlich hinsichtlich des Vorwurfs, dem Kläger seien ohne seine Einwilligung in gemörserter Form gesundheitsbeeinträchtigende Psychopharmaka in der Zeit von Mai 1995 bis Juni 1996 verabreicht worden, bleibt die Klage erfolglos.

Wie der Senat bereits im Prozesskostenhilfebeschluss vom 10.4.2002 ausgeführt hat, hat ein Patient in jeder Phase der Behandlung das Recht auf freie Selbstbestimmung. Auch einer als Langzeittherapie angelegten medikamentösen Behandlung kann ein Patient jederzeit widersprechen und eine zuvor wirksam erklärte Einwilligung (von der der Senat entsprechend den Ausführungen im Beschluss vom 10.4.2002 hier ausgeht, vgl. dort S. 3-5) widerrufen. Gegen den Willen des Patienten ist eine Fortsetzung der Behandlung nicht zulässig. Keinesfalls - auch nicht zum mutmaßlich gesundheitlich Besten des Patienten - darf dann eine Behandlung heimlich in der Weise fortgesetzt werden, dass dem Patienten die Medikamente in zerK.erter Form unter das Essen oder in die Getränke gemischt werden.

Von einer derartigen Situation, die nach dem erstinstanzlichen Parteivortrag als denkbar, wenn nicht sogar naheliegend erschien, kann nach dem wesentlich eingehenderen Vortrag der Beklagten in zweiter Instanz hierzu, den vorgelegten Dokumentationen und vor allem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hier allerdings nicht ausgegangen werden. Vielmehr ging der Verabreichung der Medikamente in zerK.erter Form ein eingehendes Gespräch zwischen dem Kläger und dem verantwortlichen Oberarzt Dr. H. voraus, in dessen Rahmen der Kläger sich letztlich auch mit dieser Form der Behandlung einverstanden erklärte. Dies ergibt sich vor allem aus der Aussage des Zeugen Dr. H.. Er bekundete, sich an ein Gespräch mit dem Kläger in seinem Arbeitszimmer zu erinnern. Anlass des Gespräches sei eine gesundheitliche Verschlechterung des Klägers gewesen, der sich in jener Zeit unruhiger, antriebsgesteigerter und aggressiver gezeigt habe, was einerseits die Vermutung nahegelegt habe, dass der Kläger die ihm verabreichten Medikamente nicht regelmäßig eingenommen habe, andererseits zu der - aus früheren entsprechenden Erfahrungen resultierenden - Befürchtung geführt habe, er könne in diesem Zustand die Klinik verlassen, unkontrolliert Alkohol zu sich nehmen und sich eventuell selbst gefährden. Gegenstand des Gespräches sei aber insbesondere die Einnahme der Medikamente gewesen. Auch wenn er sich wegen des Zeitablaufs nicht mehr an Einzelheiten erinnern könne, gehe er sicher davon aus, dass gerade die Einnahme in zerK.erter Form zur Sprache gekommen sei, weil es Übung der Klinik sei, Patienten, die Zweifel an der Verlässlichkeit ihrer Medikamenteneinnahme begründeten, diese Darreichungsform vorzuschlagen. Dabei würden die Medikamente keineswegs unter die Speisen oder Getränke gemischt, sondern offen auf einem Löffel oder in einem K.en Becher gereicht und in Gegenwart und unter Kontrolle des Pflegepersonals eingenommen. Der Zeuge bekundete weiter, er erinnere sich konkret daran, dass es über die Vorschläge zur Medikamenteneinnahme Einvernehmen gegeben habe, dass der Kläger ihnen ausdrücklich zugestimmt habe, und dass der Kläger im Laufe des Gesprächs nicht nur wesentlich ruhiger geworden sei, sondern sich zuletzt in regelrecht euphorischer Stimmung befunden und zum Ausdruck gebracht habe, er wolle das bisher Erreichte keinesfalls aufs Spiel setzen. Wenn der Kläger sich ablehnend verhalten hätte, hätte er mit Gewissheit weitere Gespräche zunächst mit dem Kläger, sodann mit der Betreuerin gesucht und unter Umständen sich eventuell an das Gericht gewandt. Jedenfalls wäre die Medikamentation in einem solchen Fall vorerst ausgesetzt worden. Insgesamt ergibt sich aus dieser Aussage eindeutig eine Einwilligung des Klägers in die Fortsetzung der seit zwei Jahren durchgeführten Behandlung mit v.a. dem Medikament "Leponex".

Der Senat hält diese Aussage des Zeugen Dr. H. auch für glaubhaft und folgt ihr. Der Zeuge steht zwar zweifellos im Lager der Beklagten und es geht auch nicht zuletzt um die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Behandlungsmethoden, aber das Aussageverhalten des Zeugen ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass solche Erwägungen seine Aussage irgendwie zugunsten der Beklagten beeinflusst hätten. Der Zeuge schilderte das Geschehen sehr anschaulich und mit einer Vielzahl nicht zwingend zum Kern der Beweisfrage gehörender Details. Er gab sehr genau an, in welchem Maße er konkrete Erinnerungen hatte, wo Erinnerungslücken bestanden und in welchem Maße er den Ablauf durch Heranziehung ständiger Übungen rekonstruierte. Wesentlicher noch ist aber, dass die Aussage in den maßgeblichen Teilen in Einklang steht mit dem Inhalt der Dokumentation des Zeugen W. sowie dessen Zeugenaussage. Dessen Aussage war zwar im Hinblick auf das Beweisthema deutlich weniger ergiebig als diejenige des Zeugen Dr. H., was zwangsläufig damit zusammenhängt, dass er allenfalls mittelbar etwas zu dem maßgeblichen Gespräch, an dem er nicht beteiligt war, sagen konnte. Immerhin bestätigte diese Aussage die übliche - nicht heimliche - Praxis der Klinik hinsichtlich der Verabreichung gemörserter Medikamente und die Richtigkeit und Aktualität seiner Eintragung in die Krankenblätter des Klägers. Die ausführliche Eintragung enthält neben anderen Details vor allem die Bestätigung, dass es ein Gespräch mit Dr. H. gegeben habe, das den Kläger offenbar sehr erleichtert habe, und dass er die Krankschreibung, die Ausgangsbeschränkung und das Mörsern der Medikamente "augenscheinlich akzeptiert" habe. Die vom Kläger geäußerten Bedenken, dass diese Eintragung später und gar mit Zielrichtung auf diesen Rechtsstreit erfolgt sei, teilt der Senat in keiner Weise. Weder Inhalt noch äußeres Erscheinungsbild der vorgelegten Unterlagen geben auch nur den geringsten Hinweis auf eine derartige Manipulation. Vielmehr stützen die Eintragungen eindeutig die Behauptung der Beklagten, dass der Kläger mit der Behandlung weiter einverstanden gewesen sei.

Weiterer Beweiserhebung bedurfte es nicht. Insbesondere bestand kein Anlass, die vom Kläger benannten Gegenzeugen zu hören. Die in deren Wissen gestellten Tatsachen können als wahr unterstellt werden. Sie sind indes nicht geeignet, die Einwilligung des Klägers in der Verabreichung der Medikamente in gemörserter Form zu widerlegen. Dies gilt namentlich für die Äußerungen der ehemaligen Betreuerin des Klägers, Frau K., im Rahmen ihres Schreibens vom 31.10.2002 an die Prozessbevollmächtigte des Klägers. Dass sich danach der Kläger noch im April 1995 massiv über die Medikamenteneinnahme beklagte und deshalb ein Gespräch mit Dr. H. suchen wollte, steht im Einklang mit dem Vorbringen der Beklagten, der Aussage des Zeugen Dr. H. und der Dokumentation, besagt aber gerade nichts darüber, ob der Kläger im Rahmen des Gesprächs vom 26.5.1995 der Verabreichung der Medikamente in gemörster Form widersprochen hat. Eher ergibt sich das Gegenteil aus dem weiteren Inhalt jenes Schreibens, wonach der Kläger die ihm seit zwei Monaten in gemörster Form verabreichten Medikamente zwar in den Mund nehme, sie aber später wieder ausspucke. Daraus folgt unmittelbar, dass von einer heimlichen Verabreichung keine Rede sein kann, allenfalls von einer heimlichen Weigerung des Klägers. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seine Einwilligung gegen die Verabreichung der Medikamente ausdrücklich oder konkludent verweigert habe, enthält dagegen weder das Schreiben von Frau K. vom 31.10.2002 noch ergeben sie sich aus dem sonstigen in das Wissen der Zeugin gestellten Vortrag. Vielmehr kann sie ebenso wie die übrigen - erstinstanzlich bereits ausgiebig vernommenen - Zeugen A., Mehl und L. vor allem die Abneigung des Klägers gegen die Medikamente bestätigen. Diese ist als solche aber nicht einmal streitig. Dass der Kläger häufiger die Medikamente nicht einnehmen wollte, ist von Beklagtenseite nie bestritten worden und war letztlich ja Anlass, die Darreichungsform zu ändern.

Diesem ablehnenden Verhalten des Klägers, das sich nach seinem Vortrag als mehr oder minder häufiges und mehr oder minder offenes Nichteinnehmen, Verstecken oder Ausspucken der Medikamente darstellte, kann indes nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass der Kläger seine ausdrücklich erteilte Einwilligung in die Behandlung widerrufe. Zwar bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, dass eine Widerrufserklärung auch in konkludenter Form erfolgen kann. Aber auch eine solche Erklärung muss eindeutig sein. Das ist sie nicht, wenn bei einer Dauertherapie, die über viele Jahre angelegt ist, an vereinzelten Tagen oder in überschaubaren Zeiträumen die Einnahme mehr oder minder erkennbar nicht erfolgt. Hierin kann in der gegebenen Situation nicht mehr gesehen werden als eine momentane Enttäuschung über ausbleibende Heilerfolge oder unangenehme Nebenwirkungen oder aktuelle Zweifel über die Sinnhaftigkeit der Therapie, nicht aber der definitive Wunsch, die Therapie als solche zu beenden. Dies gilt hier um so mehr, als der Kläger augenscheinlich häufiger in seiner Meinung und seinem Verhalten schwankte. Wenn der Kläger die Medikamente nicht einnahm, musste die Beklagte, selbst wenn sie es bemerkte, dies demnach nur zum Anlass nehmen, das Gespräch mit dem Kläger zu suchen und seinen wirklichen Willen zu erforschen. Dies hat sie (jedenfalls mit dem hier interessierenden Gespräch) getan. Hierin aber hat der Kläger gerade keinen klaren Willen zum Widerruf zum Ausdruck gebracht, sondern sich sogar mit einer gemörserten Darreichung einverstanden erklärt. Dann kann aber erst recht in einer Fortsetzung dieser schwankenden Haltung zu einem späteren Zeitpunkt kein eindeutiger Widerruf gesehen werden, schon gar nicht, wenn dieses Verhalten, wie der Kläger ausdrücklich einräumt, nicht offen und erkennbar, sondern heimlich und möglichst unbemerkt dadurch erfolgte, dass die Medikamente zwar in den Mund genommen, nicht aber hinuntergeschluckt, sondern später heimlich ausgespuckt wurden. Gerade diese Heimlichkeit nimmt dem Verhalten jeden Erklärungswert, und zwar unabhängig davon, ob das Personal der Beklagten dem Kläger "auf die Schliche" kam oder nicht.

Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Einverständniserklärung durch Täuschung oder gar Drohung erwirkt und - aus welchem Rechtsgrund auch immer - unwirksam wäre. Die Verhängung von Ausgangssperren und Arbeitsverbot insbesondere im zeitlichen Zusammenhang mit dem Gespräch vom 26.5.1995 hatte erkennbar nicht den Sinn, eine Einverständniserklärung des Klägers zu "erzwingen", sondern erfolgte als Reaktion auf die Verhaltensauffälligkeiten aus therapeutischen Gründen. Dies folgt schon daraus, dass nach der Eintragung des Zeugen W. der Kläger diese Maßnahmen ebenso wie die geänderte Darreichung der Medikamente "augenscheinlich akzeptierte". Trotz der Bereitschaft des Klägers wurden die für notwendig gehaltenen Maßnahmen also vorerst fortgesetzt und nicht etwa wegen der erklärten Bereitschaft aufgehoben. Dafür, dass hierüber oder über sonstige Sanktionsandrohungen Druck auf den Kläger ausgeübt wurde, spricht nichts. Wenn der Kläger seinerseits seine Bereitschaft mit der zerkleinerten Einnahme der Medikamente vor allem wegen der Hoffnung erklärte, künftig von solchen Maßnahmen verschont zu bleiben, und weniger aus Einsicht in die Sinnhaftigkeit der Therapie, so bedeutet dies gerade nicht, dass er durch Drohung zur Abgabe seiner Erklärung bestimmt worden sei.

Soweit der Kläger wiederholt, zuletzt mit Schriftsatz vom 20.12.2002 (bei Gericht eingegangen am 3.1.2003), mangelnde Aufklärung über Art und Wirkung der medikamentösen Therapie rügt, nimmt der Senat Bezug auf den Beschluss vom 10.4.2002. Weiteren Aufklärungsbedarf insoweit sieht der Senat nach wie vor nicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 515 Abs.3 ZPO a.F., 708 Nr. 10, 713 ZPO n.F.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Streitwert:

* bis zum 8.5.2002: 51.129,19 Euro, * danach: 5.000.- Euro.

Der Kläger hat zunächst uneingeschränkt Berufung eingelegt und diese mit einem PKH-Gesuch verbunden, nicht aber die Einlegung der Berufung von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Die Berufung ist hinsichtlich des Teils, für den PKH verweigert wurde, durch den "korrigierenden" Antrag aus dem Schriftsatz vom 7.5.2002 zurückgenommen worden.

Ende der Entscheidung

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